Studienbibel Neues Testament - Ulrich Wilckens - E-Book

Studienbibel Neues Testament E-Book

Ulrich Wilckens

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Beschreibung

Ulrich Wilckens ist mit diesem Neuen Testament eine Übersetzung gelungen, die sich auch anschickt, die konfessionellen Sprach-Differenzen zu überwinden und das in die Mitte zu stellen, was uns verbindet: Jesus Christus, das fleischgewordene Wort.

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Ulrich Wilckens Studienbibel Neues Testament

Ulrich Wilckens

Studienbibel

Neues Testament

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

© 2015 by Fontis – Brunnen Basel

Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns Foto Umschlag: T30 Gallery / Shutterstock.com Textbearbeitung: Dr. Roland Werner, Marburg E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg

ISBN (EPUB) 978-3-03848-744-9 ISBN (MOBI) 978-3-03848-745-6

Inhalt

Abkürzungen und verwendete Namen aller biblischen Bücher

Geleitwort von Roland Werner

Vorwort von Karl Kardinal Lehmann

Einleitung zum Neuen Testament

Hinweise für die Benutzung dieser Ausgabe

Das Matthäusevangelium

Das Markusevangelium

Das Lukasevangelium

Das Johannesevangelium

Die Apostelgeschichte

Der Römerbrief

Der 1. Brief an die Korinther

Der 2. Brief an die Korinther

Der Brief an die Galater

Der Brief an die Epheser

Der Brief an die Philipper

Der Brief an die Kolosser

Der 1. Brief an die Thessalonicher

Der 2. Brief an die Thessalonicher

Die Briefe an Timotheus und Titus

Der 1. Brief an Timotheus

Der 2. Brief an Timotheus

Der Brief an Titus

Der Brief an Philemon

Der Brief an die Hebräer

Der Brief des Jakobus

Der 1. Brief des Petrus

Der 2. Brief des Petrus

Der 1. Brief des Johannes

Zweiter und dritter Johannesbrief

Der 2. Brief des Johannes

Der 3. Brief des Johannes

Der Brief des Judas

Die Offenbarung des Johannes

Abkürzungen und verwendete Namen aller biblischen Bücher

Altes Testament

Neues Testament

Geleitwort von Roland Werner

Gottes Wort in unseren Worten

Das Wort Gottes bleibt in Ewigkeit! Und weil das Wort Gottes bleibt, durch alle Zeiten hindurch, muss es sich immer neue Gefäße suchen, muss es in eine immer neue Gestalt gegossen werden. Das ewige Wort muss immer neue Worte finden, an jedem Ort und zu jeder Zeit. Denn gerade das ist ja das wesentlichste Merkmal des Redens Gottes: dass es so gesagt werden muss, dass es die Menschen hören und verstehen können.

Deshalb gehören Bibelübersetzungen von Anfang an zum missionarischen Wirken der christlichen Kirche. Damit folgte sie der Spur der jüdischen Diasporagemeinschaft in Ägypten. Denn dort wurde in den letzten Jahrhunderten vor der Zeitenwende die hebräische Bibel in die Weltsprache Griechisch übersetzt. Die so entstandene griechische «Septuaginta» wirkte in unübersehbarem Maß in die frühe Christenheit hinein. Denn das, was dort vorausgeahnt und vorausgesagt war, sahen sie in Jesus erfüllt, dem Messias Israels, den sie bald mit dem griechischen Übersetzungstitel «Christos» nannten.

Aufbauend auf diesem «Ersten Testament» entstand in den Jahrzehnten nach Jesu Tod und Auferweckung die Sammlung von 27 Büchern, die wir als das «Neue Testament» kennen. Es ist durchgängig in der damaligen Form der griechischen Sprache geschrieben, also in der Sprache, die die meisten Menschen jener Zeit verstehen konnten.

Jesus selbst hat Aramäisch und ebenso sicher auch Hebräisch gesprochen. Seine Lehrunterweisung hat er mit höchster Wahrscheinlichkeit in diesen beiden eng verwandten Sprachen seinen Schülern nahegebracht. Diese ersten Nachfolger Jesu, Männer und Frauen, und auch die Angehörigen seiner leiblichen Familie, allen voran sicher seine Mutter Maria, «bewahrten» (Lukas 2,19) die Worte Jesu und die Ereignisse seines Lebens und Sterbens. Als Zeugen des Auferstandenen verkündigten sie, was sie «gehört und mit ihren Augen gesehen und betastet hatten vom Wort des Lebens» (1.Johannes 1,1). Das gaben sie weiter an ihre Zeitgenossen und an die nächste Generation, und zwar in der Sprache ihrer Zeit, auf Griechisch. So sind uns die ureigensten Worte von Jesus, in Hebräisch oder auch Aramäisch seinen Jüngern eingepflanzt, schon von Anfang an in der Form einer Übersetzung, nämlich auf Griechisch, überliefert.

Seitdem hat die christliche Gemeinde ihr Urdokument immer neu übersetzt. In den ersten Jahrhunderten waren es die Sprachen der Lateiner und der Kopten, der Syrer und Armenier, der Äthiopier und Nubier, der Georgier und Perser, die diese ersten Übersetzungen des griechischen Neuen Testaments empfingen. Und so ging es weiter mit dem Übersetzen, wenn auch nicht unangefochten. Die Kirche des Westens stellte sich gerade im Mittelalter zuweilen regelrecht feindlich gegen die Versuche von Übersetzungen in die jeweiligen Volkssprachen. Das ist ohne Zweifel eine dunkle Geschichte.

Und doch ließ sich der missionarische Impuls, der sich in Verkündigung und Bibelübersetzung in den Sprachen der verschiedenen europäischen Völker äußerte, nie ganz aufhalten. So erschienen auch schon vor Martin Luther mehrere deutsche Übersetzungen von Teilen der Bibel. Dass es dann nach Luther weiterging, sowohl auf «katholischer» als auch auf «evangelischer» Seite, verwundert nicht. Denn immer wieder waren Menschen von der Schönheit, der Wahrheit und der Wirkmächtigkeit der Heiligen Schrift erfasst und überzeugt. Dass heute in über 2000 der insgesamt an die 7000 gegenwärtig gesprochenen Sprachen Übersetzungen zumindest von Teilen der Bibel vorliegen, zeigt, dass diese Begeisterung für das Wort Gottes weiter brennt.

Die Übersetzung des Neuen Testaments von Ulrich Wilckens kam schon in den 1970er Jahren in meine Hände. Gemeinsam mit anderen jungen Leuten hatte ich einen Jugendkreis in unserer evangelischen Kirchengemeinde gegründet. Darin studierten und diskutierten wir intensiv die Bibel und fragten uns, was ihre Botschaft für uns heute bedeutet. Dass unter den Übersetzungen, die wir miteinander lasen und verglichen, auch die von Ulrich Wilckens dabei war, versteht sich von selbst.

Umso dankbarer war ich, als ich Jahrzehnte später die Gelegenheit hatte, den Verfasser, nunmehr schon als Bischof emeritus, kennen zu lernen. Manches Anliegen der Erneuerung der Kirche und ihrer Konzentration auf und den Einsatz für ihre Kernbotschaft bewegten mich in gleicher Weise. In diesen wenigen Begegnungen trat mir Ulrich Wilckens als ein tief gläubiger und glühender, begeisterter Jesusjünger entgegen. Ein Mann des Glaubens, bei dem intellektuelle Redlichkeit und tiefgegründetes Vertrauen auf Gott zu einem beeindruckenden Christuszeugnis zusammenfinden.

Als dann die Anfrage des Verlags kam, ob ich eine Lektorierung der Einleitungen zu den neutestamentlichen Büchern und der Kommentare vornehmen könnte, lehnte ich zuerst ab. Inzwischen hatte ich selbst eine Übersetzung des Neuen Testaments und der Psalmen in heutigem Deutsch veröffentlicht («dasbuch. NT und Psalmen», SCM-Verlag) und befürchtete, dass ich so zu stark mit meiner eigenen Brille auf den Text von Ulrich Wilckens schauen würde. Außerdem war mir deutlich, dass ich bei einer ganzen Reihe von grundlegenden Fragen der so genannten «Einleitung», also den Fragen nach Entstehungszeit und Verfasserschaft der jeweiligen neutestamentlichen Bücher, zu deutlich anderen Schlussfolgerungen und Überzeugungen gekommen bin als Ulrich Wilckens. Und gerade aufgrund meines sehr großen Respekts vor ihm, dem Neutestamentler, Bischof und Christuszeugen, wollte ich mich nicht in einen sachlichen Konflikt hineinbegeben.

Schließlich willigte ich doch ein, nachdem wir ein klärendes Gespräch bei ihm zu Hause in Lübeck führen konnten, vermittelt von Dominik Klenk. Dabei verabredeten wir, dass die Lektorierung äußerst vorsichtig und zurückhaltend sein würde und sich primär auf Fragen von Sprache und Klarheit der Darstellung (besonders für den theologisch nicht so versierten Leser) konzentrieren sollte. Damit konnte und kann ich leben. Denn so ist gewährleistet, dass die Urteile, die Ulrich Wilckens aufgrund seiner Forschung, seiner Erkenntnisse und seiner Sicht der Dinge so fällt, stehen bleiben können und nicht von mir als Bearbeiter verändert werden müssen, auch wenn ich im Einzelfall zu einem ganz anderen Urteil gelange als er.

Diese Bearbeitung hat dann Freude gemacht. Ich habe nichts am Übersetzungstext geändert, aber die Kommentare, Erklärungen und theologischen Zusammenfassungen und Hinführungen in Richtung allgemeine Lesbarkeit und Verständlichkeit bearbeitet. Dabei habe ich einen vertieften Einblick in die geistliche Gesamtschau von Ulrich Wilckens in die Offenbarungsgeschichte Gottes gewinnen können. Denn dass unsere menschliche Geschichte, mit allen ihren Irrungen und Wirrungen, durchwirkt ist von Gottes Heilswillen und Erlösungswerk, macht sie zur Heilsgeschichte, durch alle Zeiten und Epochen hindurch.

Der «Studienführer Altes Testament», das mit diesem Buch verwandte zweite Buch des Autors, sollte deshalb unbedingt bei der Lektüre dieser Übersetzung mitgelesen werden. Denn darin führt Ulrich Wilckens zielstrebig und behutsam zugleich auf das hin, was in Jesus Christus sein Ziel und seine Mitte findet: die Offenbarung des ewigen und doch persönlich nahekommenden Gottes, des Allmächtigen und Barmherzigen, des dreieinen Gottes – Vater, Sohn und Heiliger Geist–, des «ICH BIN, der ICH BIN». Dass er sich in Jesus offenbart hat, ist Zentrum der neutestamentlichen Botschaft. So nimmt Jesus immer neu das göttliche «ICH BIN» auf, wenn er sagt: «Ich bin das Brot des Lebens. Ich bin der Gute Hirte. Ich bin das Licht der Welt. Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben…»

In dieser Wahrnehmung der Mitte der Heilsgeschichte bin ich ganz einig mit Bischof Dr. Ulrich Wilckens. Denn hier ist der feste Grund, von dem aus wir die Welt verstehen und verändern können. «Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben» (Barmer Theologische Erklärung).

Dass meiner Erkenntnis nach manche Datierung der Entstehung einzelner Bücher des Neuen Testaments deutlich früher angesetzt werden müsste und manche Frage der Verfasserschaft positiver und vertrauensvoller dem Zeugnis der frühen Kirchenväter und internen Angaben folgen sollte, soll noch einmal erwähnt sein. Aber gegenüber der Tatsache, dass wir hier eine behutsame, intensiv «hörende» und zugleich engagierte und zupackende Übersetzung des «Buchs der Bücher» vor uns haben, scheint dies zweitrangig.

Ulrich Wilckens will Gottes Wort zum Leuchten bringen. Und das gelingt ihm ohne jeden Zweifel. Noch mehr: Er bringt das Wort im Wort zum Klingen. Immer, wenn es um Jesus geht, geht ihm das Herz auf, und er ruft den Leser hinein in das Staunen und die Anbetung vor dem Geheimnis, dass «das Wort Fleisch wurde und unter uns wohnte» und dass «wir seine Herrlichkeit sehen dürfen, die Herrlichkeit des einziggeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit» (Johannes1,14).

Roland Werner, Dr. phil. et theol.

Vorwort von Karl Kardinal Lehmann

Zum Geleit

Das Buch der Bücher ist in fast alle Sprachen der Welt übersetzt. In manchen Sprachräumen haben einzelne Übersetzungen nicht nur viele Auflagen erlebt, sondern auch grundlegend die Sprache und Kultur geprägt. Dies ist in unserem Bereich bei der sogenannten Lutherbibel der Fall, die immer wieder in verschiedenen Revisionsfassungen erschien. Viele haben ihren Wortlaut im Ohr und verstehen auch in diesem Sinne die Heilige Schrift.

Die sogenannte «Einheitsübersetzung», die im Jahr 1979 erschien, wollte einen sprachlich verständlichen und wissenschaftlich anerkannten Zugang zur Botschaft der Heiligen Schrift für heutige Leser bieten. Die neue Übersetzung, die auf katholischer Seite ihren Ausgang nahm, ist im Blick auf die Psalmen und das Neue Testament auch von evangelischer Seite aufgenommen worden und hat als ökumenische Übersetzung nicht nur bei Gottesdiensten gute Dienste getan. Zurzeit werden moderate Überarbeitungen der Lutherbibel und der Einheitsübersetzung abgeschlossen und wohl auch bald veröffentlicht.

Obgleich es eine ganz wichtige Station im ökumenischen Miteinander ist, dass man vor allem für die offiziellen Gottesdienste und Veranstaltungen einen gemeinsamen Text verwenden kann, gab es natürlich früher noch stärker als heute private Übersetzungen aus den Urtexten, die jeweils zur Lieblingsbibel vor allem auf katholischer Seite geworden sind. So haben mich selbst die Übersetzungen des Neuen Testaments von Fritz Tillmann (1962) und später von Fridolin Stier (1989) immer wieder begleitet.

Einen besonderen Rang unter diesen Übersetzungen gewann auch bald die Ausgabe des Neuen Testaments in der Übersetzung von Ulrich Wilckens, beraten von Werner Jetter, Ernst Lange und dem katholischen Exegeten Rudolf Pesch (1970, 8.neu bearbeitete Auflage 1991). Mir ist diese Übersetzung durch ihre Treue zum Urtext, ihren bescheidenen Stil und vor allem auch durch die verlässliche und reiche Kommentierung ans Herz gewachsen.

Dass neben der Lutherübersetzung und nach der Einheitsübersetzung andere Wiedergaben ihren Platz behaupten konnten, zeigt allein schon die sogenannte Zürcher Bibel, die auf die Reformation Zwinglis zurückgeht und als neue Zürcher Bibel 2007 in überarbeiteter Fassung erschien, die vielfach benutzt wird.

Der bekannte Neutestamentler und spätere evangelische Landesbischof Ulrich Wilckens hat nach dem Erscheinen der Erstausgabe und den Neubearbeitungen z.B. aus den Jahren 1980 und 1991 zeitlebens an der von ihm vorgenommenen Übersetzung weitergearbeitet. Er hat in diesen Jahrzehnten durch seine mehrbändige «Theologie des Neuen Testaments» (1. Aufl. 2014) seinen wissenschaftlichen und spirituellen Umgang mit dem Neuen Testament nochmals ungemein vertieft und legt uns nun eine immer wieder durchgearbeitete, aber auch von neuem meditierte, gewiss auch letzte Überarbeitung seiner «Studienbibel» vor. Es ist ein außerordentliches Zeugnis für einen wissenschaftlichen Exegeten von heute, dass er sich ein Leben lang mit dieser Intensität um eine sach- und zeitgerechte Übersetzung des Neuen Testaments bemühte.

Ich liebe diese Übersetzung aus vielen Gründen. Zunächst staune ich immer wieder angesichts der konkreten Liebe zur Schrift und über die Demut des wissenschaftlich so ausgewiesenen Übersetzers, dass diese Ehrfurcht vor dem Wort Gottes immer wieder auch auf den Leser überspringt. Der Übersetzer Ulrich Wilckens nimmt sich ganz zurück, hört inständig auf das, was der heilige Text uns heute sagen will. Er versteht ihn wesentlich auch als eine Botschaft, die heute verkündigt werden möchte. Aber bei aller Achtsamkeit auf den Hörer und Leser von heute verfällt er nirgends einem geläufigen Jargon oder gar dem Zeitgeist. Man kann sich Ulrich Wilckens auch im Hinblick auf die Schlichtheit und Schönheit der Sprache anvertrauen.

Den Kommentar, der schon seit der 1. Auflage Beachtung fand, hat er in doppelter Weise mitgeliefert: einmal in einer zusammenfassenden Kommentierung sinnvoll voneinander abgehobener Textabschnitte, ohne sie freilich im Bibeltext mit einem eigenen Titel zu versehen, und mit gezielten Einzelerklärungen. Der Fett-Druck bei Anführungen des Alten Testaments zeigt auch dem vertrauten Bibelleser immer wieder neu auf, wie tief das Neue Testament lebendig im Alten Testament verwurzelt ist.

Ulrich Wilckens hat als Theologe und als Bischof über ein langes Leben hinweg leidenschaftlich der ökumenischen Aufgabe in einer unentwegten Suche nach der Einheit der Kirche Jesu Christi gedient. So ist es kein Wunder, dass die Kommentierung zwar da und dort Unterschiede in der Auslegungsgeschichte der Kirchen bis heute anmerkt, aber eben doch auch in verantwortlicher Weise überbrücken hilft.

Deswegen kann ich angesichts der Rangstellung von Lutherbibel und Einheitsübersetzung vor allem zum öffentlich-amtlichen Gebrauch persönliche Übersetzungen in ihrer Bedeutung gerade auch für den konkreten Bibelleser heute nicht übergehen. Ich möchte sie nicht missen. So kann ich auch als katholischer Theologe und Bischof die Übersetzung von Ulrich Wilckens aus ganzem Herzen empfehlen. Dies schließt selbstverständlich auch ein, dass eine so persönliche Übersetzung bei aller Treue zum Urtext und aller Objektivität des Übersetzers da und dort eigene Wege geht, die jedoch immer zum Wagnis des Übersetzens gehören.

Zur Ergänzung dieser Übersetzung darf ich bei dieser Gelegenheit auch aufmerksam machen auf den von Ulrich Wilckens als Ergänzung geschriebenen «Studienführer Altes Testament». Die Studienbibel hat damit einen hilfreichen Studienführer zum Alten Testament an ihrer Seite.

Karl Kardinal Lehmann

Einleitung zum Neuen Testament

Übersetzt und kommentiert von Ulrich Wilckens

Die Bibel gehört allen christlichen Kirchen und Gemeinschaften als Fundament christlichen Glaubens. Überall und zu allen Zeiten ist sie durch ihr Zeugnis der Wahrheit des drei-einen Gottes zur zentralen Autorität als Heilige Schrift geworden. Durch viele Generationen hindurch haben Eltern ihre Kinder zur Hochachtung vor der Bibel erzogen und sie mit ihr vertraut gemacht. Auch Lehrer haben sie besonders wichtige Bibelworte auswendig lernen lassen, damit sie sich später in allen Lebenslagen bis hin zur Todesstunde in Gottes Wort geborgen wissen sollten.

Ohne die Heilige Schrift sind die meisten Ikonen der orthodoxen Kirchen des Ostens nicht zu verstehen. Der berühmte Christus vom Sinai-Kloster hält mit seinem linken Arm dem Betrachter die Bibel in goldenem Einband entgegen und segnet mit seiner Rechten alles Hören und Lesen.

Im Gottesdienst der römisch-katholischen Kirche wird das Evangelienbuch in feierlicher Prozession zum Ambo in die Kirche getragen, und zur Lesung werden zwei Kerzen entzündet. Mit «Ehre sei dir, Herr» begrüßt die Gemeinde das Wort Gottes, das sie an diesem Tag zu hören bekommt, und mit «Lob sei dir, Christus» antwortet sie auf das Evangelium des Sonntags.

In gleicher Weise sind auch in allen protestantischen Kirchen die Schriftlesungen und ihre Auslegung in der Predigt die traditionelle Mitte ihres Gottesdienstes; und aus der Fülle biblischer Texte, die in den Chorälen erklingen, singen sie sich Trost und Ermutigung zu Herzen. Nicht anders geht es in den gottesdienstlichen Versammlungen der Freien evangelischen Gemeinden zu. Und seit Generationen leben viele evangelische Christen Tag für Tag mit den Losungen und Lehrtexten der Herrnhuter Brüdergemeine.

Seit einiger Zeit jedoch befindet sich diese Tradition weithin im Abbruch. Vielen Menschen ist die Bibel heute zu einem fremden Buch geworden. Biblische Sprache klingt vielen Zeitgenossen wie ein Relikt aus vorvergangenen Zeiten. Zum eigenen Leben brauchen sie die Bibel nicht mehr. In immer mehr Todesanzeigen in den Zeitungen treten Gedichtverse oder Sinnsprüche allgemeiner Lebensanschauung an die Stelle von biblischen Sprüchen oder christlichen Sprachwendungen, mit denen man noch bis vor kurzem den Tod eines seiner Lieben mitzuteilen pflegte. Es sieht so aus, als wäre die Bibel weithin aus der modernen Lebenswelt ausgezogen.

Das hat seine tiefen Gründe. In der Bibel ist von Gott die Rede. Doch im Selbstbewusstsein von immer mehr Menschen unserer Zeit spricht und handelt nur noch das eigene Ich. In ihrem Innern kommt Gott einfach nicht mehr vor. Ein Gott, der seinerseits «Ich» sagt und mich mit «Du» anredet und selbst mit «Du» angeredet werden will, scheint für diese Menschen nicht existieren zu können, und persönlicher Glaubensgehorsam zu ihm gilt für viele als Widerspruch zur Autonomie eines modernen Menschen.

Diese verbreitete «Gott-Losigkeit» müssen Christen wahrnehmen und als Erfahrung vieler ihrer Zeitgenossen auch sehr ernst nehmen. Im Gespräch mit ihnen müssen wir Christen jedoch nicht nur zeigen, dass in solcher Kritik fundamentale Missverständnisse und Missdeutungen federführend sind, die sich seit Generationen verfestigt haben. Recht verstanden will Gott vielmehr das Ich des Menschen keineswegs einengen oder gar «verbiegen», sondern im Gegenteil: Er will ihn zu einem Leben befreien, das nur in hörendem Vernehmen das eigene Selbst wirklich findet. Dass dies wahr ist, dafür können Christen in einem persönlichen lebendigen Glauben zu einem Beispiel werden, das ihre Gesprächspartner in allem kritischen Zuhören überzeugt.

Nun hat sich in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts in ganz Westeuropa eine neue Bewegung innerster Verlebendigung des Lebens mit der Bibel vollzogen, die in allen Kirchen und Gemeinschaften bis heute ihre Spuren gezogen hat. Gott selbst hat sich in seiner durchaus eigenen Autorität und Kraft so zu erkennen und zu erfahren gegeben, dass mit Ihm umzugehen nicht nur der ganzen liberalen Frömmigkeit und Theologie weithin den Boden entzog, sondern nun auch im eigenen Bereich eine neue Atmosphäre öffnet, in der manche starr gewordenen Lehren und Urteile aufgegeben werden können. In alledem erscheint die ganze Bibel in einem neuen Licht: als lebendiges Wort Gottes.

An erster Stelle ist hier die römisch-katholische Kirche zu nennen. In ihr ist eine Bibelbewegung entstanden, die sich nicht nur in der gottesdienstlichen Praxis und bis hinein in das Herz eigener Frömmigkeit, sondern auch in der Theologie aufs Stärkste ausgewirkt hat. In der Bibelauslegung entdeckte man, dass vieles, was in der protestantischen Exegese «historisch-kritisch» erarbeitet worden ist, Wahrheitsmomente enthält, die zum Charakter des katholischen Verständnisses der Offenbarung Gottes wesentlich hinzugehören.

Vor allem: Was Jesus verkündigt und gelehrt und was er in seiner Passion und Auferstehung für die Seinen getan hat, das hat in der Urkirche durch die Kraft des Geistes Gottes weitergewirkt. Ja, der Geist vergegenwärtigt all dieses Geschehen im Gottesdienst und im Leben der Kirche immer neu. So wird aus dem bloß «historischen Jesus» liberaler Exegese der lebendige Christus als das regierende Haupt seines lebendigen Leibes, der Kirche. Ist ja doch der historische Jesus von Nazaret nicht in seinem Grab geblieben!

Wenn zum Beispiel der Apostel Paulus die Worte und Geschehnisse des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern als «Tradition» bezeichnet, die er selbst bereits «empfangen» hat, dann spricht er nicht von einer Erinnerung, die es festzuhalten gelte, sondern von der lebendigen Gegenwart dieses Mahles, das durch die Gegenwart des Auferstandenen in eben der Bedeutung heute geschieht, die Jesus damals seinem Abschiedsmahl mit seinen Jüngern als Vorausereignung der künftigen Mahlgemeinschaft im vollendeten Reich Gottes gegeben hat. Solches Verständnis heiliger Tradition als gegenwärtig-lebendigen Geschehens war im Judentum seit vielen Generationen charakteristisches Kennzeichen bleibender Gegenwart der großen Heilstaten Gottes und hat der ganzen Geschichte Israels mit seinem Gott ihr Gepräge, ja überhaupt ihren Sinn gegeben.

Was für die katholische Exegese gilt, gilt genauso für die evangelische. Die Auslegung der Abendmahlstexte des Neuen Testaments ist ein gutes und wichtiges Beispiel dafür, wie die Erkenntnis historischen Sachverhalts elementar-theologische Erfahrungsbedeutung bekommen kann. Überhaupt hat der Aspekt der traditionsgeschichtlichen Methode, unter dem alle Texte der Bibel daraufhin überprüft werden, welche Wortlaute darin zugrunde liegen, die aus der Liturgie, dem Katechumenenunterricht und der ständigen Gemeindelehre den Lesern bekannt und vertraut waren, eine höchst wichtige Bedeutung für das theologische Verstehen aller neutestamentlichen Texte gewonnen. Fast könnte man sagen: Dies waren die eigentlich wichtigen «Texte», an die nachdrücklich zu erinnern oder deren Sinn zu erklären und gegen deren Fehldeutungen und Missbrauch sich abzusichern weithin das Anliegen der Verfasser der Schriften war.

Das betrifft auch die Namen der Verfasser der biblischen Schriften, die erst in der Kirche des zweiten Jahrhunderts, als es um die Zusammenstellung des Kanons des Neuen Testaments ging, benannt worden sind. Ihnen wurde allesamt apostolische Autorität zuerkannt. Zu dieser gehörte zwar sicherlich auch ihr Augen- und Ohrenzeugnis. Ungleich wichtiger aber war, dass der Inhalt ihrer Schriften mit der Wahrheit apostolischer Verkündigung geistlich übereinstimmte.

So kam es, dass unter den vier Evangelisten lediglich zwei Jünger Jesu genannt wurden, Matthäus und Johannes, und die beiden anderen, Markus und Lukas, als Schüler der Apostel die gleiche apostolische Ehre erhielten – nicht nur wegen der Treue, mit der sie das Zeugnis ihrer Lehrmeister wiedergegeben haben, sondern vor allem, weil ihre Bücher inhaltlich zum apostolischen Gesamtzeugnis gehören, das es in der frühen Kirche gegen immer mehr Irrlehren zu bewahren galt. Und beachtenswert ist: Einer der wichtigsten Apostel des Neuen Testaments, Paulus, hat ja Jesus und seine irdische Geschichte gar nicht gekannt und war ihm auch nicht als Jünger nachgefolgt. Vielmehr hatte er die Kirche Christi um des Glaubens an den auferstandenen gekreuzigten «Herrn» willen zuerst leidenschaftlich verfolgt, bis dieser Herr selbst ihn in einem eigenen Offenbarungsakt vom Himmel her zu seinem Apostel für die Heidenwelt berief!

Die Geschichte des apostolischen Zeugnisses entspricht daher der Geschichte Jesu selbst. Wie Jesus, der Mensch aus Nazaret, als Gottes Sohn gewirkt hat, der einzig-eine Sohn des einzig-einen Vaters, so ist auch alles, was in den Evangelien von ihm berichtet und in den Briefen verkündigt wird, durchweg menschliches Zeugnis, so wie es die verschiedenen Menschen erlebt und aufgefasst, verstanden und gedacht haben. Daher rührt die Vielfalt und Verschiedenheit, ja mitunter auch die Gegensätzlichkeit dessen, was in den neutestamentlichen Schriften zu lesen ist. Gleichwohl stimmt aber dieses ganze Zeugnis in beeindruckender Klarheit inhaltlich-theologisch überein – wenn es mit den Augen, mit dem Herzen und auch mit der Vernunft gelesen und bedacht wird, die sich vom Heiligen Geist leiten und lehren lassen.

Unter dem Aspekt des Geistes Gottes ist zwar alle Vielfalt des menschlichen Zeugnisses grenzenlos weit. Es gibt aber auch eine Mitte in dieser Vielfalt, die alles zusammenhält und so zusammenfügt, dass es inhaltlich-theologisch keinerlei sich ausschließende Widersprüchlichkeiten gibt. – Gewiss, manche Aussagen verlieren so, in dieser Ganzheit gesehen, ihre schneidende Schärfe – wie zum Beispiel die schrecklichen Grausamkeiten, in denen sich nach den Gesichten des Propheten der Johannesoffenbarung das letzte Gericht über die ganze Erdenwelt vollziehen wird. Dass dies jedoch nicht das Letzte ist, was darüber nach dem Gesamtzeugnis der Schrift zu sagen ist, das wird dort in ruhiger Klarsicht erkannt, wo sich der Leser gerade auch an solchen Stellen am Wesen Gottes selbst orientiert.

Gott hat selbst seinen Namen, der von der Mose-Geschichte an das wundervolle Element allen göttlichen Handelns ist, das von allen Generationen Israels immer neu erlebt worden ist und sich schließlich in der Geschichte Jesu vollendet hat, folgendermaßen offenbart: Als der HERR handelt er «gnädig und barmherzig» an seinem Volk über die Grenzen auch seines gerechten Zornes gegen die immer wiederholten Treubrüche der Seinen hinaus. Seine Liebe, in der Gott allen Widerspruch und alles Zuwiderhandeln gegen ihn vergibt und alles Elend des von daher verkommenen Lebens heilt, kennt keine Grenze. Die Treue seiner Liebe ist ewig (2.Mose34,6).

Wie erstaunlich ist dieser Gott! Wie ganz und gar wunderbar ist es, in dieser Allmacht des Erbarmens Gottes die letzte Wirklichkeit aller Geschichte sehen und mit der jüdischen wie christlichen Tradition des Glaubens sich ihrer Wahrheit anvertrauen zu können. Und wie zentral wichtig ist dies heute für eine Welt, die nur menschlichen Egoismus kennt und deren Schicksal darum friedlos ist und letztlich ohne einen Sinn erscheinen muss.

Gegenwärtig scheint es so, als ob die Bibelbewegung, die im vorigen Jahrhundert in der katholischen und in der evangelischen Kirche gleichzeitig mit großer Lebendigkeit zu wirken begonnen hat, jetzt im 21.Jahrhundert mit Macht in eine neue Phase eintritt:

Das erstaunlichste Ereignis ist die Entschiedenheit, mit der die katholische Kirche seit dem II. Vatikanischen Konzil die Bibel als Gottes Wort in die Mitte all ihres Lebens gerückt hat. Was seit Jahrhunderten die Kirchen des Westens getrennt hat, zeigt sich jetzt – übrigens nicht ohne kräftige Mithilfe der kritischen Bibelwissenschaft beider Seiten – als reale Möglichkeit geistlicher Einheit:

Schrift und Tradition –

und daher auch

Rechtfertigung durch Gottes Gnade im Glauben an Christus

und das Leben der so gerechtfertigten Christen in Werken der Liebe

.

Nicht weniger erstaunlich ist die weltweite Wirkung der «Theologie des Wortes Gottes», wie sie

Karl Barth

und andere vertreten haben. Dass die Geschichte Jesu Christi zu

berichten

ist, ist gewiss wahr, aber entscheidend ist: Diese Geschichte will als Gottes Geschichte

verkündigt

werden! Dass dieses «Kerygma» allen Schriften des Neuen Testaments zugrunde liegt, ist eine Erkenntnis, die sich schwerlich mehr durch erneuertes Beharren auf historistischer Bibelkritik wird aus der Welt schaffen lassen.

Auch die

geistlichen Bewegungen,

die sich in weiten Bereichen der Welt gegenwärtig verbreiten, sind ohne neue Lebendigkeit des Lebens mit der Bibel nicht zu verstehen: Soweit sie den traditionellen Pietismus mit erfassen, bildet sich hier die Chance heran, die Botschaft der Bibel wirklich in alle Teile der Welt zu tragen.

So sind sich heute orthodoxe, katholische, evangelische und «evangelikale» Schriftlehre und Schriftauslegung im Grunde so nah wie kaum je zuvor. Einerseits hat jede von ihnen Schätze zu eigen, die sie in die große ökumenisch-gemeinsame Bibelbewegung mit hineingeben und hineinwirken lassen kann. Wenn andererseits jede von ihnen unnötig gewordene polemische Spitzen gegeneinander ad acta legten und bereit wären, auch selbst von den Schätzen der je anderen zu lernen, so würde das zu einer tragfähigen gemeinsamen Basis werden können, auf der dann auch Dissonanzen, die uns jetzt noch trennen, überwindbar werden. Denn die apostolische Tradition in der Heiligen Schrift ist ein sicheres Fundament, an dem alle späteren Traditionen, die in den verschiedenen Kirchen als je ihr Spezifikum gewachsen sind, gemessen werden können und sollten.

In diesem Sinn darf ich Herrn Kardinal Dr. Karl Lehmann ganz herzlich für sein Vorwort danken, mit dem er auch katholische Christen zum Gebrauch meiner Übersetzung ermutigt. Ich danke auch Susanne Birck von Herzen für ihr großes persönliches Engagement. In drei aufeinanderfolgenden Fassungen hat sie Kapitel um Kapitel auf ihrem Computer geschrieben und alle Aufgaben des Korrektorats mit Kompetenz und Präzision wahrgenommen und so dazu beigetragen, dass diese Ausgabe jetzt neu erscheinen kann. Und nicht zuletzt danke ich dem Verleger Herrn Dr. Dominik Klenk für die Annahme dieses Buches und seinen Mitarbeitern für alle zur Drucklegung nötigen Hilfen.

Das Wichtigste aber ist: Deo gratias! Spiritus sanctus auxilietur nobis ad usum bonum oecumenicum sanctae scripturae.

Ulrich Wilckens

Hinweise für die Benutzung dieser Ausgabe

1. Die Übersetzung ist in Sinnabschnitte unterteilt, die sich aus der Exegese ergeben. Auf Teilüberschriften wurde jedoch mit Bedacht verzichtet, weil alle Erklärungen im Kommentarteil ihren Ort haben. So kann der Bibeltext selbst auch ohne jeden erläuternden Zusatz gelesen werden.

2. Im übersetzten Text sind wörtliche Zitate aus dem Alten Testament oder Anspielungen auf alttestamentliche Stellen durch Fettung kenntlich gemacht. Auf diese Weise verdeutlicht das Satzbild dem Leser bereits rein optisch, welch tiefgreifenden Einfluss das Alte Testament auf die Ausbildung der urchristlichen Sprache gehabt hat, und hält ihm diesen für das Verstehen höchst wichtigen Zusammenhang Seite für Seite gegenwärtig. Die alttestamentlichen Fundorte sind zumeist (nicht durchweg) in den Anmerkungen angegeben; sie tragen aber speziell zum Verständnis des betreffenden neutestamentlichen Textes nicht in jedem Falle viel bei und brauchen darum nicht durchweg nachgeschlagen zu werden. Wesentlicher als der Einzelnachweis ist die Vermittlung der alttestamentlichen Sprachatmosphäre als solcher.

3. Der in anderer Schrift gedruckte Kommentar bezieht sich auf den jeweils voranstehenden Sinnabschnitt des Bibeltextes. Er ist in der Regel zweigeteilt:

Jeder Sinnabschnitt wird zunächst als Ganzer erklärt. Diese

zusammenhängenden Erklärungen

dienen meist dazu, auf den Gedankengang oder auf die Hauptpunkte aufmerksam zu machen. Zuweilen werden hier auch Hinweise auf exegetische Probleme oder historische Informationen gegeben. Die Erklärungen dienen vor allem dazu, Gedanken, Motive oder geschichtliche Voraussetzungen der biblischen Zeugen selbst herauszustellen, jedoch nicht dazu, unsere gegenwärtige Stellungnahme zu ihnen anzumerken.

Unter der zusammenfassenden Erklärung findet sich oft, soweit erforderlich, eine Reihe nummerierter

Anmerkungen (Fußnoten)

zu einzelnen Stellen im voranstehenden Bibeltext. Hier sind vor allem Parallelstellen aus dem Alten und Neuen Testament verzeichnet, die zum Verständnis des gemeinten Sinnes oder als Hinweis auf wichtige Zusammenhänge und Querverbindungen dienen sollen. Hier und da werden auch abweichende Lesarten in den Handschriften des griechischen Textes oder andere Übersetzungsmöglichkeiten notiert. Auch einzelne historische oder kulturgeschichtliche Informationen werden in den Anmerkungen mitgeteilt.

4. Die drei ersten sogenannten synoptischen Evangelien entsprechen einander bekanntlich in weiten Partien bis in den Wortlaut hinein. Diese Parallelen sind jeweils zu Beginn der Erklärungen angegeben. Da die Übersetzung wörtliche Übereinstimmungen, wenn irgend möglich, bewahrt hat, kann der Leser ohne Schwierigkeiten «synoptisch» lesen. Aus Raumgründen werden aber Erklärungen in der Regel jeweils nur an einer Stelle gegeben. Der Leser ist gebeten, dort, wo er zu einem Evangelienabschnitt keine Erklärung findet, diese an einer der angegebenen Parallelstellen aufzuschlagen.

5. Abkürzungen werden durchweg bei der Bezeichnung der biblischen Bücher und darüber hinaus nur in sehr geringer Zahl gebraucht. Die Wiedergabe der biblischen Eigennamen entspricht mit wenigen Ausnahmen den «Loccumer Richtlinien» von 1972.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 0102030405060708091011111213141516171819202122232425262728

Das Matthäusevangelium

Im Matthäusevangelium ist uns der Text des Markusevangeliums fast vollständig und überwiegend auch in der Reihenfolge des Berichteten enthalten. Matthäus hat dieses also zweifellos als Quelle für sein Evangelium benutzt. Doch darf man deswegen das Matthäusevangelium nicht einfach als eine bearbeitete und erweiterte Neuauflage des Markusevangeliums ansehen. Denn etwa die Hälfte des Matthäusevangeliums umfasst Stoffe, die im Markusevangelium nicht enthalten sind. Ein großer Teil davon ist Spruchgut und findet sich in nahezu gleichem Wortlaut auch im Lukasevangelium. Da es ausgeschlossen scheint, dass Lukas das Werk des Matthäus gekannt und benutzt hat – oder umgekehrt Matthäus das des Lukas –, lässt sich die auffallende Übereinstimmung zwischen ihnen am besten durch die Annahme erklären, dass beide Evangelisten unabhängig voneinander aus demselben Überlieferungsbestand von Sprüchen und Reden Jesu geschöpft haben. In der Forschung hat sich für diese vermutete gemeinsame Quelle die traditionelle Bezeichnung «Q» eingebürgert. Darin war offenbar schriftlich festgehalten, was zuvor in der mündlichen Überlieferung der Lehre Jesu in der Urkirche als Lernstoff für alle neu eintretenden Christen gesammelt worden war. Diese Tradition stammt großenteils aus der Anfangszeit der judenchristlichen Gemeinde. Über Markus und Q hinaus hat Matthäus aber noch zahlreiches anderes Gut verarbeitet, das sich nur in seinem Evangelium findet (in der Fachsprache: «Sondergut»). Zum Teil ist dieses wohl schon vor der Endredaktion des Matthäus in der lebendigen mündlichen Lehrüberlieferung der Alten Kirche mit Stoffen aus der Spruchüberlieferung (Q) zusammengewachsen, zum Teil aber auch von ihm selbst zusammengestellt worden.

Vieles weist darauf hin, dass die Heimat des Matthäusevangelisten das Griechisch sprechende, mit der jüdischen Überlieferung vertraute Judenchristentum der Zeit nach der Zerstörung Jerusalems (70 n. Chr.) gewesen ist. Hier sind nicht nur älteste Überlieferungsstoffe der palästinischen Urgemeinde bewahrt worden, sondern man hat vor allem auch an dem bestimmenden Gesichtspunkt der Überlieferung jener ältesten Jüngergemeinde Jesu festgehalten: dass alles, was für das Leben der christlichen Gemeinde wichtig ist, als Lehre Jesu zu überliefern ist, der als der Messias der alleinige Lehrer der Kirche ist (23,8) und es zu allen Zeiten bleibt. Von daher ist zu erklären, warum in den Evangelien grundsätzlich kein Unterschied gemacht wird zwischen Sprüchen, die Jesus selbst formuliert hat, und solchen, die vermutlich erst im nachösterlichen Gemeindeunterricht gebildet worden sind: Alles, was in der Gemeinde als wahr und wichtig gelehrt wurde, wurde als Jesu Wort überliefert; und im Bilde seiner vorösterlichen Jünger sollten sich die Christen aller Orte und Zeiten erkennen (vgl. 28,19f.) Dem entspricht auch der Aufbau des Matthäusevangeliums im Unterschied zu dem des Markusevangeliums. Sein Rückgrat sind die großen Reden Jesu (Mt 5–7; 13; 18; 23; 24–25), die Matthäus in manchen Teilen bereits vorgefunden, im großen Ganzen aber aus verschiedenem Spruchgut selbst gestaltet hat (vgl. die übereinstimmende Formel am Schluss der Reden: «Als Jesus diese Rede beendet hatte …» in 7,28; 11,1; 13,53; 19,1; 26,1). Die Lehre Jesu ist in der judenchristlichen Gemeinde die entscheidende Mitte der christlichen Glaubensüberlieferung. Nach ihr haben die Jünger aller Zeiten und Völker zu leben, und sie wird der Maßstab des Urteils Gottes im künftigen Endgericht sein (10,32f.). So haben die Judenchristen die Geschichte Jesu als des Messias für alle Völker den heidenchristlichen Gemeinden als «das Evangelium» Jesu Christi, des einen Herrn aller Christen, überliefert.

Jesus lehrt die vollkommene Gerechtigkeit. Im Unterschied zu den Führern der jüdischen Glaubensüberlieferung, den Pharisäern und Schriftgelehrten, die die Gerechtigkeit nur lehren, aber nicht tun, sollen seine Jünger sie tun (23,3) und so diese «Heuchler» übertreffen (5,20). Die vollkommene Gerechtigkeit besteht letztlich im Tun barmherziger Liebe: Wie Gott und wie Jesus selbst den Menschen in immer bereiter Güte begegnen, Sündern wie Gerechten, so soll ein Bruder dem anderen (18,21ff.) und überhaupt ein Mensch seinem Mitmenschen (25,31ff.) begegnen. Das Tun der Menschen soll darin dem Tun Gottes und seines Messias entsprechen. Die ganze Sendung Jesu zielt so auf die hoheitsvolle Erscheinung der göttlichen Barmherzigkeit auf Erden. Davon zeugen besonders seine Wunder, unter denen im Matthäusevangelium die Heilungen als Taten der göttlichen Barmherzigkeit stark überwiegen (vgl. 4,23; 8,16f.; 9,35). Matthäus hat sie so bearbeitet, dass die Heilungstat Jesu jeweils als Antwort auf den Glauben an die Macht seiner Barmherzigkeit erscheint (vgl. z. B. 9,18ff.; 15,21ff.; 17,14ff.). Andererseits konzentriert sich der Ungehorsam der «gegenwärtigen Generation» Israels gegen Gott in der Feindschaft gegen Jesus, durch die er, der Messias Gottes, zu Tode gebracht worden ist (vgl. besonders 27,25!). Die Heilsbotschaft Jesu vom Himmelreich, die zu seinen Lebzeiten allein dem Gottesvolk Israel verkündigt werden soll (10,5f.), soll nach seiner Auferstehung zu den Völkern der ganzen Erde getragen werden (28,19f.) – Israel hat sich durch sein gegenwärtiges Tun selbst ausgeschlossen (8,11f.; 21,43; 22,1ff.), wie es schon seit langem dem Willen Gottes immer wieder zuwidergehandelt und seine Gesandten abgewiesen und verfolgt hat (21,28ff.33ff.; 23,34ff.).

Wer der Verfasser dieses Evangeliums war, ist nicht sicher zu ermitteln. Da nur im Matthäusevangelium von der Berufung des «Matthäus» als eines Zöllners berichtet (9,9) und im Verzeichnis der 12 Jünger Matthäus «der Zöllner» genannt wird (10,3), hat die Alte Kirche darin einen Hinweis darauf gesehen, dass dieser Jünger der Verfasser dieses Buches sei. Papias, Bischof von Hierapolis (1. Hälfte des 2. Jahrhunderts), bemerkt dazu, dieser Matthäus habe «die Worte Jesu in hebräischer Sprache zusammengestellt, die dann jeder so, wie er es vermochte, ins Griechische übersetzt hat». Wenn diese Angabe auch im Kern sicherlich zutrifft, so kann sie jedoch nicht auf das Matthäusevangelium in seiner Endgestalt bezogen werden, sondern auf eine alte Sammlung von Worten Jesu, die aus dem frühen Judenchristentum stammt. Hier sind wahrscheinlich Worte Jesu, die von seinen Jüngern bereits zu seinen Lebzeiten auswendig gelernt worden sind, für den Katechumenenunterricht der nachösterlichen Gemeinden zu kleinen Gruppen zusammengestellt worden, zunächst in hebräischer Sprache und später für Heidenchristen ins Griechische übersetzt: Für diesen Zweck sind sie dann auch bereits früh schriftlich aufgezeichnet worden: Diese hebräisch und griechisch formulierten Sprüche Jesu hat der Matthäusevangelist als seine wichtigste Quelle in sein Buch aufgenommen (in der exegetischen Fachsprache als «Q» bezeichnet). Doch er hat diese Sprüche nicht einfach «zusammengestellt», sondern eine ganze Geschichte Jesu geschrieben, in der die Sprüche Jesu, in großen Reden sorgsam komponiert, eine zentrale Bedeutung haben.

Wann und wo er sein Buch verfasst hat, noch in der Urgemeinde in Jerusalem oder bereits im judenchristlichen Teil der großen Missionsgemeinde im syrischen Antiochia, ist nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Jedenfalls ist das Matthäusevangelium das einzige rein judenchristliche Evangelium, dessen griechische Sprache eine deutliche sprachliche Nähe zum Hebräischen zeigt.

1 1 Buch der Abstammung Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.

2 Abraham war der Vater von Isaak, Isaak von Jakob, Jakob von Juda und seinen Brüdern. 3 Juda war der Vater von Perez und Serach; ihre Mutter war Tamar. Perez war der Vater von Hezron, Hezron von Aram. 4 Aram war der Vater von Amminadab, Amminadab von Nachschon, Nachschon von Salmon. 5 Salmon war der Vater von Boas, dessen Mutter war Rahab. Boas war der Vater von Obed, dessen Mutter war Rut. Obed war der Vater von Isai, 6 Isai der Vater des Königs David. David war der Vater von Salomo, dessen Mutter die Frau des Urija war. 7 Salomo war der Vater von Rehabeam, Rehabeam der von Abija, Abija der von Asa, 8 Asa von Joschafat, Joschafat von Joram, Joram von Usija.1 9 Usija war der Vater von Jotam, Jotam von Ahas, Ahas von Hiskija, 10 Hiskija von Manasse, Manasse von Amos, Amos von Joschija. 11 Joschija war der Vater von Jojachin2 und seinen Brüdern in der Zeit der Verbannung nach Babylon.

12 Nach der Verbannung nach Babylon war Jojachin der Vater von Schealtiël, Schealtiël von Serubabel, 13 Serubabel von Abihud, Abihud von Eljakim, Eljakim von Azor. 14 Azor war der Vater von Zadok, Zadok von Achim, Achim von Eliud, 15 Eliud von Eleasar, Eleasar von Mattan, Mattan von Jakob. 16 Jakob war der Vater von Josef, dem Mann Marias; von ihr wurde Jesus geboren,3 der der Messias (Christus) heißt.

17 Vierzehn Geschlechter sind es also von Abraham bis David; vierzehn von David bis zur Verbannung nach Babylon; vierzehn von der Verbannung nach Babylon bis zu dem Messias.

(V1–17) Der Stammbaum Jesu, mit dem der erste Evangelist sein Evangelium beginnt, unterscheidet sich von der entsprechenden Liste in Lk 3,23ff. nicht nur in den meisten angegebenen Namen, sondern vor allem auch in der Gesamtanlage. Ihm liegt das Schema von V17 zugrunde, nach dem die heilige Geschichte Israels, vom Stammvater Abraham ausgehend, dreimal vierzehn Generationen durchlaufen hat und zunächst bis zu König David, dann bis zur Katastrophe der Deportation nach Babylon und von der Rückkehr nach Jerusalem bis auf Jesus führt. Damit soll herausgestellt werden: Jesus ist der erwartete Messias Gottes. Denn erstens ist er ein Nachkomme Davids; und der Messias wurde als Davidide erwartet. Zweitens hat in seiner Geburt die Erwählungsgeschichte Gottes mit seinem Volk Israel, die mit Abraham einsetzt, nach Ablauf ihrer drei Zeitabschnitte ihre planmäßige Erfüllung gefunden. Im zeitgenössischen Judentum rechnete man damit, dass die Geschichte nach einem vorbestimmten Plan Gottes ablaufe, der in Zahlenordnungen erkennbar sei, in die die Generationenfolge eingefügt sei. Die Zahlen 3 und 7, die dem Schema des Stammbaumes Jesu zugrunde liegen, spielen dabei eine gewichtige Rolle. Dass Gottes Heilsplan diese Geschlechterfolge gefügt hat, soll schließlich drittens an den besonderen Fugen sichtbar werden, die sie an vier Stellen aufweist. Viermal ist es ein außer der Reihe Geborener, der von Gott als neues Glied erwählt worden ist, und jedes Mal heftet sich das Außergewöhnliche der Wahl Gottes an den Namen einer Frau (V3.5.6). So auch bei der Geburt Jesu, des Messias: Mit seiner Geburt von seiner Mutter Maria hat es eine besondere Bewandtnis. Davon spricht der folgende Abschnitt.

1 Die Liste überspringt zwischen Joram und Usija drei Namen: Ahasja, Joas, Amasja; vgl. 1. Chr 3,11f.

2 Nach 1. Chr 3,15 ist der hier übergangene Jojakim der zweite von vier Söhnen Joschias; und Jojachin wird dort als einziger Sohn Jojakims genannt. Da Jojachin in V12 als Erster in der Reihe der nachexilischen Davididen aufgeführt ist, könnte in V11 ein alter Textfehler vorliegen und als ursprüngliche Lesart «Jojakim» zu lesen sein.

3 Gemeint ist: Gott ist der «Vater»; vgl. V18.20. – So lesen die meisten und besten Handschriften. Andere gleichen den Satz an das Schema der anderen Glieder des Stammbaumes an und heben bereits an dieser Stelle hervor, dass Jesus von Maria als einer Jungfrau geboren worden sei: «Josef, dem eine Jungfrau, Maria, angetraut war, zeugte Jesus, der der Christus heißt.»

18 Mit der Geburt Jesu Christi aber verhielt es sich so: Maria, seine Mutter, war mit Josef verlobt. Bevor sie zusammengekommen waren, stellte es sich heraus, dass sie schwanger war: vom Heiligen Geist. 19 Ihr Mann Josef aber, rechtschaffen wie er war, wollte sie nicht öffentlich in Schande bringen und entschloss sich daher, sich in aller Stille von ihr zu trennen.1 20 Doch wie er das noch erwog, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: «Josef, Sohn Davids, schrick nicht davor zurück, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen! Denn das Leben, das in ihr erzeugt ist, stammt vom Heiligen Geist.2 21 Sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn: Er wird sein Volk von ihren Sünden erretten.»3 22 Dies ist alles geschehen, damit das Wort des Herrn in Erfüllung gehe, wie es durch den Propheten ausgesprochen worden ist: 23 Siehe, die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn gebären, und man wird ihm den Namen Immanuel geben, das heißt übersetzt: «Gott ist mit uns».4 24 Als Josef vom Schlaf erwacht war, tat er so, wie ihn der Engel des Herrn geheißen hatte: Er nahm seine Frau zu sich, 25 hatte jedoch keinen Umgang mit ihr, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.

(V18–25) Dass Jesus von einer Jungfrau geboren worden ist, wird im Neuen Testament nur an zwei Stellen überliefert (vgl. außer Mt 1,18ff. nur noch Lk 1,26f.35; 2,5). Im Markus- und Johannesevangelium ist von Jesu leiblichen Eltern und Geschwistern die Rede, und der Anstoß der Menschen liegt gerade darin, dass Jesus als dieser Mensch wie alle anderen gleichwohl Gottes Sohn sei (Mk 6,2f.; Joh 6,42). Auch Paulus legt Gewicht darauf, dass der ewige Gottessohn ein Mensch wie alle anderen von einer Frau geborenen war (Gal 4,4). Wie der Vorgang seiner Geburt zu erklären sei, wird hier nirgendwo gefragt. Der Glaube an Jesus Christus als den Sohn Gottes bedurfte an sich nicht der Aussage von seiner wunderbaren Geburt (vgl. Röm 1,3f. und die Erklärung dort). Wo das Motiv auftaucht, klingt der Wortlaut der Weissagung in Jes 7,14 an (vgl. noch Lk 1,31). Matthäus hat den ganzen Abschnitt 1,18–25 als Erfüllung dieser Prophetie gestaltet (vgl. ähnlich 21,1ff.!): Der «Sohn», den die Jungfrau gebären soll, ist von Gottes Geist gezeugt und also Gottes Sohn. Er ist zugleich der verheißene Messias; darum soll der Davidide Josef seine Verlobte trotz ihrer Schwangerschaft als seine Ehefrau zu sich nehmen, damit das Kind an dem Recht davidischer Abstammung über Josefs Linie teilhaben kann. So hat Matthäus in dieser Geschichte das überlieferte alte Bekenntnis von Jesus, dem Davidssohn und Gottessohn (Röm 1,3f.), im Blick auf die Weissagung Jes 7,14 interpretiert.

1 Nach 5. Mose 22,13–21 könnte Josef öffentlich Klage erheben. Weil ihr das schlimmstenfalls den Tod, jedenfalls aber öffentliche Schande einbringen würde, wählt er die andere Möglichkeit der Ehescheidung (nach 5. Mose 24,1).

2 Vgl. Lk 1,35. Dort wäre eine Erklärung dafür, dass Teile des Urchristentums vom Wunder der Empfängnis offenbar zunächst nichts gewusst haben.

3 Der Name «Jesus» heißt im Hebräischen: «Jahwe (der HERR) wird helfen». So hat Matthäus die Stelle in Ps 130,8 als Weissagung auf Jesus verstanden.

4 Jes 7,14; vgl. 8,8. Das ganze Urchristentum hat das Alte Testament als Buch göttlicher Weissagungen auf Christus und die christliche Gemeinde aufgefasst und gebraucht; vgl. Röm 3,21f.; 1. Kor 15,3f.; 1. Petr 1,10–12. Der Mt-Evangelist unterstreicht dies, indem er an vielen Stellen eigens hervorhebt, dass in allen einzelnen Begebenheiten des Lebens Jesu Weissagungen des Alten Testaments in Erfüllung gegangen seien; vgl. 2,15.17.23; 4,14; 8,17; 12,17; 13,35; 21,4; 26,54.56; 27,9.

2 1 Als Jesus zu Betlehem in Judäa geboren war zur Zeit des Königs Herodes,1 siehe, da kamen Gelehrte aus dem Morgenland nach Jerusalem 2 und sagten: «Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen2 gesehen und sind gekommen, ihm zu huldigen.» 3 Als der König Herodes das hörte, erschrak er und ganz Jerusalem mit ihm.3 4 Und er versammelte alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes um sich und erkundigte sich bei ihnen, wo der Messias geboren werden solle. 5 Sie antworteten: «Zu Betlehem in Judäa; denn so steht bei dem Propheten geschrieben: 6 Und du, Betlehem, Land Juda: Gewiss nicht bist du die Geringste unter den Fürstenstädten Judäas. Denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der mein Volk Israel weiden wird.»4 7 Da ließ Herodes heimlich die Gelehrten zu sich rufen und erfragte bei ihnen den genauen Zeitpunkt, zu dem der Stern erschienen sei. 8 Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: «Geht hin und erkundet genau, wie es sich mit dem Kinde verhält! Und wenn ihr es gefunden habt, so meldet es mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige!» 9 Auf dieses Wort des Königs hin machten sie sich auf den Weg. Und siehe, der Stern, dessen Aufgang sie gesehen hatten, zog ihnen voran, bis er über dem Ort stehen blieb, wo das Kind war. 10 Als sie den Stern sahen, überkam sie sehr große Freude, 11 und sie traten in das Haus ein und sahen das Kind mit seiner Mutter Maria, warfen sich zu Boden und huldigten ihm. Und sie taten ihre Schatztruhen auf und brachten ihm Gaben dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe.5 12 Und da sie im Traum die Weisung empfingen, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg in ihr Land zurück.

(V1–12) Matthäus gibt in 2,1–23 einen Erzählungszusammenhang wieder, den er aus gesonderter Überlieferung übernommen hat. Auch mit ihm will er dartun, dass Jesus der Israel verheißene Messias ist. Obwohl jedoch den Juden Jerusalems die Bibel anvertraut ist, in der das Kommen des Messias geweissagt ist, sind es nicht sie, sondern heidnische Gelehrte, die seine Geburt wahrnehmen. Der judäische König dagegen erschrickt über deren Kunde und plant die Ermordung des Messiaskindes, dem die Vertreter der Heiden zu huldigen begehren.

1 Herodes der Große herrschte, von den Römern zum König eingesetzt, 40–4 v. Chr.

2 Andere Übersetzungsmöglichkeit: «im Morgenland».

3 Vgl. 21,10.

4 Mich 5,1.

5 Vgl. Jes 60,6; Ps 72,10.11.15.

13 Als sie fortgezogen waren, siehe, da erschien ein Engel des Herrn Josef im Traum und sagte zu ihm: «Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleibe dort, bis ich dir Bescheid gebe! Denn Herodes will nach dem Kinde suchen lassen, um es umzubringen.» 14 Da stand er auf, nahm das Kind und seine Mutter bei Nacht und ging fort nach Ägypten. 15 Dort blieb er bis zum Tode des Herodes. So sollte das Wort des Herrn in Erfüllung gehen, wie es durch den Propheten ausgesprochen ist: Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.1

16 Als Herodes merkte, dass er von den Gelehrten hintergangen worden war, wurde er sehr zornig, sandte aus und ließ alle Knaben in Betlehem und der ganzen Umgebung umbringen, die zwei Jahre und jünger waren, genau nach dem Zeitpunkt, den er von den Gelehrten in Erfahrung gebracht hatte. 17 So ist das Wort in Erfüllung gegangen, das durch den Propheten Jeremia ausgesprochen worden ist: 18 Ein Geschrei war zu hören in Rama, viel Klagen und Weinen. Rahel beweint ihre Kinder und will sich nicht trösten lassen; denn sie sind nicht mehr.2

19 Doch als Herodes gestorben war, siehe, da erschien der Engel des Herrn in Ägypten Josef im Traum 20 und sagte: «Steh auf, nimm das Kind und seine Mutter mit dir und zieh in das Land Israel. Denn die dem Knaben nach dem Leben trachteten, sind tot.»3 21 Und er stand auf, nahm das Kind und seine Mutter mit sich und kam in das Land Israel. 22 Doch als er hörte, dass Archelaos an der Stelle seines Vaters Herodes in Judäa regierte,4 fürchtete er sich, dorthin zu gehen. Doch auf eine Weisung im Traum hin wich er in das Gebiet von Galiläa aus 23 und nahm dort Wohnung in einer Stadt mit Namen Nazaret. So sollte in Erfüllung gehen, was durch die Propheten angesagt ist: Einen Nazarener wird man ihn heißen.5

(V13–23) Obwohl Herodes alle Anstrengungen macht, des Kindes habhaft zu werden, gelingt es ihm doch nicht, weil es unter Gottes sicherem Schutz steht. Wie Gott einst über Mose, den ausersehenen Retter, der Israel aus der ägyptischen Sklaverei herausführen sollte, von Kindestagen an seine Hand gehalten hat, so umgibt seine schützende Gnade nun auch das Kind, das er zum Messias erkoren hat, «der sein Volk erretten soll von allen ihren Sünden» (1,21). Darum sieht der Evangelist in jedem Geschehen, das er erzählt, die Erfüllung prophetischer Voraussagen.

1 Hos 11,1.

2 Jer 31,15.

3 Vgl. 2. Mose 4,19f.

4 Nach dem Tode des Herodes wurde sein Reich unter seine drei Söhne aufgeteilt: Judäa und Samaria fielen dabei an Archelaos (4 v. Chr. bis 6 n. Chr.).

5 Auf ein bestimmtes Schriftwort (z. B. Ri 13,5.7) scheint hier nicht vorrangig angespielt zu sein. Matthäus will vielmehr sagen: Dass Jesus später als Nazarener bekannt geworden ist, obwohl seine Geburt nach der Weissagung der Schrift in Betlehem stattgefunden hat, ist – wie seine ganze Geschichte – in der Schrift vorausgesagt.

3 1 In jenen Tagen trat Johannes der Täufer in der Judäischen Wüste1 auf und verkündigte: 2 «Kehrt um! Denn das Himmelreich2 ist nahe herbeigekommen.» 3 Denn er war der, von dem es bei dem Propheten Jesaja heißt: Eine Stimme ruft in der Wüste: Macht den Weg frei für den Herrn! Macht gerade seine Pfade!3

4 Johannes aber hatte ein Gewand von Kamelhaar und einen Ledergurt um seine Lenden; und seine Nahrung bestand aus Heuschrecken und wildem Honig. 5 Da zogen die Menschen aus Jerusalem und aus ganz Judäa und aus dem ganzen Land am Jordan zu ihm hinaus, 6 ließen sich im Wasser des Jordan von ihm taufen und bekannten dabei ihre Sünden.

7 Als er aber viele Pharisäer und Sadduzäer zur Taufe kommen sah, sagte er zu ihnen:4 «Schlangenbrut! Wer machte euch glauben, ihr könntet dem bevorstehenden Zorngericht entkommen? 8 Bringt also Frucht, die der Umkehr entspricht! 9 Und meint nicht, ihr könntet bei euch selbst sagen: Wir haben doch Abraham zum Vater! Denn ich sage euch: Gott hat die Macht, Abraham aus diesen Steinen hier Kinder zu erwecken! 10 Schon liegt die Axt an der Wurzel der Bäume. Jeder Baum nun, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. – 11 Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr. Doch der, der nach mir kommt, ist stärker als ich. Ich bin nicht gut genug, ihm die Schuhe zu tragen. Er wird euch mit Heiligem Geist und Feuer5 taufen. 12 Seine Wurfschaufel6 hält er schon in der Hand. Er wird seine Tenne gründlich säubern. Seinen Weizen wird er in seine Scheune sammeln, die Spreu dagegen mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.»

(V1–12: vgl. Mk 1,1–8; Lk 3,1–18) Nach breiter urchristlicher Überlieferung hat Jesus seine öffentliche Predigt erst begonnen, nachdem er von Johannes dem Täufer getauft worden war. Deswegen ist von dessen Wirksamkeit die Rede, bevor von Jesu eigenem Auftreten berichtet wird: Der Täufer gilt als der heilsgeschichtliche Wegbereiter Jesu. Seine schroffe, provozierende Bußpredigt an jedermann in Israel ist in V7–10 zweifellos historisch getreu und charakteristisch bewahrt: Dem Sünder hilft es nicht, sich darauf zu berufen, dass er von Abraham abstamme und darum an Gottes Erwählung teilhabe. Seine Taten machen ihn vielmehr reif für die ewige Vernichtung im nahen Endgericht. Nur radikale Umkehr zum Gehorsam gegen Gottes Willen, bevor es zu spät ist, vermag ihn davor zu bewahren. Matthäus hat diese Bußpredigt am Anfang seines Evangeliums in voller Schärfe übernommen: Sie richtet sich aber nun an seine christlichen Leser, um sie vor Abfall von dem Reich Gottes zu warnen, zu dem sie als Jünger Jesu gehören. Darum lässt Matthäus bereits den Täufer die Botschaft vom Reich Gottes verkündigen (V2), die die Mitte der Verkündigung Jesu ist (4,17!). So macht er aus dem vorchristlichen Propheten einen christlichen Prediger, der die Kirche fortwährend zur Buße ruft. In den Lesungen der Adventssonntage zu Beginn des Kirchenjahres erhebt er seine Stimme Jahr für Jahr von neuem.

1 Das ist das Bergland zwischen Jerusalem und dem Toten Meer, in dem auch die jüdische Sondergemeinschaft von Qumran ihr Zentrum hatte.

2 «Himmelreich» steht im Matthäusevangelium überwiegend als Umschreibung des Reiches Gottes. Gemeint ist die vollendete Wirklichkeit der Herrschermacht Gottes inmitten seiner erwählten Heilsgemeinde; vgl. die Erklärung zu Mk 1,9–15.

3 Jes 40,3.

5 Mt 3,11f. und Lk 3,16f. stimmen gegenüber Mk 1,7f. so stark überein, dass sich die Annahme nahelegt, hier liege ein Spruch aus der Spruchüberlieferung (Q) zugrunde, der gegenüber Markus die ältere Fassung bewahrt. Das zeigt sich besonders daran, dass dort mit dem, «der nach ihm kommen wird», wahrscheinlich Gott, der Richter, und mit der Taufe «mit Heiligem Geist und Feuer» wohl der Vollzug des Endgerichts gemeint war, während es nach der Markusfassung Jesus ist, der im Unterschied zur Wassertaufe seines Wegbereiters die «Geisttaufe» einsetzen wird, nämlich die spätere christliche Taufe zum Heil; vgl. Apg 19,1–7.

6 Eine gabelartige Schaufel, mit der das ausgedroschene Getreide hochgeworfen wird, so dass der Wind die Spreu fortträgt und die Körner «rein» zu Boden fallen.

13 Da kam Jesus von Galiläa zu Johannes an den Jordan, um sich von ihm taufen zu lassen. 14 Doch der wollte ihn daran hindern und sagte: «Ich hätte es nötig, von dir getauft zu werden – und du kommst zu mir?» 15 Jesus erwiderte ihm: «Lass es jetzt so geschehen. Denn gerade so geziemt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.» Da ließ er ihn gewähren. 16 Als Jesus nun getauft war, stieg er sogleich aus dem Wasser. Und siehe, da taten sich die Himmel auf, und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabkommen, zu ihm hin. 17 Und siehe, eine Stimme erscholl aus dem Himmel: «Dies ist mein Sohn, mein geliebter, ihn habe ich erwählt.»1

(V13–17: vgl. Mk 1,9–11; Lk 3,21f.) Den knappen Bericht über das außerordentliche Offenbarungsgeschehen nach Jesu Taufe (V16f.) hat Matthäus im Wesentlichen aus dem Markusevangelium übernommen. Er selbst aber hat mit dem Wortwechsel zwischen Jesus und Johannes eine gewichtige Erklärung über die Bedeutung dieses Taufgeschehens vorangestellt. Wohl bedarf Jesus, der Gottessohn und Messias, der Bußtaufe nicht. Aber Gott will, dass sein Messias sich der Taufe unterzieht, obwohl er der Stärkere und der Täufer nicht gut genug ist, ihm die Schuhe nachzutragen (V11). Denn so will die göttliche Gerechtigkeit zu ihrer Erfüllung kommen; und das geschieht in barmherziger Liebe; vgl. 5,17; 9,13; 18,21ff.; 21,4f.

1 Vgl. 17,5; 12,17–21. Während bei Markus und Lukas die Himmelsstimme Jesus die Gottessohnschaft zuspricht, proklamiert sie ihn bei Matthäus schon als den auserwählten Sohn Gottes, der er von seiner Geburt her ist; vgl. 1,18ff.; 2,15.

4 1 Danach wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel versucht zu werden. 2 Und nachdem er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, kam schließlich der Hunger über ihn. 3 Da trat der Versucher an ihn heran und sagte: «Wenn du Gottes Sohn bist, so befiehl, dass diese Steine hier Brote werden sollen!» 4 Doch er erwiderte: «Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von einem jeden Wort, das aus Gottes Mund hervorgeht!»1 5 Da nimmt der Teufel ihn mit sich in die Heilige Stadt, stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und sagt zu ihm: «Wenn du Gottes Sohn bist, so wirf dich hinab! Steht doch geschrieben: Er wird deinetwegen den Engeln Befehl geben, und sie werden dich auf Händen tragen, damit du deinen Fuss nicht an einen Stein stößt!»2 7 Jesus sagt darauf: «Es steht aber auch geschrieben: Du sollst Gott, deinen Herrn, nicht herausfordern!»3 8 Und wieder nimmt der Teufel ihn mit sich auf einen sehr hohen Berg, zeigt ihm alle Königreiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sagt zu ihm: «Das will ich dir alles geben, wenn du dich niederwirfst und mich anbetest!» 10 Da sagt Jesus zu ihm: «Fort mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben: Vor den Herrn, deinen Gott, allein sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen!»4 11 Da lässt der Teufel von ihm ab, und siehe, Engel traten zu ihm und dienten ihm.

(V1–11: vgl. Lk 4,1–13; Mk 1,12f.) Den Bericht über die Erprobung des Gottesgehorsams Jesu hat Matthäus aus der Spruchüberlieferung übernommen, jedoch offenbar in eine andere Reihenfolge gebracht: Höhepunkt der satanischen Versuchungen ist hier die Verleitung zum Abfall vom ersten Gebot. Das entspricht der Glaubensüberlieferung Israels, nach der das Bekenntnis zu dem einzig-einen Gott das eigentliche Herzstück des Glaubensgehorsams ist (vgl. 22,37!). Indem Jesus dieser letzten Versuchung widersteht, erweist er sich als der, der «alle Gerechtigkeit erfüllt» (3,15).

1 5. Mose 8,3.

2 Ps 91,11f.

3 5. Mose 6,16.

4 5. Mose 6,13.

12 Doch als er hörte, dass Johannes verhaftet worden war, zog er sich nach Galiläa zurück. 13 Und er verließ Nazaret und nahm in Kafarnaum Wohnung, drunten am See im Gebiet von Sebulon und Naftali. 14 So sollte das Wort in Erfüllung gehen, das durch den Propheten Jesaja ausgesprochen ist: 15 Das Land Sebulon und das Land Naftali, das zum See hin liegt, jenseits des Jordan, Galiläa der Völker – 16 das Volk, das in der Finsternis wohnte, hat ein grosses Licht gesehen, und denen, die im Lande wohnten, über dem der Schatten des Todes liegt, ist ein Licht aufgegangen.1 17 Von da an begann Jesus zu verkündigen: «Kehrt um! Denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen.»

(V12–17: vgl. Mk 1,14f.; Lk 4,14f.) Von Kafarnaum ist in der Überlieferung mehrfach die Rede (vgl. unter anderem Mk 1,21; 2,1; Mt 8,5). Matthäus sieht in dieser Stadt das Zentrum der Wirksamkeit Jesu in Galiläa; vgl. besonders Mk 2,1 mit Mt 9,1 (im Unterschied zu 13,54). Darin erkennt er die Erfüllung der prophetischen Weissagung der Schrift. Und in dieser Stunde nimmt Jesus die Botschaft des Johannes vom nahen Himmelreich (3,2) auf, um ihre Erfüllung anzusagen.

1 Jes 9,1f.

18 Als er am Galiläischen Meer entlangging, sah er zwei Brüder: Simon, genannt Petrus,1 und seinen Bruder Andreas. Die waren dabei, ihre Netze im See auszuwerfen; denn sie waren Fischer. 19 Da sagt er zu ihnen: «Kommt her, mir nach! So will ich euch zu Menschenfischern machen.» 20 Und auf der Stelle ließen sie ihre Netze liegen und folgten ihm nach. – 21 Ein Stück weiter sah er ein anderes Brüderpaar, Jakobus, den Sohn des Zebedäus, und seinen Bruder Johannes, die waren im Boot zusammen mit ihrem Vater Zebedäus damit beschäftigt, ihre Netze auszubessern. Da rief er sie, 22 und auf der Stelle ließen sie das Boot und ihren Vater zurück und folgten ihm nach.

(V18–22: vgl. Mk 1,16–20) Matthäus bearbeitet die Markusfassung, wobei er unterstreicht, dass die Berufenen Jesus sofort, ohne Umschweife, nachfolgen. Vgl. dagegen 8,18–22!

1 Vgl. 16,17f.

23 Und er zog in ganz Galiläa umher, lehrte in ihren Synagogen und verkündigte die Heilsbotschaft vom Reich (Gottes) und heilte jederlei Krankheit und jegliches Gebrechen im Volke. 24 Und die Kunde von ihm drang hinaus nach ganz Syrien, und man brachte alle Leidenden zu ihm, die von den verschiedensten Krankheiten und Qualen befallen waren, Besessene, Mondsüchtige und Gelähmte; und er heilte sie. 25 Und eine große Volksmenge folgte ihm nach von Galiläa und den Zehn Städten,1 von Jerusalem, Judäa und Transjordanien.

5 1 Und als er die Menge sah, stieg er auf den Berg; und als er sich setzte, traten seine Jünger zu ihm. 2 Da tat er seinen Mund auf und lehrte sie:

(4,23–5,2: vgl. Mk 1,39; 3,10.7f.; Lk 6,18f.17) Die Proklamation Jesu als Sohn Gottes, seine Bewährung als Sohn Gottes in den Versuchungen, der Beginn der Verkündigung des Himmelreiches in Galiläa als Erfüllung der Schrift und die Berufung seiner ersten Jünger sind in der Anlage des Matthäusevangeliums gleichsam das Eingangstor, durch das der Evangelist seine Leser geradeswegs in die Mitte des Evangeliums führt: Jesus verkündigt seine Botschaft vom Himmelreich und seine Lehre der vollkommenen Gerechtigkeit von «dem» Berge aus – so wie einst Mose dem Volk Israel vom Berg Sinai das Gesetz Gottes verkündigt hat: Mt 5–7. Der Evangelist zielt darauf ab, dass sich seine Leser in die Schar der zuhörenden Jünger einreihen: als die Gemeinde des Messias, der «Gesetz und Propheten erfüllt» (V17).

1 Gemeint ist das Gebiet vornehmlich östlich des oberen Jordan, das sich zu einem Bund von zehn Städten zusammengeschlossen hatte.

3 «Selig, die arm sind in sich selbst1: Ihnen gehört das Himmelreich.

4 Selig, die über Leiden klagen: Siewerden getröstet werden.

5 Selig die Gewaltlosen: Siewerden das Land erben.2

6 Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit: Sie werden satt werden.

7 Selig, die Erbarmen üben: Sie werden Erbarmen erfahren.3

8 Selig, die reinen Herzens sind: Sie werden Gott schauen.4

9 Selig, die Frieden schaffen: Sie werden Gottes Söhne heißen.

10 Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden: Ihnen gehört das Himmelreich.5