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Dieses Buch ist für Christen geschrieben, die darum ringen wollen, ihren Glauben wach- und durchzuhalten. So vielfältig die Probleme sind, mit denen wir es zu tun haben, so verschiedenartig sind auch die Themen dieses Buches. Es sind 52 Beiträge, die im Jahr des 500-jährigen Gedenkens der Reformation Woche für Woche in der Zeitschrift „ideaSpektrum“ erschienen sind. Sie wurden entlang des Kirchenjahres geschrieben, in dem viele Christen noch ganz selbstverständlich als in einer Grundordnung ihres Jahres leben. Gleichzeitig soll damit aber auch Nicht-Christen eine Anregung gegeben werden, für diese Aspekte des „normalen“ christlichen Alltags ein Verständnis zu gewinnen und möglicherweise auch ein Interesse, selbst versuchsweise damit umzugehen. Ulrich Wilckens ist einer der versiertesten Bibelkenner unserer Zeit. Auch wenn die Bibel nicht einfach zu verstehen ist, so schafft es Wilckens grundlegende Zusammenhänge in einfacher Sprache so zu erklären und zu übersetzen, dass die Schönheit und das Wagnis des Glaubens wieder neu und groß erstrahlt.
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Seitenzahl: 161
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Ulrich Wilckens Was Christen glauben
In Zusammenarbeit mit «ideaSpektrum»
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Die Bibelstellen wurden, soweit nicht anders angegeben, vom Autor selbst übersetzt.
© 2018 by Fontis-Verlag Basel (in Zusammenarbeit mit «ideaSpektrum»)
Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns Foto Umschlag: okawa somchai, shutterstock.com E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg
ISBN (EPUB) 978-3-03848-494-3
Vorwort von Helmut Matthies, «ideaSpektrum»
Zum Einstieg: Das Vaterunser
1. Impuls: Gott ist wirklich Gott
2. Impuls: Gottes Name
3. Impuls: Gott ist kein Name
4. Impuls: Gott rechtfertigt niemals Sünde
5. Impuls: Christen feiern zweimal
6. Impuls: Für mich war es nachts hell!
7. Impuls: Wie ich ein ganzer Christ wurde
8. Impuls: Ich betete, und Gott schwieg
9. Impuls: Was ist eigentlich Sünde?
10. Impuls: Vom Teufel und seinen Dämonen
11. Impuls: Wahre und falsche Freiheit
12. Impuls: Was hat es mit der Passionszeit auf sich?
13. Impuls: Es könnte Großes geschehen
14. Impuls: Was hat Jesus für uns stellvertretend getan?
15. Impuls: Was Christus bewirkt hat
16. Impuls: Von den verlorenen Söhnen
17. Impuls: Das eigentliche Wunder am Sonntag
18. Impuls: Es stimmt: Jesus ist leibhaftig auferstanden
19. Impuls: Ich weiß, dass Christus lebt
20. Impuls: Was ist Wahrheit?
21. Impuls: Dann zieht sich der Heilige Geist zurück …
22. Impuls: Christen, jetzt singt und musiziert!
23. Impuls: Betet – egal wie!
24. Impuls: Der Regierungsantritt von Christus
25. Impuls: Das Geheimnis von Pfingsten
26. Impuls: Ich bete trinitarisch. Und Sie?
27. Impuls: Zur Taufe gehört der Glaube
28. Impuls: Die Praxis der Buße: Sein oder Nichtsein
29. Impuls: Warum sind die Apostel wichtig?
30. Impuls: Muss man einer Kirche angehören?
31. Impuls: Eine neue Hoffnung auf die Einheit der Kirche
32. Impuls: Kein Sonntag ohne Gottesdienst
33. Impuls: Mit dem Herzen beten
34. Impuls: Der Kern christlicher Ethik
35. Impuls: Welche Ämter gab es in der Urkirche?
36. Impuls: Wer in der Kirche was darf
37. Impuls: Was wir als Christen bekennen
38. Impuls: Die Zehn Gebote sind Grundlage unserer Ethik
39. Impuls: Wer dankt, hat nachgedacht
40. Impuls: Israel und die Kirche: Auch Juden brauchen Jesus
41. Impuls: Allah und Gott sind nicht identisch
42. Impuls: Christentum und asiatische Religionen
43. Impuls: Wir brauchen eine neue Reformation!
44. Impuls: Was sind Heilige?
45. Impuls: Es läuft alles auf das letzte Heil und Gericht zu!
46. Impuls: Was zum Bußtag zu bekennen ist
47. Impuls: Wir erleben schon jetzt Ewigkeit
Der Autor
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Dieses Buch ist die Summe einer Artikelserie, die Ulrich Wilckens ein Jahr lang wöchentlich (mit wenigen Ausnahmen) zum Reformationsjahr geschrieben hat. In Was Christen glauben legt Wilckens die Fundamente des christlichen Glaubens dar und orientiert sich dabei an der Grundstruktur des Kirchenjahres. Der Bogen beginnt im Advent und endet mit dem Ewigkeitssonntag.
Ich danke Ulrich Wilckens für seine tiefgehenden theologischen Kommentare, die die Basis des christlichen Glaubens kurz und verständlich darlegen.
Wilckens hat eine ungewöhnliche Biografie: 1928 in Hamburg geboren, wurde er ab 1960 Professor für Neues Testament zunächst in Berlin und dann in Hamburg. Von 1981 bis zum Eintritt in den Ruhestand 1991 amtierte er als Bischof in der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche.
Wilckens erkrankte in seinem letzten Bischofsjahr 1990/91 lebensbedrohlich an Krebs. Als Chefredakteur der Evangelischen Nachrichtenagentur «idea» wurde ich damals bereits aufgefordert, einen Nachruf vorzubereiten.
Wider Erwarten – und wunderbarerweise! – wurde er aber gesund und änderte seine geistlich-theologische Einstellung grundlegend. So forderte er eine tiefgreifende geistliche Erneuerung seiner Kirche.
2002 erschien der erste Band seiner Theologie des Neuen Testaments. Darin schreibt er von seiner Umkehr.
Ich hatte ihn vor seiner Wandlung als Student vier Semester in Hamburg erlebt. Er lehrte historisch-kritisch und kam abenteuerlichen Forderungen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) weit entgegen.
Ich gestehe meine damalige (ungeistliche) Haltung: Seine – so nahm ich es wahr – Anbiederei war mir mehr als ein riesengroßer Dorn im Auge.
Nach seiner Lebenswende wurde Wilckens zu einem Felsen theologischer Klarheit in der evangelischen Kirche: «Wer meint, die Bibel unseren Wünschen anpassen zu sollen, wer sich gar reformatorisch dünkt, wenn er sie für die heutige Zeit willkürlich verändert, der zerbricht das Fundament der ganzen Reformation.» Und: «Jesus ist leiblich auferstanden – und Ostern das zentrale Thema meines Lebens.»
Von wie vielen Kirchenleitern ist so etwas noch zu hören?
Kurzum: Heute bin ich ein Fan von Ulrich Wilckens!
Helmut Matthies, Chefredakteur von «ideaSpektrum»
Den Inhalt dieses freudig erwarteten Buches bilden viele untereinander verschiedene Anstöße, die zu einem Verständnis und zu einer Praxis christlichen Glaubens heute in unserer Gegenwart helfen sollen, in der anscheinend ein überzeugtes Christsein rapide abnimmt. Es ist für Christen geschrieben, die mancherlei Schwierigkeiten haben, ihren Glauben wach- und durchzuhalten.
So vielfältig die Probleme sind, mit denen wir es zu tun haben, so verschiedenartig sind auch die Themen dieser Beiträge, die im Jahr des 500-jährigen Gedenkens der Reformation Woche für Woche in der Zeitschrift «ideaSpektrum» erschienen sind.
Ich habe sie aber entlang des Kirchenjahres geschrieben, in dem Christen noch ganz selbstverständlich als in einer Grundordnung ihres Jahres leben, und mich zugleich bemüht, manchem Nicht-mehr-Christen eine Anregung zu geben, gerade für diese Aspekte des «normalen» christlichen Alltags ein Verständnis zu gewinnen und möglicherweise auch ein Interesse, selbst versuchsweise damit umzugehen.
Weder den einen noch den anderen habe ich es leicht gemacht. Die Bibel, an der sich alles Christsein orientiert, ist keineswegs einfach zu verstehen und darum auch nicht leichthin in die nichtchristliche Alltagssprache zu übersetzen. Ihr Verständnis erfordert viel historisches Wissen und viel Reflexion der Weise ihres Denkens.
Dies alles setze ich hier zwar voraus, mache davon aber möglichst wenig Gebrauch und bemühe mich auch, für meine Beiträge eine möglichst einfache (wiewohl nicht simple) Sprache zu finden. Ja, ich versuche sogar Wege zu ebnen, auf denen man vom Verstehen zu einer meditativen Vertiefung gelangen kann.
Als Einstieg biete ich aber keine schwierigen Vorüberlegungen zur Methode oder gar zur Geschichte der Methode theologischen Denkens. Es ist dem Ziel dieses Buches vielmehr angemessen, mit dem Vaterunser zu beginnen, also mitten hineinzuspringen in das Zentrum christlichen Glaubens und christlicher Praxis.
Normalerweise ist dieses Gebet jedem Christen bekannt, weil es entsprechend dem Kleinen Katechismus von Martin Luther am Anfang wie am Ende eines jeden Tages gebetet wird und weil es zudem im gemeinsamen Gottesdienst seinen zentralen Platz hat. Deswegen ist es auch für Nichtchristen wohl das bekannteste Stück dessen, was sie vom Christentum kennen.
Wenn einer fragt: Was ist eigentlich christlicher Glaube?, dann schlagen wir einen falschen Weg ein, wenn wir ausgehen vom Glauben an uns selbst – oder auch nur vom Glauben als Vermutung – und von da aus auf die Existenz oder Nichtexistenz eines Gottes zurückschließen.
Glaube an Gott ist etwas ganz anderes als das, was wir uns selbst zutrauen; auch etwas anderes als religiöse Gefühle, die wir in unserer säkularen Gegenwart in der einen oder anderen Situation noch ab und zu in unserem Innern spüren.
Und ganz gewiss ist dieser Glaube nicht eine bloße Vermutung: Denn Gott ist von einem jeden von uns verschieden, ein ganz eigenes Ich gegenüber dem meinigen, ein wirklicher Partner, ein Du mit seiner eigenen Identität und mit eigener Kraft, die über die unsrige unendlich weit hinausgeht.
Nur so und nur deswegen kann Glaube im Leben eine Bedeutung haben.
Als in früheren Zeiten Könige und Kaiser die höchsten «Majestäten» waren, sprach der Glaube der Juden und Christen von ihrem Gott als «dem König der Könige», dessen Macht Allmacht ist, also über die Macht der in der Welt Herrschenden weit hinaus wirkt.
Und wenn es heute Menschen von außerordentlichem Ansehen gibt (wenn es solche überhaupt noch gibt!); oder wenn es die Technik ist, auf die man als die höchste Macht der Moderne setzen zu können (oder zu müssen) «glaubt», so sind die Weisheit Gottes und seine Vernunft unendlich mächtiger und fähiger als alle Vernunft und alles Können der Menschheit. Deshalb ist er aber auch so grenzenlos verlässlich wie keine andere Kreatur, deren Schöpfer und immer neue ganz «kontingente» Wirklichkeit das schöpferische Handeln Gottes ist.
Die Weise, wie Menschen Gott als «Du» begegnen können, ist allein das Gebet. Weil Gott verlässlich ist, ist unser Beten zu ihm seines Zuhörens gewiss. So gewiss, dass es unnötig und auch unsinnig wäre, in unserem Reden zu ihm offen zu lassen, ob es ihn denn wohl gibt.
Zwar kann kein Gebet Gott zu dem nötigen, worum man ihn bittet; kein Betender kann im Vorhinein wissen, wie Gott «reagieren» wird. Aber echtes Beten darf voraussetzen, dass Gott unter den vielen Millionen, die ihn gleichzeitig mit mir anrufen, meine Worte hört und mir zugetan ist.
Woher weiß echter Glaube das? Es gibt kein Wissen in uns, das notwendigerweise von Gott überzeugt sein muss, nicht einmal ein Sehnen, das auch nur zu ahnen vermöchte, dass ein Gott für uns wirklich da sei.
Es ist genau umgekehrt: Weil Gott in seiner Sprache zu uns redet, weil sein Wort in der Bibel jeden von uns persönlich anspricht, dürfen wir an ihn glauben, ihm unbedingt vertrauen und darum zu ihm beten. Es ist Gottes wunderbare Heiligkeit, auf deren absolute Wirklichkeit sich der Glaube an ihn verlassen darf. Sein Wort in den Schriften seiner menschlichen Zeugen ist es, um dessentwillen echter Glaube von der Bibel als von der «Heiligen Schrift» spricht.
Aber auch all dies könnte in dem nie ganz sicheren Spüren unseres Herzens mit einer Spur letzter Ungewissheit infrage gestellt werden, zumal wenn wir es nicht lassen können, an unserem eigenen Ich als letzter Referenz festzuhalten.
Aber auch demgegenüber ist die wirkliche Wahrheit Gottes ihrerseits begründet: in der Gestalt Jesu, der sich als Gottes Sohn wusste; in seiner Verkündigung der allmächtigen Königsherrschaft Gottes, der in aller seiner himmlischen Macht gerade für die Elenden, Armen und von anderen Ausgegrenzten und Verachteten da ist; der in seinem «Amen, ich sage euch» mit Gottes Ich eins ist.
Und weil Jesus schließlich ebendiese Zuwendung Gottes zu uns durch die Hingabe seiner selbst in den Tod am Kreuz für uns verwirklicht hat, ist Gott in diesem einzigartigen Menschen Jesus mitten in die Menschheit eingetreten. Und dass es Gottes allmächtige Liebe ist, die Jesus bis hin zu seinem Kreuzestod gelebt hat, hat Gott selbst darin erwiesen, dass er seinen Sohn aus dem Tod zum ewigen Leben auferweckt hat.
Darin hat Gott seine Liebe, deren Zeuge Jesus in seinem menschlichen Leben und Geschick war, zum ewig-endgültigen Sieg kommen lassen. Die Wirklichkeit der Auferweckung des am Kreuz für uns gestorbenen Jesus als Gottes Sohn ist also der letzte Grund echten Glaubens an Gott. Daran gibt es für glaubende Christen keinerlei Zweifel. Darum ist jedes Gebet zu diesem Gott Äußerung echten Glaubens an ihn.
Das ist nun auch der Grund dafür, dass ich dieses Buch mit einem Kapitel über das Vaterunser eröffne. Ist doch das Vaterunser das Gebet, das Jesus seinen Jüngern – uns – gegeben hat als das Gebet alles echten Glaubens für die Christen der Kirche aller Zeiten und zur Mitte christlichen Betens. Ein Gebet, das allen Konfessionen der immer noch getrennten Christenheit gemeinsam ist. Man kann tatsächlich sagen: Das Vaterunser ist das ökumenische Gebet und ist es immer gewesen.
Kinder können es von ihren Eltern auswendig zu beten und es in der Schule zu verstehen lernen. Eltern werden es später als Großeltern so vertiefen und verinnerlichen, dass sie mit dem Vaterunser einmal getrost sterben können.
Das Gebet Jesu steht in der reichen Gebetstradition des Judentums. Am augenfälligsten ist die Verwandtschaft mit dem Qaddisch-Gebet, jenem bekannten jüdischen Gebet, das in verschiedenen Versionen überliefert ist und vor allem Bitten um die Heiligung des Namens Gottes, das Kommen der Königsherrschaft Gottes sowie Bitten um Frieden enthält.
Groß gemacht und geheiligt werde sein großer Name in der Welt, die er geschaffen hat nach seinem Willen. Er lasse seine Königsherrschaft herrschen in eurem Leben und in euren Tagen und im Leben des ganzen Hauses Israel in Eile und in naher Zeit.
Im Gottesdienst des Versöhnungsfestes Jom Kippur lautet die Antwort der Gemeinde auf die ihr zugesprochene Vergebung der Jahressünden: «Gepriesen sei der herrliche Name seiner Königsherrschaft für immer und ewig!»
Den alttestamentlichen Hintergrund des Vaterunsers kann man unter anderem an folgenden Stellen erkennen:
In 3. Mose 22,31f. sagt Gott: «Haltet meine Gebote und tut danach: Ich bin der Herr. Entweiht nicht meinen heiligen Namen, damit ich geheiligt werde unter den Israeliten! Ich bin der Herr, der euch heiligt, der euch aus Ägyptenland geführt hat, um euer Gott zu sein: Ich bin der Herr!»
Vergleiche Jesaja 29,23: «Wenn ihre Kinder sehen werden die Werke meiner Hände in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen. Sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten.»
Und Hesekiel 36,22–28: «Ich tue es nicht um euretwillen, ihr vom Hause Israel, sondern um meines heiligen Namens willen, den ihr entheiligt habt unter den Völkern … Ich will meinen großen Namen, den ihr unter ihnen entheiligt habt, wieder heilig machen … Ich will reines Wasser über euch sprengen, dass ihr rein werdet … von allen Götzen will ich euch reinigen. Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euer Inneres geben … Meinen Geist will ich in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun … Und ihr sollt mein Volk sein, und ich will euer Gott sein.»
Auch in Psalm 145 finden sich viele Motive des Vaterunsers. Nur in der Kontinuität der Geschichte des Heilshandelns Gottes für sein erwähltes Volk von Abraham bis Jesus Christus verstehen und beten wir das Vaterunser recht.
Die verschiedenen Formen des Gebets im Matthäus- und im Lukas-Evangelium
Matthäus 6,9–13
Lukas 11,2–4
Unser Vater in den Himmeln
Vater!
I
Geheiligt werde dein Name!
I
Geheiligt werde dein Name!
II
Es komme dein Königreich.
II
Es komme dein Königreich.
III
Es geschehe dein Wille wie im Himmel, so auf Erden.
–
IV
Unser Brot für morgen gib uns heute.
III
Unser tägliches Brot gib uns Tag für Tag.
Va
Und vergib uns unsere Schulden,
IVa
Und vergib uns unsere Sünden.
Vb
wie auch wir vergeben haben unseren Schuldigern.
IVb
Denn auch wir selbst vergeben jedem, der uns (etwas) schuldet.
VIa
Und führe uns nicht hinein in Versuchung,
V
Und führe uns nicht hinein in Versuchung!
VIb
sondern rette uns vor dem Bösen.
-
Es wird sofort deutlich, dass es dasselbe Gebet ist, das diesen beiden Fassungen zugrunde liegt. Denn die beiden ersten Bitten stimmen wörtlich überein; ebenso Matthäus IV und Lukas III, wo nur statt «heute» «Tag für Tag» steht, sowie Matthäus VIa und Lukas V.
Dass in Matthäus Va von «unseren Schulden» die Rede ist und in Lukas IVa von «unsere[n] Sünden», ist inhaltlich keine Differenz, zumal sich in Lukas IVb derselbe Wortstamm im Verb «schulden» findet. «Schuld» und «Sünde» sind im Neuen Testament durchweg gleichsinnig (vgl. zum Beispiel Lukas 13,2.4), wenngleich «Sünde» das geläufigere Wort ist.
Ein Unterschied jedoch besteht darin, dass in Matthäus Vb die gegenseitige Vergebung unter «uns» Christen die Voraussetzung der Vergebung Gottes ist («Wie auch wir vergeben haben»). Das zeigt die in Vers 14f. angefügte Mahnung. In Lukas IVb dagegen gilt unser christliches Vergebungshandeln (Präsens) «jedem, der an uns schuldig wird» – über die Grenze der eigenen Gemeinschaft hinaus.
Der augenfälligste Unterschied zwischen beiden Fassungen ist, dass Matthäus III sowie auch Matthäus VIb bei Lukas fehlen. Doch in beiden Fällen kann es sich nicht darum handeln, dass der Evangelist Lukas die beiden Stellen ausgelassen oder Matthäus eine ihm vorliegende Kurzfassung ergänzt hätte.
Beide haben die verschiedenen Fassungen vielmehr in der ihnen jeweils vertrauten Gebetstradition so vorgefunden, wie sie es bezeugen. Man verändert solche heiligen Texte nicht, sondern diese gehen auf die früheste Zeit zurück, in der einerseits die von Jesus vorgegebene Kurzfassung gebetet worden und andererseits diese durch vertraute Motive aus jüdischer Gebetstradition erweitert worden ist.
Entscheidend für die Hinzufügung von Matthäus III ist, dass Jesus sich selbst im Garten Gethsemane in aller Furcht vor den Leiden, die ihm jetzt unmittelbar bevorstehen, dem Willen seines Vaters ganz hingibt (Matthäus 26,42; Lukas 22,42) und so zum Vorbild seiner Jünger geworden ist im Umgang mit den Leiden, die sie treffen: «Dein Wille geschehe» – das könnte das Motiv für die Einfügung von Matthäus III gewesen sein.
Zu Matthäus VIb bedarf es einer besonderen Erklärung, die in der späteren Auslegung der Schlussbitte gegeben wird.
Dass ein Gott im Himmel ein Vater aller seiner Menschenkinder sei, ist eine in der Religionsgeschichte des Altertums verbreitete Vorstellung. Das Judentum verurteilte jedoch all diese Gottheiten seiner Umwelt als Götzen: Nur der einzig-eine Gott, der mit Israel seinen Bund geschlossen hat, ist in Wahrheit der eine Vater seiner Erwählten. Allein er darf in Gebet und Lobpreis als «unser Vater» angerufen werden, und zwar in einem ganz bestimmten heilsgeschichtlichen Sinn.
Seit Gott Abraham aus dessen Heimat heraus in seine Nachfolge berufen hat, hat er sich selbst für alle Nachkommen dieses Urvaters zum Vater seiner Kinder gemacht. Gottes Vater-Sein hängt also aufs Engste und wesenhaft mit der Generationenfolge der «Väter» Israels zusammen.
Ganz Israel ist in seiner Geschichte das erwählte Eigentumsvolk seines Gottes als des «Gottes der Väter». Zu allen Zeiten führt er sie seine Wege, schützt sie gegen alle ihre Feinde und rettet sie aus jeder Not.
Dafür ist die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten das zentrale Heilsereignis, dessen man in jeder Generation so «gedenkt», dass das gegenwärtige Israel an dieser Errettung aus Ägypten selbst Anteil hat. So preist ihn im Neuen Testament Maria in ihrem Magnificat als den einen gütigen, Wunder schaffenden «Vater» (Lukas 1,46–55) und ebenso Zacharias, der Vater Johannes’ des Täufers, in seinem Benedictus (Lukas 1,68–79).
In einem einzigartigen Sinn ist für Christen Jesus der Sohn Gottes (Lukas 1,32f.35); er redet Gott als seinen Vater an (Matthäus 11,25–27; Lukas 10,21f.). So ist Gott nicht nur «der Herr des Himmels und der Erde», sondern vor allem der Vater Jesu Christi, den er als seinen einzig-einen Sohn hat Mensch werden lassen (Markus 1,11; Lukas 1,32f.35).
Was Jesus den Menschen in Galiläa verkündigt hat, sind Gottes Worte (Johannes 3,34). Er sprach aber zu ihnen in ihrer aramäischen Alltagssprache, so dass jeder ihn verstehen konnte. Ja, wenn er zu Gott betete, gebrauchte er in der Anrede das gleiche einfache Wort «Vater», mit dem im jüdischen Alltag Kinder ihren Familienvater anredeten: «Abba» (zu Deutsch: «Papa»).
Im Griechischen wird das mit dem einfachen pater wiedergegeben – wie in der ursprünglichen Luther-Fassung des lukanischen Vaterunsers. Diese vertrauensvolle Anrede gibt es in der jüdischen Gebetssprache nirgendwo. Jesus war seinem himmlischen Vater so nah wie niemand sonst.
Dieses «Abba» findet sich sogar in der Situation höchster Todesangst im Garten Gethsemane: «Abba, Vater, alles ist dir möglich: Nimm diesen Leidenskelch von mir! Jedoch nicht, wie ich will, sondern wie du willst!» (Markus 14,36). Nirgendwo anders zeigt sich beides so unmittelbar beieinander: seine persönliche Vertrautheit mit seinem himmlischen Vater und sein Gehorsam zu ihm, dem Allmächtigen.