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Wilckens betreibt Bibelkunde vom Feinsten. Im filigranen Gewebe des Alten Testaments legt er den Faden frei, auf dessen rote Einfärbung alles zuläuft: Jesus Christus.
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Seitenzahl: 308
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Ulrich Wilckens Studienführer Altes Testament
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.
Die Bibelstellen basieren auf folgender Übersetzung: Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 Katholische Bibelanstalt, Stuttgart
© 2015 by Fontis – Brunnen Basel Umschlag: Spoon Design, Olaf Johannson, Langgöns Foto Umschlag: T30 Gallery / Shutterstock.com Textbearbeitung: Dr. Roland Werner, Marburg E-Book-Vorstufe: InnoSet AG, Justin Messmer, Basel E-Book-Herstellung: Textwerkstatt Jäger, Marburg
ISBN (EPUB) 978-3-03848-746-3
Abkürzungen und verwendete Namen aller biblischen Bücher
Geleitwort von Roland Werner
Vorwort von Ulrich Wilckens
1 Die Geschichtsbücher
1.1 Das 1. Buch Mose (Gen 1–50)
1.2 Das 2. Buch Mose (Ex 1–40)
1.3 Das 3. Buch Mose (Lev 1–27)
1.4 Das 4. Buch Mose (Num 1–35)
1.5 Das 5. Buch Mose (Dtn 1–34)
1.6 Das Buch Josua (Jos 1–24)
1.7 Das Buch der Richter (Ri 1–21)
1.8 Das Buch Rut (Rut 1–4)
1.9 Die beiden Bücher Samuel (I: 1. Sam 1–31 und II: 2. Sam 1–24)
1.10 Die beiden Bücher der Könige (I: 1. Kön 1–22 und II: 2. Kön 1–25)
1.11 Die Geschichte Gottes mit Israel in der Zeit der Richter und Könige – Zusammenfassung
1.12 Die Chronik-Bücher, Esra und Nehemia (I: 1. Chr 1–29, II: 2. Chr 1–36, Esr 1–10, Neh 1–13)
1.13 Das Buch Ester (Est 1–10)
2 Psalmen und Lehrschriften
2.1 Die Psalmen (Ps 1–150)
2.2 Das Buch Hiob (Ijob; Hiob 1–42)
2.3 Sprichwörter (Sprüche Salomos; Spr 1–31)
2.4 Das Buch Kohelet (Der Prediger Salomo; Koh 1–12)
2.5 Das Hohelied (Hld 1–8)
2.6 Buch der Weisheit Salomos (Weish 1–19)
2.7 Das Buch Jesus Sirach (Sir 1–51)
3 Die Prophetenbücher
3.1 Das Buch Jesaja (Jes 1–66)
3.2 Das Buch Jeremia (Jer 1–52)
3.3 Klagelieder Jeremias (Klgl 1–5)
3.4 Das Buch Baruch (Bar 1–6)
3.5 Das Buch des Propheten Ezechiel (Hesekiel; Eze 1–48)
3.6 Das Buch Daniel (Dan 1–14)
3.7 Das Buch Hosea (Hos 1–14)
3.8 Das Buch Joël (Joel 1–4)
3.9 Das Buch Amos (Am 1–9)
3.10 Das Buch Obadja (Obj)
3.11 Das Buch Jona (Jon 1–4)
3.12 Das Buch Micha (Mi 1–7)
3.13 Das Buch Nahum (Nah 1–3)
3.14 Das Buch Habakuk (Hab 1–3)
3.15 Das Buch Zefanja (Zef 1–3)
3.16 Das Buch Haggai (Hag 1–2)
3.17 Das Buch Sacharja (Sach 1–14)
3.18 Das Buch Maleachi (Mal 1–3)
4 Die Vollendung der Geschichte Gottes mit Israel in der Geschichte Jesu Christ
Einen wunderbaren Studienführer durch das Alte Testament legt Ulrich Wilckens hier vor. Wunderbar ist er, weil hier der Ertrag eines lebenslangen Nachdenkens und Arbeitens an der und mit der Heiligen Schrift konzentriert dargeboten wird. Der theologische Forscher und Lehrer, der bischöfliche Leiter und Verkündiger und der gleichzeitig angefochtene und doch glaubenserfüllte Beter treten in gleicher Weise nach vorn und richten ihren Blick auf das erste Testament, die heiligen Schriften des ersten Bundesvolkes Israel.
Gerade als Neutestamentler sucht Ulrich Wilckens dem Geheimnis der Offenbarung Gottes in diesen heiligen Büchern, diesem heiligen Buch nachzuspüren. Als Christ kann er gar nicht anders, als es vom Neuen Testament her zu lesen. Das bedeutet aber nicht, dass er den Texten Gewalt antut. Im Gegenteil, er spürt dem Wesentlichen nach, geht auf den Grund der Geschichten und Gebete, der Biographien und Bekenntnisse, die dort versammelt sind. Und zugleich hat er sein Ohr und sein Auge geöffnet für das, was an Geheimnis, an Noch-nicht-Erfülltem, an Menschheitssehnsucht und Gottesgeschichte uns dort entgegenkommt. So liest er das erste Testament, und so nimmt er uns Mitleser mit hinein: als ein Buch mit einer geheimnisvollen und doch deutlichen Mitte, als ein Buch mit offener Zukunft und Ewigkeitshorizont.
Die Mitte, den roten Faden, findet er im Namen Gottes, diesem heiligsten Gut Israels. Er, der Name des Ewigen, ist Offenbarung und Verhüllung zugleich, ist dargebotenes Geschenk und verborgenes Geheimnis. In diesem Namen als Ursprung, Mitte und Ziel des Glaubens Israels entdeckt er auch die Brücke zum Neuen Testament, zur Gottesoffenbarung in Jesus.
Als Studienführer hat Ulrich Wilckens es geschrieben, als Hinführung zur neuen Lektüre des ersten Testaments, aber auch zugleich als Wegbereitung für ein ganz neues Lesen des Neuen Testaments. Denn das Geheimnis des wunderbaren Namens entfaltet sich da in voller Bedeutung und Schönheit.
In Einzelfragen kann und wird man vielleicht zu anderen Urteilen kommen als der Autor dieses Buches, Ulrich Wilckens. Manche Aussagen zu Verfasserschaft und Datierung der einzelnen alttestamentlichen Bücher sind sicher noch einmal zu diskutieren. Wissenschaft und Forschung sind, wenn sie das sind, was sie sein sollen, offen und korrekturfähig. Persönlich glaube ich, dass wir manches auch verantwortlich früher datieren können und manche Aussage in Richtung einer größeren historischen Festigkeit korrigieren werden müssen. Dass auch Ulrich Wilckens für eine solche kritische Revision der historisch-kritischen Urteile einsteht, gereicht ihm zur Ehre.
Doch die Haupterkenntnis und der innere rote Faden bleiben, auch wenn vielleicht in einigen Jahren oder Jahrzehnten dieser oder jener Sachverhalt noch anders beurteilt werden wird, als es hier geschehen ist. Diese innere Mitte des ersten Testaments ist die Offenbarung Gottes in seinem Namen. Er ist der Name, der bleibt, wenn alles vergeht, und in dem allein das Heil ist. Dass Bischof Prof. Dr. Ulrich Wilckens das so spannend und eindrücklich, tiefgreifend und leicht lesbar zugleich in diesem Studienführer darstellt, dafür gebührt ihm bleibender Dank.
Viele Menschen können heute mit dem Alten Testament nichts Rechtes mehr anfangen. Auch wenn sie die vielen Namens- und Geschlechterlisten überspringen, bleiben sie im Gestrüpp der vielerlei Vorschriften und Gebote hängen, die entweder den damaligen Kult im Jerusalemer Tempel betreffen und für uns keine Bedeutung mehr haben oder Weisungen und Rechtsverordnungen sind, die der Moralauffassung der heutigen Gesellschaft nicht mehr entsprechen.
Manche Menschen kennen noch ihren Tauf-, Konfirmations- oder auch Trauspruch, die oft aus den Psalmen oder Propheten stammen. Aber wer das Buch der Psalmen anfängt zu lesen, schlägt es bald wieder zu – es gibt zwar manche schönen Gebete und auch Trostzusprüche, die man gern liest und meditiert, aber immer wieder finden sich auch viele Bitten um gewaltsame Beseitigung von Feinden, die unser heutiges sittliches Empfinden verletzen.
Und mit den Büchern der Propheten verhält es sich erst recht so. Der Gott, der dort – wie schon in den Geschichtsbüchern – ganze Völker vernichtet, weil sie Ihn nicht anerkennen, und der auch im Kreise der Seinen jeden Widerspruch gegen Ihn als Beleidigung verurteilt und alle Übertretungen seiner Gebote bestraft ... ein solcher Gott kann geradezu Empörung auslösen.
Schon längst hat es den Vorschlag gegeben, das Alte Testament insgesamt aus der Bibel auszuscheiden. Und auf dem Büchermarkt werden schon seit langer Zeit Ausgaben mit nur dem Neuen Testament angeboten, weil für Christen allein noch das Neue Testament von Belang sei.
Aber es ist im allgemeinen Bewusstsein sehr wohl noch gegenwärtig, dass die beiden Testamente eigentlich zusammengehören. In den evangelischen Kirchen hat nach wie vor die Luther-Bibel mit beiden Testamenten auf dem Altar und der Kanzel ihren Platz. Ebenso wird in der katholischen Kirche die «Einheitsübersetzung» der Bibel mit Altem und Neuem Testament in Gottesdienst und Unterricht gebraucht. Gleiches gilt in den Gemeinden der reformierten Kirche für die «Zürcher Bibel», die in ihrer Neuausgabe von 2007 von vielen Christen als die gediegenste der zahlreichen «modernen» Übersetzungen benutzt wird.
Meine Übersetzung von 1970 beschränkte sich zwar auf das Neue Testament, wollte aber in dessen Textgestalt kenntlich machen und in dem Kommentar und den Anmerkungen ständig darauf hinweisen, dass das Neue Testament aus sich allein heraus gar nicht zu verstehen ist und das Alte Testament als Grundlage hat. Diese Absicht, die Zusammengehörigkeit beider Testamente als der einen Bibel zu gewichten, ist in der Neubearbeitung, in der meine Übersetzung in diesem Jahr wieder herauskommt, noch sehr viel bestimmender. Weil aber das Alte Testament auch in den neuen Übersetzungen nach wie vor die gleichen Verständnisschwierigkeiten enthält, lege ich mit diesem «Bibelführer AT» ein «Hilfsbuch» für die Leser des Neuen Testaments vor, damit sie die inhaltliche Einheit beider Texte erkennen und sich leichter damit tun, die vielerlei Einzelhinweise auf das Alte Testament ernst zu nehmen.
Mir selbst ist der theologische «rote Faden» durch das Alte Testament zuallererst bei der Arbeit an meiner «Theologie des Neuen Testaments» (Neukirchen 2002–2009) als neue Erkenntnis aufgegangen: Der Name Gottes, den dieser nach dem Buch Exodus dreimal Mose mitgeteilt hat (Ex 3,14; 20,2; 34,6f.), ist die Quelle all dessen, was im Alten Testament als die Geschichte Gottes mit seinem Volk und Israels mit seinem Gott bezeugt wird, und darum auch die theologische Mitte des ganzen Buchs. Das bedeutet:
Erstens: Gott ist der einzig-eine Gott, der nur dort zu erkennen ist, wo seine wesenhafte Unterschiedenheit von allen anderen Gottheiten erfahren und in gläubigem Gehorsam anerkannt wird. Sein Name lautet «ICH bin da als der, der ICH da bin», worin zugleich der Zukunftsaspekt mit enthalten ist. Dieser einzig-eine ICH wird immer als Gott da sein (Ex 3,14).
Zweitens: Dieser Gott hat Israel als sein eigenes Volk erwählt und ist immer für es da. Was von Gott gilt, gilt darum entsprechend für sein Volk: Als das eine Volk des einen Gottes unterscheidet es sich von allen anderen Völkern. Gott selbst ist die Verbundenheit mit seinem Volk so wichtig, dass Er selbst mit seinem ganzen ICH für Israel da ist. Gottes eigenes Sein ist mit diesem Für-Sein für dieses sein Volk ganz und gar eins. Das hat Er ein für alle Mal darin erwiesen, dass Er Israel aus seiner Gefangenschaft in Ägypten errettet und von da an seinen Weg schützend und segnend begleitet (Ex 20,2).
Drittens: Während Gott auf dem Berg Sinai Mose die «Zehn Worte» als das Dokument seines unverbrüchlichen «Bundes» mit seinem Volk auf zwei Steintafeln übergibt, bricht Israel zur gleichen Zeit bereits diesen Bund, indem es sich in seinem Eigenwillen eigene Gottheiten hergestellt hat und diese selbstische Religion in einer Orgie von Begeisterung fasziniert feiert (Ex 32).
So beginnt die Geschichte des Bundes Gottes mit Israel mit einem Bundesbruch von Seiten Israels. Mose zerbricht darum in einer symbolischen Geste die beiden Steintafeln des Bundes, der nunmehr auch von Seiten Gottes zerbrochen ist. Gleichwohl wendet Mose sich an Gott, voller Scham für sein Volk und voller Angst vor Gottes Reaktion, und bittet inständig darum, Israel diesen schrecklichen Akt egoistischer Gottlosigkeit zu vergeben.
Gott antwortet mit einer Variante seines Namens von Ex 3,14: «Wem ICH gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ICH mich erbarme, dessen erbarme ich mich.» In diesem Sinn vertieft Er seinen Namen von Ex 3,14, der nun – und zwar auf ewig – lautet: «ICH bin der, der ICH bin, Gott, barmherzig und gnädig, langmütig und reich an Liebe und Treue» (34,6). Und dieses «Wesen» Gottes erweist Er vor allem darin, dass Er Israel vergibt und so seinen berechtigten «Zorn» über dessen Bundesbruch durch seine Gnade überwindet. Und das wird Er auch weiterhin tun: «Tausenden bewahrt Er seine Liebe und nimmt Schuld, Frevel und Sünde weg», während Er seinen Zorn auf die Zeit von drei oder vier Generationen begrenzt (34,7).
Dieses Verhältnis von 1000 zu 3 bis 4 soll herausstellen, wie wesenhaft-ewig die barmherzige Liebe dieses Gottes ist und wie zeitlich-beschränkt sein Zorneshandeln. Da aber die Zusage seiner rettenden, heilschaffenden Gnade Israel gilt und von diesem in gehorsamer Treue angenommen werden will, ist Gottes Zornesreaktion gegen die Untreue der Seinen eigentlich als sein Bundeshandeln notwendig, wenn denn sein Bund in Wirklichkeit gilt. Sein Gericht über die Sünder müsste eigentlich als Alternative zu seinem Heilshandeln ebenso ernst zu nehmen sein wie dieses.
Die Aufhebung seines Zorns und dessen Überwindung durch seine Barmherzigkeit ist also ein Widerspruch in Gott selbst – und nur als absolutes Wunder zu erfahren, das für Menschen unbegreifbar ist –, und zwar als das Urwunder, das im Namen Gottes von Ex 34,6 als seiner Selbstoffenbarung ausgesprochen ist. Von allen wunderbaren Taten dieses einzigartigen Gottes ist dieses sozusagen das wunderbarste Wunder.
Dieses Wunder aber vollzieht sich faktisch in der ganzen Geschichte Gottes mit seinem Volk. Immer neu verfällt Israel der Sünde, aber immer aufs Neue – oh Wunder! – vergibt Gott diese Gottlosigkeit und schenkt Heilung dort, wo Israel Verderben «verdient» hat. Die Geschichtsbücher des Alten Testaments sind voll von dieser wunderbaren Erfahrung. Immer wieder gibt es Zeiten des Zorngerichts, unter dem das Volk schwer zu leiden hat. Aber immer wieder schenkt Gott denen, die in der Bitte um Vergebung zu Ihm zurückkehren, seine volle Zuwendung und rettet sie.
Erst recht liegt der Gerichts- wie auch der Heilsverkündigung der Propheten dieses Grundmotiv der Geschichte Israels unter Gottes Zorngericht und dessen Aufhebung durch Gottes Gnade zugrunde. Selbst in den Weisheitsschriften finden sich Anklänge an Ex 34,6. Und dem Buch der Psalmen könnte man geradezu die Überschrift geben: «Bitten um Vergebung Gottes sowie Dank und Lobpreis seiner Barmherzigkeit.»
Unter diesem Aspekt zeigt sich in ganz überraschender Weise ein neuer Weg durch sämtliche Schriften des Alten Testaments. Liest man das Alte Testament in diesem Zusammenhang, so erweisen sich auch viele der oben genannten Einwände und Urteile als tiefe Missverständnisse, oder sie verlieren ihr Gewicht. Man kann diesen wunderbaren Gott der Liebe sogar persönlich sehr liebgewinnen!
Vor allem aber: Dieser Weg führt ohne Umschweife in die Mitte des Neuen Testaments! In der Verkündigung Jesu als des Retters für Sünder erfüllt sich die Verheißung des endzeitlichen Heils durch die Allmacht der Gnade Gottes; und in der Selbsthingabe Jesu in den Tod am Kreuz vollendet sich das Für-Sein Gottes für seine Erwählten in radikaler Weise, genauso wie in seiner Auferweckung aus diesem Tod die Allmacht seiner Barmherzigkeit. Die Christus-Predigt der Apostel macht der gesamten Menschheit dieses Urwunder des Sieges Gottes kund: In Jesus hat sich der Name von Ex 34,6f. in geschichtlicher Wirklichkeit erfüllt. Hier wird die theologische Einheit zwischen dem Alten und Neuen Testament als derjenigen einer Heiligen Schrift sichtbar!
Ich danke an dieser Stelle Prof. Hermann Spieckermann, Göttingen, dem ich den Anstoß zu dieser Entdeckung der zentralen Bedeutung von Ex 34,6 für die alttestamentliche Theologie verdanke.
Ich danke auch hier Susanne Birck für alle Mühe des Lesens meiner krankheitsbedingt sehr unleserlich gewordenen Handschrift und für die sorgsame Übertragung des Manuskripts in die digitale Form. Und ich danke dem Verleger und Mitbruder Dr. Dominik Klenk für die Annahme und Publikation dieses Buchprojekts.
Dr. Ulrich Wilckens, Prof. Bischof i.R.
Die Bibel beginnt ihr Zeugnis nicht mit einer zeitlos-ewigen Existenz Gottes, sondern mit der Geschichte seines Wirkens in der Schöpfung des Alls. Sein schöpferisches Handeln (hebr. bara) ist das Thema, mit dem die Bibel ihren Bericht über das Ursprungsgeschehen überschreibt (Gen 1,1), das aller Glaube an Gott erkennt und im Bekenntnis anerkennt. Es ist das ganz und gar freie, souveräne, schöpferische Tun, in dem das «Wesen» des biblischen Gottes besteht. «Groß und wunderbar sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott!» (Offb 15,3).
«Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde» (Gen 1,1), das heißt: Alles hat seinen Anfang und seine Existenz durch Gottes schöpferisches Handeln. Der Bericht, der dieses in mehreren aufeinander folgenden Akten vor Augen führt, ist voll von theologischem Tiefsinn. Von der nichtigen Einöde, die eine Urflut in tiefem Dunkel bedeckt, ist nicht als von dem, das diesem Anfang vorausbestand, die Rede, sondern als von einem bedrohlichen Chaos, dem der Geist Gottes «von oben her» immer schon überlegen war und ist.
Durch seinen befehlsartigen Ausruf «Es werde Licht!» (1,3) wird die undurchdringliche Finsternis dieses Chaos so überwältigt, dass ein Verhältnis der Ordnung von Licht und Dunkel in der Folge von Tag und Nacht entsteht, die dem Wort Gottes gehorcht. Durch die Kraft seines Werks benennt Er das frühmorgens erscheinende Licht Tag und das abendliche Dunkelwerden Nacht. So ist auch die ganze Zeit durch Gottes Handeln bestimmt – Tag und Nacht sind sein.
So verliert die Finsternis ihre Gewalt, alles in ihre Nichtigkeit ein- und untergehen zu lassen; Gottes Licht durchdringt alles Dunkel, und undurchdringliche Finsternis gibt es nicht mehr, weder auf Erden noch im Himmel. Am Tag soll durch dieses Licht Erkenntnis möglich werden und Arbeit geschehen können. Die Nacht kann zu einer Zeit des Ausruhens und Kräftesammelns werden. Beides gehört zum ersten Tag des Schöpfungswirkens Gottes, der in der Reihe der Wochentage immer wiederkehrt.
Wie Gott am ersten Tag (Gen 1,3–5) durch die Scheidung von Licht und Finsternis die totale Dunkelheit des Chaos aufhebt und so die Grundlage einer Lebensordnung schafft, so scheidet Er am zweiten Tag (Vers 6–8) die alles überschwemmende Urflut in irdische Gewässer und himmlischen Regen. So entsteht zwischen Himmel und Erde ein Lebensraum, in dem Gott das Leben auf Erden schützt und nährt. Den Himmel kann nur Gott benennen – die Namen alles Irdischen wird Er den Menschen überlassen (vgl. Ps 115,16). So tritt hervor, dass alles Leben auf Erden der Gaben des Himmels ganz und gar bedarf.
Am dritten Tag (Gen 1,9–13) entstehen auf der Erde Inseln von Festland, die von Meeren umgeben sind. Und zum ersten Mal wird betont, «dass es gut war» (Vers 10), was Gott tat: nämlich gut für alles Leben auf dem Festland und in den Meeren. So kann auf der Erde die Pflanzenwelt ergrünen; Kräuter und Fruchtbäume können wachsen, die sich besamen und vermehren, in großer Vielfalt und in je ihrer Eigenart. Und Gott «sah, dass es gut war» (Vers 12). So ist die Erde dazu bereitet, dass Tiere und Menschen sich von dem, was sie wachsen lässt, werden nähren können.
Aber auch im Himmel sorgt Gott dafür, dass das Licht seiner Herrlichkeit durch vielerlei Lichter den künftigen Erdenbewohnern nicht nur ermöglicht, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden, sondern auch zwischen Jahres- und Festzeiten (Gen 1,14). Durch das Strahlen der Sonne wird der Tag hell, so dass alles Leben auf Erden teilhat an der himmlischen Herrlichkeit Gottes (Ps 19,2–7). Aber auch des Nachts wird durch den Mond und die unzählig vielen Sterne erfahrbar, dass gerade auch im Dunkeln und in der grenzenlosen Weite des Alls Gott herrscht und nicht die Finsternis eines Urchaos. Die Tages- und Jahreszeiten dienen darum zugleich dazu, Gott zu loben und Ihm den Dank zu erweisen, der Ihm gebührt (Ps 8,4f). Das ist der Sinn des vierten Schöpfungstags (Gen 1,14–19).
Am fünften Tag (Gen 1,20–23) gibt Gott den vielerlei Tieren im Meer und in der Luft zwischen Himmel und Erde ihr Leben; und hier wird die Fülle und Vielfalt betont, die durch die Dynamik seiner Schöpfermacht entsteht. Auch darin erweist sich, dass «gut» ist, was Gott tut (Vers 21). Und wie die Pflanzen und Bäume sich besamen und mehren (Vers 11), so auch diese Lebewesen, die die Meere und die Luft zwischen Himmel und Erde füllen (Vers 22).
Indem am sechsten Tag (Gen 1,24–31) nun auch die vielerlei Tiere auf der Erde ihr Leben erhalten, das Vieh, die Kriechtiere und das Wild (Vers 24f.), kommt Gottes Schöpfungswerk seinem Höhepunkt immer näher: der Erschaffung des Menschen (Vers 26). Dass Er hier sein Schöpfungswort im Plural spricht: «Lasst uns Menschen machen nach unserem Bild, uns ähnlich», ist im ganzen Schöpfungsbericht einmalig und deshalb sicherlich von Bedeutung.
Aber diese Bedeutung zu erkennen, ist außerordentlich schwierig, ja ein kaum lösbares Problem. Eindeutig ist nur, dass hier nicht eine Vielheit von Gottheiten spricht, wie sie in den Religionen des Alten Orients überall zu finden sind. Denn jederart Einordnung Gottes in eine Vielheit von Gottheiten seiner Nachbarvölker hat der Glaube Israels sich zu allen Zeiten auf das Energischste widersetzt. Zwar ist die Versuchung für das Volk sehr groß gewesen, und viele sind ihr immer wieder anheimgefallen, wie wir später sehen werden. Aber das galt als das größte Unrecht gegen den Gott Israels, der als der einzig-eine Gott von allen «Göttern» absolut unterschieden ist. Eine polytheistische Auslegung von Gen 1,26 ist also völlig auszuschließen.
Möglich wäre hier die Deutung, dass Gott sich mit allen himmlischen Wesen, seinen Engeln, zusammenschließt, mit denen Er sich in seinem himmlischen Bereich umgibt. So tritt die besondere Bedeutung der Erschaffung des Menschen auch sprachlich hervor. Als «HERR seiner Heerscharen» wird Gott in Ps 103,21 gepriesen. An diesem Lobpreis der himmlischen Gemeinde nimmt auch die irdische der Menschen teil. Zuerst darin ist der Mensch «Bild Gottes». Auf Erden ist er es, indem er über alle anderen Lebewesen «herrschen» soll (Vers 26).
Dies also ist es, worin der Mensch Gott «ähnlich» sein soll: Er soll unter den von Gott geschaffenen Lebewesen auf Erden im Sinne der Herrschaft Gottes wirken! Das soll er als Mann und als Frau tun (Gen 1,27). Dazu segnet der Leben schaffende Gott sie, dass sie sich mehren und über die ganze Erde ausbreiten. Bei den Pflanzen und Tieren ist nur vom Samen als dem Mittel der Fortpflanzung die Rede. Einzig vom Menschen werden Mann und Frau eigens genannt. Ihre Fortpflanzung dient ja der gemeinsamen Verantwortung in der Wahrnehmung der sorgsamen Herrschaft über das Leben alles Lebendigen. Es soll eine Welt des Friedens sein, in der Menschen wie Tiere sich von den Pflanzen ernähren dürfen.
Dass Menschen auch Tiere schlachten und essen oder umgekehrt Tiere Menschen fressen, tritt hier gar nicht in den Gesichtskreis. Das hat darin seinen Grund, dass das Blut als Lebensträger Gott als dem Schöpfer des Lebens gehört (vgl. Lev 17,11) und so alles Leben heilig ist. Das tritt später in dem Verbot jeglichen Blutgenusses hervor (Dtn 12,23) – nur ganz ausgeblutetes (geschächtetes) Fleisch dürfen Israeliten, die dem lebendigen Gott in Ehrfurcht verbunden leben, essen, Blut dagegen keinesfalls trinken.
Dass aber Menschen einander umbringen, wie es alsbald schon in der Urfamilie sich ereignen wird (Gen 4), das widerspricht dem Willen des Schöpfers ganz elementar. Das 5. Gebot im Gesetz Israels ist darum zusammen mit dem 6. bereits vom Ursprung der Schöpfung an von allergrößtem Gewicht.
Wenn später Propheten als letzte Zukunft eine Welt ohne Krieg und Gewalt vorausverkünden (Mi 4,1–4), so ist das ein Geschehen, in dem Gott seine Schöpfung grundlegend erneuern wird, so dass alles Leben in ihr so geschieht, wie der Schöpfer es «im Anfang» vorgesehen hat. Es ist sehr wohl möglich, dass der Autor oder die Autoren, die das erste Kapitel der Bibel verkündet haben, in diesem «Anfang» zugleich schon ein Bild jener Endzeit zu sehen ermutigen wollten.
Was am sechsten Tag des Schöpfungswerks mit der Erschaffung des Menschen geschieht, ist die Vollendung des Ganzen (Gen 2,1). Darum ist, was Gott hier tut, nicht nur «gut», sondern «sehr gut» (1,31). Aber auf diese sechs Tage der ersten Woche folgt als deren Erfüllung der siebente Tag der Ruhe des Schöpfers, an der Er seine gesamte Schöpfung teilhaben lässt (2,2f.). Im Unterschied zu dem vielfältigen Segen, den Er all seinen Geschöpfen für ihr Leben gegeben hat, segnet Gott diesen Ruhetag selbst und als Ganzen und «heiligt» ihn für alle seine Geschöpfe (Vers 3).
In der Ruhe breitet sich seine eigene Heiligkeit über das All von Himmel und Erde und durchdringt es. Gottes Heiligkeit besteht in seiner lichtstrahlenden Herrlichkeit, die dem All seiner Geschöpfe ihren ewigen Sinn als sein Eigentum immer wieder, Woche für Woche, eröffnet. Daher ist der Sabbattag von zentraler Bedeutung für alles Leben. Darum steht er im Aufbau der Zehn Gebote in der Mitte zwischen dem Glaubensgehorsam Israels zu seinem Gott (Ex 20,1–7; Dtn 5,6–11) und dem Lebensgehorsam im Miteinander der Menschen (Ex 20,12–17; Dtn 5,16–21): «Meine Sabbate sollt ihr halten. Denn das ist ein Zeichen zwischen mir und euch von Generation zu Generation, damit man erkennt, dass ich der HERR bin, der euch heiligt» (Ex 31,13).
An den ersten ganz und gar theologisch geprägten Bericht, der das Schöpfungsgeschehen unter dem Gesichtspunkt des Handelns Gottes darstellt, schließt sich ein andersartiger Bericht an, der vom Geschehen der Kommunikation zwischen Gott und den Menschen erzählt. Hier tritt nun gleich nach der Schilderung des Zustands der Erde, die Gott geschaffen hat, die Erschaffung Adams in den Blick: Aus dem Staub der Erde bildet Gott dessen Gestalt und macht diese dadurch zu einem lebendigen Wesen, dass Er dem Menschen seinen eigenen Lebensodem einhaucht (Gen 2,7).
Das ist eine sehr tiefsinnige Deutung von 1,26: Die «Ähnlichkeit» des Menschen als Bild Gottes besteht darin, dass das Leben in ihm Gottes eigener Lebensatem ist, den Gott ihm einhaucht – aber ihm auch wieder entziehen kann, so dass der Mensch dann alsbald wieder zu Erdenstaub wird, aus dem er gebildet worden ist: «Denn Staub bist du, und zum Staub kehrst du wieder zurück» (3,19).
Radikaler kann gar nicht ausgedrückt werden, wie das Leben des Menschen ganz und gar in dem besteht, worin Gott ihm an sich selbst teilgibt. Der Mensch ist nichts mehr und nichts anderes als ein Stück Erde. Das menschliche Leben, das in seinem Atem ist, ist und bleibt Gottes gegenwärtige Gabe. Ohne Theonomie gibt es keine Anthropologie! Nur durch Gott wird der Mensch zum Menschen.
Der Garten, den Gott pflanzt, ist entsprechend angelegt. In seiner Mitte lässt Gott eine Quelle sprudeln, aus der vier Ströme hervorgehen, die alle Länder der Erde umfließen (Gen 2,10–14). Es gibt also keinen Bereich der Welt, der nicht von Wasser aus Gottes Quelle umgeben ist und umspült wird. Das Gold und die vielerlei Edelsteine, die hier und dort zu finden sind, hat Gott jeweils in die Erde gegeben, sind also sein Eigentum, an dem sich vergeht, wer es als das Seinige betrachtet und entsprechend damit umgeht.
Vor allem aber: Unter allen verschiedenen Bäumen, die Gott in seinem Garten wachsen lässt, stehen in der Mitte zwei, die ganz sein eigen sind und es bleiben sollen: der «Baum des Lebens» und der «Baum der Erkenntnis von Gut und Böse» (Vers 9). Sie stehen in enger Verbindung: Leben kann nur gedeihen durch das Gute, das der gute Gott gibt. Es wird zum Tode, wenn das Böse sich seiner bemächtigt.
Wichtig ist, vom Anfang an gibt es beides: Gutes und Böses. Aber sie sind nicht gleichwertig. Das Böse ist die Negation des Guten; und weil Gott in seinem Garten nur Gutes wachsen lassen will, ist das Böse nur eine leere, unwirkliche Negation. Der Baum, der dieses Gegeneinander erkennen lässt, ist deswegen allein der Erkenntnis Gottes vorbehalten – wie ebenso der Baum des Lebens, der Gabe des Schöpfers, mit der Er in seinem Garten alles bestimmen, durchdringen und zueinander fügen will. So ist das Verbot an Adam, von den Früchten der Erkenntnis von Gut und Böse zu essen, zu seinem Schutz erlassen: Er müsste ja zu Tode kommen, wenn er das täte (Vers 17).
Die Erschaffung des Menschen ist «sehr gut» (Gen 1,31) – nicht aber, dass dieser alleine leben sollte. Für die vielen Aufgaben zur Bebauung und Bewahrung der Pflanzen und Tiere des Gartens, die Gott ihm anvertrauen will, bedarf er einer Hilfe (2,18). Sie alle sollen vom Menschen als dem einzigen Lebewesen, das an Gottes Leben teilhat, ihren eigenen Namen bekommen – einen Namen, der angibt, wozu jedes von ihnen im Gesamtbereich des Gartens da ist.
Für sie alle findet der Mensch einen zutreffenden Namen – nur für sich selbst nicht. Dazu braucht er ein ebenso lebendiges Wesen, das ihm als sein Gegenüber gleich ist. So bildet Gott während eines Tiefschlafs Adams aus einer seiner Rippen eine Frau und führt sie mit ihm zusammen. Dieser bejubelt sie – ist sie ihm doch leibhaftig gleich und trotzdem als «Männin» von ihm unterschieden. So können sie sich sexuell vereinigen («ein Fleisch werden»); und das wird immer so geschehen, dass diese Vereinigung in der Ehe für alle Menschen wichtiger ist als die Gemeinschaft mit Vater und Mutter. So sehr es – wie bei den Tieren – um die Fortpflanzung geht, so sehr geht es bei dem Menschenpaar um mehr: um den Vollzug einer Gemeinschaft in Gleichheit und Verschiedenheit, die durch einen ganz eigentümlichen Schöpfungsakt Gottes zustande kommt.
Doch nun beginnt sogleich eine Unheilsgeschichte, in der ihrer beider Gemeinschaft mit Gott zerbricht (Gen 3,1–24). Die Schlange wird zur Stimme der Versuchung, die eben da ansetzt, wo es dem Schöpfer um den Schutz seiner Menschen geht: bei dem Verbot, von dem Baum in der Mitte des Gartens zu essen. Wo die Fülle der Früchte, die im Garten wachsen, ihnen zur Verfügung steht, warum sollte dieser eine Baum davon ausgenommen sein, zumal er doch so reizvoll in der Mitte steht? Sollte der gute Gott dieses Verbot wirklich ausgesprochen haben? Und was für einen Sinn sollte es haben?
So lauten die Fragen, die, eine nach der anderen, aus der Versuchung hervorquellen. Gewiss, Gott hat die Menschen gewarnt: Sie werden sterben, wenn sie hier essen – ja diese Früchte auch nur berühren (Vers 3), wie die Frau hinzufügt, ohne zu merken, dass damit das Abbrechen der Frucht näherkommt.
Noch gefährlicher wird es, wo die Schlange ihr die Wahrheit des Verbots schlicht zu bestreiten eingibt und als Grund dafür ein gegen die Menschen gerichtetes Motiv Gottes erfindet: Würden sich die Menschen die Erkenntnis von Gut und Böse aneignen – und das heißt, würden sie selbst entscheiden, was für sie gut und böse sei –, dann würden sie ja Gott gleich werden und selbst «wie Er» sein.
Dass Gott das verhindern wolle – dass ihnen «die Augen aufgehen» im Blick auf diese Möglichkeit, in diesem entscheidenden Punkt an Gottes Stelle zu treten und in ihrem Umgang mit seiner ganzen Schöpfung fortan als selbst «Wissende» (Vers 6) Gottes nicht mehr zu bedürfen –, ist das nicht eine Versuchung, die volle Evidenz dort gewinnt, wo die Bestreitung der Wahrheit dieses Verbots Gott um seine ganze Herrschaft über all seine Geschöpfe brächte? Indem dieser Gedanke im Geist des Menschen durchbricht, es sei Gottes «Egoismus», der hinter diesem seinem Verbot stehe, hat ein Egoismus des Menschen Gestalt gewonnen – und damit ein Widerstreit des Menschen gegen Gott.
Wenn das der Tod ist, vor dem Gott den Menschen als Folge des Ungehorsams gegen sein Verbot warnt, dann sei dieser Tod – spricht die Versuchung – keineswegs zu fürchten, sondern sich darauf einzulassen nichts anderes als das Ende des Herrseins Gottes über den Menschen, für den Menschen aber der Durchbruch zu seiner Freiheit; einer Freiheit, für die es kein Verbot mehr gibt, welchem bewusst zuwiderzuhandeln ihm in diesem schönen Garten schaden könnte: Ja, es könne nur «gut» für ihn sein, sich dazu zu entscheiden, von dieser verbotenen Frucht zu essen.
Und so bricht die Frau eine Frucht von diesem Baum, und beide essen von ihr. Aber daraus wird kein Durchbruch zu vollständiger eigener Freiheit, sondern umgekehrt: Ihr Handeln gegen das Verbot weckt Furcht vor Gott in ihnen. Mit der Selbstverständlichkeit, nackt, wie sie sind, Gott in seinem Garten zu begegnen und mit Ihm zu sprechen, ist es jäh vorbei. Als wäre es eine Gefahr für sie, von Gott «entdeckt» zu werden, versuchen sie sich vor Ihm unter den Bäumen zu verstecken.
Gleichwohl muss Adam auf Gottes Anruf «Wo bist du?» antworten. Er erklärt das Sich-Verbergen vor Gott als Furcht, nackt, wie sie sind, von Ihm gesehen zu werden (Gen 3,10). Und seine Frage, ob er von dem verbotenen Baum gegessen habe, klingt so bedrohlich, dass darüber die Gemeinschaft zwischen Mann und Frau zerbricht: Adam schiebt die Verantwortung dafür Eva zu. Und diese wiederum verweist auf die Schlange, die sie «getäuscht» habe (Vers 13; vgl. Röm 7,11!).
Wer daraufhin allein das Sagen hat, ist Gott, der der Schlange, der Frau und dem Mann mit einem Strafwort das entsprechend «Böse» zuspricht (Gen 3,14–19). Entscheidend ist das Schlusswort: Dem Menschen, der das Verbotene getan hat, wird in der Tat der Tod als Mühsal seines Daseins bevorstehen (Vers 19).
Nachdem Adam außerhalb des Paradieses all seine Kraft verausgaben muss, um nunmehr allein, ohne die guten Gaben des Schöpfers, dem Erdboden abzuringen, was er zum Überleben braucht, wird er am Ende zum Staub des Erdbodens zurückkehren, von dem Gott ihn, als Er ihn schuf, genommen hat, und der von ihm übrigbleibt, nachdem Gott ihm seinen Lebensodem entzogen hat. Denn den Urgarten der Schöpfung muss er verlassen, wie es sein eigener Wille war, als er «werden wollte wie Gott», um selbst zu bestimmen, was gut und nicht gut für ihn sei (Vers 22–24).
In seinem gott-losen Egoismus hat er sich tatsächlich nicht zum Guten entschieden, sondern für die Trennung vom Baum des Lebens, von dessen Frucht nur essen kann, wer die Entscheidung über Gut und Böse Gott überlässt. Der Ausruf Gottes in Gen 3,22 klingt leicht nach wehleidiger Reaktion. In Wirklichkeit spricht sich darin der Gegensatz aus zwischen der Gott-Ähnlichkeit, die Gott seinem höchsten Geschöpf durch Teilhabe an seinem eigenen Leben gegeben hat, und dem Willen des Menschen, eigenmächtig zu werden wie Gott; sowie zwischen der Absicht Gottes, den Menschen mit seinem Lebensodem vor dem Fall in die Lebensnichtigkeit des Todes zu schützen, und dem Wahn des Menschen, sich Gottes «Erkenntnis des Guten und des Bösen» selbst zu verschaffen und damit der Nichtigkeit zu verfallen, die so allererst Realität gewinnt. Dieser Gegensatz schmerzt Gott in seiner Güte.
Bedenkt man dies, so wird von selbst klar, was in der Bibel «Gut und Böse» heißt. Es geht nicht um moralisches Verhalten, das zu bestimmen und als Richter zu zensieren allein Gott zukommt, sondern es geht um die letzte Bestimmung, was für das Leben des Menschen (wie auch für die gesamte Schöpfung) zuträglich oder schädlich ist. Natürlich hängt dies auch an der Moralität menschlichen Denkens und Handelns.
Entscheidend darin ist jedoch, dass diese Moralität theonom ist, am guten Willen Gottes für den Menschen orientiert. Setzt der Mensch dagegen in seinem Handeln dieser Theonomie des Guten und Bösen seine eigene autonome Entscheidung entgegen, dann entsteht daraus zwangsläufig eine Verkehrung dieses Gegensatzes. Das Gute, das er egozentrisch als für sich gut bestimmt und entsprechend egoistisch tut, schadet, entgegen seinem Willen, allzu leicht der sozialen Mitwelt und natürlichen Umwelt – und damit im Grunde und letztendlich dem Guten, das er für sich selbst will.
Wer so denkt und handelt, setzt sich in Widerstreit zum guten Willen Gottes für ihn. Wer aber meint, im «Sein wie Gott» seinen moralischen Willen mit dem Willen Gottes gleichzusetzen, ja zu einen, befindet sich in einem Urirrtum: Den guten Gott gibt es gemäß der Weisheit der Bibel nur als den einzig-einen; und mit diesem guten Gott kann ein Mensch nur im Gehorsam und Zutrauen des Glaubens an Ihn einig sein.
In diesem Sinn ist die biblische Geschichte vom «Sündenfall», die so rasch auf die «sehr gute» Geschichte der Schöpfung folgt, von tiefer symbolischer Bedeutung. Sie ist ganz und gar nicht im Sinne Gottes. Deswegen enthält sie die Frage, nicht nur, was aus der Sünde für das Leben und die Lebenswelt der Menschen folgt, sondern vor allem, ob und wie Gott mit diesem Bruch in seiner Schöpfung umgeht, ohne dass es der Sünde des Menschen gelingt, das Gute Gottes aus der Mitte der Lebenswelt seiner Schöpfung zu entfernen.
Diese Frage zieht sich von diesem Anfang an durch alles hindurch, was die Bibel von der weiteren Geschichte Gottes mit den Menschen bezeugt. Eine Antwort gibt es nur dadurch, dass die schöpferische Macht Gottes als die seiner Gnade und Barmherzigkeit für die Sünder (Ex 34,6) die Leben zunichte machende Macht der Sünde überwinden kann. Dies ist schlechterdings ein Wunder, noch wunderbarer als das der Schöpfung.
Unter diesem Aspekt ist das in Gen 1–3 Berichtete zwar der entscheidende Anfang des ganzen weiteren Zeugnisses der Bibel – bis ins Zentrum des Neuen Testaments hinein: Gott ist Gott in seiner schöpferischen Allmacht. Aber als solcher Anfang ist dieser erste Abschnitt ein Vorbau für alles weitere Geschehen.
Wir werden sehen, dass zu diesem Vorbau auch noch die auf den «Sündenfall» Adams folgenden katastrophalen Geschehnisse immer neuer und immer weiter ausgreifender Sünde der ganzen Menschheit hinzugehören (Gen 4–11), bis Gott den Weg findet und geht, auf dem sich die schöpferische Kraft seiner Gnade und Barmherzigkeit immer neu gegen die zerstörende und vernichtende Kraft der Sünde durchzusetzen beginnt: nämlich in seiner Geschichte mit den Vätern Israels (Gen 12–50) und dann seiner generationenlangen so wechselvollen Geschichte mit seinem Volk Israel vom Rettungswunder des Exodus bis zum Ende der Geschichte Israels und Judas in der Deportation in die Gefangenschaft in Babylonien.
Dort wird dann ein ganz neuer Erweis der Gnade und Barmherzigkeit Gottes in der zukünftigen Endzeit geschehen, deren Vollendung im Wirken und Geschick Jesu beginnt, in der die Geschichte Gottes mit seiner Kirche aus Juden und Heiden universal wird und in der die Verwirklichung seiner Heilsgemeinde in der letzten, ewigen Zukunft ihr Ziel finden wird: in der totalen Überwindung der Sünde durch die neuschöpferische Rettungs- und Vollendungskraft der Gnade und Barmherzigkeit Gottes in Jesus Christus. In Gottes endzeitlichem Reich wird sich der Friede verwirklichen, den Gott im Ursprung seiner Schöpfung hervorrufen wollte – in einem Garten, in dem alles Leben und Zusammenleben gedeiht.
Bereits in der ersten Familie zerbricht die Gemeinschaft durch den Brudermord: Obwohl Kain wie auch Abel als Gabe Gottes von ihrer Mutter geboren werden (Gen 4,1f.), lässt Kain sich vom Neid (als einer Tochter der «Begierde» der Sünde, Vers 7) auf die vermeintliche Bevorzugung seines jüngeren Bruders durch Gott dazu erregen, diesen mitten in der Rede mit ihm (!) auf freiem Felde zu erschlagen (Vers 8).