Supervision - Gertrud Siller - E-Book

Supervision E-Book

Gertrud Siller

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Beschreibung

Das Buch bündelt grundlegendes Orientierungswissen zu Supervision. Zunächst werden Grundsätze der Supervision und ihre Anlässe wie Krisen, Konflikte oder Veränderungsprozesse im Berufsleben vorgestellt. Anschließend begründet das Buch Supervision als professionalisiertes Praxishandeln und fasst sie als Querschnittaufgabe. Es beschreibt die Grundformen der Supervision, also Einzel-, Gruppen- und Teamsupervision. Grundsätze, Anlässe, Handlungsstrukturen und Grundformen werden so erklärt, dass das Buch in Studium sowie Fort- und Weiterbildung eingesetzt werden kann. Es eignet sich zudem als Grundlagenliteratur für Studium und Praxis der Sozialen Arbeit und Pädagogik, für Handlungsfelder der Pflege- und Gesundheitsberufe, der Psychologie, der Beratung sowie des Profit-Bereichs.

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Die Autorin

Foto: Susi Freitag

Prof. Dr. Gertrud Siller promovierte an der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bielefeld und wurde an der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Göttingen habilitiert. Seit 2010 ist sie Professorin für Bildung und Beratung in sozialen Arbeitsfeldern an der Fachhochschule Bielefeld. In der Lehre und Forschung liegen ihre Schwerpunkte in den Themenfeldern Bildung und Beratung und deren Schnittstellen zur Sozialen Arbeit. Zugleich ist sie langjährig tätig als Supervisorin (DGSv) und Lehrsupervisorin.

Gertrud Siller

Supervision

Eine grundlegende Einführung

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-037266-5

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-037267-2

epub:        ISBN 978-3-17-037268-9

Inhalt

 

 

1   Zur Einführung

2   Der »supervisorische Blick«, sein Gegenstand und seine methodologischen Grundlagen

2.1   Mehrperspektivität

2.2   Dialogische Grundhaltung

2.3   Rekonstruktiver Gegenstandsbezug

3   Historische und aktuelle Entwicklungslinien der Supervision und ihrer Anwendungsfelder

3.1   Supervision als kritisches Emanzipations- und Aufklärungsinstrument

3.2   Differenzierung, Konsolidierung und Professionalisierung der Supervision

3.3   Transformationsprozesse der Arbeitswelt als Herausforderungen für Supervision

4   Kennzeichen der Professionalität supervisorischen Handelns

4.1   Professionstheoretische Grundlagen

4.1.1   Zur Handlungsstruktur professionalisierter Praxis

4.1.2   Zur Handlungsstruktur professionalisierter Supervision

4.2   Grundlegende Verfahrensweisen der Supervision

4.2.1   Aufgaben- und Prozessorientierung

4.2.2   Triadisches Vorgehen

4.2.3   Parteilichkeit und Allparteilichkeit in der Supervisionsbeziehung

5   Grundformen der Supervision

5.1   Teamsupervision

5.1.1   Fallsupervision

5.1.2   Teamentwicklung

5.2   Gruppensupervision

5.3   Einzelsupervision

6   Prozessstruktur der Supervision

6.1   Die Akquise

6.2   Die Kontraktphase

6.3   Der Supervisionsprozess

6.4   Der Abschluss der Supervision: Evaluation, weitere Orientierung und Abschied

7   Fallbeispiel einer Teamsupervision

Literatur

1          Zur Einführung

 

 

Was ist Supervision? Was ist ihr Gegenstand und was ihre spezifische Aufgabe? Wie geht sie vor? Diese Fragen werden in der Literatur zur Supervision vielfältig und unterschiedlich beantwortet. In dieser Einführung werden zentrale Basiselemente der Supervision vorgestellt, die ihre Professionalität markieren und die in ihre Handlungsansätze durchgängig Eingang gefunden haben. Damit wird der Versuch unternommen, ihre spezifische Eigenlogik sichtbar zu machen, die sie als professionalisiertes Beratungsformat begründet.

Ziel des vorliegenden Buches ist es explizit nicht, einen möglichst umfänglichen Überblick über vorliegende Definitionen, Handlungsansätze, Methoden und Techniken der Supervision zu geben. Diese Überblicke liegen in breiter Form und mit unterschiedlichen Akzentsetzungen vor (vgl. z. B. Buer 2004; Schibli/Supersaxo 2009; Neumann-Wirsig 2015; Belardi 2020).

Im Mittelpunkt stehen hier zunächst erkenntnistheoretische Grundlagen zur Art und Weise des Erkennens und des Verfahrens in der supervisorischen Praxis (Kap. 2). Supervision schließt immer an die konkrete Praxissituation derjenigen an, die sie in Anspruch nehmen. Sie verwendet dazu eine mehrperspektivische Reflexionsstruktur (Kap. 2.1), arbeitet mit einer dialogischen Grundhaltung (Kap. 2.2), und ihr Verhältnis zu ihrem Gegenstand ist rekonstruktiv (Kap. 2.3).

Thema des dritten Kapitels (Kap. 3) ist die Entstehungsgeschichte dieses spezifischen Beratungsformats Supervision, die Ausweitung ihrer Anwendungsfelder und – damit verbunden – die Erweiterung ihres Wissens und der Reichweite ihrer Konzepte. Diese Entwicklung wird – in pointierter Form – im Kontext gesellschaftspolitischer und arbeitsweltlicher Strukturen dargestellt. Ein Schwerpunkt liegt darauf, aktuelle Transformationsprozesse in der Arbeitswelt zu skizzieren, die das Beratungsformat Supervision herausfordern und die Notwendigkeit der Ausbildung einer professionalisierten supervisorischen Praxis unterstreichen (Kap. 3.3).

Daran anschließend stellt das vierte Kapitel (Kap. 4) deshalb zentrale Aspekte einer professionalisierten Handlungslogik in den Mittelpunkt. Während im Alltagsverständnis von Professionalität oder ›professionell‹ eher die Qualität eines Handelns (meist von Expert*innen im Sinne von Profi) gemeint ist, steht im wissenschaftlichen Kontext und so auch im vorliegenden Buch die Struktur dieses Handelns, seine Art und Weise des Vorgehens im Mittelpunkt. Zunächst werden dazu professionstheoretische Grundlagen beschrieben, die Kennzeichen einer professionellen Handlungslogik der Supervision beleuchten (Kap. 4.1). Darauf folgt die Darstellung grundlegender Verfahrensweisen, an denen eine professionalisierte Praxis der Supervision konkret festzumachen ist (Kap. 4.2): ihre Aufgaben- und Prozessorientierung, ihr triadisches Vorgehen sowie ihre Parteilichkeit und Allparteilichkeit. Diese Grundlagen kennzeichnen das Vorgehen und das Handwerkszeug von Supervision als professionalisiertes Beratungsformat. In der beispielhaften Darstellung konkreter Handlungsansätze und Methoden kommt die psychoanalytisch-gruppendynamisch fundierte Ausbildungssozialisation der Autorin als Supervisorin zum Ausdruck (z. B. szenisches Verstehen, Arbeit mit Spiegelungsphänomen). Interessierte an einer Supervisionsausbildung sollten sich im Vorfeld damit auseinanderzusetzen, welchen der vielfältigen Handlungsansätze im Beratungsformat Supervision sie für sich als stimmig und passend erachten und auch auf dieser Basis die Entscheidung für ein Ausbildungsinstitut oder Studium der Supervision treffen (neben dem psychoanalytisch-gruppendynamischen Ansatz z. B.: systemischer Ansatz, Psychodramaansatz, Gestalt-Ansatz; Kap. 3.2).

Das fünfte und sechste Kapitel beschreiben klassische Grundformen (Settings) der Supervision (Kap. 5) und ihre Prozessstruktur (Kap. 6), deren konkrete Gestaltung am Ende mit einem Fallbeispiel exemplarisch erlebbar gemacht wird ( Kap. 6.5).

Dieses einführende Lehrbuch richtet sich zum einen an Studierende und an Auszubildende der Supervision. Ihnen möchte es eine grundlegende erste Orientierung über das Beratungsformat Supervision geben. Dazu sind in einem ersten Schritt vor allem die Kapitel zwei, drei, fünf und sechs hilfreich. Zum anderen richtet es sich – insbesondere mit seinen Ausführungen zu methodologischen Grundlagen (Kap. 2) und zur professionalisierten Handlungslogik von Supervision (Kap. 4) – auch an Lehrende und Ausbilder*innen, die im Rahmen dieser Studiengänge und Ausbildungen tätig sind, sowie an Wissenschaftler*innen in der Supervisions- und Beratungsforschung.

2          Der »supervisorische Blick«, sein Gegenstand und seine methodologischen Grundlagen

 

 

Supervision ist eine Beratungsform für Einzelne und Gruppen im Organisationskontext, die arbeitsweltbezogene Zusammenhänge thematisiert. In diesem Rahmen können Anlässe für Supervision vielfältig sein. Sie nimmt Menschen in ihren vielschichtigen Arbeits- und Rollenbeziehungen in den Blick, reflektiert mit ihnen fachliche Herausforderungen, Probleme und Krisen ihres Arbeitslebens und gestaltet Interaktions-, Beziehungs- und Handlungsprozesse.

Als Disziplinen übergreifendes Beratungsformat1 ist Supervision in Deutschland weitgehend frei organisiert und damit unabhängig von den Organisationen, innerhalb derer sie in Auftrag gegeben wird. Entsprechend sind Supervisor*innen häufig (teil-)selbstständig und in heterogenen Herkunftsberufen verankert (z. B. Pädagog*innen, Soziolog*innen, Psycholog*innen, Theolog*innen). Vor diesem Hintergrund können sie vom Grundsatz her überparteilich und ergebnisoffen arbeiten. Eine entsprechende Ausbildung findet im Rahmen eigenständiger Ausbildungsinstitute oder in Masterstudiengängen an Hochschulen statt, deren Akkreditierung durch den Berufsverband der Deutschen Gesellschaft für Supervision und Coaching (DGSv) inzwischen Standard ist.

Supervision grenzt sich ab von Verfahren

•  der Mediation, die sich auf die Gestaltung und Lösung von Konflikten im Rahmen eines strukturierten, außergerichtlichen Vermittlungsprozesses mit Hilfe einer*eines unabhängigen Mediator*in richtet,

•  von Organisationsberatung, in der Strukturen und Abläufe der Organisation als Ganze im Mittelpunkt steht,

•  von Psychotherapie, bei der die psychologische Behandlung persönlicher Probleme und Krisen des Subjekts im Mittelpunkt stehen,

•  von Moderation, die ein zuvor definiertes konzeptionelles Ergebnis durch zielführende Methodik erarbeitet und

•  von Training, das auf den Erwerb einer beruflichen (Weiter-)Qualifizierung abzielt, die angeleitet und bewertet wird.

Zwischen Coaching und Supervision lassen sich inzwischen viele Annäherungen beobachten (Kap. 3.2). Wichtig bleibt jedoch die Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Ursprünge und Zielausrichtungen: Der Ursprung von Supervision im angloamerikanischen Raum ist konzeptionell eng mit der Professionalisierung Sozialer Arbeit und gesellschaftlichen Grundwerten der Gemeinwohlorientierung, Emanzipation sowie deren kritischer Reflexion verbunden (Kap. 3). Der Begriff Coaching wurzelt – ebenfalls im angloamerikanischen Raum – sowohl in der Arbeit eines »Privatlehrer(s) bzw. Repetitor(s) an Universitäten«, die Studierende auf Prüfungen oder Examen vorbereiten (Steinke/Steinke 2021, 183), als auch im Sport, wo es für eine Befähigung zur Leistung und für ein gezieltes Training zum Erfolg steht (ebd., 184f.). Mit diesen unterschiedlichen Wurzeln sind unterschiedliche berufsethisch fundierte Handlungslogiken der beiden Beratungsformate verbunden: Coaching steht für »das Primat der eher linearen produkt-, ziel- und ergebnisorientierten Arbeit«, Supervision für »das Primat komplexer professioneller Beziehungsarbeit und -reflexion« (Busse 2021a, 174). Es ist eine offene Frage, ob und wie sich die beiden Beratungsformate zukünftig ins Verhältnis setzen lassen und ob sich der Vorschlag weiterentwickeln lässt, dass beide Beratungsformate neben anderen als unterschiedliche Beratungstypen Teil einer Beratungsprofession im Themenfeld berufsbezogener Beratung werden (vgl. Rappe-Giesecke 2021).

Ziel von Supervision ist es, in einem geschützten Raum einen Prozess sorgfältig prüfenden und forschenden Nachdenkens, Nachspürens, Abwägens und Handelns von Einzelnen, Gruppen, Teams in Organisationen zu ermöglichen und zu begleiten, so dass Arbeitsprozesse mit erweiterten Erkenntnisperspektiven zu gestalten sind. So unterstützt und fördert sie eine reflexive Interaktions-, Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit. Mit diesem Ziel und ihrem prozessorientierten Verfahren ist sie prinzipiell in allen Arbeits- und Berufsfeldern2 einsetzbar, in denen Reflexionsbedarf besteht. Das ist vor allem in Feldern der Fall, deren Tätigkeit sich im Kern auf den Menschen bezieht, also Arbeit am und mit Menschen ist. Historisch gewachsen und bis heute schwerpunktmäßig nachgefragt ist Supervision in Handlungsfeldern des Sozialwesens, in denen ein unmittelbarer Bezug zu Menschen in prekären Lebenssituationen und damit einhergehende soziale Beziehungsgestaltungsprozesse den Kern des Arbeits- und Berufshandelns bilden (Kap. 3). Heute wird sie weitreichend in Anspruch genommen in der Sozialen Arbeit, im Gesundheitswesen, in Organisationen der Bildung und Wissenschaft, der Beratung, der Kirchen, der Telefonseelsorge, der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und in Betrieben.

Ein Reflexionsbedarf besteht insbesondere in allen Arbeitsfeldern, in denen Handeln von Expert*innen auf der praktischen Anwendungsebene nicht standardisierbar ist und damit einen professionellen Habitus benötigt. Ein solcher Habitus meint eine verinnerlichte Haltung, die Wahrnehmungs-, Handlungs- und Beurteilungsweisen ausbildet, mit denen auch in unklaren, zukunftsoffenen Situationen Entscheidungen getroffen werden können.3 Anders als im alltagsweltlichen Verständnis von professionell, mit dem eine besondere Kompetenz und Qualität des Handelns eines ›Profis‹ im Vergleich zum Laien zum Ausdruck gebracht wird, richten sich wissenschaftliche Zugänge zu diesem Begriff auf die Art und Weise dieses Handelns:

»Es geht dabei darum, was professionelles und nicht-professionelles Handeln – das gleichermaßen gut oder schlecht sein kann – im Kern unterscheidet und wann berufliches Handeln als professionelles Handeln zu bestimmen ist« (Helsper 2021, 13).

Professionelles bzw. professionalisiertes Handeln4 lässt sich in seiner wissenschaftlichen Bestimmung verstehen als habitualisiertes Handeln, das der Bewältigung von Problemen oder Krisen in der Lebenspraxis von Menschen dient, die im konkreten Fall immer einzigartig sind (Oevermann 2002, 25; Helsper 2021, 21f.; Kap. 4). Das betrifft gesellschaftliche Tätigkeitsfelder, die sich auf gemeinwohlorientierte Werte beziehen. Sie sichern und ermöglichen Gesundheit, psychische und soziale Unversehrtheit sowie Recht und Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Zusammenleben und helfen damit Autonomie und Würde der Lebenspraxis von Menschen zu erhalten bzw. wiederherzustellen. Dies sind z. B. Sozialarbeiter*innen, Ärzt*innen, Pflegekräfte, Psycholog*innen, (Psycho-)Therapeut*innen, Pädagog*innen, Seelsorger*innen, Jurist*innen und Polizist*innen. Diese Tätigkeitsfelder sind reflexionsbedürftig, weil sie ihr angeeignetes Wissen nicht abstrakt nach einem bestimmten Standardmodell routiniert durch formal-logische Rationalität ableiten können. Sie müssen dieses Wissen mit der jeweiligen Eigenlogik und Struktur des konkreten Falls ins Verhältnis setzen und sind dabei ethischen Prinzipien verpflichtet.5 Das Handeln in diesen Tätigkeitsfeldern ist überdies nur durch aktive Mitwirkung derjenigen möglich, die sie in Anspruch nehmen.

Gegenstand von Supervision ist primär die Begleitung und Unterstützung der Arbeit in solchen reflexionsbedürftigen Handlungsfeldern mit den vielfältigen Herausforderungen und Spannungsfeldern, die damit verbunden sind (Kap. 3; Kap. 4). Ihr Ziel ist, dass diese professionelle Arbeit gelingt. Supervision selbst kann deshalb ebenfalls zu den Tätigkeitsfeldern gezählt werden, in denen ein professionalisierter Habitus notwendig ist, weil sie bezogen auf jeweils spezifische, nicht standardisierbare Einzelfälle darauf hinwirkt, Handeln von Professionellen zu verbessern bzw. sie zu unterstützen, durch systematische Reflexion Fehler zu vermeiden und ihre Potentiale und Ressourcen zu nutzen.6 Ihre wissenschaftlichen und ethischen Leitlinien und ihre Handlungsstruktur orientieren sich an den Zielen der Aufrechterhaltung von Autonomie bzw. Selbstbestimmung, Würde und Authentizität der Handlungspraxis derjenigen, die sie in Anspruch nehmen. Damit sichert Supervision das Gemeinwohl. Berufsverbandlich ist dies in den berufsethischen Standards der Gemeinwohlorientierung festgehalten (vgl. DGSv 2003).

Das Beratungsformat der Supervision hat für diese Aufgabe spezifische methodologische Fundamente und Vorgehensweisen.

Methodologie der Supervision

Die Methodologie – ein Begriff aus der Wissenschaftstheorie – umfasst erkenntnistheoretische Kriterien bzw. Fundamente für eine Methodenwahl, sie begründet eine bestimmte Vorgehensweise, einen Stil, der zur Anwendung kommen soll. In der Methodologie der Supervision sind ihre Handlungsansätze und Methoden begründet, die das konkrete Handwerkszeug von Supervisor*innen bilden zur Analyse, Reflektion, Begleitung und Mit-Gestaltung von Praxishandeln. Ihre Methodologie und Methoden haben sich im Verlauf der Entwicklung von Supervision durch praktische Erfahrungen und wissenschaftliche Arbeiten herausgebildet und sind in der sozialen Praxis verankert, also praxeologisch fundiert. Sie richten sich aus am Gegenstand der Supervision. Bezogen auf die Supervisionspraxis und -ausbildung bedeutet das in der Konsequenz auch: Die Aneignung von Handlungsansätzen und Methoden vollzieht sich nicht primär auf dem Weg der theoretischen Vermittlung methodischer Prinzipien und Techniken, sondern vielmehr zugleich auch über die Supervisionspraxis, aus einem handlungspraktischen Erfahrungswissen, das an ein konkretes Erleben, Üben und an eine berufliche Sozialisation gebunden ist und darüber zur Entwicklung eines professionalisierten supervisorischen Habitus führt (vgl. Grawe/Aguado 2021).

Methodologische Grundlagen der Supervision, die die Art und Weise supervisorischen Erkennens und Vorgehens in spezifischer Form konstituieren und auf die im Folgenden näher eingegangen wird, sind:

•  ihre Mehrperspektivität,

•  ihre dialogische Grundhaltung und

•  ihr rekonstruktives Verhältnis zu ihrem Gegenstand.

2.1       Mehrperspektivität

Der Blick der Supervisor*innen auf zu bearbeitende Themen und Fälle in der Supervision erfolgt durch mehrere ›Brillen‹, die ihre Mehrperspektivität begründen. Diese Mehrperspektivität ist konstitutiv für Supervision. Sie richtet sich auf die kontraktierte Thematik (zum Kontrakt Kap. 4.2.2 und Kap. 6.2) und besteht darin, neben individuellen auch interaktive und organisationsdynamische Faktoren zu reflektieren. Zu verknüpfen sind:

•  das individuelle, (berufs-)biografisch fundierte Handeln der Einzelnen in ihren jeweiligen Aufgabenfeldern,

•  die Interaktionsprozesse mit Klient*innen, in und zwischen Teams, Gruppen und ihren Leitungen in ihren jeweiligen Rollen- und Hierarchiebezügen,

•  die organisationsstrukturellen Dynamiken in der Arbeitswelt, in denen dieses Handeln stattfindet sowie ihre Anforderungen und Ziele.

•  Eingerahmt werden die drei vorangegangenen Perspektiven von gesellschaftlichen und kulturellen Einflussfaktoren auf die jeweiligen Organisationen und Arbeitsfelder, in denen die Supervision stattfindet. In den letzten Jahren werden sie z. B. erfahrbar in veränderten Arbeitsbedingungen durch Digitalisierungs- und fortlaufende Ökonomisierungsprozesse in sozialen Organisationen. Diese gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen werfen in den betroffenen Arbeits- und Berufsfeldern auch ethische Fragen auf, die in der Supervision relevant werden können (z. B. zum Verständnis von Qualität in sozialen und gesundheitsbezogenen Berufsfeldern zwischen Klient*innenbezug und Effizienz).

Die Verknüpfung dieser Perspektiven eröffnet den Blick auf das Zusammenspiel der handelnden Personen in ihren jeweiligen interaktiven, organisatorischen und gesellschaftlich relevanten Strukturen, auf damit verbundenen Ressourcen und Spannungsfelder. Professionelles Handeln in dieser komplexen Form zu rekonstruieren und zu unterstützen, bedeutet, sich in der Supervision mit diesen jeweils spezifischen Ressourcen und Spannungsfeldern auseinanderzusetzen (Siller 2008, 277ff.; Kap. 4).

Die das Supervisionsformat kennzeichnende Struktur der Mehrperspektivität zielt darauf ab, es Supervisand*innen zu ermöglichen, ihre arbeitsweltbezogenen Themen im geschützten Rahmen des Supervisionsprozesses zur Darstellung zu bringen und in der Komplexität ihrer Zusammenhänge zu beleuchten. In diesem Prozess können sich allmählich neue Erkenntnisse und Handlungsspielräume herausbilden und erprobt werden.

Supervision ist damit mehr als eine Technik zur Lösung arbeitsweltlicher Probleme im strategisch zu kalkulierenden Sinn. Im Kern initiiert sie – wenn sie gelingt – über die konkrete Problembearbeitung hinaus einen Bildungsprozess im Sinne einer Erweiterung der Selbst- und Welterkenntnisse. In Supervisionsprozessen werden schrittweise Wahrnehmungen und Handlungsvollzüge im Arbeitsleben hinterfragbar, Einschätzungen und Entscheidungen neu justierbar. Jaspers beschreibt einen solchen (Selbst-)Bildungsprozess in Abgrenzung zum rein zweckorientierten Lösungsprozess als Transformationsprozess:

»Wissen als solches ist nicht Bildung. Bloße Kenntnisse sind Mittel zu einem Zweck, man kann sie anwenden, aber sie bleiben dem Menschen ein äußeres Gut. Bildendes Wissen jedoch verändert den Menschen, wird zu seinem Wesen. (…) Anwendbare Kenntnisse erlauben eine Berechenbarkeit durch genaue Angabe ihrer Wirksamkeit; bildendes Wissen ist wirksam, aber ohne Berechenbarkeit« (Jaspers 1992, 112f.).

Zentral für ein transformatives Lern- und Bildungsverständnis ist in einem mehrperspektivischen Supervisionsprozess weniger eine Aneignung von Wissen als vielmehr eine gesteigerte Reflexionsfähigkeit in Bezug auf individuelle Wahrnehmungsmuster und Bedeutungsgebungen. Sie sind von (berufs-)biografischen Erfahrungen und von der sozialen Praxis in den Organisationsstrukturen der Arbeitswelt geprägt, orientierungsleitend und identitätsstiftend. Impulse zu ihrer Veränderung entstehen durch veränderte Rahmenbedingungen, neue Anforderungen und durch die Erfahrung, dass bisherige Orientierungen irritiert und Handlungsroutinen instabil werden – Prozesse, die in gegenwärtigen Organisationsentwicklungsprozessen an der Tagesordnung sind (Kap. 3.3). Der geschützte Rahmen der Supervision kann auf dieser Grundlage ein problembezogenes, forschendes Lernen ermöglichen. Dieser Rahmen bildet einen Erfahrungs- und Resonanzraum zur Weiterentwicklung und konkreten Gestaltung von Handlungsorientierungen und -fähigkeiten im Rahmen einer sich ständig verändernden Arbeits- und Berufspraxis, mit der reflexives Handeln immer wieder neu ins Verhältnis zu setzen ist. Konkret gestaltet sich ein solcher Lern- und Bildungsprozess dabei in der Auseinandersetzung mit gemeinsamen Aufgaben, Fragen und Problemen in den jeweiligen Arbeitsfeldern. Erkennen und Verändern greifen in diesem Gestaltungsprozess phasenhaft ineinander.7

Ein solcher supervisorischer Bildungsprozess braucht allerdings Zeit und Raum. Er umfasst den Aufbau einer Gesprächs-, Verhandlungs- und Konfliktkultur und ist Spannungsfeldern und Begrenzungen ausgesetzt, die Arbeit und Beruf strukturell bestimmen (Gotthardt-Lorenz 1999, 60). Arbeit ist zum einen Ausdruck menschlichen Gestaltungswillens, sie diszipliniert aber zum anderen auch durch sich wandelnde Aufgaben- und Leistungsanforderungen und sichert gleichzeitig die Existenz. Diese Spannungsfelder markieren die existentielle Situation der Supervisand*innen, sind somit auch Grundlage und Bestandteil der Supervision als Ermöglichungsraum und betreffen sie selbst und ihre Entwicklung (Kap. 3).

2.2       Dialogische Grundhaltung

In der supervisorischen Arbeit geht Mehrperspektivität mit einer dialogischen Haltung von Supervisor*innen gegenüber allen Beteiligten einher. Diese Grundhaltung setzt den Aufbau und die Weiterentwicklung von Vertrauensbeziehungen im Supervisionsprozess voraus und manifestiert sich, wenn Supervision im Einvernehmen der Beteiligten als gemeinsames Arbeitsbündnis gestaltet wird (Kap. 4.1.1).

Begriff Dialog

Der Begriff Dialog setzt sich im ursprünglichen griechischen Wort »dialogos« zusammen aus »dia« (»durch«) und »logos« (»Wort, Wortbedeutung, Wortsinn«) (Bohm 2019, 32) und meint das Erschließen von Sinn bzw. Bedeutung. »Die Vorstellung oder das Bild, das diese Ableitung nahelegt, ist das eines freien Sinnflusses, der unter uns, durch uns hindurch und zwischen uns fließt. Das macht einen Sinnstrom innerhalb der ganzen Gruppe möglich, aus dem vielleicht ein neues Verständnis entspringen kann. Diese Einsicht ist etwas Neues, das zu Beginn möglicherweise gar nicht vorhanden war. Sie ist etwas Kreatives. Und dieser untereinander geteilte Sinn ist der ›Leim‹ oder ›Zement‹, der Menschen und Gesellschaften zusammenhält« (Bohm 2019, 33).

Zentral für den Dialog ist eine Haltung der Offenheit und der achtsamen Wahrnehmung, ohne dass damit eine Bewertung verbunden wird. Diese Haltung in der Supervision mit Einzelnen und mit Gruppen ist darauf gerichtet, zu beobachten und mitzuteilen, was in der Gruppe und mit Einzelnen passiert, wenn Supervisionsanliegen vorgestellt und individuelle Wahrnehmungen, Gefühle und Überzeugungen dazu geäußert werden. Diese Haltung ermöglicht es, auch die eigenen Sichtweisen in der Rolle des*der Supervisor*in auf die Prozesse, die das Handeln und Interaktionsprozesse bestimmen, wertfrei zur Kenntnis zu nehmen, zu ergründen und zu reflektieren. Ziel ist es, damit Wege für neue Erkenntnisse und erweitertes Denken für alle Beteiligten zu suchen bzw. zu eröffnen. Insofern ist der Dialog als Transformationsprozess der eigenen Veränderung zu verstehen.

Es geht im Dialog nicht darum, sich durchzusetzen, wie es eher in einer Diskussion oder in einem Disput der Fall ist, wenn er allein darauf abzielt, »zu gewinnen oder Punkte für sich zu sammeln. Vielleicht greift man die Meinung eines anderen auf, um die eigene zu untermauern – man mag mit einigen Ansichten übereinstimmen und andere ablehnen –, aber der Kernpunkt ist das Gewinnen des Spiels« (Bohm 2019, 33). Es geht auch nicht darum, zu belehren oder zu instruieren. Belehrung und Instruktion setzen inhaltliche Lernziele und Orientierung nach Maßstab der Lehrenden voraus. Supervision als dialogischer Prozess dagegen setzt Ergebnisoffenheit voraus und belässt die Supervisand*innen als Entscheidungsträger.8