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Wie groß darf ein Team für eine Supervision sein? Die gängige Fachliteratur blendet diese Frage weitgehend aus. Klaus Antons geht ihr gemeinsam mit fünf Kolleginnen aus der Praxis in diesem Buch nach. Systematisch wird untersucht, was aus der Theorie für Großgruppen brauchbar ist für die supervisorische Praxis. Dabei werden psychoanalytische Konzepte ebenso herangezogen wie die sozialpsychologische Feldtheorie. Als noch sinnvoll erweist sich eine "große Kleingruppe" mit zehn bis zwanzig Personen. Das Buch zeigt auf, was die supervisorische Arbeit mit einem sozialen System dieser Größe spannend und ergiebig macht. Neben 30 praxiserprobten Übungen liefert es viele methodische und technische Anregungen, wie man sinn- und fantasievoll mit großen Kleingruppen und Teams arbeiten kann. Auch die Auswirkungen der Pandemie auf Supervision wird untersucht.
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Seitenzahl: 212
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Die Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«
Die Bücher der petrolfarbenen Reihe Beratung, Coaching, Supervision haben etwas gemeinsam: Sie beschreiben das weite Feld des »Counselling«. Sie fokussieren zwar unterschiedliche Kontexte – lebensweltliche wie arbeitsweltliche –, deren Trennung uns aber z. B. bei dem Begriff »Work-Life-Balance« schon irritieren muss. Es gibt gemeinsame Haltungen, Prinzipien und Grundlagen, Theorien und Modelle, ähnliche Interventionen und Methoden – und eben unterschiedliche Kontexte, Aufträge und Ziele. Der Sinn dieser Reihe besteht darin, innovative bis irritierende Schriften zu veröffentlichen: neue oder vertiefende Modelle von – teils internationalen – erfahrenen Autoren, aber auch von Erstautoren.
In den Kontexten von Beratung, Coaching und auch Supervision hat sich der systemische Ansatz inzwischen durchgesetzt. Drei Viertel der Weiterbildungen haben eine systemische Orientierung. Zum Dogma darf der Ansatz nicht werden. Die Reihe verfolgt deshalb eine systemisch-integrative Profilierung von Beratung, Coaching und Supervision: Humanistische Grundhaltungen (z. B. eine klare Werte-, Gefühls- und Beziehungsorientierung), analytisch-tiefenpsychologisches Verstehen (das z. B. der Bedeutung unserer Kindheit sowie der Bewusstheit von Übertragungen und Gegenübertragungen im Hier und Jetzt Rechnung trägt) wie auch die »dritte Welle« des verhaltenstherapeutischen Konzeptes (mit Stichworten wie Achtsamkeit, Akzeptanz, Metakognition und Schemata) sollen in den systemischen Ansatz integriert werden.
Wenn Counselling in der Gesellschaft etabliert werden soll, bedarf es dreierlei: der Emanzipierung von Therapie(-Schulen), der Beschreibung von konkreten Kompetenzen der Profession und der Erarbeitung von Qualitätsstandards. Psychosoziale Beratung muss in das Gesundheits- und Bildungssystem integriert werden. Vom Arbeitgeber finanziertes Coaching muss ebenso wie Team- und Fallsupervisionen zum Arbeitnehmerrecht werden (wie Urlaub und Krankengeld). Das ist die Vision – und die politische Seite dieser Reihe.
Wie Counselling die Zufriedenheit vergrößern kann, das steht in diesen Büchern; das heißt, die Bücher werden praxistauglich und praxisrelevant sein. Im Sinne der systemischen Grundhaltung des Nicht-Wissens bzw. des Nicht-Besserwissens sind sie nur zum Teil »Beratungsratgeber«. Sie sind hilfreich für die Selbstreflexion, und sie helfen Beratern, Coachs und Supervisoren dabei, hilfreich zu sein. Und nicht zuletzt laden sie alle Counsellors zum Dialog und zum Experimentieren ein.
Dr. Dirk Rohr
Herausgeber der Reihe »Beratung, Coaching, Supervision«
Klaus Antons
Unter Mitarbeit vonAlmut Aeppli, Patricia Kramer,Sabine Kvapil, Dagmar Lampartund Margot Ruprecht
2022
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)
Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)
Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)
Dr. Barbara Heitger (Wien)
Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)
Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)
Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)
Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)
Dr. Roswita Königswieser (Wien)
Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)
Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)
Tom Levold (Köln)
Dr. Kurt Ludewig (Münster)
Dr. Burkhard Peter (München)
Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)
Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)
Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)
Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)
Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)
Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)
Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)
Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)
Jakob R. Schneider (München)
Prof. Dr. Jochen Schweitzer (Heidelberg)
Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)
Dr. Therese Steiner (Embrach)
Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin † (Heidelberg)
Karsten Trebesch (Berlin)
Bernhard Trenkle (Rottweil)
Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)
Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)
Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)
Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)
Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)
Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)
Themenreihe »Beratung, Coaching, Supervision«
hrsg. von Dirk Rohr
Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich
Umschlagmotiv: © Curioso_Photography/pixabay
Redaktion: Uli Wetz
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Erste Auflage, 2022
ISBN 978-3-8497-0446-9 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8398-3 (ePUB)
© 2022 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
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Carl-Auer Verlag GmbH
Vangerowstraße 14 · 69115 Heidelberg
Tel. +49 6221 6438-0 · Fax +49 6221 6438-22
Einleitung
»Da sagt man doch nicht Nein!« – Eine reale Situation, die zu diesem Buch führte
Aussagen zur Größe von Supervisionsgruppen in der Literatur
Adressaten und Ziele
Zum Aufbau des Buches
Dank
1Psychoanalytische Großgruppentheorien
1.1Le Bon und Freud
1.2Die Tavistock-Schule und ihre Definitionsversuche
1.3Gute Kleingruppe, böse Großgruppe: die kleinianische Tendenz zur Spaltung
1.4Bedrohung der Identität und projektive Identifikation
1.5Divergierende Ziele der Arbeit mit Großgruppen: Selbsterfahrung versus Agogik
1.6Revision des alten Paradigmas aus dem Verstehen seines Kontextes
1.7Überbetonung der Leiterrolle und mangelnde Entwicklungsmöglichkeiten
1.8Das alternative Modell von Island
1.9Fazit
2Feldtheoretisch fundierte Großgruppentheorien
2.1Das Feuer großer Gruppen und die Struktur
2.2Soziotechnik, Demokratisierung, Partizipation und Organisationsentwicklung
2.3Die Fleißarbeit von Holman und Devane
2.4Die Zusammenstellung von Ruth Seliger
2.5Fallvignette »Segeltörn«
2.6Arbeit mit großen Supervisionsgruppen nach Themenzentrierter Interaktion (TZI)
2.7Zwei Grundmodelle: Repräsentanz und Aufteilung
2.8Fazit
3Zur supervisorischen Arbeit mit großen Gruppen und Teams
3.1Verortung von Beratung und Supervision als gesellschaftlich vermittelte Interventionen
3.2Definition von Supervision
3.3Eine supervisorische Vorgehensweise
3.4Gruppe und Team – die feinen Unterschiede
3.5Große Kleingruppen
3.6Die Bedeutung des Raumes
3.7Fazit
4Typische Gruppen und Teams im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen
4.1Privilegien eines Supervisors und die Innensicht einer Supervisandin
4.2Indikationsstellungen für Supervision: Fall oder Team?
4.3Teams und Gruppen aus der Praxis
4.4Ja, da muss man doch auch mal Nein sagen!
4.5Mit Resonanzräumen in großen Kleinteams arbeiten
4.6Einsichten einer Jungsupervisorin
4.7Fazit
5Methodik supervisorischer Arbeit mit großen Kleingruppen
5.1Jede Supervisionsgruppe beginnt einmal
5.1.1Schiffe auf See
5.1.2Visitenkarte der anderen Art
5.1.3Lawine und Kugellager
5.1.4Soziometrische Tableaus
5.2Wenn ich als Supervisor neu in ein Team komme …
5.2.1Wir sind Gallier
5.3Repräsentanzmethoden: Arena oder Manege
5.3.1Zwiebelschale, Fishbowl oder Aquarium
5.3.2Beobachtungsaufgaben für den Außenkreis
5.3.3Rollenübernahme: Rollentausch und Rollenwechsel
5.3.4Experteninterview
5.4Aufteilungsmethoden: Auseinandergehen und wieder zusammenkommen
5.4.1Aufteilung der Gesamtgruppe mit der gleichen Aufgabe
5.4.2Aufteilung der Gesamtgruppe mit Arbeitsteilung und Rollenvorgaben
5.4.3Die Rollen tauschen
5.5Wenn es Kommunikationsprobleme gibt
5.5.1Wieder gesprächsfähig werden
5.5.2Erkennen, was los ist: Diagnostik
5.5.3Antidepressiva
5.6Jede Supervisionsgruppe endet einmal (ein Team seltener)
5.6.1Koffer und Mülleimer
5.6.2Vier-Säulen-Diagramm
5.6.3Analoge Auswertungen
5.6.4Abschiedsgeschenke
6Nach der Pandemie ist vor der Pandemie
6.1Wir werden lernen müssen, damit zu leben
6.2Erste Online-Erfahrungen
6.3Trotz Distanz Nähe herstellen
Verzeichnis der Abbildungen und Tabellen
Verzeichnis der Übungen
Literatur
Über die beitragenden Autorinnen
Über den Autor
Meinem Freund René Ullmann gewidmet.Ich habe viele Jahre der beruflichen Zusammenarbeitmit ihm genossen und hätte gerne nochviele Bergtouren mit ihm gemacht.Er starb in der Zeit, als ich dieses Buchzu Ende schrieb, am 30. März 2021.
»Wie groß soll eine Supervisionsgruppe sein, und welchen realen Einfluss habe ich als Supervisorin auf ihre Größe? Auf den ersten Blick scheinen diese Fragen schnell beantwortet: Gemäß der derzeitigen Fachliteratur sollte eine Supervisionsgruppe zwischen fünf und zehn Personen umfassen.
Stelle ich mir dieses Ideal vor, schwelge ich in Utopien. Diese Gruppengröße würde es mir erlauben, alle Supervisanden gleichsam im Blick zu haben; ich traue mir zu, die entstehenden Dynamiken dabei wahr- und anzunehmen und sie in den Supervisionsprozess nützlich zu integrieren. Aufseiten der Supervisanden ist anzunehmen, dass sie ihre Individualität beibehalten können und keine Angst vor Äußerungen und Exponierungen haben müssen, zumal sie sich untereinander rasch kennenlernen dürften. Ich bemühe mich, an diesem Bild festzuhalten, in meiner Erfahrungsrealiät finde ich jedoch leider kaum eine dementsprechende Gruppe.
Teams aus Institutionen mit Schichtbetrieb können schnell aus 15 oder mehr Personen bestehen. Sie sind dann natürlich nicht immer vollzählig anwesend. Gruppendynamisch hat dennoch jedes Teammitglied, ob präsent oder nicht, Einfluss auf die Gruppe. Auch der Einfluss der Fluktuation der Teilnehmenden sollte nicht außer Acht gelassen werden. Beispielsweise kann die Abwesenheit eines langjährigen Teammitglieds zur Verunsicherung bzw. zur Destabilisierung der Gruppe führen, da plötzlich Raum entsteht, bestehende Leitwerte und Regeln infrage gestellt werden. Eine Mehrheit von neueren Teammitgliedern kann zur Suche nach neuen gemeinsamen Verhaltensnormen führen. Grundsätzlich kann es in solchen Teams schnell dazu kommen, dass die maximale Gruppengröße von etwa zehn Personen überschritten wird. Was dann? Absagen? Einzelne wie in einem elitären Club abweisen? Woher bekomme ich auf die Schnelle einen zweiten Supervisor, der mich unterstützen könnte? Warum sollte überhaupt ein derartiger Auftrag angenommen werden?
Geht es dagegen um Gruppensupervision, kann eine maximale Teilnehmerzahl festgelegt und durchgesetzt werden. Sollte es Anfragen geben bezüglich einer neuen Teilnehmerin, können sie abgewiesen werden. Folgen dieses Vorgehens auf die bestehende Gruppe dürfen dabei natürlich nicht außer Acht gelassen werden.
Handelt es sich um ein Team, wird es komplexer. Im Sinne von ›Was zusammengehört, soll nicht getrennt werden‹ kann ich als Supervisorin schlecht eine Trennung einfordern. Möglich erscheint mir dies, wenn es hinsichtlich der Berufsgruppen oder ähnlicher harter Daten inhaltsbezogen sinnvoll erscheint. Nehmen wir an, es geht um ein rein pädagogisches Team mit 17 Mitarbeitenden. Wenn da alle Supervisoren absagen, scheint mir dem Berufsethos nicht Genüge getan zu sein. Der Supervisionsbedarf ist da.
Für mich führten solche Erfahrungen zum Fokuswechsel: weg von der Suche nach Begrenzung, hin zu methodischen Überlegungen. Die Arbeit mit Großgruppen ist keineswegs Neuland für Supervisoren und Organisationsberaterinnen. Bei über zehn bis etwa 20 Teilnehmenden ist hier aber wohl eher von einer großen Kleingruppe oder einer kleinen Großgruppe zu sprechen. Warum sollte man also nicht die Großgruppenmethoden auf diese großen Kleingruppen sinnvoll übertragen?« [P. K.]
Mit solchen Fragen kam meine ehemalige Lehrsupervisandin Patricia Kramer immer wieder in unsere Lehrsupervisionssitzungen und meinte irgendwann: »Darüber sollten Sie ein Buch schreiben!« Ich konterte: »Wenn dazu ein Buch, dann sollten wir das miteinander schreiben.« – Das war der Impuls, dessen Ergebnis Sie nun in Händen halten.
Die Grundfrage dieses Buches ist also: Wie groß darf eine Gruppe oder ein Team sein, damit sinnvolle supervisorische Arbeit möglich ist? Der Versuch, sich über Gruppengrößen für die Supervision an der Literatur zu orientieren, ist nicht sonderlich erfolgreich. Es werden zwar Zahlen genannt – aber fachlich nur mäßig plausibel begründet. So hält sich Lippmann (2004, S. 30) an die bekannten, tradierten oder auch kolportierten Größenangaben:
»Für Kleingruppen wird oft die Zahl zwischen drei und etwa zwölf angegeben, die kritische Obergrenze zumeist mit 20–25 Personen. In Organisationen können aber je nach Aufgabe und Zweck durchaus auch größere Gruppen sinnvoll sein … Das Arbeiten an der Aufgabe kann aber kaum mehr in gegenseitiger Verbundenheit erfolgen, wenn die Gruppe eine kritische Schwelle (ca. 20–25 Personen) überschreitet. Je nachdem bietet sich dann eine Trennung in Subgruppen an, was jedoch die Entwicklung eines Wir-Gefühls in der Gesamtgruppe erschweren kann.
Die ideale Größe von Problemlösegruppen liegt bei etwa fünf bis zehn Personen. Bei dieser Größe sind die Kommunikationsdichte und der Austausch in der Regel optimal.
Wahren (1994, S. 131) zitiert Untersuchungen, aus denen sich schließen lässt, dass bei steigender Gruppengröße (ab vier Personen) sich der Prozentsatz derjenigen Personen zunehmend erhöht, die Ideen haben, sie aber nicht äußern, ebenso derjenigen, die während einer Diskussion nie sprechen.«
Lippmann (2004, S. 51) bekräftigt das noch einmal dort, wo es um die Arbeitsfähigkeit von Intervisionsgruppen geht:
»Die Idealgröße für eine Intervisionsgruppe liegt zwischen fünf und acht Mitgliedern. Dies gewährleistet einerseits eine Vielfalt der Persönlichkeiten und der damit verbundenen Ideen und Erfahrungen, andererseits auch genügend Zeitanteil für Anliegen und aktive Beteiligung jedes Einzelnen.«
Reddy (2016, S. 2) definiert die Kleingruppe als »eine Gruppe von vier bis ungefähr zwölf Mitgliedern, die ein gemeinsames Ziel haben«.
»Es empfiehlt sich eine Gruppengröße von fünf bis zehn Teilnehmenden. Abweichungen nach oben oder unten sollten in ihren Auswirkungen besprochen werden«,
schreiben die Kollegen König und Schattenhofer (2017, S. 50).
Die Zwei-Pizza-Regel des Amazon-Gründers Jeff Bezos besagt, dass Arbeitsgruppen bzw. Teams nur so groß sein dürfen, dass sie mit zwei Pizzen satt werden. Je nach Hunger und Pizzagröße sind das vier bis sieben Personen (nach Krogerus u. Tschäppler 2021).
Das Allerneueste, ein ansonsten sehr umfassender Artikel von Nando Belardi über Teamsupervision im socialNet-Lexikon (verfügbar unter: www.socialnet.de/lexikon/teamsupervision [20.1.2022], macht sogar überhaupt keine Aussage zur Größe eines Teams.
Egal, wo man in der umfangreichen Supervisionsliteratur sucht: Fehlanzeige für fachlich, d. h. psycho- und soziodynamisch begründeteAussagen über die sinnvolle Größe einer Supervisionsgruppe oder eines Teams. Lediglich Edding und Schattenhofer (2015a, S. 26) merken an, dass ab einer gewissen Größe der Übergang von direkter zu indirekter Kommunikation eine bedeutende Rolle spielt. Die Ausgangsfrage für dieses Buch hier ist also: Welches sind diese großen Kleingruppen oder kleinen Großgruppen, die wir als Supervisoren und Supervisorinnen in der Praxis antreffen – und wie können wir ihnen gerecht werden? – Die von Patricia Kramer vorgeschlagene Nomenklatur, von »großen Kleingruppen« zu sprechen, sei gerne übernommen. Es klingt weniger pejorativ als die Umkehrung von »kleine Großgruppe«.
Neben dem Faktor Gruppengröße spielen Zeit, Raum und Struktur eine Rolle, denen im weiteren Verlauf der Ausführungen Beachtung geschenkt werden wird – wie auch den inhaltlichen Bestimmungsmerkmalen von Supervision.
Dieses Buch richtet sich in erster Linie an professionelle Supervisorinnen und Supervisoren, Coachs und Organisationsberaterinnen, denen es ähnlich geht wie Patricia Kramer und mir; vielleicht sogar speziell an jüngere Kolleginnen und Kollegen – aus dieser Alterskohorte kam schließlich der Impuls. Also Fachleute, die als auf dem Supervisionsmarkt Tätige nicht selten die oben umrissenen Anfragen erhalten – und, um mit Brechts Polly Peachum in ihrer letzten Strophe zu sprechen: »[…] da kann man doch nicht einfach Nein sagen« und »[…] ja, da kann man doch nicht kalt und herzlos sein«. Außerdem geht es um Aufträge, mit denen der Supervisor sein Geld verdient. Berechtigte und plausible Supervisionsanfragen abzulehnen, weil die Systemgröße zu hoch ist, ergibt keinen Sinn – eher zu fragen: Wie lässt sich Supervision unter professionellen Standards ermöglichen? Dazu gehört auch, prekäre Arbeitsverhältnisse zu hinterfragen (s. Kap. 3).
Außer den genannten Berufsgruppen dürfte der Text auch dienlich sein für andere, die mit »großen Kleingruppen« zu tun haben: Ausbilderinnen im Heil- und Pflegebereich, in kirchlichen Einrichtungen sowie für Erwachsenenbildner.
Ausgangspunkt der Fragestellung ist also ein Praxisproblem; Ziel des Buches ist es, Lösungsansätze aufzuzeigen und damit das, was zunächst als Problem erscheint, zur Methode zu entwickeln und einen Anreiz zu setzen, sich große Kleingruppen zuzumuten und sogar Lust dazu zu bekommen. Ob man es gleich als neues Format und für Supervisanden kostengünstigeres, für Supervisoren einträglicheres Geschäftsmodell propagieren soll? Das merkte eine der Rezensentinnen des Manuskriptes humorvoll an.
Der Aufbau des Buches ist auf den ersten Blick vielleicht nicht schlüssig nachzuvollziehen, deshalb sei hier die innere Logik aufgezeigt. Thema des Buches ist Supervision mit großen Kleingruppen – also meist großen Teams, aber auch Gruppen unter speziellen Rahmenbedingungen in einer Größe von zehn bis 20 Personen. In dieser Größenordnung zeigen Gruppen durchgängig Merkmale einer Großgruppendynamik. Deshalb sind die ersten beiden Kapitel ausschließlich Großgruppenphänomenen gewidmet; erst ab Kapitel 3 geht es um ihre Relevanz für Supervision mit großen Kleingruppen.
Kapitel 1 und 2 setzen sich mit den beiden großen Strömungen auseinander, die sich in Theorie und Praxis mit Großgruppenarbeit befasst haben. In Kapitel 1 wird das Verfahren beleuchtet, das sich am längsten mit der Dynamik großer Gruppen auseinandergesetzt hat: die Psychoanalyse mit ihren verschiedenen, in und mit großen Gruppen arbeitenden Richtungen. Mag auch einiges davon primär von wissenschaftshistorischem Interesse sein – mir ist wichtig, nicht das zu tun, was ich in Kapitel 2 einer systemischen Autorin als Kritik vorhalte: sich nicht mit den vielleicht unliebsamen Vorgängern zu befassen, die unserem heutigen Denken und Handeln zugrunde liegen. Außerdem wurde mir im Arbeitsprozess zunehmend wichtig, das, was ich seit den 70er-Jahren selbst erlebt und erfahren habe, besser zu verstehen und zu durchdringen.
Das Kapitel 2 setzt den Gegenakzent mit dem Fokus auf den in Sozialpsychologie, Feldtheorie, Gruppendynamik und Systemik entwickelten Methoden der Großgruppensteuerung, die heute den Markt bestimmen. Aus diesen beiden ersten Kapiteln ergeben sich zwei Grundmodelle der Arbeit mit großen Kleingruppen. Wer sich für diese wissenschaftshistorische Herleitung nicht interessiert, kann auch bei Kapitel 3 mit dem Lesen beginnen.
Erst ab hier wird es um Supervision gehen. Supervision wird zunächst verortet als Spezialform von Beratung und definitorisch umrissen. Die unterschiedlichen Formen von Supervision werden dargestellt und der Begriff der großen Kleingruppe näher beschrieben. Kapitel 4 fokussiert die im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitswesen typischen Erscheinungsformen von Gruppen und Teams. Kapitel 5 schließlich eröffnet in kurz gefasster Form eine Reihe von methodischen Anregungen und Hilfestellungen für die praktische Arbeit.
Coronabedingt hat sich die Fertigstellung dieses Textes um mehr als ein Jahr nach hinten verschoben. Das beinhaltet neben Nachteilen den Vorzug, dass in diesen schwierigen Jahren 2020 und 2021 neue professionelle Erfahrungen mit Online-Supervision gemacht und ausgewertet werden konnten – soweit mir zugänglich, zwar nicht mit großen Teams und Gruppen, aber doch mit erhellenden Innovationen. Sie sind in Kapitel 6 eingebunden in eine Orientierung nach vorne.
Ein erster Dank geht an eine Regionalgruppe der DGSv, die mich bereits 2016 eingeladen hatte, einen Workshop über »Supervision in großen Teams (10 plus)« zu halten; das war der erste Impuls, mich mit der Thematik zu befassen.
Ein zweiter Dank geht an Alice Ricciardi-von Platen. Ich hatte das große Glück, von 1976 an über ein halbes Jahrzehnt mit ihr zusammenarbeiten zu dürfen und Großgruppen zu leiten. Ich bin ihr sehr verbunden für alles, was ich von und mit ihr über die Dynamik und Steuerung großer Gruppen lernen durfte.
Patricia Kramer sei ganz herzlich für den entscheidenden Impuls gedankt. Leider war es ihr aufgrund ihrer privaten Situation nicht möglich, bis zum Ende mitzuwirken. Aber sie hat mit ihren vielen klugen Fragen, mit ihren Textbeiträgen und mit ihrer intensiven Literaturrecherche wesentlich zum Zustandekommen und Gelingen dieses Werkes beigetragen.
Nach ihrem Ausscheiden habe ich Kolleginnen und Kollegen, u. a. aus meiner Intervisionsgruppe, befragt, welche Erfahrungen sie mit großen Supervisionsgruppen und Teams haben. Hier danke ich Almut Aeppli, Dagmar Lampart und Margot Ruprecht und last, but not least meiner Frau Sabine Kvapil für ihre inspirierenden Beiträge, die sie zur Verfügung stellten und die – wie die von Patricia Kramer – jeweils gekennzeichnet sind. Eszter Stréda und Thomas Vogl haben Wesentliches zum letzten Kapitel beigetragen. Heidi Ehrensperger, Sabine Kvapil, Monika Stützle-Hebel, Oliver König und Karl Schattenhofer (Letztere gewissermaßen die Quotenmänner) sei für kritisches Gegenlesen und viele Anregungen gedankt, die ich gerne aufgenommen habe; Sandra Vogel für unschätzbare Hilfen beim Formatieren. Meine Tochter Karina Antons-Klug hat trotz ihrer hohen beruflichen Belastung vier Handskizzen beigesteuert. Bei so vielen mitwirkenden Frauen spare ich mir die branchenübliche Gender-Entschuldigung. Nicht zuletzt geht mein Dank an den Carl-Auer Verlag, bei dem ich mich zum wiederholten Male als Autor bestens und sehr persönlich betreut fühle.
Dieses Buch bewegt sich zwischen einem Autorenbuch und einem Herausgeberband. Die Stringenz eines Textes, der »aus einer Feder geflossen« ist, mag ihm fehlen. Dafür gewinnt er an Lebendigkeit und Farbigkeit.
Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich in meiner ganzen publizistischen Tätigkeit zwar viel über Gruppen und Gruppendynamik geschrieben habe, bisher aber noch kein einziges Buch über das Feld, das seit 1974 meine zweite berufliche Identität ausmacht: Supervisor zu sein.
Was kann helfen, mit großen Kleingruppen supervisorisch zu arbeiten? Will man dieser Frage nachgehen, ist es dienlich, sich zu vergegenwärtigen, welche Theorien über die Arbeit mit Großgruppen und welche Praxen es überhaupt gibt. Denn große Kleingruppen partizipieren an der Großgruppendynamik ebenso wie an der Kleingruppendynamik. In diesem ersten Kapitel werden die ältesten Theoriebildungen fokussiert: die der Psychoanalyse.
Psychoanalytisches Denken über Großgruppen geht zurück auf den soziologischen Klassiker von Gustave le Bon, Psychologie des foules (1895, dt. 1912 etc.). Die Anzahl der Wiederauflagen macht deutlich, dass das Werk Aktualität besitzt. Le Bon postulierte als Erster, dass dort, wo sich Individuen in großer Zahl zusammenfinden, das Individuum seine Persönlichkeitseigenschaften und moralischen Werte der Masse unterwerfe, um Teil eines großen, amorphen Ganzen zu werden. Diese Verhaltensänderung, bestehend aus Reduzierung der Über-Ich-Funktionen und damit von Schuld und Angst, verdanke sich einem Gefühl von Macht und Stärke, das die Menge verleihe. Paradox an diesem Postulat sei, so Schneider und Weinberg (2003, p. 14), dass mit dem Gefühl von Macht und Stärke gleichzeitig die Macht und Verantwortlichkeit des Individuums sinke und es ein machtloses und anonymes Wesen in der Masse werde.
Wie sehr solche Zuschreibungen im Laufe der Zeit sich ändern, mag Abbildung 1 verdeutlichen. Was früher als blinder Herdentrieb wahrgenommen und abgewertet wurde, bekommt heute eine andere Bedeutung. Ein genaueres Hinschauen auf Tiere im Plural zeigt Formen kollektiver Intelligenz, die auch für uns Menschen von nachahmenswertem Interesse sind.
Ein Vierteljahrhundert später setzt sich Sigmund Freud in seinen kulturkritischen Schriften, insbesondere Massenpsychologie und Ichanalyse (1921) mit le Bon auseinander und reflektiert das Verhältnis von Masse und Gruppe. Bemerkenswert ist, dass dieses Werk im Englischen als Group psychology and the analysis of the ego übersetzt ist. Masse und Gruppe haben im Englischen offenbar keine Äquivalente und werden bis heute durcheinandergeworfen – unsere großen Kleingruppen liegen jedenfalls zwischen Masse und Gruppe.
Abb. 1: Herdentrieb oder Schwarmintelligenz?
Wie auch in der Gruppendynamik verdankt sich die weitere Entwicklung von Theorie und Praxis der Großgruppe dem Exodus der kreativsten Geister aus Nazi-Deutschland und dem von dort ausgelösten Zweiten Weltkrieg: Die meisten der zu nennenden Autoren waren Juden. – Die englischen und amerikanischen Heerespsychiater wurden gegen Ende des Krieges derart von traumatisierten Soldaten überrollt, die sich per Krankheit von der Front und aus dem sinnlosen Morden verabschiedeten, dass sie gewissermaßen aus der Not heraus die Gruppenpsychotherapie erfanden.
Die Pioniere dieser Bewegung, Maxwell Jones (1953) und Tom Main (1946) experimentierten mit therapeutischen Gemeinschaften, bei denen das Moment der Großgruppe inhärent gegeben war. Der Erste, der für diese Arbeit theoretische Formulierungen lieferte, war Wilfred R. Bion (orig. 1961, dt. 1971), mit seinen Erfahrungen in Gruppen, die so etwas wie Vorreiter für nachfolgende Phasenmodelle in Gruppen wurden (kritisch dazu vgl. Antons, Ehrensperger u. Milesi 2019, S. 352). Sein konzeptueller Gegenspieler wurde Sigmund H. Foulkes mit seinem Matrixkonzept; beide waren wesentliche Köpfe der mit A. K. Rice und Pat de Maré zusammen begründeten Tavistock-Schule, benannt nach der bekannten englischen psychiatrischen Klinik.
Schon bald entstand die Notwendigkeit, die Gruppen je nach ihrer Größe zu unterscheiden. Foulkes machte 1964 erste Differenzierungen, de Maré prägte 1972 den Begriff »the Larger Group«, anderenorts auch als »Median Group« bezeichnet. Damit entstand ein erster Rahmen, der zwischen Kleingruppe (ab fünf, optimal sieben bis zwölf Mitglieder), mittelgroßen Gruppen (zwölf bis 20, anderen Autoren zufolge 15 bis 30) und großen Gruppen (von 25 an bis zu mehreren 100) unterschied. Schneider und Weinberg (2003, p. 13) monieren, dass es dabei geblieben sei und bis heute eine klare theoretische, technische und praktische Exposition dessen fehle, was denn nun eine große Gruppe ausmache. Zum besseren Verständnis sei ein ideengeschichtlicher und wissenschaftshistorischer Exkurs eingefügt.
1975 gab Lionel Kreeger einen bedeutenden Sammelband mit dem Titel The large group – dynamics and therapy (dt. 1977) heraus, der die Leitlinie für das nächste Vierteljahrhundert darstellte.
Dieser Band enthält eine Reihe wegweisender Beiträge, die durchweg auf der Erfahrungsbasis der Tavistock Conferences mit ihren minimal strukturierten Großgruppen entstanden sind. Die Autoren sprechen zwar von »unstrukturiert«, in Wirklichkeit steckt jedoch eine ganze Menge an Struktur dahinter, die für die Teilnehmenden allerdings zunächst nicht sichtbar wird. Die Beiträge sind durchzogen von dem Zwist, der zwischen den Nachfolgern von Bion und Foulkes entstand. Gerhard Wilke (in Schneider und Weinberg 2003, p. 86–97) beschreibt, dass es in ihrer Nachfolgegeneration der Gruppenanalytiker, zwischen Kreeger und de Maré, deutliche Flügelkämpfe gab, die mit unserer Thematik durchaus etwas zu tun haben: Es ging darum, ob die Kleingruppe die »gute« und benigne Form von Gruppe – mit einer Tendenz zu Integration und Beziehung – sei, die Großgruppe hingegen mit ihrem Hang zur Desintegration und Fragmentierung die »böse« Art von Gruppe. Wilke meint, die Kleingruppe sei nicht nur gut und heilend, sondern könne auch böse und destruktiv werden (vgl. Antons 2015). Und auch die Großgruppe sei zeitweise ein gutes und nährendes Objekt. Die Autoren des Sammelbandes hätten nicht die Bedeutung der psychologischen Methoden berücksichtigt, die benutzt würden in der Absicht, die soziale Ordnung herzustellen und aufrechtzuerhalten, die Spannung zwischen einem Gefühl von Selbst zu bewahren und gleichzeitig die vorhandene Interdependenz zu akzeptieren (Schneider u. Weinberg 2003, p. 91). Man möge in Zukunft sowohl Kreeger folgen in seiner Suche, bewusster mit der Pathologie der Großgruppe zu arbeiten, die ein Teil der unbewussten Interaktion in der Gesellschaft sei, als aber auch de Maré darin, dass Großgruppen dazu verhelfen können, demokratisches und gemeinschaftliches Verhalten in der Gesellschaft (fellowship) zu schulen.
»Wenn dieses Tolerieren des Guten und des Bösen in der Objektbeziehung wiederholt verinnerlicht werden kann, dann kann die Großgruppe, wie die Gesellschaft selbst, Integrität halten und bekräftigen, und im selben Akt der Kommunikation und des Austausches den Geschmack von Fragmentierung bestätigen« (Schneider a. Weinberg 2003, p. 92; Übers.: K. A.).
Um diese vielleicht etwas kryptisch klingenden Sätze und den dahinter liegenden Dissens zu verstehen, sei das Buch von Kreeger anhand einer verdichteten Darstellung von Schneider und Weinberg (2003, p. 18–21) näher vorgestellt.
Die meisten der Autoren berufen sich in ihrer Theoriebildung auf die Arbeiten von Melanie Klein, deren wesentliche Unterscheidung die zwischen der paranoiden und der depressiven Position ist. Dem entsprechen die Formate Klein- und Großgruppe derart, dass die große Gruppe eindeutig die seelischen Zustände der paranoiden Position evoziert.