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Personen, die mit Gruppen und Teams in den verschiedensten Praxisfeldern arbeiten, finden in diesem Buch vielfältige Übungsmöglichkeiten und gruppendynamische Arbeitsmodelle. Das Buch ist auch in der 10. Auflage ein bewährtes und nützliches Hilfsmittel für alle, die im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen, in der Arbeit mit Führungskräften und Beratern selbst Arbeits- und Lerngruppen anleiten, beraten und begleiten oder Teamentwicklungen durchführen. In 10 Kapiteln wird der typische Verlauf eines Gruppenprozesses nachgebildet: Eröffnung einer Lernveranstaltung, Soziale Wahrnehmung und Training der Beobachtungsfähigkeit, Kommunikative Kompetenz und Feedback, Kooperation und Konkurrenz, Gruppenentscheidungen und Gruppenkonflikte, Rollen, Normen und Status in Gruppen, Kritische Phänomene und Störungen des Gruppenprozesses, Diagnose des Gruppenprozesses, Beratungs- und Interventionskompetenz in Gruppen sowie Abschluss und Auswertung einer Lernveranstaltung. Jedes Kapitel enthält eine Einführung in das jeweilige Thema, acht Hauptübungen (mit vielen Varianten) und Arbeitspapiere mit gruppendynamischen Modellen. Auf der beiliegenden CD-ROM werden zahlreiche Materialien, die bei der Durchführung der Übungen verwendet werden können, zum Ausdrucken zur Verfügung gestellt.
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Klaus Antons
Heidi Ehrensperger
Rita Milesi
Praxis der Gruppendynamik
Übungen und Modelle
mit Illustrationen von Ramona Wultschner und Karina Antons
10., vollständig überarbeitete Auflage
Dr. phil. habil., Dipl.-Psych. Klaus Antons, geb. 1942. Nach dem Studium der Psychologie und Soziologie Assistententätigkeiten in Klinik, Forschung und Lehre mit dem Schwerpunkt Suchtforschung. Acht Jahre Leitung einer Bildungsinstitution in Stuttgart. Seit 1982 selbständig tätig in den Bereichen gruppendynamische Trainings und Fortbildungen, Konflikttraining, Personal-, Organisations- und Teamentwicklung, Supervision, Coaching, Psychotherapie. Weiterbildungen in Familien- und Sozialtherapie, als Trainer für Gruppendynamik (DGGO) und Supervisor (DGSv).
Heidi Ehrensperger, geb. 1956. Dipl. Erwachsenenbildnerin (Master in Adult and Professional Education) und Trainerin für Gruppendynamik (DGGO). Langjährige Tätigkeit als Lehrerin und Ausbilderin von angehenden Lehrpersonen. Seit 2003 selbständig tätig als Seminarleiterin und Beraterin mit den Schwerpunkten Train-the-Trainer, Gruppendynamik, Methodik/Didaktik. Zusatzausbildungen in Organisationsentwicklung und lösungsorientierter Beratung. Vielfältige Erfahrungen mit Diversity.
Rita Milesi, geb. 1953. Dipl. Erwachsenenbildnerin HF und Trainerin für Gruppendynamik (DGGO). Langjährige Tätigkeit als Ausbilderin und Beraterin bei der Swissair. Seit 1991 selbständig tätig in den Bereichen Ausbildung für Ausbildende, Beratung, Einzel- und Teamsupervision. Zusatzausbildung in Organisationsentwicklung.
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Umschlagabbildung: © shutterstock.com /Photographee.eu
Illustrationen: Ramona Wultschner und Karina Antons
Satz: Matthias Lenke, Weimar
Format: EPUB
10. Auflage 2019
© 1973, 1974, 1975, 1976, 1992, 1996, 1998, 2000, 2011 und 2019 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen
(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2781-2; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2781-3)
ISBN 978-3-8017-2781-9
http://doi.org/10.1026/02781-000
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Vorwort zur 10. Auflage
Einleitung
1. Zur Geschichte der Gruppendynamik
2. Die Geschichte dieses Buches
3. Definitionen von Übungen und deren Indikationen
Anleitung zur Benutzung
Kapitel 1 Eröffnung einer Lernveranstaltung
1.0 Einführung
1.1 Sich Bekanntmachen in der Gruppe
1.1.1 Variante 1: Drei Buchstaben
1.1.2 Variante 2: Die Geschichte meines Namens
1.1.3 Variante 3: Schiffe auf See
1.1.4 Variante 4: Schlüsselbund
1.1.5 Variante 5: Drei Gegenstände
1.1.6 Variante 6: Visitenkarte der anderen Art
1.1.7 Variante 7: Fotosprache
1.2 Begegnungsmöglichkeiten schaffen
1.2.1 Variante 1: Lawine
1.2.2 Variante 2: Kugellager
1.2.3 Variante 3: Stehparty
1.3 Kontrakt
1.4 Gruppenbildung und Trainerwahl
1.5 Planung der Anfangsphase
1.6 Lerninteressen benennen
1.7 Soziometrische Tableaus
1.8 Struktur und Prozess in Anfangssituationen
1.9 Arbeitspapiere
1.9.1 Psychosoziale Vorstrukturen
1.9.2 Schwierigkeiten und Herausforderungen in neuen und sich entwickelnden Gruppen
1.9.3 Zur Psychologie einer Gruppe
1.9.4 Gruppenwahl und Zugehörigkeit
Kapitel 2 Soziale Wahrnehmung und Training der Beobachtungsfähigkeit
2.0 Einführung
2.1 Optische Täuschungen und Illusionen
2.1.1 Zur Demonstration geeignete optische Täuschungen und Illusionen
2.1.2 Verweise auf weitere Quellen
2.2 Alte Frau – Junge Frau
2.3 Neun-Punkte-Problem
2.3.1 Anleitung zum Neun-Punkte-Problem
2.3.2 Alternativen zu den Neun Punkten
2.4 Bildbeschreibung
2.5 Gruppe malt Gruppe
2.6 Gruppe beobachtet Gruppe
2.7 Zwiebelschale oder Fishbowl
2.8 Standardisierte Beobachtung
2.8.1 Quantitative Auszählung (Interaktogramm)
2.8.2 Die Interaktionsprozessanalyse von Robert F. Bales
2.8.3 Rollenbeobachtung nach Morton Deutsch
2.8.4 Verhaltensbeobachtung nach Wilfred Bion
2.8.5 Verhaltensbeobachtung mit dem Gruppendynamischen Raum
2.8.6 Nicht hören und nicht sehen
2.9 Arbeitspapiere
2.9.1 Psychologie der Wahrnehmung
2.9.2 Systematische Beobachtung
Kapitel 3 Kommunikative Kompetenz und Feedback
3.0 Einführung
3.1 Einweg-Zweiweg-Kommunikation
3.2 Leitungsstile
3.3 Lerntechniken
3.3.1 Anleitung zu Lerntechniken
3.3.2 Wissenstest
3.4 Kontrollierter Dialog
3.5 Bewusstheitsrad
3.6 Paar-Interview
3.6.1 Anleitung zum Paar-Interview
3.6.2 Variante: Rollenverhandeln nach Roger Harrison
3.7 Alter Ego
3.7.1 Anleitung zu Alter Ego
3.7.2 Variante: Behind your chair
3.8 Basar der unbegrenzten Möglichkeiten
3.9 Arbeitspapiere
3.9.1 Zwischenmenschliche Kommunikation
3.9.2 Kommunikationsmuster in Gruppen
3.9.3 Gruppenklima und Führungsstile
3.9.4 Johari-Fenster
3.9.5 Feedback
Kapitel 4 Kooperation und Konkurrenz
4.0 Einführung
4.1 Haus – Baum – Hund
4.2 Quadrate
4.3 Kohlengesellschaft
4.4 Prisoner’s Dilemma
4.4.1 Die Urform des Prisoner’s Dilemma Game
4.4.2 Variante Schwarz – Rot
4.5 Turmbau
4.6 Planspiel
4.6.1 Anleitung für Planspiel Typ I
4.6.2 Anleitung für Planspiel Typ II
4.6.3 Anleitung für Planspiel Typ III
4.6.4 Anleitung für Beobachter*innen von Planspielen (Typ I und II)
4.7 Pachisi und die Folgen
4.8 Antidepressiva
4.8.1 Variante 1: Gruppendynamisch bis 20 zählen
4.8.2 Variante 2: Planetenbälle
4.8.3 Variante 3: Magic Bamboo
4.8.4 Variante 4: Kuhstall
4.8.5 Variante 5: Vampir
4.8.6 Variante 6: Wäscheklammern
4.8.7 Variante 7: Schere – Stein – Papier
4.9 Arbeitspapier: Zusammenarbeit und Wettbewerb – Kooperation und Konkurrenz
Kapitel 5 Gruppenentscheidungen und Gruppenkonflikte
5.0 Einführung
5.1 Neue Gruppen bilden
5.2 Dienstwagen
5.3 NASA-Übung
5.3.1 Anleitung zur NASA-Übung
5.3.2 Variante: Distanzen schätzen
5.4 Führungskräftetraining
5.5 Regel du mir, so regel ich dir
5.6 Vom Einzelbild zum Gruppenbild
5.7 Kulturpreis
5.8 Gruppendynamik oder Psychodrama?
5.9 Arbeitspapiere
5.9.1 Entscheidungen treffen
5.9.2 Individuelle Einstellungen zu Gruppenentscheidungen
5.9.3 Schritte beim Entscheidungs- und Problemlösungsprozess
5.9.4 Delegations-Kontinuum
5.9.5 Andere Ansätze zum Umgang mit Konflikten
5.9.6 Das Umgehen mit Konflikten in Gruppen
5.9.7 Wozu ein Konflikt gut sein kann
5.9.8 Die Entwicklung von Integration und Differenzierung
Kapitel 6 Rollen, Normen und Status in Gruppen
6.0 Einführung
6.1 Modeschau
6.2 Rollentausch
6.3 Pressekonferenz
6.4 Café Duo Infernal
6.4.1 Variante 1: Antirollenspiel
6.4.2 Variante 2: Schiffsbesatzung
6.4.3 Variante 3: Märchenspiel
6.5 Informelle Rollen beobachten
6.5.1 Variante 1: Fernöstliche Weisheiten
6.5.2 Variante 2: Sin-Obelisk
6.6 Rollen im Team nach Belbin
6.7 Muss-Soll-Spiel
6.8 Untersuchung zu Normen und Status
6.9 Arbeitspapiere
6.9.1 Rollenfunktionen nach Morton Deutsch
6.9.2 Soziodynamische Grundformel nach Raoul Schindler
6.9.3 Konformität und Gehorsam
6.9.4 Status in Gruppen
6.9.5 Wenn es um Motivation geht
Kapitel 7 Kritische Phänomene und Störungen des Gruppenprozesses
7.0 Einführung
7.1 Vier-Felder-Reflexion – Ansprechen, was Sache ist
7.2 Subgruppen sichtbar machen
7.3 Eisberg-Tieftauchen
7.4 Feldforschung zu Konflikt und Widerstand
7.5 Astrophysikerin
7.6 Kollidierende Lernstile
7.7 Open Staff
7.8 Schutzmechanismen-Rollenspiel
7.9 Arbeitspapiere
7.9.1 Diagnose von Gruppenproblemen
7.9.2 Welchen Sinn macht Widerstand?
7.9.3 Vorurteil und Stereotyp
7.9.4 Schutz- und Abwehrfunktionen
7.9.5 Gruppenprojektionen und Sündenböcke
7.9.6 Konformität und Groupthink
7.9.7 Das dicke Ende
7.9.8 Lernstile nach David Kolb
Kapitel 8 Diagnose des Gruppenprozesses
8.0 Einführung
8.1 Prozessanalyse nach Tobias Brocher
8.2 Soziometrie
8.2.1 Klassische soziometrische Fragestellungen
8.2.2 Weitere Formen von Soziometrie in der Gruppendynamik
8.3 Persönliche Verhaltensweisen in Gruppen
8.4 Prozessanalyse in Bildern
8.5 Prozessanalyse mit dem Gruppendynamischen Raum
8.6 Skulpturarbeit und Soziometrie mit dem Gruppendynamischen Raum
8.7 Team-Bilder
8.8 Herr der Fliegen
8.8.1 Fragen zum Film
8.8.2 Zur Analyse in Gruppen geeignete Filme
8.9 Arbeitspapiere
8.9.1 Phasenmodelle im Laufe der Zeit
8.9.2 Grundannahmen und Gruppenentwicklung
8.9.3 Gruppenphasen nach J. A. Garland et al.
8.9.4 Entwicklungsphasen in Gruppen
8.9.5 Der Gruppendynamische Raum
8.9.6 Macht in Gruppen
Kapitel 9 Beratungs- und Interventionskompetenz in Gruppen
9.0 Einführung
9.1 Hilfe suchen – Hilfe geben
9.2 Beratungsstelle
9.3 Annahme – Ablehnung
9.4 Beraten mit Doppeln
9.5 Beraten mit Hilfsmitteln
9.6 Wir sind Gallier
9.7 Interventionen entwerfen und prüfen
9.8 Interventionsschmiede mit Forumtheater
9.9 Arbeitspapiere
9.9.1 Das Beratungsgespräch
9.9.2 Kollegiale Beratung: Intervision
9.9.3 Interventionen in Gruppen
9.9.4 Das Schichtenmodell zur Bearbeitung von Konflikten nach Schmidt und Berg
Kapitel 10 Abschluss und Auswertung einer Lernveranstaltung
10.0 Einführung
10.1 Rückschau auf den Prozess
10.1.1 Anleitung zum Einsatz von Auswertungsbögen
10.1.2 Varianten der Rückschau
10.2 Methoden der Tages- und Zwischenauswertung
10.2.1 Tagesauswertungen
10.2.2 Methode zur Zwischenauswertung
10.3 Koffer und Mülleimer
10.4 Vier-Säulen-Auswertung
10.5 Abschiedsgeschenke
10.6 Back-Home-Rollenspiel
10.7 Pro und Contra – amerikanische Debatte
10.8 Lebens- und Laufbahnplanung
10.8.1 Schritt 1: Lebenslinie
10.8.2 Schritt 2: Wer bin ich? – Identitätsuntersuchung
10.8.3 Schritt 3: Offene Wünsche, Ansprüche und Bestrebungen
10.8.4 Schritt 4: Erfolge und Misserfolge
10.8.5 Schritt 5: Einflüsse
10.8.6 Schritt 6: Wünsche und Vorstellungen
10.8.7 Schritt 7: Entwicklungsbilanz
10.9 Arbeitspapiere
10.9.1 Zäsuren, Abschlüsse, Übergänge
10.9.2 Fragestellungen für den Abschluss
10.9.3 Sinn und Unsinn von Auswertungsbögen
Literatur
Anhang
Übersicht über die Materialien auf der CD-ROM
Sachregister
Materialien auf CD-ROM
Das Vorwort für ein Buch zu schreiben, das ich (Klaus Antons, nachfolgend abgekürzt mit KA) vor 47 Jahren verfasst habe und das seitdem mein Leben begleitet, ist nicht ganz einfach. Es ist durch neun Auflagen gelaufen, in fünf Sprachen übersetzt und so etwas wie ein Dauerbrenner geworden. Mein Dank gilt allen, die Übungen oder Papers beigesteuert haben, aber auch denen, die mich auf Fehler, Unzulänglichkeiten und Anachronismen aufmerksam gemacht haben. Inzwischen war es – in keineswegs allen Aspekten – von der Entwicklung überholt, durch Zusätze unübersichtlich geworden und bedurfte dringend einer Totalrevision. Sie wurde technisch möglich durch eine Digitalisierung des Lichtsatzes beim Verlag – bisher konnte ich nur vorne oder hinten etwas „anhängen“.
Ich staune nachhaltig darüber, dass dieses Werk, das ich im Alter von 29 Jahren verfasst – besser: kompiliert – habe, ein derartiger Renner geworden und geblieben ist. In der nachfolgenden Einleitung sei etwas differenzierter die überaus spannende und für die Entwicklung der Gruppendynamik im deutschsprachigen Raum nicht unerhebliche Rezeptionsgeschichte dieses Buches nachgezeichnet. Das Staunen bleibt – vermischt mit einer lange andauernden Beschämung (darüber, was so alles damit gemacht wird); Abwehr dagegen, zu einem Gruppendynamik-Papst hochstilisiert zu werden; aber auch Freude und Dankbarkeit über die zahllosen positiven Rezensionen und Rückmeldungen. Dieser Gefühlsmix bleibt bis zum heutigen Zeitpunkt, da sich für das Buch und die institutionalisierte Gruppendynamik in Deutschland das halbe Jahrhundert nähert.
Ein enormer Motivationsschub, mich an eine völlige Überarbeitung zu wagen, war die spontane Zusage zweier Freundinnen und Kolleginnen, daran mitzuwirken. Mit ihnen zusammen habe ich anderthalb Jahrzehnte lang instrumentierte gruppendynamische Trainings in der Schweiz durchgeführt. In dieser langjährigen und inspirierenden Zusammenarbeit mit Heidi Ehrensperger und Rita Milesi entstand eine Reihe von Übungen, die sich bewährt haben und die in diese Neuauflage eingehen. Dafür wurden einige, mit denen die „Praxis der Gruppendynamik“ heute nicht mehr befasst ist, herausgenommen.
Wir haben die ursprüngliche Aufteilung in zehn Kapitel wiederhergestellt und den Inhalt des 1992 hinzugefügten elften Kapitels in diese integriert – aber auch die Titel und Schwerpunkte der Kapitel verändert.
|14|Wir haben das Buch sprachlich angeglichen und dabei die heute gebräuchlich gewordenen Begrifflichkeiten der Gruppendynamik eingesetzt. Dabei ist viel sprachlicher Ballast entfallen. Viele Erläuterungen, Entschuldigungen und Rechtfertigungen waren nötig zu einer Zeit, als die Gruppendynamik meinte, sich als ernstzunehmende Methode der angewandten Sozialpsychologie legitimieren und entsprechend wissenschaftlich gebärden zu müssen. Die 45 Jahre seitdem zeigen, dass sie sich, in Übereinstimmung mit ihrem Begründer Kurt Lewin als eine überaus praktische Theorie erwiesen hat. Dennoch ist die Kleingruppenforschung, die in Deutschland am prägnantesten vom Münsteraner Psychologieprofessor Manfred Sader (u. a. 1976, 1991, 1995, 1996a, 1996b; s. a. Ardelt-Gattinger et al., 1998; König, 2001a) vertreten wurde, eine wichtige Basis für gruppendynamisches Handeln. Ihre US-amerikanischen Vorläufer finden sich in Standardwerken wie Benne, Bradford & Lippit (1950), Benne & Leavitt (1953), Bennis, Benne & Chin (1961/1975), Bradford, Gibb & Benne (1966/1972), Hare, Borgatta & Bales (1966), Homans (1950/1960, 1961/1966) und Miles (1964, 1965).
Den Begründer der Gruppendynamik, Kurt Lewin, haben wir wieder stärker ins Zentrum gestellt als er das bei den früheren Auflagen war. Seine für Sozialpsychologie, Gruppendynamik und Aktionsforschung bedeutenden Arbeiten auf der Basis seiner Feldtheorie (Lewin, 1946a, 1946b, 1953a, 1953b, 1963; Lewin & Lippitt, 1938; Lewin, Lippitt & White, 1939; s. a. Antons & Stützle-Hebel, 2015, dort eine ausführliche Bibliographie; Lück, 1996; Stützle-Hebel & Antons, 2017) sind für eine heutige Gruppendynamik wieder von Bedeutung.
Das Buch hat so etwas wie einen langsamen Paradigmenwechsel erfahren. Kontinuierliche Rückmeldung war, dass die damaligen „Papers“, die wir als Arbeitspapiere rückübersetzt haben, mindestens so hilfreich und praxisförderlich sind wie die Übungen und dass sie das Buch attraktiv machen: gruppendynamisches Wissen und Können in praxisbezogenen Portionen. Sie sind alle sprachlich überarbeitet und inhaltlich auf den Stand der Zeit gebracht. Dieser Paradigmenwechsel zeigt sich im veränderten Untertitel dieser Ausgabe: nicht mehr „Übungen und Techniken“, sondern „Übungen und Modelle“. Die „Techniken“ klingen eben sehr technisch – unser heutiges Verständnis ist, dass weniger die Techniken als die Person dessen, der sie anwendet, der wichtigere Erfolgsfaktor ist. Nach heutiger Sichtweise sind Übungen eine spezielle Form von Design und Intervention (Fengler, 1976, 1987; Götz-Marchand, 1976; Hornstein et al., 1971; Krainz & Paul-Horn, 2009; Milesi, 2006/2015; Rechtien, 1992/2007; Voigt & Antons, 1987) – auf diesen, 1973 noch nicht gedachten Zusammenhang wird in Kapitel 9 verwiesen. Manche neuen Übungen gehen von einem Konzept aus (z. B. der Gruppendynamische Raum), zu dessen Verständnis dann Übungen entwickelt wurden. – Einen Text von 1992 zur wechselvollen Rezeptionsgeschichte dieses Buches haben wir in die Einleitung als Abschnitt 2 aufgenommen.
|15|In der seit 1973 zunehmend sich professionalisierenden Gruppendynamik – die gesamte Diskussion sei hier nicht aufgenommen, sondern nur darauf verwiesen – schwankt heute die Stimmung zwischen der These des „Verschwindens der Gruppendynamik“ oder gar der Gruppe selbst (Edding & Kraus, 2006; König, 2007, 2011), mit einer zwar betrauerten, aber realistischen Einschätzung des Terrainverlustes, den unser Ansatz und unser Verfahren haben hinnehmen müssen – und einem gedämpften Optimismus, wie er vorwiegend von der österreichischen Seite (Heintel, 2008; Pichler, 2015; Wimmer, 1993, 2006) zu vernehmen ist. Hier wird darauf verwiesen, wie notwendig die Kenntnis und Beherrschung sogenannter Schlüsselqualifikationen ist: diejenigen sozialen Kompetenzen, die u. E. immer noch am besten zu trainieren sind in einem gruppendynamischen Training und auch mithilfe von Übungen, wie sie in diesem Buch beschrieben sind. Diese Ambivalenz in der Beurteilung der Situation verdanken wir vielleicht auch dem Begründer der Gruppendynamik, Kurt Lewin, der schließlich den Begriff der Ambivalenz hoffähig gemacht hat (vgl. Antons & Stützle-Hebel, 2015).
Die andere Seite des Erfolgs von Gruppendynamik zeigt sich weniger in den immer noch relativ konstanten Verkaufsziffern dieses Buches, sondern in folgender Betrachtung: Das, was 1973 unter „Gruppendynamik“ praktiziert und subsumiert wurde, hat sich inzwischen auf eine Vielzahl von Konzepten und Methoden ausdifferenziert. Damals vertrat oder „hütete“ diese erste der psychosozialen Wellen eine Vielzahl von Anliegen und Verfahren, die sich inzwischen verselbständigt haben, eigene Methoden und Techniken geworden und sich in entsprechenden Fach- und Berufsverbänden organisiert haben. Das hat immer wieder zu einem Substanzverlust in der verbandsmäßig organisierten Gruppendynamik geführt, spricht aber letztlich für deren langfristigen Erfolg, auch wenn wir uns deren Federn nicht selbst an den Hut stecken können. Es sind vor allem:
Supervision, Coaching, Beratung
Organisations- und Teamentwicklung
Erlebnis- und Outdoor-Pädagogik
Mediation
Planspielmethoden
Moderne Großgruppenmethoden
Familien- und Organisationsaufstellungen
Kommunikationstrainings
Lebens- und Karriereberatung
Visuelle Kommunikation
Moderationsmarkt
Diversity-Kompetenz
Weil diese zeitgenössischen Verfahren sich ihrer gruppendynamischen Wurzeln nicht mehr bewusst sind, werden wir an gegebenen Stellen darauf hinweisen. Un|16|sere Position ist also: Nicht die Gruppe oder die Gruppendynamik ist verschwunden, sie hat sich vielmehr in andere, vielfältige Richtungen weiterentwickelt.
Wie zeigt sich denn die Gruppendynamik heute in der Landschaft? Sie ist, verglichen mit anderen Fach- oder Berufsverbänden, ein relativ kleiner, aber stabiler Fachverband, der sich in einem ansprechenden Programm und Selbstverständnis (siehe www.dggo.de) darstellt.
Auch diese neue Version unseres Buches richtet sich an die bisherigen Zielgruppen: Alle, die im Sozial-, Gesundheits- und Bildungswesen, in der Arbeit mit Führungskräften und Berater*innen selbst Arbeits- und Lerngruppen anleiten, beraten und begleiten, Teamentwicklungen durchführen, Mediation machen usw.
Die „feinen Unterschiede“ (Antons, 2004) zwischen Gruppe und Team werden in diesem Buch nicht thematisiert; Teams kann man als Spezialform von Gruppe betrachten und in der Anwendung von Übungen müssen entsprechende Feinkorrekturen vorgenommen werden.
Wir danken Ramona Wultschner und Karina Antons für die gute Umsetzung der Kapitelinhalte in Bilder. Tanja Ulbricht und Franziska Stolz haben unsere Texte sehr sorgfältig redigiert. Wir danken für die gute Zusammenarbeit mit dem Verlag.
Überlingen, Bremgarten und St. Gallen, im Herbst 2018
Klaus Antons,
Heidi Ehrensperger und
Rita Milesi
Der Begriff Gruppendynamik hat drei Bedeutungen. Zum einen beschreibt er das Phänomen. Gruppendynamik ist in jeder Gruppe, egal ob sie als verhalten, turbulent, förderlich, angenehm, unangenehm etc. erlebt wird. Der Vergleich mit dem Wetter bietet sich an. Wetter ist immer, wenn auch immer wieder anders.
Gruppendynamik ist zudem ein Wissensgebiet. Auch wenn sie keine exakte Wissenschaft ist, so sind doch über die Empirie viele Erkenntnisse zusammengekommen. Diese schlagen sich z. B. nieder in Theorien zu Gruppenphasen, Interventionen, Rollen, Gruppenphänomenen wie Normen und Status und anderen zentralen Themen (vgl. Krainz, 2006; McGrath & Altmann, 1966; Schneider, 1985).
Dann gibt es Gruppendynamik als Methode. Diese wird praktiziert in den verschiedensten Kursen, Seminaren, Trainings und Laboratorien. Die Leiter*innen solcher Veranstaltungen haben eine einschlägige profunde Ausbildung. Ihr Augenmerk gilt dem, was zwischen den Teilnehmenden geschieht. Sie sind geschult dafür, Prozesse in Gang zu bringen und zu steuern, Reflexionen anzuregen, Feedback zu ermöglichen (zur Geschichte der Gruppendynamik siehe u. a. Back, 1972, 1974; Brocher & Kutter, 1985; Däumling et al., 1974; Nellessen, 1977, 1987; Schwarz et al., 1993 sowie verschiedene Beiträge in Edding & Schattenhofer, 2009/2015; zur Begrifflichkeit in der Gruppendynamik Krege, 1977).
Wir verweisen darauf, dass Gruppendynamik von ihrem Anfang an eine politische Mitbedeutung hatte, indem sie im Kontext der re-education1 entstand (Lewin, 1943). Sie wurde insbesondere in der Anfangszeit von Horn (1969, 1972) und anderen (Bachmann, 1981; Brecher, 1970; Edding, 1988, 2005; Fengler, 1981; Fritz, 1974; Prior, 1971) diskutiert und ist bis heute virulent (Zimmer-Winkelmann, 2015).
Vieles von dem, was in der ursprünglichen, 1972 geschriebenen Einleitung stand, ist heute überholt. Übungen sind nichts Neues mehr, von Vorstandsetagen bis zu |18|Kirchengemeinderäten werden sie als belebende Methoden der Erwachsenenbildung und zum Training emotionaler Intelligenz praktiziert. Es braucht keine Legitimationen mehr, in denen die Gruppendynamik sich als wissenschaftlich-empirischer Zweig der Sozialpsychologe beweisen muss. Was in dieser Einleitung jedoch Platz haben soll:
Ein kurzer Blick auf die Geschichte der Gruppendynamik im deutschsprachigen Raum und wo sie heute steht.
Die Geschichte dieses Buches und sein Stellenwert in der methodischen Diskussion.
Eine Definition von Übungen im hier verwendeten Sinne und die Indikation für Übungen.
Der Beginn der Gruppendynamik ist im deutschsprachigen Raum in Österreich mit Traugott Lindner am Ende der 50er Jahre anzusetzen, in Deutschland mit dem Schliersee-Seminar, das Max Horkheimer und Tobias Brocher 1963 durchführten. Sensitivity und personal growth waren die damalige Orientierung (vgl. Brocher, 1967, 2015 und Däumling, 1968, 1970).
Seit etwa 1970 setzte eine Differenzierung der verschiedenen Richtungen ein: Aus dem Sensitivity-Training differenzierte sich das Organisationsentwicklungs-Laboratorium (gruppendynamisches Laboratorium; Sbandi, 1971) von den ersten unsicheren Anfängen zu einer zunehmend praktischen und soliden Methode heraus. Offensichtlich wesentlich langsamer entwickelte sich das eigentliche Organisations-Lab, auch Family-Lab oder Team-Training, in dem bestehende Gruppen oder Teams in ihrem gemeinsamen Arbeitsprozess beraten und trainiert werden. Seit Anfang 1972 wurden rasch die verschiedenen Methoden des Encounter-Trainings der Ezalen-Schule und der anderen kalifornischen Richtungen bekannt (siehe Bach & Bernhard, 1972; Bach & Wyden, 1968/1970 und Schutz, 1969/1971).
Die Begrifflichkeit des Laboratoriums ist in Deutschland (in Österreich durchaus noch verwendet) völlig verschwunden; die heutige Nomenklatur, die sich der Konsolidierung und Professionalisierung der Gruppendynamik verdankt, unterscheidet zwischen Sensitivity-Trainings, in denen es in erster Linie um persönliches Wachstum geht, um „eigene und fremde Verhaltensweisen subtil aufeinander abzustimmen“ (Däumling, 1968, S. 113), gruppendynamischen Trainings, wo der Fokus eher auf dem Verstehen sozialer Interaktion liegt, und dem Organisationstraining, in dem es um das Verstehen organisationaler Dynamik geht. Das kann in strukturierterer Form über Planspiele (siehe Übung 4.6) laufen oder in der klassischen Form, dass sich aus einem unstrukturierten offenen Plenum he|19|raus Arbeitsstrukturen entwickeln. Was damals „Family-Lab“ in Absetzung zum „Stranger-Lab“ hieß, ist heute schlicht Teamtraining oder Teamentwicklung. Darüber hinaus gibt es viele Formen gruppendynamisch orientierten Arbeitens in Seminaren, Kursen und Workshops. Ein gemeinsames Merkmal all dieser Arbeitsformen ist die rollende Planung, also ein flexibles Handeln entlang des sich entfaltenden Gruppenprozesses. Darin gibt es immer wieder Situationen, in denen Übungen sinnvoll sind. Genau für eine solche Art der Arbeit möchte dieses Buch eine Hilfe sein: Es will helfen, in der jeweiligen Situation in rascher und übersichtlicher Weise den passenden methodischen Impuls bereit zu haben, um die in der Situation liegenden affektiven und kognitiven Möglichkeiten der Teilnehmer*innen optimal zu nutzen. Die dazu nötige Definition des Begriffes Übung folgt im Abschnitt 3 dieser Einleitung.
Wenn heute in Firmen von Selbstorganisation, Scrum und Agilität gesprochen wird, ist schnell klar, dass die Gruppendynamik eine große Rolle spielt für das Gelingen von Zusammenarbeit und schnellem Reagieren auf Veränderung. Gruppendynamik hilft, mit der Komplexität und „dem, was zwischen den Menschen ist“ produktiv umzugehen.
Das Buch hat 1971 seinen Anfang genommen als eine für meinen (KA) privaten Gebrauch gedachte Sammlung von Übungen, die ich im Rahmen meiner Ausbildung zum Trainer für Gruppendynamik kennenlernte. Verbunden damit war der Wunsch nach Überblick und einer Systematisierung der mehr oder weniger nach Gutdünken eingesetzten Übungen. Auf Anregung von Kollegen entstand eine in 70 Exemplaren aufgelegte, im Wachsmatrizenverfahren vervielfältigte Fassung dieser Sammlung, für deren Existenz ich besonders Pio Sbandi, Lothar Nellessen, Suitbert Hellinger, Hans-Günther Schöpping, aber auch Alf Däumling, Brigitte Dorst, Eberhard Heyn, Trygve Johnstadt, Gerhard Leuschner und Peter Petersen zu Dank verpflichtet bin. Ohne ihre Bereitschaft, „graue Literatur“ zur Verfügung zu stellen, wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Der Dank geht auch an alle Kolleginnen und Kollegen der damaligen Sektion Gruppendynamik im Deutschen Arbeitskreis für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik (die heutige DGGO), mit denen ich zusammenarbeiten durfte. Speziell mit meinen Kolleg*innen an der Abteilung für Medizin-Soziologie und Sozialpsychologie der Universität Ulm habe ich in ständiger Reflexion und Kritik gelernt, den Indikationsbereich abzustecken und zu klären: Editha Enke, Peter Malzahn und Jürgen von Troschke – ihnen gilt der Dank ebenso wie Helmut Enke, dem Leiter der Abteilung und Helga Stark, die das erste Manuskript geschrieben hat. Unser erstes gemeinsames Buch (Antons, Enke, Malzahn & von Troschke, 1971) habe ich für diese Sammlung regelrecht geplündert.
|20|Diese erste Version war nach wenigen Monaten ausverkauft, die Nachfragen mit „Abnudeln“ nicht mehr zu bewältigen; im Oktober 1971 habe ich mich an den Verlag für Psychologie gewandt, der die Publikation in engagierter und experimentierfreudiger Weise übernommen hat. Das Buch wurde sofort ein Renner und lief von 1973 bis 1992 unverändert durch vier Auflagen. 1992 erschien die um ein Kapitel erweiterte fünfte Auflage mit einem Rückblick auf die ersten zwanzig Jahre:
„Bücher haben ihr Schicksal – zwanzig Jahre Entwicklung einer damals neuen Sichtweise und Methode machen das Wiederlesen und Durcharbeiten des einst selbst Geschriebenen beziehungsweise Bearbeiteten zu einer spannenden, nicht immer angenehmen Reise in die eigene Vergangenheit. Da waren Reaktionen wie „Aha, so habe ich damals gedacht, geglaubt und gefühlt …“, bei manchen Texten auch der innere Aufschrei „So kannst du das heute nicht mehr unter deinem Namen stehen lassen“, aber auch „Das stimmt nach wie vor; ich wundere mich, dass ich das damals schon gesehen habe“. Schließlich schüttle ich den Kopf über meinen akademischen Schreibstil, in dem ich mich selbst in der dritten Person als „Verfasser“ bezeichne. Ferner schien damals die Welt nur aus Männern zu bestehen.
Als dieses Buch 1973 erschien2, prägte die Gruppendynamik die erste Welle des Psycho-Booms (vgl. Tändler, 2016), die dann überrollt wurde von den nachfolgenden Wellen der humanistischen Psychologie, der Familien- und Systemtherapie und einigen anderen. Obwohl es stiller wurde um die Gruppendynamik, hat sie weiter existiert, was unter anderem aus den konstanten Verkaufsziffern dieses Buches ersichtlich ist.
1989 lud die Zeitschrift Gruppendynamik, das heißt mein Kollege Jörg Fengler, zu einem Themenheft mit dem Titel ein: „Gruppendynamische Übungen – alter Hut oder neue Praxis?“ Ich möchte aus diesen Artikeln einige längere Abschnitte zitieren und damit mein eigenes, gewandeltes Verständnis der Gruppendynamik und den Stellenwert von Übungen beschreiben. In meinem Diskussionsbeitrag der Zeitschrift habe ich die Entstehungsgeschichte dieses Buches wie folgt beschrieben:
Als ich im Frühjahr 1968 bei der Riege der ersten, selbsternannten Trainergeneration in die Lehre ging, war die einzige Organisationsform gruppendynamischer Veranstaltungen das sensitivity training. In ihm wurden an relativ vorherbestimmbaren Prozeßsituationen standardisierte Übungen eingebaut – meist mit relativ großem technischen Materialaufwand, z. B. die „Kommunikationsmuster in Gruppen“ mit aufgebauten Sichtschirmen. Meist paßten sie recht gut in den Entwicklungsprozeß der Gruppe hinein und vermittelten Aha-Erlebnisse über das Wie und Warum des Miteinander.
|21|ln dem Maße, wie in den folgenden Jahren der USA-Import des klassischen sensitivity trainings modifiziert wurde, wurde auch der Prozeß der Gruppe virulenter und schwerer vorhersagbar; dadurch wurden Ort und Stellenwert der Übungen unklarer und diffuser. Was damit einsetzte, war eine Entwicklung, die mich schließlich dazu motivierte, das Übungsbuch zu verfassen. Etwas überspitzt formuliert, sah die so aus: wenn der Prozeß klemmte oder die TrainerInnen überrollte, die Situationsdiagnosen im staff uneinheitlich waren und alle mehr oder weniger ratlos herumhockten, dann zog – im wahrsten Sinne des Wortes – sicher jemand eine Übung aus der Tasche: „Das haben wir in x oder y schon mal gemacht, und es hat viel gebracht.“
Übungen und Spiele wurden in diesen Jahren also als rettende Allheilmittel gegen die eigene Desorientiertheit, den mangelnden Durchblick und die ungenügende Handlungskompetenz eingesetzt. Die durch sie ausgelöste Dynamik führte dann auch unweigerlich zu einem neuen Punkt – an dem man besser sehen konnte, was los war … oder aber ein neues Chaos entstand (was u. a. zu dem Geruch der „Gefährlichkeit“ mancher Übungen beitrug).
Dies mag, bei aller ironisierenden Überspitzung, belegen, daß der Stellenwert von Übungen in der Gruppendynamik recht hoch war. (Antons-Volmerg, 1989, S. 122)
Ein Kollege aus der damaligen Zeit, Klaus Vopel, hat in seinem Beitrag diese Geschichte wie folgt beschrieben:
Anfang der siebziger Jahre arbeitete ich in der Hochschuldidaktik. Ich war auf der Suche nach Lernstrategien, um studentische Arbeitsgruppen fit zu machen für das damals von der Bundes-Assistenten-Konferenz propagierte „forschende Lernen“ … Ich recherchierte und traf auf einem Kongreß des DAGG in Ulm auf das Reisensburg-Team um Editha Enke, und auf den Lindauer Psychotherapiewochen lernte ich Ruth Cohn kennen. Mit den Reisensburgern ergab sich bald eine rege Kooperation. Nachdem ich zuvor als Teilnehmer die typischen Laboratoriums-Marterinstrumente kennengelernt hatte, konnte ich bei einigen Kooperationsseminaren nun aus der Perspektive des Teammitglieds alles aus höherer Warte betrachten. Dabei zeigten sich jedoch vielerlei Schwierigkeiten. Auch der Staff geriet unter Streß, und wir suchten oft angestrengt nach Lösungen für kritische Dependenz- oder Konterdependenzsituationen der brodelnden Großgruppe. Wir studierten im legendären Trainerhandbuch von Klaus Antons, das damals nur unter strengen Sicherheitsauflagen erworben werden durfte. Erst 1973 als „Praxis der Gruppendynamik“ veröffentlicht, wurde Klaus’ Buch die Bibel der Gruppendynamiker. Und natürlich suchten wir auch schon nach milderen Übungen, um unseren Teilnehmern ein besseres „feeling“ zu ermöglichen. ln der exklusiven Abgeschiedenheit des Staff diskutierten wir die neuesten Lernstrategien, die uns aus den USA erreichten, wir flirteten, blödelten und spielten ein wenig mit dem Feuer. Ich erlebte diese Großgruppenseminare als Ritt auf dem Tiger, bei dem schwer auszumachen war, wer mehr lernte, die Leiter oder die Teilnehmer. Genossen habe ich die gruppendynamischen Abenteuer mit Editha, Klaus, Jürgen und Peter sehr. Bei aller therapeutischen Fragwürdigkeit unserer Vorgehensweise gab es im Kollegenkreis eine spezielle Atmosphäre, die ich später so nicht wiederfand.
|22|Zweierlei konnte ich hier herausfinden. Die Übungen oder Experimente von Klaus deuteten einen speziellen Weg des Lernens an, der endlich nicht mehr nur theoretisch, akademisch, farblos bleiben mußte! (VopeI, 1989, S. 132 f.)
Klaus Vopel beschreibt, wie dieses Buch entstand; nach seinem Erscheinen fand es reißenden Absatz, sodass nach drei Jahren die vierte Auflage erschien, wenig später eine holländische, schwedische und spanische Übersetzung. Ich darf mich weiter zitieren:
Nach kurzer Zeit war ich als der „Übungs-Antons“ bekannt – mit einem Image, das mir mit schöner Regelmäßigkeit bis heute entgegenkommt von Menschen, die mich über das Buch kennengelernt haben: „Ich habe mir Sie aber ganz anders vorgestellt!“ Auf meine Nachfrage kommt dann unisono: alt, mit Glatze und Brille, dick, ernst, streng und würdig. – Älter bin ich zwar inzwischen geworden, aber ich war 31 Jahre, als ich es schrieb; ansonsten bin ich weder dick noch brauche ich eine Brille oder habe eine Glatze. [Anmerkung 2018: stimmt nicht mehr – jetzt habe ich Brille und Glatze …] – Wenn ich dieses Bild, das sich Leser von einem Autor machen, einmal versuche zu verstehen, dann schält sich für mich Folgendes heraus: Ich habe, in einer Überkompensation meiner eigenen Desorientierung, wohl eine recht prägnante Ordnungsleistung vollbracht, in der mir meine Zwanghaftigkeit (astrologisch: Jungfrau) ganz gut zur Hilfe kam. Das vermittelt dem Opus vermutlich etwas von einer abgeklärten, alles überblickenden und allem seinen Platz zuweisenden Überlegenheit. Mein damaliges Verständnis von Wissenschaftlichkeit im Sinne von erfassendem und kategorisierendem Denken mag noch dazu beigetragen haben.
Vielleicht ist es gerade das, was das Buch bis heute auf dem Markt hält – im Gegensatz zu etwa einem halben Dutzend anderer, um dieselbe Zeit erschienener Werke, die heute vergriffen sind. Sie waren z. T. … wesentlich origineller und ansprechender aufgemacht, suggerierten aber auch: „Wenn du dieses Buch durchackerst, kannst du Gruppen leiten!“
Diese Suggestion zu verhindern, war mir beim Schreiben ein Anliegen. Gewirkt hat es sicher nur teilweise – manches, was ich besonders in den ersten Jahren nach dem Erscheinen über die Verwendung des Buches hörte, ließ meine Nackenhaare sich sträuben; es gab eine Zeit, in der ich mich am liebsten von dieser „Jugendsünde“ distanziert und das Buch aus dem Verkehr gezogen hätte. Inzwischen kann ich mit einer gewissen Gelassenheit zugestehen, daß weder klare Zielsetzungen noch mahnende Appelle gegen mißbräuchliche Verwendung schützen.
… [Um dem Vorwurf des Klauens und Plagiierens zu entgehen, habe ich] mich mit allem mir möglichen Aufwand bemüht, Quellen und Autoren ausfindig zu machen und sie zu nennen.
Mehr als die Vorwürfe des Klauens haben mich Behauptungen beschäftigt, daß Übungen eigentlich gar nicht zur Gruppendynamik gehören, Importe aus anderen Methodenrichtungen seien, ein „Sich-schmücken-mit-fremden-Federn“, wie ein Kollege das … formulierte. – Für manche, heute verwendeten Übungen stimmt das durchaus: Körperübungen sind aus Gestalt- und Neo-Reich’schen Therapien eingewandert, Skulpturar|23|beit aus der Satirschen Familientherapie, und [nicht nur] die Methode des Soziogramms läßt sich auf Moreno zurückführen. Dennoch gibt es einen Typ von Übungen, der zum Grundbestand gruppendynamischer Methodik gehört – von Beginn an. Und zwar sind es zu nicht geringen Teilen Übertragungen von sozialpsychologischen Experiment-Designs in „skill-exercises“, wie sie spätestens seit Bradford, Gibb & Benne (dt. 1972, S. 110, 136) als – eher pädagogische – Bestandteile der amerikanischen Trainings beschrieben werden. Es sind meist Experimente, die von Sozialpsychologen im Umfeld der Lewin-Gruppe in den vierziger Jahren durchgeführt wurden, so z. B. „Alte-junge Frau“, Einweg-Zweiweg-Kommunikation, Quadrate-Übung, Prisoner’s Dilemma und das Asch-Experiment.
Nein, Gruppendynamik ist nie nur reflexive Arbeit am Prozeß gewesen – Übungen haben seit eh und je dazugehört. (Antons-Volmerg, 1989, S. 123 f.)
Im Editorial des genannten Themenheftes unterstreicht Jörg Fengler diese Sichtweise:
ln den ersten Jahren der gruppendynamischen Praxis in Deutschland waren Übungen fester Bestandteil der Laboratorien. Allein schon der Wechsel von Trainingsgruppe, Arbeitsgruppe und Plenum hatte etwas Spielerisches, Leichtes, verglichen mit dem Sitzen und Reden in anderen Seminaren. Übungen und Spiele waren damals gleichsam eine Fortsetzung dieser Beweglichkeit: Die unterschiedlichen Gruppierungen wurden mit einer Instruktion versehen, die eine besondere Tätigkeit, Konfrontation, Erfahrung oder Begegnung ermöglichte. So konnten Themen, die sich konstellierten, fokussiert und kanalisiert werden. ln der Regel wirkte dieses Lernangebot als Impuls auf die nächsten Sitzungen fort und reicherte sie an.
Später gerieten die gruppendynamischen Übungen eine zeitlang ziemlich in Verruf. Es hieß nun, sie seien nicht prozeßorientiert oder eben „Spielchen“. Manche Kolleginnen und Kollegen wandten sich der analytischen Selbsterfahrung zu und betrachteten fortan das Spielen als Agieren; andere übernahmen Supervisionsaufgaben, in denen die fallbezogene Arbeit im Vordergrund stand. Dritte führten Organisationslaboratorien durch, wo Ergebnisse nicht erspielt, sondern verhandelt wurden. Wieder andere berieten nur noch Teams und Institutionen, in denen mit Teamdiagnosen statt mit Spielen operiert wurde. In dieser Zeit schien es bisweilen, als sei der Einsatz von Übungen eigentlich schon immer falsch gewesen. Jedenfalls war er streckenweise unter den echten Professionellen der Gruppendynamik verpönt. (Fengler, 1989a, S. 119)
Wie dies aus der Sicht einer Trainerkandidatin der 80er Jahre aussieht, beschreibt Ute Volmerg:
Das erste Training mit dem geheimnisvollen Titel „Struktur und Prozeß“ wurde dann doch zu einer Krisenerfahrung ohne Gebrauchsanleitung. Mit mir warteten ca. 20 Teilnehmer vergeblich darauf, Übungen und Spiele kennenzulernen, die sie zur Förderung von Lernprozessen und zur Bewältigung von Krisensituationen in ihren Gruppen im eigenen Berufsfeld anwenden könnten. Die Trainer erschienen uns wie Zauberer, deren Hauptfähigkeit darin bestand, Spannungen auszuhalten und nichts zu tun. Sie verweigerten sich auch im weiteren Verlauf der Fortbildung konstant den Bedürfnissen der |24|Teilnehmer, Übungen und Spiele auszuprobieren. Alles andere wurde unseren Lernwünschen entsprechend geplant, nur das Kapitel Übungen wurde ausgelassen.
Meine Ausbildung fand in einer Zeit statt, in der Übungen und Spiele zur Anregung, Beschleunigung oder Aufklärung eines Prozesses abgelehnt wurden. Der Prozeß muß sich quasi aus dem Nichts, aus sich selbst heraus entwickeln wie etwas „Heiliges“, das erst erscheint, wenn sich alle darauf konzentrieren. Wer aus dem magischen Zirkel der T-Gruppe ausbrechen wollte, etwa dadurch, daß er eine Übung vorschlug, disqualifizierte sich selbst. Implizit wurde damit ein Modell des Gruppenleitens vermittelt, in dem alles auf die Person des Gruppenleiters ankommt. Er ist autonom, konfliktfähig, machtbewußt, flexibel, kann seine Gefühle ausdrücken und sie zurückhalten, er ist distanziert und nah, je nachdem wie es die Situation erfordert, kurzum ein Musterbeispiel der reifen, handlungsfähigen und unabhängigen Persönlichkeit. (Volmerg, 1989, 137 ff.)
Der Ehrlichkeit halber muss ich gestehen, dass ich selbst einer dieser Trainer war, die so abstinent mit Übungen umgingen. Diese Entwicklung ist aber wohl eher spezifisch für den Fachverband der Gruppendynamik-Trainer*innen; außerhalb desselben wurden Übungen nach wie vor verwendet.“
Wie sich die Gruppendynamik als Methode in den ersten Jahrzehnten entwickelt hat, ist an vielen Stellen3 beschrieben worden. Für diesen Kontext möchten wir nur vier Wandlungsmomente herausgreifen, die die Verwendung und den Stellenwert von Übungen beeinflusst haben:
von Einmal-Interventionen zu längerfristigen Maßnahmen
vom freien Angebot zur Arbeit in und für Institutionen
vom Angebot für interessierte Konsumenten zum Trainingsprogramm für professionelle Gruppenleiter*innen
von der instrumentellen Gruppendynamik zur Arbeit mit dem Prozess der Gruppe selbst.
Damit haben sich sowohl die Ziele als auch die Ansprüche und nicht zuletzt die Klientel der gruppendynamischen Veranstaltungen gewandelt. Das ursprüngliche sozialpsychologische Lernziel, zu lernen, wie sich der Mensch in der Gruppe verhält, ist heute weniger attraktiv geworden. Aber auch in der gewandelten Anwendung von Gruppendynamik haben Übungen, Spiele, Experimente, oder wie sie immer bezeichnet werden, ihren Stellenwert. Fengler hat im genannten Themenheft selbst einen Artikel verfasst mit dem Titel „Indikation und Kontraindikation |25|für den Einsatz gruppendynamischer Übungen“ (Fengler, 1989b), der jedem Anwender und jeder Anwenderin von Übungen sehr zu empfehlen ist.
Die Entwicklung der Methode hat dazu geführt, dass wir heute mit Zentralbegriffen wie Struktur und Prozess, Design und Intervention arbeiten (vgl. Milesi, 2006/2015; Schmidt, 1983; Voigt & Antons, 1987). Mit dem Design, das heißt dem Plan oder Entwurf einer gruppendynamischen Veranstaltung, reagiere ich als Trainer auf Variablen des Kontextes, auf Variablen der Teilnehmer*innen und auf Variablen bei mir selbst. Nach einer Vordiagnose entwerfe ich ein Design, in dem Übungen durchaus Platz haben können, aber selten an vorgefertigter Stelle einzuplanen sind. Strukturen setze ich nicht durch Inhalte, sondern durch Interventionen wie Gruppengröße, Aufgabenstellung etc. und beobachte kontinuierlich den daraus entstehenden Prozess. ln ihn kann ich mit verbalen oder nonverbalen Interventionen hineinwirken und situativ mitsteuern. So handle ich als Trainer in einem rollenden Prozess von Situationsdiagnose – Intervention – Überprüfung, ohne das Ende jeweils bestimmen oder vorhersehen zu können.
Dass in einem solchen Konzept von Gruppendynamik vorwiegend Übungen ihren Platz haben, die ohne große technische Vorbereitung durchführbar sind, dürfte deutlich werden. Dementsprechend hat sich in solchen prozessorientierten Seminaren auch der Schwerpunkt im Einsatz von Übungen verändert (vgl. dazu Heinzel, 1977; Portele, 1975; Reichele et al., 1977).
Wir bekennen uns zu einer reflektierten Subjektivität in der Anwendung von Übungen: Wenn wir das Spektrum einer Übung aus eigener Erfahrung kennen, wenn sie auf die derzeitige Situation einer Gruppe passt, mit den Zielen der Veranstaltung in Übereinstimmung steht, und wenn sie überdies noch Spaß macht, dann ist sie wohl indiziert und wird ihre Wirkung für den weiteren Prozess haben. – Ein solches Vorgehen ist auch in Einklang mit der wichtig gebliebenen Studie von Lieberman et al. (1974); sie macht deutlich, dass die meiste Variation in der Wirkung von Gruppenveranstaltungen durch einen Faktor zu erklären ist, der mit Trainerstil oder Trainerpersönlichkeit zu benennen ist. Das beinhaltet die Aufforderung, dieses „Instrument“ zu entwickeln und zu pflegen – mindestens jedenfalls so gut wie den Methodenkoffer oder das Trainerhandbuch.
Unsere durch die Begegnung mit der Systemtheorie (vgl. die Themenhefte der Zeitschrift „Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik“ [GT + GD]: Evolution von Gruppenarbeit – brauchen wir einen Paradigmenwechsel?, 1988; Psychoanalyse und Systemtheorie in der Gruppentherapie, 1990 und der Zeitschrift „Gruppendynamik“ [GD]: Gruppendynamik und systemtheoretische Reflexionen, 1990, dort speziell Königswieser & Pelikan, 1990; Krainz, 1990 sowie Wimmer, 1990) weiter entwickelte Identität als gruppendynamische Trainer*innen manifestiert sich bei der Verwendung von Übungen hauptsächlich durch ein Wichtignehmen der Transparenz. Heute ist es für uns unverzichtbar, in einem Kontrakt mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ein Einverständnis darüber herzustellen, dass |26|es nun darum geht, die Realitätsebene zu wechseln; dass die Übungssituation – eine durch den Spielrahmen begrenzte und vielleicht verfremdete Situation – für eine bestimmte Zeit fordert, sich einzulassen, dabei neue Erlebnisse und Erfahrungen zu machen, und nachher diese Erfahrungen selbst auszuwerten.
Wichtig geworden ist uns inzwischen ein breites Spektrum nonverbaler Übungen, all das, was mit Körperarbeit zu tun hat oder mit Analogien arbeitet. Die Literatur dazu ist aus der Gestaltrichtung, den Neo-Reich’schen Therapierichtungen, aus der Themenzentrierten Interaktion (TZI), dem Psychodrama und anderen so zahlreich geworden, dass wir uns mit einigen Literaturhinweisen begnügen müssen (Däumling, 1976; Vopel, 1974, 1989; die Themenhefte der Zeitschrift GD: Körpersprache, 1974 und Nonverbale Verfahren in der Therapie, 1983).
Manche der hier beschriebenen Übungen könnte man durchaus als Gesellschaftsspiele betrachten – einige wie 4.7 und 5.5 sind es sogar. Das ist aber nicht die Intention, mit der sie zusammengestellt wurden. Diese Übungen führen in Erlebenssituationen, deren Reflexion und theoretische Verarbeitung sie zu transferierbaren Erfahrungen macht. Es sind also strukturierte Gruppensituationen, in denen das Leitungsteam simulierte Situationen oder einfache Verhaltensaufforderungen vorgibt, in deren Durchspielen die Teilnehmenden angeregt – oder gar provoziert – werden, sich selbst und ihre auf andere bezogenen Verhaltensweisen wahrzunehmen und neues Verhalten zu erproben.
Versucht man, die hier beschriebenen Übungen in eine Ordnung zu bringen, dann stehen am einen Pol eines Kontinuums strategische Sandkastenspiele und Management-Spiele (vgl. Abt, 1971 sowie die in 4.0 und 4.6 angegebene neuere Literatur), in denen Sachziele und deren möglichst optimale, strategisch-ökonomische Lösung angestrebt sind. Gruppe hat hier primär die Bedeutung, möglichst effizient zu arbeiten; Konflikte werden eher umgangen als ausgetragen. Organisationstrainings mit Planspielcharakter sind die entsprechende Organisationsform.
Am anderen Pol stehen Übungen zur Selbstkonfrontation, Encounter-Techniken und nonverbale Übungen (Bach & Bernhard, 1972; Schutz, 1969/1971; Vopel, 1974), oder auch eine Übung wie die Lebens- und Laufbahnplanung (siehe Übung 10.8). Hier dient die Gruppe eher als Vehikel zur Konfrontation und Reifung des Individuums; der Einzelne hat den Gewinn; das ist das Ziel des klassischen Sensitivity-Trainings, das früher auch als „Therapie für Normale“ bezeichnet wurde.
Die meisten der hier beschriebenen Übungen lassen sich in der Mitte des Kontinuums ansiedeln. Sie fokussieren auf die Fortentwicklung einer Gruppe, die ihrerseits basiert auf den Fähigkeiten und Potenzialen, die die einzelnen Teilnehmen|27|den mitbringen – und die doch etwas anderes ist als die Summe ihrer Teile: Durch Arbeit in der Gruppe entsteht ein „Mehrwert“, eine eigene Gestalt, die es zu erkennen gilt.
Weiterhin enthalten sind länger dauernde Übungen, die noch den quasi-experimentellen Charakter haben und Zeit zur Vorbereitung und Auswertung brauchen. Wir möchten nicht dem Trend zum „immer schneller“ aufsitzen, dennoch sind auch Übungen aufgenommen, die nur kurze Zeit benötigen. Dabei ist es erstaunlich, wie viel an Prozessinformation aus einer 15-minütigen Entscheidungsfindung einer fünfköpfigen Gruppe herauszuholen ist (z. B. Übungen 5.7 und 6.5). Es sind also lange wie kurze Übungen enthalten.
Viele der älteren, ursprünglichen Übungen (2.2, 3.1, 4.2, 4.4) haben ihre Wurzeln in experimentellen Versuchsanordnungen der empirischen Sozialpsychologie und Kleingruppenforschung. Der Unterschied zum Experiment ist allerdings, dass die gemachten Erfahrungen hier nicht einem Wissenschaftsapparat zur Verfügung gestellt, sondern der eigenen Reflexion zugeführt werden. Insofern ist die in den früheren Auflagen diskutierte Frage der empirischen Überprüfbarkeit der Wirkung von Übungen (vgl. Argyris, 1972) hier völlig ausgeblendet; sie interessiert vermutlich niemanden mehr. Die experimentelle Kleingruppenforschung ist nicht die einzige Quelle oder Nährmutter dieser Übungen. Es fließen hier Anleihen aus Psychodrama, Soziometrie, Gestaltarbeit, Psychotherapie, Spieltheorie, Konfliktforschung, Organisationstheorie und anderen Disziplinen ein. Wesentlich mehr Anleihen haben wir, gegenüber den früheren Auflagen, beim Psychodrama gemacht. Dies geschah aus dem in den letzten Jahren sich verstärkenden Bewusstsein, wie verwandt beide Verfahren von ihrem Ursprung her (Petzold, 1978, 1980) sind und dass sie, zusammen mit Gruppenanalyse und TZI, die einzigen genuinen Verfahren sind, die die Gruppe und nicht die Person als Grundgesamtheit haben. Eszter Stréda sei herzlich dafür gedankt, dass sie die psychodramatischen Entlehnungen auf methodische Stringenz geprüft hat, Peter Wertz-Schönhagen für Hinweise zur Psychodrama-Literatur.
Gemeinsam ist den meisten Übungen ein Spiel- oder Simulationscharakter. Sie entbehren damit einen Teil des konfrontativen Charakters, den die Arbeit in der Trainingsgruppe auszeichnet. Dadurch können sie sowohl auflockern und Kreativität als auch Dynamik in Gruppen hineinbringen. Der Spielcharakter ist dabei ein doppelter: In der Übung wird der totale Ernst (einer Lernsituation) verlassen; zusätzlich ermöglicht die häufige Übernahme anderer Rollen die Erweiterung der eigenen Identität. Das wird verstärkt, wenn die Übung einen Wechsel des Interaktionsmediums anbietet, wenn von der dominanten Sprache, der verbalen Kommunikation, ins Tun und nonverbale Handeln gewechselt wird. Das ist nicht selten mit Irritation, „Unfreezing“, Verfremdung und Notwendigkeit zur Neuorientierung verbunden. Der Ebenenwechsel ermöglicht Erfahrungen auf weniger eingefahrenen Geleisen.
|28|Die Übungen können somit für verschiedene Ziele eingesetzt werden, wobei wir auch auf den differenzierten Indikationskatalog von Fengler (1989b) verweisen möchten:
Sie können verwendet werden, um die Thematik einer Lernveranstaltung anzustoßen. Diese Bahnungsfunktion kann dazu führen, dass modellhaft erlebte und eventuell erfolgreich gelöste Probleme im weiteren Verlauf von den Teilnehmer*innen schärfer beobachtet und reflektiert werden.
Sie können eingesetzt werden, um eine Stagnation der Dynamik in einer Gruppe zu überwinden. – Allerdings setzen wir sie mit zunehmender Erfahrung immer seltener für diesen Zweck ein. Wir fragen lieber: „Was ist hier los?“ Die gemeinsame Diagnose der Situation kann dann dazu führen, dass eine Übung indiziert – oder schlicht eine Pause angezeigt ist.
Sie können helfen, um sogenannte „fast greifbare Probleme“, die sich jedoch der Verbalisierung entziehen, am Modell bewusst werden zu lassen und damit einer emotionalen wie rationalen Klärung zuzuführen.
Sie können helfen zu überprüfen, ob gelernte sozial-emotionale Kompetenzen auf andere Situationen übertragbar sind.
Sie können unter Umständen dazu dienen, real nicht zu bewältigende Konflikte modellhaft durchzuspielen und eine andere Haltung zu ihnen zu gewinnen.
Die zentrale Methode der Gruppendynamik, die Trainingsgruppe, ist überwiegend im Sitzen durchzuführen. Galt es früher, unter einem psychoanalytisch geprägten Paradigma, Spannungen sitzend auszuhalten und nicht ins Agieren zu verfallen, so wird heute eher der wenig gesunde Aspekt dieses Durchhaltens gesehen. Jede Form von Bewegung kann eine übermäßige Spannung auf ein dem Lernen dienliches Niveau senken.
Sie können in Kurzveranstaltungen gruppendynamische Prozesse in verdichteter Form demonstrieren und motivieren, sich weiter für die Dynamik in Gruppen zu interessieren.
Damit ist auch der weitere Indikationsbereich von Übungen umrissen: Sie sind anwendbar bei allen Formen von Veranstaltungen, in denen nach dem Interventionskonzept (siehe Arbeitspapier 9.9.3) das Besprechen von Interaktionen, Beziehungen und Prozessverläufen angemessen, sinnvoll oder gar Sinn und Zweck der Veranstaltung sind.
Trotz des hohen Potenzials, das in ihnen steckt, sind Übungen kein Allheilmittel. Sie sind nur eine unter vielen Interventionsmöglichkeiten, und es gibt durchaus gruppendynamische Veranstaltungen ganz oder fast ohne Übungen (vgl. oben das Zitat von Ute Volmerg). Es bedarf der gezielten und gekonnten Auswahl, um vorherzusehen, was „in ihnen steckt“. Und das heißt: Keine Übung an anderen ausprobieren, deren Wirkung man nicht am eigenen Leib erfahren hat! Die Wirkung einer Übung ist stets abhängig von den Fähigkeiten des Anleiters/der Anleiterin – und das heißt auch, die Auswirkungen halten zu können im Sinne des Containing. |29|Nicht zuletzt hängt die Wirkung von der Gruppe ab, die sie durchführt. Und wenn da gerade Widerstand angesagt ist, nützt die beste Übung nichts. Dann gilt wieder die zentrale gruppendynamische Frage: „Was ist hier denn eigentlich los?“
Daraus werden vier Forderungen deutlich, die dieses Buch an seine Benutzer*innen stellt:
Die Übungen sind nur geeignet für Personen, die – dank Selbsterfahrung, Ausbildung und Supervision – mit gruppendynamischen Methoden und Techniken umgehen können. Wer Gruppendynamik lediglich als eine leiterinduzierte Serie von Überraschungseffekten versteht, ist dezidiert nicht angesprochen.
Das Buch ersetzt nicht die eigene Schulung und Ausbildung. Erst eine geschärfte Wahrnehmung, gezielte Beobachtung und das methodische Einbringen derselben in die Gruppe und die gemeinsame Reflexion von Verhaltensweisen während eines Übungsablaufes ermöglichen das gekonnte Umgehen mit gruppendynamischen Prozessen.
Diese Sammlung ist kein Kochbuch. Es geht darum, anhand einer Diagnose der Gruppensituation die anstehenden Themen und Konflikte einer Gruppe zu bestimmen und eine geeignete Übung dazu auszuwählen – oder, besser, anhand der hier beschriebenen Grundmuster für die spezifische Situation zu erfinden und neu zu entwickeln. Aus unserer Erfahrung sind das die stimulierendsten Situationen: eine Vorlage zu nehmen und sie möglichst genau auf die anstehende Situation umzubauen. Der Kreativität sind dabei keine Grenzen gesetzt.
Die Provokation von Gefühlen und der Versuch, konstruktive Dynamik in einer Gruppe zu entfalten, erfordert Können, Vorausschau und Bereitschaft zur Verantwortung. Eine erfolgreiche Anwendung setzt „ein kritisches Theorien- und Methodenbewusstsein sowie das Vorhandensein klarer Zielvorstellungen“ (Prose, 1974, S. 51) voraus. Ohne diese Kompetenzen Emotionen anderer Menschen zu evozieren, ist Missbrauch und Scharlatanerie.
In keiner der früheren Auflagen waren – ganz bewusst – Übungen nach dem Muster „Einer fliegt raus“ enthalten. Sie spielen in einer u. E. unprofessionellen Gruppendynamik (Sichrovski, 1988) nach wie vor ebenso eine große Rolle wie in den Fernsehserien Big Brother, Dschungelcamp etc. Eine professionelle Gruppendynamik macht es sich explizit zur Aufgabe, Alternativen zum Ausschluss eines ungeliebten Mitglieds zu finden (vgl. Arbeitspapier 7.9.5).
Aus dieser Auflage sind auch alle Übungen entfernt worden, die mit „doppeltem Boden“ oder einer „hidden agenda“ operieren: Naive Versuchspersonen wie im Asch-Experiment oder bei Milgram werden in eine Situation geführt, in der es eigentlich um etwas anderes geht als angesagt, und erhoben werden Konformität, Gehorsam o. Ä. Diese Übungen entsprechen nicht mehr unserem heutigen Verständnis von Erwachsenenlernen und unseren Vorstellungen von Lernbeziehungen von Erwachsenen; sie sind Relikte aus der McCarthy-Ära. Die Paradig|30|men der Erwachsenenbildung haben sich geändert; mit einem gewachsenen Glauben an die Selbstorganisationsfähigkeit von Gruppen haben Übungen, die auf Herrschaftswissen basieren, keinen Platz mehr. Auch die Zeit der Einwegspiegel ist vorbei; die paranoiafördernden Versuchsanordnungen (mit Mikrofon aus dem Nebenraum …) sind überholt.
Peter R. Hofstätter (1957, S. 92) hat dieser Haltung bereits im ersten deutschsprachigen Buch über Gruppendynamik Ausdruck verliehen, wenn er schreibt: „Die gruppendynamischen Laboratoriumsuntersuchungen der Michigan-Schule muten z. T. recht gekünstelt an, außerdem mag man sich fragen, ob die in beinahe jedem dieser Experimente anzutreffende Irreführung der Vpn wirklich gerechtfertigt ist. Es gibt wohl so etwas wie einen persönlichen Stil des Experimentierens, und ich muss gestehen, dass mir die Erweckung falscher Annahmen in den Vpn widerstrebt.“
Verändert hat sich auch der Glaube an die Planbarkeit von Prozessen. Mit aller Erfahrung stehen wir zu Beginn eines Trainings oder einer anderen prozessorientierten Gruppenarbeit vor der Situation, dass wir nicht wissen können, wo der Prozess enden wird. Früher haben wir das unserer mangelnden Erfahrung zugeschrieben – heute wissen wir, dass Gruppenprozesse nicht planbar sind. Prinzipien der Selbstorganisation und die Nichtlinearität komplexer Systeme sind heute aus den Naturwissenschaften vertraut geworden – sie bestätigen letztlich den Ansatz der Gruppendynamik. Das bedingt auch das Selbstverständnis als Trainerin oder Trainer: Ich bin im Hier und Jetzt präsent und verhalte mich in einem gemeinsamen Suchprozess in Wechselwirkung mit der Gruppe. Insofern ist das Prinzip der sich selbst untersuchenden Gruppe geblieben.
Die nunmehr 45 Jahre Laufzeit des Buches und viele Rückmeldungen haben dazu geführt, dass inzwischen die allermeisten Quellen von Übungen und Arbeitspapieren aufgedeckt sind. Sollten sich dennoch Übungsautor*innen übergangen und nicht genannt fühlen – wir sind dankbar für weitere Hinweise.
Alle Arbeitspapiere der oben genannten Autoren wurden gründlich überarbeitet und soweit modifiziert, dass es unzutreffend wäre, sie noch den Ursprungsautoren zuzuschreiben. Spätere Papiere von Klaus Doppler und Bert Voigt sowie von Ute Volmerg sind nahezu unverändert übernommen worden und mit deren Namen versehen. Dank geht an Rosemarie Budziat, Monika Stützle-Hebel und Rudi Ballreich für ihre beigesteuerten Übungen.
Wir möchten an dieser Stelle jene Bücher nennen, denen die ursprüngliche Fassung viele Anregungen verdankt: In erster Linie den Büchern von Tobias Brocher, Don Nylen sowie J. W. Pfeiffer und J. E. Jones.
Anregungen verdanken sich auch der großen Anzahl von klassischen Lehrbüchern der Sozialpsychologie, von denen hier summarisch in der Reihenfolge ihres Erscheinens aufgezählt sein sollen:
|31|Auf angloamerikanischer Seite: Asch, 1952; Lindzey, 1954; Proshansky & Seidenberg, 1956; Newcomb, 1959; Morgan, 1961; Jones & Gerard, 1967; Krech, Crutchfield & Ballachey, 1962; Secord & Backmann, 1964 und 1983; Brown, 1965; Newcomb, Turner & Converse, 1966; McDavid & Harari, 1968; Lindesmith & Strauss, 1968; Borgatta, 1969; Hartley & Hartley, 1969; J. Mills, 1969.
Auf deutscher Seite sind es, etwas verzögert: Hellpach, 1951; Beck, 1960; Lersch, 1964; Oldendorff, 1965; Hofstätter, 1966; Battegay, 1968, 1969; Graumann, 1972; Irle, 1972; Mann, 1972 und schließlich Hiebsch & Vorweg, 1967 von marxistischer Seite.
Gruppendynamik entstammt einem sozialpolitischen Kontext. Das merkt man den Übungen kaum noch an. Und es war in den vergangenen Jahren ein untergeordnetes Thema. Gruppendynamik wurde zum Handwerk in einer Gesellschaft der Individuen.
Mit dem Begehen des 50-jährigen Jubiläums der institutionalisierten Gruppendynamik in Deutschland am 6. Dezember 2018, zu der diese Neuauflage vorliegt, hat sich das Interesse wieder den damaligen Fragestellungen zugewandt. Mit der Frage, was Gruppendynamik heute noch leisten kann, verbindet sich das Anliegen herauszufinden, was und wie sie zur Demokratisierung in einer Gesellschaft beitragen kann, in der diese Werte zu erodieren scheinen.
Mit re-education ist ein Programm der US-amerikanischen Regierung gemeint, das bereits vor dem Ende des 2. Weltkriegs entwickelt wurde und darauf ausgerichtet war, Deutschland und Österreich nach dem Nazi-Regime zu demokratischen Staaten umzuerziehen. Kurt Lewin war einer derjenigen, die damit beauftragt waren.
Es erschien etwa zeitgleich mit einer Reihe ähnlicher Übungshandbücher (bzw. eine Anzahl von Übungen enthaltender Bücher), von denen viele vom Markt verschwunden sind, andere sich gehalten haben, wie z. B. die von Vopel. Hier seien lediglich ältere deutschsprachige aufgeführt: Bödiker & Lange, 1974; Brocher, 1967; Dießner, 1997/2005; Douglas, 1981; Fatzer & Jansen, 1980; Frör, 1973, 1974; Heintel, 1974; Hespos, 1982; Kelber, 1970; Kirsten & Müller-Schwarz, 1974; Kirsten & Vopel, 1974; Küchler, 1979; Malcher, 1972; Mucchielli, 1972; Rohrer, 1970; Schwäbisch & Siems, 1974; Shaffer & Galinsky, 1976; Vopel, 1974; Weber, 1967; Weber et al., 1986).
Doppler & Voigt, 1982; Dorst, 1982; Edding, 1978; König, 1997/2006; Nieder, 1979; Orlik & Bullinger, 1978; Rechtien, 2007, S. 66 ff.; Schmidt, Doppler & Voigt, 1982; Wellhöfer, 1993 sowie viele der im Literaturverzeichnis genannten Themenhefte der Zeitschriften „Gruppendynamik und Gruppenpsychotherapie“ und „Gruppendynamik“, insbesondere: Colloquium Gruppendynamik – Versuch eines Fazits (1981); Mein Selbstverständnis in der Gruppendynamik – sieben Beiträge (1983); Instrumentelle versus reflexive Gruppendynamik (1987); Gruppendynamik und systemtheoretische Reflexionen (1990). – Die neuere Entwicklung ist markant wiedergegeben bei König, 2003, 2007, 2010 und 2011.
Der Aufbau des Buches folgt in etwa der sozialpsychologischen und prozessbedingten Entwicklung von Gruppen in Trainingssituationen. Ein solcher Prozess entwickelt sich nicht unabhängig vom Design der Veranstaltung, von den Zielen und Interventionen des Leitungsteams. So tritt zum Beispiel die Entscheidungsproblematik bei offenen Organisationsentwicklungs-Trainings wesentlich früher auf als in strukturierteren Situationen. Sicher ist nur, dass Kapitel 1 und 10 nicht austauschbar sind.
In diesem Buch fehlt bewusst eine Aufteilung in Gruppenübungen versus Intergruppenübungen. Mithilfe der in Kapitel 4 bearbeiteten Begriffe Kooperation und Konkurrenz ist jedoch unschwer eine Klammer zwischen diesen beiden Übungstypen zu finden: Ein guter Teil der Übungen lässt sich sowohl für Inter- als auch für Intragruppenprozesse verwenden.
Jedes der zehn Kapitel ist in sich partiell geschlossen. Die jeweilige Einführung enthält eine kurze Erörterung und Diskussion des betreffenden Themenbereiches. In einigen Kapiteln gibt es zusätzlich Informationsblöcke, die in Kästen gesetzt sind. – Einige Kapitel stehen jedoch in engem psychologischen Zusammenhang, so zum Beispiel das Kapitel 4, Kooperation und Konkurrenz, mit Kapitel 5, Gruppenentscheidungen und Gruppenkonflikte. – Prinzipiell sind fast alle Übungen polyvalent, die meisten fokussieren auf mehr als ein Prozessthema. Der Kontrollierte Dialog (3.4) zum Beispiel ist geeignet, Wahrnehmungs- und Kommunikationsbarrieren erleben zu lassen, aber auch um die Notwendigkeit und den Sinn von Feedback-Prozessen in Gruppen zu demonstrieren. Die klassische Übung Dienstwagen (5.2) kann auf Kooperation, Wettbewerb, Entscheidungsprozesse in Gruppen, ebenso auch auf die Notwendigkeit des Äußern und Eingehens auf Bedürfnisse fokussieren. Abhängig von den jeweiligen Zielen einer Veranstaltung gilt es zu entscheiden, welche Aspekte mit einer Übung besonders beleuchtet werden sollen.
Die Aufteilung der Kapitel folgt dem Dezimalschema. Vor dem ersten Dezimalpunkt erscheint das entsprechende Kapitel, das auch in der Kolumnenzeile gekennzeichnet ist, sodass eine rasche Übersicht und damit ein handliches Arbeiten möglich ist. Hinter dem ersten Dezimalpunkt erscheint unter .0 jeweils die Einführung in die Thematik des Kapitels, unter .1 bis .8 die Übungen und unter .9 die dazu gehörigen Arbeitspapiere.
|33|Diese Arbeitspapiere sind Aufsätze, Ausführungen, theoretische und praktische Grundlagen, die sowohl für Teilnehmende als auch für Trainer und Dozentinnen erhellend und relevant sein können. Alle Papiere wurden von den Verfasser*innen neu geschrieben oder überarbeitet unter Verwendung vieler anderer Papiere, deren Autor*innen – soweit bekannt – jeweils vermerkt sind.
Jede Übung besteht aus einem Übersichtsblatt, das durch eine Umrandung und eine stets wiederkehrende Aufteilung und Form der Übungsbeschreibung gekennzeichnet ist. Viele Übungen bedürfen zusätzlicher Erklärungen und Anleitungen. Diese finden sich auf den jeweils folgenden Seiten.
Dazu im Einzelnen:
1. Titel
Die nummerierten Titel der Übungen sind zum Teil aus der Literatur übernommen; zum Teil sind sie in der Feldarbeit entstanden und haben gelegentlich Jargon-Charakter.
2. Stichworte
Die Titel beanspruchen nicht, die gesamte Variation einer Übung auszuschöpfen. Aus diesem Grund wurden Stichworte, die die Übung charakterisieren, in die erste Zeile gesetzt.
3. Ziel
Die Zieldefinitionen der Übungen sind zum großen Teil von den Verfasser*innen; ein kleinerer Teil wurde aus der Literatur übernommen, besonders aus Brocher (1967) und Nylen et al. (1967).
4. Indikation
Sie führt die Zielaussage fort, differenziert und spezifiziert sie. Es finden sich Angaben dazu, in welcher Art von Veranstaltungen und in welcher Entwicklungsphase die betreffende Übung sinnvollerweise einzusetzen ist (vgl. die Indikationskriterien in der Einleitung unter Abschnitt 3).
5. Übungstyp, Beteiligte
Hier wird der äußere Rahmen der Übung in Kurzform beschrieben. Dabei unterscheiden wir folgende Gruppenarten: TG oder Trainingsgruppe bezeichnet die klassische Trainingsgruppe, wie sie seit Lewin (vgl. Bradford, Gibb & Benne, 1966/ 1972) verwendet wird. Weiterhin gibt es thematisch orientierte Trainingsgruppen, im Sinne der themenzentrierten Interaktion (Cohn, 1970, 1975/2016; |34|Cohn & Farau, 1984/1999; Klein, 1984/2017; Rubner & Rubner, 2016), Arbeitsgruppen und Reflexionsgruppen; die letzteren sind meistens zu dritt unterwegs. Die Zweiergruppe, die Dyade, ist laut Definition keine Gruppe, kann aber im Lernprozess ebenso sinnvoll eingesetzt werden wie die Einzelarbeit. Das Plenum ist die Gesamtheit der in einer Veranstaltung anwesenden Teilnehmenden mitsamt dem Leitungsteam. – Weiterhin wird angegeben, in welcher Funktion das Leitungsteam beteiligt ist.
6. Durchführung
Wenn die Durchführung kurz zu beschreiben ist, steht sie direkt im Übersichtsblatt. Umfangreiche Anleitungen finden sich auf den nachfolgenden Seiten. Wo wörtliche Anleitungen wiedergegeben sind, wurden sie meistens in der Sie-Form formuliert. Uns ist bewusst, dass nicht nur in der Schweiz, sondern auch in vielen deutschen Subkulturen das Du ebenso verbreitet ist.
7. Dauer
Es wird die durchschnittliche bzw. optimale Gesamtdauer der Übung (mit Auswertung) in Minuten angegeben.
8. Unterlagen, Material
Erfordert eine Übung spezielle Unterlagen oder Materialien, ist dies jeweils erwähnt. Wir haben der Tatsache Rechnung getragen, dass in den meisten heutigen Tagungsorten inzwischen Flipchart, Pinnwand, Moderationsmaterial und Beamer zum Standard gehören. Dem Moderationsmarkt sind weiter unten einige Gedanken gewidmet. – Anzumerken ist aber auch, dass in einer hochmodernen, 2014 erst fertig gewordenen Hochschule die Lehrräume wieder mit Tafel und Kreide ausgerüstet sind.
9. Geeignete Arbeitspapiere
Die hier erwähnten Arbeitspapiere können vorher, während oder nach einer Übung eingesetzt werden.
10. Auswertungshilfen
Anregungen für eine Auswertung sind meist in Frageform angegeben. Verweise auf Auswertungsblätter sind ebenfalls hier erwähnt.
11. Variationen
Hier erscheinen Abänderungsmöglichkeiten und Modifikationen der Grundübung sowie Anregungen zur Erweiterung und Veränderung der Fragestellung.
|35|12. Analoga
Hier sind Übungen verzeichnet, die – bei einem vielleicht ganz anderen Aufbau – für ähnliche oder gleiche Ziele eingesetzt werden können; es sind Übungen, die an anderer Stelle dieses Buches erscheinen, aber auch solche aus der Übungsliteratur, die nicht in diesem Buch stehen.
13. Autor
Die Autoren und Autorinnen sind hier, soweit sie uns bekannt sind, genannt. Die Frage der Urheberschaft ist, wie auch in der Volksmusik, ausgesprochen schwierig. In den 45 Jahren Laufzeit der früheren Auflagen konnten viele, aber nicht alle Autorenschaften geklärt werden. Im Sinne eines Wissenschafts-Bewusstseins und gegen den geistigen Diebstahl sind wir weiterhin für Hinweise dankbar. – Soweit bekannt, wurden die jeweiligen Autor*innen einer Übung angegeben, wobei Namen mit Jahresangaben publizierte und ins Literaturverzeichnis aufgenommene Quellen bezeichnen, Namen ohne Jahresangaben die Autoren von mündlich überlieferten oder vervielfältigten Übungen, die nicht dem Rang einer Publikation entsprechen.
14. Literatur, Erfahrungen
Hier sind sowohl sozialpsychologisch-experimentelle Quellen und Untersuchungen als auch Werke vermerkt, die vom Theoretischen her den Problemkreis bearbeiten. Zudem finden sich hier in wenigen Worten zusammengefasste Erfahrungsberichte. Nicht immer entstammen die Übungen zitierfähigen Quellen. – Die relevanten Auseinandersetzungen um gruppendynamische Übungen fanden in den 70er und 80er Jahren statt. Wir haben diese alten Quellen belassen, sie aber soweit möglich um neuere ergänzt.
Bei einigen Übungen ist es ungünstig, wenn Teilnehmende diese schon kennen. Eventuell haben nicht mehr alle die gleiche Ausgangslage, was sich auf den Gruppenprozess auswirkt. Dies sind, teilweise nur bedingt: Alte Frau – Junge Frau (2.2), Kohlengesellschaft (4.3), Sin-Obelisk (6.5.2) und Fernöstliche Weisheiten (6.5.1). Bei allen anderen Übungen kann eine Wiederholung vertiefte Einsichten ermöglichen. Viele der Übungen sind auch nach mehreren Wiederholungen, selbst für Übungsleiter, immer noch mit neuer Faszination verbunden. Der Verlauf einer Übung ist in jeder Gruppe anders und gleicht sich eigentlich nie.
In manchen Übungsbeschreibungen verwenden wir die weibliche, in anderen die männliche Form. Oft verwenden wir Formen wie Autor*innen.
|36|Bei den nonverbalen Arten der Darstellung von Gruppenergebnissen (die oft ergiebiger und vergnüglicher sind als Flipchart-Präsentationen) verwenden und benennen wir verschiedene Formen: Eine Pantomime ist die szenische Darstellung eines Geschehens ohne Worte, bei den Montagsmalern geht es um das Zeichnen und Erraten von Begriffen. Ein Sketch ist eine Kurzszene mit Worten und Handlung, eine Skulptur ist die unbewegte Darstellung einer Szene mit mehreren Körpern, die Diaschau eine Serie von Stellbildern oder Skulpturen, die mit dem Kommando „Augen zu – Augen auf“ gewechselt werden. Dazu gibt es noch Gruppenmaschinen, die in bewegter Weise typische Verhaltenssequenzen von Gruppen als Körperskulpturen darstellen.
Dieses Kapitel geht – wie das ganze Buch – von der Annahme aus, dass heute viele, wenn nicht sogar die meisten Trainings, Lernveranstaltungen und Schulungen, in denen es um das Lernen von Erwachsenen geht, dem Prozess genauso viel Beachtung schenken wie dem Thema. Unter dieser Prämisse wird die Frage wichtig: Wie genau beginnen wir? Wir gehen davon aus, dass Kurse, Seminare, Trainings, Workshops, Großgruppenveranstaltungen etc. nicht von einer einzelnen Person, sondern von einem Team vorbereitet und/oder durchgeführt werden.
Der Anfangsphase kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, als sie für fast jeden Menschen eine Situation emotionaler Verunsicherung ist. Im Verständnis einer erhöhten Prägungs- und Lernbereitschaft (im Sinne von Konrad Lorenz) kann sie ganz entscheidende Weichen für den weiteren Verlauf stellen. Es gilt zu bedenken, dass Menschen, die zu einer Lernveranstaltung anreisen, eine zumindest kleine Trennungssituation hinter sich haben: aus dem gewohnten häuslichen Ambiente, von den Familienmitgliedern, von den gewohnten Rollen. Damit ist eine Labilisierung gegeben, die zum einen mit Neugier auf das Bevorstehende, zum anderen aber mit einer Orientierungslosigkeit in der neuen Umgebung einhergeht und als Bedrohung der Identität erlebt werden kann (siehe Arbeitspapiere 1.9.1, 1.9.2 und 1.9.4).
Was in diesem Buch ein Kapitel einnimmt, dem hat Geißler (1989/2016) ein ganzes Buch gewidmet; neben seinen „Anfangssituationen“ hat er auch eines mit dem Titel „Schlusssituationen“ (1992/2005) verfasst – dem begegnen Sie dann im Kapitel 10 wieder. Beide Bücher zeichnen sich durch eine humorvolle und phantasiereiche Umkreisung ihres Themas aus. Auch der Dauerbrenner von Langmaack und Braune-Krickau (1985/2012) befasst sich aus der TZI-Perspektive sorgfältig mit dem Beginn einer Gruppe sowie dem, was noch davor ist.