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"Ein bedeutendes und lesenswertes Buch für alle, die an theoretischer und praktischer Auseinandersetzung interessiert und in dem Feld tätig sind oder tätig werden wollen." systhema "Eine absolut überzeugende Darbietung und Bearbeitung des Themas." Prof. Dr. Grit Behse-Bartels "Ein bedeutendes Buch für alle die an theoretischer und praktischer Auseinandersetzung interessiert und in dem Feld tätig sind oder tätig werden wollen." Haja Molter & Birgit Wolter Und es geht doch! Kinder, Jugendliche und Familien, die über Hilfen zur Erziehung betreut werden, sind sich oft nicht ihrer eigenen Ressourcen bewusst. Was können professionelle Helfer tun, damit die Betroffenen ihre eigenen Stärken erkennen, ihr Potenzial entfalten und damit den Anforderungen des Alltags besser gerecht werden können? Iris Winkelmann zeigt anschaulich und fundiert auf, dass Jugendhilfe und stationäre Hilfen besser gelingen, wenn die verantwortlichen Erzieher, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen ihre Arbeit systemisch ausrichten. Wo die Förderung von Ressourcen im Hilfeprozess fest verankert ist, können die betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien Selbstwirksamkeitserfahrungen machen, die ihnen helfen, auch in schwierigen Lebenssituationen zu bestehen. Die Autorin stützt ihr Konzept auf ihre langjährige Tätigkeit in den Hilfen zur Erziehung und auf eigene qualitative Forschungen. Neben den Ressourcen der Mitarbeiter in der Jugendhilfe berücksichtigt sie auch Kontextbedingungen wie die finanzielle und personelle Ausstattung in den Ämtern. Das Ergebnis ist ein Buch von hoher Praxisrelevanz, das sowohl den Betreuern als auch den Betreuten neue Handlungsmöglichkeiten und Optionen eröffnet. Die Autorin: Iris Winkelmann, Dr. phil., Pädagogin, M. A.; Studium der Pädagogik, Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie Germanistik; Promotion zum Thema "Ressourcenförderung in der stationären Jugendhilfe – Eine qualitative Untersuchung zur Umsetzung systemischer Konzepte". Weiterbildungen: Systemische Supervision (SG), Psychodramatische Familienkonstellationsarbeit, Systemische Therapie und Beratung (SG); selbstständige Supervisorin und Trainerin.
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Seitenzahl: 310
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Iris Winkelmann
Mit einem Geleitwort von Haja Molter und Birgit Wolter
Dritte Auflage, 2024
Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:
Prof. Dr. Dr. h. c. Rolf Arnold (Kaiserslautern)
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Reihengestaltung: Uwe Göbel
Umschlagfoto: © photocase/frau L.
Redaktion: Markus Pohlmann
Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten
Printed in Germany
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Dritte Auflage, 2024
ISBN 978-3-8497-0018-8 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8224-5 (ePub)
© 2014, 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag
und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
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Geleitwort
Vorwort
Einleitung
Zur Gliederung des Buches
1Ressourcenförderung aus drei Perspektiven
1.1 Wie viel systemisches Denken brauchen die Hilfen zur Erziehung?
1.1.1 Identität entsteht im Miteinander – sozialer Konstruktionismus
1.1.2 Beziehungsarbeit als Kernfaktor gelingender Hilfen
1.1.3 Der Nutzen der systemischen Therapie in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
1.1.4 Die Lösung im Fokus
1.1.5 Familienarbeit als »ethnologische Feldforschung«
1.1.6 Ressourcenorientierte Einrichtungskulturen
1.2 Das Salutogenesekonzept
1.2.1 Stimmigkeit erleben – Kohärenzgefühl
1.2.2 Resilienz als Entwicklungsmotor in schwierigen Lebenssituationen
1.3 Capabilities-Approach – Potenziale nutzen
1.4 Einfach die Perspektive wechseln? – Kritische Einordnung des Ressourcenansatzes
2Bewältigungsanforderungen spezifischer Lebenslagen
2.1 Identitätsentwicklung
2.2 Entwicklungsaufgaben von Eltern
2.3 Anforderungen und Ressourcen des Jugendalters – Jugendliche als Grenzgänger
2.4 Entwicklungsaufgaben im jungen Erwachsenenalter
3Hilfen zur Erziehung
3.1 Stationäre Jugendhilfe
3.1.1 Entwicklungen in der stationären Jugendhilfe
3.1.2 Impulse aus der Forschung
3.2 Ambulante Jugendhilfe
3.2.1 Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH)
3.2.2 Erziehungsbeistandschaften
3.3 Partizipation und Beschwerdemanagement
3.3.1 Partizipation und Beschwerdemanagement in den stationären Hilfen
3.3.2 Partizipation und Beschwerdemanagement in den ambulanten Hilfen
3.3.3 Beschwerde als Ressource
4Anregungen für eine systemisch-ressourcenorientierte Praxis in den Hilfen zur Erziehung
4.1 Ressourcenfördernde Grundhaltungen
4.1.1 Respekt vor den Lebensgeschichten und -entwürfen der Klienten
4.1.2 Passung pädagogischer Interventionen
4.1.3 Gelingende Kooperation von Helfern, Klientensystemen und relevanten Umwelten
4.2 Hilfeplanung
4.2.1 Auftragsklärung
4.2.2 Zielformulierung
4.2.3 Family Group Conference als Beteiligungsmöglichkeit des familiären Netzwerks an der Hilfeplanung
4.3 Selbstwirksamkeitserfahrungen schaffen
4.3.1 Sich durch Beteiligung als selbstwirksam erleben
4.3.2 Wer sich beschwert, tritt für sich ein
4.3.3 Wenn das Problem kein Problem mehr ist: Bewältigungsressourcen
4.4 Spezielle Themen der stationären Kinder- und Jugendhilfe
4.4.1 Anforderungen an die stationäre Jugendhilfe
4.4.2 Was müssen Pädagogen in der stationären Jugendhilfe leisten?
4.4.3 Ressourcenorientierte Familienarbeit in der stationären Jugendhilfe
4.5 Gestaltung von Übergängen
4.6 Spezielle Themen der ambulanten Hilfen zur Erziehung
4.6.1 Besondere Herausforderungen für Pädagogen in der ambulanten Jugendhilfe
4.6.2 Unterstützung beim Zugang zu Ressourcen
4.6.3 »Ein etwas besseres Leben«
4.7 Mitarbeiter als Ressourcen
4.7.1 Orientierung in einem komplexen Feld – Berufseinsteiger in den Hilfen zur Erziehung
4.7.2 Anforderungen an Einrichtungsleitungen
4.7.3 Beteiligung der Mitarbeiter
5Woran die Hilfen zur Erziehung sich messen lassen sollten – ein Beitrag zum Diskurs über »wirkungsorientierte Kinder- und Jugendhilfe«
5.1 Ermutigung als Schlüsselaufgabe für Fachkräfte in den Hilfen zur Erziehung
5.2 Beziehungsangebote
5.3 Gelingt es, alternative Erfahrungen im Sinne der Erweiterung von Handlungsmöglichkeiten zu bieten?
6Schluss
Literatur
Über die Autorin
Ruft man sich die desolate Lage der Heimerziehung im Nachkriegsdeutschland ins Gedächtnis, dann bietet die Arbeit von Iris Winkelmann vor diesem Hintergrund einen angemessen ungewöhnlichen Beitrag, die Qualität der Arbeit und das Engagement der Mitarbeiter in den Hilfen zur Erziehung zu verbessern: Mit der Ablösung des Reichsjugendwohlfahrtsgesetzes (RJWG) durch das Jugendwohlfahrtsgesetz (JWG) im Jahre 1953 (novelliert 1961) verbesserten sich die rechtlichen Bedingungen für die Kinder und Jugendlichen, doch ihre Lage in der öffentlichen Fürsorge änderte sich zunächst nicht nachhaltig. Erst die aus der Studentenbewegung der »Achtundsechziger« hervorgegangene »Heimkampagne« machte die skandalösen Vorgänge – willkürliche und entwürdigende Bestrafungen, sexueller Missbrauch – einer größeren Öffentlichkeit bekannt. Studentische Initiativen gründeten damals Wohnkollektive und versuchten den »Heimzöglingen« einen repressionsfreien Raum für ihre persönliche Entwicklung anzubieten, was größtenteils leider misslang. Die »Heimkampagne« ist mit verantwortlich dafür, dass in der Jugendhilfe, besonders im stationären Bereich, durchgreifende Reformen ein- und durchgeführt wurden. Im Dezember 2008 setzte der Deutsche Bundestag einen Runden Tisch zur Aufarbeitung der Heimerziehung im Westdeutschland der Jahre 1949–1975 ein. In einer Pressemitteilung stellt das Bundesverfassungsgericht 2012 resümierend fest, in westdeutschen Heimen sei es »zu zahlreichen Rechtsverstößen gekommen […], die auch nach damaliger Rechtslage und deren Auslegung nicht mit dem Gesetz und auch nicht mit pädagogischen Überzeugungen vereinbar waren«1.
Im vorliegenden Buch entwickelt Iris Winkelmann überzeugend, fundiert und anschaulich, wie Jugendhilfe und stationäre Hilfen heute gelingen können, wenn die verantwortlichen Erzieher, Sozialarbeiter, Sozialpädagogen und Psychologen ihre Arbeit systemisch ausrichten und den Jugendlichen zugleich Ermöglichungsbedingungen (Capabilities) bieten sowie eine konsequente Ressourcenförderung mit in den Hilfeplanprozess aufnehmen. So lässt sich auch in schwierigen Lebenssituationen resilientes Verhalten wecken und fördern. Die Autorin setzt sich mit den Ressourcen der Mitarbeiter, Berufseinsteiger und Leitungskräfte auseinander. Sie beleuchtet nicht nur den Kontext der Kinder und Jugendlichen im Spannungsfeld zwischen Familie und Heim, sondern auch die Kontextbedingungen der Jugendhilfe mit der oft knappen personellen und unzureichenden finanziellen Ausstattung.
Das Buch zeichnet sich in dreifacher Weise aus: Zunächst kann Iris Winkelmann auf ihre eigene Feldkompetenz als jahrelange Mitarbeiterin in der stationären und ambulanten Jugendhilfe zurückgreifen. Zweitens hat sie die hier vorgestellten theoretischen Konzepte in einer wissenschaftlichen Arbeit mit einer qualitativen Untersuchung ausführlich erforscht und publiziert; dies kommt der verständlichen Exposition der dargestellten Theorien zugute. Last, not least gelingt es ihr, eine hohe Praxisrelevanz aufzuzeigen: Sie beschreibt kontinuierlich, wie sich sowohl für die Kinder und Jugendlichen als auch für die Träger und Mitarbeiter eine Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten und eine Vervielfältigung von Optionen aktiv anstoßen und stärken lassen.
Kurz: Ein bedeutendes Buch für alle, die an theoretischer und praktischer Auseinandersetzung interessiert und in dem Feld tätig sind oder tätig werden wollen. Wir wünschen dem Buch eine weite Verbreitung.
Haja (Johann Jakob) Molter, DüsseldorfBirgit Wolter, Bonn
1 BVerfG, 1 BvR 3023/11 vom 23.03.2012
Die Verknüpfung des pädagogischen Alltags mit den Anregungen aus der systemischen Therapie hat mich intensiv begleitet. Das systemische Denken hat meine pädagogische Arbeit in der Jugendhilfe von Beginn an bereichert. Besonders in den ersten Jahren, in denen ich in einer Wohngruppe tätig war, half es, mich den divergierenden Anforderungen dieser Arbeit zu stellen. Das Einlassen auf die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, ein angemessenes Nähe-Distanz-Verhältnis zu ihnen und die Reflexion meiner eigenen Erfahrungen stellten große Herausforderungen dar. Meinem Anspruch, die betreuten Kinder und Jugendlichen, die »schwere Päckchen« zu tragen hatten, nicht zusätzlich mit meinen Lebensthemen zu belasten, konnte ich nicht immer gerecht werden.
Während meiner Tätigkeit als Leiterin einer Jugendhilfeeinrichtung erlebte ich insbesondere bei den jungen Kollegen ähnliche Unsicherheiten. Die Reflexion der eigenen Lebensgeschichte im Hinblick darauf, welche Aspekte davon in der pädagogischen Arbeit »wirken«, ist meines Erachtens unerlässlich. Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, die Qualität der Arbeit in den Hilfen zur Erziehung zu verbessern. Die betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien haben in der Regel eine Geschichte des Mangels an Ressourcen hinter sich, an der sie – vor allem im Hinblick auf ihre persönlichen Anliegen – schwer zu tragen haben. Aufgabe der pädagogischen Fachkräfte in den Jugendhilfeeinrichtungen ist es, ihnen Erfahrungen zu ermöglichen, die hier einen Unterschied machen.
Die Suche nach einer theoretischen Begründung des systemisch geprägten »pädagogischen Alltags« scheiterte weitgehend. Obwohl die systemische Theorie inzwischen aus den Hilfen zur Erziehung nicht mehr wegzudenken ist, fand ich darin wenig Hilfreiches für die Gestaltung meiner pädagogischen Beziehung zu den Betreuten. Die vorhandene Literatur bezieht sich vorwiegend auf die Integration der Eltern in therapeutischen Settings beziehungsweise in der sozialpädagogischen Familienhilfe. Was das systemische Denken für den pädagogischen Alltag in der Arbeit mit stationär untergebrachten Kindern und Jugendlichen bedeutet, wird bisher wenig beachtet. Dies mag daran liegen, dass bisher wenige Pädagogen mit systemischer Weiterbildung im Gruppendienst arbeiten – sie sind eher entweder im ambulanten Bereich oder im übergreifenden Dienst tätig und dann z. B. für die Elternarbeit in therapeutischen Settings verantwortlich.
Wie ich aus eigener Erfahrung feststellen konnte, setzt eine systemisch-ressourcenorientierte Haltung im pädagogischen Alltag in der stationären Jugendhilfe Entwicklungsmöglichkeiten für die betreuten Kinder und Jugendlichen und deren Familien frei. Dies führte dazu, dass ich mich im Rahmen meiner Dissertation mit der »Ressourcenförderung in der stationären Jugendhilfe« (Winkelmann 2010) beschäftigte. Teile daraus sind in dieses Buch eingeflossen, vieles, insbesondere das systemische Arbeiten im ambulanten Bereich, ist hinzugekommen.
Geprägt wurde mein systemisches Denken vor allem von Weiterbildungen und Seminaren, die ich im Laufe der Jahre absolviert habe: Das Niedersächsische Institut für systemische Therapie und Beratung (NIS) sehe ich als meine »systemische Heimat« – hier möchte ich vor allem Cornelia Oesterreich für ihre »konsequent ressourcenorientierte Haltung« danken, die mich in meiner systemischen Grundausbildung beeindruckt und geprägt hat, sowie Matthias Lauterbach, der mich bis heute immer wieder in Weiterbildungen und Seminaren begleitet. Die wertvollen Ausbildungsgruppen am Psychodrama Institut in Zürich (Psychodrama-CH) und am Heidelberger Helm Stierlin Institut (HSI), die mich in der Reflexion meiner Arbeit und der Entwicklung meiner Haltungen so sehr voranbrachten, haben viel zu diesem Buch beigetragen. Das Campaigning-Seminar bei Andreas Graf von Bernstorff hat dieses Projekt mit der Dynamik versehen, die es brauchte, um Wirklichkeit zu werden.
Das vorliegende Buch wäre nicht entstanden ohne die Unterstützung der Menschen in meinem Umfeld, die immer wieder auf die Wichtigkeit dieses Projekts hingewiesen und regelmäßig gefragt haben: »Willst du nicht doch ein Buch machen?« Dies sind insbesondere Brigitte Koch, die den unerschütterlichen Glauben vertrat, dass das Buch gelesen werden möchte, und Birgit Wolter, mit der ich mich kontinuierlich fachlich austausche und die mich ebenfalls in dieser Idee sehr unterstützt hat. Last, but not least natürlich Haja Molter, der sich sofort bereit erklärte, dieses Projekt zu unterstützen. Vielen Dank!
Ein besonderer Dank gilt den Menschen, die meine Dissertation unterstützt und begleitet haben, bildet sie doch die Basis für das vorliegende Buch. Hier danke ich insbesondere meiner Schwester Petra von Neumann, die meine Dissertation geduldig und mit stets konstruktiven Formulierungsvorschlägen vom ersten bis zum letzten Wort eng begleitet hat.
Iris WinkelmannBuxtehude, im März 2014
»Es ist unmöglich, das, was wir tun, von dem zu trennen, wie wir darüber denken – die große Gefahr liegt darin, dass wir nicht darüber nachdenken, wie wir denken, und dann reagieren wir nur noch auf die Kinder und Jugendlichen, mit denen wir arbeiten.« (Durrant 1996, S. 15)
Für stationäre und ambulante Hilfen zur Erziehung wurden im Jahr 2010 in Deutschland 7,51 Mrd. Euro ausgegeben. Ambulant wurden 2011 im Rahmen der Hilfen zur Erziehung 370.000 Kinder betreut, stationär 177.500 (hier ist auch die Vollzeitpflege enthalten). In den Hilfen nach § 34 SGB VIII (Heimerziehung und sonstige betreute Wohnformen) arbeiteten 2010 50.000 Fachkräfte, in den ambulanten Maßnahmen 23.500 (Fendrich, Pothmann u. Tabel 2012).
Der aufgrund der starken Zunahme der ambulanten Hilfen (von 1995 bis 2010 haben sich die Ausgaben für diese vervierfacht) in den letzten Jahren prognostizierte Rückgang stationärer Unterbringungen ist nicht eingetreten. Vielmehr sind auch hier die Unterbringungszahlen noch ein wenig angestiegen.
Der Bedarf von Familien an Unterstützung nimmt nicht ab, obwohl die Zahl der Kinder und Jugendlichen schrumpft. Pro Kopf ist der Hilfebedarf also gestiegen. Dies hat dazu geführt, dass die Frage der Wirksamkeit von Hilfen zur Erziehung in den letzten Jahren zunehmend in den Fokus gerückt ist. Der Druck auf die freien Träger der Jugendhilfe, die die Hilfen durchführen, steigt. Sie sind mehr und mehr gefordert, die Ergebnisse ihrer Arbeit zu belegen. Woran der Erfolg einer Hilfe zur Erziehung gemessen werden kann, ist jedoch sehr vom individuellen Bedarf eines Betreuten abhängig. Steht z. B. beim einen Jugendlichen das Erreichen des Realschulabschlusses im Fokus der Hilfe, ist es bei einem anderen ein großer Erfolg, wenn er nicht für delinquentes Verhalten vor Gericht zur Rechenschaft gezogen wird. Ziele und Wirkungen von Hilfen können also nur für den Einzelfall festgelegt werden.
Im aktuellen Forschungsdiskurs wird erörtert, ob die Fokussierung auf die Wirkungen der Hilfen zur Erziehung der pädagogischen Arbeit gerecht werden kann oder ob der pädagogische Anspruch fiskalischen Zwängen untergeordnet werden muss. Das Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen ist mit der Frage verbunden: Wie kann eine bestimmte Wirkung am schnellsten und kostengünstigsten erzielt werden? Hieraus entsteht die Gefahr, die Bedürfnisse der Klienten2 sowie den Aspekt einer tragfähigen pädagogischen Beziehung aus den Augen zu verlieren.
Mit zunehmender Deutlichkeit entsteht ein Spannungsfeld zwischen fiskalischen und pädagogischen Aspekten der Hilfen zur Erziehung. Die Erwartung, dass bei den in die Hilfen zur Erziehung investierten Mitteln auch ein Nutzen für die betreuten Kinder und Jugendlichen erzielt wird, wird durch die vom Bundesfamilienministerium in Auftrag gegebenen Studien (Leistungen und Grenzen der Heimerziehung, JULE; Jugendhilfe-Effekte-Studie, JES) und ein Modellprojekt »Wirkungsorientierte Jugendhilfe« (ISA 2009b) deutlich. Gleichzeitig gibt es einen gesellschaftlichen Diskurs über Perspektiven und Chancen für Jugendliche ohne ausreichende Bewältigungsressourcen zur Verwirklichung ihrer Lebenspläne.
In diesem Zusammenhang bietet das von Hans-Uwe Otto und Holger Ziegler (Otto u. Ziegler 2008) auf den deutschsprachigen Raum übertragene Capabilities-Konzept einen Ansatzpunkt, die gesellschaftliche Dimension der Verwirklichungschancen zu diskutieren. Insbesondere Bildungsressourcen stehen in Deutschland nicht allen Kindern und Jugendlichen in gleichem Maß zur Verfügung, sondern sind nach wie vor stark vom sozialen Status ihrer Familien abhängig. Dies bedingt seinerseits eine Ungleichverteilung von Chancen bei der Verwirklichung von Lebensentwürfen. Im Projekt »Care-Leaver« der Universität Hildesheim wurde die Lage der Jugendlichen und Jungerwachsenen in den Blick genommen mit dem Fokus: Welche Ressourcen bräuchten diese die stationären Hilfen zur Erziehung verlassenden jungen Menschen, um ein selbstständiges Leben bewältigen zu können (Köngeter, Schröer u. Zeller 2012)?
Die Fähigkeit, auf Ressourcen zuzugreifen, stellt einen zentralen Motor für die Identitätsentwicklung dar und ebnet damit den Weg in ein selbstständiges Leben. Nur wenn es gelingt, interne und externe Ressourcen zu nutzen, ist ein Mensch handlungsfähig und kann mit den Anforderungen der Umwelt umgehen. Die ambulant und stationär betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen können ihre Ressourcen aufgrund ihrer bisherigen Lebens- und Entwicklungsgeschichte häufig nur eingeschränkt nutzen. Wie kann es gelingen, sie darin zu unterstützen, einen stärkeren Zugriff auf ihre Ressourcen zu haben und damit handlungsfähiger zu sein? Aus Sicht der Verfasserin ist es der systemtheoretische Ansatz, in dem entscheidende Chancen liegen, die Familien, Kinder und Jugendlichen darin zu unterstützen, ihre Ressourcen zu nutzen. Der zentrale Ansatzpunkt dieses Buches liegt daher in der Frage:
Wie kann eine systemisch-ressourcenorientierte Pädagogik dazu beitragen, Entwicklungsmöglichkeiten für die über die ambulanten und stationären Hilfen zur Erziehung betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen zu schaffen und damit deren Handlungskompetenz zu stärken?
Ausgehend von der Frage, wie Kinder, Jugendliche und Familien sich ihrer eigenen Stärken bewusst werden können und wie es ihnen gelingen kann, die Ressourcen ihrer Umwelt – z. B. die Betreuer in der Wohngruppe – zu nutzen, werden auf der Basis theoretischer Modelle und von Forschungsergebnissen Handlungsempfehlungen für den pädagogischen Alltag in den Hilfen zur Erziehung entwickelt.
Ein Aspekt der Förderung insbesondere der stationär betreuten Kinder und Jugendlichen liegt darin, ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mit ihrer Herkunftsgeschichte auseinanderzusetzen. In Bezug auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen spielt die Auseinandersetzung mit der Herkunftsfamilie eine große Rolle. Eine Unterstützung der Jugendlichen darin, sich mit diesem Herkunftsmilieu zu befassen, erweitert ihre Wahl- und Handlungsmöglichkeiten. Klaus Wolf (2007, S. 39) stellt dazu fest: »Die Beziehung zu den Eltern zu klären und weiterzuentwickeln, auch um sich von ihnen lösen zu können, ist eine unvermeidbare und für die betreuten Jugendlichen oft besonders heikel zu bewältigende Entwicklungsaufgabe.«
Laut Kinder- und Jugendhilfegesetz (SGB VIII) ist eine Rückführung stationär untergebrachter Kinder und Jugendlicher in die Herkunftsfamilie erstes Ziel der Maßnahme (SGB VIII, § 34, Absatz 1, vgl. Münder 2006, S. 439). Wie Studien zur pädagogischen Arbeit in stationären Jugendhilfeeinrichtungen aber ergeben haben, wird Elternarbeit zwar als wichtiges Element der stationären Jugendhilfe gesehen, stellt aber nur in wenigen Einrichtungen einen Arbeitsschwerpunkt dar (z. B. Conen 2002; BMfFSJ 1998). Eine Rückführung der Kinder und Jugendlichen in die Herkunftsfamilie steht also offenbar in einem großen Teil der Jugendhilfeeinrichtungen nicht im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit.
Zur Zusammenarbeit mit den Eltern und zur Vermeidung von Loyalitätskonflikten der in der stationären Jugendhilfe betreuten Jugendlichen bietet der systemische Ansatz Wege zur Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit in der stationären Jugendhilfe. Er hat sich in den letzten Jahren stark in der sozialen Arbeit verbreitet und ist Teil der gängigen Alltagspraxis in der Jugendhilfe geworden. Besonders im ambulanten Bereich und in Leitungsfunktionen verfügen viele pädagogische Fachkräfte über eine systemische Ausbildung. Nach Ansicht der Verfasserin ist die Anwendung systemischer Denk- und Handlungsweisen im Gruppenalltag der stationären Jugendhilfe aber noch relativ wenig verbreitet.
Pädagogische Interventionen können nach dem systemischen Verständnis von Lernen und Entwicklung eine Veränderung im Verhalten der Klientinnen bewirken, wenn diese sich entscheiden, die Angebote der pädagogischen Fachkräfte anzunehmen und für sich selbst zu nutzen. Ein flexibles Reagieren seitens der pädagogischen Fachkräfte auf Entwicklungen der Kinder und Jugendlichen ist hierfür unabdingbar. Hiermit einher geht die Überprüfung der eigenen Haltung den Kindern und Jugendlichen und ihren Familien gegenüber.
Den betreuten Familien, Kindern und Jugendlichen selbstwirksame Erfahrungen, vor allem über die pädagogische Beziehung, zu vermitteln ist eine Herausforderung für die pädagogischen Fachkräfte in den Hilfen zur Erziehung. Das systemische Verständnis der pädagogischen Beziehung bereichert und unterstützt sie dabei. Das Interesse, systemische Erkenntnisse für den pädagogischen Alltag nutzbar zu machen, liegt dieser Arbeit zugrunde. Verstärkt die Ressourcen der betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen in den Blick zu nehmen, nach geeigneteren Wegen zu suchen, diese zu fördern und den Betreuten so Raum für Entwicklung zu schaffen, stellen Optionen dar, mit diesen veränderten Anforderungen umzugehen.
Beides nimmt Einfluss auf die Zufriedenheit der Fachkräfte in den Hilfen zur Erziehung. Die Arbeitszufriedenheit der Fachkräfte und ihr fördernder Umgang mit den betreuten Familien, Kindern und Jugendlichen sind eng verknüpft: Wenn die Mitarbeiter mit ihrer Arbeit zufriedener sind, schaffen sie effektivere Bedingungen für die Förderung der betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen.
Sinnvoll ergänzt und erweitert wird das systemische Denken durch das Salutogenesekonzept. Welche salutogenen Faktoren sind in den Hilfen zur Erziehung wirksam? Die Jugendlichen in Einrichtungen der stationären Jugendhilfe sind vor, während und nach der Unterbringung hohen Belastungsfaktoren ausgesetzt. Sie sind besonders darauf angewiesen, Widerstands- und Bewältigungsressourcen zu entwickeln, um Handlungskompetenz für zukünftige Lebenssituationen zu erwerben.
Das Konzept der Gesundheitsförderung hält zunehmend Einzug in die Jugendhilfe. Im 13. Kinder- und Jugendbericht steht es im Mittelpunkt der Analyse (Deutscher Bundestag 2009). In der kritischen Stellungnahme zum Bericht stellen die Verfasser allerdings fest, dass im Bericht und den daraus resultierenden Empfehlungen vor allem die Frühförderung im Mittelpunkt steht und die Möglichkeiten einer Förderung belasteter Jugendlicher zu kurz kommen. Welche Implikationen hat das Salutogenesekonzept für die Arbeit in den Hilfen zur Erziehung? Wie kann die Entwicklung der betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien im Sinne der Gesundheitsförderung unterstützt werden?
Ziel dieses Buches ist, Aufschluss darüber zu erlangen, wie es gelingen kann, in den Hilfen zur Erziehung an die Sinn- und Wirklichkeitskonstruktionen der betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen anzuknüpfen, um sie damit in ihrer (Identitäts-)Entwicklung zu unterstützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, Bewältigungsressourcen für zukünftige Anforderungen zu erschließen.
Im theoretischen Teil (Kapitel 1) wird betrachtet, wie Modelle zur Ressourcenförderung sich für die Arbeit in den Hilfen zur Erziehung nutzbar machen lassen bzw. inwieweit sie bereits genutzt werden. Die systemische Theorie, das Konzept der Salutogenese und der Capabilities-Ansatz werden daraufhin geprüft, wie sie zur Förderung der Ressourcen der betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen beitragen können. Systemtheoretisch werden dabei vor allem entwicklungsfördernde pädagogische Beziehungsaspekte herausgearbeitet, welche die betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen lösungsorientiert bei der Bewältigung ihres Lebens unterstützen.
In Kapitel 2 werden insbesondere anhand des Salutogenesekonzepts die Anforderungen spezifischer Lebenslagen herausgearbeitet, welche Gesichtspunkte der Identitätsentwicklung bei den Betreuten in den Hilfen zur Erziehung besonders zu fördern sind. Dabei werden die Beziehung der Kinder und Jugendlichen zu ihren Eltern sowie die Prägung durch ihr Herkunftsmilieu berücksichtigt.
In Kapitel 3 folgt eine Darstellung der stationären und ambulanten Hilfen zur Erziehung inklusive historischer Entwicklungen, aktueller Trends sowie Forschungsergebnisse zu den verschiedenen Bereichen der Hilfen zur Erziehung.
In Kapitel 4 wird die Bedeutung der vorgestellten Theorien und Untersuchungsergebnisse für die Weiterentwicklung der Hilfen zur Erziehung diskutiert und die Frage beantwortet, welche Handlungsimplikationen daraus entstehen.
Kapitel 5 leistet einen Beitrag zur Debatte um die Wirkungen der Hilfen zur Erziehung: Woran sollen die Hilfen zur Erziehung sich messen lassen? Welchen Anspruch müssen sie an sich selbst stellen, um ernst genommen zur werden und ihre hohen Kosten zur rechtfertigen?
Meine systemisch-ressourcenorientierte Sichtweise speist sich aus verschiedenen Quellen: aus langjähriger praktischer Arbeit in der stationären und der ambulanten Jugendhilfe sowie in der Einrichtungsleitung, aus einer therapeutisch-systemischen Ausbildung, aus Erfahrungen in therapeutischer Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien, aus der Beratung und Supervision von Helfern, aber auch aus der intensiven Auseinandersetzung mit theoretischen Arbeiten zu den verschiedenen Aspekten.
Meines Erachtens macht es keinen Sinn, in der Beschwerde über die allzu schwierigen Klienten zu verharren. Vielmehr gilt es, Ideen zu entwickeln, wie diese so gefördert werden können, dass sie für sich Entwicklungschancen sehen und auch nutzen können. Das heißt, die Ressourcen der betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen sollten fokussiert und für diese nutzbar gemacht werden. Hierbei geht es mir vor allem um die Verbesserung der subjektiven Einschätzung des eigenen Lebens durch die Erfahrung von Selbstwirksamkeit.
Ziel dieses Buches ist, die pädagogische Arbeit in den Hilfen zur Erziehung dahingehend zu beeinflussen, dass sie den betreuten Familien, Kindern und Jugendlichen »ein etwas besseres Leben« (Wolf 2012) ermöglichen.
2 Zur besseren Lesbarkeit wird in diesem Buch darauf verzichtet, jeweils die männliche und die weibliche Form (hier: Klientinnen und Klienten) anzuführen. Gemeint sind jeweils beide Geschlechter, unabhängig davon, ob die männliche oder die weibliche Form benutzt wird.
Für die Ressourcenförderung werden in diesem Buch drei Perspektiven genutzt. Die Basis bildet das systemische Denken – hier vor allem der Aspekt der strukturellen Koppelung: Wie ist es möglich, an die Wirklichkeitskonstruktionen der betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien anzuknüpfen (Abschn. 1.1)? Ergänzt wird das systemische Denken durch das Salutogenesekonzept (Abschn. 1.2). Der zentrale Aspekt liegt hier darin, wie Menschen selbstwertverbessernde Erfahrungen machen können. Der Capabilities-Ansatz als dritte Perspektive stellt die Wichtigkeit externer Ressourcen im Sinne von Verwirklichungschancen heraus (Abschn. 1.3).
Die Orientierung an den Ressourcen der betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien verstehe ich als Grundhaltung, die Klienten Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten verschafft. Die Ressource als das, was jemand im materiellen Sinn »hat« oder »gut kann«, wird in den Blick genommen. Systemisches Denken, das auf die Aktivierung von Menschen unter Berücksichtigung ihres Umfeldes abzielt, bildet für mich die Basis für die Förderung von Ressourcen. Menschen werden als Experten ihres Lebens betrachtet: Nur sie selbst entscheiden, welche Impulse für die Entwicklung von Handlungsalternativen sinnvoll sind.
Das französische Wort »ressource« kann mit Kraftquelle, Hilfsmittel, Reichtum, Möglichkeit übersetzt werden. Persönlichkeitseigenschaften und materielle Bedingungen werden erst zur Ressource, wenn sie genutzt werden. Gelingt es einem Menschen, seine Potenziale zielgerichtet und handlungswirksam einzusetzen, spricht man von Ressourcennutzung (Hahn 2012).
Die Möglichkeiten der in den Hilfen zur Erziehung betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien für diese nutzbar zu machen bedeutet »Erfolg« von Hilfen im Sinne nachhaltiger Veränderungen bei den Klienten. Gelingt es, Ressourcen zu aktivieren, können die Klientinnen auch nach der Beendigung von Hilfen Veränderungsschritte weiterverfolgen.
Das dieser Arbeit zugrunde liegende salutogenetische Verständnis von (seelischer) Gesundheit (Abschn. 1.2) beinhaltet auch, alle positiven Aspekte des seelischen Geschehens und der sozialen Lebenssituation eines Menschen als Ressource aufzufassen. Dies sind z. B. »motivationale Bereitschaften, Ziele, Wünsche, Interessen, Überzeugungen, Werthaltungen, Geschmack, Einstellungen, Wissen, Bildung, Fähigkeiten, Gewohnheiten, Interaktionsstile, physische Merkmale wie Aussehen, Kraft, Ausdauer, finanzielle Möglichkeiten sowie zwischenmenschliche Beziehungen« (Lenz 2005, S. 160). Man unterscheidet interne und externe Ressourcen:
Die
internen Ressourcen
sind Persönlichkeitseigenschaften (emotionale und kognitive Fähigkeiten, lebenspraktische Fertigkeiten, soziale Kompetenzen etc.), die die Lebensenergie eines Menschen wesentlich mitbestimmen.
Externe Ressourcen
sind soziale und materielle Ressourcen, die die Umwelt bietet:
–
Soziale Ressourcen
sind z. B. unterstützende Menschen. Wie Lenz feststellt, spielen sie vor allem in Krisenzeiten eine wichtige Rolle. Soziale Ressourcen dienen als Puffer in Belastungssituationen. Dabei ist es für den Hilfesuchenden wichtig, das soziale Unterstützungsangebot als stimmig mit seinen Bedürfnissen zu erleben. Soziale Hilfeleistungen werden in dem Maß als unterstützend erlebt, »in dem sie positive selbstwertsteigernde Botschaften übermitteln, nicht mit Unabhängigkeits- und Selbstwertdienlichkeitsnormen kollidieren und erkennbar zu Problemlösungen beitragen« (Lenz 2005, S. 163).
–
Materielle Ressourcen
beziehen sich z. B. auf finanzielle Möglichkeiten, die Ausstattung einer Wohnung etc.
Interne und externe Ressourcen bedingen sich aber auch gegenseitig. Eine Interdependenz zeigt sich z. B. in der Ressource »soziale Herkunft«: Diese hat Einfluss auf die Verfügbarkeit sowohl interner als auch externer Ressourcen eines Menschen. So kann z. B. ein Jugendlicher, der aus einem sozial schwachen Milieu kommt, kaum erwarten, dass seine Familie die finanziellen Ressourcen zur Finanzierung seines Führerscheins bereitstellen kann, wie es in einer »Mittelschichtfamilie« durchaus üblich ist. Die externe Ressource »Finanzierungsmöglichkeit des Führerscheins« hat ihrerseits Einfluss auf den Selbstwert als interne Ressource und (vor allem im handwerklichen Bereich) auf die Chancen, einen Ausbildungsplatz – als externe Ressource – zu bekommen. Für Kinder, Jugendliche und Familien, die über die Hilfen zur Erziehung betreut werden, hat dieser Aspekt eine besondere Relevanz: In der Regel stehen ihnen nicht ausreichend materielle Mittel zur Verfügung, um ihre Potenziale nutzen zu können.
Ressourcenförderung als Handlung (in der Literatur häufig als »Ressourcenaktivierung« bezeichnet) zielt als pädagogische Intervention darauf ab, Menschen Zugang zu internen und externen Ressourcen zu verschaffen, die für das Meistern einer Anforderung benötigt werden (Smith u. Grawe 2003).3 Ressourcenförderung im Rahmen systemischen Denkens intendiert, dem Individuum Zugang zu alternativen Denk- und Verhaltensmustern zu ermöglichen und damit seine Entscheidungs- und Handlungsoptionen zu erweitern.
Bei der Förderung von Ressourcen ist im Blick zu behalten, dass der Zugang zu und die Verfügbarkeit von Ressourcen von der individuellen Geschichte der Person abhängt. Soziale und emotionale Determinanten werden bereits in der frühen Kindheit geschaffen (Werner 2006). Es gilt daher, vorhandene Ressourcen ausfindig zu machen und den Jugendlichen Zugang zu ihnen zu verschaffen.
Notwendig ist aber auch, die Grenzen der Ressourcenförderung zu akzeptieren, um erneute Frustrationen zu vermeiden. Alle betreuten Kinder und Jugendlichen nach ihren Möglichkeiten zu fördern ist daher das Ziel ressourcenorientierter Pädagogik. »In diesem Sinne ist Ressourcenorientierung nichts weiter als eine Perspektive, die den Blick auf Defizite nicht ausschließt, sondern nach den einem System inhärenten Möglichkeiten fragt, Defizite zu beheben oder zumindest abzuschwächen« (Ritscher 2008, S. 145). An vorhandene Potenziale anzuknüpfen und mit dem Kind oder Jugendlichen gemeinsam Stärken und Kompetenzen ausfindig und für die Person nutzbar zu machen sollte ein Schwerpunkt pädagogischer Interventionen sein.
Neben individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten gilt es auch, soziale Ressourcen zu fördern und für jeden Betreuten ein individuelles soziales Netzwerk zu schaffen, auf das er in Krisenzeiten und vor allem in der Zeit nach der stationären Unterbringung zurückgreifen kann.
Mit dem erweiterten Zugriff auf interne und externe Ressourcen, so die dieser Arbeit zugrunde liegende Hypothese, verbessert sich das subjektive Wohlbefinden der betreuten Kinder, Jugendlichen und Familien.
Systemisches Denken verschafft den Fachkräften in den Hilfen zur Erziehung eine Perspektive darauf, wie pädagogische Impulse organisiert werden können, um den Klienten eine Erweiterung ihrer Handlungsoptionen zu ermöglichen. Davon ausgehend, dass Menschen jede neue Information auf dem Hintergrund bereits bestehender individueller Wirklichkeitskonstruktionen wahrnehmen, sollten hier Anknüpfungsmöglichkeiten geschaffen werden.
Erkenntnistheoretisch basiert das systemische Denken auf dem Konstruktivismus. Der radikal-konstruktivistischen Theorie zufolge gibt es eine objektive Wirklichkeit nicht, sondern jeder Mensch konstruiert sich seine eigene Wirklichkeit. Die Frage nach dem Was (Was erkennen wir?) wird ersetzt durch die Frage nach dem Wie (Wie erkennen wir?). Die Wirklichkeit wird nicht gefunden, sondern erfunden (Gröne 2000, S. 17).
Erkennen findet dabei vor dem Hintergrund bereits bestehender Wirklichkeitskonstruktionen statt, die die Wahrnehmung steuern und deshalb im Sinne einer »inneren Landkarte« verstanden werden können. Klaus Mücke (2001) setzt die »innere Landkarte« gleich mit einer eigenen (individuellen) Erkenntnistheorie. Neue Beobachtungen und Erfahrungen werden in die bereits bestehende »innere Landkarte« integriert. Dabei werden Beobachtungen und Erfahrungen, die zu den bereits vorhandenen »passen«, einerseits verstärkt wahrgenommen und alternative, potenziell verstörende Aspekte gelangen gegebenenfalls gar nicht ins Wahrnehmungsfeld. So nimmt z. B. eine Person, die sich ohnehin stets abgewertet fühlt, abwertende Äußerungen seiner Umwelt deutlicher wahr als aufwertende. Sie attribuiert die Äußerungen so, dass diese sie in ihrer Selbst(ab)wertung bestätigen.
Wird eine Erfahrung, die den bisherigen Wirklichkeitskonstruktionen widerspricht, als relevant eingestuft, können die bestehenden Wirklichkeitskonstruktionen infrage gestellt und den neuen Informationen angepasst werden. Es kann also nur »Neues« in das System integriert werden, wenn Erfahrungen und Beobachtungen als relevant im Sinne einer »Information« eingeschätzt werden. Informationen bestehen aus »Unterschieden, der einen Unterschied machen« (Bateson 1979, zit. nach Simon 2006, S. 58). Zur Information wird demnach eine Erfahrung oder Beobachtung, die zunächst als fremd erlebt und zugleich als bedeutsam eingeordnet wird.
Im systemischen Denken wird der Mensch als autopoietisches, also sich selbst regulierendes System betrachtet, das sich autonom gegenüber seiner Umwelt verhält. Wie bereits am Modell der »inneren Landkarte« beschrieben, bedeutet dies nicht, dass der Mensch sich unabhängig von Umwelteinflüssen entwickelt. Vielmehr wird mit der Autopoiesis betont, dass jede »Anpassung« an die Umwelt einer autonomen Entscheidung entspringt. Die Austauschprozesse des Systems mit seiner Umwelt werden durch die energetische Offenheit des autopoietischen Systems erfasst. Informationen der Außenwelt werden erst dann zu relevanten Informationen, wenn sie »im System Eigenzustände anzustoßen, zu ›verstören‹« vermögen (von Schlippe u. Schweitzer 1999, S. 68).
Bei der Einordnung des eigenen Verhaltens als passend oder unpassend spielen die Reaktionen der Umwelt eine entscheidende Rolle (Gröne 2000, S. 29):
»Ohne andere Menschen, ohne Interaktion, Sozialisation und Kommunikation wäre ein Individuum nicht in der Lage, Vorstellungen von Objekten, von Raum und Zeit sowie Ich und Bewusstsein zu entwickeln. Für diese Entwicklung sind wir angewiesen auf die Zustimmung oder auch den Widerspruch von anderen Menschen, mit denen wir gemeinsam ein konsensfähiges Wirklichkeitsmodell als Grundlage unseres Handelns, Erlebens und Kommunizierens teilen. Wir werden in unseren eigenen Unterscheidungen zwischen Halluzination und Wirklichkeit dadurch bestätigt, dass andere Menschen ähnliche Verhaltensweisen zeigen wie wir selbst, dass sie eine ähnliche Dingwelt bzw. eine ähnliche Alltagswirklichkeit haben.«
Das konstruktivistische Verständnis des Menschen als autopoietisches System schließt eine instruktive Interventionsmöglichkeit aus, sodass auch Lernen und Bildung in diesem Zusammenhang als »anthropologische Selbstkonstruktionen« verstanden werden (Huschke-Rhein 2003, S. 13). Eine direktive Beeinflussung des Kommunikationspartners ist nicht möglich. Auch hier ist wieder im Blick zu behalten, dass der Angesprochene aus dem Gehörten seine eigenen Wirklichkeitskonstruktionen erstellt bzw. bisherige Wirklichkeitskonstruktionen bestätigt. Beim Kommunizieren werden keine Gedanken und Botschaften »1:1« an das Gegenüber übertragen, sondern die Kommunikationspartnerinnen dazu angeregt, »in ihren kognitiven Bereichen, ihrem Bewusstsein, Gedanken und Informationen zu produzieren.« Kommunikation heißt also: Angebote machen, aus denen der Empfänger auswählt (Gröne 2000, S. 24).
Systeme sind erst einmal als voneinander getrennte Einheiten zu sehen (Abb. 1). Durch strukturelle Koppelung entsteht ein Zusammenschluss zuvor vereinzelter Systeme (Abb. 2).
Abb. 1: Systeme sind zunächst voneinander getrennte Einheiten
Abb. 2: Durch strukturelle Koppelung schließen sich zuvor vereinzelte Systeme zusammen
Nur wenn es gelingt, mit dem Klientensystem durch strukturelle Koppelung eine gemeinsame Wirklichkeit zur erzeugen, sind pädagogische Interventionen überhaupt möglich. Aber auch wenn dieser Schritt gelingt, entscheidet das Gegenüber, ob die Kommunikation mit der pädagogischen Fachkraft Einfluss auf das eigene Leben hat. »Die Umwelt kann also nicht direkt das System verändern, sondern nur (durch die so genannte strukturelle Koppelung) quasi als Klima wirken, welches entsprechende Reaktionen in der Selbstorganisation des Systems anregen (bzw. dazu einladen) kann« (Schmidt 2002, S. 323). Die Wirkung einer (pädagogischen) Intervention kann also nicht vorausgesagt werden. Eine bestimmte Intervention X erzielt kein Verhalten Y, sondern kann als Resultat eine Vielzahl von Verhaltensweisen zur Folge haben.
Die zentrale Annahme der systemischen Theorie ist die zirkuläre Kausalität von Systemprozessen. In Abgrenzung von der linearen Kausalkette beschreibt die zirkuläre Kausalität den Prozess, in dem die Teile eines Systems wechselwirkend aufeinander einwirken: Eine Veränderung in einem Systembereich zieht Veränderungen, Verstörungen anderer Systembereiche und somit eine Veränderung des Gesamtsystems nach sich. »In einem solchen Wechselwirkungsgefüge hat jede Handlung Rückwirkungen auf die handelnde Person selbst, ein Aspekt, der als ›Selbstreferenz‹ oder ›Selbstrückbezüglichkeit‹ bezeichnet wird« (von Schlippe u. Schweitzer 1999, S. 90).
Auch der Systembegriff unterliegt dem konstruktivistischen Verständnis (Maturana 1982, zit. nach von Schlippe u. Schweitzer 1999, S. 86): »Ein System ist nicht ein Etwas, das dem Beobachter präsentiert wird, es ist ein Etwas, das von ihm erkannt wird.« Wer zu einem System dazugehört und wer sich außerhalb des Systems befindet, wird jeweils vom Beobachter bestimmt, der dieses System beschreibt. Die Grenzen des Systems bestimmen dessen Trennung von und die Verbindung zur Umwelt, das heißt, es ist kein System denkbar, das ohne irgendwelche Beziehungen zur Systemumwelt existiert (Huschke-Rhein 2003). Bereits der Beobachter, der das System als solches identifiziert, ist Teil dieser Umwelt.
Für Pädagogen, die in den Hilfen zur Erziehung tätig sind, erfordert systemisches Denken die Auseinandersetzung mit den Lebensumfeldern und Wirklichkeitskonstruktionen der betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen. Diese stammen aus Milieus, die in der Regel völlig verschieden von ihren eigenen Lebensumfeldern sind. Hieraus resultieren unterschiedliche Wirklichkeitskonstruktionen der betreuten Familien, Kinder und Jugendlichen und der Pädagogen. Die Erwartung, dass die Familien, Kinder und Jugendlichen sich (einseitig) dem Hilfesystem anpassen, wird im systemischen Denken hinfällig: Die Betreuten als »autopoietisches System« entscheiden selbst darüber, wie sie mit Kommunikationsangeboten der Pädagogen umgehen und welche Veränderungen in der Selbstorganisation durch neue Erfahrungen ausgelöst werden.
Der Sprache als Mittel, sich über Wirklichkeitskonstruktionen auszutauschen, kommt eine besondere Bedeutung zu. Sprache ist nicht nur der Ausdruck von Erfahrungen, sondern sie schafft auch Erfahrungen. In sprachlichen Systemen erzeugen deren Mitglieder durch ihre Konversation Bedeutungen und schaffen so eine gemeinsame Darstellung der Wirklichkeit.
Sprache schafft Orientierungen, indem sie den Empfänger dazu veranlasst, Informationen herzustellen. »Sprachliche Formulierungen enthalten immer Implikationen und indirekte Ideenangebote, so wie jede Frage eine subtile Aufforderung zur Fokussierung der Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Bereich ist« (Gröne 2000, S. 38). Von Pädagoginnen und Pädagogen ist demzufolge eine erhöhte Sensibilität gefordert, »in welche Richtung sie sich selbst und ihre Klient(inn)en durch ihre Formulierungen, Kommentare und Anregungen orientieren« (ebd.).
So verfestigen problemorientierte Sprachmuster eher bereits bestehende Schwierigkeiten; eine lösungsorientierte Sprache dagegen kann neue Denkmuster und Wege eröffnen (ebd., S. 39):
»Versteht man Therapie und Beratung als einen Prozess, in dem Klient-(inn)en gemeinsam mit Therapeut(inn)en durch Sprache eine neue Wirklichkeit konstruieren, die ›bekömmlicher‹ ist, neue Verhaltensweisen und Interaktionsmuster ermöglicht, so blockiert eine defizitorientierte Beschreibung den Weg dorthin: Pathologieorientierte Sprache kann Welten verschließen und Probleme chronifizieren.«
Lösungsorientierte Sprache fokussiert dagegen die Suchprozesse der Familien in die konstruktive Richtung ihres Wissens, ihrer Stärken, Kompetenzen, Erfahrungen und Ressourcen. Therapeutinnen und Therapeuten sollten daher Sprachmuster nutzen, »die Entwicklungs- und Veränderungschancen implizieren und Klient(inn)en auf ihre Ziele hin orientieren, sprachliche Angebote zu entwickeln, die zukunftsorientiert sind und zu mehr Aktivität und Selbstverantwortlichkeit finden« (ebd., S. 40).
Probleme werden als »Konstruktionsleistungen« des Systems verstanden (Mücke 2001). Aus systemischer Sicht ist es wichtig, Probleme nicht als Ausdruck einer inhärenten »Dysfunktionalität« (oder Pathologie) des Systems zu betrachten, sondern als »Folge einer Verkettung von Umständen« (von Schlippe u. Schweitzer 1999, S. 101 f.). Probleme sind funktional. Sie wahren den Status quo des Systems und stellen als Konstruktionsleistung des Systems entweder einen Lösungsversuch oder eine Lösung dar.
Bei der sprachlichen Beschreibung von Problemsystemen spielt der Kontext eine besonders wichtige Rolle. Erst im Kontext wird von den zugehörigen Personen ein bestimmtes Verhalten als »Problem« definiert. So kann z. B. ein als in der Schule »hyperaktiv« bezeichnetes Kind im Sportverein als »lebhaft« gelten. Eine sensible Beschreibung von Verhaltensweisen macht es möglich, problemverstärkende Zuschreibungen zu vermeiden.
»Menschen werden als zu jeder Zeit imstande betrachtet, Lebensprobleme und Problemsysteme zu erzeugen und dauerhaft zu reproduzieren – selbst dann, wenn diese leidvoll sind –, zugleich aber auch als fähig, auf solche Probleme zu verzichten. Dies legt es nahe, die therapeutische Hilfestellung auf die Herstellung von Bedingungen auszurichten, die es erleichtern, sich auf vorhandene Alternativen und andere Ressourcen zu besinnen und die Beteiligung an der problemreproduzierenden Dynamik aufzugeben. […] Der Blick auf Fähigkeiten, günstige Alternativerfahrungen, Ausnahmen zum Problem – also auf die Ressourcen des Hilfesuchenden – vermeidet den Fokus auf das Problem und so auch die damit verbundenen unerwünschten Folgen.« (Ludewig 2003, S. 321 f.)
Attribuierungen im Sinne von »self-fulfilling prophecies«4 sind ein Aspekt des sozialen Konstruktionismus. »Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung ist eine Annahme oder Voraussage, die rein aus der Tatsache heraus, dass sie gemacht wurde, das angenommene, erwartete oder vorhergesagte Ereignis zur Wirklichkeit werden lässt und so ihre eigene ›Richtigkeit‹ bestätigt« (Watzlawick 1985, S. 91). Laut Watzlawick haben selbsterfüllende Prophezeiungen Einfluss auf die Zukunft, schaffen »erst die Voraussetzung für das Eintreten des erwarteten Ereignisses und erzeug[en] in diesem Sinn recht eigentlich eine Wirklichkeit, die sich ohne sie nicht ergeben hätte« (ebd., S. 92).
Rosenthal und Jacobson (1971) haben hierzu eine Untersuchung an 500 Grundschulkindern durchgeführt: Den Lehrern zweier Grundschulen wurden zufällig ausgewählte Schüler5