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Für Jonathan Lethem ist Fear of Music (das dritte Album der Talking Heads und das erste, das von Brian Eno produziert wurde) ein Meisterwerk – ausgefallen, paranoid, funky, süchtigmachend, rhythmisch, eingängig, schauderhaft und spaßig. Wie ein Besessener analysiert er die Songs, den Gitarrensound, den Rhythmus, die Texte, die äußere Aufmachung, die Ursprünge der Band aus Downtown New York und ihr musikalisches Erbe. Dabei bezieht er sich auf Theorien, Erzählliteratur und Erinnerungen und platziert das Album neben Größen wie Fritz Lang, Edgar Allan Poe, Patti Smith und David Foster Wallace. Er entführt uns in das New York der 1970er Jahre – und immer mit dem Blick darauf, wie sich unser Sinn für Kunst verändert. »Talking Heads – Fear of Music« ist das virtuose Stück eines Schriftstellers, der uns eine seiner größten Leidenschaften nahebringt.
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Seitenzahl: 197
AUS DEM AMERIKANISCHEN VONJOHANN CHRISTOPH MAASS
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Tropen
www.tropen.de
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel
»Talking Heads’ Fear of Music« erstmals 2012 im Verlag
Continuum International Publishing Group INC.
Reprint 2013 im Verlag Bloomsbury Academic
© 2012 by Jonathan Lethem
Fur die deutsche Ausgabe
© 2014 by J.G. Cotta’sche Buchhandlung
Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
Umschlag: Herburg Weiland, München
Foto von Jonathan Lethem (S.1) © John Lucas
Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Printausgabe: ISBN 978-3-608-50333-3
E-Book: ISBN 978-3-608-10719-7
Dieses E-Book entspricht der 1. Auflage 2014 der Printausgabe.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in dr Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
Für Joel Simon, Donna Jones & Philip Price
»Der Krieg ist auf einem krassen Irrtum begründet worden. Man hat die Menschen für Maschinen gehalten.«
Hugo Ball
»Die Erde ist das bemerkenswerteste aller Museen: Alles, was je auf ihr geschah, wird in situ ausgestellt. Von ihren ›lunaren Anfängen‹ bis zum jetzigen Augenblick hat jedes Beben seine Spur als archäologische Geste hinterlassen. Wir durchblättern die Seiten einer globalen Vergangenheit, deren reale Existenz nicht simuliert werden kann… eines Tages werden wir lernen, diese Erde, auf der wir herumtrampeln, zu entschlüsseln, jedes kleine Beweisstück auf ihr zu entziffern, um sie zu verstehen, indem wir die Geschichte des Kosmos mit Hilfe unseres Planeten rekonstruieren, ihn als Dinosaurierknochen der Unendlichkeit untersuchen.«
Malcolm de Chazal, Sens-Plastique
»Ein Mann hat sich in seinem Haus verbarrikadiert. Aber er ist nicht bewaffnet, weshalb sich niemand um ihn kümmert.«
George Carlin
WARNUNG: Inhalt steht unter Interpretationsdruck. Kann beim Nutzer ungewollte Reaktionen angesichts eines geschätzten Kulturguts auslösen– dazu können unter Umständen Entmystifizierung oder auch das Gegenteil, Mystifizierung, gehören.
EMPFEHLUNG:Bei Benutzung dieses Produkts wird dringend dazu geraten, die Platte auch tatsächlich anzuhören. Und das nicht nur über diese miesen kleinen Lautsprecher in Ihrem Computer. Und drehen Sie richtig auf, verdammt noch mal.
Im Sommer 1979, in New York, saß ein fünfzehnjähriger Junge in seinem Zimmer und lauschte einer Stimme, die aus dem Radio zu ihm sprach. Die Stimme sagte: »Die Talking Heads haben ein neues Album. Es heißt Fear of Music.« Es war die Stimme von David Byrne, dem Sänger der Band Talking Heads. Die Stimme hatte sich mit Absicht um eine stockende und monotone Intonation bemüht, aber die Worte, sanft ausgesprochen, der Sprecher dicht am Mikro, besaßen auch eine gewisse Zartheit– jene helle, näselnde Verletzlichkeit, die dieser Sänger schwer hinter einer Maske verstecken kann, auch wenn er die Maskerade liebt, den stimmlichen Mummenschanz.
Dann, nach einem Moment der Stille– im Radiojargon »dead air« genannt und im Rahmen eines dreißigsekündigen Radiospots, der Werbung für eine Rock’n’Roll-Platte machen soll, ein Mysterium– ist der Satz erneut zu hören: »Die Talking Heads haben ein neues Album, es heißt Fear of Music.« Die Stimme hat ihre gefühlsneutrale, tote-aber-noch-warme Art des Vortrags nicht verändert, dennoch ist sie von irgendeiner Kraft verzerrt worden. Einem Phasenschieber? Einem Vocoder? (Eine mit ähnlichen Soundeffekten belegte, schal-künstliche, menschliche Stimme sollte 1981 mit Laurie Andersons »O Superman« die Charts erobern.) Welches Gerät es auch sein mag, es erzeugt die Illusion, dass die Stimme sich zu einem Schwarm himmlischer Klone vervielfacht hat, einem Choral elektronischer Engel. Mit dem Ergebnis, dass die einsame Präsenz der schalen Stimme im Vordergrund sowohl moduliert als auch akzentuiert wird: Ist ein Mann, der durch eine kalte Landschaft stolpert, begleitet von himmlischen Heerscharen, besser dran, weil er nicht mit ihnen aufsteigen kann, oder schlechter?
Schließlich beginnen die Stimmen nach- und widerzuhallen, werden zu einer Art Gezeitenstrom, der mit einem Kiesel spielt, ihn gleichzeitig vorwärts und rückwärts spült. »Die Talking Heads haben ein neues Album neues Album. Es heißt Fear of Music Fear of Music. Talking Heads Talking Heads haben ein neues Album ein neues Album Talking Heads es heißt Fear of Music es heißt Fear of Music.« Der Stein, die Sprechstimme des Sängers, wird immer glatter und verschwindet schließlich ganz; die Übertragung des geheimen Codes endet ohne jede Variation, aber sie hat sich auch nicht wiederholt, zumindest nicht exakt gleich. FM 102.7 WNEW (»Wo Rock zu Hause ist«) nahm seinen normalen Sendebetrieb wieder auf, mit der beruhigenden, zwanglosen Stimme von Vin Scelsa, Pete Fornatale oder Jonathan Schwartz hinter den Reglern, die für die King Biscuit Flower Hour Bruce Springsteen als Gast anpriesen oder Randy Newmans neue Single »It’s Money that I Love« auflegten.
Himmlische Heerscharen? Anders als bei allen anderen minutiösen Beschreibungen in diesem Buch bleibt es hier wahrscheinlich ein Ding der Unmöglichkeit, meine Paraphrase mit Ihrem persönlichen Hörerlebnis in irgendeine Beziehung zu setzen. Aber fischen Sie nicht im Informationsozean nach dieser Erfahrung– Sie werden sie dort nicht finden. Diejenigen von uns, die die ursprüngliche Übertragung erreicht hat, mussten sich jetzt über drei Jahrzehnte lang mit ihren Cargo-Kult-Erinnerungen begnügen und es werden mehr werden.
Doch wo wir gerade davon sprechen, was ist mit dem Jungen in seinem Zimmer? Können wir ihn nicht dort zurücklassen, wo wir ihn gefunden haben? Müssen wir uns mit der Bürde seiner Begeisterung und Unschuld auseinandersetzen, oder können wir einfach Eject drücken? Fehlanzeige, er ist mit von der Partie. Tatsächlich ist es sogar so, dass ich während der Arbeit an diesem Text merke, wie mein derzeitiges Selbst in die Passivität abgleitet. Plötzlich hat dieses Kind die vollständige Kontrolle über die Tastatur. 2003 hatte ich geschrieben: »Ich spielte das dritte Album der Talking Heads namens Fear of Music so häufig ab, bis das Vinyl hinüber war, und kaufte mir dann ein neues Exemplar. Ich lernte die Texte auswendig, lernte die Texte anderer Talking-Heads-Platten auswendig und schaute mir die Talking Heads so oft wie möglich live an… in meiner schlimmsten Phase, 1980 oder 1981, war meine Identifikation derart vollkommen, dass ich mir vielleicht sogar wünschte, Fear of Music anstelle meines Kopfes zu tragen, damit mich die Menschen um mich herum besser erkennen konnten.« Wie alles, was ich je über die Talking Heads oder über irgendetwas, das ich mit derart furchtbarer Inbrunst geliebt habe, gesagt habe– und da gibt es nur wenige Dinge–, erscheint mir das nun vollkommen unangemessen, selbst bei aller Übertreibung der Behauptungen, oder vielleicht gerade deswegen. Es liegt etwas Unehrliches in dem aufgesetzten Ton retrospektiver Vollendung, dieser falschen Endgültigkeit. Als ob ich gedacht hatte, es dabei belassen zu können!
Der Junge in dem Zimmer: Ich habe ihn in so vielen Zusammenhängen ans Licht gezerrt, mittlerweile sollte man sich ihn wohl als von Kopf bis Fuß von Schrift geschwärzt vorstellen. Ich möchte ihn in Ruhe lassen, aber so richtig kann ich es noch nicht, brauche seine Hilfe bei diesem letzten (letzten– Ha!) Anrennen gegen die Festung seiner Verletzlichkeit. Er ist für mich von entscheidender Bedeutung, nicht nur, weil er weiß, wie es ist, noch nie von Fear of Music gehört zu haben und ihm dann zum ersten Mal zu lauschen, sondern, weil er sich daraufhin in einer Haltung derart demütiger Identifikation mit Fear of Music einrichtete, dass er sich nicht mehr vorstellen kann, wer er wäre, hätte er das Album nie gehört. Fear of Music hat, anders formuliert, den Jungen geschrieben. Was wohl bedeutet, dass Sie ein Buch in der Hand halten, das Fear of Music über sich selbst geschrieben hat.
Und es kommt weiterer Ballast hinzu: Ist der Junge dabei, muss auch New York mit an Bord. Na ja, das ist wohl ohnehin ein unvermeidliches Thema, wenn es um Fear of Music geht. Aber für den Jungen in dem Zimmer ist es etwas Persönliches. Er war nämlich noch nicht in der ganzen Stadt unterwegs, sondern der Raum, wo er Radio hört, befindet sich in einem ganz konkreten Mietshaus in einem mutmaßlichen Ghetto. 1979 und in den Jahren darauf wird der Junge häufig ins CBGB’s gehen (obwohl die Talking Heads, wie auch die anderen mit dem Club assoziierten Künstler der ersten Stunde, bereits in größere Läden umgezogen waren, bevor er die Möglichkeit hatte, sie dort zu sehen) und ebenso in den Mudd Club.
Und der Junge weiß, was Angst ist. Jeder, der weiß, was Angst ist, ist sofort Feuer und Flamme, wenn er mit Fear of Music in Berührung kommt.
Aber wir greifen vor. Der Junge hat Fear of Music noch gar nicht gehört, nur die Worte: »Fear« »of« »Music«. (Ist das Angst-Musik? Woraus könnte Angst-Musik bestehen? Besteht Angst aus Musik? Kann eine Platte Angst vor sich selbst haben?) Die bemerkenswerte Eigenartigkeit des lange verschollenen Radiospots zu Fear of Music bestand ja darin, dass er, obwohl er für ein Album warb, tatsächlich überhaupt keine Musik enthielt. Er war so etwas wie eine Landkarte, die nicht nur das Territorium nicht abbildete, sondern auch aus nichts weiter als dem Wort »Landkarte« bestand. Ein Verbinde-die-Punkte-Bild mit nur einem Punkt. Ein Kunstprodukt, das einen dazu einlud, über die mögliche zukünftige Begegnung mit anderen Kunstprodukten nachzudenken. Sich anzumaßen, mehr darüber zu sagen, würde bedeuten, den Geist des Noch-nicht-Wissens zu verraten, der für den Jungen in seinem Zimmer noch immer wie ein Schleier über so ziemlich allem hing, was überhaupt wichtig ist: Städten, Drogen, Sex, Musik, Erinnerungen, dem Leben.
Die mattschwarze Plattenhülle, in der die Fear of Music-LP steckt, hat ein seltsames Dekor aus erhabenen, kreuzgerippten Riefen. Die Gestaltung ist für die Fingerspitzen interessanter als für das Auge. Wie die Radiowerbung setzt auch die Plattenhülle auf die minimalistische Magie, indem sie die Aufmerksamkeit bindet und zugleich jeden Reiz versagt oder zumindest hinter dem zurückbleibt, was in dieser Kunstform als Mindestmaß an Freigiebigkeit betrachtet werden könnte. Bandname und Albumtitel sind in schlichten Versalien gehalten und von einem rechteckigen Kasten gerahmt; sie wirken so uninspiriert, als handele es sich dabei um einen nachträglichen Einfall. Das scheint sie– Name und Titel– davon abzuhalten, mit der »eigentlichen« Hülle zu interagieren, die auf einer plastischen Ebene stattfindet, auf der Sprache im Kampf »Textur vs. Text« zerstört wird. Wobei die unterschwellige Implikation ist, dass das Album eigentlich gar keinen Titel haben sollte, vielleicht als Antwort auf das White Album der Beatles oder Vorwegnahme von Prince’ Black Album um anderthalb Dekaden. Das Design lässt an eine Stahltür oder -kiste denken, die entweder der Griffigkeit halber mit einer Prägung versehen wurde, oder aber um Graffiti oder Bekleben zu verhindern. Schwer vorstellbar, dass ein solches Nichts so aufregend sein kann, dann aber auch wieder nicht, so wie es einerseits über eine kühle Autorität verfügt und doch zugleich das Verlangen einzufordern scheint, gestreichelt zu werden.
Der Wunsch, undurchdringbar und unzugänglich zu sein und doch bei anderen taktile Gelüste zu wecken, ist nicht selten, wenn auch für Menschen (meist) unerfüllbar, ganz anders als für Monolithen, Orgasmatrons, Blarney-Steine und dergleichen. Die typische tierische Reaktion ist natürlich ein Armausstrecken und Betatschen, wie es die Affen in Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum tun. Die Architektur der Verpackung von Fear of Music denkt diese Idee weiter. Statt einen Monolithen darzustellen, wird sie selbst dazu und verwandelt den potentiellen Hörer in einen mit sehnsüchtigen Fingerspitzen grapschenden, neugierigen Affen. Wie in einer Parabel von Kafka wird man womöglich für immer vor dieser Tür warten; öffnen wird sie sich nie. Es ist weder das erste noch das letzte Mal, dass im Wortschatz dieser Gruppe Gebäude und Menschen durcheinandergeraten: Wenn Liebe ein Gebäude in Flammen ist (»Love→Building on Fire«), ist Angst offenkundig eines, dessen Stahlgitter heruntergelassen sind.
Was Plattenhülle wie Radiospot zum Ausdruck bringen, ist, dass es sich hier um eine Band handelt, der es wichtig ist, die formalen Eigenschaften selbst ihrer marginalsten Einspeisungen in den kulturellen Strom genau zu bedenken: nicht bloß Songs und Alben, sondern auch das kommerzielle Geröll, das mit Songs und Alben verknüpft ist. Kein Wunder. Sind es doch ehemalige Kunststudenten, aber nicht bloß im Sinne berühmter Kunsthochschulabbrecher wie Mick Jagger oder Paul Simonon. Die Fertigkeit, die eigene Musik künstlerisch-formalistisch unter Druck zu setzen, ist ein Qualitätsmerkmal dessen, was diese Band zu bieten hat– geboten hat, von Beginn an. Gleichzeitig liegt hier eine der Grundspannungen, die das fruchtbare Unbehagen der Band erzeugt und in der schließlich auch ihr Niedergang vorprogrammiert lag.
Und ähnlich wie viele nachhaltig aussagekräftige Kunstwerke– Robert Smithsons »Spiral Jetty« und verschiedene andere minimalistische Monumente– ist die Bedeutung der Albumhülle von Fear of Music auf lange Sicht hin natürlich dem verheerenden Einfluss der Entropie ausgesetzt. Durch ihre physische Veränderlichkeit erlangt die Hülle so eine Relation zur Zeit. Soll heißen, holen Sie Fear of Music oft genug aus einem dicht gepackten Regal, werden Sie merken, dass die erhabenen Riefen nach und nach vollständig ihre Farbe verlieren. Die blanken Rippen werden immer auffälliger, sodass die Hülle einen neuen Grad visueller Faszination erreicht, obwohl sie im Begriff ist, kaputtzugehen. Sind das kleine Elritzen, die dort im Stile eines Wasserballetts von Esther Williams aus ihrem schwarzen Teich springend Bögen beschreiben? Oder ist Fear of Music in Wahrheit ein Flechtkorb?
Der sich windende Ausnahmezustand, den »I Zimbra« darstellt, hat bereits Höchstgeschwindigkeit erreicht, bevor man sich darauf einstellen kann. Es ist eine Übertragung aus Morsezeichen und stroboskopisch-geschrammelter Gitarre, die uns gleich in die Zukunft der Platte (dystopisch) und der Band (utopisch) katapultiert. In dieser Dopplung aber bleibt der Song im Wesentlichen teilnahmslos, diskret und unpersönlich– atopisch. »I Zimbra« greift Fear of Music weit voraus, obwohl er die Tür zur Platte öffnet, ihre Ouvertüre darstellt. Indem er unseren Körpern einen verführerischen Ausnahmezustand einschreibt, es gleichzeitig aber ablehnt, unseren Köpfen einen fassbaren Gegenstand zu nennen, impft uns der Song mit einer »Totvakzine«-Version von Fear of Music, die gleichzeitig Kraft gibt und krank macht. Es ist kein Verlass auf »I Zimbra«. Das Lied erzwingt die Aufmerksamkeit des Hörers, ohne sich damit aufzuhalten, ihn auch zu überzeugen. Die einst menschliche Band hat sich selbst mit einer Maschine verwechselt, die außerhalb von Raum, Zeit und Geist eine Operation durchzuführen hat. Oder ist sie mutiert und hat uns zurückgelassen? Niemand sagt es uns. »I Zimbra« macht sich uns zu Willen, wie sexuelles Verlangen oder die Angst selbst, die an einem Ort jenseits der Sprache stattfinden.
Und doch, uns verhöhnend, ist da Sprache, wenn auch eine sehr spezielle.
Gadget berry bomber clamored
Lazuli loony caloric cad jam
Ah! Bum berry glassily gland ride
He glassily tufty zebra…
Oder Ähnliches könnte die sehnsüchtige auditive Rechtschreibprüfung irgendeines Trottels ergeben– zumindest bis er durch das Textblatt korrigiert wird. Für alle, die es nach Sinn verlangt oder Hinweisen darauf, was man wohl von der Reise, die man mit dem Absenken der Nadel am Plattenspieler angetreten hat, erwarten kann, gibt es einen linken Haken Marke Dada vor die Kinnlade.
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Das Gedächtnis, dem das Artwork im Rückblick einleuchtet, ist ein Lügner. Oder eine Lüge. Indem er Fachkenntnisse und Arkana abspult, spinnt der Kritiker ein Netz der Allwissenheit, das den Herstellenden einhüllt, eine lichtscheue Spinne. Und nun kommen Sie pfeifend den Gang im Buchladen entlang– »Hab ich ja immer gemocht, die Platte, bin gespannt, was er dazu zu sagen hat«–, um selbst im Netz des Wissens verstrickt zu werden. Und bevor Sie sich’s versehen, hat die Spinne Sie zu ihrem Doppelgänger gemacht, einem weiteren Vorsteher dieses Gespinstes aus Meinungen und Trivialitäten, die Sie auch als die eigenen vor sich hertragen dürfen. Oder vielleicht nicht dürfen, sondern müssen. Dazu gezwungen sind. Ist es Ihnen wichtig, sich zu erinnern, wie es war, »I Zimbra« zu hören, bevor ich, wie eine Kugel Eis, die in Erdnussstückchen gerollt wird, es über und über mit meinen Worten bedeckt (und innerlich gefüllt) habe? Dann suchen Sie besser schnell das Weite, Freund.
Wann erfuhr ich, dass Hugo Ball (1886–1927), in Deutschland geborener Dada-Poet und Verfasser von Manifesten, die Quelle dieser wie Krypto-Stammesgesänge intonierter Nonsens-Silben war, die bei »I Zimbra« als Text dienen? Das kann ich Ihnen nicht sagen. Was ich aber weiß, ist, dass ich von Beginn an ein penibler Leser von Credits war, ein Verwalter von Datenpartikeln. Dort auf dem Textblatt zu Fear of Music fand sich »H.Ball« als Ko-Komponist (neben D.Byrne und B.Eno) und es dauerte wahrscheinlich nicht lange, bis ich ihn entdeckt hatte. Aber trotzdem bin ich mir sicher: Es gab ein Davor. Denn ich erinnere mich schemenhaft daran, wie dieses Wissen mit meinem frühsten Misstrauen gegenüber der Verweigerungshaltung des Songs hinsichtlich jeglicher Sinnhaftigkeit kollidierte. Ich wollte partout nicht, dass diese Band aufhörte, Sinn zu stiften.
Der Junge in seinem Zimmer verlangt, dass wir bei diesem Geständnis noch einen Schritt weitergehen, die Gelegenheit nutzen und sagen, dass er, als er zum ersten Mal das Textblatt zu More Songs About Buildings and Food unter die Lupe nahm und die Namen »A.Green und M.Hodges« als Urheber seines Lieblingspunkrockhits des Jahres 1978 entdeckte, das Pochen peinlicher Berührtheit unter einem rasch gebastelten Stanniolhütchen der Bescheidwisserei verbarg: Ach so, na sicher, »Take Me to the River« war ein alter R&B- oder Gospelsong, alles klar. Was für eine coole Geste seitens seiner Helden! Zu dieser Zeit nahm der Junge an, der Song stamme aus den Fünfzigern oder frühen Sechzigern und sei von den Talking Heads aufgepeppt worden. Der Junge erinnert sich mit absoluter Klarheit daran, wie er sich gefragt hatte, ob er wohl jemals mehr über »A.Green und M.Hodges« erfahren würde, als die Tatsache, dass sie diesen Song geschrieben hatten.
Dann aber, läppische sieben Jahre (und siebentausend Revolutionen in Sachen Gefühle und Geschmack) später, saß dieser Junge– nicht mehr wirklich ein Junge, aber noch genug, um ihn so nennen zu können– mit seiner College-Freundin auf einer Matratze und spielte ihr ausgewählte Aufnahmen aus seiner vollständigen Sammlung originaler Al-Green-Hi-Records-Platten vor. Um damit zu prahlen, wie viel er schon wusste, gab er zwischen den Aufnahmen exakt diese Geschichte seiner Unschuld weiter: Dass er einst auf ein Talking-Heads-Textblatt gestarrt und sich gefragt hatte, ob er je wissen würde, wer Al Green war. Zu dem Zeitpunkt empfand der Junge seine einstige Verbundenheit mit den Talking Heads als etwas Peinliches, hochgradig Unreifes, als Überrest peinlicher Anfänge. Inzwischen hatte er das Gefühl, seine Weltläufigkeit basiere auf seiner Verehrung des Werks von Al Green. Hätte man dem Zwanzigjährigen verkündet, er würde ein Vierteljahrhundert später ein Buch über die Talking Heads schreiben, statt eines über Al Green, er hätte wohl skeptisch die Augenbraue hochgezogen.
Was ich damit sagen will, ist, wie richtig und falsch man gleichzeitig liegen kann. Und dass die »Information« immer nur so viel wert ist wie das, was die Ohren bereits wissen. Oder sogar weniger. Wie viele andere auch, dachte ich, als ich es zum ersten Mal hörte– denn ich bin ja der Junge in diesem Zimmer–, »I Zimbra« klinge afrikanisch. Aber nicht, wie ich schnell hinterschieben will, im Sinne afrikanischer Musik, wie ich sie heute kenne und verehre, denn ich hatte keine Ahnung, wie afrikanische Musik klingt. Eher, beeinflusst von den Conga-Trommeln des Tracks, klang der Gesang für mich wie fingierter Stammes-Singsang in irgendeiner afrikanischen Sprache, Kisuaheli oder Zulu, oder, noch schlimmer, einer ausgedachten Uga-Uga-Sprache, einer intellektuellen Kunsthochschulversion des kannibalischen Gegrunzes und Gestöhnes in »Stranded in the Jungle« von The Cadets.
So sehr mich die Ähnlichkeit auch peinlich berührte und beunruhigte, so hätte ich diese Beunruhigung doch viele Jahre lang nicht in Worte fassen können. Es war zu persönlich. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ein Missfallen gegenüber weißen Jungs, die so taten, als seien sie schwarz, mein Leben bestimmt, meine Konflikte auf dem Schulhof, musikalischer Art oder andere, und das war genau der Grund dafür, warum ich mich mit so jubilierender Begeisterung auf Punk- oder New-Wave-Bands ohne Blueshintergrund gestürzt hatte. Die Bestimmung der Talking Heads war es, der Inbegriff meiner Möglichkeiten zu sein, ein Coolsein zu konstruieren, das weg »von der Straße« und in Richtung literarischer Dinge führte, aber trotzdem cool war. Meinethalben mussten sie nicht Richtung Afrika schauen, mit oder ohne Anführungszeichen.
Später erfuhr ich, dass die Band Fear of Music als Versuch konzipiert hatte, die Distanz zwischen Punk und Disco zu verringern. Für mich allerdings war es zu dem Zeitpunkt das Beste, davon noch nichts gehört zu haben, und dass meine auditiven Abwehrmechanismen gut genug funktionierten und verhinderten, dass ich es hörte. Ich brauchte die Talking Heads als Punkband, nicht als Funkband. In »I Zimbra« allerdings musste ich, ohne es verhindern zu können– so wie jeder andere es tat oder spätestens in der Rückschau auf Remain in Light und Speaking in Tongues tun würde–, die homöopathische Tinktur, die minimale, effektiv transformative Dosis allen Funks hören, der da noch kommen sollte.
In dieser weißen Band würden einmal Schwarze mitspielen.
Taten es vielleicht schon.
Aber damit nehmen wir viel, viel zu viel vorweg, insbesondere was den Jungen in seinem Zimmer betrifft.
Brian Eno, bis zu diesem Zeitpunkt der einzige anerkannte Eindringling in das »offizielle Quartett«, war Engländer und kahl und spielte weder Schlagzeug noch Bass, sondern Keyboard oder saß streberhaft hinter einer Konsole. Erzählt mir nichts von trojanischen Pferden!
In dieses Durcheinander plumpste der Schlüssel: Hugo Ball. Zu sehen, dass dem toten Dada-Poeten ein Teil der Urheberschaft von »I Zimbra« zugesprochen wurde, half mir, meine Sorgen bezüglich des Drifts ins Afrikanische etwas zu zerstreuen, aber nur ein wenig. Meine Ohren meldeten mir noch immer etwas Beunruhigendes, analysierten noch immer ängstlich diesen Vorboten der Zukunft der Band (die natürlich aus einer Reihe von Kollaborationen mit lebenden schwarzen Musikern bestehen sollte, nicht toten Dada-Poeten).
Was aber bedeutete er? Neugierige Geister, die aufgrund der intellektuellen Gründungsprämisse der Band zur Überinterpretation neigen– sprechende Köpfe statt Körper, die unbefangen auf der Tanzfläche herumspringen–, mögen sich dazu verpflichtet fühlen, der Sache zu Leibe zu rücken. Indem es Bedeutung ausschlug, bekam Hugo Balls Gedicht spekulativ-interpretative Kraft, wie ein Rorschach-Fleck. Dada– europäisch, collageartig, zu Manifesten und Provokation neigend, dazu, sich über die Geschichte lustig zu machen– gab einen passenden Bettgenossen für Punk ab.
In Form der gutturalen und krampfartigen Art des Vortrags der Dadaisten, ihrer Freiräume jenseits konventioneller Logik, aber auch in ihrer Tendenz zu Reglementiertem und Doktrinärem macht sich der Song seine Vorgänger zu eigen. Hugo Balls militärisches Nonsens-Gebell und das beengende, geometrische Kostüm, das er während des Vortrags auf der Bühne trug: Beides persiflierte den menschlichen Impuls zu kontrollieren und veranschaulichte die Disziplin, die nötig war, um ein solches Kunstwerk zu erschaffen (nicht zuletzt rückt ein in einer erfundenen Sprache verfasstes Lied oder Gedicht die Memorierungsleistung in den Vordergrund, die in einer Performance sonst als gegeben hingenommen wird).
Trotzdem ist es für eine Rockband ein schrecklich weiter Weg bis ins Zürich von 1916, nur um sich dort den Gebrauch von Nonsens-Silben autorisieren zu lassen. Schon lange vor dem »Surfin’ Bird« der Trashmen und lange nach »De Doo Doo Doo, De Da Da Da« von The Police, wimmelt das Rocklexikon nur so von Plappergeräuschen, Grunzlauten und Geschnatter in zoologischer Vielgestalt. Einige historisch denkende Menschen verlagern sogar den Ursprung der Form des Rocksongs in den Bereich des lautlichen Brimboriums: früher Rock’n’Roll als frohlockende, respektlose Erweiterung der Nonsens-Eskapaden in Vocal Jazz und Rhythm and Blues oder des an das In-Zungen-Sprechen der Pfingstgemeinden erinnernde »Run Old Jeremiah«, wie es John Lomax 1934 aufgenommen hat: »I gotta rock/You gotta rock/Wah wah ho/Wah wah wah ho.« Die konventionelle Lesart eines Nonsens-Songtexts– James Browns Stoßseufzer oder des Scatting im Jazz– ist womöglich die, dass die Stimme, im Versuch die wilde Ausdruckskraft der Instrumente innerhalb der Band zu imitieren, es für nötig befindet, jegliche Wortbedeutung in den Wind zu schießen.