Tanz ins Leben - Hella Westphal - E-Book

Tanz ins Leben E-Book

Hella Westphal

0,0

Beschreibung

Drei Freundinnen – drei Lebenswege. Doch immer wieder treffen Vera, Linda und Anette in ihrem Heimatdorf an der Ostsee zusammen und teilen Freud und Leid. Glück in der Liebe, beruflicher Erfolg oder auch mal Schicksalsschläge prägen die Wege in der Aufbruchsstimmung der Siebzigerjahre. Ihr Tanz ins Leben wird begleitet von Partnern, die ihnen unerschütterlich zur Seite stehen, so unterschiedlich sie auch sein mögen. Doch wer ist die finstere Gestalt, die wie ein Schatten der Vergangenheit entsteigt und ein dunkles Familiengeheimnis ans Licht bringt?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 258

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Vorwort

Drei Mädchen

Entwurzelt

Bombennächte

Auf dem Weg zum Erfolg

Erste Liebe

Der Enge entfliehen

Wiedersehen auf der Düne

Freundinnen

Ein Albtraum erwacht

Böses Kind

Der Geruch des Meeres

Geschwister

Ein Mann für alle Fälle

Frischer Wind

Warum nicht mal tanzen?

Schatten der Vergangenheit

Ein kleines Drama

Die alte Kate

Das Meer

Allein zu Hause

Ein neuer Schnitt

Großer Bruder

Ohne Mitleid

Künstlerleben

Große Schwester

Ein Haus für Linda

Der Kommissar

Drei Freundinnen

Morgenfrische

Der schlechte Mensch

Das blaue Kleid

Abschied

Wie geht es weiter?

Die Jagd ist zu Ende

Verdacht

Modenschau in neuen Räumen

Erfolg

Freundinnen für immer

Wieder zu Hause

Der schlechte Mensch

Großmütter

Besuch auf dem Gut

Schwangerschaft ist keine Krankheit

Die kleine Familie

Geständnis

Altes und neues Leben

Familienbande

Traurige Ereignisse

Veränderung

Lügenkarussell

Ich werde nie mehr glücklich sein

Freundinnen

Nachwort

Vorwort

Nun sitze ich wieder vor einem leeren Blatt und überlege, wie ich meine Ideen am besten umsetzen kann. Nicht wenige Stunden habe ich vor dem PC gesessen und an meinem letzten Buch herumgedoktert. Geschrieben, überarbeitet, liegen gelassen, vergessen, aufs Neue draufgestürzt, wieder geändert, noch mal drüber geschlafen und so weiter, und so weiter. Will ich mir das wirklich noch einmal antun? Aber natürlich!

Ich habe eine große Freude daran gefunden, zu formulieren, nachzudenken, Sätze zu bilden und wieder zu ändern, bis sie meinem Sprachgefühl entsprechen. Das kann schon mal ein längerer Prozess sein. Wenn ich daran denke, wie ich zu meinem ersten Buch gekommen bin, hat es inzwischen einige Fortschritte gegeben. Es war mir ein Bedürfnis, meine Familiengeschichte aufzuschreiben, um vor allem die Geschichten meiner Mutter, die sie uns Kindern oft am warmen Kachelofen erzählt hat, nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.

Eine fast vergessene halb automatische Schreibmaschine war mein erstes Arbeitsgerät. Ich schrieb und schrieb, und dabei fiel mir eine Erzählung nach der anderen ein. Oft auch zu dem schon festgehaltenen Blatt, wodurch es schnell eine zusätzliche B-, C- und D-Seite gab. Ein ziemlicher Aufwand. Doch unverdrossen mit zunehmender Freude am Schreiben war es dann irgendwann geschafft. Die Neuen Medien waren mir nicht vertraut, doch der Verlag wollte eine Diskette und so kam ich sehr schnell zu meinem ersten PC, den ich heute nicht mehr missen möchte. Ich übertrug die ganzen Seiten, wobei ich gleichzeitig korrigierte und überarbeitete. Natürlich hätte ein anderer für mich das Geschriebene abtippen können, doch diese persönlichen Geschichten unserer Familie, meine Herzenssache, konnte ich nicht aus der Hand geben. Meinen PC habe ich schnell schätzen gelernt, denn eine bessere Schreibmaschine, mit der man löschen, ändern, ausschneiden, umsetzen und korrigieren kann, gibt es nicht.

Anders als meine Familiengeschichte und das daran anschließende Buch »Und dann kam Hannes«, in denen ich überwiegend meine Erinnerungen verarbeitet habe, nun also mein neues Werk. Es ist ein Roman.

Obwohl sie sich anfangs gar nicht leiden können, werden drei kleine Mädchen Freundinnen fürs Leben. Als Erwachsene gehen sie sehr unterschiedliche Wege, doch das Versprechen, sich wenigstens einmal im Jahr zu treffen, halten sie ein. Zwei sind erfolgreich in ihren Berufen, die Dritte kehrt von der Liebe enttäuscht zurück zu ihrer Familie in den kleinen Ort, den man auch als Kaff bezeichnen kann. Diese jungen Frauen bieten dem Schicksal die Stirn. Sie meistern selbstbewusst ihr Leben, kümmern sich nicht um die Meinung anderer und wollen einfach mit ihrem Lieblingsmenschen zusammen sein – egal ob mit Trauschein oder ohne, was in dieser Zeit noch ziemlich unüblich ist.

Gegen alle Unwägbarkeiten hat man keine Macht, und so gibt dieser Roman auch einem üblen Verbrecher Raum, sich zu entfalten.

Schönsee, der Ausgangspunkt der Geschichte, liegt an der Ostsee inmitten einer herrlichen schleswig-holsteinischen Landschaft.

Wenn auch hier der Fortschritt in den Siebzigerjahren nicht zu übersehen ist, landet man in einer ruhigen Gegend, die von der Landwirtschaft geprägt ist. Schwarzbunte Kühe auf den üppig grünen Salzwiesen und Rapsfelder, die im Frühjahr mit ihrem leuchtenden Gelb vor dem tiefblauen Meer eine wunderschöne Kulisse bilden. Im Sommer wiegen sich goldgelbe Kornfelder im lauen Wind. Der Strand mit dem feinen weißen Sand und das weite Meer, das man hören, sehen und riechen kann, locken Einheimische wie Badegäste.

Schönsee ist ein Ort, an dem nicht alle jungen Menschen, die hier geboren sind, leben möchten, an den sie aber immer gern wieder zurückkehren. Es sind die Sechziger- bis Siebzigerjahre. Alles im Fluss, alles im Aufschwung. Der Tanz ins Leben kann beginnen.

Auch wenn der Leser meint, die Gegend zu kennen, sind der Name des Ortes sowie die Geschichte eine Fiktion, wobei die Protagonisten alle meiner Fantasie entsprungen sind. Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind zufällig und nicht gewollt.

Drei Mädchen

Linda, Anette und Vera werden zusammen mit anderen Kindern in der Dorfschule in Schönsee eingeschult. Hier bleiben sie die ersten zwei Jahre, bis die Schule geschlossen wird und alle Kinder aus den Dörfern der Umgebung in die Gemeinschaftsschule in Lütjenburg gehen müssen. Es ist erst einmal eine große Umstellung, mit dem Schulbus statt mit dem Rad in die Schule zu fahren, doch bald ist es Routine.

Anette und Linda kennen sich schon sehr gut, weil Linda mit ihrer Mutter und der älteren Schwester Frieda nach der Flucht bei der Bauernfamilie Bessen untergekommen ist. Frieda ist etwas zurückhaltend, aber die beiden kleinen Mädchen haben schnell Freundschaft geschlossen, sodass Linda praktisch zur Familie gehört. Anettes Mutter Minna sorgt immer dafür, dass die Kleine genug zu essen hat. »Och se is jo so dünn!« Und schon steckt sie ihr wieder etwas zu. Auch Schlafen ist sehr wichtig für sie. »So, nun macht ihr beiden man schön Mittagsstunde.« Und schon schickt sie sie in Anettes Kinderzimmer, wo sie zusammen in einem Bett tatsächlich ein wenig schlafen.

Überhaupt werden sie von Minna betüddelt und behütet. Es ist für Linda eine schöne Zeit, in der sie sich auch mit Anettes Geschwistern anfreundet. An dem ältesten Bruder Heinz hat sie einen Narren gefressen. Ist er doch derjenige, der mit ihr herumtollt und Späße macht, der sie auch mit in den Kuhstall oder mit aufs Feld nimmt, was von ihrer Mutter nicht so gern gesehen wird. Wogegen Anton, der jüngere, die beiden Mädchen gern mal ärgert.

In der Schule treffen Anette und Linda nun auf viele andere Kinder und müssen sich erst mal eingewöhnen, was nicht immer so einfach ist. Hier lernen sie Vera kennen, die lang und dünn in der Ecke steht und die anderen Kinder skeptisch unter die Lupe nimmt. »Linda, guck mal die da, wie die uns alle anglotzt.« Anette ist nicht gerade von der neuen Mitschülerin angetan, wobei sie Linda mit auf ihre Seite zieht. »Und die Haare, sollen das etwa Zöpfe sein?« So lästern sie noch eine Zeit lang weiter. Vera bemerkt, dass die beiden zu ihr hinschauen, denn sie verraten sich durch ihre Gestik und ihre Grimassen. Sie streckt die Zunge heraus, was die können, kann Vera schon lange. Endlich werden sie in den Unterricht gerufen. Hier müssen sie auch noch zusammen auf einer Bank sitzen. Während Herr Asmussen sich um die anderen Kinder kümmert, bricht bei den drei Mädchen ein Tumult aus. »Was ist denn hier los, wisst ihr denn nicht, dass man in der Schule leise zu sein hat?« Sie schauen ihn mit großen Augen an und Vera sagt leise: »Das ist meine Schuld, ich habe mich zu breit gemacht.« Damit hat sie bei Anette und Linda ein Stein im Brett, und als sie dann in der Pause noch vorschlägt, Fangen zu spielen, ist das Eis gebrochen.

So werden sie, obwohl sie sich anfangs nicht leiden können, mit der Zeit richtige Freundinnen. In den Pausen stehen sie immer beieinander, quatschen oder toben herum. Die drei Mädchen halten zusammen wie Pech und Schwefel.

Oft treffen sie sich auch an den Nachmittagen, um noch etwas zusammen zu unternehmen.

Anfangs gehen auch die älteren Geschwister in die gleiche Dorfschule. So werden alle Kinder von der ersten bis zur letzten Klasse in einem großen Raum von einem Lehrer unterrichtet, bis dieses Modell ausläuft. Meistens sind die Schultage entspannt, sodass es Spaß macht zu lernen. Natürlich gibt es auch mal Ärger, wenn zum Beispiel die Hausaufgaben nicht gemacht worden sind oder ein paar Jungs sich nicht ausstehen können und in der Pause eine Prügelei losgeht, dass die Fetzen fliegen.

Doch von heute auf morgen kann so Schreckliches passieren, worauf niemand Einfluss nehmen kann. Die Kinder sitzen schon im Klassenraum, als Lehrer Asmussen mit ungewöhnlich ernstem Gesicht eintritt. »Guten Morgen, Kinder. Setzt euch! Ich muss euch heute leider eine sehr traurige Nachricht überbringen. Unser Mitschüler Heinz Bessen hat gestern einen tödlichen Unfall erlitten.« Die Kinder sind wie versteinert, Heinz ist tot? Sie können es nicht glauben. Nun erklärt sich auch, warum Anette und Anton nicht zum Unterricht erschienen sind. Linda, die die ganze Aufregung bei Familie Bessen mitbekommen hat, muss natürlich trotzdem in die Schule gehen, obwohl sie ihren besten Freund verloren hat. Auch Vera ist sehr traurig, hat sie Heinz doch inzwischen durch die Besuche bei Anette und Linda gut kennengelernt. Erst langsam werden die Mitschüler etwas reger, und sie fragen sich, wie denn so etwas bloß geschehen konnte.

Ja, was ist passiert? Heinz, der als großer Junge schon in der Landwirtschaft mithelfen muss, ist mit dem Traktor unterwegs, um Stroh für die Kühe heranzuholen. Da es schon seit Tagen sehr viel geregnet hat, ist der Weg zum Strohdiemen ziemlich aufgeweicht. Es hat sich eine große Schlammpfütze gebildet, in die sein Trecker hineingelangt ist. Der Schlepper kippt zur Seite weg und Heinz gerät unter die schwere Maschine. Er überlebt den Unfall nicht. Eine tiefe Traurigkeit legt sich urplötzlich über seine Familie. Minna Bessen, die schon ihren Mann im Krieg verloren hat, ist verzweifelt, dass nun auch ihr ältester Sohn so früh durch ein furchtbares Unglück den Tod gefunden hat.

Im Gegensatz zur Mutter erholen die Kinder sich relativ schnell von dem schrecklichen Geschehen, denn sie wollen wieder spielen und lachen, sie trauern einfach anders als Erwachsene.

Ablenkung gibt es ja auch genug, denn sie müssen sich mit den neuen Gepflogenheiten in der Gemeinschaftsschule befassen!

Der Schulbus hält morgens an mehreren Stationen, um alle Kinder, groß und klein, einzusammeln, die in Lütjenburg munter in die Klassen stürmen. In umgekehrter Reihenfolge geht es nach Schulschluss zurück. Anette, Linda und Vera kommen zum Glück in die gleiche Klasse, und so können sie weiterhin zusammen lernen, sich gegenseitig unterstützen und vieles gemeinsam unternehmen.

Trotz der Enge in der Arbeiterwohnung auf dem Gutshof sind Veras Freundinnen nach der Schule immer gern bei Sievers zu Besuch. Sie brauchen nicht viel Platz, denn so ist es noch gemütlicher. Meistens hat Veras Mutter Maria Kuchen gebacken, den sie sich gern mit Kakao schmecken lassen. Besonders in der kälteren Jahreszeit vergessen sie am bollernden warmen Kachelofen beim Spielen und Herumalbern oft die Zeit. »Oh, schon so spät? Jetzt müssen wir aber los.« Natürlich ist es schon fast dunkel, und wieder müssen sie auf dem schmalen Fußweg vom Gut ins Dorf an dem wütend schnaufenden Bullen vorbei, der dort angepflockt auf der Wiese wild mit den Hufen stampft. In der Dämmerung ist es besonders unheimlich, denn man kann ihn nur schemenhaft erkennen, dafür aber umso lauter hören. Linda und Anette sind froh, mit dem Fahrrad unterwegs zu sein, da ist man zum Glück schnell an dem Untier vorbei. Obwohl es inzwischen dunkel geworden ist, sind die Mütter nicht sehr beunruhigt, denn sie wissen ja, wo sich ihre Mädels aufhalten.

Entwurzelt

Alwara Endrokat kommt wie so viele andere Menschen mit der Flüchtlingswelle nach Schleswig-Holstein. Sie landet mit ihrer alten Mutter und ihrem Sohn Jonatan in diesem kleinen Nest an der Ostsee. Jonatan geht hier wie alle anderen Kinder, ob geflüchtet oder einheimisch, erst mal in die Dorfschule und später in die Gemeinschaftsschule. Obwohl er ein Einzelgänger ist, schließt er sich während der Schulzeit selten aus, zudem ist er ein guter Schüler, an den sich die anderen wenden, wenn sie etwas nicht verstanden haben. Doch sobald die Schule aus ist, greift er nach seiner verschlissenen Aktentasche und rennt heim. Keiner seiner Mitschüler war jemals bei ihm zu Hause, das wäre Jonny, wie er von einigen seiner Mitschüler genannt wird, auch sehr peinlich. Nach den ersten Jahren, in der Großmutter, Mutter und Kind bei einer Familie im Dorf untergekommen sind, haben sie endlich eine kleine Wohnung in einer Fischerkate am Strand bezogen, leider ist seine Oma, die er sehr geliebt hat, nicht mehr dabei.

Die meisten Flüchtlinge sind inzwischen dort hingegangen, wo sie Arbeit gefunden haben. Viele sind ins Ruhrgebiet gezogen, um in der Kohleindustrie ihre Familien zu ernähren, andere suchen ihr Glück in der großen weiten Welt.

Hier am Wasser fühlt Jonatan sich wohl, wobei er sich noch wohler fühlen würde, wenn seine Mutter sich wie eine normale Frau verhalten würde, die für sich und für ihren Sohn Verantwortung übernimmt. In den seltenen Augenblicken, in denen sie nüchtern ist, verspricht sie ihm immer wieder, nicht mehr zu trinken, und es gibt nichts, was er sich mehr wünscht. Doch inzwischen kann er sich nicht vorstellen, dass sie es jemals schafft. Jonatan ist jeden Tag mehr oder weniger sich selbst überlassen.

Wie so viele andere Menschen, die nicht über ihre Kriegs- oder Fluchterlebnisse reden können, hat auch seine Mutter nie etwas darüber erzählt. Dass es furchtbare Ereignisse gewesen sein müssen, ahnt er nur. Zum Beispiel möchte er gern wissen, wer sein Vater ist. Doch auf seine Fragen antwortet sie nur ausweichend. Sie macht ihm aber klar, dass er nicht mehr lebt. Anscheinend weiß sie selbst nicht genau, was aus ihm geworden ist. Ist er im Krieg gefallen, oder hat er seinem Leben selbst ein Ende bereitet? Alles, was ihn betrifft, bleibt im Ungewissen. Es macht Jonatan traurig, denn er hat das Gefühl, dass seine Mutter seinen Vater nicht geliebt hat. Ist er etwa ein Vergewaltigungskind? Warum redet sie nicht mit ihm?

Manchmal schreit sie so schrecklich im Schlaf, dass er hellwach in die Höhe schnellt. »Mama, Mama, wach auf, wach auf, du träumst!« Er fasst sie sanft an den Armen und versucht, sie zu wecken. Sie schreckt auf und schaut ihn mit angsterfüllten Augen an. »Mama, ich bin es doch, Jonatan, hab keine Angst!«

Alwara Endrokat ist immer noch eine schöne Frau, blond, schlank und hochgewachsen, kann aber inzwischen die Spuren ihrer Alkoholexzesse nicht mehr verleugnen. Ihre Haare sehen etwas ungepflegt aus und in ihrem Gesicht zeichnen sich typische Linien ab, die ein unsolides Leben verraten. Jonatan liebt seine Mutter und wünscht sich nichts mehr, als dass sie nüchtern bleibt und vielleicht sogar eine Arbeit aufnimmt. Er hat schon einiges versucht, doch alles ohne Erfolg. Manchmal grübelt er, wie sie wieder an den Alkohol gekommen ist. Er hat die Flaschen versteckt oder sogar ausgekippt, dennoch ist sie wieder betrunken, als er aus der Schule kommt. Wahrscheinlich ist sie wieder in der Kneipe im Dorf gewesen und hat sich von irgendwelchen Trunkenbolden aushalten lassen.

Er stellt seine Schultasche ab und sieht sich in dem verwahrlosten Wohnzimmer um. Seine Mutter schläft auf dem Sofa ihren Rausch aus. Ein überquellender Aschenbecher, benutzte Gläser, eine leere Schnapsflasche und mehrere zerfledderte Zeitschriften lassen den kleinen Couchtisch unter sich fast verschwinden. Es sieht aus, als wäre sie nicht allein gewesen. Jonny nimmt den Alkohol-, Zigaretten- und Schweißgeruch wahr und reißt angewidert das kleine Fenster auf. Er geht in die winzige Küche und bereitet sich auf dem alten Gasherd sein Mittagessen zu, das wieder mal der Einfachheit halber aus Spiegeleiern besteht. Ein Kanten Brot dazu, und schon ist seine Mahlzeit fertig.

Nur zu gern würde er einfach verschwinden, aber wer kümmert sich dann um seine kranke Mutter? So geht er stattdessen wieder an seinen Lieblingsort am Strand, auf die mit Strandhafer bewachsene Düne, schaut aufs Meer und lässt seinen Gedanken freien Lauf. Von hier aus kann er den ganzen Strand überblicken, der rechts an der wilden Steilküste endet und links sanft in den flachen Dünen ausläuft. Das Wasser ist glatt und die Farben gehen von hellem Türkis ins Dunkelblaue über. Die Wellen schwappen leise in regelmäßigem Einerlei an das Ufer. Möwengeschrei in den Ohren und in der Ferne Segelboote, die wie große weiße Vögel ihre Bahnen ziehen. Wie gern würde Jonatan mit ihnen davonsegeln und all seine Sorgen hierlassen.

Von seiner Warte aus entdeckt er zwei Spaziergänger, die sich ab und zu bücken. Vielleicht suchen sie Muscheln oder Bernstein.

Er könnte auch mal wieder nach Treibholz schauen, denn es macht ihm viel Freude, aus den schon vom Salzwasser vorgeformten Stücken Figuren zu gestalten. Dann sitzt er bei seinem Freund Otto und schnitzt in aller Ruhe seine urigen Gestalten. Dazu fällt Otto meistens die eine oder andere Geschichte ein, die er dann in aller Ausführlichkeit zum Besten gibt.

Er beobachtet die beiden Strandgänger noch eine ganze Weile. Langsam setzt die Dämmerung ein. Zeit, nach Hause zu gehen.

Schon als er in die Nähe seiner Wohnung kommt, bemerkt er einen seltsamen Trubel. Was ist denn dort los? Auf einmal ist er unruhig und macht sich sofort Vorwürfe, so lange weggeblieben zu sein.

Ein Krankenwagen und ein Polizeiauto stehen vor der Kate.

Plötzlich rennt er los, denn ihm ist klar: Da muss etwas passiert sein. Ein Polizist hält ihn zurück, als er ins Haus laufen will. »Halt, Junge, da kannst du nicht rein!«

»Ich wohne hier, was ist mit meiner Mutter?«

»Bist du Jonatan Endrokat?«

»Ja, aber ist meiner Mutter was passiert?«

»Wo warst du die letzten Stunden?«

»Nach der Schule habe ich mir was zu essen gemacht und bin dann an den Strand gegangen. Warum fragen Sie das alles?« Jonatan ahnt Schreckliches.

»Deine Mutter ist tot aufgefunden worden. Es tut mir leid, mein Junge. Gibt es jemanden, der sich um dich kümmern kann? Kannst du zu deinem Vater?«

»Nein, einen Vater habe ich nicht. Wir sind allein, meine Mutter und ich, aber ich kann mich um mich selbst kümmern. Ich bin alt genug.«

In dem Moment taucht der Vermieter auf, der alte Fischer Otto Jensen, Jonatans großväterlicher Freund, der die andere Wohnung im Häuschen bewohnt. Er scheint den Polizisten zu kennen, denn er spricht ihn mit Namen an. »Hör mal zu, Hermann, der Junge kann erst mal bei mir wohnen. Wir beide kommen schon zurecht.«

Otto schiebt Jonatan vor sich her in seine Wohnung. Er möchte auf jeden Fall vermeiden, dass der Junge seine tote Mutter sieht, denn inzwischen ist der Leichenwagen vorgefahren.

Sie kommen in eine kleine Wohnung, die das Gegenteil von Jonnys Behausung ist. Ein wenig altmodisch eingerichtet, aber alles sauber und aufgeräumt. Ein leichter Geruch nach Pfeifenrauch vermittelt eine gewisse Gemütlichkeit.

»So, jetzt werden wir uns erst mal ein ordentliches Abendbrot zubereiten.«

Jonatan hat einen Kloß im Hals und verspürt absolut keinen Appetit, möchte seinen alten Freund aber auch nicht vor den Kopf stoßen. Als alles auf dem Tisch steht, versucht er sogar, ein paar Happen zu essen.

Otto sieht ihn ein wenig besorgt an, wobei sein wettergegerbtes Gesicht noch faltiger erscheint. »Was machen wir jetzt mit dir, Jonny? Ich glaube, du bleibst heute erst mal bei mir, denn noch kannst du nicht in eure Wohnung zurück.«

»Was soll ich bloß machen, Otto? Ich bin jetzt Vollwaise, aber ich will auf keinen Fall in ein Heim!« Er schluckt verzweifelt und kann plötzlich seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Der große, traurige Junge, der soeben seine Mutter verloren hat, lässt sie einfach laufen.

Trotzdem weiß er, dass die unglückliche Alwara jetzt ihre Ruhe gefunden hat, und bei aller Trauer um sie ist ihm auch bewusst, welche Last von ihm genommen wurde. Jetzt wird er sich nur noch um sich selbst kümmern, denn er ist immerhin schon vierzehn Jahre alt. Dabei ahnt er nicht, wie schwer ihm das alles fallen wird.

Otto legt Bettwäsche bereit, damit Jonatan auf der Couch schlafen kann. Diese Fürsorge ist er gar nicht gewohnt, und deshalb ist sie ihm sogar ein wenig unangenehm. Solange er denken kann, musste er sich immer selbst behelfen, weil seine Mutter ihn nicht betreuen konnte. Trotzdem ist er seinem alten Freund sehr dankbar, dass er ihm zur Seite steht.

Er erinnert sich an so viele Stunden, die er bei ihm war, als er seinen Beruf als Fischer noch ausgeübt hat. Als er bei Sonnenschein vor dem Haus auf dem alten Hocker gesessen, die Netze geflickt und in aller Ruhe sein Pfeifchen geraucht hat. Gespannt hat Jonatan seinen Geschichten übers Fischen auf hoher See und manchen Klabautermannsmärchen gelauscht. Dabei konnte er wenigstens für kurze Zeit die Sorgen um seine Mutter vergessen.

*

Ohne einen Pfennig Geld und vermeintlich ohne jede Möglichkeit, etwas Sinnvolles aus seinem Leben zu machen, ist er losmarschiert. Das Einzige, was seine Identität verrät, ist sein Ausweis, den er noch vor Kurzem vom Amt erhalten hat. Den hütet er wie einen Schatz, ohne ihn jemals einem Menschen zu zeigen, denn dann müsste er befürchten, aufgrund seines Alters von vierzehn Jahren doch noch in ein Heim zu kommen. Die wenigen Habseligkeiten in seinem alten Rucksack verstaut, begibt er sich nun also auf den Weg in eine unbekannte Zukunft.

Eines Tages, als er im Morgengrauen von einem Bauern im Stroh entdeckt wird, kommt er auf die Idee, ihm seine Arbeitskraft anzubieten. Der Bauer fragt nicht lange, was der junge Bursche zu verbergen hat, denn in der Erntezeit kann er jeden gebrauchen, der anpacken kann. Jonatan arbeitet für Unterkunft und Essen, und noch ist er damit auch zufrieden. Doch lange hält er es nicht an einem Ort aus, zumal er befürchtet, dass nach ihm gesucht wird. So wandert er immer weiter durchs Land, arbeitet mal hier, mal dort. Es macht ihm Freude, in der Landwirtschaft zu helfen, und meistens hat er Glück, einen Bauern zu finden, der seinen Eifer schätzt und ihm sogar etwas Geld für seine Arbeit gibt, sodass er sich ab und zu auch ein paar neue Sachen zum Anziehen kaufen kann.

So vergehen Jahre, die aus dem mageren Bürschchen einen kräftigen, an der frischen Luft gebräunten jungen Mann machen, der von Schleswig-Holstein durch die schönen Landschaften bis nach Bayern wandert.

Bombennächte

1944. Theo Harder, Jahrgang 1938 ist ein Einzelkind und kommt aus einer alteingesessenen Hamburger Familie. Sein Vater Karl, ein großer, kräftiger Mann, ist Kaufmann und im Kaffeehandel tätig. Seine Mutter, eine behütete Tochter aus guten Verhältnissen, ist nicht gerade dafür geschaffen, in diesen schrecklichen Zeiten des Krieges mit der Realität fertigzuwerden. Ihnen gehört ein Mietshaus in der Innenstadt, in dem sie selbst eine große Wohnung zur Verfügung haben.

Theo kann sich nur noch an wenige Dinge in seiner frühen Kindheit erinnern, die sich überwiegend im Krieg abgespielt hat. Er weiß zwar noch genau, wo in seinem Zimmer das kleine Bett stand und wo das Bord hing, das er voller Stolz mit einer Sammlung verschiedener Blechautos bestückte. Auch wie oft er am Fenster stand und neidvoll in den Hof schaute, wenn die großen Jungs mit einem Gummiball herumbolzten und man das Flopp, Flopp, Flopp bis oben hören konnte. Aber viele andere Dinge sind einfach in Vergessenheit geraten.

So kann er sich auch nur noch dunkel an die eine bestimmte Bombennacht erinnern.

Die schrillen Sirenen reißen sie aus dem Schlaf, sie greifen eiligst ihre gepackten Notkoffer und stürmen nach unten. In unendlichen Stunden, verängstigt mit vielen anderen Menschen dicht gedrängt im Bunker, verbringen sie die Nacht.

Als sie am frühen Morgen den Untergrund wieder verlassen und das Tageslicht auf das zerstörte Wohngebäude fällt, bricht für Marga Harder eine Welt zusammen. Ihr Haus ist nur noch ein großer, qualmender Trümmerhaufen. Sie kreischt und lamentiert: »Was soll nun bloß werden, wo sollen wir hin? Es gibt nichts, wofür es sich lohnt, am Leben zu bleiben!«

Theo ergreift ihre Hand. »Mama, ich bin doch noch da. Ich bin schon groß.«

Nichts haben sie retten können, nur ihr nacktes Leben.

Sein Vater im Krieg an der Ostfront und seine Mutter ziemlich lebensfremd, da muss der kleine Theo schon früh erwachsen werden. Aber wie soll ein Kind von sechs Jahren wissen, wie es weitergeht? Keine Unterkunft, nichts zu essen und die Mutter unfähig, mit der Situation umzugehen.

Doch in allen, aber besonders in schlechten Zeiten gibt es erstaunlicherweise immer Menschen, die mitleidig jene unterstützen, denen es noch erbärmlicher geht.

So nimmt Frau Pohl, die rüstige ältere Dame aus dem Nebenhaus, das erstaunlicherweise kaum etwas abbekommen hat, die beiden bei sich auf. Es ist zwar eng in ihrer kleinen Wohnung, aber sie sind erst mal untergebracht und haben ein Dach über dem Kopf.

Vor dem Krieg hat Frau Pohl als Putzfrau bei Familie Harder die weitläufige Wohnung gereinigt. Da war das Leben noch in Ordnung, da haben die Großen die Kleinen genährt. In der jetzigen Situation ist es umgekehrt. Tante Pohl, wie Theo sie nennt, ist offenbar ein Organisationstalent. Oft ist sie stundenlang unterwegs und kommt mit Lebensmitteln zurück, aus denen sie etwas Schmackhaftes zubereitet. Wie sie an diese Sachen gekommen ist, hat sie nie verraten.

So haben sie Glück im Unglück und überleben dank ihrer Unterstützung das letzte Kriegsjahr. Als Theos Vater unverhofft zurückkommt, wird auch seine Mutter wieder ein wenig zuversichtlicher. Die fetten Jahre sind zwar vorbei, aber sie lassen sich nicht unterkriegen. Arbeit gibt es genug und langsam, ganz langsam geht es wieder aufwärts. In den Lücken, die die aufgeräumten Trümmerfelder hinterlassen, schießen moderne Mehrfamilienhäuser in die Höhe, die wegen der Wohnungsknappheit schon während der Bauzeit vergeben sind.

Auch Theos Familie zieht in eine Neubauwohnung.

Hier bleiben sie, bis das Schicksal wieder zuschlägt. Inzwischen hat Theo die Schule mit der Mittleren Reife abgeschlossen und ist bereits im dritten Lehrjahr, als seine Mutter schwer erkrankt und in einem Pflegeheim untergebracht werden muss. Sein Vater, der große starke Karl, kann das kaum verkraften. So macht Theo sich zu Recht Sorgen um beide Elternteile.

Eines Tages nach der Arbeit findet er seinen Vater mit schmerzverzerrtem Gesicht in der Küche am Boden liegen. »Papa, Papa was machst du bloß? Du darfst nicht sterben! Du bist noch viel zu jung!«

Doch sein Vater ist nicht mehr ansprechbar. Der Notarzt, der schnell eintrifft, kann ihm auch nicht mehr helfen. So erliegt Karl Harder mit zweiundfünfzig Jahren einem Herzinfarkt. Er lässt einen verzweifelten Jungen mit einer kranken Mutter zurück.

Als sie erfährt, dass ihr Mann gestorben ist, erlöschen auch die letzten Lebensgeister. Marga Harder wird das Bett nicht mehr verlassen.

Theo ist bei ihr, sooft es geht. Ihr Zustand verschlechtert sich zusehends, bis sie in seinen Armen stirbt. Er ist erschüttert. In so kurzer Zeit Vater und Mutter verloren zu haben, geht nicht spurlos an ihm vorüber. Nun ist er mutterseelenallein, hat weder Eltern noch andere Verwandte, die sich um ihn kümmern können.

Immer in seiner Nähe sein Schul- und Jugendfreund Udo, bei dessen Familie Theo ein und aus geht. Hier kann er bleiben und erfährt ein intaktes Zusammenleben, das ihn von seiner Trauer ein wenig ablenkt.

Nach seiner Lehre fängt Theo bei einer großen Versicherung als freier Mitarbeiter an. Er arbeitet sich schnell ein und ist ein guter Vermittler. Ein Mann, dem man vertrauen kann. Er mag Menschen und ist nicht in der Lage, jemanden übers Ohr zu hauen. Gern geht er zu seinen Kunden nach Hause, um in ihrer vertrauten Umgebung seine Verträge abzuschließen. So kann er gleich feststellen, ob die Leute in der Lage sind, die Beiträge zu bezahlen, oder ob sie die bestimmte Versicherung überhaupt brauchen.

So lernt er auch ein paar Jahre später Linda kennen. Sie wendet sich an seine Versicherung, weil sie sich beraten lassen möchte. Sie lernt Schneiderin und ist im dritten Lehrjahr. Ihre Meisterin hat gleich ihr Talent entdeckt und sie so gut es geht gefördert. So animiert sie Linda, ihre selbst entworfene Mode zu kreieren, wobei sie das Schnittmuster herstellen, den Stoff aussuchen und zum Schluss auch nähen muss. Diese Praxis kommt ihr später, als sie sich selbstständig macht, zugute.

Pünktlich zu dem angegebenen Termin klingelt es bei ihrer Tante Berta, bei der sie anfangs noch wohnt. Weil sie den Vertreter erwartet, öffnet sie die Tür und ist baff.

»Guten Tag, mein Name ist Theo Harder. Ich komme von der Versicherung. Sind Sie Fräulein Simoneit?«

Linda kann nur nicken. Niemals hat sie mit so einem jungen Mann gerechnet, der auch noch verdammt gut aussieht. Nach der ersten Sprachlosigkeit fängt sie sich und bittet ihn herein. Souverän bespricht er mit ihr den Vertrag, welche Vorteile er für sie bringt und alles Weitere, wobei Linda nicht so richtig bei der Sache ist. Dafür hört ihre Tante genau zu und ermuntert sie schließlich zu unterschreiben.

Auch Theo ist überrascht, so ein schönes Mädchen vorzufinden, das auch noch bei jedem Blick von ihm errötet.

Da er sie unbedingt wiedersehen will, lässt er mit Absicht eine bestimmte Sache im Vertrag aus, die er dann später mit ihr besprechen muss. So steht er zwei Tage später, groß und schlank, die dunklen Haare glatt zurückgekämmt, mit einem Riesenlächeln im Gesicht vor ihrer Tür. Schnell ist der Vertrag bereinigt und bei der Verabschiedung nimmt er all seinen Mut zusammen. »Fräulein Simoneit, hätten Sie Lust, mit mir ins Kino zu gehen? Ich würde mich sehr freuen.«

Linda ist überrascht, aber sie ist so von ihm angetan, dass sie nicht lange überlegt und zusagt. Sie fragt nicht mal, was es für einen Film gibt.

Tante Berta, die in der Küche gelauscht hat, nickt. So ein netter junger Mann, der passt gut zu meiner lieben Linda.

Bei einem Besuch im Kino bleibt es nicht, denn sie merken schnell, dass sie sehr gut zusammenpassen. Ihre regelmäßigen Treffen werden von beiden herbeigesehnt. Am liebsten würden sie sich gar nicht mehr trennen, was Theo als Anlass nimmt, nach einer gemeinsamen Wohnung zu suchen.

»Ich glaube, heute muss ich dir mal etwas zeigen, Linda. Es ist gar nicht so weit weg von der Wohnung deiner Tante. Wir können zu Fuß gehen.« Theo hat es eilig, denn was er entdeckt hat, wird auch von anderen begehrt.

»Sag bloß, du hast eine Wohnung in Aussicht? Das wäre zu schön, um wahr zu sein.«

»Hm, lass uns erst mal schauen.«

Auf dem Weg zum Erfolg

Hamburg 1968. »Wie lange soll ich denn noch warten?« Theo macht ein langes Gesicht, als er sich seiner Freundin durch die offene Badezimmertür zuwendet, die gerade dabei ist, ihr Gesicht zuzukleistern, wie er es im Stillen immer nennt. Ungeschminkt geht Linda Simoneit nie aus dem Haus, da müsste schon die Welt untergehen.

Dabei hat sie es wirklich nicht nötig mit ihrer zarten Haut, ihren schönen Augen, den geschwungenen kräftigen Brauen und den vollen Lippen. »Moment noch, bin gleich fertig.« Schnell kämmt sie ihre dunkelbraunen, etwas widerspenstigen Haare mit kräftigen Strichen nach hinten und bindet sie zusammen. »So, das war’s, wir können los!« Sie tritt aus der Tür und Theo kriegt den Mund nicht mehr zu. »Mannomann, du bist so schön, als wärst du einem Modemagazin entsprungen.«

»Nun übertreib mal nicht und beweg dich. Eben konnte es nicht schnell genug gehen und nun rührst du dich nicht von der Stelle.« Lachend verlassen sie die Wohnung, um zu seinem Auto zu gehen, das in der Nebenstraße steht, weil gestern mal wieder vor dem Haus alles zugeparkt war.