Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
Mit dem Taxi 99 geht es zurück in die wilden 70er Jahre: Der Autor Kurt Geisler verbindet eigene Erinnerungen aus seiner Zeit als junger Taxifahrer mit viel Fantasie zu einer Reihe vergnüglicher Episoden. Hauptrolle darin spielt Tim Kleinschmidt, der als unerfahrener Taxifahrer das schillernde Kieler Nachtleben zu einer Zeit kennenlernt, als Diskotheken wie das Lollipop, Victory, Vanilla Fudge, Tamen-T, Joy und King George aufblühten. Tim Kleinschmidt kutschiert Prominente, Nachtschwärmer und Nachtarbeiter nach der Sperrstunde bis in die frühen Morgenstunden und erinnert dabei an olympische Zeiten, die Kieler Woche, den Kieler Umschlag und den berüchtigten Schrägen Funken.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 95
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Kurt Geisler ist eingefleischter Schleswig-Holsteiner. Das Land und seine Menschen hält er nicht nur im Wort, sondern auch im Bild fest. Seine Fotografien waren bereits in verschiedenen Ausstellungen zu sehen und haben seinen Blickwinkel für das literarische Schaffen geprägt, was bisher zu sechs Krimis, zwei Herausgeberschaften und einem historischen Band in verschiedenen Verlagen geführt hat. Bei dco betreute er als Herausgeber die Sammlung von Kurz-Krimis "Echt Fies!"
Für Liliya
PROLOG
MONTAG, 29. DEZEMBER 1969, 17 UHR, ERSTER ARBEITSTAG
DIENSTAG, 30. DEZEMBER 1969, 17 UHR, NACHTSCHICHT
MITTWOCH, 31. DEZEMBER 1969, 19 UHR, BEGINN NACHTSCHICHT
SONNABEND, 28. FEBRUAR 1970, 19 UHR, NACHTSCHICHT
DONNERSTAG, 30. APRIL 1970, 19 UHR, DOPPELSCHICHT
SONNABEND, 20. JUNI 1970, 16 UHR, NACHTSCHICHT
SONNABEND, 31. OKTOBER 1970, 9 UHR, TAGESSCHICHT
MITTWOCH, 23. DEZEMBER 1970, 9 UHR, TAGESSCHICHT
MONTAG, 22. FEBRUAR 1971, 17 UHR, NACHTSCHICHT
SONNABEND, 19. JUNI 1971, 17 UHR, NACHTSCHICHT
SONNTAG, 16. JANUAR 1972, 22 UHR, NACHTSCHICHT
DONNERSTAG, 10. AUGUST 1972, 8 UHR, TAGESSCHICHT
SONNTAG, 28. AUGUST 1972, 10 UHR, TAGESSCHICHT
SONNABEND, 23. JUNI 1973, 10 UHR, TAGESSCHICHT
DIENSTAG, 16. OKTOBER 1973, TAGESSCHICHT
DONNERSTAG, 18. OKTOBER 1973, 12 UHR, TAGESSCHICHT
MONTAG, 29. APRIL 1974, 19 UHR, NACHTSCHICHT
MONTAG, 11. NOVEMBER 1974, 19 UHR, NACHTSCHICHT
FREITAG, 31. JANUAR 1975, 15 UHR, SPÄTSCHICHT
SONNABEND, 21. JUNI 1975, 10 UHR, TAGESSCHICHT
MONTAG, 21. JUNI 1976, 10 UHR, TAGESSCHICHT
MITTWOCH, 23. MÄRZ 1977, 20 UHR, NACHTSCHICHT
SONNTAG, 31. DEZEMBER 1978, 19 UHR, NACHTSCHICHT
DIENSTAG, 2. JANUAR 1979, 14 UHR, WOHNUNG FELDSTRASSE
FREITAG, 5. JANUAR 1979, 9 UHR, TAGESSCHICHT
MITTWOCH, 14. FEBRUAR 1979, 19 UHR, NACHTSCHICHT
SONNABEND, 15. DEZEMBER 1979, 19 UHR, NACHTSCHICHT
SONNABEND, 22. DEZEMBER 1979, 10 UHR, WOHNUNG FELDSTRASSE
Moin. Sie sind?
Ich? Tim.
Tim wer?
Tim Kleindienst.
Kieler?
Ja.
Warum Taxi in den 70ern?
Vorher in Kneipen gejobbt.
Anstrengend, oder?
Ja, musste herunterkommen.
Heute immer noch Taxifahrer?
Nein.
Warum?
Studium in den 80ern.
Und rückblickend?
Coole Zeit, die wilden 70er.
Danke für Ihre informativen und umfänglichen
Antworten.
Bitte.
Interessiert schaute ich mich um auf dem kleinen Betriebshof des Taxiunternehmers Brumm im neu errichteten Kieler Stadtteil Mettenhof, der erst vor einigen Jahren eingemeindet worden war. Einem Einfamilienhaus war eine Garage mit zwei Stellplätzen angegliedert, in der ein schwarzes Taxi mit der Ordnungsnummer 99 stand. Sehen ließ sich niemand, alles wirkte ein wenig verlassen. Bis mir mein neuer Chef Berthold Brumm von hinten die Hand auf die Schulter legte.
»Du bist Tim Kleindienst, richtig? Der neue Nachtfahrer. Willkommen in unserem bescheidenen Domizil, ich bin der Berthold. Meine Frau Marleen ist gerade noch kurz zum Einkaufen gefahren, du wirst sie irgendwann später einmal kennenlernen.«
Warum ich die Frau von dem Bückling unbedingt kennenlernen sollte, das erschloss sich mir zunächst nicht. Interessiert verfolgte ich, wie mein neuer Chef mir zunächst die wichtigsten Hebel und Schalter des Mercedes erklärte, danach waren Taxameter und Funkverkehr an der Reihe und abschließend der versteckte Alarmknopf. Plötzlich musterte er mich mit ernster Miene.
»Tim, es ist nicht schlimm, wenn du in der Nachtschicht einmal einen schlechten Tag hast. Das gleicht sich über die Wochen und Monate wieder aus, das wirst du schon sehen. Schlimm ist nur, wenn du mir eine Beule in meine Taxe fährst, denn das bedeutet Verdienstausfall, Reparaturkosten und einen höheren Versicherungsbeitrag. Also, besser im Autoverkehr gleiten statt fighten, und jetzt ab vom Hof. Gute Fahrt!«
Mit diesen mahnenden Worten verließ ich eingeschüchtert im Schneckentempo den Hof, während mir ein geschlossenes Mercedes Cabrio mit Karacho entgegen schoss. Die flotte Blondine am Steuer musste Marleen sein, Bertholds Frau. Ich konnte nur mit einer heftigen Lenkbewegung ausweichen und musste dabei den zweiten Gang der Taxe unter größerem Kraftaufwand einlegen, was mir ein lautes »Und zukünftig bitte mit den Gängen kein Zähneputzen mehr!« vom Chef einbrachte.
Nun war ich auf mich allein gestellt. Zunächst machte ich mich näher mit den Armaturen vertraut, schließlich fährt man als Twen nicht jeden Tag einen Mercedes-Benz. Ah, Lüftung hier, Heckklappe dort. Alles anders als bei meinem alten VW-Käfer, nur das Radio erschien mir vertraut. Das schaltete ich aber erst auf der Stadtautobahn ein, die gerade für das Olympia-Segeln 1972 fertiggestellt worden war. Voreingestellt war auf UKW der Erbschleicherfunk vom NDR, auf dem meistens nur sinfonische Musik gesendet wurde, verbunden mit Glückwünschen an Altvordere von den Nachkommen. Mein Versuch, den Sender Radio Luxemburg auf der Mittelwelle zu fassen zu bekommen, scheiterte kläglich. Zufrieden nahm ich aber den Einschub für Kompaktkassetten zur Kenntnis, den würde ich am nächsten Tag ausgiebig füttern. Plötzlich erscholl ein knarrendes Geräusch und eine tiefe Frauenstimme meldete sich aus einem Lautsprecher.
»Taxe 99, bitte melden!«
Nun war es so weit, offenbar nahte mein erster Fahrauftrag. So meldete ich mich, wie es der Chef mir vorher eingetrichtert hatte. »Die Taxe 99 bei der Arbeit.«
»Ah, eine neue Stimme. Hat die Kollegin schon Feierabend?«
Blöde Frage, und so gab ich eine entsprechende Antwort. »Vermutlich ja, jedenfalls bin ich allein im Fahrzeug.«
Das gab einigen Kollegen Anlass, über Funk hämische Kommentare abzugeben.
»Hört, hört.«
»He, he, he ...«
»Schon wieder ein Neuer bei Brummi?«
Aber die Dame von der Zentrale ließ sich nicht beirren. »Taxe 99, bitte möglichst schnell für Ihren Chef in die Holzhofallee 39 auf den Namen Petersen.«
»Taxe 99 hat verstanden, bin gleich dort.«
Keine fünf Minuten später hielt ich bei einem kleinen dreigeschossigen Mietshaus, vor dem eine aufgedonnerte künstliche Blondine ungeduldig wartete. Hastig stieg sie in den Fond.
»Scheiße, das wird Berthold teuer zu stehen kommen. Wie kann er mich vergessen? Nun fahr schon endlich los.«
Ich fühlte mich überrumpelt. »Ja, aber wohin denn?«
»Das siehst du doch, Las Vegas. Dalli, dalli!«
Verständnislos sah ich sie an, und so wurde sie direkt. »Mein Gott, zur Küste natürlich.«
Ich verstand immer noch nicht. »Welche Küste?«
»Zum Ficken. Mein erster Freier wartet schon, ein Geschäftsmann mit wenig Zeit.«
Ich bekam einen roten Kopf. Meine erste Tour sollte also zur Kieler Küste gehen, wie das Rotlichtviertel in der Innenstadt im Volksmund genannt wurde. Nach dem Abriss vom alten Vergnügungslokal Seeteufel waren im gesamten ehemaligen Gängeviertel zwischen dem Alten Markt und der Förde zahlreiche Neubauten entstanden, alle offenbar in Hinblick auf die anstehenden Olympischen Spiele.
Für mich galt es jetzt, ordentlich Gas zu geben. So kitzelte ich aus dem schwachen Dieselmotor alles heraus, was ging. 200 Meter vor dem Westring wurde ich zwar von einer Polizeistreife geblitzt, aber keine zehn Minuten später hielt ich am Wall direkt vor dem Etablissement. Immerhin drückte mir die Prostituierte zehn Mark in die Hand.
»Du bist neu, was? Gute Fahrt noch.«
Sprachlos nickte ich, was sollte ich ihr schon wünschen?
Als sie im Las Vegas entschwunden war, stieg ich aus meinem Fahrzeug und betrachtete das Gebäude genauer. In den zahlreichen Fenstern über dem Etablissement zeigten sich viele Damen recht freizügig auf der Suche nach früher Kundschaft. Nachdenklich fuhr ich weiter zum nächsten Taxistand und parkte hinter der Taxe 34. Der Kollege bequemte sich leicht genervt aus seinem Taxi und näherte sich mir.
»Du bist der Neue bei Brummi, richtig?«
Vorsichtig nickte ich. »Ja, das war eben meine erste Tour.«
Verständnislos musterte er mich. »Und warum willst du keine weitere Tour haben?«
»Das will ich, schließlich stehe ich jetzt an zweiter Stelle an diesem Stand.«
»Na, denn mal viel Spaß.«
»Wieso, mache ich etwas verkehrt?«
Der Kollege schien zu überlegen, ob er mir einen Rat erteilen sollte. Schließlich rang er sich dazu durch. »Das bleibt aber unter uns: Vor 22 Uhr ist an diesem Stand tote Hose, weil momentan alle Fahrgäste hier im Puff gerade erst eintreffen.«
Das leuchtete mir ein. »Aber warum stehst du denn hier?«
»Nun, ab und zu gibt es bei Bedarf spontane Verlegungen vom horizontalen Personal an andere Standorte bis hin nach Hannover oder Bremen. Das Geld für den Transport spielt dabei kaum eine Rolle, das lohnt sich für alle.«
Meine Miene hellte sich auf. »Na, dann stehe ich ja nicht so verkehrt.«
»Doch. Die Loddel gucken sich schon genau an, welche Pferdchen sie in welche Taxe reinsetzen. Ich mache solche Touren schon seit mehr als 30 Jahren. Als Rotarsch hast du keine Chance, als Geige schon gar nicht.«
»Rotarsch?«
»Anfänger.«
»Und Geige?«
»So nennt man in unserem Gewerbe die Aushilfsfahrer für die Nacht. Ich bin übrigens der Hermi.«
»Ich heiße Tim. Wo sollte ich mich denn besser hinstellen?«
Hermi überlegte nicht lange. »In der Holstenstraße ist um 18 Uhr Geschäftsschluss, also an einem der Stände dort oder ...«
»Oder?«
»… oder du fährst gleich zum Hauptbahnhof. Bis halb neun kommen dort noch viele Züge an. Da kann man Glück oder Pech haben.«
»Glück oder Pech?«
»Ja, bisweilen gibt es dort Touren bis weit ins Umland von rückkehrenden Reisenden.«
Ich staunte. »Nicht schlecht. Und Pech?«
»Dann geht es um die Ecke zum Berliner Hof oder dem Hotel Consul: 2 Mark 60.«
In diesem Moment klingelte das Telefon am Stand und Hermi eilte dorthin, um bald beflissen zu nicken. »Okay, 600 Mäuse, aber darunter geht es wirklich nicht.«
Offenbar wurde man sich handelseinig, Hermi kehrte mit zufriedener Miene zurück. »Vielleicht sehen wir uns morgen ja wieder. Nun bin ich erst mal weg.«
Wohin, das sagte er nicht. Aber ich konnte mir schon denken, warum Hermi nun Tulpen aus Amsterdam pfiff.
Immerhin war ich jetzt Erster am Stand. Nach drei Stunden vergeblicher Warterei fuhr ich dann aber entnervt zum Kieler Hauptbahnhof…
Auch heute war nicht viel los im Funk. Es war wie verrückt, immer stand ich nicht dort, wo die wenigen Touren vergeben wurden. So war ich denn wieder zum Hauptbahnhof gefahren, vor dem allerdings bereits mehr als 30 Taxen mit laufenden Motoren auf Kundschaft warteten. Gut zwei Stunden dauerte es, bis ich an der Reihe war und endlich ein Mann in Marineuniform einstieg.
»Moin, einmal zum kleinen Streifen bitte.«
Kleiner Streifen, den kannte ich. Das waren die vielen kleinen Kneipen vor dem Kasernentor in der Wik, in denen auch manche Hausfrau auf der Suche nach einem Freier war. Gerade wollte ich den Taxameter anstellen, als mir der Soldat einen Zehner in die Hand drückte.
»Es soll sich ja für dich lohnen, nicht nur für deinen Chef. Ich fahre auch Taxi nebenbei, aber in Bielefeld.«
So entstand eine schwierige Situation auf dem Bahnhofsvorplatz für mich, denn wenn der Taxameter nicht angestellt war, wurde automatisch das gelbe Taxi-Schild auf dem Dach erleuchtet. Das bekamen die neidischen Kollegen am Bahnhof sofort mit und wiesen mit den Händen herumfuchtelnd darauf hin. So stellte ich kurzerhand den Taxameter an, und als wir das Bahnhofsgelände verlassen hatten, gleich wieder ab.
Der Mariner musste grinsen. »Bahnhofskutscher?«
Ein Bahnhofskutscher war ich nicht, das hatte mir mein Chef verraten. Das waren die Kollegen, die immer am Bahnhof warteten und auf eine große Tour hofften. Nach jeder Fahrt ging es sofort wieder zurück, ohne auf den Funk zu achten.
»Nein, heute ist nur woanders nicht viel los. Was soll man machen?«
»Du kannst ja mit mir auf ein Bierchen kommen in die Pinasse. Da ist um diese Zeit immer der Teufel los.«
Ich winkte ab. »Vielleicht ein andermal. Ich bin Tim, Taxe 99. Du kannst mich gerne jederzeit abends und nachts bei der Zentrale anfordern.«
»Ja klar, ich bin Ernie vom Lenkwaffenzerstörer Lütjens. Die Pinasse ist die Stammkneipe von unserem Schiff, bei Bedarf einfach dort nach mir fragen.«