Teresa Jung und der tote Nachbar, Teresa Jung und der Tote im Pool & Teresa Jung und die Tote am Küchentisch - Lena Sand - E-Book
SONDERANGEBOT

Teresa Jung und der tote Nachbar, Teresa Jung und der Tote im Pool & Teresa Jung und die Tote am Küchentisch E-Book

Lena Sand

0,0
3,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Mörder lieben die Idylle – und Hobbydetektivin Teresa Jung liebt das Ermitteln! DER ERSTE FALL: Besser geht’s nicht – während Teresa an ihrem neuen Bestsellerroman arbeitet, hütet sie das Sommerhaus ihrer Tante in der Provence. Doch bald schon überschlagen sich die Ereignisse: In einem Nobelhotel wird ein deutscher Galerist ermordet und Teresas Nachbar verschwindet plötzlich spurlos. Natürlich muss sie nun Nachforschungen anstellen … DER ZWEITE FALL: Was tun, wenn Liebe und Job eine einzige Durststrecke sind? Mehr Romantik ins Leben bringen, beschließt Schriftstellerin Teresa. Der Plan scheint zu gelingen, als sie auf einer Party gleich zwei charmante Männer kennenlernt … doch einer von ihnen entpuppt sich leider als Luftnummer – nicht zuletzt, weil er am Morgen nach der Feier tot im Pool treibt! DER DRITTE FALL: Was tun, wenn man eine Schreibblockade und von Männern die Nase voll hat? Na, im beschaulichen Taunus ein Häuschen zum Schnäppchenpreis kaufen! Doch plötzlich hat Teresa die Pflege eines mysteriösen Katzengrabs an der Backe – und die alte Vorbesitzerin, die sie tot am Küchentisch findet. Versteckt sich unter ihren schrulligen Nachbarn etwa ein Mörder?

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 658

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Über dieses Buch:

DER ERSTE FALL: Besser geht’s nicht – während Teresa an ihrem neuen Bestsellerroman arbeitet, hütet sie das Sommerhaus ihrer Tante in der Provence. Doch bald schon überschlagen sich die Ereignisse: In einem Nobelhotel wird ein deutscher Galerist ermordet und Teresas Nachbar verschwindet plötzlich spurlos. Natürlich muss sie nun Nachforschungen anstellen …

DER ZWEITE FALL: Was tun, wenn Liebe und Job eine einzige Durststrecke sind? Mehr Romantik ins Leben bringen, beschließt Schriftstellerin Teresa. Der Plan scheint zu gelingen, als sie auf einer Party gleich zwei charmante Männer kennenlernt … doch einer von ihnen entpuppt sich leider als Luftnummer – nicht zuletzt, weil er am Morgen nach der Feier tot im Pool treibt!

DER DRITTE FALL: Was tun, wenn man eine Schreibblockade und von Männern die Nase voll hat? Na, im beschaulichen Taunus ein Häuschen zum Schnäppchenpreis kaufen! Doch plötzlich hat Teresa die Pflege eines mysteriösen Katzengrabs an der Backe – und die alte Vorbesitzerin, die sie tot am Küchentisch findet. Versteckt sich unter ihren schrulligen Nachbarn etwa ein Mörder?

Über die Autorin:

Lena Sand ist das Pseudonym der deutschen Schriftstellerin Christa Jekoff. Sie wuchs in Frankfurt am Main auf und studierte dort Germanistik an der Goethe-Universität. Heute schreibt sie erfolgreich in verschiedensten Genres und arbeitet als Dozentin für den Fachbereich Deutsch. 

Die Autorin im Internet: www.christa-jekoff.de

Die Kriminalromanreihe von Lena Sand bei dotbooks umfasst:

»Teresa Jung und der tote Nachbar«

»Teresa Jung und der Tote im Pool«

»Teresa Jung und die Tote am Küchentisch«

»Teresa Jung und der schöne Tod«

Die ersten drei Fälle sind auch im Sammelband erhältlich.

Von Lena Sand erscheinen bei dotbooks außerdem die Romane »Ein Mann macht noch keinen Sommer« und »Seewind und Champagnerküsse«, die auch im Doppelband erhältlich sind.

***

Sammelband-Originalausgabe April 2024

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Die deutsche Erstausgabe von »Teresa Jung und der tote Nachbar« erschien 1996 unter dem Titel »Zur Sache Kätzchen« bei ECON Verlag GmbH, Düsseldorf; Copyright © der Originalausgabe 1996 by ECON Verlag GmbH, Düsseldorf; Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München.

Die deutsche Erstausgabe von »Teresa Jung und der Tote im Pool« erschien 1997 unter dem Titel »Kätzchen, die Champagner trinken« bei ECON Verlag GmbH, Düsseldorf und München; Copyright © der Originalausgabe 1997 by ECON Verlag GmbH, Düsseldorf und München; Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München.

Die deutsche Erstausgabe von »Teresa Jung und die Tote am Küchentisch« erschien 1997 unter dem Titel »Ruhe in Frieden, Kätzchen« bei ECON Taschenbuch Verlag; Copyright © der Originalausgabe 1997 by ECON Verlag GmbH, Düsseldorf und München; Copyright © der Neuausgabe 2019 dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-084-4

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Wenn Ihnen dieser Roman gefallen hat, empfehlen wir Ihnen gerne weitere Bücher aus unserem Programm. Schicken Sie einfach eine eMail mit dem Stichwort »Teresa Jung Sammelband« an: [email protected] (Wir nutzen Ihre an uns übermittelten Daten nur, um Ihre Anfrage beantworten zu können – danach werden sie ohne Auswertung, Weitergabe an Dritte oder zeitliche Verzögerung gelöscht.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Lena Sand

Teresa Jung und der tote Nachbar, Teresa Jung und der Tote im Pool & Teresa Jung und die Tote am Küchentisch

Drei Krimis in einem Band

dotbooks.

Teresa Jung und der tote Nachbar

In diesem provenzalischen Küstenort ist der Teufel los … Die Schriftstellerin Teresa hütet über den Sommer das Haus ihrer Tante, während sie an ihrem nächsten unanständigen Bestseller arbeitet. Zudem hofft sie auf das ein oder andere Abenteuer, denn je mehr Erotik sie verkauft, desto weniger erlebt sie davon selbst. Doch bald schon überschlagen sich die Ereignisse: In einem Nobelhotel wird ein deutscher Galerist ermordet und Teresas Nachbar verschwindet plötzlich spurlos. Bei ihren Nachforschungen erhält Teresa Hilfe von gleich mehreren Verehrern – doch einer von ihnen scheint es weniger auf ihre Liebe, sondern vielmehr auf ihr Leben abgesehen zu haben …

Kapitel 1

Ich trat auf die Bremse meines Alfa Spider und ärgerte mich maßlos, nicht den Verkehrsfunk eingeschaltet zu haben. Rod Stewart konnte ich schließlich immer hören. Das hatte ich nun davon. Wie kann man nur so blöd sein! Ferienverkehr. Stau auf der Autobahn Lyon-Marseille. Wäre ich bloß rechtzeitig runtergefahren.

»Jetzt sitzen wir fest«, seufzte ich und streichelte liebevoll das Sportlenkrad meines dunkelblauen Alfas.

Im Nu war ich eingekeilt. Vor mir ein Wohnanhänger, neben mir ein Wohnanhänger und hinter mir ein Wohnmobil. Alle steckengeblieben in der Utopie von Freiheit und Abenteuer. Ich sah schon die Schlagzeile vor mir: KATASTROPHALER URLAUBSSTAU VERHINDERT ZUFAHRT ZU MITTELMEERSTRÄNDEN.

Und dann diese erbarmungslose Mittagssonne des erbarmungslos heißen Südens! Um einen Hitzschlag zu verhindern, schloß ich das Verdeck meines Cabrios und stellte alle Fenster auf Durchzug. Dann knotete ich das weiße Seidentuch auf, das ich immer trug, wenn ich offen fuhr, und schüttelte meine schwarze Mähne, um die Luft wenigstens ein bißchen in Bewegung zu setzen. Hinter meiner Sonnenbrille begann sich bereits mein Lidstrich aufzulösen. Auf der Gegenfahrbahn donnerte der Verkehr vorbei, und zu der unerträglichen Hitze gesellte sich der mörderische Gestank von Autoabgasen.

Sehnsüchtig dachte ich an meine kühle Frankfurter Altbauwohnung mit den langen zugezogenen Samtvorhängen und dem Summen des Ventilators, aus der mich normalerweise zu dieser Jahreszeit keine zehn Pferde herausbekommen hätten. Ich liebe die Ferienzeit in der Großstadt. Das gesellschaftliche Leben geht gegen Null, und man kann ungestört arbeiten. Überall findet man einen Parkplatz in der City und einen freien Tisch im Gartenlokal.

So jedenfalls hatte ich mir auch diesen Sommer vorgestellt. Bis Tante Arabella anrief.

»Aber nur, wenn du es wirklich einrichten kannst!«, hatte sie mehrmals betont. Nie hätte sie es mir übelgenommen, wenn ich nein gesagt hätte. Eben deswegen konnte ich ihr nichts abschlagen. Darüber hinaus hatte sie noch nie etwas von mir verlangt. Im Gegenteil: Ich hatte ihr viel zu verdanken, eigentlich alles. Nach dem tragischen Flugzeugabsturz, dem meine Eltern damals zum Opfer gefallen waren, hatte sie mich stets großzügig unterstützt, ohne sich je in mein Leben einzumischen.

»Natürlich komme ich«, hatte ich ihr gesagt.

»Du glaubst gar nicht, wie erleichtert ich bin, wenn du dich um die Katzen kümmerst. Füttern würde Alice sie ja auch. Aber du kennst ja Alice.«

Alice ist Tante Arabellas Putzfrau. Eine kleine, rundliche Südfranzösin mit unzähligen Lachfältchen, eine Perle von Putzfrau. Allerdings hat sie zu Katzen ein entschieden unsentimentales Verhältnis.

»Wie lange bist du denn nicht zu Hause?«, hatte ich mich so beiläufig wie möglich erkundigt.

»Ich denke, so ungefähr sechs Wochen. Geht das? Weißt du, Justus hat sich kurzfristig entschieden, seine Villa renovieren zu lassen. Und während dieser Zeit will er ein bißchen mit der Yacht herumkreuzen. Er besteht darauf, daß ich mitkomme. Ich finde es zwar ziemlich langweilig, den ganzen Tag auf ein paar Quadratmetern Planken zu verbringen. Aber du kennst ja Justus: Wenn der sich etwas in den Kopf gesetzt hat –«

Justus. Er ist der charmanteste alte Dickschädel, den man sich vorstellen kann. Ein Bonvivant mit einem ungeheuren Vermögen und einer ungeheuer interessanten Vergangenheit. Und er ist der Freund meiner Tante.

Der geliebte Sommer in der City ließe sich wohl klaglos verschmerzen, schließlich konnte ich im Haus meiner Tante in Ruhe arbeiten, war abseits vom Ferienrummel und trotzdem nah an der Küste. Die meisten Leute würden mich beneiden.

»Da fällt mir wirklich ein Stein vom Herzen, Teresa. In den Karten steht nämlich etwas von einem unangenehmen Zwischenfall im Zusammenhang mit einer Reise, und bei dir weiß ich wenigstens die Katzen gut versorgt. Ach, wenn du vielleicht die Rosen noch gießen könntest. Mit abgestandenem Wasser. Alice nimmt immer den Gartenschlauch.«

Ich mußte lächeln. Katzenfreundin Tante Arabella und ihre Tarotkarten!

»Mach dir nur keine Sorgen«, hatte ich ihr versichert, lief schnurstracks in meine Lieblingsboutique, kaufte mir ein paar Lümpchen, packte meinen Laptop ins Auto und machte mich auf nach Südfrankreich zu den Katzen meiner Lieblingstante.

Ein Hoffnungsschimmer: Der Wohnwagen neben mir bewegte sich. An die Stelle des Wohnwagens schob sich langsam ein grauer Mercedes-Kombi mit Heidelberger Kennzeichen. Gleichzeitig ertönte ein schrilles, langgezogenes Gelächter. Dann ein ohrenbetäubender Trommelwirbel. Kurz darauf rief eine übermütige Frauenstimme: »Wo ist der Deinhard?« Das hätte ich zwar auch gern gewußt, aber deutsche Fernsehwerbung für deutschen Sekt auf einer südfranzösischen Autobahn überschreitet meine patriotische Toleranzschwelle ganz erheblich.

Und dann sah ich zum ersten Mal Mario.

Er saß hinter dem Fahrersitz, eingekeilt zwischen Tür und Kindersitz, und starrte teilnahmslos ins Leere. Ein Walkman schottete ihn von der Außenwelt ab. Der Kombi war vollgestopft mit einer kinderreichen Familie, der ein gelbblauer Ara noch einen kräftigen Schuß Exotik verlieh. Der Papagei schimpfte in seinem Käfig wie ein Rohrspatz. Doch niemand nahm Notiz von ihm. Selbst als er mit stolz geschwellter Brust sein Gefieder spreizte und in beifallheischender Hektik auf seiner Stange hin und her lief, blieb seine Vorstellung, von mir einmal abgesehen, ohne Beachtung.

In den Kindersitz kam plötzlich heftige Bewegung.

»Gib her!«

»Nein, das ist meine!«

Ein Kinderarm schoß in die Luft. Ein zweiter und ein dritter folgten. Schließlich ergoß sich der Inhalt der tapfer verteidigten Cola-Dose über die Sitzpolster, was nicht ohne Tränen blieb. Nun erkannte ich zwei sommersprossige Kindergesichter, offensichtlich Zwillinge, denn sie glichen sich aufs Haar. Die Cola-Dosen-Schlacht der Zwillinge hatte scheinbar den vorher friedlich schlafenden Säugling, den die Frau neben dem Fahrer auf dem Schoß hielt, geweckt, jedenfalls schrie er markerschütternd.

Der Fahrer drehte sich zu den beiden Cola-Dosen-Kriegern auf dem Rücksitz um, in der erfolglosen Absicht, sie zu ermahnen, denn seine Worte gingen im Gebrüll des Kleinkindes unter. Der Fahrer kam mir irgendwie bekannt vor.

»Da nimmt man Abflußfrei, das macht den Abfluß frei!«, krächzte der Papagei mit unerreichter Pointensicherheit. Er schien sämtliche Werbespots draufzuhaben. Als er schließlich noch die Deinhard-Werbung mit der Frage »Wo ist der Abfluß?«, parodierte, mußte ich laut losprusten. Das Ganze krönte er noch mit einem schrillen Pfiff, den er wahrscheinlich von Fußballübertragungen kannte. Das war für den Fahrer offensichtlich das Signal, seine krakeelende Familie endlich zu beruhigen, denn unmittelbar darauf öffnete er die Heckklappe, gab dem Vogel eine Erdnuß und kraulte ihm den Kopf, worauf der prompt die Ruhestörung einstellte. Die Zwillinge bekamen jeder eine Cola aus der Kühlbox und das Kleinkind eine Flasche Kakao. Anschließend zündete er sich eine Pfeife an, stützte sich auf die offene Fahrertür und blickte in die Ferne, in die er eigentlich reisen wollte.

Das Schöne an Familien ist immer die Fürsorge. Ich hatte weder das eine noch das andere und hätte wohl auch beides auf Dauer nicht ertragen. Deshalb mußte ich jetzt auch verdursten.

Das Kleinkind, offensichtlich unbestechlich, brüllte unterdessen unvermindert weiter. Doch mich beschäftigte viel mehr die Frage, wo ich diesen patenten Familienvater schon mal gesehen hatte. Diese sandfarbenen, etwas zu langen Haare, die unordentlich über dem Hemdkragen hingen – ein Indiz, daß er nur selten zum Friseur fand –, diese leicht vorstehenden Augen mit den schweren Lidern, die herabhängenden Wangen, der wuchtige Körper, dieses gutmütige, etwas bekümmert dreinschauende Gesicht, das an einen Basset erinnerte, das alles war vertrautes Inventar aus der Vergangenheit, das ich lediglich nicht zu benennen wußte.

Der Walkman Junge blieb immer noch ungerührt in sich versunken. Das brachte mich auf die Idee, meinen Rod Stewart umzudrehen.

Hübsches Bürschchen, der Filius. Er hatte das gleiche Haar wie sein Vater, nur modischer geschnitten, und ein schmales, blasses Gesicht mit feinen Zügen. Ein leichter Flaum über seinem ausdrucksvollen Mund verlieh ihm eine jugendliche Lässigkeit, die durch dunkelbraune Augen hinter langen schwarzen Wimpern, um die ihn jede Frau beneiden mußte, eine südländische Note bekam. Ich schätzte ihn auf siebzehn. Es mußte ihn unendlich anöden, mit der Familie in Urlaub zu fahren. Er tat mir leid, so deplaziert zwischen den kleinen Bälgern und den uralten Erwachsenen. Ich hätte ihn gern in den Arm genommen und getröstet. Wahrscheinlich hatte er seidenweiche Haare. Vielleicht würde ich ihn auch küssen. Ober davon träumte, einmal mit einer erfahrenen Frau zu schlafen?

Ich rief mich zur Ordnung. Schließlich war ich fast doppelt so alt.

Er mußte meinen Blick gespürt haben. Für einen Moment trafen sich unsere Augen. Er schaute sofort wieder weg und strich sich die Haare aus der Stirn. Dabei fielen mir seine schlanken Hände mit den langen Fingern auf. Sehr gepflegt für sein Alter. Have I told you lately, that I love you? sang Rod Stewart. Wie lange war es her, daß ein Mann das zu mir gesagt hatte? In einem Punkt logen die Karten meiner Tante leider wirklich nicht: Ich hatte immer Pech mit Männern. Natürlich fehlte es mir nicht an Angeboten. Solchen eben, wie sie jede gutaussehende Frau reihenweise bekommt: unglücklich Verheiratete, unverheiratete Kaputtnix und Reichlinge mit viel Bauch und wenig Haaren. Der Markt war eng angesichts meiner zweiunddreißig Jahre, wo brave Bürger längst mitten in der Familienplanung stecken. Dabei liebe ich die Männer und habe keine besonderen Ansprüche. Obwohl – einen interessanten Beruf sollte er schon haben. Das finde ich erotisch. Humor und Charakter sind ein absolutes Muß. Und untreu sollte er ja auch nicht gerade sein.

Treu war mein Exfreund, Studienrat für Deutsch und Geschichte, zwar gewesen, allerdings: Humor hatte er keinen. Besonders nicht, als ich mein Philologiestudium endgültig an den Nagel hängte und einen erotischen Roman schrieb. Als der ein Bestseller wurde, flippte mein Literaturbeamter völlig aus. Das ist zwar kaum ein Jahr her, aber es kommt mir vor wie hundert Jahre. Meine Tante hatte mich übrigens immer in meinem Tun bestärkt. Sowohl moralisch als auch mit einem monatlichen Scheck. »Du mußt deinen Weg gehen, Kind«, pflegte sie mit liebenswürdig stoischer Hartnäckigkeit zu meinen Eskapaden zu sagen. Jetzt hatte ich zwar keine finanziellen Probleme mehr, aber mit der Erotik sah es mau aus. Und je mehr Erotik ich verkaufte, um so weniger erlebte ich davon.

Der Junge mit dem Walkman drehte sich eine Zigarette. Gebannt starrte ich auf diese schönen geschickten Hände. Er suchte in seinen Jeanstaschen nach Feuer. Er sagte etwas zu seinem Vater. Jetzt wußte ich es: Ich hatte seinen Vater in einer Talk-Show gesehen. Es ging um Gefährlichkeit und Nutzen von Atomkraft. Genau: Rebe hieß er, Professor Rebe, Atomwissenschaftler. Er sollte eigentlich die Expertenargumente für die atomare Nutzung liefern. Doch zur allgemeinen Verblüffung aller Beteiligten tat er genau das Gegenteil und fuhr seiner eigenen Branche an den Karren.

Als der Stau sich aufzulösen begann, vergaß ich die ganze Geschichte. Ich hätte nicht im Traum daran gedacht, daß sie mich schon bald wieder einholen würde.

Nächtliches Zwischenspiel

In diesen warmen Vollmondnächten hält es keine Katze im Haus. Überall sieht man ihre phosphoreszierenden Augen aufblitzen. (Wissen Sie eigentlich, wie viele Millionen Katzen allein in Europa leben?)

Niemandem fiel der Schatten auf der sich hinter dem Bürofenster des Professors am Institut für Kernforschung in Heidelberg hin und her bewegte. Nur den leuchtenden Katzenaugen war nicht entgangen, wie jemand mit einer Taschenlampe in Schubläden und Schränke hineinleuchtete, in Aktenordnern blätterte und sich am Computer zu schaffen machte.

Der Professor schlief indes in einem Hotel bei Aix. Er lag ruhig auf dem Rücken, seine rechte Hand ruhte auf dem Herzen, beim Ausatmen blies er die Lippen auf Seine Frau schlief nebenan bei dem Kleinkind. Damit er nicht aufwachte, wenn es schrie. Das war in letzter Zeit immer so. Er wußte nicht, daß es dafür noch einen anderen Grund gab.

Die junge Frau mit dem dunkelblauen Alfa schlief ebenfalls allein. Das Fenster des rustikalen Gästezimmers war weit geöffnet. Wegen der Hitze war sie nicht zugedeckt. Sie schlief auf dem Bauch, die schwarzen Haare fielen über ihren Rücken. Ein Bein hatte sie leicht angewinkelt. Sicherlich wäre sie beunruhigt gewesen, wenn sie geahnt hätte, daß jemand ums Nachbarhaus schlich, gefolgt von vier glühenden Katzenaugen, die unter den Oleanderbüschen hervorleuchteten und beobachteten, wie die Gestalt immer wieder innehielt, die Taschenlampe einschaltete und sich etwas zu notieren schien.

Wenig später kletterte dieselbe Gestalt an der Rückseite dieses kleinen vornehmen Hotels in der Nähe von Aix über die Balkone hinauf und verschwand durch eine angelehnte Tür in einem der Zimmer.

Kapitel 2

Mein erster Ferientag fing damit an, daß ich Bastian aufrichten mußte.

Wir saßen beide auf den Marmorfliesen in der Küche meiner Tante vor einem frisch gefüllten Futternapf.

»So ein schöner, lieber Kater muß doch fressen. Frauchen kommt ganz bestimmt wieder«, versuchte ich ihn zu beruhigen und streichelte seinen markanten Katerkopf. Die großen bernsteinfarbenen Augen blickten ausdruckslos über das Futter hinweg. Dabei hatte er sich gefreut und ausgiebig mit mir geschmust, als ich am Abend angekommen war. Bastian ist ein sehr freundlicher Kater und kennt mich von früheren Besuchen. Aber inzwischen schien ihm klar zu sein, daß Tante Arabella nicht nur einkaufen war. Währenddessen saß Paulinchen, die schillernde Schönheit, in der Eingangstür, die vom Garten direkt in die große Küche führt, und putzte sich genüßlich. Sie hatte ausgiebig gefrühstückt und war mit sich und der Welt zufrieden. Ihr schwarzes Fell mit den rot-weiß gesprenkelten Flecken glänzte vornehm in der Sonne. Für sie ging das Leben weiter, notfalls auch ohne Frauchen. Mich hatte sie höflich-distanziert behandelt. Ich war der Dosenöffner, nicht mehr. Bastian dagegen litt. Seine Schnurrbarthaare hingen traurig nach unten, Gesicht und Lenden waren leicht eingefallen, und das Fell war stumpf

Meine Tante ist davon überzeugt, daß Bastian ein verwunschener Prinz in Gestalt eines großen roten Katers ist. Also blieb mir nichts anderes übrig, als hinunter in den Ort zu fahren und für den Prinzen Tatar zu kaufen.

Das Haus meiner Tante liegt über einer kleinen Bucht zwischen Marseille und Toulon, wo die Provence sanft zur Küste hin ausläuft. Man erreicht es, wenn man den kleinen Ort an der Küstenstraße ganz durchfährt und dann die schmale Straße nimmt, die sich den pinienbewachsenen Hügel hinaufschlängelt. Sie läuft entlang hoher Mauern aus Natursteinen oder weißgestrichenen Ziegeln, über die Oleanderbüsche und Bougainvilleas quellen und hinter denen Palmen gegen den dunkelblauen Himmel wachsen. Manchmal werden die Mauern von massiven dunklen Holztoren unterbrochen, die an Eingänge zu Burgverliesen erinnern. Hier stehen die Häuser der Reichen, die um diese Jahreszeit lediglich hinter den geschlossenen Schlagläden hervorkommen, um sich an ihren Pools oder auf ihren Yachten zu treffen oder am frühen Morgen, wenn die Touristen ihre Hotels noch nicht verlassen haben, ihre Einkäufe zu erledigen. Ansonsten überlassen sie den Ort im Sommer den Urlaubern, die ihn gewissermaßen seiner Nationalität berauben und ihn mit seinen Bars, seinem Yachthafen und seinem überfüllten Strand zu einem der gewöhnlichen Badeorte am Mittelmeer machen.

Eines dieser festungsartig eingefriedeten Häuser gehört meiner Tante. Eigentlich ist es gar nicht ihr Stil, in solch feudaler Abgeschiedenheit zu leben, aber sie hatte das Haus nebst einem stattlichen Vermögen vor einigen Jahren von einem alten Liebhaber geerbt, der sich auf seinem Sterbebett an sie erinnerte. Sie hatte keinen Moment gezögert, hier einzuziehen. Schließlich war es besser als ein Reihenhaus in Deutschland.

Ich parkte meinen Alfa hinter der roten Ente meiner Tante. Das ist typisch für sie: Sie fährt seit zwanzig Jahren 2CV, obwohl sie sich inzwischen jedes Auto leisten könnte.

Hier oben roch es wieder nach Provence, während die Luft unten an der Küste ein Dunstgemisch aus Benzin und Sonnenöl zu sein schien.

Mit zwei großen Tüten frischer Croissants und anderen französischen Köstlichkeiten im Arm – und natürlich dem Tatar für Bastian – versuchte ich mühsam das Tor aufzuschließen, als neben mir ein knatterndes Mofa hielt.

»Mademoiselle Terèse, wie schön, daß Sie da sind. Ihre Tante hat mir erzählt, daß Sie kommen!«

»Hallo, Victor!«, rief ich erfreut.

Victor ist der alte Briefträger auf Tante Arabellas Berg und mit seinem grauen Schnäuzer, seiner Baskenmütze und seiner permanent lässig im Mundwinkel hängenden Gauloise ein Bilderbuchfranzose. (Ob er damit schon auf die Welt gekommen ist?)

»Ah, Sie haben sich schon eingelebt, Sie waren einkaufen«, stellte er mit einem Blick auf meine Tüten fest. »Ist das nicht schrecklich, die vielen Touristen im Ort? Es wird jedes Jahr schlimmer.« Besorgt schüttelte er den Kopf. Aber seine blauen Augen lachten mich an.

»Bastian will nicht fressen, da habe ich ihm Tatar besorgt und für mich auch gleich eingekauft. Ich habe noch nicht gefrühstückt. Wollen Sie mir nicht Gesellschaft leisten?«

»Nicht heute, Mademoiselle Terèse. Ich habe noch so viel zu tun.« Er schlug mit der Hand auf seine zum Bersten volle Umhängetasche, stellte aber, widersprüchlich, wie der Mensch nun mal ist, sein Mofa ab, lüftete seine Mütze und wischte sich den Schweiß von der Stirn.

»Nur eine Zigarette«, sagte er und hielt mir sein Päckchen hin. Ich schüttelte den Kopf. Wie sollte ich auch mit vollen Händen?

»Bastian will nicht fressen, weil er traurig ist. Deshalb hat er mich auch heute nicht begrüßt. Mir fehlt ihre Tante auch. Wenn ich sie sehe, geht es mir den ganzen Tag lang gut. Aber jetzt sind Sie ja hier. Und wie schön Sie sind. Das wird mich trösten.«

»Sie Charmeur!«

»Ich muß weiter«, sagte er etwas unvermittelt, wohl aus Verlegenheit. »Hier Ihre Zeitung. Ist das Haus noch nicht vermietet?« Er deutete zum Nachbarhaus, das mit fest verschlossenen Läden verlassen in der Sonne lag. Es gehört einem Pariser Geschäftsmann, der ein paar Wochen im Jahr dort verbringt. Die meiste Zeit wird es an solvente Urlauber vermietet, und zwischendurch ist es auch mal unbewohnt. So wie jetzt.

»Dann wird sicher dieser Tage jemand einziehen«, sagte Victor. »Ich habe nämlich einen Brief für die Nummer sechzehn. Ich lasse ihn am besten bei Ihnen, dann muß ich ihn nicht wieder mitnehmen. Einen Absender hat er sowieso nicht.«

Die Nummer sechzehn besitzt keinen Briefkasten. Wahrscheinlich verfuhr Victor immer so, wenn er niemanden antraf. Er schob den Brief in den Küstenboten, klemmte die Zeitung unter meine Finger und knatterte davon.

Es war bereits Mittag, als ich endlich mit meinem Laptop im Liegestuhl lag und nach einer neuen erotischen Variante suchte. Meine Heldin brauchte unbedingt einen neuen Liebhaber. Genau wie ich.

Bastian hatte sich letzten Endes doch überreden lassen, von dem Tatar zu fressen, ein wohliges Schnurren war ihm allerdings immer noch nicht zu entlocken. Dafür hatte Paulinchen anerkennend das schwarzweiße Köpfchen mit den roten Ohren an meinem Bein gerieben. Immerhin eine Geste. Ich hatte die Regentonnen mit dem Gartenschlauch aufgefüllt, damit das Wasser sich bis zum Abend erwärmen konnte. Es war mörderisch heiß, sogar hier im Schatten, wo der Garten in ein Pinienwäldchen übergeht. Selbst das bißchen Stoff meines neuen schwarzen Bikinis war zuviel auf der Haut. Das monotone Zirpen der Zikaden und der schwere Duft von Eukalyptus und Pinien machte mich gleichzeitig schläfrig und kribbelig. Ich schloß die Augen und konzentrierte mich auf die Berührung der Finger entlang der Kante meines Bikinioberteils. Er war sehr sanft, dieser neue Liebhaber. Und schüchtern. Aber gerade seine schüchterne Liebkosung erregte mich.

Auf eine ohrenbetäubende Detonation folgte der langgezogene Heulton der Alarmsirene. Die Menschenmenge lief genau auf mich zu. Ich schreckte hoch und versuchte zu erfassen, was geschehen war. Ich lag noch immer im Liegestuhl meiner Tante. Alles andere war auch noch an seinem Platz. Zumindest schien sich keine Katastrophe ereignet zu haben. Und das Erwachen aus einem Halbschlaf konnte man ja weiß Gott nicht als solche bezeichnen.

Auch Bastian schien aus seinen Träumen gerissen worden zu sein und strich verstört um mich herum. Ich nahm ihn auf den Arm. »Aber Bastian, du brauchst doch keine Angst zu haben. Niemand tut dir etwas. Das sind bestimmt ...«

Das konnte nicht wahr sein! Offenen Mundes starrte ich zwischen zwei Oleanderbüschen hindurch auf das Schauspiel, das vor dem Nachbarhaus zu beobachten war. Niemand anderes als die Großfamilie aus dem Mercedes-Kombi war gerade im Begriff, nebenan einzuziehen.

In diesem Moment ahnte ich, daß aus meinen ruhigen Arbeitsferien nichts werden würde.

***

Als ich die Eingangshalle des Majestic-Hotels betrat, schaute mich der Empfangschef einen Augenblick lang fragend an. Dann schien ihm einzufallen, daß ich zum Clan von Justus gehörte. Jedenfalls hellten sich seine Gesichtszüge merklich auf.

»Madame, willkommen in unserem Haus. Wir freuen uns, daß Sie uns wieder einmal beehren.«

»Ich freue mich auch«, antwortete ich und meinte es ehrlich, denn wenn man sich durch das Gewühl der heißen staubigen Küstenstraße gekämpft hat, ist die gediegene Atmosphäre des Majestic, nicht zuletzt die Klimaanlage, die reinste Erholung.

Ich hielt ihm Justus' Clubkarte hin. Er nickte nur, ohne einen Blick darauf zu werfen.

»Monsieur hat uns informiert, daß Sie kommen. Was kann ich für Sie tun?«

Das Majestic ist kein sehr großes, aber ein sehr feines Hotel. Es liegt etwas außerhalb des Touristenzentrums am Ende der Bucht, wo eine Landzunge ins offene Meer hinausragt. Hier haben Justus und ein paar andere Millionäre ihre Villen. Das Hotel schmiegt sich weiß und terrassenförmig in die Klippen, zwischen denen ein langgezogener Sandabschnitt zum Sonnen und Baden einlädt. Hier lassen sich die Hotelgäste und die handverlesenen Mitglieder des Majestic-Clubs verwöhnen. Das Majestic ist ein Geheimtip und ständig ausgebucht.

Über die Privilegien der Reichen kann man ja geteilter Meinung sein, aber in den Sommermonaten sind sie an der französischen Mittelmeerküste einfach überlebensnotwendig, und ich war heilfroh, daß ich nicht am öffentlichen Badestrand um einen Platz für mein Handtuch kämpfen mußte.

»Haben Sie einen Wunsch, Madame?«, fragte eine samtige Stimme.

Träge hob ich die Augen. Neben meiner Strandliege stand Adonis persönlich. Hatte ich mir meinen Ferienlover nicht genau so vorgestellt? Braungebrannt in weißem T-Shirt, Brombeeraugen, seidige schwarze Haare. Daß er in Gestalt eines Kellners daherkam, war zwar in meiner klassenbewußten Phantasie nicht vorgesehen, aber schließlich wollte ich den Knaben fürs Bett, und einen gewissen Stil konnte man bei den Angestellten des Majestic schließlich durchaus voraussetzen.

Er hätte blind sein müssen, um nicht zu merken, wie ich ihn taxierte.

Während er mit berufsmäßiger Gelassenheit auf meine Bestellung wartete, musterte er ungeniert meinen halbnackten Körper.

»Campari-Orange mit viel Eis«, sagte ich so blasiert wie möglich, um meine Nervosität zu überspielen, denn ich bin kein Profi im Männeranmachen. Ich drehte mich demonstrativ gelangweilt auf den Bauch. Ich würde einen Sonnenbrand bekommen.

»Einen Campari-Orange, sofort«, sagte Adonis und verschwand.

Ich weiß, daß ich mich meiner Figur nicht zu schämen brauche. Das mußte mein Liegestuhlnachbar zur Linken wohl auch so empfinden, denn ich fühlte seine Augen förmlich an mir entlanggleiten. Zum Glück stehen die Strandliegen des Majestic weit genug auseinander, so daß er kein Gespräch mit mir anfangen konnte. Er war nämlich absolut nicht der Typ, den ich mir als Urlaubsflirt erträumen würde. Kategorie arroganter blutleerer Jüngling. Dabei war er bestimmt höchstens dreißig.

Die Liege zu meiner Rechten war wesentlich interessanter, auf ihr hatte es sich gerade eine alte Dame bequem gemacht. Ich hatte sie schon vom Wasser aus beobachtet, wie sie mit ihrem Stock langsam von einem Ende des Strandstücks zum anderen ging, Schritt für Schritt, zäh und entschlossen. Sie war dürr und knochig. Ihre faltige braune Haut erinnerte mich an eine alte Squaw oder an die Rinde eines knorrigen alten Baumes. Ihr Stock lehnte jetzt an der Liege. Sein vergoldeter Griff hatte die Form eines Papageienkopfes, er sah dem Ara meiner neuen Nachbarn, deren hektischer Geräuschkulisse ich vorübergehend entronnen war, nicht unähnlich. Die Alte trug ein knallgelbes Strandkleid aus Frotteestoff, dazu groteskerweise Goldschmuck, der ein Vermögen wert war. Ohrringe, Armreifen, Halskette.

Sie schlug eine ledergebundene Ausgabe von »Bel Ami« auf. Ob man in ihrem Alter – sie war ganz sicher über achtzig – noch immer an die Liebe dachte? Und wie dachte man daran, wenn man einen Belami nicht mehr in seinen Bann ziehen konnte? Wehmütig, verbittert, verzweifelt? Obwohl: Claire Goll hatte ihren ersten Orgasmus mit sechsundsiebzig. Ihr Liebhaber war erst zwanzig. Ich wollte auf meinen nächsten jedenfalls nicht solange warten.

Als der Kellner mit der samtigen Stimme und den Brombeeraugen mir den Drink reichte, dachte ich: jetzt oder nie!

»Würden Sie mir bitte den Rücken eincremen?«

»Oui, Madame.« Es schien für ihn völlig selbstverständlich zu sein. Er verteilte die kühle Creme außerordentlich zart auf meiner Haut. Der berühmte Funke sprang über, als seine Hand einen Augenblick länger als nötig auf meiner Schulter verweilte. Ich sah, wie er nach einem Gesprächsanfang suchte, als es neben uns fürchterlich schepperte und eine krächzende Stimme gebieterisch »Toni!«, rief.

Toni wandte sich von mir ab und fragte: »Sie wünschen, Gräfin?«

Die Alte hatte mit ihrem Papageienstock gegen den Ständer ihres Sonnenschirms geschlagen, ungeachtet des Krachs, mit dem sie das Strandpublikum aus seiner dösenden Stille aufschreckte.

»Bringen Sie mir ein Glas Perrier mit einer Scheibe Zitrone ohne Eis!«

Die unwillkommene Störung vermochte indes nicht das prickelnde Gefühl einer herannahenden Liebesaffäre zu unterdrücken, das sich nun immer stürmischer seine Bahn brach. Ich schloß die Augen und spürte mein Herz Schwerstarbeit verrichten. Ich hatte noch nie einen Mann angesprochen, um mit ihm ins Bett zu gehen. Aber warum eigentlich nicht? machte ich mir Mut. Schließlich war ich eine erfolgreiche Frau in den besten Jahren und tat nichts anderes, als jeder Mann in der gleichen Situation getan hätte.

»Ihr Perrier mit Eis und Zitrone, Gräfin.«

»Ich sagte, ohne Eis!«, krächzte die Alte, weniger sauer, als vielmehr erstaunt darüber, daß einer ihrer Wünsche nicht ordnungsgemäß erfüllt wurde.

»Oh, Pardon«, entschuldigte sich Toni und wollte das Glas wieder an sich nehmen.

»Lassen Sie schon«, sagte die Gräfin ungeduldig. »Aber hören Sie demnächst besser hin.«

Ich weiß nicht, ob sich Tonis Gesichtsfarbe wegen seines Fauxpas verdunkelte oder weil ich ihm ein Zeichen machte.

»Kann ich für heute abend einen Tisch bestellen?«

»Selbstverständlich, Madame. Für wieviel Uhr?«, antwortete er beflissen, und seine Augen fragten: Was willst du von mir?

»Für einundzwanzig Uhr«, sagte meine Stimme, und meine Augen antworteten: Ich will mit dir schlafen.

»Einundzwanzig Uhr. Sehr wohl, Madame. Ich werde es notieren. Er lächelte, und wir sahen uns eine Weile an. Das Knistern zwischen uns muß bis zu dem blutleeren Jüngling hörbar gewesen sein.

Kapitel 3

»Ist das Ihr Kater?«

Vor mir stand der große Junge mit den verträumten Augen. Zu meiner Überraschung sah ich, daß er keinen Walkman trug. Er hatte Bastian auf dem Arm, der sich etwas verdutzt, aber nicht unzufrieden an den nackten Oberkörper des Jungen schmiegte.

Ich muß sagen, ich war irritiert, zumal ich nur halb angezogen war.

»Was ist mit Bastian?«, fragte ich etwas gereizt und raffte, so gut es ging, das Frotteejäckchen zusammen, das mir gerade mal über den Po ging.

»Er sitzt ständig bei uns auf der Terrasse und belauert Romeo.« Er sah zum Nachbarhaus rüber. »Ich wohne da drüben«, setzte er überflüssigerweise hinzu.

»Wer ist Romeo?«, fragte ich ungeduldig.

»Unser Papagei. Er mag keine Katzen.«

»Bastian wird ihn schon nicht fressen. Er fängt höchstens mal eine Maus, wenn sie ihm vor die Füße läuft. Im allgemeinen ist er froh, wenn ihm keiner was tut.« Daß Paulinchen eine große Jägerin ist und selbst Hühner und Hasen jagt, verschwieg ich. Das stand ja nicht zur Debatte.

»Eben, das meine ich ja: Wenn Romeo ihn mit seinem Schnabel erwischt ... Sie sollten echt gut auf ihn aufpassen. Er ist wirklich ein schöner Kater.«

»Schön, ich werde Bastian sagen, daß er Romeo zufrieden lassen soll.« Eigentlich glaubte ich, damit die Unterhaltung beendet zu haben. Aber der Knabe machte keinerlei Anstalten, zu gehen, kraulte den Kater und starrte verträumt auf meinen Busen, genauer gesagt auf die Stelle, an der ich diese verdammte Jacke zusammenhielt. Das machte mich nervös, und ich begann innerlich zu kochen, daß mich dieses halbe Kind in so eine unwürdige Situation brachte. Vielleicht war das der Fluch meiner Gedanken auf der Autobahn. Das halbe Kind war ein ganzes Stück größer als ich und nur mit einer aufgekrempelten weißen Jeans bekleidet. Eigentlich sah er süß aus, ja, ich gehe noch weiter: Er hatte durchaus etwas Verführerisches. Er mußte durch die Oleanderbüsche geschlüpft sein. (Das konnte ja heiter werden.)

»Ich heiße übrigens Mario, Mario Rebe.«

»Jung, Teresa Jung. Wir haben uns ja schon auf der Fahrt gesehen.«

»Ja, mir ist Ihr Wagen aufgefallen. Darf ich mal mitfahren?«

»Wenn Sie wollen. Meinetwegen.« (War er mehr von mir oder von meinem Wagen beeindruckt?) »Mario, du kannst mich gern wieder besuchen, aber jetzt muß ich mich verabschieden.« Ich hatte ihn aus Versehen geduzt.

Immer noch hielt ich die Gießkanne in der Hand, denn eigentlich hatte ich die Blumen gießen wollen.

»Wenn Sie's eilig haben, kann ich ja die Blumen gießen. Echt. Ich weiß sowieso nicht, was ich tun soll.«

Er tat mir zwar ein bißchen leid, als ich ihn mit dem Kater und der Gießkanne stehenließ, aber ich hatte einfach dieses Problem mit der Jacke.

***

Auf der Terrasse des Majestic herrschte jetzt Hochbetrieb. Alle Tische waren besetzt. Es war ein sehr warmer Abend. Glücklicherweise brachte die leichte Brandung einen Hauch von Kühle mit.

Von den anderen Tischen brandete unaufhörlich Stimmengemurmel zu mir herüber. Leider verstand ich kein Wort. Leider, denn ich hätte zu gern mitbekommen, was am Tisch neben mir geredet wurde, an dem der blutleere Blonde mit einem umwerfend mondänen Vamp saß. Offensichtlich ein Liebespaar.

Toni hatte mir einen kleinen Tisch am Ende der Terrasse reserviert. Mein Tischnachbar war das Mittelmeer. Die Kellner hatten Windlichter angezündet, um der bald einbrechenden Dunkelheit zu begegnen. Ich genoß es, wie die unruhigen Flammen die gepflegten Gesichter der Gäste in flackernde Leidenschaft tauchten.

Wie kam dieses Milchgesicht bloß zu einer solchen Frau? Fasziniert betrachtete ich das vom Wechselspiel der Windlichter fast mythische, von breiten Wangenknochen umrahmte Gesicht. Von ihren rotgeschminkten, leicht geöffneten Lippen ging ein Hauch von Laszivität aus, die durch ihre in die hohe Stirn fallenden hexenroten Haare noch unterstrichen wurde. Ihre langen schmalen Finger ruhten in geschmeidiger Bewegungslosigkeit auf der Hand des Jünglings. Keine Frage: Sie war der Inbegriff der reifen, mütterlichen Frau, das Idealbild der heimlichen Geliebten aus den großen französischen Romanen des vergangenen Jahrhunderts. Sie trug ein dünnes schwarzes Kleid mit tiefem Dekolleté, das einen üppigen, vollkommenen Busen erahnen ließ. Die erotische Ausstrahlung dieser Frau war ungeheuer, und erstaunt registrierte ich, daß sie mich nicht kalt ließ. Was war bloß mit mir los? Teenager, glutäugige Kellner – und jetzt auch noch Frauen! Ich hatte wohl zu lange abstinent gelebt und mich zu lange lediglich gedanklich mit der Liebe beschäftigt.

Wie auf sein Stichwort kam Toni an meinen Tisch. Die Kellneruniform stand ihm ausgezeichnet.

»Gefällt Ihnen der Platz?«, erkundigte er sich mit seiner Samtstimme. Er sah etwas erhitzt aus, was ihn noch anziehender machte.

»Ja, sehr. Vielen Dank.« Ich sah ihm verliebt in die Augen, so wie meine Romanfiguren das immer zu tun pflegen. Er gab den Blick zurück. Na, bitte, es funktionierte.

»Mögen Sie Austern?«, fragte er unvermittelt, ein bißchen gegen die Etikette.

»Warum nicht?«

Von da ab lief alles wie von selbst.

Als er den Hauptgang brachte (Perlhuhn in Burgunder) , erkundigte er sich nach meinem Namen und ob ich allein Ferien machte. Wenn er mir zwischen den Gängen Feuer gab, berührten sich unsere Hände. Nach dem Zitronensoufflé fragte er dann endlich, ob ich später noch Lust hätte, mit ihm etwas trinken zu gehen. Wir verabredeten uns für kurz nach zwölf bei meinem Wagen.

Meinen Kaffee trank ich dann später in einer Ecke der Bar und lauschte der schwarzen Sängerin. It‘s so sad to be alone, flüsterte sie ins Mikrofon. Langsam füllte sich die Bar mit den Gästen von der Terrasse. Die Fenster zum Strand waren weit geöffnet und ließen die Nachtluft herein. Mein Liebespaar aus dem 19. Jahrhundert saß noch draußen. Gegenüber am Nebentisch saß ein Mann, der mir vorher nicht aufgefallen war. Im Majestic extravagante, reiche Leute zu sehen, ist zwar nichts Besonderes, aber von diesem Mann ging eine Anziehungskraft aus, die selbst diesen illustren Rahmen überstrahlte. Das lag weder an Cerutti noch Rolex, sondern vielmehr an seiner Haltung und seinem Gesichtsausdruck. In seinen Augen stand klar zu lesen: »Ich habe nicht nur Geld, sondern auch Macht.« Sein Körper war durchtrainiert, sein Alter schwer zu schätzen. Vielleicht knapp über fünfzig. Er trug graue, kurzgeschorene Haare und erinnerte ein wenig an Harry Belafonte. Im Kino wäre er wohl der Boß eines Gangstersyndikats gewesen.

Als die Sängerin das Lied beendet hatte, spendeten ihr alle ausnahmslos Beifall. Nur mein Gangsterboß nicht. Als sie sich verbeugte und anschließend an seinen Tisch setzte, wußte ich, warum. Wieso sollte er ihr Beifall zollen, wenn sie ihm ohnehin gehörte?

Ich trank meinen Kaffee aus, denn es war Zeit für meine Verabredung.

Toni lehnte am Alfa und rauchte eine Zigarette.

»Hallo«, sagte er leise und küßte mich leicht auf die Wange. Seine Hand berührte flüchtig meine Hüfte, und ich merkte, daß er aufgeregt war. So wie er aussah, mußte er doch eigentlich derartige Abenteuer gewöhnt sein. Wahrscheinlich nahm er das von mir auch an. Zu Unrecht, und so war ich froh, das ruhige Brummen des Motors zu hören, das mir das Gefühl gab, diese Kraft auf mich übertragen zu können.

»Dein Wagen?«, fragte er.

Ich nickte.

Wir fuhren in Richtung Hafen und suchten wie alle Welt einen Parkplatz an der Promenade. Eine beträchtliche Menschenmenge schob sich von beiden Seiten der Straße zwischen den Schritt fahrenden Autos hindurch. Der Ort war ein einziger nächtlicher Rummelplatz. Der Sternenhimmel hing zum Greifen tief.

Toni schien langsam aufzutauen. Er hatte sich eine Zigarette angezündet. Als ich daran zog, berührten seine Finger meine Lippen. Ich genoß die Spannung zwischen uns. Sein schönes Gesicht sah ein wenig müde aus. Seine Haare waren noch feucht vom Duschen, er roch gut, und sein offenes blütenweißes Polohemd gab eine bronzefarbene, leicht behaarte Brust mit einem silbernen kleinen Löwen-Anhänger frei, offensichtlich sein Sternzeichen.

»Im Nighttrain treffen sich in dieser Saison alle«, hatte Toni gesagt. Das war wohl zweifellos richtig, denn schon am Eingang sah es so voll aus, daß ich dachte, wir würden nie hineinkommen. Doch Toni bahnte uns souverän einen Weg durch die Menge.

Das Nighttrain ist ein langer Schlauch, an der einen Seite die Bar, an der anderen Tische und Bänke, angeordnet wie Zugabteile, dazwischen eine Tanzfläche mit Lichtorgel. Das erste, was ich durch das farbige Licht und den Rauch hindurch wahrnahm, war das Gesicht von Mario, der mich ebenfalls erkannt hatte. Er saß, offensichtlich ans Ende einer Bank gedrängt, ziemlich unbequem vor einer halbvollen Cola, und für einen kurzen Moment glaubte ich, seine Augen freudig aufleuchten zu sehen. Aber als Toni seine Hand auf meine Schulter legte, verfinsterte sich sein Blick.

Ich nickte Mario zu. Doch er schien mich plötzlich nicht mehr zu kennen und zündete sich betont gelangweilt eine Zigarette an.

Toni schob mich sanft auf die Tanzfläche. Als ich wieder zu Marios Platz hinübersah, war er verschwunden.

Ich trug einen Seidenfummel mit tiefem Rückenausschnitt. Ich spürte Tonis Lippen an meiner Schläfe. Und die Enge auf der Tanzfläche sorgte für alles weitere.

Kapitel 4

Fahr zu, Arschloch! dachte Berger und starrte haßerfüllt auf das feine Profil des kleinen Oliver, das sich bleich von der Dunkelheit abhob. Der kleine Oliver wußte, was Berger dachte, und vergaß, runterzuschalten, bevor er Gas gab. Der Peugeot ruckte und blieb hinter dem Lieferwagen hängen.

»Entschuldigung«, murmelte der Kleine nervös, »soll ich mit Blaulicht fahren?«

»Wär' schön, wenn du überhaupt fahren würdest«, höhnte Berger. Er freute sich, wenn der Kleine Fehler machte, und der machte oft Fehler, weil er Angst hatte, welche zu machen. Diese Angst am Leben zu erhalten, war Bergers einziges Vergnügen. Im Grunde hatte er es überhaupt nicht eilig, zum Tatort zu kommen.

»Ein reiches Schwein weniger«, war sein Kommentar gewesen. Er haßte die Reichen, die er mit Samthandschuhen anfassen mußte. Sie hatten alle Beziehungen und Macht. Macht, die er nicht hatte, und Geld, das er nicht hatte. Sein Konto war ständig überzogen. Er hatte Maria mit den Kindern in die Bretagne geschickt, damit wenigstens sie Urlaub machen konnten. Wie gern hätte er den Herrschaften in die vornehmen Visagen geschlagen. Statt dessen hieß es: »Wenn Monsieur so freundlich sein würde ... Wenn Herr Baron sich liebenswürdigerweise erinnern möchte ...« Alle kannten sie den Polizeipräsidenten, den Ermittlungsrichter oder irgendeinen Minister persönlich. Hafenarbeiter, kleine Dealer und Nutten waren ihm lieber. Er wußte, Xavier und Burgon waren besser als er. Deshalb hatte er ja auch den kleinen Oliver bekommen, den keiner wollte. Dabei war der Kleine gar nicht mal dumm. Ein Schwächling eben.

Nachdenklich zündete sich Kommissar Berger eine seiner stinkenden Zigarren an.

Da ist sie wieder, diese verdammte Übelkeit! dachte Oliver Bresson. Er vertrug keinen Rauch. Außerdem graute ihm vor der Leiche. Dabei hatte er sich fest vorgenommen, sich diesmal nicht zu übergeben.

»Schlaf nicht ein, Mann! Wenn du deinen Schönheitsschlaf brauchst, hättest du Professor werden müssen!«, knurrte ihn Berger an.

Berger hatte es nichts ausgemacht, nachts aus dem Bett geholt zu werden. Er konnte in seiner stickigen Hochhauswohnung sowieso nicht schlafen.

Kurz darauf hielten sie vor dem Eingang des Majestic, es waren bereits zwei Wagen der örtlichen Polizei und ein Notarztwagen da. Kreidebleich telefonierte der Nachtportier in der Eingangshalle mit dem Empfangschef.

Durch die offene Tür zum Salon sah man, wie ein Arzt eine Spritze aufzog. Oliver Bresson sah weg.

»Wo ist der Tote?«, bellte Berger.

Ein Polizist zeigte mechanisch nach oben.

»Ich brauche keine Spritze, junger Mann, bringen Sie mir lieber einen Schnaps!«, drang eine krächzende, energische Stimme aus dem Salon.

Als der kleine Oliver die Leiche zu Gesicht bekam, wurde ihm wider alle guten Vorsätze dennoch schlecht. Der Papageienschnabel steckte tief im Hinterkopf des Toten, dessen Haare nur mehr eine blutige breiige Masse waren.

»Wem gehört der Stock?«, fragte Berger den Polizisten, der an der Tür stand und ebenfalls einen etwas blassen Eindruck machte.

»Der Gräfin, Monsieur le Commissaire.«

Natürlich, eine Gräfin! Darunter läuft hier ja nichts, dachte Berger.

»Das Gästebuch!«, herrschte er den Kleinen an.

***

Im Küstenboten stand am nächsten Tag noch keine Nachricht über den Mord. Gähnend überflog ich Kolonnen belangloser Schlagzeilen und legte die Zeitung zusammen mit der vom Vortag, die noch immer zusammengefaltet und ungelesen auf dem Küchentisch lag, in den Korb neben dem alten verzierten Kohleherd. Als ich gegen Abend, zufrieden mit mir und der Welt, am Herd stand und die Hühnerteile für den Coq au vin anbriet, konnte ich auf ein paar recht gelungene Seiten meines neuen Romans zurückblicken. Ich erwartete Toni zum Abendessen und freute mich auf ihn. Es war nach langer Zeit die erste gelungene Liebesnacht gewesen.

»Riecht gut, was?« Wie meine Tante fing ich an, mit den Katzen wie mit zweibeinigen Hausgenossen zu reden. Aber es schien nicht das Huhn zu sein, das sie bewegte. Im Laufschritt waren beide in die Küche gestürmt und starrten nervös zum Garten rüber. Ihre Schwänze peitschten aufgeregt hin und her. Irgend etwas hatte sie erschreckt. Vielleicht ein fremder Kater. Ich übergoß das Huhn mit Rotwein und streute feingehackten Knoblauch und Oliven darüber, bevor ich es zum Fertiggaren in den Backofen schob.

Fast hätte ich das Tablett mit Tante Arabellas Royal-Kopenhagen-Service fallen lassen, denn draußen stand Mario. Mit der größten Selbstverständlichkeit beugte er sich über die auf dem Gartentisch liegenden, frisch ausgedruckten Manuskriptseiten. (Es ist ein unerklärlicher Spleen von mir, daß ich jedes Wort, das ich schreibe, sofort ausdrucken muß.)

Ich war sprachlos. Aber er ließ sich nicht stören und las seelenruhig weiter.

»Gehört die bunte Katze auch hierher?«, fragte er unbekümmert.

Ich schwieg wütend, hauptsächlich, weil dieses Bürschchen mich so verunsicherte.

»Eben habe ich sie nämlich beide bei Romeo erwischt und hierher gejagt.«

»Hör mal gut zu, mein Lieber, laß mich endlich damit zufrieden! Die Tiere werden schon ohne dich miteinander zurechtkommen. Und im übrigen endet das Grundstück eures Hauses bei den Oleanderbüschen!« (So schnell wird man kleinkariert.) Ich knallte das Tablett auf den Gartentisch, daß das Royal-Kopenhagen beängstigend klirrte, sammelte mein Manuskript ein und verließ ostentativ den Schauplatz. Schön, dachte ich, dann werde ich eben erst meine Toilette machen und anschließend den Tisch decken. Keinesfalls lasse ich mir von dem kleinen Flegel den Abend verderben. Mir schwebte Romantik pur vor, und die wollte ich mir nicht nehmen lassen. Ich zog das enggeschnittene rosa Kleid mit dem tiefen Dekolleté und dem Seitenschlitz an, schlüpfte in die neuen Sandaletten mit den Goldriemchen, legte ein dezentes Make-up auf, dazu einen Hauch Lidschatten, einen Hauch Lippenstift und einen Hauch Cartier und ging, zufrieden mit meinem Spiegelbild, wieder hinaus in den Garten. Ich war nicht wenig überrascht, als Mario immer noch da war. Er hatte inzwischen den Tisch gedeckt.

Mein Outfit muß ihn sprachlos gemacht haben, denn er starrte mich ungläubig an. Während ich überlegte, wie man sich gegen die unkonventionellen Gesellschaftsregeln eines Halbwüchsigen behauptet, drang ein markerschütternder Schrei vom Nachbargrundstück herüber. So schnell es meine Luxussandalen erlaubten, rannte ich los. Mario folgte mir.

Der Ara hockte auf seiner Stange wie eine beleidigte Majestät, davor in respektvollem Sicherheitsabstand die aufsässigen Untertanen Bastian und Paulinchen mit gesträubtem Fell.

»Hörte sich echt gefährlich an«, meinte Mario.

»Ist es aber nicht«, sagte ich. »Die Katzen haben einen ungeheuren Respekt vor dem Papagei. Falls Bastian die Sache nervlich durchsteht, wird niemand zu Schaden kommen. So, jetzt entschuldige mich bitte. Ich muß mich weiter um mein Essen kümmern.« Damit hielt ich die Angelegenheit für erledigt und mich fürs erste von meinem lieben kleinen Nachbarn befreit. Doch weit gefehlt.

»Erwarten Sie Besuch?«, fragte er neugierig.

»Nein, ich esse immer von zwei Gedecken.«

»Verstehe. Dieser Typ aus der Disco?«

Ich schwieg und steckte die fliederfarbenen Kerzen in Tante Arabellas silbernen Kandelaber.

»Der ist aber noch jung.«

(Unverschämtheit!)

»Die in der Mitte ist schief.«

Wortlos korrigierte ich die mittlere Kerze.

»Ich geh' dann mal.«

(Hoffentlich!) Stumm ging ich in die Küche. Das Huhn war fertig. Jetzt nur noch einen Schuß Essig an die Salatsoße. Mist, die Essigflasche war leer, und ich hatte vergessen, neuen zu kaufen.

»Mario!«, rief ich hinter der schlanken Gestalt mit den leicht hochgezogenen Schultern her, die langsam auf die Oleanderbüsche zuging. »Kannst du mir Essig borgen?«

Als er mit dem Essig zurückkam, hatte sich der schlaksige Junge mit der aufgerollten Jeans in eine jugendliche Don-Johnson-Ausgabe mit hellblauem Seiden-T-Shirt und weißem Leinenanzug verwandelt. Die Ärmel des Jacketts waren lässig hochgeschoben. Er hatte die Haare gefönt und ein hinreißendes Eau de Toilette aufgelegt.

»Möchten Sie auch einen Drink?« (Warum siezte ich ihn jetzt bloß auf einmal?)

»Wenn ich Sie nicht aufhalte«, sagte er lakonisch und zog ein Päckchen Camel aus der Hosentasche.

»Auf einen Drink habe ich Zeit.«

Er hielt mir die Camelpackung hin.

»Möchten Sie?«

Gedankenverloren zog ich eine Zigarette raus. Er gab mir Feuer. Seine Hand zitterte leicht.

»Ich dachte, Sie drehen selbst.« Das Bild auf der Autobahn war mir wieder vor Augen, und nun gab ich preis, wie genau ich ihn beobachtet hatte.

»Können wir nicht beim Du bleiben?«

Ich reichte ihm sein Glas. Das Eis knackte leise.

Wie selbstverständlich setzte er. sich an den Tisch. Was blieb mir anderes übrig, als auch Platz zu nehmen?

»Kochst du gern?«

»Ja«, stotterte ich. (Verdammt, was ist bloß los? Ich bin total durcheinander.)

»Bei uns gibt's nie was Vernünftiges. Immer nur Iglo und Mikrowelle. Echt öde.«

Wahrscheinlich übertrieb er, aber ich hatte keine Lust, das Problem zu vertiefen. Ich schaue nicht gern hinter die Kulissen von sogenannten intakten Familien. Meistens tun sich doch nur Abgründe auf.

»Wo sind deine Leute eigentlich?«, versuchte ich abzulenken.

»Sie müßten längst zu Hause sein. Vater will mit den Kleinen jeden Tag was unternehmen, an den Strand und so.«

»Und deine Mutter?«

»Migräne. Heute morgen war sie unheimlich aufgekratzt, und mittags hat sie sich ins Bett gelegt.«

»Und du hattest wohl keine Lust, mit deinem Vater und deinen Geschwistern was zu unternehmen.«

»Nein, danke. Ich wollte sowieso mit ein paar Kumpels nach Portugal trampen.«

»Und?«

»Meine Mutter hat Terror gemacht. Erst wenn ich achtzehn bin. Aus Prinzip.« Seine Miene hatte sich unendlich verdüstert.

»Und wie lange mußt du nun noch warten?«

»Ein Jahr, fast.«

Also hatte ich ihn damals im Stau richtig eingeschätzt, er war also erst siebzehn.

»Ist doch stinklangweilig hier. Nur Beach und Disco.«

(Aha, auch noch besondere Ansprüche.)

»Na, wird schon werden«, tröstete ich ihn.

Er sah mich zweifelnd an. Seine Playboyhaltung hatte

er vergessen. Jetzt war er wieder ganz der motzige Teenager.

»Wo bleibt eigentlich dein Besuch?«

(Das fragte ich mich auch.) Mein Magen knurrte, und langsam wurde ich ärgerlich, daß Toni mich warten ließ. Verdammt, er konnte schließlich anrufen, wenn was dazwischengekommen war.

»Vielleicht muß er länger arbeiten.« Ich bemühte mich, nicht sauer zu klingen, um nicht wie die versetzte Geliebte dazustehen.

»Dann könnte er wenigstens anrufen.«

»Oh, er weiß nicht, daß ich gekocht habe, das war eine ganz spontane Idee.« (Was übrigens stimmte. Trotzdem verstand ich nicht, warum Toni nicht schon längst da war. Natürlich hoffte ich, er würde angesichts unserer ersten, leider viel zu kurzen Nacht – er mußte früh ins Hotel zurück – die Fortsetzung genauso sehnsüchtig erwarten wie ich.) »Wir können ja schon mal anfangen. Machst du die Flasche auf? Ich habe jedenfalls Hunger.«

»Und wenn er kommt?«

»Na, dann essen wir eben zu dritt.«

Ich gab mich so locker wie möglich, aber innerlich kochte ich. Andererseits war es immer noch tröstlicher, sich das geplatzte Liebesmahl mit einem immerhin so attraktiven jungen Mann wie Mario zu teilen.

»Zieh eine. Mal sehn, ob Toni noch kommt.« Mario hatte Tante Arabellas Tarotkarten auf dem abgeräumten Gartentisch ausgebreitet.

Erstaunlicherweise hatte mir das Essen trotz aller Liebesschmach vorzüglich geschmeckt. Sicher hatte auch der Champagner seinen Teil dazu beigetragen.

Mario wollte unbedingt eine Platte auflegen, dabei entdeckte er die Karten auf Tante Arabellas Sekretär in dem großen gemütlichen Kaminzimmer neben der Küche. Die Bibliothek meiner Tante fand er ausgesprochen geil. »Die Hoffmann-Ausgabe könnte mir auch gefallen«, meinte er, und streichelte dabei andächtig die Buchrücken. »E.T.A. ist besser als alle Fantasy-Autoren.«

Mit Kennermiene suchte er eine Platte von Satie aus.

»Legst du Karten?«

»Nein, meine Tante.«

»'ne geile Tante hast du.«

Merkwürdig, daß ein Jugendlicher sich für E.T.A. Hoffmann, Satie und Tarot begeisterte.

Ich zog also ergeben vier Karten. Eremit, Tod, Turm und die Liebenden.

»Siehst du, er kommt nicht mehr. Der Tod muß nicht ihn betreffen, jedoch hat irgendein unangenehmer Zwischenfall seine Pläne durchkreuzt. Aber er ist verliebt in dich ...«

»Darauf wäre ich ohne die Karten nie gekommen.«

»Aber ist es nicht stark, daß die Karten die Situation genau treffen? Glaubst du nicht an Magie?« Aufgeregt strich er sich die Haare aus der Stirn.

Schließlich enthob mich lärmendes Getöse einer Antwort. Der Rest der Familie war vom Ausflug zurückgekehrt. Autotüren flogen zu, ungefähr fünfundzwanzigmal. Und ein langgezogenes, schrilles »Nein!«, zerriß die Abendstille.

»Zum Donnerwetter, laß Julchen den Ball, sonst ...!«

Die tiefe Stimme, die ich aus dem Fernsehen kannte, ging im Gebrüll des Kleinkindes unter. Dann das Klappen der Haustür. Wohltuende Ruhe.

Mario hatte sich inzwischen tief in den Gartenstuhl gedrückt.

»Dein Wagen hat ein Frankfurter Kennzeichen. Bist du oft hier? Ich meine, weil dein Freund ...«

»Manchmal«, sagte ich kurz angebunden. Er brauchte schließlich nicht zu wissen, daß Toni mein brandneuer Lover war.

»Schreibst du hier deine Romane? Meine Mutter hat ein Buch von dir. Ich glaube, Frauen lesen so was gerne. Verdienst du damit tatsächlich echt Geld?«

Okay, er wußte, daß ich erotische Romane schrieb – genügte das denn nicht?

In diesem Augenblick klingelte es am Gartentor.

Toni!

Der Mann, der dort am Gartentor stand, war allerdings nicht Toni, sondern Marios Vater.

»Entschuldigen Sie bitte die späte Störung, aber ich habe Licht gesehen ... Rebe ist mein Name, wir haben das Haus nebenan gemietet und ...«

»Jung. Angenehm. Kommen Sie doch rein.«

»Ich will nicht stören. Ich wollte nur. Ach, Mario. Was suchst du denn hier? Mario ist mein Sohn. Aber das werden Sie wahrscheinlich schon ... Das wird er Ihnen sicher schon ...« Irritiert wanderte sein Blick von seinem gestylten Sohn zu mir. Mein Ausschnitt, die Champagnerflasche, die heruntergebrannten Kerzen, der leise Satie.

»Sie kennen sich?«, fragte er überflüssigerweise.

Mario verkniff sich ein Grinsen. Er genoß die Verblüffung seines Vaters.

»Ihr Sohn war so freundlich, sich um meine Katzen zu kümmern, und da habe ich ihm etwas zu trinken angeboten. Möchten Sie auch ein Glas?«

Er nahm mechanisch eine Tarotkarte auf. Es war der Gehängte.

»Ich hoffe, mein Sohn hat Sie nicht allzusehr aufgehalten.«

»Nein, ganz im Gegenteil, wir haben uns sehr angenehm unterhalten.«

»Sie ist Schriftstellerin, Teresa Jung, weißt du? Mama hat ein Buch von ihr.«

»Ach ja?« Man sah ihm an, daß er noch nie von mir gehört hatte, was mir allerdings nur recht war.

»Mein Vater liest nur wissenschaftliche Bücher«, entschuldigte Mario ihn.

»Sie sind Atomwissenschaftler, ich weiß. Ich habe Sie übrigens neulich im Fernsehen gesehen, in dieser Talk-Show.«

»Erinnern Sie mich nicht daran!« Er winkte ab und zündete sich seine Pfeife wieder an. Sein Bassetgesicht schlug Falten. »Diese Schwachköpfe!«

»Darf ich Sie etwas fragen?«

Er nickte abwesend.

»Was haben Sie damit gemeint, daß Sie Ihr Wissen jetzt für die Bürger einsetzen wollen?«

»Ich weiß, ich hätte mich zu dieser Äußerung nicht hinreißen lassen sollen, denn jetzt werde ich ständig darauf angesprochen.«

»Aber ihr kannst du es doch sagen. Das ist doch ganz privat. – Mein Vater hat nämlich eine Supererfindung gemacht. Echt stark.«

»Ach Mario, du übertreibst mal wieder und weißt eigentlich gar nicht, worum es geht.«

»Natürlich, du kannst Radioaktivität sichtbar machen.«

Rebe lachte. Es war ein tiefes Baßlachen.

»Na, nicht ganz, aber so ähnlich. Bald wird es eine ganz alltägliche Sache sein«, meinte er bescheiden und zog an seiner Pfeife.

»Und dann werden endlich die ganzen Schweinereien aufhören. Dann kann keiner mehr Störfälle vertuschen und verseuchte Lebensmittel verkaufen!«

»Ja, Mario«, unterbrach ihn Rebe. »Und jetzt komm. Es ist schon spät.« Er nahm ihn bei den Schultern. Plötzlich drehte er sich gedankenverloren um. »Ach, weshalb ich gekommen bin: Morgen wird es vielleicht etwas laut zugehen. Ich gebe einen kleinen Empfang.«

»Er wird fünfzig«, klärte Mario mich auf.

»Wenn Sie Lust haben, sind Sie herzlich eingeladen. Dann stört sie der Radau auch nicht so.«

»Klar kommt sie«, bestimmte Mario.

Ich nickte, bedankte mich und begleitete die beiden zum Tor.

Kapitel 5

Berger sah ungeduldig auf seine Armbanduhr. Eine geschlagene Stunde warteten sie nun schon darauf, daß die Gräfin sie empfing. Um neun Uhr würde sie für eine Befragung zur Verfügung stehen, hatte sie mitteilen lassen. Jetzt war es drei Minuten nach zehn. Die Friseuse sei noch bei ihr.

»Wenn sich die Herren noch einen Moment gedulden wollen!« mischte sich in Bergers Wut das Echo einer näselnden Stimme, sie gehörte dem dürren Empfangschef. Gestern war die Gräfin nicht vernehmungsfähig – so hatte ihr Arzt entschieden –, heute war sie noch nicht empfangsfähig. Das war, verdammt noch mal, ein Grund, sich und den Scheißjob zu bedauern.

Zum Glück war es kühl im Foyer des Majestic. Aus dem Frühstücksraum mit dem Panoramablick über die Bucht – dort hatte er gestern die anderen Hotelgäste vernommen – klang das leise Geschirrklappern der Spätaufsteher. Ein Hauch von Kaffee und frischem Brot lag noch in der Luft. Die große Glastür zur Terrasse stand offen. Die Kellner hatten die Sonnenschirme geöffnet und deckten bereits die Tische für das Mittagessen. Sonnenstrahlen fingerten herein und legten sich warm auf die kühlen italienischen Fliesen in der Halle. Manchmal bewegte ein Luftzug einen Palmwedel der großen Kübelpalmen. Ab und zu kam ein Gast im Bademantel mit Zeitschrift und Sonnenöl die breite Marmortreppe herunter, übersah Berger und den Kleinen und verschwand durch die Glastür. Sie gehörten eben nicht dazu. Da war es wieder, dieses Gefühl von Neid. Wie er diese undurchdringliche Mauer des Geldes haßte!

Ein Hotelgast war ermordet worden? Der Deutsche? Terrible, mon Dieu! Nein, man hatte nichts gehört. Man hatte geschlafen, oder man war noch nicht wieder im Hotel, alle hatten ein Alibi, keiner war in der Nacht allein gewesen. Die Frau an seinem Tisch – »Ah, oui, rote Haare!« –, nein, die kannte man nicht. Der Portier hatte niemand Fremdes bemerkt. Das schien der einzige Punkt zu sein, der die Herrschaften etwas beunruhigte: Daß ein Mörder unbemerkt ins Hotel gelangen konnte. Oder war es doch einer von ihnen? Wenn sie jetzt wenigstens gründlich aufgeschreckt wären! Für manche schien es eher eine Urlaubsbereicherung, ein kleiner Flirt mit dem Grauen, eine Art Nervenkitzel zu sein.

Der kleine Oliver hatte wieder diesen nach innen gerichteten Blick. Weder das Warten noch die Tatsache, daß sie Fremdkörper waren, schien ihm etwas auszumachen. Hätte der Kleine gelitten, wäre wenigstens Bergers Leid gemindert worden. Daß Oliver so abschalten konnte, ärgerte ihn noch mehr. Wahrscheinlich komponiert er im Kopf eine Symphonie oder spielt Schach, dachte Berger gehässig. Ihm waren die geistigen Fähigkeiten des Kleinen jedenfalls zutiefst suspekt.

Oliver Bresson war alles andere als abwesend. In Wirklichkeit registrierte er jede Kleinigkeit. Noch einmal überdachte er die Aussagen der einzelnen Personen. Die theoretische Seite seines Berufes machte ihm besonders viel Spaß. Das war so ähnlich wie Komponieren, wobei sich die Kompositionen allerdings in der Regel vornehmlich durch Dissonanzen auszeichneten. Er war jedenfalls gespannt auf die Gräfin, mit deren Stock der Deutsche in ihrem Schlafzimmer ermordet worden war.

»Die Gräfin läßt jetzt bitten«, meldete der hübsche junge Kellner mit den dunklen Augen, Sohn eines Pariser Hoteliers. Er hatte eine angenehm weiche Stimme. Zum Zeitpunkt des Mordes war er mit einer jungen Frau im Nighttrain gewesen, die vorher allein im Majestic zu Abend gegessen hatte. An ihrem Nebentisch hatte der Ermordete gegessen. Der Kellner hatte ausgesagt, er habe seine Begleiterin nachmittags am Hotelstrand kennengelernt. Sie habe die Clubkarte eines Mitgliedes benutzt. Sie sei zum ersten Mal in dieser Saison hiergewesen. Auf jeden Fall mußte man die Aussage des Kellners überprüfen, immerhin war sein Alibi auch eine Deutsche.

»Wird auch langsam Zeit«, knurrte Berger. »Ich habe nämlich keine Ferien.«

»Bitte folgen Sie mir.«

Ungeduldig stiegen sie die Marmortreppe zur Suite der Gräfin hinauf – Toni, Berger und der Kleine. Berger hätte lieber den Lift benutzt. Er begann wieder zu schwitzen.

»Möchten die Herren einen Sherry?«

Gräfin Katharina von Langen-Bredonow saß in ihrem brokatbezogenen Ohrensessel und sah sehr klein aus.

»Danke, wir sind rein dienstlich hier«, antwortete Berger unfreundlich.

Völlig falsch, dachte der Kleine bedauernd, jetzt ist sie weniger zugänglich.

»Toni, schenken Sie mir einen Sherry ein, und stellen Sie die Lamellen etwas schräger. Und für die Polizisten zwei Stühle hier ans Fenster. Dann brauche ich Sie nicht mehr, danke.«

Berger wischte sich mit einem karierten Taschentuch über sein gerötetes Gesicht, zog eine Zigarre aus seiner Brusttasche und setzte sich.

»Ich vertrage keinen Zigarrenqualm«, kam die Gräfin seiner Frage nach Raucherlaubnis zuvor, steckte sich ungeachtet dessen eine Philip Morris in ihre Bernstein-Zigarettenspitze und schob dem kleinen Oliver eine Schachtel Streichhölzer über den kleinen runden Beistelltisch zu.

»Zünden Sie mir ein Streichholz an, junger Mann, ich habe für diese dünnen kleinen Dinger nicht mehr genug Gefühl in den Fingern.«

Knurrend steckte Berger die Zigarre in seine Hemdtasche.

Die Gräfin zog genüßlich an ihrer Spitze und nippte ebenso genießerisch an ihrem Sherry. Ihren Stock, den eine silberne Schlange zierte, die sich von der Mitte ab um den Stock wand, hielt sie wie ein Zepter umklammert. Der zum Knauf geformte Schlangenkopf war auf Berger gerichtet. Die mit zwei Saphiren besetzten Augen der Schlange blickten ihn kalt an.

Die Gräfin klopfte mit ihrem Stock einmal kräftig auf das Parkett.

»Nun fragen Sie schon!«, befahl sie ungeduldig. Ihre blaugrauen Haare umrahmten das runzelige Gesicht wie ein Helm.

»Notieren Sie, Bresson!«, schnauzte Berger. »Kannten Sie den Toten?«

»Natürlich, er war Hotelgast.«

»Ich meine näher.«

»Natürlich nicht.«

»Er war ein deutscher Adliger. Haben Sie sich nie mit ihm unterhalten?«

»Ich war über fünfzig Jahre mit deutschem Adel verheiratet. Das genügt.«

»Herr von Eggendorf wurde in Ihrem Schlafzimmer ermordet.«

»Haben Sie ansonsten schon etwas herausgefunden?«

Die Gräfin drückte ihre halbgerauchte Zigarette aus und nahm einen Schluck Sherry.

Die Stimmung war gereizt, und Oliver Bresson stellte wie so oft fest, daß Berger ein Meister im Verscherzen von Sympathien war. Hatte die alte Dame ihnen nicht einen Sherry angeboten, und hätte man ihr nicht Gelegenheit geben sollen, über das grauenvolle nächtliche Ereignis zu sprechen? Jeder Mensch hat doch nach einem solchen Erlebnis das Bedürfnis, sich mitzuteilen.

»Ich frage mich, warum Herr von Eggendorf ausgerechnet in Ihre Suite kam.«

»Leider habe ich keine Gelegenheit mehr, ihn danach zu fragen. Wahrscheinlich, weil ich die einzige Hotelbewohnerin bin, die allein schläft.«

Bergers Blutdruck stieg.

»Wie kam er überhaupt herein?«

»Durch diese Tür.«

»Warum hatten Sie Ihre Suite denn nicht abgeschlossen?«