Ein Mann macht noch keinen Sommer & Seewind und Champagnerküsse - Lena Sand - E-Book
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Ein Mann macht noch keinen Sommer & Seewind und Champagnerküsse E-Book

Lena Sand

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Beschreibung

EIN MANN MACHT NOCH KEINEN SOMMER: Draußen grollt der Donner und Blitze durchzucken die Sommernacht, doch Anna hat nur Augen für den unverschämt attraktiven Fremden, der plötzlich auf der rauschenden Feier ihrer Agentur aufgetaucht ist. Als die beiden nach einem Stromausfall allein zurückbleiben, führen Kerzenschein und romantisches Knistern zu einer unvergesslichen Nacht. Doch am Morgen ist er wie vom Erdboden verschwunden – und mit ihm ein äußerst kostbares Gemälde … SEEWIND UND CHAMPAGNERKÜSSE: Eine Kreuzfahrt nach New York scheint Paula genau richtig, um dem Liebesfrust einfach davonzuschippern. Und was wäre zur Ablenkung besser geeignet, als sich einen neuen Traumprinzen zu angeln? Doch unter den geeigneten Kandidaten auf dem Schiff ist ausgerechnet der Mann, der ihr schon einmal das Herz gebrochen hat. Kann es eine zweite Chance für die große Liebe geben?

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Ein Mann macht noch keinen Sommer

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Seewind und Champagnerküsse

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Epilog

Lesetipps

Über dieses Buch:

EIN MANN MACHT NOCH KEINEN SOMMER: Draußen grollt der Donner und Blitze durchzucken die Sommernacht, doch Anna hat nur Augen für den unverschämt attraktiven Fremden, der plötzlich auf der rauschenden Feier ihrer Agentur aufgetaucht ist. Als die beiden nach einem Stromausfall allein zurückbleiben, führen Kerzenschein und romantisches Knistern zu einer unvergesslichen Nacht. Doch am Morgen ist er wie vom Erdboden verschwunden – und mit ihm ein äußerst kostbares Gemälde …

SEEWIND UND CHAMPAGNERKÜSSE: Eine Kreuzfahrt nach New York scheint Paula genau richtig, um dem Liebesfrust einfach davonzuschippern. Und was wäre zur Ablenkung besser geeignet, als sich einen neuen Traumprinzen zu angeln? Doch unter den geeigneten Kandidaten auf dem Schiff ist ausgerechnet der Mann, der ihr schon einmal das Herz gebrochen hat. Kann es eine zweite Chance für die große Liebe geben?

Über die Autorin:

Lena Sand ist das Pseudonym der deutschen Schriftstellerin Christa Jekoff. Sie wuchs in Frankfurt am Main auf und studierte dort Germanistik an der Goethe-Universität. Heute schreibt sie erfolgreich in verschiedensten Genres und arbeitet als Dozentin für den Fachbereich Deutsch.

Die Autorin im Internet: www.christa-jekoff.de/

Die Kriminalromanreihe von Lena Sand bei dotbooks umfasst:

»Teresa Jung und der tote Nachbar«

»Teresa Jung und der Tote im Pool«

»Teresa Jung und die Tote am Küchentisch«

»Teresa Jung und der schöne Tod«

***

Sammelband-Originalausgabe Mai 2024

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Copyright der Originalausgabe von »EIN MANN MACHT NOCH KEINEN SOMMER« unter dem Originaltitel »Traumprinz« © 1998 by Econ Verlag GmbH; Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München.

Copyright der Originalausgabe von »SEEWIND UND CHAMPAGNERKÜSSE« unter dem Originaltitel »Ein richtiger Mann« © 2000 by Verlagshaus Goethestraße GmbH & Co. KG; Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: dotbooks GmbH, München

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (lj)

ISBN 978-3-98952-189-6

***

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Lena Sand

Ein Mann macht noch keinen Sommer & Seewind und Champagnerküsse

Zwei Urlaubsromane in einem eBook

dotbooks.

Ein Mann macht noch keinen Sommer

Draußen grollt der Donner und Blitze durchzucken die Sommernacht, doch Anna hat nur Augen für den unbekannten Traumprinzen, der plötzlich auf der rauschenden Feier ihrer Agentur aufgetaucht ist. Als die beiden nach einem Stromausfall allein zurückbleiben, führen Kerzenschein und romantisches Knistern zu einer unvergesslichen Nacht. Doch am Morgen ist er wie vom Erdboden verschwunden– und Anna, die sonst nichts mehr als Arbeit und Ordnung in ihrem Leben liebt, findet sich plötzlich mitten im Gefühlschaos wieder. Sie ist sich sicher, er ist der Eine! Allerdings scheint der Unbekannte nicht nur ihr Herz gestohlen zu haben, sondern auch ein äußerst kostbares Gemälde…

In M..., einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, ließ die verwitwete Marquise von O..., eine Dame von vortrefflichem Ruf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durch die Zeitungen bekannt machen: daß sie ohne ihr Wissen in andere Umstände gekommen sei, daß der Vater zu dem Kinde, das sie gebären würde, sich melden solle; und daß sie, aus Familienrücksichten, entschlossen wäre, ihn zu heiraten.

Heinrich von Kleist, Die Marquise von O...

Kapitel 1

Männer sagen, schöne Frauen dürfen dumm sein; Frauen sagen, schöne Männer müssen klug sein.

Dies ist vielleicht der fundamentalste Unterschied zwischen den Geschlechtern – und deshalb lebte Anna Klein, Chefin von Klein & Partner, einer der größten Werbeagenturen in der Stadt, allein.

Wie meistens, kurz bevor eine dieser unglaublichen Geschichten ihren Anfang nimmt, ahnt niemand etwas davon. Am wenigsten wir selbst.

Genau so erging es Anna. Sie stand an einer roten Ampel zwischen ihrer Penthousewohnung und der Agentur und dachte, sie habe ihr Leben im Griff.

Sie hatte sich für den alljährlichen Kundenempfang umgezogen. Die Frankfurter Rush-hour war vorbei. Als die Ampel umsprang, hatte sie bereits den Gang eingelegt und hängte den Wagen neben ihr um Längen ab. So hatte sie bisher jeden abgehängt.

Sie drehte das Radio ihres Porsche etwas lauter. Sie spielten Love is in the air. Normalerweise goutierte sie Klassik, aber das war der Song der neuen Werbekampagne von Klein & Partner. Die Präsentation war am Vormittag erfolgreich über die Bühne gegangen, der Auftrag von Lovecraft, einem neuen Hersteller von Kondomen ohne Latex, unterschrieben im Kasten. Etat: dreizehn Millionen.

Auch der junge Mann, der in die Geschichte verwickelt werden sollte, war noch völlig ahnungslos. Er hatte seine eigenen Probleme. Im Trubel des Geschäftsschlusses lehnte er an einer Litfaßsäule, preßte ein Paket an sich und beobachtete über seine Schulter hinweg zwei Männer, die in der belebten Straße nach ihm Ausschau hielten. Sie hatten ihm bereits im Hotel aufgelauert. Der junge Mann wartete mit stockendem Atem, bis sie vorbei waren. Dann rannte er zwischen den hupenden Autos über die Straße und rettete sich durch eine Drehtür in das verspiegelte Hochhaus, in dem Klein & Partner residierte.

Als Heinrich Klein, in der Branche noch heute der »Eiserne Heinrich« genannt, anno 1958 die Agentur Klein & Partner gründete, kam seine Schwester mit Anna nieder.

»Das arme Kind«, war der einzige Kommentar des jungen Firmengründers zu dem hilflosen Bündel.

Gezeugt en passant hinter einem Rock-'n'-Roll-Schuppen, ausgestattet mit der Labilität der Mutter und dem Namen Anna Klein, sind einem die Chancen nicht in die Wiege gelegt. Doch die Natur entschied anders. Die kleine Anna wurde ein Ausbund an Willenskraft und Schönheit.

Der Vater mit der Schmalzlocke hatte sich abgesetzt, die Mutter bekämpfte ihre Lebensangst mit Whisky und Tabletten. Sie starb an einer Überdosis, bevor Anna laufen lernte. Heinrich bekam das Sorgerecht und nahm eine Kinderfrau namens Mildred ins Haus. Liebevoll von Anna »Tante Millie« genannt, zog sie das Kind groß, während Onkel Heinrich Klein & Partner groß machte. Er kümmerte sich um die Logistik – nicht nur der Agentur.

»You can make it, if you try«, war sein Wahlspruch, den er Anna mit auf ihren Weg gab.

Nach dem Abitur besuchte Anna Sprachschulen in Paris und London. Es folgte die renommierteste Werbefachschule in New York. Später Agenturen im In- und Ausland. Der Name Anna Klein stand bald für Frauenpower in der Werbung. Als Heinrich sich auf Anraten seiner Ärzte widerstrebend ins Privatleben zurückzog, konnte er die Geschäfte von Klein & Partner getrost in Annas Hände legen.

Erfolg macht sinnlich, und natürlich hatte es andere Männer als Onkel Heinrich in Annas Leben gegeben. Da war als erstes der Klassenprimus im Gymnasium gewesen, mit Pickeln und Intelligenzlerbrille. Ihm folgten Männer ohne Pickel, dafür immer öfter mit Brille. Die Brillen waren immer öfter von Joop.

Anna lernte bald, daß die Fähigkeiten des Geistes selten mit den Fähigkeiten des Schwanzes Schritt halten – und umgekehrt, und daß beides zusammengenommen immer auf das ewig gleiche Mittelmaß hinausläuft. Der Einsicht gehorchend, daß ein gutes Buch im Bett erfreulicher ist als ein mittelmäßiger Mann, entschied Anna, fortan keine Kompromisse mehr zu schließen, was sie allerdings nicht daran hinderte, weiter von dem Ideal zu träumen.

Wie jedes Jahr fand der Empfang in den Präsentationsräumen statt.

Auch sonst schien alles wie immer. Das Gedränge war groß, die Begrüßungsrede der Chefin brillant, das Buffet vom Feinsten, die Stimmung gut. Für die Gäste mit weniger Stehvermögen waren ein paar Bistrotische und -stühle aufgestellt worden. Gerda, die Seele der Agentur, hatte alle Vorbereitungen persönlich überwacht.

Über einen großen Flachbildmonitor liefen die erfolgreichsten Werbespots. Auf den Tischen standen Glasschalen gefüllt mit Kundenprodukten zum Naschen. Zum Gaudi der Gäste und zum Ärger Gerdas hatte irgend ein Witzbold die farbigen Kondome von Lovecraft darunter gemischt, die wie Bonbons aussahen.

Wahrscheinlich steckte wieder mal Pinky dahinter, argwöhnte Gerda, während sie einen mit Wasser gefüllten Emaillenapf mit der Aufschrift Roosevelt durch die Menge balancierte, die respektvoll ein Spalier für die korpulente Chefsekretärin mit der allzeit perfekten Dauerwelle und dem dunklen Kostüm bildete.

Pinky hieß eigentlich Sebastian Kummer und war der Trainee der Agentur. Seinen Spitznamen verdankte er seiner rosigen Gesichtsfarbe und seinem sonnigen Gemüt, das nun mal nicht zu seinem Namen paßte. Erst kürzlich hatte Gerda ihn erwischt, als er die Kondome auf Annas Schreibtisch nachzählte. Wie jeder bei Klein & Partner wußte, hatte er sich sofort nach seinem Eintritt in die Agentur in die Chefin verliebt und wurde dunkelrosa, wenn Anna ihn nur anschaute. Ermutigt durch die gleichbleibende Anzahl der Kondome in ihrem Büro, folgte er ihr nun erst recht wie ein Hündchen.

Doch Pinky war nicht der einzige, der sich Gedanken um Annas Liebesleben machte.

Obwohl Gerda mehr als die Hälfte ihres Lebens in der Werbung zugebracht hatte – allein fünfundzwanzig Jahre unter dem Eisernen Heinrich –, konnte sie sich an die freizügige Moral dieser Branche nicht recht gewöhnen. Nach wie vor fand sie es unanständig, so unverblümt und leichtfertig mit Sexualität umzugehen. Je älter Gerda wurde – sie hatte die Fünfzig längst überschritten und litt unter Hitzewallungen –, um so schmerzlicher wurde ihr bewußt, etwas Wundervolles in ihrem Leben verpaßt zu haben: einen lieben Mann und ein Haus voller Babys. Dieses Glück nun hatte sie Anna zugedacht.

Gerdas Hoffnungsträger in dieser Angelegenheit war Blomeier, der Kreativ-Direktor von Klein & Partner und wohl ehrgeizigster Anwärter auf das Bett der Chefin. Ihm gefiel alles an ihr. Ihre dunkelblonden Haare, der Fassonschnitt für zweihundert Mark, ihre große, schlanke Gestalt, die Kühle ihrer langgliedrigen Hände, die Wärme ihrer Stimme, die Souveränität und Eleganz. Anna hatte ihn wegen seines hervorragenden Rufes in der Branche eingestellt, der hauptsächlich daher rührte, daß er darauf verzichtete, eigene Kreativität zu entfalten. Seine Stärke lag darin, die Arbeit seiner Kreativ-Teams nicht zu behindern und einen todsicheren Blick für die besten Ideen zu haben. So wie er einen todsicheren Blick dafür hatte, daß Anna eine großartige Frau war.

Onkel Heinrich konnte Blomeier nicht leiden, wie er alle jungen Männer mit Dreitagebärten und kurzgeschorenen Haaren, die heute in der Werbung herumliefen und Karriere machten, nicht leiden konnte.

»Jung, dynamisch und erfolglos«, lautete sein durch nichts zu erschütterndes Urteil, zumal Blomeier gleich zu Beginn seiner Tätigkeit für Klein & Partner einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Er hatte nämlich versucht, dem ewig sabbernden Roosevelt den Zutritt zu den Räumen der Agentur zu verbieten. Eben jenem Roosevelt, dem Gerda gerade wie jedes Jahr den eigens für ihn angeschafften Wassernapf brachte.

Roosevelt war der Hund von Gustav Sonntag, und Gustav Sonntag war der Marktführer auf dem Sektor Hundefutter. Er war einer der ersten Kunden von Klein & Partner gewesen. Inzwischen war er zudem ein enger Freund Heinrichs und ohne Roosevelt, seinen tauben, fetten Boxer, kaum mehr denkbar. Roosevelt schien das ewige Leben zu haben, was für das Produkt seines Herrn sprach oder dafür, daß er es nicht fraß. Im Augenblick zumindest hielten sich Herr und Hund an den Parmaschinken. Gustav Sonntag war ebenso taub und fett wie sein Hund, und daß das Bistrostühlchen ihn trug, grenzte an ein Wunder.

Roosevelt hatte also sein Recht behauptet, aber es hatte Gerdas ganzen diplomatischen Geschicks bedurft, die Wogen einigermaßen zu glätten.

Danach hatte Blomeier keine Fehler mehr gemacht, bis auf den einen vielleicht, Anna ständig mit den berühmten zufällig übrigen Karten fürs Theater oder Konzert aus der Reserve locken zu wollen. Kreativität war eben nicht seine Stärke. Gerda bereitete diese Manöver durch dezente Bemerkungen über die innere tickende Uhr einer Frau vor und über das Alleinsein im Alter. Gerda erntete immer ein unbestimmtes Lächeln und Blomeier eine sehr bestimmte Absage.

Hätte Blomeier an jenem schicksalhaften Abend einen Blick zu der breiten Fensterfront geworfen, hätte er den Mann sehen können, von dem Anna träumte. Statt dessen sah er beifallheischend auf seine Chefin. Er fühlte sich brillant an diesem Abend. Der Repräsentant von Lovecraft jedenfalls lachte sich halb tot über Blomeiers geistreiche Bemerkungen, während Anna seltsam unkonzentriert wirkte.

Das lag an dem jungen Mann, der da mit dem Rücken zum Fenster stand und den Anna nie zuvor gesehen hatte. Trotzdem hatte sie bei seinem Anblick schlagartig das Gefühl, auf eben diesen Mann ihr Leben lang gewartet zu haben. Dieses Ereignis verwirrte die kühle, rationale Chefin von Klein &Partner so sehr, daß sie ganz gegen ihre Gewohnheit und sprichwörtliche Disziplin mehr Sekt trank, als ihr zuträglich war. Daran trug allerdings Pinky eine gewisse Mitschuld, denn er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, für Annas Wohl zu sorgen, und riß ihr förmlich jedes Mal das leere Glas aus der Hand, um ihr ein volles zu bringen.

Blomeier, dem die Lachsalven des Lovecraft-Repräsentanten nicht Resonanz genug waren, sah Anna noch immer an.

»Stimmt's?« fragte er und drängte sich schmerzhaft in ihr Bewußtsein.

Anna registrierte undeutlich, daß Blomeier eine Fliege trug.

Der Fremde am Fenster hatte sich überhaupt nicht feingemacht. Die etwas zu langen Haare waren ein wenig zerzaust, der Leinenanzug ein wenig zerknittert, das Hemd teuer, aber nicht frisch. Er wirkte ein bißchen abgehetzt, aber nicht müde. Seine Augen waren herausfordernder als die anderer junger Männer, sein Kinn energischer. Seine Haut war gebräunt und verlieh ihm eine südländische Note. Wie um eigens für ihn eine besondere Kulisse zu schaffen, tauchte ein plötzlich einsetzendes Wetterleuchten den Frankfurter Abendhimmel in ein violettes Licht, und die erfolgsgewohnte Chefin von Klein &Partner maß zielstrebig die Entfernung zwischen sich und dem Fremden am Fenster. Es war lange her, daß sie ein so fundamentales Verlangen verspürt hatte, einen Mann näher kennenzulernen.

»Wenn Sie es sagen, Blomeier«, antwortete Anna mit ihrer Konferenzstimme und entschuldigte sich bei dem noch immer prustenden Kondomhersteller und dem verdutzten Blomeier.

Es wäre leichter gewesen, einen Kontinent zu durchqueren, als von einem Ende des Raums zum anderen zu gelangen. Aber was sind Entfernungen gegen den Willen einer Frau?

An Konrad von Fallersleben kam Anna allerdings keinesfalls vorbei. In ihrer Jugend hatte Anna ein paarmal mit ihm geschlafen. Damals wollte er Formel-Eins-Fahrer werden. Heute leitete er die Autovermietung seines Vaters, ebenfalls ein alter Kunde von Heinrich.

»Anna, wie schön«, rief er aus und hielt sie fest, um sie zu betrachten. »Du siehst großartig aus«, stellte er dann enthusiastisch fest.

»Du auch«, heuchelte Anna wie jedes Jahr, denn wie jedes Jahr hatte der gute Konrad ein paar Kilo zugelegt und ein paar Haare eingebüßt. »Wie geht es dir?«

Statt einer Antwort zog Konrad wie immer die Fotos seiner Lieben aus der Brieftasche, denn gewöhnlich hörte sich Anna geduldig die Berichte über die Fortschritte der kleinen Fallerslebens an und der jüngsten Schwangerschaft der Gattin und freute sich aufrichtig an seinem Lebensglück, hauptsächlich weil sie nicht diejenige geworden war, die es mit ihm teilte. Doch in diesem Jahr gelang es Anna nicht, ihre Augen bei den kleinen pausbackigen Fallerslebens zu lassen. Konrad folgte Annas Blicken zum Fenster, und Anna hatte den Eindruck, die beiden Männer nickten sich zu.

»Wer ist er?« hätte sie gern gefragt, aber das war nicht ihr Stil.

Von einer auf die andere Minute brach die Dunkelheit herein.

Der Himmel hatte sich schwarz verfärbt, Blitze zuckten, und jemand schaltete die große Deckenbeleuchtung an.

Anna sah, wie der alte Gustav an seinem Hörgerät herumfummelte und das Gesicht verzog. Gleichzeitig machte er dem Fremden ein Zeichen. Vielleicht gehörte er zu seinem Stall.

Anna trieb es weiter zu ihrem Ziel. Zerstreut drückte sie Konrad die Fotos in die Hand, die sie noch gar nicht zu Ende betrachtet hatte.

»Wir sollten einmal in Ruhe ...«, meinte der enttäuscht, kam aber nicht mehr dazu auszuführen, was sie in Ruhe sollten, weil in diesem Moment auf einen grellen Blitz ein ohrenbetäubender Donner folgte und im Frankfurter Westend die Lichter ausgingen.

Im ersten Augenblick ging alles drunter und drüber. Jemand trat dem Hund auf die Pfote. Gläser gingen zu Bruch, einige Gäste schrien, einige kicherten, einige handelten.

Feuerzeuge blitzten auf, Gerda und Pinky suchten die restlichen Kerzen vom letzten Betriebsfest zusammen. Jemand stellte fest, daß der Fahrstuhl nicht funktionierte.

»Die Party geht weiter«, verkündete ein junger Texter, der in einem Büro ein Transistorradio aufgetrieben hatte.

Von den meisten wurde sein Vorschlag begeistert aufgenommen. Man rückte die Tische zusammen und feierte weiter.

Trotzdem entschloß sich ein Grüppchen gutgelaunt und mit einer Flasche Sekt als Proviant, die dreißig Stockwerke zu Fuß zurückzulegen.

Anna, die in dem allgemeinen Durcheinander den jungen Mann aus den Augen verloren hatte, sah sich suchend um.

Der Fremde war verschwunden.

In Annas Kosmos kam das Verfehlen eines Ziels einer persönlichen Niederlage gleich. Plötzlich spürte sie den Alkohol in den Beinen und eine tiefe Traurigkeit im Herzen. Die starke Anna mußte sich eine Weile an die Wand lehnen. Als das Schwanken des Fußbodens nachließ, trat sie im Schein einer Kerze den Weg in ihr Büro an. Dumpf nahm sie wahr, daß Pinky ihren etwas peinlichen Rückzug beobachtete. Auch der Fußboden im Korridor schien zu schwanken, noch verstärkt durch das Flackern des Kerzenlichts. Mit einer Hand tastete Anna sich unsicher an der Wand entlang.

»Kann ich helfen?« hörte sie eine männliche Stimme hinter sich.

Im Schein der Flamme erkannte Anna den fremden jungen Mann. Weiter hinten sah sie verschwommen Pinkys Kopf in einer Tür verschwinden, aber das drang nicht tiefer in ihr Bewußtsein.

Ohne auf eine Antwort zu warten, nahm ihr der Besitzer der Stimme die Kerze ab und bot ihr seinen Arm an.

In ihrem Büro fiel Anna auf, daß unter seinem anderen Arm ein ziemlich großes flaches Paket klemmte. Wortlos befreite sie ihn davon und legte es auf ihren Schreibtisch. Dann kippte sie achtlos die Kondome aus dem Aschenbecher und stellte ihn als Kerzenständer auf den Glastisch vor dem Besuchersofa.

Der junge Mann hatte der äußerst attraktiven, etwas betrunkenen Frau, deren Gesten dennoch fließend und eine Aufforderung zum Bleiben waren, überrascht und gespannt zugesehen. Nun standen sie sich, ein wenig noch der Konvention verhaftet, nach Worten suchend gegenüber. Bevor sie jedoch den Zauber des Augenblicks zerstören konnten, schickte der Wettergott noch einen krachenden Donnerschlag zur Erde. Das leise Zusammenfahren Annas bewirkte, daß der junge Mann schützend seine Arme um sie legte. Anna schmiegte sich in diese Arme, als wäre es ihre Bestimmung, und suchte seine Lippen.

Kapitel 2

Über die erste Nacht mit einem Mann redet eine Frau gern mit ihrer besten Freundin. Nur – Anna Klein hatte keine beste Freundin.

Die Frauen, die sie kannte, waren entweder ihre Angestellten oder Geschäftspartnerinnen. Dann gab es ein paar frühere Schulfreundinnen, Hausfrauen oder Lehrerinnen, fremde Galaxien für Anna, die Karrierefrau, und einige spätere Weggefährtinnen, verstreut in alle Winde, von denen sie selten etwas hörte. Von Pia, ihrer schwarzen Freundin in New York zum Beispiel, die eine eigene Produktionsfirma besaß und bei der sie wohnte, wenn sie in New York zu tun hatte. Gelegentlich trafen sie einander auch im Internet, meist beruflich und selten, ohne ein bißchen über die Männer zu lästern. Aber ihre intimsten Gefühle online?

So war Anna also ganz allein mit den Gedanken an ihren schönen Fremden, der wie ein Traumbild am Morgen, als sie erwachte, verschwunden war.

Daran gewöhnt, erstens stets mit sich selbst zu Rate zu gehen und sich zweitens aufs Vordringliche zu konzentrieren, saß Anna also, als Gerda die Chefetage betrat, wie jeden Morgen an ihrem Schreibtisch und sah die Post durch, die Pinky ihr noch tiefer errötend als sonst zusammen mit einer Packung Aspirin gebracht hatte. Gerda bemerkte die Aura der Liebe, wenn sie ihr begegnete.

Die Liebe macht den Teint glatter und die Augen strahlender. Es entgingen ihr auch nicht die völlig heruntergebrannte Kerze und der seidene Hosenanzug, den Anna an diesem Morgen trug. Gerda hatte ihn gerade erst aus der Reinigung geholt, und Anna hatte ihn im Büro gelassen, falls sie mal keine Zeit hatte, nach Hause zu fahren, um sich umzuziehen ...

Alles zusammen genommen bewirkte, daß Gerda unschlüssig im Büro der Chefin stehenblieb, obwohl es eigentlich nichts mehr zu sagen gab, und sich umsah, als könnte das, was sie suchte, auf dem Schrank oder im Papierkorb versteckt sein.

»Gibt es noch etwas?« fragte Anna, genau wie sie Pinky gefragt hätte, und als Gerda zögernd den Rückzug antrat, fügte sie hinzu: »Und stellen Sie bitte alle Gespräche durch.«

»Alle?« hatte sich Gerda leicht indigniert rückversichert.

»Alle«, bestätigte Anna und legte den Brief, den sie noch gar nicht gelesen hatte, zerstreut auf den Stapel der bereits gelesenen.

Stirnrunzelnd schloß Gerda die Tür.

Mit der Konzentration haperte es also an diesem Vormittag, denn Anna war nicht halb so ruhig zur Tagesordnung übergegangen, wie sie vorgab.

Noch im Aufwachen hatte sie die Gegenwart ihres nächtlichen Liebhabers zu spüren geglaubt – seinen Atem, seine Hände, den Geruch seines Körpers. Aber dieser Reflex ihrer Sinne verflüchtigte sich wie die Reste eines Traums. Als sähen sie es zum ersten Mal, streiften Annas Augen durch ihr Büro. Sie suchten eine Nachricht, einen Brief, eine hingeworfene Botschaft, einen Beweis ... Der einzige Beweis, daß sie nicht geträumt hatte, war ihr Kleid, das er wie eine Decke über sie ausgebreitet hatte.

Plötzlich keimte eine Hoffnung in ihr auf. Er war gar nicht fort. Er trank nur einen Kaffee und holte Zigaretten ... Mit einem Satz war sie auf den Beinen. Aber auch das Paket war verschwunden. Es hatte etwa die Größe ihrer Schreibtischunterlage gehabt. Versonnen zeichnete sie die Umrisse nach.

»Er wird sich melden«, sagte Anna halblaut vor sich hin.

Dieser Satz wurde zum Rhythmus aller Dinge. Er hämmerte in ihrem Kopf, pulsierte in ihren Adern, erklang auf der Straße, wenn die Absätze auf dem Pflaster hallten und der Verkehr vorbeifloß, und im Restaurant, wo Anna mit einem Kunden zu Mittag aß, aus dem Geklapper der Bestecke.

»Er wird sich melden«, versprach jedes Telefonklingeln, und als Anna sich um 19 Uhr 30 noch immer nicht von ihrem Apparat wegtraute, betrat eine zu allem entschlossene Gerda das Chefzimmer.

»Es ist Freitag«, leitete sie ihre gut vorbereitete Rede ein, »und wenn eine Frau in den besten Jahren um diese Zeit im Büro sitzt, anstatt nach Hause zu gehen, dann vergeudet sie ihr Leben ...«

Wenn Gerda sich aufregte, war sie ein bißchen kurzatmig. Sie mußte Luft holen, um die nächste Salve abzufeuern: daß man das Glück mit beiden Händen festhalten müsse und so weiter, aber zu ihrem Erstaunen glitt ein Lächeln über Annas Gesicht.

»Nach Hause!?« wiederholte sie, und es klang wie »Heureka!«

Natürlich! Er hatte bei ihr zu Haus angerufen. Ihr Name stand an der Tür ihres Büros und im Telefonbuch.

»Sie haben recht, Gerda«, sagte sie fröhlich. »Ich gehe nach Hause.«

Sie nahm ihren Sommermantel vom Bügel und ihre Tasche vom Haken und legte ihrer perplexen Sekretärin im Vorbeigehen die Hand auf die Schulter.

Auf dem langen Flur von Klein & Partner mußte sie sich beherrschen, nicht zu rennen.

»Bitte«, flehte sie, während sie auf den Fahrstuhl wartete, und als er endlich da war, stieß sie fast mit Blomeier zusammen.

Er hatte ein seltsames Grinsen auf dem Gesicht und machte keine Anstalten, die Chefin vorbeizulassen. Wie festgenagelt stand er vor ihr und starrte ihr ins Gesicht. Die leicht geöffneten Lippen und der Glanz auf ihrem Gesicht brachten ihn fast aus dem Konzept.

Ihr direkt in die Augen sehen, ermahnte er sich, und an etwas Positives denken. Dabei die Mundwinkel leicht nach oben ziehen, aber nicht zu sehr ...

Was hat er bloß, dachte Anna und machte einen Schritt zur Seite, wobei sie sehnsüchtig zu dem wartenden Fahrstuhl schaute.

Aber umsonst. Blomeier hatte auch einen Schritt zur Seite gemacht.

»Gibt es noch etwas«, fragte sie nun schon zum dritten Mal an diesem Tag, und wegen seiner etwas verkrampften Miene fügte sie etwas besorgt hinzu, ob er sich nicht wohl fühle.

Sie konnte nicht ahnen, daß er einen Flirtkurs belegt hatte.

»Wenn Sie heute abend noch nichts vorhaben ...«, hob er beiläufig und locker an, wie er es gelernt hatte, und versuchte seiner Stimme einen dunklen Klang zu geben.

»Ich habe etwas vor, mein lieber Blomeier!« Anna jubelte fast und schob ihren Kreativ-Direktor, der seine Lektion vergaß und seine Gesichtszüge in den Keller fallen ließ, energisch beiseite.

Als sie dann endlich die Tür zu ihrer Penthouse-Wohnung aufschloß, ließ sie jegliche Contenance fahren.

»Ich komme«, rief sie und rannte zu ihrem Anrufbeantworter.

Doch vom Band erklang nur Tante Millies Stimme.

Tante Millie lebte seit ungefähr zwanzig Jahren in einem alten Forsthaus eine Autostunde von Frankfurt entfernt. Sie hatte es gekauft, nachdem Heinrich sie wegen eines jungen Models verlassen hatte, das ihrerseits sehr bald ihn verließ, als er die Gicht bekam. Seither bereute er »den größten Fehler seines Lebens«, wie er es nannte, und es verging kaum ein Jahr, ohne daß er Mildred um Verzeihung bat – besonders wenn er Probleme hatte. Mildred beschränkte sich darauf, ihn kühl und sachlich zu beraten, und weigerte sich standhaft, zu ihm nach Italien zu ziehen. Anna hegte den Verdacht, daß Tante Millie nie wirklich aufgehört hatte, Onkel Heinrich zu lieben, daß sie seine Reue genoß und daß das letzte Wort zwischen den beiden alten Dickschädeln noch nicht gesprochen war. Offiziell zog ihm Tante Millie das Leben allein mit Hühnern und Gänsen vor, wurde auf ihre alten Tage eine militante Feministin und vertrat die Ansicht, daß eine Frau ohne Mann wie ein Kopf ohne Schmerzen sei.

Auch Anna liebte es für gewöhnlich, die Zeit jenseits von Präsentationen, Sitzungen und Arbeitsessen allein zu verbringen. Vorausgesetzt sie hatte keine Arbeit mit nach Hause genommen, besuchte sie Konzert und Oper, dankbar, keine langweilige Konversation eines langweiligen Begleiters fürchten zu müssen, für den die Kultur ohnehin nur eine Pflichtübung auf dem Weg ins Bett mit einer kultivierten Frau darstellte. Häufig las sie oder hörte Musik und bestellte ein einfaches italienisches Gericht, das ihr Guido, der Pizzabote mit der neapolitanischen Seele und dem Dialekt eines Frankfurter Gassenjungen, ins Haus brachte. Seine Mutter, die außer Guido noch fünf weitere Kinder geboren hatte, machte bei Anna sauber, und manchmal, wenn sie das Messingbett polierte, die seidenen Laken wechselte oder die Pflanzen auf der Dachterrasse goß, seufzte sie: »Du klug, keine Mann, keine Kind.«

Das fand Anna auch, aber an diesem Abend lief sie eher herum wie ein Huhn ohne Kopf. Kaum daß sie sich ein Schaumbad eingelassen hatte – ansonsten der Auftakt zu einem gemütlichen Abend –, stürzte sie aus ihrem Marmorbad, um ihre Lieblingsarie aus Rigoletto leiser zu stellen, damit sie das Telefon hörte. Noch war sie sicher, daß er anrufen würde, dieser fremde junge Mann, der ihr so wenig fremd gewesen war. Was sollte sie anziehen? Wo würden sie zu Abend essen? In ihrer Phantasie hatte er schon lange existiert. Klug, schön, zärtlich und männlich zugleich. Und es gibt ihn doch, dachte Anna triumphierend und kippte noch einen Schuß Dior in das Badewasser. Woher weiß ich eigentlich, daß er klug ist? fragte sie sich, während sie sich in den weichen Schaum zurücklehnte. Sie hatten wenig geredet, aber seine Hände waren klug und seine Lippen ... und er hatte nichts Dummes gesagt, hinterher, wenn die meisten Männer etwas Dummes sagen.

Sie versuchte, sein Gesicht heraufzubeschwören und seine Stimme, aber die Erinnerung verflüchtigte sich wie der Dampf des heißen Wassers. Anna schloß die Augen. Wie alt mochte er sein? Er war kein Jüngling. Vielleicht dreißig oder wenig darüber ... Ich werde vierzig! dachte Anna plötzlich erschrocken. Sie hatte sich nie Gedanken über ihr Alter gemacht. Sicher, seit kurzem benötigte sie eine Lesebrille, und ihr Frisör hatte ihr vorgeschlagen, ein paar hellere Strähnen einzufärben.

»Dann ist es später leichter ...«, hatte er diskret gelächelt.

Panisch stieg Anna aus der Wanne und stellte sich vor den großen bleigefaßten Spiegel.

Von der Natur begünstigt, verfügte sie ohne Fitneßstudio und Diätplan über geschmeidige schlanke Glieder, einen flachen Bauch und einen kleinen festen Busen. Kritisch prüfte sie ihr glattes großflächiges Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den etwas schräggestellten Augen, konstatierte die kleine Falte über der Nasenwurzel (seit wann hatte sie die eigentlich?), die, besonders wenn sie müde war, etwas schlaffe Haut über den Lidern und die Fältchen in den Augenwinkeln, die liebevoll Lachfältchen genannt werden und die ein junger Mann vielleicht bei seiner Mutter schätzt, aber nicht bei seiner Geliebten. Und plötzlich schoß der disziplinierten Chefin von Klein & Partner das Blut ins Gesicht: Ich werde vierzig und habe mich einem jungen Mann an den Hals geworfen!

Entsetzt wählte sie die Nummer ihres Italieners.

»Spaghetti Vongole, Insalata mista«, wiederholte Guido mit hessischem Akzent bereits eine gute halbe Stunde später.

Er strahlte über sein rundes erhitztes Gesicht, während er die warmen Kartons auf dem Glastischchen in Annas geräumiger Diele abstellte. Wie immer, wenn Anna etwas bestellte, hatte er sich ganz besonders beeilt. Er vergötterte diese wunderschöne Frau in ihrer luxuriösen Umgebung. Er liebte ihr Parfüm, ihre Kleider – und ihre Trinkgelder.

»Stimmt so«, sagte Anna und wartete mit der Türklinke in der Hand, aber Guido machte keine Anstalten zu gehen.

Er sah sie unverwandt an. Es lag nicht nur an dem nachtblauen Kimono, es war etwas, für das er keine Worte fand. Der Neapolitaner in ihm hatte auch die Aura der Liebe bemerkt.

»Gibt es noch etwas?« fragte Anna endlich zum vierten und letzten Mal an diesem Tag.

Anschließend stocherte sie lustlos in dem Essen. Der Fernseher lief, aber sie achtete nicht darauf. Wie er wohl heißen mochte, überlegte sie. In der Nacht hatten sie einander viele Namen gegeben ... Schließlich ließ sie die Gabel endgültig auf den Teller sinken. Ich habe mit einem jungen Mann geschlafen, dessen Namen ich nicht einmal kenne.

Kapitel 3

In Camogli, einem bezaubernden Küstenort an der italienischen Riviera, lag ein junger Mann im Fieber und wurde von Alpträumen geplagt. Er hieß Valentin.

Er raste durch endlose Tunnel und über schmale Serpentinenstraßen. Aber die Scheinwerfer seiner Verfolger kamen immer näher. Plötzlich hörte die Straße einfach auf, und er stürzte in eine gähnende schwarze Tiefe. Er fiel und fiel, begleitet von einem langgezogenen Schrei. Er war es selbst, der schrie.

»He, wach auf, mein Alter!«

Valentin schreckte aus einem flachen Fieberschlaf und versuchte sich aufzurichten, doch ein Gewicht auf seiner Brust hinderte ihn daran. Die Nebel des Traums lichteten sich, und er erkannte das bärtige Gesicht Pieros. Er versuchte noch einmal, sich zu bewegen, aber ein Schmerz durchzuckte seinen Körper, so daß er sich stöhnend wieder zurücklehnte.

»Du mußt liegenbleiben«, befahl Piero mit sanfter Stimme und wischte ihm mit einem Tuch, das nach Terpentin roch, die Schweißperlen von der Stirn. Dann nahm er seine kräftige Hand von Valentins Brust und schob ihm mit farbverklecksten Fingern eine Kapsel zwischen die Lippen. »Andrea sagt, das mußt du nehmen«, erklärte er, während er Valentins Kopf stützte und ihm zu trinken gab.

Das Schlucken tat ihm weh. »Die Polizei ...«, flüsterte Valentin mühsam, und sein fragender Blick verriet Angst.

»Mach dir keine Sorgen«, beruhigte ihn Piero. »Habe mir gedacht, daß du in Schwierigkeiten steckst. Andrea ist der beste Arzt der Welt und absolut verschwiegen. Er ist der Doktor der Armen, der Nutten und Dealer und aller, die sich aus irgendwelchen Gründen keinen Arzt leisten können, in ganz Genua und Umgebung. Er lebt nicht schlecht dabei.«

»Aber ...«, krächzte Valentin.

»Vergiß das Geld, ich bezahle ihn mit einem Bild.«

»Das Bild«, stöhnte Valentin gequält und unternahm einen schwachen Versuch, die Bettdecke zurückzuschlagen.

»Ganz ruhig, du hast eine Gehirnerschütterung und mehrere Rippenbrüche. Es ist ein Wunder, daß du es in diesem Zustand bis hierher geschafft hast. Warum warst du eigentlich so naß? Was hast du bloß angestellt?«

»Anna«, murmelte Valentin.

»Anna? Wer ist Anna?«

Doch Valentin schwanden bereits wieder die Sinne.

»Halte mal«, sagte Tante Millie und reichte Anna ein Küken, das sie aus einer Horde leise zwitschernder goldgelber Federbälle herausgegriffen hatte, die sich alle um eine aufgebracht gackernde Henne scharten. »Es will nicht fressen«, erläuterte die kleine drahtige Frau mit der grauen Ponyfrisur und dem wettergegerbten Gesicht, während sie mit geschickten Fingern den Schnabel des Kükens öffnete und ihm mit Hilfe einer Pipette Vitamintropfen einflößte.

Das Tierchen kuschelte sich weich und warm in Annas Hände, und ohne zu wissen, wie ihr geschah, wurde die starke Chefin von Klein & Partner von einer Woge der Einsamkeit und Verlorenheit überwältigt, die ihr die Kehle zuschnürte.

In aller Frühe war Anna vor dem schweigenden Telefon aus ihrer Wohnung geflohen. Als sie ihren Porsche auf den Weg am Waldrand lenkte, der zu dem alten Forsthaus mit dem Satteldach führte, hatte Tante Millie, die jeden Morgen buchstäblich mit den Hühnern aufstand, längst Feuer in dem großen Küchenherd gemacht, die Tiere gefüttert und zwei Stunden in ihrem Gemüsegarten gearbeitet.

Erstaunt musterte sie die etwas blasse und unausgeschlafen wirkende Anna.

»Du siehst aus wie Simone de Beauvoir, als Jean-Paul von ihr ging«, sagte sie zur Begrüßung.

Tante Millie besaß keinen Fernseher und verbrachte die Abende damit, alles über berühmte Frauengestalten zu lesen, die sich dem herkömmlichen Rollenklischee entzogen.

Man sieht es mir an, dachte Anna und wollte protestieren, aber Tante Millie redete bereits weiter wie ein Wasserfall. Sie empfing nicht eben häufig Besuch in ihrer Waldeinsamkeit.

»Du weißt, sie waren zeitlebens unzertrennlich, bis dieser Idiot dann vor ein Auto lief. Wahrscheinlich aus Eifersucht. Er rannte blind hinter einem jungen Rivalen her. Na ja, Ehe, wem Ehe gebührt, sage ich immer. So oder ähnlich endet es ja immer. Die Monogamie ist ein Fluch!«

»Bist du sicher, Tante Millie, daß du nichts durcheinanderbringst?« Anna hatte ihre alte Kinderfrau untergehakt und atmete tief die würzige Waldluft. »Erstens waren Beauvoir und Sartre nicht verheiratet und zweitens ...«

»Aber Kindchen, erinnerst du dich nicht mehr an die kleine zierliche Gans, die nach Jean-Pauls Tod vor Kummer nichts mehr zu sich nahm und ebenfalls starb?«

Tante Millie sprach von ihren Gänsen! Anna erinnerte sich, daß sie es liebte, den Tieren die Namen ihrer Heldinnen zu geben. Es gab eine Penthesilea, eine George Sand und eine Gertrude Stein.

»Aber du bist keine dumme Gans«, sagte Tante Millie streng.

Anna hatte das Küken wieder zu den anderen gesetzt. Mit dem Ärmel ihres Kaschmirpullovers wischte sie sich verstohlen über die Augen und hoffte, daß Tante Millie die Tränen nicht bemerkt hatte.

»Laß uns ins Haus gehen«, drängte die treue Seele, »ich glaube, du bekommst eine Erkältung.«

In der Wohnküche roch es nach frischgebackenem Brot. Tante Millie holte einen selbstgeräucherten Schinken aus der Speisekammer und füllte frische Kräuter aus dem Garten in eine bauchige Teekanne.

»Pfefferminze für den Magen, Zitronenmelisse für die Seele und Salbei gegen Husten«, erklärte sie, und dann paßte sie auf, daß Anna aß und trank.

»Dein Verwandter hat übrigens angerufen«, bemerkte sie betont beiläufig. »Er könnte wesentlich gesünder sein, wenn er sich etwas vernünftiger ernähren würde. Möchte wissen, wer sich um ihn kümmert.« Tante Millie machte eine Kunstpause.

Als Anna schwieg, fuhr sie mit dem seit zwanzig Jahren stets gleichen beleidigten Unterton fort: »Ich bin dafür ja nicht mehr zuständig.«

Tante Millie sprach, wenn es um Onkel Heinrich ging, ausschließlich von Annas Verwandtem, ließ aber keine Gelegenheit aus, aufs Tapet zu bringen, daß es ihm nie mehr gutgegangen war, seit er sie verlassen hatte. Dann wartete sie auf Zustimmung, um noch einmal die Geschichte von Mildred und Heinrich zu erzählen.

Anna war nicht danach.

»Was gibt es Neues bei Onkel Heinrich?« erkundigte sie sich daher lediglich.

»Ach, er hat irgendwelchen Ärger mit einem Bild. Weiß der Kuckuck!« Tante Millie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das sind doch alles bloß Vorwände, um mich einzuwickeln.« Und dann fing sie an zu singen: »Meine Herren, heute sehen sie mich Gläser abwaschen/Und ich mache das Bett für jeden«1 ... Sie stellte ihren Becher mit dem Kräutertee so vehement auf den Eichentisch, daß er überschwappte. »Ich jedenfalls werde für deinen Verwandten weder spülen noch Betten machen!« verkündete sie kämpferisch.

»Das mußt du ja auch nicht«, wollte Anna sagen, aber ihre ehemalige Kinderfrau war in Fahrt.

»Siehst du, die arme Seeräuber-Jenny will kein Zimmermädchen mehr sein, und ihr jungen Frauen heute, endlich aus der Sklaverei befreit, mit einem gut bezahlten Beruf und allen Freiheiten, was tut ihr? Ihr wartet darauf, daß ein Kerl kommt, für den ihr Gläser spülen und das Bett machen könnt. Schau dir bloß die neue Frauenliteratur an! Da geht es doch nur darum, wie sich Frau den Mann fürs Leben angeln kann. Und das nennt sich Emanzipation, pfui Teufel! Ich hoffe, Kindchen, so dämlich bist du nicht. Wenn ich in deinem Alter wäre, ich würde die Männer ex und hopp nehmen.«

Tante Millie strahlte. Sie liebte es, auf ihre alten Tage solche Ausdrücke zu benutzen.

Anna fragte sich, welcher Lebensentwurf es wohl mehr verdiente, verpaßt worden zu sein. Der von Gerda oder der von Tante Millie.

Er rief weder am nächsten Tag an, noch in der nächsten Woche, noch in einem Monat.

Es wurde Herbst. Anna kleidete sich neu ein in den Farben der fallenden Blätter. Ihr Couturier bemerkte, daß sie schmaler geworden sei, und ihr Frisör, bei dem sie sich ein Paar hellere Strähnen einfärben ließ, in denen das Licht der letzten Sonnenstrahlen spielte, riet ihr zu einem neuen Make-up. Die Winterblässe.

Anna war schöner denn je und unnahbarer denn je.

Blomeier mußte sich allenthalben mit einem lakonischen Ich-habe-noch-zu-arbeiten zufriedengeben. Sein Flirtkurs war fast zu Ende, und er war keinen Schritt weitergekommen.

»Was hat sie bloß?« fragte man sich hinter vorgehaltener Hand.

»Liebeskummer«, sagte Pinky weltmännisch.

»Wieso?« fragte Blomeier und faßte den Trainee am Kragen seines Sakkos. Pinky machte ein geheimnisvolles Gesicht. »Wieso nicht?« fragte er grinsend zurück und wischte sich ein imaginäres Stäubchen von der Stelle, wo Blomeier ihn angefaßt hatte.

Anna hatte den schönen Fremden aus ihrer Erinnerung verbannt. Nur manchmal zog sich ein Punkt in der Mitte ihres Körpers zusammen und dann wurde ihr so heiß, daß sie das Gefühl hatte zu zerspringen. Manchmal wurde ihr schwindlig. Besonders im Fahrstuhl. Aber am schlimmsten war die Müdigkeit. Anna ging früh zu Bett, verschlief die Wochenenden und hatte Schwierigkeiten, morgens aufzustehen.

»Sagen Sie«, fragte sie die verwunderte Gerda, »wann hat das bei Ihnen eigentlich angefangen mit den Wechseljahren?

Sie kaufte sich Vitamintabletten und Johanniskraut-Dragees.

Die Weihnachtsfeier kam. Anna bedankte sich bei ihren Mitarbeitern, gab eine optimistische Prognose für das kommende Jahr und zwang sich, ein halbes Glas Sekt zu trinken. In letzter Zeit vertrug sie überhaupt keinen Alkohol mehr.

»Fröhliche Weihnachten«, wünschte Pinky seiner Chefin und wurde so rot wie die Kerzen an dem Weihnachtsbaum von Klein & Partner, als er leise hinzufügte: »Und nehmen Sie es nicht so schwer.«

Undeutlich stieg ein Bild in Annas Bewußtsein, aber sie verdrängte es.

Der Geruch des Weihnachtsbratens bei Tante Millie verursachte ihr Übelkeit.

»Ich habe Rasputin geschlachtet«, erzählte Tante Millie. »Er hat Unruhe in die Herde gebracht. Er hat sich mit allen Gänserichen angelegt und die Damen belästigt. Wenn man es doch mit den Kerlen genauso machen könnte«, sagte sie voller Inbrunst und schnitt mit Wonne in die knusprige Keule. »Übrigens, du sollst deinen Verwandten anrufen. Er möchte dich dringend sprechen. Ich glaube, es geht noch immer um dieses Bild ...«

»Ja, ja«, sagte Anna.

Sie hatte ein schlechtes Gewissen. Onkel Heinrich hatte bereits mehrfach auf ihren Anrufbeantworter gesprochen, und in der Firma hatte sie sich verleugnen lassen. Sie konnte sich einfach nicht aufraffen, denn Gespräche mit Onkel Heinrich waren Verhöre, bei denen man kaum etwas verschweigen konnte.

Auf einem langen Waldspaziergang unter verschneiten Tannen fragte Anna Tante Millie nach deren Wechseljahren aus.

»Pah«, machte Tante Millie verächtlich, »Wechseljahre sind eine Erfindung frustrierter Frauen. Hast du mal einen Mann über Veränderungen seines Hormonhaushaltes jammern hören? Eine aktive Frau merkt doch überhaupt nicht, ob es ihr mal ein bißchen wärmer oder kälter ist. Und du hast bis dahin sowieso noch eine Menge Zeit.«

Silvester schaltete Anna ihren Anrufbeantworter ein und verkroch sich mit einem Stapel Literatur über präklimakterische Beschwerden ins Bett. Der einzige, der ihr einen guten Rutsch wünschte, war Guido. Er brachte ihr einen Salat und zerbrach sich den Lockenkopf, warum wohl eine schöne Frau den Silvesterabend allein mit einem Salat verbrachte.

Als Anna um Mitternacht auf ihre Dachterrasse trat, um sich das Feuerwerk anzuschauen, liefen ihr Tränen übers Gesicht. Ihr Leben war in einer Sackgasse. Sie würde eine einsame alte Frau werden.

Am Neujahrsmorgen bat Pia um Rückruf. Sie wollte die nächste Maschine nach Frankfurt nehmen. Ob sie bei Anna wohnen und ob Anna sie vom Flughafen abholen könne.

Abends saßen sie im nobelsten Bistro der Stadt, und nachdem Anna eine Weile lustlos in ihrem Essen herumgestochert hatte, gestand sie Pia, daß sie sich seit einer Weile nicht wohl fühle.

»Das Burn-out-Syndrom ist weit verbreitet, Darling«, sagte Pia mit ihrer rauchigen Stimme. »Du hast in den letzten Jahren einen Erfolg nach dem anderen gelandet, du solltest mal ausspannen.« Dann musterte sie Anna. »Sag mal, du bist doch auch bald vierzig. Wann warst du eigentlich das letzte Mal bei deinem Gynäkologen? Schon gut, erzähl mir nichts. Wir Powerfrauen gehen ja nie zum Arzt, aber in unserem Alter sollte man diese Dinge etwas ernster nehmen.«

Kapitel 4

Anna kannte Dr. Bausch seit ihrem ersten Pillenrezept zu einer Zeit, als es noch nicht moralisch unbedenklich war, einem Schulmädel Antibabypillen zu verschreiben.

»Ich helfe den Frauen, wenn sie ein Baby wollen, und ich helfe ihnen, wenn sie kein Baby wollen«, war stets seine Maxime gewesen, unberührt von Konventionen und Paragraphen.

Während sich die kleine Anna mit dem Pferdeschwanz zur eleganten Karrierefrau entwickelt hatte, war aus Dr. Bausch ein weißhaariger Doktor Eisenbart geworden, der noch immer väterliche Gefühle für die »kleine« Anna hegte. Deshalb studierte er Annas Daten in seinem Computer auch nicht ausschließlich mit professionellem Interesse.

Ledig und kinderlos stand dort all die Jahre, ihr Alter hatte sich naturgemäß verändert, und der Pillenkonsum war auf Null gesunken. Sterilisation und Spirale hatten nie zur Diskussion gestanden. Warum diese schöne, reife Frau wohl keinen Mann findet, hatte er sich oft gefragt. Letzte Periode im August, las er auf dem Fragebogen und runzelte die Stirn. Dann wandte er sich dem Untersuchungsstuhl zu.

Dort hatte sich Anna verhältnismäßig entspannt zurückgelehnt. Äußerst belesen in Sachen Klimakterium, machte sie sich weiter keine Sorgen. Auch nicht als Dr. Bausch auffallend lange das Bild auf dem Monitor seines Ultraschallgerätes betrachtete und sie noch einmal behutsam abtastete. Bei manchen Frauen machten sich die Wechseljahre eben tatsächlich schon um die Vierzig bemerkbar. Das war eben Schicksal. Aber keine Frau war heute mehr den lästigen Begleiterscheinungen ausgeliefert. Nachher würde sie mit ihm ausführlich das Für und Wider einer Hormonbehandlung erörtern.

»Sie können sich anziehen«, sagte Dr. Bausch.