Textiles und Technisches Gestalten unterrichten (E-Book) - Andreas C. Stettler - E-Book

Textiles und Technisches Gestalten unterrichten (E-Book) E-Book

Andreas C. Stettler

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  • Herausgeber: hep verlag
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Dieses E-Book enthält komplexe Grafiken und Tabellen, welche nur auf E-Readern gut lesbar sind, auf denen sich Bilder vergrössern lassen. Wie gelingt Unterricht im Technischen und Textilen Gestalten? Der Praxisband gibt konkrete und nachvollziehbare Hinweise, die sowohl im Fachunterricht verankert als auch wissenschaftlich abgestützt sind. Berufseinsteigende und erfahrene Lehrpersonen erhalten Impulse, wie vertieftes Nachdenken und motiviertes Handeln im TTG-Unterricht angeregt werden können. Kinder und Jugendliche gewinnen durch die Auseinandersetzung mit Aufgabenstellungen in einem didaktisch durchdachten Unterricht Selbstvertrauen und Kompetenzen, die über die Schulzeit hinaus wertvoll sind.

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Seitenzahl: 249

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Andreas C. Stettler

Textiles und Technisches Gestalten unterrichten

Aufgabenstellung und Unterrichtsstruktur

IISBN Print: 978-3-0355-2348-5

ISBN E-Book: 978-3-0355-2349-2

Fotos (Umschlag und Titelfotos): Richard Vetterli, Medienwerkstatt PHBern

1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 hep Verlag AG, Bern

hep-verlag.com

Inhalt

Vorwort

Dank

1 EINLEITUNG

Was ist die Absicht des Praxisbandes?

Was sind die Kennzeichen des Praxisbandes?

Worauf basiert der Praxisband?

Wie ist der Praxisband aufgebaut?

2 FORSCHUNGSGRUNDLAGEN ZUM PRAXISBAND

Was sind typische Unterrichtsformen?

Wie wirken die Unterrichtstypen auf die Klassen?

Welche Klassen wurden untersucht?

Und die Erhebungsinstrumente?

Wie erfolgte die Auswertung?

3 QUALITÄT IM UNTERRICHT DES TEXTILEN UND TECHNISCHEN GESTALTENS

Unterrichtsqualität: Was ist das?

Wie lassen sich die drei Blickwinkel vereinen?

Wie viel zählen die inneren Werte?

Was ist im Unterricht wichtig?

4 UNTERRICHT ALS ANGEBOT

Wie kann Unterricht als System erklärt werden?

Wie ist das Angebots-Nutzungs-Modell aufgebaut?

5 UNTERRICHTSTYPEN IM TEXTILEN UND TECHNISCHEN GESTALTEN

Gibt es typische Unterrichtsformen?

Welches Profil haben die typischen Unterrichtsformen?

Welchen Bezug haben Lehrplan und Unterrichtstypen?

6 UNTERRICHTSSTRUKTUR UND AUFGABENSTELLUNGEN – EIN KOMPLEMENTÄRES PAAR

Wie wirken Unterrichtstruktur und Aufgabenstellungen zusammen?

Wie entwickelt sich die Strukturierung über die Schuljahre?

7 DAS LERNANGEBOT MACHT DEN UNTERSCHIED

Worin besteht das Angebot des Unterrichts?

Wodurch werden Klassen aktiv?

Welche Erträge sind wertvoll?

Welche Erträge bringen die Unterrichtstypen?

Gibt es weitere relevante Ergebnisse?

Welche Rolle spielen die Lehrpersonen und wie wichtig sind die Rahmenbedingungen?

8 AUFGABENSTELLUNGEN IM TEXTILEN UND TECHNISCHEN GESTALTEN

Wie funktionieren Aufgabenstellungen im TTG?

Was macht die Qualität von Aufgaben aus?

Was muss bei der Ausarbeitung einer Aufgabe beachtet werden?

Was gehört zu einer Aufgabenstellung?

Was macht Aufgabenstellungen offen?

Wie sehen Aufgabenstellungen mit verschiedenen Offenheitsgraden konkret aus?

Offene Aufgaben: Chance oder Herausforderung?

9 STRUKTURIERTER UNTERRICHT IM TEXTILEN UND TECHNISCHEN GESTALTEN

Strukturierung von Unterricht – was ist damit gemeint?

Wie können wir Inhalte zugänglich machen?

Ist ein Programm im Unterricht notwendig?

Was führt zu reibungslosem Unterricht?

10 EMPFEHLUNGEN

Strukturiertheit des Unterrichts

Aufgabenstellung und ihr Potenzial zur kognitiven Aktivierung

Wie sieht unterstützendes Unterrichtsklima aus?

Was können wir für gelingenden Unterricht tun?

11 SCHLUSSGEDANKEN

12 VERZEICHNISSE

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Zum Autor

Vorwort

Oft verlassen wir den Fachraum nach dem Unterricht mit einem guten Gefühl. Die Doppellektion war ein Erfolg. Manchmal tun wir uns aber auch schwer. Was hat nicht funktioniert und wo hätten wir anders steuern sollen?

Gelingender Unterricht im Textilen und Technischen Gestalten (TTG) befähigt Schülerinnen und Schüler zur Auseinandersetzung mit herausfordernden Aufgabenstellungen. Echtes Nachdenken soll ausgelöst werden. Wir wollen, dass die Kinder und Jugendlichen motiviert arbeiten und Lösungen für Probleme finden. Durch die Auseinandersetzung mit Aufgabenstellungen sollen sie Erfolge erleben und Selbstvertrauen gewinnen.

Wie kommen wir zu einem solchen Unterricht?

Welche Rolle spielt dabei die Aufgabenstellung und wie ist sie aufgebaut?

Welche Rolle hat die Lehrperson im Unterricht?

Durch welche Strukturen können die herausfordernden Prozesse der Schülerinnen und Schüler gelenkt und gestützt werden?

Auf diese Fragen gibt der vorliegende Band Auskunft.

Das Fundament für die Antworten legte Andreas C. Stettler zunächst mit seiner jahrzehntelangen Tätigkeit als Lehrperson an Schulen des Kantons Bern sowie nachfolgend als Dozent der Fachdidaktik und der Fachwissenschaften im TTG an der Pädagogischen Hochschule Bern. Dabei bemerkte er, dass Aufgabenstellungen im TTG eine zentrale Bedeutung haben.

In seinem Fachunterricht mit Kindern und Jugendlichen stellte Andreas Stettler fest, dass die «Offenheit der Aufgabenstellung» und die «Struktur des Unterrichts» wichtige Komponenten sind. In welcher Weise sich die beiden ergänzen, blieb zunächst eine offene Frage. Auch in der Fachliteratur fanden sich kaum Hinweise. Es gab beziehungsweise gibt im deutschen Sprachraum aber auch weltweit nur wenig fundierte empirische Studien zur technischen Bildung an allgemeinbildenden Schulen. Zwischen 2017 und 2021 bekam Andreas Stettler die Möglichkeit, sich zunächst berufsbegleitend und zum Schluss während eines Sabbaticals mit den entsprechenden Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Über das Thema «Offenheit der Aufgabenstellung und Strukturiertheit des Unterrichts im Technischen Gestalten» verfasste er eine Dissertation. Aus dem Lehrer entwickelte sich zunächst ein «reflective practitioner» und dann ein Wissenschaftler, der es ganz genau wissen wollte.

Dabei steckte Stettler einen theoretischen Rahmen in den drei Bereichen Aufgabenstellung, Strukturierung des Unterrichts und motivationspsychologische Zusammenhänge ab. Er formulierte konzise Forschungsfragen und entwickelte entsprechende Messinstrumente, um damit die relevanten Daten zu erheben. 1282 Schülerinnen und Schüler sowie 61 Lehrpersonen wirkten an der Studie mit. Die statistischen Ergebnisse sind klar, das heißt in der Sprache der Statistik objektiv, reliabel und valide. In der fachdidaktischen und erziehungswissenschaftlichen Forschung sind derartig klare statistische Ergebnisse, wie sie Andreas Stettler erhalten hat, eher selten.

Mit dem vorliegenden Praxisband sollen diese Erkenntnisse wieder der Schule zugutekommen. Es soll eine Brücke zwischen den Forschungsergebnissen und der Alltagspraxis im Unterricht geschlagen werden. Ich empfehle den Praxisband amtierenden und angehenden Lehrpersonen, die Schritte zu gelingendem TTG-Unterricht gehen wollen.

Prof. em. Dr. Peter Labudde, Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz

Dank

 

An diesem Buch haben meine Familie und insbesondere Sandra, meine Frau, einen besonderen Anteil. Sie haben mich motiviert, mir Zeit gegeben und mich mit Hinweisen unterstützt.

Mein Dank gilt aber auch Prof. em. Dr. Peter Labudde und Prof. Dr. Christian Wiesmüller, die mich während meiner Dissertation begleitet haben. Durch ihre kompetente Beratung während der Promotion wurde dieser Praxisband erst möglich.

1 Einleitung

 

Viele Erwachsene erinnern sich an ihren eigenen Unterricht im Textilen oder Technischen Gestalten (damals hieß das Fach noch anders – Nähen, Handarbeiten, Handfertigkeit, Werken oder ähnlich), in dem sie Socken gestrickt oder ein Bücherbrett gezimmert haben, nützliche Dinge, die auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet waren. Obwohl auch heute im Textilen und Technischen Gestalten mit Werkzeug hantiert und an Gegenständen gearbeitet wird, hat sich das Fach in der Zwischenzeit verändert.

Im Zentrum des Unterrichts steht die Förderung von Kompetenzen, die es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, Lösungen zu finden, Neues zu entdecken und zukünftige Herausforderungen zu bewältigen. Das trägt weit über die einzelne Schulstunde und den engeren Fachkontext hinaus. Der Fokus liegt also auf der Vorbereitung für das Leben.

Im Vergleich zu anderen Schulfächern werden Aufgabenstellungen im TTG über lange Zeiträume bearbeitet. Diese Besonderheit bringt spezifische Herausforderungen für die Lehrpersonen, die TTG unterrichten. Die Aufgabenstellungen lösen komplexe Aktivitäten aus. Sie beinhalten Problemstellungen, die die Lernenden selbstständig angehen können. Sie sollen herausfordern, aber nicht überfordern.

Um das Geschehen zu steuern, ist eine geeignete Strukturierung des Unterrichts nötig. Zudem soll der Ablauf der Lektionen für die Kinder und Jugendlichen individuelles Tempo und eigene Lösungsstrategien zulassen.

Der TTG-Unterricht erfordert eigenständiges Planen und Arbeiten. Damit das gelingt, muss die Motivation der Lernenden als zentrales Element über lange Zeiträume erhalten bleiben. Sowohl die Aufgabenstellung als auch die Strukturierung des Unterrichts sind dabei wichtige Einflussgrößen.

Im Zentrum des Praxisbands steht die Frage nach gelingenden TTG-Lektionen.

Aber nun zum Unterricht, um den es im Praxisband geht. Wir blicken in zwei Klassenzimmer. Die eine Klasse arbeitet im Technischen, die andere im Textilen Gestalten. Obwohl sich die beiden Situationen hinsichtlich des Alters der Schülerinnen und Schüler beziehungsweise der Vorhaben deutlich unterscheiden, gibt es auch auffällige Parallelen.

Aus der Praxis – für die Praxis

Wir befinden uns im Fachraum für Technisches Gestalten im Untergeschoss einer Schule. Vor wenigen Minuten hat die Lehrperson eine Aufgabenstellung präsentiert: Die Schülerinnen und Schüler aus der 5. Klasse sollen eine tragbare Kiste entwickeln, in der die wichtigsten Dinge für eine Reise in den Sommerferien verstaut werden können. Mit dem Thema der Ferienkiste hat die Lehrperson einen Funken bei den Kindern entfacht. Die Schülerinnen und Schüler sind motiviert. Bilder zu den bevorstehenden Ferien tauchen in ihren Köpfen auf.

Die Schülerinnen und Schüler haben verschiedene infrage kommende Reiseutensilien untersucht und geordnet. Sie notieren nun in Gruppen Dinge, die sie auf ihre Reise mitnehmen möchten. Sie müssen dabei das Format der Kiste im Blick behalten. Timo will sein Quartett einpacken. Nadine nimmt Desinfektionsmittel und Heftpflaster mit. Sheila schlägt Nagellack vor. Ihre Gruppe kichert.

Die Lehrperson hat mit der Gruppe die Rahmenbedingungen der Aufgabenstellung besprochen. Wie viel Zeit und welches Material haben sie zur Verfügung? Wie arbeiten sie zusammen? Oder welche Werkzeuge und Hilfsmittel dürfen sie verwenden.

Als Nächstes sollen die Kinder den Grundriss ihrer Kiste zeichnen. Danach wird die Lehrperson mit ihnen die wichtigsten Arbeitstechniken zum Baumaterial der Kiste, dem Sperrholz, vertiefen.

Zur gleichen Zeit arbeitet im Fachraum für Textiles Gestalten eine Gruppe von Siebtklässlerinnen und -klässlern an ihren Hoodies. Das Vorhaben wurde von der Lehrperson schon vor einigen Wochen mit einer Aufgabenstellung eingeleitet. Mithilfe eines Moodboards haben die Schülerinnen und Schüler ihren persönlichen Pullover geplant und passende Elemente ausgewählt. Soll er eine Kapuze haben? Wo sind die Taschen angebracht? Wie werden die Randabschlüsse gestaltet. Die Entwürfe wurden mit der Lehrperson diskutiert, die Schnittmuster angepasst. Ein persönliches Label gibt dem Kleidungsstück eine individuelle Note. Die Lehrperson hat den Schülerinnen und Schülern gezeigt, wie Randabschlüsse und Nähte verarbeitet werden. Sie freuen sich auf die ersten Anproben. Die Stoffe und Schnittmuster werden individuell gewählt. Dank dem gemeinsamen Thema kann sich aber die Lehrperson mit Inputs an die ganze Gruppe wenden.

Im Unterrichtsraum herrscht ein buntes Treiben. Der Arbeitsstand ist unterschiedlich. Trotzdem sind kaum Störungen feststellbar. Die Schülerinnen und Schüler sind in ihr Vorhaben vertieft und beschäftigen sich mit der Umsetzung ihrer Vorstellung für den Hoodie.

Beiden Situationen gemeinsam ist das emsige Treiben. Beim Betrachten könnte man auf den Gedanken kommen, dass sich die Arbeit in den beiden Schulklassen ohne viel Zutun der Lehrpersonen entwickelt. Doch der Eindruck täuscht: Sowohl die beiden Aufgabenstellungen als auch die Elemente des Ablaufs sind sorgfältig geplant und werden gezielt eingesetzt. Die beiden Lehrpersonen steuern die Lektionen. Denn gelingender Unterricht im Textilen und Technischen Gestalten entwickelt sich nicht zufällig. John Hattie (2003) macht mit dem Slogan «Teachers Make a Difference» deutlich, dass den Lehrpersonen beim Steuern des Unterrichts eine zentrale Rolle zukommt. Der Praxisband richtet sich darum in erster Linie an zukünftige und amtierende Lehrpersonen und an Dozierende im Fach Textiles und Technisches Gestalten.

Unterricht im Textilen und Technischen Gestalten ist vielschichtig. Aber die beiden Elemente «Aufgabenstellung» und «Unterrichtsstruktur» spielen eine besonders wichtige Rolle für das Gelingen. Dies zeigte sich auch in einer Untersuchung (Stettler, 2021), die ich im Frühsommer 2018 im Rahmen meiner Dissertation durchgeführt habe. Die Ausführungen im Praxisband orientieren sich an den Ergebnissen aus der Untersuchung und bilden eine empirische Basis für das Verständnis von Unterricht im TTG.

Prenzel (2020, S. 17) schreibt: «Damit Wissen aus der Forschung für die Praxis wirksam werden kann, muss es bei Akteurinnen und Akteuren ankommen, die für die Praxis in irgendeiner Weise verantwortlich sind und an ihrer Gestaltung mitwirken.» Mit anderen Worten: Das Wissen aus Untersuchungen bringt wenig, wenn es nicht in der Praxis zur Anwendung kommt. Das vorliegende Buch soll eine Brücke zwischen den Forschungsergebnissen und der Alltagspraxis der Schule bauen. Damit soll ein Prozess weitergeführt werden: Mit der erwähnten Studie wurde Unterricht untersucht. Die Ergebnisse wurden ausgewertet und in einem Bericht zusammengefasst. Die theoretischen Erkenntnisse aus der Forschung können nun wieder mit dem Schulalltag verglichen werden. Durch den Praxisband fließen die Erkenntnisse zu den Lehrpersonen zurück. Damit werden sie auf ihre Praxistauglichkeit geprüft. So soll eine Diskussion ausgelöst werden: Das Zusammenführen von Erkenntnissen aus der Forschung und Erfahrungen der Lehrpersonen ist eine wichtige Voraussetzung, um Unterricht weiterzuentwickeln. Die Ergebnisse aus dieser Untersuchung sind damit nur ein Zwischenstand. Durch den Dialog mit der Praxis wird die Forschung in einen Zyklus eingebunden, der die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Sicht der Schule zusammenführt.

Was ist die Absicht des Praxisbandes?

Öffnen und einsteigen

Bevor Sie in die Thematik selbst eintauchen, soll der Praxisband kurz vorgestellt werden: Was sind seine Ziele, wer soll damit angesprochen werden und wie können Sie sich darin orientieren?

Zielsetzungen

In der Einleitung habe ich es bereits kurz angesprochen: Das wichtigste Ziel des Praxisbandes ist es, Schritte aufzuzeigen, die zu gelingendem Unterricht führen. Bei diesem Anliegen helfen uns Erkenntnisse aus der allgemeinen Didaktik, Befunde aus den Erziehungswissenschaften und anderen Fachdidaktiken nur teilweise weiter. Der Fachbereich Textiles und Technisches Gestalten hat eine eigene Unterrichtskultur. Allgemeine Erkenntnisse und Befunde aus anderen Fächern passen darum nur bedingt zur Fachsituation. «Die Fachdidaktiken spielen in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung eine zentrale Rolle. Mit Fokus auf fachspezifisches Lehren und Lernen und mit ihren vielfältigen Bezugswissenschaften schaffen sie das wissenschaftliche Fundament für wirksamen Fachunterricht.» (Brovelli et al., 2022, S. 3). Im Praxisband sollen die spezifischen Voraussetzungen für qualitativ hochstehenden Unterricht im TTG thematisiert werden.

Zwei Komponenten, die im Fach eine besondere Relevanz haben, stehen dabei im Vordergrund:

Aufgabenstellungen: Im Vergleich zu anderen Fächern entwickeln sich Aufgabenstellungen im Textilen und Technischen Gestalten über längere Zeiträume. Sie umfassen vielfach mehrere Wochen. Es ist wunderbar, wenn Aufgabenstellungen funktionieren. Die Motivation sorgt dann für langanhaltende Aktivitäten der Schülerinnen und Schüler. Wenn Aufgabenstellungen aber nicht gelingen, kann das in einer Katastrophe enden. Wie Aufgabenstellungen aufgebaut sind, hat im TTG eine große Bedeutung.

Unterrichtsstruktur: Verschiedene Studien belegen, dass die Ausgestaltung des Lernprozesses eine große Bedeutung hat. Eine gute Strukturierung spielt hier eine wichtige Rolle. Fehlen in den Lektionen klare Strukturen, können Gefühle der Orientierungslosigkeit und Überforderung bei den Lernenden überhandnehmen. Die Dynamik des Geschehens, der «Drive» des Unterrichts, nehmen ab. Man richtet sich gemütlich ein. Zeichen dafür sind Gespräche zwischen den Lernenden, die sich nicht mehr um die Inhalte des Fachs drehen. Man diskutiert über ein angesagtes Game oder eine aktuelle Realityshow. Guter TTG-Unterricht soll Schülerinnen und Schüler zu aktivem Denken und Handeln führen. Die Struktur des Unterrichts unterstützt eine Unterrichtsdynamik, die bei Schülerinnen und Schülern im Textilen und Technischen Gestalten den Fokus auf ihre Lernaktivitäten lenkt.

Die Befunde aus meiner Untersuchung aus dem Frühsommer 2018 zeigen in diesem Zusammenhang spannende Ergebnisse. Sie bilden die Grundlage für den Praxisband. Die Gedanken, die auf dieser Basis entstanden sind, sind ein Zwischenstand und sollen diskutiert und weiterentwickelt werden. Neben den persönlichen Erfahrungen und den normativen Konzepten der Lehrpersonen sollen in Zukunft auch empirische Befunde in die Diskussion einbezogen werden können.

Leserinnen und Leser

Zu Unterricht gibt es eine große Zahl von wissenschaftlichen Untersuchungen. Leider erreichen nur wenige Erkenntnisse bildungswissenschaftlicher Untersuchungen die Schulpraxis und ihre Lehrpersonen, die Hauptpersonen und Adressaten solcher Studien wären. Die Befunde werden vielfach im akademischen Umfeld diskutiert und weiterentwickelt. Deshalb fehlt ein wichtiger Teil, der zur Entwicklung von Schule beiträgt: Die Prüfung der Erkenntnisse im Feld des Unterrichts und die Rückmeldung aus der Praxis an die Forschung. Mit dem Praxisband soll diesem Mangel entgegengewirkt werden. Das Feedback aus der Schule ist darum besonders wertvoll, weil es den Kreis der Entwicklung schließt und gegebenenfalls zu neuen Fragen führt, die untersucht werden können. Der Praxisband richtet sich darum in erster Linie an interessierte Lehrpersonen im Fach Textiles und Technisches Gestalten.

Es werden beide Teilbereiche, Technisches und Textiles Gestalten, angesprochen. Beide haben aufgrund ihrer Fachgeschichte eigene Fachkulturen entwickelt. Dies zeigt sich unter anderem in den unterschiedlichen Materialien und Verfahren. Wichtiger als die Unterschiede sind die Gemeinsamkeiten. Diese finden sich in den Kompetenzen, die die Lernenden in den beiden Fachbereichen erwerben. Gerade das aktuelle Verständnis des Unterrichts und dasjenige der Aufgaben gehen in beiden Fachbereichen Hand in Hand: Im Deutschschweizer Lehrplan 21 wird dies unter anderem mit den einleitenden Kapiteln zum Gestalten (D-EDK, 2016 374–385) und den gemeinsamen Formulierungen der Kompetenzen hervorgehoben. Aktuelle Fachliteratur nimmt diese Tendenz auf. Zunehmend wird auch die Zusammenarbeit an den Ausbildungsinstituten gepflegt. Für Kooperationen zwischen den Fachbereichen gibt es auch in der obligatorischen Schule vielversprechende Beispiele.

Als Zweites richtet sich der Praxisband an Dozierende und Studierende an pädagogischen Hochschulen und an Kursleiterinnen und Kursleiter sowie Lehrpersonen in der Weiterbildung. Die wissenschaftlich begründeten Befunde bilden eine gute Basis für die Fachdidaktik.

Als Drittes soll der Praxisband den Dialog mit den anderen Fächern der obligatorischen Schule ermöglichen. Die vorgestellten Erkenntnisse der Fachdidaktik des Textilen und Technischen Gestaltens sollen im Austausch mit den anderen Fachdidaktiken und deren Vertreterinnen und Vertretern weiterentwickelt werden.

Was sind die Kennzeichen des Praxisbandes?

Der Praxisband greift Fragen auf, die viele Lehrpersonen im Textilen und Technischen Gestalten umtreiben: Wie müssen Aufgabenstellungen formuliert sein, damit sie bei den Schülerinnen und Schülern Denkprozesse auslösen? Welcher Unterricht führt zu echtem Lernen? Welche Struktur in den Lektionen bettet die Entwicklungsprozesse ein, ohne die Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit den Inhalten vorwegzunehmen? Der Praxisband zielt darauf ab, die wissenschaftlichen Erkenntnisse auf den Unterricht zu übertragen. Die Verbindung zwischen den empirischen Ergebnissen und der Praxis steht damit im Zentrum.

Welches die «richtigen» Inhalte für das Fach Textiles und Technisches Gestalten sind, wird im vorliegenden Band nicht erörtert. Damit wird auch die Diskussion um die Fachausrichtung nicht bedient. Die Beispiele, die erwähnt werden, sollen also weder zum «handwerklichen Modell», zur «ästhetischen Bildung», zu «Technikdidaktik» oder zu «Designmodellen» Stellung nehmen. Dazu gibt es bereits an anderer Stelle ausreichende Hinweise.

Worauf basiert der Praxisband?

Die Basis für diesen Praxisband bilden eine empirische Untersuchung und meine Dissertation (Stettler 2021). Wer durch den Praxisband neugierig wird und sich vertieft mit den Daten der Studie befassen will, kann die Dissertationsschrift vom Hochschulserver der Bibliothek der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe herunterladen (unter OPUS-PHKA – Hochschulschriftenserver der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe, Stichwort Stettler): https://phka.bsz-bw.de/frontdoor/index/index/docId/263.

Für diesen Band hat sich eine Zusammenarbeit mit der Lehrmittelreihe «Technik und Design» (Stuber 2020, 2022) angeboten. Die entsprechenden Publikationen sind aktuell und nehmen zentrale Anliegen des Praxisbandes auf. Mit freundlicher Genehmigung wurden Beispiele und Bildmaterial aus diesen Lehrmitteln aufgenommen. Der Praxisband stellt somit eine Verbindung zu den im Fach bewährten Lehrmitteln her.

Wie ist der Praxisband aufgebaut?

Der folgende Überblick zu den Kapiteln hilft Ihnen, sich im Praxisband zu orientieren. Dazu gehören auch die Gedankenfenster, die Sie durch die Kapitel begleiten werden.

Inhalte

Wird Unterricht aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet, können sich die Erkenntnisse unterscheiden. Kapitel 3 zeigt auf, warum die Sichtweisen von Lehrpersonen, Bildungspolitikerinnen und Wissenschaftlern zwar verschieden, aber doch ergänzend sein können.

Unterricht ist ein Angebot der Lehrpersonen an die Schülerinnen und Schüler. In Kapitel 4 wird ein Modell zum Verständnis von Unterricht vorgestellt, das Ihnen hilft die Rollen der Lehrpersonen und Lernenden besser zu verstehen.

Die erwähnte empirische Untersuchung hat gezeigt, dass es typische Unterrichtsformen im Technischen Gestalten gibt. Durch die fachliche Nähe kann davon ausgegangen werden, dass diese Befunde nicht nur für das Technische, sondern auch für das Textile Gestalten gelten. In Kapitel 5 werden typische Merkmale genannt, die die Unterrichtsformen kennzeichnen und mit denen sie voneinander abgegrenzt werden.

Unterrichtsstruktur und Aufgabestellung hängen eng zusammen. Kapitel 6 zeigt auf, worauf wir achten müssen, damit sich die beiden Komponenten positiv beeinflussen.

Unterricht soll Schülerinnen und Schüler zu echter Auseinandersetzung mit den Inhalten führen. Diese Arbeiten werden unter dem Sammelbegriff der Unterrichtsaktivitäten zusammengefasst. Wenn Schülerinnen und Schüler im Unterricht echt involviert sind, nachdenken und arbeiten, führt dies zu wertvollen Erträgen. Kapitel 7 zeigt Ihnen auf, welche Unterrichtsformen zu wertvollen Unterrichtsaktivitäten führen.

Wie bereits erwähnt, haben Aufgabenstellungen im Textilen und Technischen Gestalten eine besondere Bedeutung. Sie leiten für Schülerinnen und Schüler eine Auseinandersetzung mit dem Inhalt ein. Kapitel 8 stellt die Aufgabenstellung im TTG ins Zentrum. Wie müssen Aufgaben beschaffen sein, damit sie Kinder und Jugendliche zum Denken bringen? Welche Aufgaben lösen Aktivitäten aus? Wie können Sie verhindern, dass Aufgabenstellungen Schülerinnen und Schüler überfordern?

Auch die Unterrichtsstruktur des TTG-Unterrichts ist ein wichtiges Werkzeug, um Qualität im Unterricht zu erreichen. Gut angelegte Strukturelemente geben Schülerinnen und Schülern, aber auch Lehrpersonen Sicherheit und Orientierung und leiten sie zu Unterrichtsaktivitäten an. In Kapitel 9 erfahren Sie, was «Strukturierung des Unterrichts» im Textilen und Technischen Gestalten bedeutet und auf welchen Ebenen diese stattfinden kann.

Wie sieht Unterricht aus, den man fürs TTG empfehlen kann? Kapitel 10 hält konkrete Hinweise dazu bereit.

In Kapitel 11 werden die wichtigsten Gedanken abschließend zusammengefasst. Die Ausführungen im Praxisband werden noch einmal prägnant dargestellt und abgeschlossen.

Gedankenfenster

Im Praxisband sind immer wieder sogenannte Gedankenfenster eingestreut. Sie sollen Ihnen helfen, innezuhalten und die Inhalte mit Ihren persönlichen Erfahrungen und dem Schulkontext zu verbinden.

Die Anzahl der Gedankenfenster unterscheidet sich von Kapitel zu Kapitel. Wenn es angezeigt ist, sind es mehrere Fenster. Manchmal finden Sie auch nur ein einzelnes. Sie geben dem Praxisband eine Grundstruktur.

In der Folge werden die verschiedenen Arten der Gedankenfenster kurz vorgestellt.

Öffnen und einsteigen

Es fällt nicht immer leicht, in eine neue Thematik einzutauchen. Das Fenster «Öffnen und einsteigen» steht meist am Anfang eines Kapitels. Damit soll Ihnen der Einstieg zur Auseinandersetzung mit den Inhalten erleichtert werden.

Fragen und vermuten

Albert Einstein soll gesagt haben: «Wichtig ist, dass man nie aufhört zu fragen.» Fragen sind oft der Anstoß für eine Entwicklung. Auch Forschungsarbeiten gehen von Fragen und Hypothesen aus.

Die Fragen in den Kapiteln helfen Ihnen, nachzudenken und zu verstehen, worum es im Kern der Sache geht.

Aus der Praxis – für die Praxis

«Und was heißt das nun konkret?» Vieles ist leichter zu verstehen, wenn es an einem Beispiel aus unserer Lebenswelt erläutert wird. «Aus der Praxis – für die Praxis» baut darum eine Brücke zur Welt, in der wir leben.

Vertiefen und weiterdenken

Das Ziel des Praxisbandes ist es, neue Gedanken anzuregen. Das Fenster «Vertiefen und weiterdenken» ist dazu gedacht, diese Prozesse auszulösen.

Resümieren und verdichten

Was ist die Essenz des Kapitels? «Resümieren und verdichten» fasst die wichtigsten Punkte eines Inhaltes zusammen.

Perlen und Schätze

Unter der Überschrift «Perlen und Schätze» entdecken Sie Unerwartetes und besondere Trouvaillen.

2 Forschungsgrundlagen zum Praxisband

 

Der Kern der Ausführungen im Praxisband ist eine Forschungsarbeit, die ich neben meiner beruflichen Tätigkeit an der Pädagogischen Hochschule Bern durchführen konnte und aus der dann in der Folge eine Dissertation entstand. Viele der Ergebnisse, die diese Forschungsarbeit hervorbrachte, hätte ich nicht erwartet. Aber aufgrund der zuverlässigen Datenlage kann ich heute davon ausgehen, dass ich ihnen vertrauen kann. Die Ergebnisse haben mich nicht nur erstaunt, sie haben auch meine Sicht auf das Textile und Technische Gestalten verändert und erweitert.

In diesem Unterkapitel wird also in aller Kürze der Weg von den Fragen bis zu den endgültigen Ergebnissen der Forschungsarbeit nachgezeichnet. Damit will ich die Herkunft der Daten für Sie nachvollziehbar machen. Wer versteht, welche Schritte zu den Ergebnissen geführt haben, kann der Studie leichter vertrauen.

Gleichzeitig möchte ich zur empirischen Forschung motivieren. Es ist hoch spannend, an solchen Projekten beteiligt zu sein, und es gibt noch viele offene Fragen in der Fachdidaktik des Textilen und Technischen Gestaltens, die auf eine Klärung warten.

Öffnen und einsteigen

Wie können wir wissen, dass Ergebnisse aus einer Forschung vertrauenswürdig sind? Berichte zu wissenschaftlichen Studien beinhalten neben den Ergebnissen meist auch die Beschreibung der wichtigsten Etappen und Methoden der Forschungsarbeit. Dies hilft den Leserinnen und Lesern abzuschätzen, wie fundiert und relevant die entsprechenden Erkenntnisse sind.

Mit diesem Unterkapitel nimmt der Praxisband dieses Anliegen auf. In der Folge werden die zentralen Schritte und Methoden der erwähnten Studie beschrieben. Es würde zu weit führen, auf die Details der Studie einzugehen. Ich beschränke mich an dieser Stelle auf Erklärungen zum Grundgerüst und verzichte auf die sonst übliche Fachsprache.

Die Untersuchung, die diesem Praxisband zugrunde liegt (Stettler, 2021), ist eine quantitative Studie. Im Gegensatz zu den qualitativen Studien wird bei quantitativen Studien mit großen Probandenzahlen gearbeitet. Typisch für diese Art von wissenschaftlichen Arbeiten sind die geplanten Vorgehensschritte, die systematisch und begründet vorgenommen werden. Eine quantitative Untersuchung hat das Ziel, Zusammenhänge aufzudecken, die über den Horizont einer einzelnen Person hinausgehen – also eine gewisse Allgemeingültigkeit haben. Gleichzeitig können die Ergebnisse durch ihre Evidenz begründet werden.

Im Zentrum dieser Studie stehen typische Unterrichtsformen. Sie können uns helfen zu verstehen, wie Textiles und Technisches Gestalten tatsächlich funktioniert.

Was sind typische Unterrichtsformen?

Durch meine Arbeit im Fachbereich machte ich mir früh Gedanken über die Qualität von Unterricht. Am Anfang bewegte mich die Frage nach dem Offenheitsgrad der Aufgabenstellung. Erst nach einer gewissen Vertiefung ins Thema richtete ich den Blick auch auf den Unterricht. Dabei verstand ich den Unterricht als Gefäß, in dem die Aufgabenstellung eingebettet ist. Gleichzeitig vermutete ich eine Wechselwirkung zwischen der Aufgabenstellung und dem Unterricht. Das heißt einerseits, dass der Offenheitsgrad der Aufgabenstellung den Unterricht beeinflusst. Andererseits, dass der Unterricht entscheidend für den Erfolg der Aufgabenstellungen ist. Aus diesen beiden Vermutungen formulierte ich den ersten Teil meiner Forschungsfrage:

Welche typischen Unterrichtsformen lassen sich unter Berücksichtigung des Offenheitsgrades der Aufgabenstellung und der Strukturierung des Unterrichts gruppieren …

Im ersten Teil der Forschungsfrage stehen also die beiden Komponenten Offenheitsgrad der Aufgabenstellung und Strukturierung des Unterrichts im Zentrum. Gesucht sind typische Unterrichtsformen, die sich hinsichtlich der beiden Grundelemente unterscheiden. Die Frage ist, ob es im Technischen Gestalten typische Unterrichtsformen gibt – und wenn ja, wie diese ausgeprägt sind. Auf die beiden Komponenten «Offenheit der Aufgabenstellung» (siehe Kapitel 8) und «Strukturierung des Unterrichts» (siehe Kapitel 9) wird im weiteren Verlauf des Buches eingegangen.

In meinem Unterricht und während Unterrichtsbesuchen begegnete ich immer wieder ähnlichen Situationen. Ich vermutete darum, dass es typische Unterrichtsformen geben könnte – sogenannte Unterrichtstypen. Zudem ging ich davon aus, dass die beiden Komponenten «Offenheitsgrad der Aufgabenstellung» und «Strukturierung des Unterrichts» zentrale Größen des Unterrichts sein könnten. Meine Idee war es, die untersuchten Klassen nach ihrem Profil zu gruppieren. Innerhalb einer Gruppe sollten dann Klassen gesammelt werden, die ein typisches Profil hinsichtlich der Aufgabenstellung und der Strukturierung des Unterrichts haben.

Abbildung 1:

Klassen gruppiert nach Profil

Vor der Auswertung war nicht klar, welche Profile die Gruppen aufweisen würden. Ich stellte mir vor, dass zu einer ersten Gruppe die Klassen gehören würden, die mit offenen Aufgabenstellungen arbeiten und gleichzeitig schwach strukturierten Unterricht genießen. Eine zweite Gruppe würde dann durch einen mittleren Offenheitsgrad der Aufgabenstellungen und ebenfalls eine mittlere Strukturiertheit des Unterrichts charakterisiert. Die dritte Gruppe wäre durch das andere Extrem gekennzeichnet: tiefer Offenheitsgrad der Aufgabenstellungen und hohe Strukturiertheit des Unterrichts. Das war meine Vermutung vor der Untersuchung. Wie bereits erwähnt, lag ich mit dieser Annahme völlig falsch.

Mithilfe einer statistischen Auswertungssoftware konnte ich die komplexen Daten, die ich erhoben hatte, analysieren. Um die typischen Unterrichtsformen zu finden, wandte ich eine latente Profilanalyse (Latent Profile Analyse, LPA) an. Mit «latent» sind dabei Strukturen gemeint, die in der Datenmenge versteckt sind und darum ohne Hilfsmittel nicht aufgedeckt werden können (Geiser, 2011).

Aus der Praxis – für die Praxis

Wenn zum Beispiel Ferienangebote im Hinblick auf Familienfreundlichkeit untersucht werden sollen, gibt es keine direkten Hinweise dafür. Das Konstrukt Familienfreundlichkeit ist damit latent. Will man es trotzdem untersuchen, müssen zunächst Indikatoren gefunden werden, die zusammen die Familienfreundlichkeit von Ferienangeboten anzeigen können. Spielmöglichkeiten für Kinder, sichere Strände, ein Ponyhof in der Nähe und weitere Faktoren sind indirekte Hinweise auf ein familienfreundliches Ferienangebot. Nachdem eine ausreichende Anzahl solcher Indikatoren in guter Qualität gefunden wurde, können nun die Ferienangebote aufgrund dieser Indikatoren bewertet werden. Dadurch können wir familienfreundliche Ferienangebote von anderen unterscheiden. Wir bekommen damit eine Antwort auf einen «latenten» Zusammenhang, der nicht direkt zugänglich ist.

Herbert W. Marsh und seinen Kollegen zufolge sind Modelle latent, wenn sie durch mehrere Indikatoren gekennzeichnet sind, die ein nicht direkt zugängliches Konstrukt darstellen (Marsh et al. 2012: S. 108). Die latente Profilanalyse ist ein statistisches Verfahren, das nicht direkt erkennbare Strukturen aufdeckt. Mit ihrer Hilfe können homogene Subgruppen gebildet werden, die ein bestimmtes Profil aufweisen.

Werden aus der Menge von Daten Profile gebildet, stellt sich zunächst die Frage, welche Anzahl von Profilen sinnvoll ist. Es ist naheliegend, dass eine große Anzahl die Situation genauer abbildet als eine kleine Anzahl. Eine große Anzahl von Profilen macht die Ergebnisse aber auch unübersichtlich. Es ist also zwischen der Differenziertheit der Aussagen und der Sparsamkeit (und damit der Zugänglichkeit bezüglich Interpretation) der Profile abzuwägen.

Die Statistiksoftware bietet für diesen Abwägeprozess Gütekriterien (sogenannte Fit-Indices) an, die helfen, die Einteilung der Profile begründet vorzunehmen.

Wie wirken die Unterrichtstypen auf die Klassen?

Was ist nun aber der Nutzen der Unterrichtstypen für den Unterricht in den Schulklassen? Die Profile an sich helfen noch nicht weiter, um gelingenden Unterricht zu finden. Interessant wird es erst, wenn festgestellt werden kann, wie sich die Unterrichtstypen auf die Schülerinnen und Schüler auswirken. Damit befasst sich der zweite Teil der Forschungsfrage, der an den ersten anschließt (siehe oben).

… und welcher Ertrag zeigt sich bei Schülerinnen und Schülern, wenn bestimmte Unterrichtsformen angeboten werden?

Der Ausdruck «Ertrag» im zweiten Teil der Forschungsfrage ist etwas gewöhnungsbedürftig. Der Begriff geht auf das Angebots-Nutzungs-Modell von Andreas Helmke (2007) zurück (siehe auch Kapitel 4). Er schreibt, dass Unterricht ein «Angebot» an die Schülerinnen und Schüler sei. Die Lernenden könnten das Angebot «nutzen». In der Folge würde sich dadurch ein «Ertrag» zeigen.

Abbildung 2:

Lehrpersonen machen ein Angebot in Form von Unterricht, das von den Schülerinnen und Schülern genutzt werden kann

Lehrpersonen können Unterricht konzipieren und anbieten. Ob er genutzt wird und ob das zu Erträgen führt, liegt nicht in der Hand der Lehrpersonen. In letzter Konsequenz findet das eigentliche Lernen in den Köpfen der Kinder und Jugendlichen statt. Obwohl Lehrpersonen auch Mittel haben, um Druck auszuüben und die Schülerinnen und Schüler zumindest äußerlich zum Lernen zu bringen, können nur die Kinder und Jugendlichen selbst diesen gewinnbringenden Prozess vollziehen. Mit dem «Angebots-Nutzungs-Modell» betont Helmke (ebd.) damit die Unterrichtsaktivität von Schülerinnen und Schülern und den Lernprozess. Das Angebots-Nutzungs-Modell ist vielschichtig. In Kapitel 4 wird es vertiefter dargestellt.

Welche Klassen wurden untersucht?

Ich hatte das große Glück, dass sich auf meinen Aufruf hin eine große Anzahl von Lehrpersonen bereit erklärte, mit ihren Schülerinnen und Schülern an der Untersuchung teilzunehmen. Der Fragebogen wurde von 116 Klassen in den Kantonen Bern, Solothurn und Basel-Stadt ausgefüllt. Die jüngsten Kinder gingen in eine Mehrjahrgangsklasse (3./4. Klasse). Die ältesten in die 9. Klasse. Die Schülerinnen und Schüler waren zwischen 8 und 17 Jahre alt. Die Verteilung der Lernenden hinsichtlich des Alters war also breit gefächert. Die Untersuchung bezieht sich damit nicht nur auf eine begrenzte Altersgruppe, sondern betrifft Kinder und Jugendliche des 2. (3.–6. Klasse) und 3. Zyklus (7.–9. Klasse).

Abbildung 3:

Anzahl der Schülerinnen und Schüler nach Jahrgängen

Abbildung 4:

Verteilung der Schülerinnen und Schüler nach Klassenstufe

Insgesamt nahmen 1282 Schülerinnen und Schüler an der Forschung teil. Die große Anzahl der Probandinnen und Probanden ermöglichte später komplexe Auswertungsschritte, die bei einer kleineren Gruppe von Befragten nicht möglich gewesen wären.

Abbildung 5:

Altersverteilung der Lehrpersonen

Die Zahl der befragten Lehrpersonen belief sich auf 61. Die Lehrpersonen wiesen eine große Bandbreite hinsichtlich des Alters und der Berufserfahrung auf. Die jüngste Lehrperson war 27, die älteste 61 Jahre alt. Die Lehrerfahrung reichte von einem Jahr bis zu 41 Jahren.

Die Untersuchung wurde mit Lehrpersonen durchgeführt, die unterschiedlich viele Klassen im Technischen Gestalten unterrichteten. Die Anzahl der befragten Klassen pro Lehrperson wurde jedoch auf maximal drei beschränkt.

Und die Erhebungsinstrumente?