The Gunman - Jean-Patrick Manchette - E-Book

The Gunman E-Book

Jean-Patrick Manchette

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Beschreibung

Martin Terrier hat sich aus ärmlichen Verhältnissen zum hochbezahlten Berufskiller emporgearbeitet. Als er genug verdient hat, um seine Jugendliebe Anne wiederzugewinnen, will er aussteigen. Seine «Firma» ist davon wenig begeistert. Gegen alle Widerstände verfolgt er seinen Plan. Doch der Weg in ein neues Leben lässt sich nicht so einfach realisieren. Seine Auftraggeber setzen ihre Schergen auf ihn an. VERFILMT MIT CATHERINE DENEUVE UND ALAIN DELON, NEU VERFILMT MIT SEAN PENN («THE GUNMAN») 2015.

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DistelLiteraturVerlag

Jean-Patrick Manchette, geboren 1942 in Marseille, liebte Jazz, Kino und Literatur. Er radikalisierte den europäischen Roman noir und gilt als Begründer des neueren sozialkritischen französischen Kriminalromans, des sogenannten Néo-polar.

Manchette arbeitete als Drehbuchautor und veröffentlichte neben Theaterstücken und zahlreichen Essays auch zehn Kriminalromane, die ihn zur Kultfigur machten, und von denen die meisten verfilmt wurden, so Nada (1973) von Claude Chabrol; Tödliche Luftschlösser (Folle à tuer, 1975) von Yves Boisset, mit Marlène Jobert; Westküstenblues (Trois hommes à abattre, 1980) von Jacques Deray, mit Alain Delon; Knüppeldick (Pour la peau d’un flic, 1981) von und mit Alain Delon; Position: Anschlag liegend (Le choc, 1982) von Robin Davis, mit Catherine Deneuve und Alain Delon; Volles Leichenhaus (Polar, 1983) von Jacques Bral; Position: Anschlag liegend wurde 2015 unter dem Titel The Gunman neu verfilmt von Pierre Morel mit dem zweimaligen Oscar-Preisträger Sean Penn.

Alle Kriminalromane sowie die gesammelten Essays zum Roman noir in den «Chroniques» sind auf Deutsch im DistelLiteraturVerlag erschienen.

Jean-Patrick Manchette starb 1995 im Alter von 52 Jahren in Paris. Er wurde zur Leitfigur für eine neue Generation von Krimiautoren in Frankreich.

Jean-Patrick Manchette

Position: Anschlag liegend (The Gunman)

Aus dem Französischen von Stefan Linster

DistelLiteraturVerlag

Copyright © 2003, 2015 by Distel Literaturverlag Sonnengasse 11, 74072 Heilbronn Die Originalausgabe erschien 1981 unter dem Titel «La position du tireur couché» in der Série Noire bei Éditions Gallimard (Paris) Copyright © Éditions Gallimard 1981 Umschlagentwurf: Yvonne Hennings, Heilbronn Fotos: StudioCanal, Deutschland ISBN 978-3-923208-89-0 (Print) ISBN 978-3-923208-93-7 (E-Book)

1

Es war Winter, und es war Nacht. Ein eisiger Wind, der direkt aus der Arktis kam, verfing sich in der Irischen See, fegte über Liverpool, brauste durch die Ebene von Cheshire (wo die Katzen fröstelnd die Ohren anlegten, als sie ihn im Kamin fauchen hörten) und peitschte dem Mann, der in dem kleinen Bedford-Kastenwagen saß, durch das heruntergelassene Seitenfenster in die Augen. Der Mann blinzelte nicht.

Er war groß, aber nicht wirklich massig, mit einem ruhigen Gesicht, blauen Augen und braunem Haar, das gerade den oberen Rand der Ohren bedeckte. Er trug einen kurzen Mantel, einen schwarzen Pullover, Bluejeans sowie nachgemachte Clarks und hielt den Oberkörper gerade, den Rücken an die rechte Tür der Fahrerkabine gelehnt, die Beine auf der Sitzbank, sodass die Schuhsohlen die linke Tür berührten. Man hätte ihn auf dreißig oder etwas mehr geschätzt; er war noch nicht ganz so alt und hieß Martin Terrier. Auf seinem Schoß lag eine Halbautomatik, eine Ortgies mit einem Schalldämpfer von Redfield.

Der Bedford stand in der nördlichen Vorstadt von Worcester, in einem vornehmen Wohngebiet voller kleiner Villen im Tudorstil mit Fachwerk und Fenstern mit kleinen Scheiben und schwarz lackierten Sprossen. Hinter den Scheiben der Häuser ohne Fensterläden sah man das graue oder pastellfarbene Licht der Fernseher. An der nahe gelegenen Bushaltestelle warteten zwei Paare mit gesenktem Kopf und dem Rücken zum Wind.

Fünfzig Meter von dem Bedford entfernt ging unter dem Vordach eines der Tudorhäuser eine Laterne an. Als sich die Tür der Villa öffnete, warf Terrier seine französische Zigarette, eine Gauloises, auf den Fahrzeugboden. Er griff nach der Ortgies und lud sie durch, während sich Marshall Dubofsky auf der Freitreppe umdrehte, um seiner Frau einen flüchtigen Kuss auf die Wange zu drücken. Von Norden kam ein hellerleuchteter grüner Doppeldeckerbus an. In einem kittfarbenen Regenmantel ohne Gürtel lief Dubofsky auf seinen kurzen Beinen los. Er trabte durch den Garten, wobei er mit der einen Hand eine Art Tirolerhut aus fusseligem grünem Filz auf seinem Kopf festhielt, hastete auf den Gehsteig und traf drei Sekunden vor dem Bus an der Haltestelle ein. Terrier gab ein leises verärgertes Schmatzen von sich. Er schwang die Beine vom Sitz, setzte sich ans Steuer des Bedford, sicherte die Halbautomatik und legte sie neben sich auf den linken Teil der Sitzbank. Unterdessen stiegen die beiden Paare und Dubofsky in das Fahrzeug. Der Bus fuhr wieder los. Terrier ließ ihm etwas Vorsprung.

Im Zentrum von Worcester gibt es einen Platz, der Endstation mehrerer Buslinien ist. Terrier parkte den Bedford und sah gleichzeitig, wie Dubofsky ein dort gelegenes Kino betrat, das in einer Doppelvorführung einen mittelmäßigen amerikanischen Thriller mit Charles Bronson und eine sehr britische Filmkomödie in Schwarzweiß mit Diane Cilento zeigte. Als die Fahrgäste des Busses sich zerstreut hatten, war der Platz menschenleer. Gegenüber dem Kino warf ein Pub, dem jegliche pittoreske Note fehlte und der eher einem großen Waschsalon ähnelte, durch seine Mattglasscheiben gelbe Lichtpfützen aufs Trottoir. Hinten im Foyer strickte die Kassiererin des Kinos in ihrem Glaskasten.

Eine falsche Rothaarige in einem dreiviertellangen Mantel, eine Pelzimitation aus klatschmohnrotem Acryl, mit knallrotem Lippenstift, zu viel Schwarz um die Augen und Stiefeln mit sehr hohen Absätzen aus schwarzem Plastik, kam aus dem Vorführraum und verließ das Kino. Sie hatte eine rote Umhängetasche, die Hände in die Taschen gesteckt und eine griesgrämige und berechnende Miene aufgesetzt. Dubofsky folgte ihr im Abstand von zwanzig Metern und warf einen flüchtigen Blick in Richtung Pub.

Als das Mädchen und der Mann sich vom Kino entfernt hatten und im Begriff waren, um eine Straßenecke zu biegen, ließ Terrier die Kupplung kommen, holte sie ein und fuhr an ihnen vorbei. Kurz bevor die Rothaarige die Kreuzung erreichte, bog er ab, fuhr sofort an den Gehsteig heran und stoppte. Die Rothaarige war um die Ecke geschwenkt, sie ging mit gesenktem Kopf an ihm vorbei. Bei laufendem Motor öffnete Terrier die linke Tür und stieg, die Ortgies in der Hand, auf den Gehsteig aus. Fast wäre Dubofsky mit ihm zusammengeprallt. Ihre Blicke begegneten sich, Dubofsky öffnete den Mund, um loszuschreien, Terrier schoss ihm sehr rasch eine Kugel in den geöffneten Mund und eine weitere in die Nasenwurzel.

Beim gedämpften Geräusch der Schüsse drehte sich die Rothaarige um, Terrier hatte sich ebenfalls umgedreht, und im selben Augenblick, als Dubofskys Schädel, aufgeplatzt, durchlöchert und in Stückchen zersprungen wie die Schale eines hartgekochten Eis, mit einem dumpfen Geräusch auf den Gehsteig schlug, standen sie sich Auge in Auge gegenüber. Und Terrier trat zwei Schritte nach vorn und streckte den Arm aus und presste den Schalldämpfer auf das Herz des Mädchens und drückte einmal auf den Abzug, die Rothaarige machte einen Satz nach hinten, ihre Gedärme entleerten sich geräuschvoll, und sie fiel tot auf den Rücken. Terrier stieg wieder in den Bedford und fuhr davon.

Er bog abermals nach links und raste Richtung Westen, durch eine große, absolut ausgestorbene Geschäftsstraße, in der der heftige Wind verschmutzte Zeitungsblätter vor sich herjagte. Hinter den dunklen Scheiben befanden sich Hunderte leerer Anzüge, Tausende leerer Schuhe, Tausende viereckiger Pappschildchen, auf denen Preise in Pfund oder manchmal in Guineen standen.

Bald kam der Bedford auf die Autobahn. Gegen Mitternacht fuhr er an Oxford vorbei. Später erreichte er London.

Terrier war im Hotel Cavendish abgestiegen. Er stellte den kleinen Kastenwagen auf dem hoteleigenen Parkplatz ab, ging auf sein Zimmer und zog sich dort aus der automatischen Getränkebar eine kleine Flasche spanischen Sekt. Er trank ein Glas, schüttete dann den Rest des Schaumweins ins Waschbecken und warf die Flasche in eine Zimmerecke. Er öffnete eine Dose Watney’s und schlürfte das Strong Ale mit aufrechtem Oberkörper auf dem Bett ausgestreckt, wobei er zwei oder drei Zigaretten rauchte. Er war fast vollkommen reglos und schien gar nicht müde zu sein. Anschließend stand er wieder auf, baute seine Waffe auseinander, reinigte sie gewissenhaft und verstaute sie in einer Pappschachtel. Er rauchte noch eine Zigarette, zog dann seinen Pyjama an, legte sich hin und schaltete das Licht aus.

2

Pünktlich um 8 Uhr 30 brachte eine Jamaikanerin Terrier das Frühstück. Der Mann aß schnell. Er sah ein wenig abgespannt aus, hatte leichte Ringe unter den Augen, und die Lidränder waren gerötet. Er stellte das Tablett im Flur ab. Er wusch sich und zog sich an. Er hatte sich gerade eine marineblaue Trikotkrawatte über einem hellblauen Hemd umgebunden, als elf schnelle und noch drei weitere Klopfzeichen gegen die Tür gepocht wurden. Terrier streifte das Jackett seines grauen Anzugs über und machte auf. Ein junger Typ trat ein, blond und fett, mit Backenbart und mit demselben Wappen auf seinem grünen Blazer und der gleichfarbigen Krawatte.

«Wussten Sie, wer dieses Mädchen war?» fragte er, nachdem er die Tür geschlossen hatte.

Terrier zuckte mit den Schultern. Der junge Typ roch nach Aftershavelotion. Er hatte große graue Augen. Er lächelte leicht.

«Das ist noch besser», sagte er. «Die Polizei verhört die Ehefrau. Haben Sie die Waffe?»

Mit einer Kopfbewegung wies Terrier ihn auf den Pappkarton hin. Der junge blonde Typ mit Backenbart klemmte ihn unter den Arm.

«Auf Wiedersehen», sagte er.

«Vielleicht.»

Der Blonde lächelte. Er ging hinaus und schloss die Tür vollkommen geräuschlos. Terrier zuckte noch einmal mit den Schultern. In einem Aschenbecher, den eine Werbung für irgend etwas namens Younger’s Tartan zierte, wahrscheinlich eine Biersorte, verbrannte er eine Fotografie von Dubofsky, die man ihm gegeben hatte. Die Asche warf er in die Toilette, dann brachte er sein Gepäck nach unten, um es bei der Aufbewahrung des Hotels abzugeben. Er bezahlte seine Rechnung, holte den kleinen Bedford-Kastenwagen vom Parkplatz und lieferte ihn wieder bei der Garage in Camden, im Norden Greater Londons, ab, wo er ihn angemietet hatte. Es war kalt und trocken. Und noch immer windig. Terrier kehrte mit dem Bus ins Zentrum, in die Ecke von Soho, zurück. Er machte ein paar Besorgungen, ging spazieren. Greek Street war voller Chinesen. In einem verstaubten Laden bot ein Greis Terrier eine Raubkopie einer Platte der Callas an, doch die besaß Terrier bereits.

Zwischen 15 und 16 Uhr kehrte er zu Fuß zum Cavendish Hotel zurück und holte sein Gepäck ab. Ein Taxi brachte ihn zum Flughafen. Zahlreiche Polizisten und Militärs standen an den Zugängen und kontrollierten Fahrzeuge und Personen wegen eines neuen Ausbruchs des irisch-nationalistischen Terrorismus.

Das Flugzeug hob mit zwanzig Minuten Verspätung ab und landete am frühen Abend in Roissy-Charles-de-Gaulle. Gegen 21 Uhr dreißig setzte ein französisches Taxi Terrier unten an seinem Haus am Boulevard Lefebvre ab, genau gegenüber vom Messegelände und unweit der Porte de Versailles.

Terrier ging zu Fuß hoch. Es gab keinen Aufzug. Die Wohnung des Mannes war ein Mansardenappartement direkt unterm Dach im sechsten Stock. Drinnen läutete das Telefon, als Terrier seinen Treppenabsatz erreichte. Als Terrier aufsperrte und hineinging, hörte der Apparat auf zu läuten. Der Mann machte die Tür hinter sich zu, schaltete das Licht ein und blieb einen Moment regungslos stehen, seine Reisetasche neben sich abgestellt.

Der einzige Raum war von einer Kochnische und einem kleinen Waschraum mit Dusche flankiert und nur dürftig möbliert. Ein weißes Bett, ein beigefarbener Langflorteppich, zwei Sessel aus weißem Plastik und ein Couchtisch, das war so gut wie alles. Von der Decke hing eine große kugelförmige Papierlampe, und statt einer Nachttischlampe befand sich neben dem Bett ein Spot aus schwarzem Blech, der mit einem Kreuzhaken an der Wand befestigt war. An der hinteren Wand waren Taschenbücher und Schallplatten am Boden aufeinandergestapelt. Ein bärtiger Schwarzer in tabakbraunem Anzug und kanariengelbem Rollkragenhemd saß in einem der weißen Sessel.

«Ich bin’s», sagte er.

«Du hast mich erschreckt», erwiderte Terrier.

«Entschuldige.»

Terrier nahm seine Tasche und ging weiter in den Raum.

«Wie bist du reingekommen?»

«Machst du Witze, Christian?» fragte der Schwarze.

Terrier stellte die Tasche unter einem Fenster ab. Er ging zur Kochnische, gab einige Eiswürfel in ein bauchiges Glas, auf die er Wodka mit ein paar Spritzer Zitronensaft goss. Sich selbst schenkte er ein zu kaltes Mutzig-Bier ein. Er kehrte in den Wohnraum zurück, reichte dem Schwarzen das Glas Wodka, der sitzen blieb, die Beine ausgestreckt hatte, und der schwarze Baumwollstrümpfe und Schuhe aus sehr weichem Saffianleder trug. Die beiden Männer stießen an.

«Ja?» fragte Terrier.

«Es gehen Gerüchte um. Ziehst du dich zurück, Christian?» fragte der Schwarze Martin Terrier.

«Wer sagt das?»

«Monsieur Cox.»

«Das hat er dir gesagt?»

«Er hat es jemand anderem gesagt. Es stört ihn enorm.»

«Hat er dich etwa geschickt?»

Der Schwarze schüttelte ohne ein Lächeln den Kopf.

«Cox ist ein Verrückter, eine Jammergestalt und ein Arschloch», bemerkte er. «Ich bin hergekommen, um auf dich zu warten, weil ich sicher sein wollte, dass niemand auf dich wartet.»

«Warum?»

«Weil ich dich angeworben hab», sagte der Schwarze.

«Na und?»

Der Schwarze schüttelte mit abwesender Miene den Kopf.

«Es gibt Typen, die in Asien Widerstandsbewegungen aufgebaut haben. Als sich die internationale Lage geändert hat, mussten sie alles hinschmeißen. Manche haben das schlecht verkraftet. Manche gehen noch immer zur Psychoanalyse. Manche sind Buddhisten geworden. Kannst du dir das vorstellen? So weit ging das.» (Er trank einen Schluck Wodka-Zitrone.) «Ich bin noch lang nicht so weit. Trotzdem, ich hab dich angeworben.»

Das Telefon läutete. Terrier hob ab. Am anderen Ende der Leitung war Monsieur Cox.

«Ich bin gerade nach Hause gekommen», sagte Terrier. «Es lief gut.»

«Ja. Diesmal händige ich Ihnen das Geld persönlich aus.»

«Gut», erwiderte Terrier. (Er hatte die Stirn leicht gerunzelt.)

«Rue de Varenne», sagte Monsieur Cox. «Morgen früh, neun Uhr.»

«Gut», erwiderte Terrier nochmals.

Er legte auf und warf dem Schwarzen einen Blick zu, der beide Zeigefinger auf seine Nasenflügel gepresst hatte und in seinem Sessel leicht hin und her schaukelte. Terrier hob erneut ab, führte den Hörer aber nicht ans Ohr.

«Wir sehen uns.»

Der Schwarze seufzte, hob seinen schwarzen Mantel vom Boden auf und ging zur Tür.

«Cox wird erst mal versuchen, dich zu überreden», sagte er im Gehen. «Brich nicht alle Brücken ab. Falls es große Probleme gibt, weißt du ja, wo du mich finden kannst.»

«Ja.»

«Ich bleib nicht zum Abendessen», erklärte der Schwarze, während er die Tür öffnete. «Du sagst mir nicht, was du denkst. Du traust mir nicht. Ich bin gekränkt, Christian.»

«Salut», meinte Martin Terrier, und der Schwarze ging hinaus und zog die Tür hinter sich zu, und Terrier wählte eine Nummer, während er hörte, wie die Schritte des Schwarzen im Treppenhaus leiser wurden, und am anderen Ende der Leitung hörte er die Rufzeichen; es waren einige, bevor Alex abhob.

«Ah! Du bist wieder da!» rief sie mit freudiger und abgehetzter Stimme aus. «Ich hab befürchtet, du würdest erst morgen heimkommen. Ich war übrigens schon auf der Treppe, ich wollte ins Kino. Treffen wir uns dort?»

«Nein. Ich hab noch nicht zu Abend gegessen. Komm nach dem Kino.»

«Du bist verrückt! Ich komm sofort!»

«Nein», sagte Terrier nochmals. «Ich muss mit jemandem zu Abend essen.»

«Mit einer Dame oder einem Herrn?»

«Einem Typ. Komm gegen halb eins.»

«Ah.» (In Alex’ Stimme lag Enttäuschung.) «Soll ich Soudan mitbringen?» fragte sie.

«Ja bitte.»

«Ich liebe dich. Du hast mir gefehlt.

«Ja. Ich dich auch. Bis nachher.»

Sie legten auf. Mit gerunzelter Stirn trank Terrier im Stehen langsam sein Bier. Dann ging er mit schnellem Schritt zur Kochnische, stellte sein Glas in die Spüle und öffnete einen Schrank, der etwas Geschirr und ein Holzkästchen enthielt. Er nahm das Kästchen heraus, das eine Halbautomatik von Heckler&Koch, eine HK4 mit Wechselläufen, enthielt. Er prüfte, ob die verschiedenen Teile der Waffe sauber waren und bestückte sie mit einem Lauf im Kaliber .32 ACP und dem entsprechenden Magazin. Er ging zum Bett, um die Pistole unter sein Kopfkissen zu stecken, und kehrte dann zur Kochnische zurück, wo er ein weiteres Bier trank und im Stehen eine Dose Würstchen mit Linsen und ein Stück Gruyère aß.

Als Alex mit ihrem Schlüssel hereinkam, hatte Terrier längst alles weggeräumt. Er saß in einem Sessel, las einen Science-Fiction-Roman und hörte aus einem kleinen Empfänger RTL.

Alex war eine Brünette von siebenundzwanzig Jahren mit kurzen Haaren, frappierend blauen Augen, hohen Wangenknochen und einer schön geschnittenen Halsund Kieferpartie. Sie war groß mit langen Schenkeln und mit Brüsten, die fast so fest wie ihre Schenkel waren, und sie war gegenwärtig mit einem hellgrauen dreiteiligen Hosenanzug und einer weißen Bluse bekleidet. Sie hatte eine weiße Ledertasche um die Schulter gehängt und in der Hand einen rechteckigen Weidenkorb mit Deckel. Soudan miaute in dem Korb. Alex küsste Terrier, der ihren Kuss erwiderte.

«War dein Film gut?»

«Nur Scheiße. Ich bin vor dem Schluss rausgegangen und hab noch ein Gläschen getrunken, ehe ich herkam. War dein Abendessen gut?»

Terrier zuckte mit den Schultern. Er griff nach dem Korb, stellte ihn auf den Boden und öffnete ihn. Soudan bekam festen Boden unter die Füße und begann, schnuppernd und mit einem frostigen Blick auf alles durch das Studio zu wandern. Schließlich ging er in die Kochnische und begann aus dem Napf zu fressen, den Terrier für ihn gefüllt hatte. Unterdessen hatte sich Alex dem Couchtisch genähert, auf dem die Geschenkpäckchen lagen.

«Du bist lieb», sagte sie.

«Das sind Abschiedsgeschenke», sagte Terrier.

«Wie bitte?»

«Das hat nichts mit dir zu tun. Das hat nichts mit irgendwas zu tun. Ich hab dir gesagt, dass ich eines Tages plötzlich weggehen müsste, und zwar allein. Du erinnerst dich. Na ja, jetzt ist es so weit.»

Alex schob die Geschenke mit ruhiger und nachdenklicher Miene ans Tischende zurück. Sie brauchte drei Streichhölzer, bis ihre Benson&Hedges brannte.

«Hast du was Besseres gefunden?» fragte sie.

«Überhaupt nicht», sagte Terrier. «Überhaupt nicht. Es gibt keine andere Frau.»

Alex stieß einen obszönen Fluch zwischen den Zähnen hervor. Terrier sah sie schweigend an und ging dann zur Kochnische, um ein Glas Wodka einzuschenken. Als er zurückkam, war Alex über die an der Wand gestapelten Bücher gebeugt und stopfte sich einige Bände unter den Arm.

«Das da gehört mir», sagte sie. «Und das. Und das. Und das.» (Sie drehte sich um, ohne sich aufzurichten, und zwinkerte Terrier zu.) «Okay», sagte sie. «Wie abgemacht. Keine Fragen. Kein Theater. Okay.»

«Gut», pflichtete Terrier bei. «Du kannst alle Schmöker behalten, ich nehme sie nicht mit.»

Er ging zum Radio und schaltete es aus. Mit den Büchern im Arm kehrte Alex leicht strauchelnd zum Couchtisch zurück. Als sie ihr Glas leerte, stieß sie mit dem Rand gegen die Zähne. Die Eiswürfel klirrten. In ihrer Hast hatte sie sich die Oberlippe und die untere Nasenspitze nass gemacht.

«Ich ruf dir ein Taxi», sagte Terrier. «Vergiss deine Geschenke nicht.»

Alex brach in lautes Gelächter aus. Sie ließ das Glas fallen, das auf dem Teppichboden nicht zerbrach, stürzte zur Kochnische, wühlte in einer Schublade und kam mit einem Tranchiermesser wieder. Die Faust gegen den Bauch gedrückt, hielt sie die Klinge gerade und drohend vor sich. Ihre Zähne waren entblößt, und ihr Make-up löste sich auf.

«Hör auf damit», keuchte Terrier, ohne sich zu rühren.

«Mieses Arschloch.»

Sie trat einen Schritt vor. Terrier verlagerte sein Gewicht auf sein linkes Bein und legte, den Arm leicht angewinkelt, die ausgestreckten Finger seiner rechten Hand aneinander. Doch die junge Frau schüttelte heftig den Kopf und begnügte sich damit, das Messer in Richtung Fenster zu werfen. Es knallte gegen die Scheibe und fiel zu Boden. Alex schüttelte nochmals den Kopf.

«Nimmst du Soudan mit in dein neues Leben?»

«Ja.»

«Das wird ihm nicht gefallen.»

«Aber sicher.»

«Christian», sagte Alex, «lass mir diese arme Katze. Zur Erinnerung. Bitte.» (Jetzt liefen ihr die Tränen über das Gesicht, doch sie schien es nicht zu merken, sie lächelte.)

«Du redest dummes Zeug.»

Alex nickte. Terrier hob den Hörer ab und rief ein Taxi. Sie mussten fünf Minuten warten. Er blieb stehen. Alex sammelte ihre Sachen und die Geschenke ein.

«Soudan wird nicht glücklich mit dir sein», versicherte sie. «Du bist ein Gestörter. Bei dir im Kopf ist irgendwas verkrüppelt. Ich hab’s versucht. Herrgott noch mal! Ich hab’s versucht.»

Sie sagte nicht, was sie versucht hatte. Als sie im Hinausgehen an Terrier vorbeikam, stellte sie sich noch auf die Zehenspitzen und spuckte ihm ungeschickt ins Gesicht.

3

Das Appartement in der Rue de Varenne war eine Maisonettewohnung und befand sich auf der Rückseite eines ehemaligen herrschaftlichen Stadtpalais, in einem gepflasterten Innenhof über den zu Privatgaragen umgebauten Stallungen. Im Hof, über der Klingel, war auf einer umrandeten Visitenkarte der Name Lionel Perdrix* zu lesen. Ein paar Sekunden vor neun drückte Terrier siebenmal kurz auf die Klingel, stieß das Türchen auf und stieg die Stufen der Außentreppe hoch. Der fernbediente Öffner der weiß lackierten Eingangstür summte und klickte, Terrier stieß den Flügel auf, machte ihn hinter sich wieder zu und stieg einen weiteren, mit grauem Teppichboden belegten Treppenlauf hoch. Er gelangte in die weiträumige, grau und weiß gehaltene Maisonettewohnung, die neben sehr modernen Möbeln mit Pop-Art-, Op-Art- und kinetischen Kunstwerken übersät war.

Monsieur Cox saß auf dem Rand eines gigantischen weißen Ledersofas, den Rücken einer fensterlosen Wand zugewandt, eine Galerie mit verschalter Decke über seinem Kopf. Ein kleiner Typ mit schwarzen Augen, die Hände in den Taschen eines grauen Mantels, lehnte mit dem Bauch am Geländer der Galerie und ließ Terrier nicht aus den Augen.

Über den weiß lackierten Couchtisch gebeugt, der einem Lattenrost ähnelte, aß Monsieur Cox einen üppigen Brunch, bestehend aus Eiern, Bacon, gegrillter Wurst, kleinen bauchigen Crêpes mit Ahornsirup und schwarzem Kaffee.

«Heute morgen hatte ich keine Zeit fürs Frühstück», bemerkte er, während Terrier näherkam. «Auch nicht viel Zeit zum Schlafen, übrigens. Ich musste Ihren Fall besprechen, Christian.»

Er tupfte seine vom Sirup ganz klebrigen Lippen mit einem Papiertaschentuch ab und schaute Terrier mit bedauernder Miene an. Er war groß und fleischig, hatte ein breites rosafarbenes Gesicht, eine kleine Nase und einen kleinen Schmollmund. Sein kurzes flachsblondes Haar war tadellos geschnitten. Er hatte seinen Kamelhaarmantel nicht abgelegt. Ein gelb-blauer Schal mit Schottenmuster lag zerknüllt neben ihm auf dem Sofa. Terrier knöpfte seinen braunen Ledermantel auf, zog ihn aber nicht aus und setzte sich Cox gegenüber in einen riesigen zum Kanapee passenden Sessel.

«Er ist bewaffnet», bemerkte der kleine Typ auf der Galerie, ohne den Blick von Terrier zu wenden.

Monsieur Cox bedachte Terrier mit einer freundlichen Grimasse.

«Warum haben Sie das Mädchen auch umgebracht?» fragte er.

«Stellt das ein Problem dar?»

«Überhaupt nicht. Es war seine Geliebte. Unwichtig.

Ich frag nur so. Sie haben noch nie jemand anderen als Ihre Zielpersonen getötet.»

«Ich hatte es eilig.»

«Ich verstehe», sagte Monsieur Cox. «Sie sagen das zum Scherz, aber wahrscheinlich ist das der Grund.»

«Ich scherze nicht», erwiderte Terrier.

Monsieur Cox verschlang ein von geschmolzener Butter und Sirup triefendes Stück Crêpe, schüttelte dann den Kopf mit gesenkten Lidern. Er beugte sich seufzend und kauend vor und öffnete eine zu Füßen des Kanapees stehende Aktentasche. Ohne Eile zog er daraus ein braunes Päckchen hervor, das einem etwa fünfhundert Blatt dicken Papierstoß glich, und schob es Terrier über den Tisch zu. Dieser wog das Päckchen in der Hand ab. Er schaute Monsieur Cox an.

«Es ist ein Bonus dabei», sagte Monsieur Cox. (An solchen sprachlichen Details konnte man erkennen, dass Französisch nicht seine Muttersprache war. Ansonsten hatte er keinen Akzent.)

«Danke.»

«Es geht das Gerücht um, dass Sie sich zurückziehen, Christian.»

«Das Gerücht geht um? Das würde mich wundern.»

«Sie haben Ihren Wagen verkauft, Sie haben sich einen anderen gekauft, Sie haben Ihre Wohnung gekündigt. Und noch diverse andere Dinge.»

«Gut», meinte Martin Terrier. «Ich ziehe mich zurück.»

«Es sieht nicht so aus, als würden Sie für andere arbeiten. Sie ziehen sich einfach zurück. Das versteh ich sehr gut. Dennoch hätten Sie mit mir darüber reden sollen. Sie können nicht einfach ohne Vorankündigung verschwinden.»

«Trotzdem werde ich genau das tun.»

«Damit sind wir nicht einverstanden», bemerkte Monsieur Cox. «Natürlich können wir Sie nicht zwingen, nicht bei der Art von Arbeit, die Sie machen.»

«Genau das hab ich mir gedacht.» (Terrier lächelte.)

«Die Firma hat ein sehr wichtiges Projekt in Vorbereitung», sagte Monsieur Cox. «Ein einziges, was Sie betrifft. Anschließend können Sie sich zurückziehen. Ich wage zu behaupten, dass wir Ihnen das Leben leichter machen werden. Sie wissen, dass wir es Ihnen leichter machen können. Andererseits können wir Ihnen viele Schwierigkeiten machen.»

«Ich rate Ihnen davon ab, versuchen Sie nicht, mir auf den Wecker zu fallen». (Terrier lächelte erneut.)

«Bei dem Projekt, das wir vorhaben, können Sie Ihren Preis bestimmen. Sollen wir einhundertfünfzigtausend französische Franc sagen?»

Terrier schüttelte den Kopf.

«Zweihunderttausend», sagte Monsieur Cox.

Terrier erhob sich, das braune Päckchen unterm Arm.

«Tut mir leid. Zu keinem Preis. Ich werde jetzt gehen.»

Mit recht lässigem Schritt wich er bis zur Treppe zurück, das Päckchen unter seinem linken Arm, den rechten halb angewinkelt. Seine blauen Augen wanderten zwischen Monsieur Cox und dem kleinen Typ auf der Galerie hin und her.

«Schade», sagte Monsieur Cox. «Gute Fahrt. Falls Sie wieder Kontakt mit mir aufnehmen möchten, geben Sie eine Kleinannonce in Le Monde unter der Rubrik ‹Terminkalender der Monde› auf. Versuchen Sie nie, auf anderen Wegen Kontakt aufzunehmen.»

«Adieu», sagte Terrier.

Er stieg hinunter, ging hinaus, überquerte den Hof, ging durch einen überdachten Durchgang und dann durch den Portalvorbau. Er wandte sich zur Seine, rief nach einem vorbeifahrenden Mercedes-Taxi, ließ sich zur Station Barbès-Rochechouart bringen, nahm die Métro, stieg zwei- oder dreimal um und gelangte an der Station Notre-Dame-de-Lorette wieder an die frische Luft. Er hatte sich mit seinem Finanzberater für 11 Uhr verabredet, war aber zu früh dran und wartete am Tresen eines Cafés vor einem nach Leder schmeckenden Espresso.