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Eine Nacht in Las Vegas verändert alles … Nora weiß, was sie will: Seit ihrer Kindheit träumt sie davon, Sportagentin zu werden und hat ihr Ziel stets hartnäckig verfolgt. In ihrer Collegezeit beendete sie damals sogar ihre Beziehung mit Derek! Dass ihr erster eigener Klient als Sportagentin also ausgerechnet der inzwischen erfolgreiche Footballstar Derek sein würde, ist alles andere als ideal. Denn Derek will mit ihr nichts mehr zu tun haben und macht Nora mit zahlreichen abstrusen Regeln fortan das Leben zur Hölle. Doch Nora beißt sich durch und begleitet Derek sogar zu einem Werbeshoot in Las Vegas. Als sie dort nach einer ausgelassenen Nacht neben Derek mit Filmriss und einem Ring am Finger aufwacht, steht ihre Welt plötzlich Kopf. Und um keinen Skandal auszulösen, müssen sie jetzt doch zusammenarbeiten … - »Eine witzige und knisternde Sports Romance, die man unbedingt lesen muss!« Hannah Grace - »Hinreißend, süß und sexy!« Elena Armas - »Die sportlichste Second-Chance-Romance deiner Träume!« Tessa Bailey
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Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Mrugalla
© Sarah Adams 2024
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
»The Rule Book«, Dell Books, ein Imprint der Verlagsgruppe Random House LLC, New York 2024.
All rights reserved.
© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2024
Redaktion: Isabell Spanier
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Covergestaltung: FAVORITBUERO, München, nach einem Entwurf von Sandra Chiu
Covermotiv: Sandra Chiu und Shutterstock.com
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Cover & Impressum
Widmung
SENSIBILITÄTSHINWEIS
1
Nora
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Derek
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Nora
Epilog
Nora
Die Regeln
Danksagung
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Dieses Buch ist meinen Mädchen gewidmet:
Träumt stets von noch größeren Zielen.
Greift nach den Sternen.
Gebt euch ja nie mit dem Erreichten zufrieden.
NICHT LESEN, WENN IHR SPOILER VERMEIDEN MÖCHTET.
Liebe Leserinnen und Leser,
danke, dass ihr Zeit mit Derek und Nora verbringen wollt. Obwohl dieses Buch wie eine leichte und witzige Lektüre geschrieben ist, möchte ich euch darauf hinweisen, dass auch schwierigere Themen behandelt werden, wie beispielsweise Legasthenie und elterliche Vernachlässigung. Außerdem enthält die Geschichte sexuelle Sprache und Szenen. Wenn ihr den Roman lieber ganz closed door bevorzugt, überspringt bitte Kapitel 34.
Manchmal ist das Leben wie eine Schachtel Pralinen, und manchmal ist das Leben wie eine Schachtel Pralinen, die den ganzen Tag in der Sonne gelegen ist.
Heute ist, wie sich herausstellt, einer von diesen enttäuschenden Tagen, die wie geschmolzene Schokolade sind. Nicht nur bin ich auf dem Weg zur Arbeit mit meinen Lieblingsschuhen in Kaugummi getreten, auch beim Blick in meine E-Mails stieß ich auf eine wunderbar verstörende Information.
»Klopf, Klopf«, sage ich zu meiner Chefin Nicole Hart, als ich zögerlich ihr Büro betrete, um über besagte E-Mail zu reden.
Ehrlich gesagt, betrete ich ihr Büro immer etwas zögerlich, denn diese Frau, uff – sie hat eine Power, die man niemals unterschätzen sollte. Es hat seinen Grund, weshalb sie Geschäftsführerin der Agentur ist. Sie ist nett zu mir (auf ihre eigene Art und Weise), aber sie ist wie ein Tornado aus Selbstbewusstsein. Man braucht einen Helm und einen sicheren Ort, an dem man sich verkriechen kann, wenn sie ihre Aufmerksamkeit auf einen richtet.
So wie jetzt, wenn sie in makellosem grauen Nadelstreifenrock und Seidenbluse an ihrem Schreibtisch sitzt – die vollen Lippen perfekt geschminkt, das blonde Haar zu einem glatten, kecken Pferdeschwanz zusammengebunden, der in einer magischen Welle ausläuft. Aber all diese Attribute, die sich auf das Äußere beziehen, führen einen nur in die Irre. Was sie in Wahrheit ausmacht, erkennt man in ihren Augen. Sie spiegeln eine Wachsamkeit, eine raubtierhafte Wildheit, bei der einem das Blut in den Adern gefriert. Ihr scharfer Verstand hat sie zu einer Spitzenagentin in unserer Branche gemacht, die Wahnsinnsverträge für Klienten wie Nathan Donelson abschließt, den berühmten Quarterback der NFL-Mannschaft unserer Stadt, den Sharks. Diese Frau ist unglaublich effizient und geht völlig in ihrer Arbeit auf. Sie ist eine Inspiration.
»Du willst hoffentlich nur wissen, ob du reinkommen kannst, und das ist nicht der Anfang von einem Witz.«
»Das könnte ich jetzt sagen, aber dann würde ich lügen.«
Sie sieht mich an, und ich lächle. Sie hat lange genug mit mir zusammengearbeitet, um zu wissen, dass sie mich erst loswird, wenn wir das hinter uns gebracht haben.
»Wer ist dort?«, fragt sie in einem Ton, als wäre sie gerade mitten in einer Wurzelbehandlung.
»Gnu.«
»Gnu wer?«
»Gnug gelächelt heute?« Ich schenke ihr eins, während ich ins Zimmer trete.
Sie blickt von ihrer Tastatur auf – an der sie in perfekt gerader Haltung sitzt – und lässt den Blick von meinen rötlich braunen Haaren bis zu meinen gelben Sneakers wandern und dann wieder hinauf zu meinem Gesicht. Nicole entgeht nichts. Sie ist eine Attentäterin, die gerade die Schwachstelle ihres Opfer herausgefunden hat. Himmel, wäre ich gerne sie.
Sie wischt meinen großartigen Witz beiseite. »Wie viele Paare besitzt du von diesen Schuhen?« Gemeint sind meine hellgelben Sneakers.
»Vier. Heute Morgen hatte ich meine roten an, aber ich bin in Kaugummi getreten und musste dann diese hier anziehen.« Stolz hebe ich den Fuß und wackle damit hin und her. »Rochen köstlich, haben beim Gehen aber ekelhaft gequietscht.«
»Ich nehme an, Marty hatte etwas dazu zu sagen, als er die hier gesehen hat. Muss ich ihn mir vorknöpfen?« Ihre Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf ihr Keyboard, aber sie kann auch reden, während ihre Finger über die Tasten fliegen. Die Sache ist die: Nicole bellt nicht nur, sie beißt auch. Aber sie beißt nur die, die ihre Leute bedrohen. Und obwohl sie gerne so tut, als würde ich ihr nichts bedeuten – hat sie mir doch deutlich zu verstehen gegeben, dass ich zu ihren Leuten gehöre.
Bei der Erwähnung des schlimmsten Manns im Büro rümpfe ich die Nase. Die Männer der Abteilung sind alle ziemlich unspektakulär, und es scheint ihnen nicht zu gefallen, dass ich Teil ihres Jungsclubs bin, egal, mit wie vielen Minipackungen Skittles ich mich im Pausenraum einzuschleimen versuche, aber Marty ist mit Abstand der schrecklichste. Männlicher Chauvinist Nummer eins.
Ich zucke mit den Schultern. »Nur, dass Gelb irgendwie noch mehr in die Augen sticht und ich mein Gehalt demnächst mal in ein professionelles Outfit investieren sollte.«
»Mit der Farbe hat er nicht unrecht«, erwidert sie und wirft mir kurz einen Blick von der Seite zu. »Aber nur mir steht es zu, deinen Stil zu kritisieren. Nicht einem Mann, der einen gut aussehenden Anzug nicht mal erkennen könnte, wenn er ihm direkt ins Gesicht springt.«
»Damit hast du natürlich völlig recht«, sage ich fröhlich. »Aber deswegen bin ich eigentlich nicht hier.«
Als ich vor zwei Jahren als Nicoles Praktikantin angefangen habe, hat sie sich sehr deutlich dazu geäußert, wie sehr ihr mein verspielter Stil missfällt. Aber inzwischen bin ich zur Junioragentin befördert worden, und ich habe mein Talent für diese Branche mehr als unter Beweis gestellt und mir so ihren Respekt verdient. Seither beschwert sie sich nicht mehr über meine Kleidung. Stattdessen staucht sie jeden Kritiker stellvertretend für mich zusammen, weil es mir selbst schwerfällt, Leuten Gemeinheiten um die Ohren zu hauen.
Heute trage ich einen taillierten, dreiviertellangen Blazer in gelb-weißem Fischgrätmuster zu einem hellblauen Faltenrock und dazu, um das Outfit komplett zu machen, ein Rolling-Stones-T-Shirt. Und obwohl sie es, wie ich weiß, scheußlich findet, sagt sie nichts. Irgendwie vermisse ich die Zeiten, als sie Sachen sagte wie: Du siehst aus wie eine Bibliothekarin beim Versuch, cool zu wirken. Die schlagfertige Nicole zu erleben ist immer ein Vergnügen.
»Lass es mich wissen, falls Marty noch mal etwas über deine Garderobe sagt. Ich werde ihm diese gelben Schuhe mit Vergnügen in den Hintern schieben.«
»Und deshalb fürchte ich dich genauso, wie ich dich bewundere, meine großartige Arbeitsplatz-Gladiatorin. Allerdings halte ich meine Schuhe lieber fern von Martys niederen Regionen. Übrigens bin ich eigentlich hier, um über eine E-Mail zu reden, die ich gerade bekommen habe.«
Nicole hört endlich auf zu tippen und dreht ihren Stuhl mit einem langen, leidenden Seufzer in meine Richtung. Sie legt ein schlankes (gewachstes … das weiß ich, weil ich als Praktikantin diese Termine für sie ausgemacht habe) Bein über das andere, stützt den Ellbogen auf den Schreibtisch und das Kinn auf die Handfläche.
»Ich glaube, das könnte ein Fehler sein«, fahre ich fort und verlagere das Gewicht von einem meiner kleinen Fußumarmer (so nenne ich meine Traumschuhe) auf den anderen, während sie mich aus zusammengekniffenen Augen ansieht.
»Hör auf, dich kleinzumachen, Mac. Du bist bereit für diesen Schritt. Du hast hart gearbeitet, um so weit zu kommen, und du hast diese Beförderung verdient«, erwidert sie energisch.
Sie hat recht. Ich habe für meinen Job hart gearbeitet, und ohne mich zu sehr selbst loben zu wollen, habe ich doch das Gefühl, dass mir diese Beförderung zusteht. Tatsächlich war es schon als Kind mein Traum, seit ich meinen Dad am Wochenende besucht habe und mit ihm auf der Couch gesessen bin und alles an Sport gesehen habe, was damals im Fernsehen kam. Während jener wenigen Stunden ließ er mich an seinem Leben teilhaben, und ich habe mich ihm nahe gefühlt. Meine Beziehung zu meinem Dad hat nicht gehalten, aber mein Traum, Sportagentin zu werden, hat Highschool, College, Praktika nach meinem Uni-Abschluss und in letzter Zeit auch meine Arbeit als Juniorpartnerin für Nicole überdauert.
Nein, die Beförderung zur gleichberechtigten Agentin ohne Stützräder ist nicht das Problem.
Das Problem ist, dass sie mir Derek Pender zugeteilt hat, Tight End der L. A. Sharks.
»Ich zweifle nicht an mir«, widerspreche ich. »Ich halte es eher für völlig unmöglich. Ich könnte die Königin der Selbstzweifler sein. Glaubst du wirklich, dass Mr Pender und ich gut zusammenpassen?«
Ich frage nicht, was ich wirklich wissen will. Denn ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich mit der Wahrheit herausrücken oder das Ganze lieber für mich behalten sollte. Wenn Nicole mir eins beigebracht hat, dann dass es in dieser Branche vor allem darum geht, seine Karten richtig auszuspielen – und das Wichtigste ist, seine Trümpfe nicht zu früh zu zeigen.
Aber Nicole spürt, dass ich nicht die ganze Wahrheit sage, und klopft mit ihren roten Fingernägeln auf den Schreibtisch. »Du vibrierst quasi vor Nervosität – wie lautet die eigentliche Frage, die du mir nicht stellst?«
»Ich mache mir nur Sorgen, dass man Derek gesagt hat, das Treffen wäre mit Mac und nicht mit Nora Mackenzie, und jetzt erwartet er jemand völlig anderen.« Das ist die Wahrheit. Nur nicht die ganze. Ich halte meine Karten noch ein bisschen enger an die Brust gedrückt.
»Du willst sichergehen, dass er nicht mit einem Mann rechnet?«
Nicht ganz. Obwohl, das auch. Alle im Büro nennen mich Mac, wegen meines Nachnamens. Ich mag es nicht sonderlich, aber ich habe gelernt, es zu tolerieren, denn in unserer Branche reagieren Menschen – so traurig das auch ist – eher mit einer positiven Rückmeldung auf E-Mails, wenn sie fälschlicherweise glauben, der Absender sei ein Mann. In der Welt des Sports finden sich die frauenfeindlichsten Männer (ähem, Marty), und Frauen arbeiten doppelt so hart, um sich denselben Respekt wie die Männer zu erkämpfen. Eine vertrackte Situation.
»Vermutlich wollte ich vor allem wissen, was genau du Derek … ähm, Mr Pender, über mich erzählt hast. Es … es kommt mir einfach unwirklich vor, dass er dazu bereit ist, mit einer ganz neuen Agentin einen Vertrag abzuschließen, und ich wollte sichergehen, dass er sich ein vollständiges Bild machen konnte.«
Sie wischt meine Bedenken beiseite. »Keine Sorge. Ich habe die richtigen Pronomen benutzt und ihn wissen lassen, dass du neu bist, ich aber diejenige bin, die dich ausgebildet hat, er also sicher sein kann, dass du von der Besten gelernt hast« – so viel Selbstsicherheit –, »und wenn er klug wäre, würde er sich dich schnappen, bevor du Gelegenheit hast, die Karriere eines anderen in ungeahnte Höhen zu katapultieren.«
Mein Herz zittert vor Entzücken. Hat sie das wirklich alles gesagt? Meint sie es auch so? Nicole macht einem nicht leichtfertig Komplimente, deshalb hatte ich keine Ahnung, dass sie so über mich denkt.
»Wow … danke.« Ich versuche, mir meine Gefühle nicht allzu sehr anmerken zu lassen, aber es gelingt mir nicht ganz. Ich presse die Lippen aufeinander, und sie weiß, wieso.
Angeekelt rümpft sie die Nase. »Weinst du etwa gleich?«
Ich presse die Lippen fest aufeinander und schüttle den Kopf, obwohl sich in meinen Augen kleine Seen bilden. O nein, jetzt hängen sich einzelne Tropfen an meine Wimpern! Gleich wird sich einer davonstehlen!
Sie stöhnt und richtet den Blick wieder auf den Laptop. »Keine Gefühle in meinem Büro, das weißt du. Ich glaube an dich, und ich freue mich, dir zum Erfolg zu verhelfen, Mac.« Wieder tippt und redet sie gleichzeitig. Wie macht sie das bloß? »Derek Pender steht in den nächsten Monaten vor einer Reihe von Herausforderungen. Seine Karriere hängt völlig in der Luft, und eventuell kommt ein Vereinswechsel oder eine Neuaushandlung seines Vertrags auf dich zu. Außerdem musst du dir etwas gegen die negative Berichterstattung überlegen, mit der ihn die Medien garantiert fertigzumachen versuchen, sobald die Saison wieder anfängt. Traust du dir das zu?«
Wisst ihr, wenn ich mir diese ganze Situation so anschaue, würde ich am liebsten nervös losgackern, weil, nein, das traue ich mir nicht zu. Aber nicht, weil ich das Gefühl habe, mit so etwas nicht umgehen zu können. Im Gegenteil, die Vorstellung, am Anfang meiner Karriere große Hürden aus dem Weg räumen zu müssen, löst bei mir ein wohliges Gefühl im Magen aus. Vorfreude. Ich liebe Herausforderungen, und da Derek Pender – der legendärste Tight End im Profi-Football unserer Zeit – in dieser Saison nach einer schweren Knöchelverletzung zurückkehrt, die seine Karriere eigentlich hätte beenden müssen, bedeutet das die Herausforderung schlechthin.
Nein, das Problem lautet, ich kann dem Mann nicht gegenübertreten. Dem Mann, von dem ich noch immer träume, obwohl ich das nun wirklich nicht sollte.
Ich blinzle meine Tränen weg. »Danke, Nicole. Ich bin dankbar, dass ich diese Chance bekomme. Ich schulde dir unsterbliche Liebe und Freundschaft.« Es ist mir peinlich zuzugeben, wie sehr ich mir wünsche, sie wäre gern mit mir befreundet.
Doch sie sagt nur: »Spar dir bitte deine Liebe und Freundschaft. Ich tue dir keinen Gefallen; du hast dir das alles selbst erarbeitet. Weißt du, dass wir in der Geschichte dieser Firma noch nie einen Junioragenten hatten, der so viele Verträge abgeschlossen hat wie du? Und du bist definitiv die Erste, die für mich einen Spieler angesprochen und hierhergebracht hat.« Das war im Grunde reiner Zufall. Ich war im Lebensmittelladen einem bekannten College-Basketballspieler über den Weg gelaufen und hatte ihm ein Kompliment über seine supercoolen Sneakers und das phänomenale Spiel in der vergangenen Woche gemacht. Das eine führte zum anderen, und am Montag saß er in Nicoles Büro und unterschrieb einen Vertrag. Supernetter Typ. Stieß sich auf dem Weg nach draußen den Kopf am Türrahmen.
»Aber jetzt«, fährt Nicole fort, »werden wir sehen, was du wirklich draufhast, wenn du in der halsabschneiderischen Welt der Sportrepräsentation auf dich allein gestellt bist und keine Fehler machen darfst.«
Beunruhigend. Gefällt mir gar nicht.
»Okay, also kein Gefallen, aber du möchtest, dass wir beste Freundinnen werden. Verstanden.« Ich salutiere und bin sofort dankbar, dass sie auf ihren Bildschirm gestarrt und die Geste nicht mitbekommen hat, denn die würde sie nur noch mehr nerven. Und die Wahrheit lautet: Ich will wirklich, dass Nicole mich mag. Denn auch wenn ich meine Mom gern zur allerbesten Freundin habe (sie ist wirklich großartig), habe ich das Gefühl, es wird allmählich Zeit, ein paar andere Freunde zu finden.
Ich gebe zu, Freunde zu finden ist leicht. Sie zu halten hat sich allerdings als schwierig erwiesen.
Ich schleiche mich aus Nicoles Büro und schaffe es wundersamerweise den Flur entlang und zurück in mein Büro – wenn man es überhaupt als solches bezeichnen kann, eigentlich ähnelt es eher einer Besenkammer mit einem Fenster von der Größe eines Bullauges –, ohne Marty oder einem seiner Speichellecker zu begegnen. In meinem Büro schiebe ich mich wie üblich mit dem Rücken an der Wand entlang, damit ich um den Schreibtisch herum zu meinem Stuhl komme.
Wild entschlossen, die geschmolzenen Pralinen für heiße Schokolade zu verwenden und dadurch aus diesem Fiasko-Morgen noch etwas Gutes zu machen, räume ich meinen Schreibtisch auf, denn nichts hebt meine Stimmung mehr, als Dinge in Ordnung zu bringen und sie nach Farben zu sortieren. Sobald sich meine Welt dann ein bisschen verlässlicher anfühlt, öffne ich meinen Posteingang und lese noch einmal die E-Mail. Ich bin noch immer überzeugt, dass der Inhalt ein Fehler sein muss. Eine Halluzination. Ein Albtraum.
Jeden Moment werde ich, Nora Mackenzie, aufwachen, und meine roten Sneakers werden nicht mit Juicy Fruit verklebt sein, und mein großartiger Karrieredurchbruch wird nicht von ihm abhängen.
Mac,
aufregende Neuigkeiten. Nicole und ich sind sehr beeindruckt von deiner Arbeit in der letzten Zeit (besonders im Hinblick auf den Sportvertrag, den du in Nicoles Auftrag abgeschlossen hast, als sie krank war), und wir glauben, dass du mehr als bereit bist, in die Position einer gleichberechtigten Agentin aufzusteigen.
Derek Pender, Tight End der Sharks, der, wie du bestimmt weißt, bereits unser Klient ist, braucht einen neuen Agenten. Bill Hodge hat Derek während seiner sieben Jahre in der NFL vertreten. Bedauerlicherweise hat Bill ein medizinisches Problem, auf das ich hier nicht näher eingehen möchte, und hat mit sofortiger Wirkung gekündigt. Wir müssen Mr Pender so schnell wie möglich mit einem neuen Agenten zusammenbringen. Nicole kann im Moment keine weiteren Klienten annehmen, hat ihm aber versichert, dass sie Vertrauen in dich als Agentin hat. Er ist bereit, sich mit dir zu treffen, um herauszufinden, ob ihr gut zusammenpasst. Er kommt heute um 13 Uhr. Auch wenn uns all die Hürden bewusst sind, die er zu Beginn der Saison wird nehmen müssen, ist er dennoch ein großartiger erster Sportler für deine Klientenliste. Glückwunsch!
Joseph Newman,
Inhaber und Direktor
Sports Representation Inc.
Die E-Mail selbst ist nett formuliert, aufbauend und enthält all das, was ich mir immer für meine Karriere erträumt habe. Das Problem ist nur, dass Derek garantiert nicht weiß, mit wem er sich da nachher treffen soll. Hätte er es gewusst, hätte er nie und nimmer zugestimmt.
Denn als ich Derek, meinen Boyfriend aus dem College, zuletzt gesehen habe, habe ich mit ihm Schluss gemacht.
Ich betrete das Haus, stelle die To-go-Suppe auf den Küchentresen, und auf einmal fällt mein Blick auf das Whiteboard in der Ecke des Zimmers. Sofort drehe ich wieder um.
»Nope«, sage ich und gehe Richtung Tür.
Krank, von wegen. Mein Freund und Mannschaftskollege, Nathan, hat mir heute Morgen eine Nachricht geschickt, er und seine Frau Bree seien richtig krank, und um eine Essenslieferung gebeten. Nathan weiß genau, dass ich immer komme, wenn mich jemand braucht. Aber er sieht putzmunter aus, wie er so neben dem Whiteboard mit meinen drei anderen Freunden steht und hämisch grinst.
Lawrence schneidet mir den Weg ab und lässt mich spüren, wie es ist, ihm – unserem Left Tackle – auf dem Spielfeld gegenüberzustehen. »Hör uns zu, Derek.«
»No way. Ich bin mit falschen Behauptungen hierhergelockt worden – nicht für eine Intervention, egal, um welches Thema es sich handelt.« Ich deute auf das Whiteboard hinter mir.
»Mann, komm schon. Es wird höchste Zeit.« Jamal hört sich gern reden. »Außerdem kannst du nicht leugnen, dass du es willst. Du weißt, was wir in deinem Nachttisch gefunden haben.«
»Es ist nicht der richtige Zeitpunkt, und ich will es nicht.« Ich reiße Jamal den Filzstift aus der Hand. Als Nächstes wische ich voller Wut die Überschrift Eine Frau für Derek finden vom Board. Jenem Board, das in den letzten zwei Jahren zu einer festen Größe für jedes wichtige Lebensplanungstreffen in unserer Freundesgruppe geworden ist, seit wir es benutzt haben, um Nathan aus der Friendzone mit seiner besten Freundin (jetzt Ehefrau) Bree herauszuhelfen. Und ehrlich, ich sitze gern mit diesen Jungs zusammen und arbeite mit ihnen stundenlang sorgfältigst an einem Plan für ihr jeweiliges kitschiges Liebesleben, aber versucht das mit mir, und ich schmeiße das Ding ins Feuer.
»Ich will nicht heiraten. Und ich warne dich zum letzten Mal: Hör auf, von meinem Nachttisch zu reden, sonst bekommst du die Konsequenzen zu spüren. Dein Gesicht wird dann nämlich zu Beginn der Saison nicht mehr ganz so hübsch aussehen.«
Ich hätte den Jungs niemals einen Schlüssel geben dürfen, als ich weg war, auch wenn jemand meine Pflanzen gießen musste. Natürlich haben sie herumgeschnüffelt. Übergriffigkeit ist Teil ihrer DNA.
Aber dieser Schwachsinn mit dem Whiteboard ist zu viel. Ich weiß, warum sie das tun – ihr nervöses mitleidiges Lächeln ist leicht zu durchschauen. Ich habe mich zu viel verkrochen, habe mehr und mehr Essenseinladungen abgelehnt, bin nie mit ihnen in die Clubs gegangen und habe schon gar nicht gedatet. Ich habe mich quasi um hundertachtzig Grad gedreht, und sie glauben, mit einer Beziehung würde sich das wieder ändern. Und vielleicht haben sie recht mit ihren Befürchtungen. Sie wissen nicht mehr, wer ich bin oder wie sie mit mir umgehen sollen. Ich weiß genauso wenig, wer ich bin.
So unsicher habe ich mich nicht mehr gefühlt, seit ich ein seltsamer, schlaksiger Achtklässler war, der mal wieder in der Schule versagte, sich schwertat, Freunde zu finden, die ihn nicht gnadenlos aufzogen, nachdem sie ihn vorlesen hatten hören, und der nur im Schatten seiner älteren Schwester lebte. Ginny, die jedermanns Liebling war. Ohne großen Aufwand bekam sie beste Noten, vermutlich praktiziert sie deshalb jetzt als Ärztin. Wo sie Erfolg hatte, kämpfte ich doppelt so hart. Permanent hatte ich Ärger mit meinen Eltern wegen Noten, und häufiger, als ich zählen konnte, bekam ich zu hören: Wieso kannst du dich nicht anstrengen, Derek, und hör auf, rumzufaulenzen.
Erst vor ein paar Monaten wurde bei mir diagnostiziert, was mein angebliches Faulenzen war … Legasthenie. Eines Abends, als ich im Bett lag und durch die Social Media scrollte, stieß ich auf ein Video, in dem jemand schilderte, wie das Leben mit Legasthenie für ihn aussah. Ich war schockiert – denn alles, was er beschrieb, war auch meine Erfahrung. Rasch machte ich einen Termin bei einem Lernspezialisten aus, und nach dem Test bekam ich die Bestätigung.
Ich bin Legastheniker.
Deshalb tat ich mich mit Lesen und Schreiben so verdammt schwer, denn ich brauchte doppelt so lange wie die anderen Schüler. Deshalb hatte ich Probleme, manche Wörter zu begreifen. Deshalb blieb ich zurück. Ich wurde als Heranwachsender nicht getestet, weil ich aus einer Familie komme, die der festen Überzeugung war: »Er muss sich einfach nur mehr Mühe geben.« Dabei habe ich unglaublich hart gearbeitet. Ich konnte nie verstehen, warum es nicht genug war. Warum ich nicht wie die anderen begreifen konnte, was in meinen Schulbüchern stand. Und dieser Keil zwischen meinen Eltern und mir wurde immer größer, bis ich schließlich überhaupt keine Lust mehr auf Lernen hatte.
Aber dann … entdeckte ich in der neunten Klasse Football. Ich trat auf das Spielfeld, und es war, als würde jedes Puzzleteil für mich seinen Platz finden. Ich war gut. Ein Naturtalent. Und im Laufe der Jahre, als ich zu meiner Größe von einem Meter neunzig heranwuchs und einen Körper entwickelte wie keiner der Jungs um mich herum, wurde ich immer besser und noch besser. Mädchen mochten mich auf einmal. Lehrer beurteilten mich großzügiger. Meine Eltern waren stolz, denn wie Ginny machte ich mir einen Namen. Eine weitere Möglichkeit für sie, vor ihren Freunden anzugeben. Niemanden interessierte wirklich, dass meine Noten schlecht waren oder dass ich mit wissenschaftlichen Fächern Probleme hatte – es war klar, dass ich College-Football spielen und danach in der NFL einen Vertrag bekommen würde; welche Rolle spielte das also schon?
Und so kam es dann auch.
Ich schaffte so gerade die Highschool, brach als Tight End aber alle Rekorde. Von meinen Lehrern im College erhielt ich mehr Almosen, als ich mir eingestehen mag, aber ich schaffte den Abschluss und wurde sofort als Spieler unter Vertrag genommen. Ich habe zwei Superbowls gespielt und bekam die Auszeichnung als MVP, wertvollster Spieler. Ich habe Filmstars gedatet, meinen Eltern ihr neues Haus gekauft und meiner Schwester zum bestandenen Examen die Bezahlung ihrer Uni-Schulden geschenkt.
Meine Persönlichkeit wurde jedoch eine andere, als ich mir gegen Ende der letzten Saison den Knöchel brach und operiert werden musste. Ich habe meine Selbstsicherheit so lange aus dieser Karriere genährt, dass ich nicht weiß, wer, zum Teufel, ich ohne sie bin. Was werden die ganzen Leute von mir denken, wenn mir das Eine nicht mehr möglich ist, das ich wirklich gut kann? Wertlos.
Für eine Beziehung ist gerade der schlechteste Zeitpunkt. Zumal Collin Abbot – der junge Ersatzspieler, der bei den letzten beiden Spielen der Saison für mich eingesprungen ist – alle mächtig beeindruckt hat. Jetzt umzingeln mich die Gerüchte wie Piranhas. Diese Saison wird er mich von meinem Platz verdrängen. Ich habe alles zu verlieren – und nichts Dauerhaftes zu bieten.
»Derek, jetzt führ dich nicht so auf, sondern lass uns dir helfen, Liebe und Glück zu finden«, sagt Nathan.
»Es ist nicht der richtige Zeitpunkt«, erwidere ich, statt ihn anzufahren, dass Liebe und Glück in meiner Vorstellung keine Synonyme sind und dass er sich seine Ansichten in den Hintern schieben kann. Nur bei einer einzigen Frau habe ich jemals an Heirat gedacht. Bei der einzigen Frau, bei der ich jemals das Gefühl hatte, dass sie mich als den Menschen liebte, der ich jenseits von Football war. Das war noch bevor ich diese vier Witzbolde kennenlernte, die ich als Mannschaftskameraden bezeichne – weniger liebevoll auch bekannt als Freunde –, und sagen wir mal so: Ich habe ausreichend zu spüren bekommen, wie es ist, wenn man geliebt und verlassen wird, das will ich kein zweites Mal erleben. Sie wissen nichts von ihr. Sie wissen nicht, dass ich wegen ihr beim Gedanken an eine feste Beziehung jetzt eher wütend werde.
»Wieso nicht?« Nathan Donelson ist der Quarterback unserer Mannschaft, der Los Angeles Sharks, und wir haben ihm liebevoll den Spitznamen Dad verpasst, wegen seines Führungsstils und seiner Weisheit. Deshalb haben es ihm, nachdem er vor zwei Jahren seine beste Freundin Bree geheiratet hat, die anderen Jungs kurz darauf nachgemacht. Jamal hat Tamara geheiratet, und Lawrence hat Cora geheiratet – beide Paare sind sogar so weit gegangen, wie Nathan und Bree in Las Vegas zu heiraten, weil es bei den beiden wie ein Märchen aussah. Aber beim Heiraten endet für mich die treue Gefolgschaft.
Ich bin der Letzte unserer fünfköpfigen Gruppe ohne Ehering, und das wird auch so bleiben.
»Pender hat bloß Angst«, sagt Jamal Merricks, der Running Back unserer Mannschaft und selbst ernannte Nervensäge, nimmt mir den Filzstift wieder aus der Hand und malt damit ein großes Baby mit Schnuller an das Whiteboard. Falls irgendein Zweifel bestehen sollte, wen das Baby darstellt, schreibt er meinen Namen dazu und malt einen großen Pfeil, der auf das Baby deutet.
Ich zeige ihm den Vogel.
»Sehr erwachsen. Das bestätigt mich nur in meiner Meinung.« Er tippt mit dem Filzstift auf die Babyzeichnung.
»Genug gezankt für heute«, sagt Lawrence, der zweifellos der größte Softie der Gruppe, aber auch der Aggressivste auf dem Spielfeld ist – das würde man nie erwarten, wenn man sieht, wie zornig er wird, wenn wir kämpfen. Er ist hier auch derjenige, der mich klein wirken lässt. Ich bin einen Meter neunzig groß, und er überragt mich deutlich.
Er drängt sich an Jamal und mir vorbei und wischt das Board ab. »Jamal, es grenzt an ein Wunder, dass du es mit deinem großen Ego geschafft hast, eine Frau zu finden. Und Derek, ich zweifle allmählich daran, dass du eine finden könntest, selbst wenn du es versuchen würdest.«
»Gemein«, sagen Jamal und ich gleichzeitig und starren uns dann gegenseitig böse an. Wir hassen und wir lieben uns. Oder anders gesagt: Meistens liebe ich es, ihn zu hassen.
»Wie wäre es, wenn ihr mal was Konstruktives machen und mir helfen würdet, statt Derek unbedingt verkuppeln zu wollen?«, ruft Price aus dem Wohnzimmer, wo er mit einer Million winziger, über den Boden verteilter Plastikteilchen in allen Farben des Regenbogens sitzt. Ich glaube, sie sollen mal so etwas wie ein Babyspielsitz-Untertassending werden.
Jayon Price ist unser mürrischer Wide Receiver. Es hat uns alle schwer geschockt, dass er als Erster von uns eine Schwangerschaft verkündete. Ich hätte mein Geld auf Nathan gesetzt, aber nope. Prices Frau ist im dritten Trimester, und ich habe den Mann noch nie so glücklich gesehen.
Nun, im Moment sieht er nicht so glücklich aus. Er versucht, so ein federndes Plastikteil in ein anderes Plastikteil zu schieben, aber es will nicht einschnappen. Sein Bizeps wird gleich platzen, so viel Kraft setzt er ein. »Wieso, zum Teufel, werden diese Dinger nicht zusammengebaut verkauft?«
Er schleudert das widerspenstige Teil durch das Zimmer, und ich ducke mich – mein Gesicht entgeht nur knapp einer Plastikhummel.
»Die eigentliche Frage lautet«, sagt Jamal und schaut in den Karton, in dem die Teile lagen, »wieso baust du das jetzt zusammen?«
Price sieht ihn verblüfft an. »Wieso nicht? Der Geburtstermin ist in zwei Monaten.«
Ich muss lachen. »Mann, dein Baby wird noch einige Zeit nicht alt genug für so was sein.« Ich deute auf den Karton. »Auf der Rückseite steht, dass es die Beine und den Rücken des Babys kräftigen soll, damit es anfängt zu laufen.«
Price lässt die Anleitung fallen und schaut jeden einzelnen von uns Unheil verkündend an. »Wehe, ihr sagt das Hope, dann seid ihr alle tot. Sie flippt jetzt schon aus, weil wir nicht wissen, was wir tun, und ich will nicht, dass sie sich noch mehr Sorgen macht, wenn sie herausfindet, dass sie mich ein Spielzeug für ein acht Monate altes Baby zusammenbauen lässt.«
Ich liebe es wirklich, mit meinen Freunden all diese Lebensabschnitte mitzuerleben. Genau deshalb muss mir ein vollständiges Comeback gelingen. Denn ein Teil von mir hat Angst, dass ich, wenn ich entlassen werde … egal. Darüber will ich gerade nicht nachdenken.
Nathan nickt. »Wir helfen dir, es zusammenzubauen, aber vor allem, weil mir deine schwangere Frau letzte Woche echt Angst eingejagt hat mit ihrer Drohung, mir die Zinken ihrer Gabel in die Hand zu rammen, wenn ich den letzten Brownie nehme. Wenn diese Frau will, dass das Spielcenter ihres Babys schon ein paar Monate zu früh aufgebaut wird, dann bauen wir es auf.« Erneut richtet er den Blick auf mich. »Aber zuerst … Wir sind noch nicht damit fertig, über deinen Beziehungsstatus zu reden.«
»O doch, das sind wir.« Ich ziehe mich rückwärts in die Küche zurück und greife nach meinem Schlüssel. »Lasst mich und meinen Junggesellenstatus in Ruhe. Und iss deine Suppe, du verlogener Dreckskerl. Ich bin weg.«
»Niemand geht hier weg«, ertönt eine weibliche Stimme vom Eingang zur Küche her. Ich schaue hoch. Nathans Frau, Bree, ist aus dem Nichts aufgetaucht und nutzt ihren Körper als menschliche Barriere – sie hat die Hände an den Türrahmen gelegt, damit ich nicht hinauskann. Sie muss gerade aus ihrem Ballettstudio gekommen sein, denn sie trägt ein schwarzes Leotard und eine graue Trainingshose. Ihr übliches Outfit. »Habt ihr schon mit ihm über den Plan geredet?«
»Yeah, er will nicht heiraten«, ruft Nathan aus dem Wohnzimmer.
Bree bleibt der Mund offen stehen. »Nie?« Es klingt, als würde sie diese Entscheidung persönlich beleidigen. Ich habe ja nichts dagegen, dass andere Leute heiraten, aber – für mich ist das nichts. Jedenfalls nicht mehr.
Ich zucke mit den Schultern, wirble den Schlüssel um meinen Finger herum und starre die Frau an, die mir gerade wie eine kleine Schwester vorkommt. »Tut mir leid, Bree Cheese – für mich passt das einfach nicht.«
»Okay, okay …« Sie hebt beschwichtigend die Hand. »Du willst also nicht heiraten – kein Problem. Aber lass uns dich wenigstens mit jemandem zusammenbringen.«
»Danke, aber nein. Was das angeht, bin ich gut versorgt.« Ich gehe auf sie zu, aber sie weicht nicht zur Seite.
»Nein, bist du nicht! Glaubst du, wir hätten nicht gemerkt, dass du seit deiner Verletzung kein einziges Date hattest? Diese ganzen zu groß gewachsenen Babys, die da um die Ecke schauen, mögen vielleicht zu feige sein, um es auszusprechen … aber es ist besorgniserregend, dass du nicht mehr ausgehst. Nicht mehr datest. Nicht mal mehr mit einer Frau schläfst!« Sie sagt das, als müsste mein Name ein Synonym für all das sein. Und … na ja, vermutlich war er das auch.
Ich werfe einen Blick über die Schulter, und klar, alle schauen zu. Allerdings ziehen sie sich ein bisschen zurück, als ich jedem in die Augen starre. »Es gibt nichts, worüber ihr euch Sorgen machen müsst, Leute. Ich konzentriere mich nur gerade hundertprozentig auf meine Reha.«
»Zu welchem Preis?«, fragt Bree, deren Schultern ein wenig hinabgesackt sind.
Ich sehe ihr in die Augen. »Hör auf, dir Sorgen zu machen. Mir geht es gut, ich schwöre es.«
Sie lässt die Arme sinken und verdreht die Augen. »Du nervst, weißt du das? Aber ich glaube, ich gebe dir das trotzdem.« Sie greift in die Handtasche, die ihr von der Schulter baumelt, und ich weiß, was jetzt kommt. Ein Breempel. Bree zeigt ihre Zuneigung, indem sie kleine Dinge verschenkt, die sie an ihre Freunde erinnern. Jeder von uns hat mindestens ein paar. Ich habe einen Totenkopf-Kaffeebecher, der, wie sie meint, wie das Tattoo an meinem Unterarm aussieht, und eine magnetische 82, die sie ihrer kleinen Nichte aus dem Kühlschrank-Magnetset zum Zahlenlernen geklaut hat, weil das die Nummer auf meinem Trikot ist.
Heute zieht sie etwas aus der Tasche, das mich stocksteif werden lässt, obwohl sie unmöglich wissen kann, wieso mich dieses spezielle Teil so sehr berührt.
Bree drückt mir einen kleinen Schlüsselanhänger in die Hand, und drei Atemzüge lang kann ich den Miniatureisbecher mit dem Müsli obendrauf nur anstarren. Mein Gesicht läuft rot an, als hätte man mich auf frischer Tat ertappt.
»Wieso gibst du mir das?« Ich klinge vorwurfsvoll. Als hätte sie ohne Erlaubnis in meinem Gehirn herumgeschnüffelt. Als würde sie alle meine Geheimnisse kennen, und dies wäre Teil der Intervention.
»Weil …« Ihr Gesichtsausdruck bekommt etwas Fragendes. »Erinnerst du dich? Bei Lawrences Hochzeitsempfang, als du betrunken warst? Da hast du diese komische Rede gehalten, dass du für den Rest deines Lebens nur noch Eis mit Müsli essen möchtest und dass du ganz traurig bist, weil du das nicht kannst? Ich habe im Internet einen Laden entdeckt, der aus Kunstharz Schlüsselanhänger nach Kundenvorlage anfertigt, und da habe ich diesen mit Müsli obendrauf bestellt.«
Genau. Wegen der Rede. Meine Schultern sinken vor Erleichterung herab, weil sie nichts von ihr weiß. Von Nora.
Bis heute lacht die Gruppe über die »lustige kleine Rede«, die ich bei dem Empfang gehalten habe. Sie glaubten, ich wäre so unsagbar betrunken gewesen, dass ich nur erbärmlichen Unsinn von mir geben würde. Und es stimmt – ich war betrunken. Aber nur, weil ich Nora – die Frau, die ich schon an dem Tag heiraten wollte, als ich sie kennenlernte – während der gesamten Zeremonie nicht aus dem Kopf bekommen konnte. Ich konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken, wo sie jetzt wohl sein mochte, oder mich zum tausendsten Mal zu fragen, wieso ich nicht gut genug für sie gewesen war. Ja, wir waren gegensätzlich. Sie war außerordentlich klug und ehrgeizig und auf ihr Studium konzentriert, während ich eine Sportskanone mit nicht diagnostizierter Lernschwäche war und gern Party machte.
Aber in vielen Punkten passten wir auch zusammen. Wir wetteiferten gern – machten aus allem ein spaßiges Spiel und genossen es. Die Chemie zwischen uns stimmte, wie ich es noch nie mit jemandem erlebt hatte. Sie war von der Art, die in den Blutkreislauf eindringt und einen verändert. Und als ob das nicht genug gewesen wäre – liebten wir beide Sport. Sie hatte sogar vor, Sportagentin zu werden. War es je dazu gekommen?
Und Noras Lieblingssüßigkeit: Eis mit Müsli obendrauf.
Offenbar hat nichts in meiner Rede darauf hingedeutet, dass es um mein gebrochenes Herz oder um die Frau ging, die den Hammer darauf hat herabsausen lassen. Man hat einfach angenommen, dass ich an jenem Abend besonders tief ins Glas geschaut hatte. Und ich habe sie in dem Glauben gelassen, weil es mir lieber ist, wenn meine Geschichte mit Nora begraben bleibt.
Ich schließe die Hand um den Schlüsselanhänger und zwinge mich zu lächeln. »Stimmt, das hatte ich völlig vergessen. Danke – das ist witzig.«
Bree runzelt die Stirn und würde vermutlich noch etwas zu meiner humorlosen Reaktion sagen, wenn nicht Nathan hinter ihr auftauchen und die Arme um ihre Taille schlingen würde. Bei den beiden kann einem wirklich schlecht werden. Sie sind so verdammt süß, mehr als ihnen guttut.
»Wir gehen alle zum Mittagessen. Kommst du mit?«, fragt Nathan, der Bree noch immer umschlungen hält.
»Ich kann nicht. Ich habe um eins einen Termin. Bill musste in Rente gehen – aus gesundheitlichen Gründen, über die er nicht reden wollte –, deshalb treffe ich mich mit einer ganz neuen Agentin, die Nicole empfiehlt.«
Und das ist auch so eine Sache. Ihr müsst wissen, meine Agentur glaubt nicht sonderlich an meine Karriere, wenn sie mich der Neuen zuteilt. Stellt euch vor, da bin ich der beste Tight End im professionellen Football, und dann werde ich so blöd angegriffen, dass mein Knöchel bricht wie ein Zweig und ich operiert werden muss, und jetzt muss ich mit der Neuen in der Agentur vorliebnehmen, die noch nie im Leben einen Klienten hatte. Dass ich den Vorschlag nicht sofort zurückgewiesen habe, hat nur damit zu tun, dass ich erstens mir selbst nicht sicher bin, ob ich es noch wert bin, und zweitens Nicole – die Nathans Agentin seit dem Beginn seiner Karriere und bekanntlich die Beste in dieser Branche ist – sie empfohlen hat.
»Nicole würde dir nichts Verkehrtes raten. Wenn sie sagt, du sollst mit ihm einen Vertrag machen, tu es«, erwidert Nathan, der Bree noch immer festhält, als wäre sie sein Rettungsanker und er würde umfallen, wenn sie keinen Körperkontakt mehr hätten.
Ich beneide sie.
»Mit ihr«, berichtige ich und wende den Blick von dem glücklichen Paar ab. Erneut lasse ich den Schlüssel um meinen Finger kreisen. »Der Agent ist eine Frau.«
»Oh, vielleicht ist sie umwerfend und Single, und du verliebst dich bis über beide Ohren«, sagt Bree mit Herzchen in den Augen.
Ich schüttle den Kopf. »Leute, ihr müsst ernsthaft damit aufhören. Ich will keine Beziehung.«
»Klar … das glaubst du jetzt. Aber was passiert, wenn du die unglaublichste Frau der Welt triffst?«
Ich richte den Blick auf Nathan. »Könntest du Cupid vielleicht bitten aufzuhören, damit ich gehen kann?«
Ich lege die Hand an den Griff der Tür zum Konferenzraum, und mein Magen stürzt sich von einem Kliff. Und während er sich noch im freien Fall befindet, taucht er direkt in ein Raum-Zeit-Kontinuumportal ein, wo ich ohne die geringste Erlösung von meinem Elend weiter falle. Aber nicht, weil ich nicht in der Lage bin, meinen Job zu machen. Sondern weil ich mich nicht in der Lage fühle, Derek Pender wieder gegenüberzustehen.
Einfach ausgedrückt: Derek war mein Ein und Alles, das nie hätte sein sollen. Ich hatte einen ganz genauen Plan für mein Leben, einen Plan, auf den ich mich noch immer ganz intensiv konzentriere. Dass ich in meinem letzten Jahr am College einen wilden, witzigen, sexy Footballspieler kennenlerne und mich Hals über Kopf in ihn verliebe, war nie Teil dieses Plans. Wir hatten beide drei Jahre lang die University of Southern California besucht, ohne uns über den Weg zu laufen.
Doch dann, wie eine Welle im Universum, war er auf einmal da … auf derselben Party wie ich, mit Augen so blau wie eine heiße Flamme. Unerklärlicherweise fühlte er sich von mir genauso angezogen wie ich mich von ihm. Er bemerkte, dass ich mich eher am Rand der Party hielt, nicht weil ich introvertiert oder schüchtern bin, sondern weil ich nicht dort sein wollte. Es hielt mich davon ab, eine Präsentation fertigzustellen, an der ich mit Begeisterung arbeitete, aber meine Mitbewohnerin hatte mich gezwungen mitzukommen. Offenbar hatte ich seit mehreren Tagen nicht mehr von meiner Arbeit hochgesehen. Und das war also der Moment, als Derek zu mir kam, um mit mir zu reden.
Nach einiger Zeit lockte er mich auf die Tanzfläche, und am Ende des Abends taten mir die Wangen weh, so viel hatte ich gelacht. Außerdem war ich sturzbesoffen, und da meine Mitbewohnerin mit einem Mann abzog und wir außerhalb des Campus waren, hatte ich keine Fahrgelegenheit. Derek (der deutlich nüchterner war als ich) rief uns ein Uber und sorgte dafür, dass ich sicher in mein Studentenwohnheim zurückkam. Und dann schlief er die ganze Nacht bei mir auf dem Boden, um aufzupassen, dass ich nicht im Schlaf erstickte.
Am nächsten Morgen fühlte ich mich schrecklich, weil ich ihm so viel Mühe gemacht hatte, deshalb schrieb ich ihm, er habe etwas gut bei mir und könne es jederzeit einfordern. Das hat er zwar nie getan, aber es dauerte nicht lange, bis wir uns Hals über Kopf ineinander verliebten. Und auch nicht lange, bis ich meine Ziele und Träume aus den Augen verlor. Um sie durch meine Sucht nach seinem Lächeln, seiner Berührung zu ersetzen und nach der Art, wie er mich anschaute, als wäre ich das Großartigste auf der Welt. Wir verstanden einander, wie das niemand sonst tat. Sogar unser Bedürfnis nach dauerndem Wettstreit. Für uns war es normal, uns irgendeine Wette auszudenken, egal, wohin wir gingen. Wer kann am längsten eine Tasse auf dem Kopf balancieren. Der Boden ist Lava. Lächerliche kleine Wettkämpfe, die ganze Zeit.
Wir lebten diese Art dumme, herzergreifende junge Liebe, die nur existiert in einer Blase aus geschwänzten Vorlesungen, durchfeierten Nächten, bis die Sonne aufgeht, während man Donuts von der Tankstelle isst, und zur Seite gelegten Büchern, weil ich ihm lieber beim Training oder beim Spiel zusah.
Bis mir bewusst wurde, dass Derek einen der wesentlichsten Züge meiner Persönlichkeit nicht verstand. Deshalb beendete ich es, kurz bevor wir mit dem College fertig waren und er einen Vertrag mit einem NFL-Verein bekam. Abrupt und eiskalt, was ich nie aufgehört habe zu bereuen.
Das wahrscheinlichste Szenario bei der Wiederbegegnung mit meinem Ex ist jedoch dieses: Ein Blick wird reichen, und schon wird Derek anfangen zu lächeln und mich dann freundschaftlich in den Arm nehmen. Vielleicht wird er mich um der alten Zeiten willen noch einmal mit meinem damaligen Spitznamen anreden, Ginger Snap. Weil wir jetzt beide Erwachsene sind. Denn während mich die Trennung von ihm beinahe umgebracht hätte, hatte er eine Woche später schon eine Neue. Und wenn man der Presse und den Boulevardblättern glauben darf, hat Derek wahrlich nicht herumgesessen und mir nachgetrauert. Das hat mir mal etwas ausgemacht, aber heute finde ich die Vorstellung tröstlich. Wenn er so schnell jemand Neues hatte, besteht die Möglichkeit, dass ich für ihn nur eine Erinnerung bin.
Und so drücke ich todesmutig die Klinke hinunter und betrete hoffnungsvoll den Konferenzraum – mit einer Aura von Macht und sicherem Auftreten. Bloß ein Witz. Jemand öffnet von innen die Tür, während meine Hand noch auf dem Griff ruht, und ich werde in den Raum gezogen. Ich stolpere über die Schwelle, an der Praktikantin vorbei, die die Tür aufgerissen hat, und der Stift, der oben auf meinem Stapel mit den Verträgen lag, schießt aus Versehen wie eine Kanonenkugel Richtung Konferenztisch. Er landet genau in der Mitte, und Nicole (ach herrje, offensichtlich ist Nicole bei diesem Treffen dabei) starrt ihn völlig geschockt an.
Mit der Würde einer Königin richte ich mich auf und streiche meinen Blazer glatt. Vermutlich wie ein Kleinkind, das sich verkleidet hat und Königin spielt, aber die Würde ist trotzdem da.
»Hi. Da bin ich.« Ich zwinge meine Stimme, gleichmäßig zu klingen.
»Ja, das sehe ich.« Glücklicherweise ist Nicole die Einzige, die meinen tollpatschigen Auftritt mitbekommen hat, denn Derek (Oh, Wahnsinn, da ist Derek) sitzt mit dem Rücken zu mir am Tisch. »Dann fangen wir mal mit der Vorstellung an, okay?«
O nein. Jetzt wird alles den Bach runtergehen, und Nicole ist Zeugin. Ich hätte ihr in ihrem Büro die Wahrheit sagen sollen. Die Wahrheit ist immer die richtige Wahl. Immer. Ich weiß das, weil ich die Vorsitzende des Regelbefolgungsvereins bin. Und dennoch …
Derek beugt sich vor und greift nach dem Stift. Dann schiebt er seinen Stuhl zurück und steht auf. Beim Anblick seines Rückens schlucke ich tausend Schmetterlinge hinunter. Er ist … umfangreich. Ich kann mich nicht an eine derartige Ausdehnung erinnern. Die Muskeln drücken schamlos gegen sein T-Shirt. Das arme Baumwollteil dehnt sich, so gut es kann, aber es hat kaum eine Chance. Und dann dreht er sich um, und mir wird der Boden unter den Füßen weggerissen.
Durchdringend schaut er mich aus seinen kornblumenblauen Augen an – sie sind so schön, es ist fast schon grausam, und ich spüre einen Hauch von etwas Altem zwischen uns aufblitzen. Und dann ist da plötzlich ein Gedanke, den ich nicht wieder loswerde. Ich bin nicht über ihn hinweg, und ich fürchte, ich werde es auch nie sein.
Sein sonnenverwöhntes braunes Haar umschmeichelt seine Schläfen und seinen Nacken und betont seine Knochenstruktur, vor der man in die Knie gehen möchte. Ehrlich gesagt, sehen er und der Quarterback der Mannschaft, Nathan Donelson, mit ihrer Größe und ihrem kantigen Kinn wie Brüder aus. Aber Derek ist Nathans weltgewandteres Pendant. Dereks Gesicht hat so eine grüblerische, faszinierende Schönheit.
Mein Blick springt hin und her, weil ich fürchte, er könnte an irgendeinem Teil von ihm hängen bleiben. Breitschultrig und kräftig war er bereits im College, aber … Himmel, jetzt ist dieser Mann umwerfend. Er gehört in eine Zeit, als Menschen zu ihrer Sicherheit Krieger brauchten, und all seine Tattoos … einzelne, die seine beiden Arme bedecken, sich aber nie direkt berühren; die sind mir ebenfalls neu. Ich habe sie zwar im Fernsehen gesehen, wenn ich mir eins seiner Spiele angeschaut habe, aber sie live vor mir zu haben, ist noch einmal eine ganz andere Erfahrung.
Als ich den Blick wieder auf sein Gesicht richte, wirkt er nicht gerade glücklich, mich vor sich zu haben.
Nicole räuspert sich. »Derek, das ist …«
»Nora Mackenzie«, sage ich im selben Moment wie er, um seine Stimme zu übertönen. Ich strecke mit strahlendem, bittendem Lächeln die Hand aus und weigere mich, von dem plötzlichen Adrenalinschub ohnmächtig zu werden. »Nett, Sie kennenzulernen, Derek.«
Nicole kann mich nicht sehen. Dereks mächtiger Körper behindert ihre Sicht. Sein eisiger Blick ist auf meine ausgestreckte Hand gerichtet, und er runzelt die Stirn noch mehr. Ich flehe ihn lautlos an, sie zu nehmen. Bei meiner Scharade mitzuspielen, wenigstens bis Nicole gegangen ist. Aber ich glaube, das wird er nicht tun.
Gerade als Derek etwas sagen will, wird hinter mir die Tür geöffnet, und unsere Rezeptionistin streckt den Kopf herein. »Nicole, tut mir leid, wenn ich störe, aber da ist ein dringender Anruf für Sie. Er ist in Ihrem Büro in der Leitung.«
Nicole kommt um den Konferenztisch herum und schaut von Dereks nicht unbedingt begeistertem in mein strahlendes, eifriges Gesicht, mit dem ich eindeutig einen Ausgleich für seins schaffen möchte. »Wenn ihr beide mich einen Moment entschuldigen würdet«, sagt sie zögerlich. »Ich bin sofort wieder da.«
Yep. Lassen Sie sich Zeit, Ma’am. Gern auch den ganzen Tag!
Nicole verlässt den Raum und schließt gnädigerweise die Tür hinter sich. Ich bleibe allein mit Dereks eiskaltem Blick zurück. Ohne zu zögern, schüttelt er den Kopf und dreht sich von mir weg, um seinen Schlüssel vom Tisch zu nehmen. »Nope. Auf gar keinen Fall.«
Moment mal, was?
Ich bin schockiert. Verblüfft blinzle ich, als hätte gerade jemand einen Scheinwerfer auf mich gerichtet. Es ist Jahre her, seit wir uns zuletzt gesehen haben, und das ist alles, was er sagt?
»Derek, warte!« Ich trete ihm in den Weg, bevor er an der Tür angelangt ist.
Er betrachtet mich mit vorgeschobenem Kinn. »Man hat mir gesagt, dein Name wäre Mac«, sagt er sichtlich angeekelt. »Glückwunsch. Wenn du vorhattest, mich zu verarschen, dann ist dir das gelungen. Du hast gewonnen.«
Sogar seine Stimme ist anders. Tiefer.
Ich versuche verzweifelt, nicht den Boden unter den Füßen zu verlieren, denn ich habe völlig unterschätzt, wie es sich anfühlen würde, Derek wieder gegenüberzustehen. Jede Zelle in meinem Körper summt, als würde sie erneut zum Leben erwachen. Ich müsste lügen, wollte ich behaupten, dass ich mir nicht schon mal vorgestellt hatte, ihm über den Weg zu laufen. Ich wusste die ganze Zeit, dass Derek Bills Klient war – aber ich hatte nicht wirklich an eine Begegnung geglaubt, weil Bill sich immer außer Haus mit ihm getroffen hat und ich keinen Vorwand hatte, Derek zu kontaktieren und ihm mitzuteilen, dass ich in der Agentur arbeite.
Aber dennoch, vorgestellt habe ich es mir. Habe mir vorgestellt, wie ich ihm eines Nachmittags auf dem Flur begegne und er mich wiedererkennt. In meiner Fantasie begann das allerdings mit einem leicht hinterhältigen Lächeln, das sich auf seinem Gesicht ausbreitete, und endete damit, dass wir in der Abstellkammer herumknutschten.
Aber seine Reaktion ist berechtigt. Ich habe ihm wehgetan – und ich muss mich dafür entschuldigen. Aber dies ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt.
»Nein … bitte, hör zu. Ich wollte dich nicht täuschen. Im Gegenteil, ich hatte Angst, du würdest gar nicht wissen, wer ich bin, als ich hörte, dass Nicole dir diese Idee unterbreitet hat. Alle im Büro nennen mich Mac. Es ist die Abkürzung von …«
»Mackenzie«, sagt er donnernd, als könnte er nicht glauben, dass ich die Frechheit besitze anzudeuten, er wisse das nicht bereits. »Ja, ich erinnere mich verdammt gut, Nora«, und dann lacht er verächtlich auf. »Und ich erinnere mich auch daran, wie leicht du einen Menschen ohne Vorwarnung fallen lassen kannst, weshalb ich mit dir niemals einen Vertrag abschließen werde. Ich ziehe einen Agenten vor, der vertrauenswürdig und engagiert ist.«
Aua.
Ohne mich noch einmal anzuschauen, geht Derek an mir vorbei, sorgfältig darum bemüht, mich ja nicht zu berühren, damit er sich nicht die Krätze von mir holt, und schon stürmt er aus dem Konferenzraum.
»Tja, das hätte durchaus besser laufen können«, sage ich zu den leeren Stühlen.
Also erinnert sich Derek tatsächlich an mich. Und er hasst mich. Was ich ihm nicht zum Vorwurf machen kann, auch wenn es mich verwirrt.
Wie es aussieht, bleiben mir zwei Optionen. (1) Ich erzähle Nicole, dass ich bereits den ersten Klienten verloren habe, den sie mir quasi auf dem Silbertablett präsentiert hat. Peinlich. (2) Ich reiße mir dieses Messer aus der Brust und nutze es stattdessen als Pfeil, um meine Karriereziele zu erreichen.
Ich entscheide mich für Option zwei, was bedeutet, dass es an der Zeit ist, mich mit meinem Ex-Freund auszusprechen.
»Derek! Derek! Warte!«
Das darf doch nicht wahr sein. Ich bin auf dem Bürgersteig vor der Agentur und versuche, so schnell wie möglich von diesem Ort und dieser Frau wegzukommen. Mac. Ich hätte gezielter nachfragen sollen. Aber wie hätte ich wissen sollen, dass meine Ex-Freundin eine Stelle bei der Sportagentur bekommen hat, die mich vertritt? O Mann, wie lange arbeitet sie schon hier? Wie lange hat sie gewusst, dass wir uns jederzeit über den Weg laufen könnten, ohne es für nötig zu halten, mich darüber zu informieren?
Von ihr lasse ich mich garantiert nicht vertreten.
»Derek! Bitte – Grrr. Hörst du mal auf, so zu rennen? Himmel, hast du jetzt kräftige Beine. Du bist wie einer dieser riesigen Bäume in Der Herr der Ringe.« Sie rennt mir hinterher und brüllt so laut, dass man es in der ganzen Stadt hören kann. Mein SUV steht gleich um die Ecke auf dem Firmenparkplatz, und ich will dort sein, bevor sie mich einholt. Bin ich kleinlich? Yeah. Macht mir das was aus? Verdammt, nein.
»Du bist nicht meine Agentin und wirst es auch niemals sein, also hör auf, mir hinterherzurennen«, rufe ich ihr über die Schulter zu. Für einen kurzen Moment sehe ich ihre rosigen Wangen und ihr rostbraunes Haar, das ihr beim Laufen ins Gesicht weht. Der Wind bläst immer wieder ihren Rock hoch und lässt mehr von ihren Beinen sehen, als ihr lieb ist, so wie sie ihn immer wieder nach unten drückt wie auf dem Marilyn-Monroe-Poster. Sieht aus, als hätte ich endlich die Antwort auf meine Frage: Sie ist tatsächlich Sportagentin geworden.
Rasch hat sie mich überholt und sich umgedreht, sodass sie jetzt rückwärts vor mir hergeht. »Gibst du mir eine Sekunde Zeit, es dir zu erklären?«
»Straßenlampe.«
»Häh?«
»Da ist eine Straßenlampe.« Ich packe sie am Arm und manövriere sie sicher um die Laterne herum, lasse sie aber sofort wieder los. Ich hätte sie einfach hineinlaufen lassen sollen. Sofort ist sie wieder an meiner Seite. »Derek, bitte! Ich will darüber reden. Und mich entschuldigen.«
»Ich will keine Entschuldigung. Von dir will ich überhaupt nichts.« Und das ist die Wahrheit. Es mag mal eine Zeit gegeben haben, in der ich alles dafür hergeschenkt hätte, dass sie mich um die Chance anbettelt, es zu erklären und sich zu entschuldigen, aber das ist vorbei. Mein Herz liegt im Dauerfrost begraben. Ich habe ihr eindeutig nicht gereicht, und mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
Ich versuche sie zu ignorieren, während sie weiter rückwärts vor mir hergeht. »Hör auf, mir hinterherzurennen. Und pass auf, wo du hintrittst, sonst fällst du noch hin.«
»Siehst du! Ich bin schon jetzt eine derart engagierte Agentin, dass ich jedes Risiko für dich eingehe!«
Das macht mich unerklärlich wütend. Sie witzelt herum, als wären wir nur alte Freunde und hätten keine derart verzwickte Vergangenheit, dass ich bei ihrem Anblick nur rotsehe. »Du bist nicht und wirst nie meine Agentin sein.«
Ich würde am liebsten die Augen schließen. Ich würde sie gern ausblenden und so tun, als wäre sie nicht hier direkt vor mir – denn diese Begegnung, sie wird mich zurückwerfen. Allein ihr Anblick reißt alte Wunden auf, die sowieso nie richtig heilen wollten. Mir steht wieder vor Augen, wie mich Nora in die Wange kneift, um mich zum Lächeln zu bringen. Wie sie nervös die Augen aufreißt, als wir uns abends in das geschlossene Freizeitzentrum des College schleichen, um nackt im Swimmingpool zu schwimmen. Wie sie im Seminar lächelnd neben mir sitzt und wie wild mitschreibt, während ich immer wieder unsichtbare Herzen auf ihren Oberschenkel male.
Als ich auf dem Parkplatz bin, klicke ich mit der Fernbedienung die Tür meines Elektro-SUV auf. Die Scheinwerfer blinken, und die Türgriffe fahren heraus. Nora merkt, welches der Fahrzeuge meins ist, und stürmt los, um sich mit dem Rücken an die Tür zu lehnen – schwer atmend. Wieso muss sie immer noch so verdammt hübsch sein? »Ich rühre mich nicht von der Stelle, bis du mich anhörst.«
»Weg da, oder ich räume dich weg. Das ist die einzige Warnung, die du bekommst.« Schau ihr nicht in die Augen.
Sie runzelt die Stirn. »Ich will dich ja nicht aufziehen, aber ich glaube, du unterschätzt womöglich meine beeindruckende Größe von einem Meter achtundsechzig und meine absolute Entschlossenheit, hier stehen zu bleiben, bis du …«
Ich lege die Hände an ihre Taille, weigere mich wahrzunehmen, dass sie wie ein süßer tropischer Drink riecht, hebe sie hoch und setze sie ein Stück von der Tür entfernt wieder ab. Hindernis beseitigt.
Sie schnappt vor Wut nach Luft.
»Ich habe dich gewarnt.« Ich öffne die Tür, und die Hörbuch-CD, die ich hatte laufen lassen, fängt in voller Lautstärke wieder an zu spielen. Das ist etwas, das mir der Lernspezialist empfohlen hat – offenbar nimmt mein Gehirn Informationen auf diesem Weg leichter auf. Ich dachte, ich versuche es mal mit einer Fantasy-Serie, die in der Highschool alle toll fanden, während ich sie hasste, weil sie so schwer zu lesen war. Ich wollte sehen, was ich verpasst hatte. Aber jetzt, wo sie aus den Lautsprechern dröhnt, während Nora direkt neben mir steht, fühle ich mich wie nackt einem Hurrikan ausgesetzt.
Rasch strecke ich die Hand ins Innere und drücke auf die entsprechende Taste an meinem Lenkrad, bis die Lautstärke auf null ist. Sobald es wieder still ist, dringt Noras Stimme an mein Ohr.
»Derek … bitte.« Ihre Stimme ist sanft und flehend. Ich will nichts für sie empfinden. Kein Mitgefühl. Kein Herzerweichen. Nichts.
Aber verdammt, ich tue es doch. Weil das Nora ist. Meine Nora. Und deshalb hatte ich mir befohlen, ihr nicht in die Augen zu schauen, weil ich dann alles in ihnen sehe, was wir mal waren. Ich werde sehen, dass sie tausendmal schöner ist als je zuvor, und egal, was sie tut oder wohin sie geht, in meinem Herzen wird sie immer mir gehören. Und dafür hasse ich sie. Ich schlage die Wagentür wieder zu, verschränke die Arme vor der Brust und schaue sie an. Hätte ich doch bloß einen richtigen Schutzschild! Ihr Blick gleitet kurz zu meinen Tattoos. Vermutlich ist es verwirrend, sie zu sehen, denn damals in der Zeit mit ihr hatte ich noch kein einziges. Bei mir hat sich eine Menge verändert, seit wir zusammen waren.
Sie schaut wieder zu mir hoch und starrt mich entschlossen an. »Ich bin mir nicht sicher … das ist … ich möchte …« Sie fährt sich mit der Zunge über die Lippen, und ich lasse sie zappeln. Sie hat es verdient, soll sie ruhig in ihrer Verlegenheit ersaufen. »Es ist einige Zeit vergangen, seit wir uns zuletzt gesehen haben.«
»Echt? Ich habe nämlich so ein Gefühl, als hättest du mir erst gestern erzählt, dass du mich nicht mehr in deinem Leben willst.«