Theorie und Praxis der Sandspieltherapie - Alexander von Gontard - E-Book

Theorie und Praxis der Sandspieltherapie E-Book

Alexander von Gontard

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Beschreibung

Die Sandspieltherapie basiert auf der analytischen Psychologie C.G. Jungs und eignet sich besonders für emotionale, introversive Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Dabei werden Miniaturfiguren als Medium verwendet, die in Sandkästen aufgestellt werden. Das Buch gibt einen Überblick über die Sandspieltherapie und ihren Stellenwert in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Viele Beispiele zeigen, dass sich psychodynamische und klinische, symptomorientierte Zugänge positiv ergänzen. " ... ein sehr fundiertes, gut lesbares Buch." (Kinderanalyse 17/2009)

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Die Sandspieltherapie basiert auf der analytischen Psychologie C.G. Jungs und eignet sich besonders für emotionale, introversive Störungen bei Kindern und Jugendlichen. Dabei werden Miniaturfiguren als Medium verwendet, die in Sandkästen aufgestellt werden. Das Buch gibt einen Überblick über die Sandspieltherapie und ihren Stellenwert in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Viele Beispiele zeigen, dass sich psychodynamische und klinische, symptomorientierte Zugänge positiv ergänzen. ' ... ein sehr fundiertes, gut lesbares Buch.' (Kinderanalyse 17/2009)

Prof. Dr. Alexander von Gontard ist Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum des Saarlandes (Homburg), Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinderheilkunde und Psychotherapeutische Medizin.

Alexander von Gontard

Theorie und Praxis der Sandspieltherapie

Ein Handbuch aus kinderpsychiatrischer und analytischer Sicht

2. Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Gewidmet meinen Lehrern: Dr. Heinz Bau Sigrid Löwen-Seifert Eva Sigg Christopher Titmuss

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

2. Auflage 2013 Alle Rechte vorbehalten © 2007/2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

ISBN: 978-3-17-022497-1

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-023902-9

epub:

978-3-17-027618-5

mobi:

978-3-17-027619-2

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einleitung

2 Sandspieltherapie im Kontext anderer Formen der Spieltherapie

2.1 Definition von Psychotherapien mit dem Medium des Spiels

2.2 Neuere Trends und empirische Daten

2.3 Personenzentrierte Spieltherapie

2.4 Analytische Formen der Spieltherapie

2.5 Andere Spieltherapien

2.6 Verhaltenstherapeutische Ansätze

2.7 Familientherapeutische Ansätze

2.8 Spieltherapien für Kleinkinder

3 Unterschiedliche Zugänge zur Sandspieltherapie

3.1 Verstehende Auslegung (Hermeneutik) und kausalwissenschaftliche Analyse

3.2 Empirische Psychotherapieforschung

3.3 Begründung: Warum Sandspieltherapie?

4 Sandspieltherapie – theoretischer Hintergrund

4.1 Geschichte der Sandspieltherapie

4.2 Methode der Sandspieltherapie

4.3 Literaturüberblick

4.4 Symbolik

4.5 Beispiel: Symbol des Vogels

4.6 Analytische Psychologie C.G. Jungs

4.7 Spirituelle Traditionen und Psychotherapie

5 Praxis der Sandspieltherapie

5.1 Diagnostik: Kinderpsychiatrische Sicht

5.2 Diagnostik, Deutung, Interpretation

5.3 Therapeutisches Vorgehen

5.4 Prozessverläufe

6 Sandspiel bei speziellen Störungsbildern

6.1 Hyperkinetisches Syndrom

6.2 Emotionale Störung mit sozialer Ängstlichkeit

6.3 Depressive Störung

6.4 Funktionelle Harninkontinenz

6.5 Organische Harninkontinenz

6.6 Atypische Essstörung

7 Zusammenfassung und Ausblick

Literatur

Anhang

Stichwortverzeichnis

Vorwort

Eine Beschäftigung mit der Sandspieltherapie löst immer noch Verwunderung und Unverständnis aus. Wie kann ein Spielen mit Sand und kleinen Figuren eine „richtige Therapie“ sein? Sind es nicht „nur“ Sandkastenspiele? Und wie kommt ein Arzt dazu, sich gerade mit dieser Materie zu befassen – wo es so viele andere, wichtigere Aufgaben zu erforschen und zu bewältigen gibt?

Als Autor ist es nicht leicht, die eigene Entwicklung zu dieser Therapieform hin schlüssig nachzuzeichnen: Viele „zufällige“ Ereignisse und Begebenheiten führten zu der persönlichen Erkenntnis, dass diese Therapieform die beste für die Problematik vieler zu behandelnder Kinder ist und gleichzeitig die passendste für die eigene Persönlichkeit. Wie in diesem Buch dargestellt, wurde die Sandspieltherapie von Dora Kalff begründet und beruht auf drei Grundlagen: Der analytischen Psychologie C.G. Jungs; der „Welttechnik“ M. Lowenfelds, einer primär diagnostischen, später therapeutischen Methodik; und spirituellen Traditionen, vor allem des Buddhismus.

Obwohl für alle Altersstufen offen, sind nicht-verbale therapeutische Zugänge für Kinder besonders wichtig, da alleine die Sprache als Medium für diese Altersgruppe nicht ausreicht. Sie muss durch Spiel und andere symbolische Formen des Gestaltens ergänzt werden. Die Sandspieltherapie als eine Form der nicht-verbalen Psychotherapie ist besonders effektiv, wenn die Indikation korrekt gestellt ist – sie ist bei introversiven Störungen besonders geeignet. Sie wirkt besonders dann, wenn der Therapeut den Patienten so begleitet, dass unbewusste Schichten der Psyche berührt werden und sich dadurch Änderungen vollziehen können. Die Sandspieltherapie findet natürlich nicht in einem kontextlosen Raum statt. Eltern, Lehrer und andere Personen der Umwelt werden einbezogen, soweit dies erforderlich ist. Andere kinderpsychiatrische und -psychotherapeutische Interventionen können für Teilaspekte der Problematik kombiniert werden, wenn diese wirksamer sind als die Sandspieltherapie alleine. Selbst Pharmakotherapie und Verhaltenstherapie können gut mit der Sandspieltherapie verbunden werden.

Doch zur eigenen Entwicklung: Als Jugendlicher fand ich in einem englischen Antiquariat ein Werk von C.G. Jung mit dem Titel „Modern man in search of a soul“ (1935) (deutsch: „Der moderne Mensch auf der Suche nach einer Seele“) – eine richtungsweisende Lektüre. Die „Suche nach der Seele“, Jungs Umschreibung der Individuation, ist in der aktuellen Kinderpsychiatrie als Therapieziel vernachlässigt, zugunsten von pragmatischen Konzepten der „Verhaltensmodifikation“. Nach intensiver Beschäftigung mit der Freud’schen Psychoanalyse und einer langen eigenen Analyse, schloss sich der Bogen viel später mit einem Wiederentdecken von C.G. Jung und einer noch längeren, zweiten Jung’schen (Lehr-)Analyse. Parallel zu dieser Analyse erfolgten tiefe (Einsichts-)Meditationserfahrungen – so dass die Spannung zwischen dem therapeutischen Weg ins Unbewusste und meditativen, spirituellen Erkenntnissen immer präsent war. Über Seminare, Lektüre und persönliche Begegnungen kam es zu einer Ausbildung in Sandspieltherapie mit der sicheren, intuitiven Überzeugung, dass dies ein außergewöhnlich guter therapeutischer Zugang zur Seele ist.

Weitere Gegensätze bestimmten den beruflichen Weg. Als Arzt erhielt ich eine naturwissenschaftliche Ausbildung in Humangenetik, wurde Facharzt für Kinderheilkunde, Kinder- und Jugendpsychiatrie und zuletzt für Psychotherapeutische Medizin. Als Forscher bin ich der nüchternen, exakten, empirischen Überprüfung von Hypothesen anhand von erhobenen Daten verpflichtet und wenig geneigt, Annahmen anderer, selbst anerkannter Autoritäten, ungeprüft zu übernehmen. Diesem wissenschaftlichen Zugang sind so wichtige medizinische Fortschritte der letzten Jahrzehnte zu verdanken, wie die zunehmende Überlebensrate von Frühgeborenen oder die hohen Heilungschancen für viele Kinder mit Krebserkrankungen. Auch in der Kinder- und Jugendpsychiatrie konnten viele irrige Annahmen wie z. B. die der Psychogenese des Autismus widerlegt und empirisch begründete Therapieformen entwickelt werden. Leider ist – bei allem wissenschaftlichen Erfolg – dabei das subjektive Erleben und Verstehen als Forschungsgegenstand und Therapieziel verlorengegangen, etwas, was die analytische Psychologie und andere Verstehenszugänge bieten können.

Diese Gegensätze sind primär methodischer Natur, wie in diesem Buch dargestellt werden soll. Analytische, hermeneutische Zugänge können ein tiefes Verständnis ermöglichen, nicht jedoch allgemeingültige Fakten oder Zusammenhänge vermitteln. Medizin, Psychologie, Naturwissenschaften und andere kausalwissenschaftliche Zugänge beschreiben nachprüfbare Zusammenhänge – können allein durch ihre Methode nicht die subjektive Bedeutungsebene erfassen. Beide Zugänge sind notwendig und können sich nicht gegenseitig ersetzen. Die Gegensätze müssen auch von der Sandspieltherapie ausgehalten werden – zu lange hat sie sich auf hermeneutische Zugänge zurückgezogen. Erst in letzter Zeit werden andere Forschungsergebnisse rezipiert, die Anwendung der Sandspieltherapie in anderen Kontexten mit schwerer gestörten Patienten beschrieben und ihre Wirksamkeit überprüft.

Die Gegenüberstellung dieser beiden Zugänge sollte ursprünglich das leitende Prinzip in diesem Buch sein. Es war als gemeinsames Werk geplant: Frau Dr. Dipl. päd. Christel Senges sollte aus ihrer langjährigen Erfahrung und ihrem Wissen die analytische Sicht beitragen, während ich die medizinisch-wissenschaftlich-psychotherapeutische Sicht übernehmen wollte. Aufgrund einer schweren Erkrankung war es Frau Senges nicht möglich, diesen Plan zu verwirklichen. Statt eines umfassenden Handbuches ist dieses Buch ein anderes, bescheideneres geworden, da die profunden analytischen Kenntnisse von Frau Senges nicht wirklich zu ersetzen waren. Ich möchte ihr in diesem Zusammenhang sehr danken für ihre Freundschaft und für ihre Anregungen in der Konzeptualisierung dieses Buches. Um zu gewährleisten, dass die analytische Psychologie C.G. Jungs und die Sandspieltherapie Dora Kalffs korrekt dargestellt wurden, erklärte sich Frau Löwen-Seifert freundlicherweise bereit, das Manuskript Korrektur zu lesen. Für ihre Mühen und vielen Anregungen bin ich sehr dankbar.

Auch anderen gebührt mein Dank. Durch viele Vorträge, Seminare und Diskussionen der C.G. Jung-Gesellschaft Köln wurde mein Verständnis der Jung’schen Sichtweise vertieft. Kontakte mit Kollegen der DGST (Deutschen Gesellschaft für Sandspieltherapie) und der ISST (International Society for Sandplay Therapy) zeigten mir die Bandbreite der Möglichkeiten der Sandspieltherapie auf. Über viele Jahre hinweg hatte ich zudem das Privileg, Supervisionsgruppen in Köln zu leiten: Durch die offene und mutige Diskussion von Therapieverläufen und herausfordernde Fragen habe ich von allen Teilnehmern viel gelernt.

Auch danke ich Herrn Dr. Ruprecht Poensgen vom Kohlhammer-Verlag, der dieses Projekt sofort unterstützte und mit viel Verständnis begleitet hat. Frau Sandra Dech möchte ich für ihren Einsatz beim Schreiben des Manuskriptes danken, was die Arbeit enorm erleichtert hat.

Besonders danken möchte ich meinen Lehrern, Dr. Heinz Bau, Frau Sigrid Löwen-Seifert, Frau Eva Sigg und Christopher Titmuss, denen gemeinsam ich dieses Buch widme.

Zuletzt möchte ich meiner Frau Frigga danken, die die Begeisterung für die Sandspieltherapie teilt.

Homburg/Saar, im Frühjahr 2007

Alexander von Gontard

1 Einleitung

Miniaturwelten haben schon immer für Kinder und Erwachsene eine Faszination ausgeübt: Gerade Spielsachen sind in ihrer verkleinerten Abbildung der „realen Welt“ so ansprechend – seien es die detaillierten Puppenstuben, die Gebirgslandschaften der Eisenbahnen, Autos oder Flugzeugmodelle, Indianerfiguren oder Puppen. Auch die Faszination von Freizeitparks wie „Legoland“, beruht auf der Miniaturisierung, die einen Gesamtüberblick wie aus einer Vogelperspektive ermöglicht. In japanischen Gärten werden mit geschicktem Einsatz von perspektivischen Mitteln eine Landschaft oder sogar der Kosmos in einem kleinen umschriebenen Areal gebildet. Kultfiguren verschiedenster Religionen werden in Miniaturform – seien es Marien-, Jesus- oder Buddhafiguren – an Wallfahrtsorten verkauft und zu Hause aufgestellt.

Auch gehört der Kontakt mit dem Medium Sand in unserer Gesellschaft zu den ubiquitären Kindheitserfahrungen. Wer kann sich nicht an das Spiel mit Wasser und Sand erinnern, an die Türme, Berge, Burgen und Strassen aus feuchtem Sand und an das weiche Gefühl des trockenen Sandes? An das Herumtoben und Springen von Dünen?

Abb. 1.1: Victoria und Christiane, White Sands, 1972

Abb. 1.2: Sandgestaltung links Kinder, rechts Erwachsene: Der Sand lädt ein zu spontanen Gestaltungen – bei Kindern und Erwachsenen

Neben dem begrenzten Raum des Sandkastens bietet das Spielen am Meer ganz andere Assoziationen. Unendliche Weiten, das Rauschen der Wellen und blaue Farben. Mit großen Sandmengen werden Bauwerke geschaffen, in denen man selber stehen kann, die gegenüber der einströmenden Flut verteidigt, doch irgendwann von den Wellen angenagt werden und untergehen. Der Sand dient als Symbol des Entstehens und der Vergänglichkeit und wird als solches von allen verstanden – vielleicht gerade wegen den besonderen taktilen Eigenschaften dieses Mediums.

Diese Elemente kommen in der Sandspieltherapie zusammen – und dennoch sind es nicht die Figuren oder der Sand alleine, die eine Veränderung bewirken. Spiel an sich ist heilsam – aber nicht im therapeutischen Sinne. Therapie wird erst durch eine besondere Form der Beziehung ermöglicht. Dora Kalff sprach von einem „freien und geschützten Raum“, der in der Sandspieltherapie entsteht. Frei bedeutet, dass der unmittelbare Ausdruck des bewussten, wie auch unbewussten Erlebens ohne Einschränkungen möglich ist. Die leeren Kästen dienen als Projektionsfläche, in denen die „Innenwelt“ nach außen projiziert und mit Hilfe der Miniaturfiguren aufgebaut wird. Der Begriff „Seelenbilder“ ist deshalb sehr zutreffend. Im Gegensatz zur Trauminterpretation oder zu Tagtraumtechniken sind die Symbole des intrapsychischen Geschehens offen sichtbar und können nicht bewusst abgestellt oder ausgewichen werden. Die Konfrontation mit dem Unbewussten ist konkreter, unmittelbarer und heftiger als bei anderen Therapieformen – und muss vom Patienten ausgehalten und verstanden werden. Hierzu ist der „geschützte“ Raum notwendig. Der Therapeut setzt die Rahmenbedingungen (Ort, Zeit, Ablauf) und schützt den Patienten, so dass Gefühle, Impulse und Symbole integriert werden können. Die Sandspieltherapie ist in ihrer Wirkung eine sehr intensive analytische Methode, die über den „Umweg“ des Sandbildes eine unmittelbare Äußerung von Übertragung und Gegenübertragung ermöglicht. Im Sandbild zeigt sich das Unbewusste von Patient und Therapeut, so dass in diesem Fall treffenderweise von einer „Co-Übertragung“ gesprochen wird.

In diesem Buch soll versucht werden, diese faszinierende und wirksame Therapiemethode in einem klinischen Kontext darzustellen. Es geht dabei um die Sandspieltherapie als therapeutische Methode bei Patienten mit klinisch ausgeprägten psychischen Störungen, wie sehr eindrücklich von Zoja (2004) dargestellt – und nicht als Selbst- oder „Transformations“erfahrungen bei relativ gesunden Menschen. Auch wird sich auf die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen beschränkt, obwohl viele Aussagen und Beobachtungen auch für Erwachsenentherapien zutreffen.

Neben dem theoretischen Hintergrund wird ein Schwerpunkt auf die praktische Durchführung gesetzt, und zwar im Kontext anderer therapeutischer Methoden. Es geht nicht um eine Idealisierung der Sandspieltherapie, sondern um ihre Einbettung in die vielen wichtigen Erkenntnisse, die die Kinder- und Jugendpsychiatrie in den letzten Jahrzehnten gewonnen hat. So ist die Sandspieltherapie nicht bei allen Störungen gleichermaßen geeignet. Nach einer ausführlichen Diagnostik sollte immer eine differentielle Therapieindikation gestellt werden. Ist die Sandspieltherapie am besten für diese spezielle Störung geeignet, dann kann sie alleine durchgeführt werden. Ist eine Kombination mit anderen Therapieformen sinnvoller, dann sollte eine solche Verbindung gewählt werden. Sind aber andere Methoden, wie zum Beispiel verhaltenstherapeutische Zugänge wirksamer, dann sollten jene alleine bevorzugt werden.

Das Buch folgt folgendem Aufbau:

Im 2. Kapitel wird die Sandspieltherapie nach Dora Kalff im Kontext anderer Formen der Spieltherapie dargestellt. Nach einer allgemeinen Definition von Psychotherapien mit dem Medium des Spiels werden die verschiedenen spieltherapeutischen Zugänge zusammengefasst.

Wie im 3. Kapitel dargestellt, ist die Kenntnis der wissenschaftstheoretischen Hintergründe für die Sandspieltherapie als analytische, hermeneutisch-verstehende Therapieform von besonderer Bedeutung. Ebenso sind die Ergebnisse der empirischen Psychotherapieforschung bei Kindern und Jugendlichen nicht zu vernachlässigen.

Im 4. Kapitel werden die theoretischen Hintergründe der Sandspieltherapie vermittelt, ihre Geschichte, Methodik und ein Überblick über die bisher veröffentlichen Monographien leitet das Kapitel ein. Die Kenntnis der Symbolsprache und der analytischen Psychologie C.G. Jungs ist dabei unerlässlich. Auf einen vollständigen Überblick wurde in diesem Kontext verzichtet, stattdessen sollen die für Kinder und Jugendliche wichtigen Aspekte akzentuiert mit praktischen Hinweisen dargestellt werden. Ein besonderer Schwerpunkt dieses Kapitels ist die enge Verbindung von meditativen, spirituellen Traditionen und Therapie. Dieses mag für Jungianer vertraut sein, wird aber möglicherweise für Therapeuten anderer Richtungen ungewohnt wirken. Deshalb werden die Berührungspunkte von Psychotherapie und Spiritualität ausführlich behandelt.

Das 5. Kapitel widmet sich der Praxis der Sandspieltherapie. Vor jeder Behandlung sollte eine ausführliche Diagnostik erfolgen, sowohl aus kinderpsychiatrischer, als auch aus analytischer Sicht. Das therapeutische Vorgehen wird ausführlich und praxisnah im Verlauf dargestellt.

Im 6. Kapitel werden Sandspielprozesse bei speziellen Störungsbildern beispielhaft dargestellt und mit Bildern aus Therapiestunden illustriert. Gerade durch diesen optischen Eindruck kommt die Intensität des Prozesses zum Ausdruck. Wiederum gilt es in allen Kasuistiken, die Sandspieltherapie im relativen Kontext zu anderen Therapieformen zu zeigen.

Den Lesern wird eine anregende Lektüre, kritische Auseinandersetzung und eigene Weiterentwicklung der geäußerten Ideen gewünscht – für die eigene Individuation, wie auch die ihrer Patienten.

2 Sandspieltherapie im Kontext anderer Formen der Spieltherapie

2.1 Definition von Psychotherapien mit dem Medium des Spiels

Spieltherapien können als Psychotherapien mit dem Medium des Spiels definiert werden, die sich bezüglich der theoretischen Voraussetzung, wie auch der konkreten Praxis unterscheiden. Es gibt somit nicht „die Spieltherapie“, sondern verschiedene Zugänge, die je nach Therapieschule eine unterschiedliche Gewichtung und Ausdifferenzierung erfahren haben.

Eine der allgemeinen Definitionen von Spieltherapie, wie sie von der „Association of play therapists“ formuliert wurde, lautet: „Spieltherapie ist der dynamische Prozess zwischen Kind und Spieltherapeut, in dem das Kind jeweils in seinem eigenen Tempo und Art und Weise die gegenwärtigen und vergangenen, bewussten wie auch unbewussten Themen untersucht, die sein Leben beeinflussen. Die inneren Ressourcen des Kindes ermöglichen, dass die therapeutische Beziehung zu Wachstum und Veränderung beiträgt. Spieltherapie ist kindzentriert, Spiel ist das primäre und Sprache das sekundäre Medium“ (West, 1996, S. xi).

In dieser komprimierten Definition klingen viele allgemeingültige Aspekte der Spieltherapien an. Im Zentrum steht die direkte Behandlung des Kindes, die als Einzel- oder Gruppentherapie durchgeführt werden kann. Elterngespräche begleiten in regelmäßigen Abständen (z. B. jede 4. oder 5. Stunde) die Therapie des Kindes – sie sind jedoch nicht das Hauptagens der therapeutischen Intervention, wie z. B. beim reinen Elterntraining.

Je nach Grad der Strukturierung bestimmt das Kind weitgehend den Inhalt, Ablauf und das Tempo der Therapie. In diesem Prozess ist tatsächlich das Spiel das primäre Medium, über das Phantasien und Konflikte symbolisch dargestellt werden. Gespräche können begleitend zum Spiel oder auch intermittierend auf Wunsch des Kindes geführt werden, stellen jedoch nicht das entscheidende therapeutische Agens dar. Es ist erstaunlich, wie wenig in manchen Therapien gesprochen wird und wie erleichtert manche Kinder darüber sind.

Das am besten geeignete Alter für eine Spieltherapie reicht vom Alter von 4–11 Jahren, mit einer maximalen Spanne von 2½–12½ Jahren. Bei jüngeren Kindern ist eine Einzeltherapie nicht sinnvoll, da Trennungsängste des Kindes den therapeutischen Prozess eher negativ beeinflussen können. Je jünger das Kind ist, desto eher zeigt sich die Problematik in der direkten Beziehung zu den Eltern, die in den therapeutischen Prozess einbezogen werden müssen (Zero to Three, 1995). Bei Kleinkindern ist es durchaus möglich, dass die Einzeltherapie in Anwesenheit der Eltern durchgeführt wird. Für noch jüngere Kleinkinder und Säuglinge wurden spezielle Eltern-Kind-Interaktionstherapien entwickelt. Dagegen ist eine Spieltherapie bei älteren Kindern und sogar Jugendlichen oft möglich. Obwohl Jugendliche das Spiel zunächst als kindlich ablehnen, finden manche rasch einen Zugang, sobald sie sich sicher und geborgen fühlen und sich auf die Schweigepflicht des Therapeuten verlassen können. Manche Formen der Spieltherapie, z. B. die Sandspieltherapie, lassen sich während des gesamten Erwachsenenalters – sogar bis ins hohe Greisenalter – sinnvoll einsetzen.

Da die Interaktion zwischen Therapeut und Kind entscheidend ist und eine Veränderung des kindlichen Erlebens und Verhaltens über die therapeutische Beziehung erreicht werden soll, setzen alle Therapieformen eine intensive Ausbildung voraus. Diese schließt neben Theorie und Supervision immer auch eine eigene Selbsterfahrung mit ein. Ohne die letztere ist es nicht möglich, das Erleben des Kindes und die eigene psychische Problematik genügend zu differenzieren, um eine für das Kind produktive Veränderung zu ermöglichen. Wie es West (1996) treffend formulierte: „Jeder trägt Relikte seiner eigenen Kindheit und Familie mit sich, die den kindzentrierten Zugang des Therapeuten behindern, wenn sie nicht gelöst, bearbeitet oder neu formuliert werden“ („everyone has relicts from their own childhood and family life that, if not released, resolved or refrained, might impair the inspiring play therapist’s ability to be child centered“).

Bei der Wahl der Spieltherapieform sind zwei Faktoren entscheidend: die Therapie muss für das Störungsbild des Kindes indiziert und wirksam sein; und sie muss der Persönlichkeit des Therapeuten entsprechen. Wie O’Connor und Braverman (1997, S. 1) es treffend ausdrückten: „Es ist unser Glaube, dass man als kompetenter Spieltherapeut ein Modell finden muss, das die eigene Persönlichkeit und die spezifischen Bedürfnisse der Klienten entspricht“ („it is our belief that to become a competent play therapist, one must find a model that measures well with both one’s personality and the needs of one particular client base“).

Da keine Therapieform für alle Indikationen wirksam sein kann, ist es heutzutage wünschenswert, wenn ein Therapeut neben der eigenen Therapierichtung über Kenntnisse anderer Therapieschulen verfügt. In anderen Worten, sollte z. B. ein Therapeut mit einer Ausbildung in tiefenpsychologisch-fundierter Psychotherapie durchaus über Kenntnisse der Verhaltens- und Familientherapie verfügen – und vice versa. Dadurch erhöht sich die Flexibilität des therapeutischen Handelns erheblich, verschiedene Zugänge können kombiniert werden, und die Bedeutung der eigenen Therapieform wird relativiert.

Differenzen zwischen Spieltherapieansätzen

Neben diesen vielen Gemeinsamkeiten finden sich auch erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Spieltherapieschulen. Die Spieltherapien unterscheiden sich zunächst allgemein bezüglich ihres theoretischen Schwerpunktes, wie in den folgenden Kapiteln dargestellt. Folgende spezielle Unterschiede zeigen sich im direkten Vergleich verschiedener Zugänge: So ist bei manchen Spieltherapien das direkte, beobachtbare Verhalten des Kindes entscheidend – andere legen den Schwerpunkt auf das intrapsychische Erleben und weniger auf das manifeste Verhalten. Manche Therapieschulen fokussieren ausschließlich auf bewusste Inhalte, wie die personenzentrierten Zugänge, für andere dagegen sind unbewusste Determinanten entscheidend (tiefenpsychologische Schulen). Auch unterscheidet sich der Grad der Verbalisierung deutlich: bei verhaltenstherapeutischen Schulen wird eher viel und direkt mit dem Kind gesprochen, andere, wie beispielsweise die Sandspieltherapie, versuchen dem nichtverbalen Ausdruck möglichst breiten Raum zu geben. Daneben betonen manche Schulen die Notwendigkeit der raschen, intensiven Interpretation (z. B. die Schule von M. Klein), während andere eine Interpretation nur befürworten, wenn die Voraussetzungen dafür geschaffen sind (z. B. A. Freud). Auch wird der Stellenwert der therapeutischen Beziehung unterschiedlich gesehen: manche Schulen meinen, dass das Spiel an sich schon heilsam sei, während andere betonen, dass das Spiel ausschließlich im Kontext der therapeutischen Beziehung wirkt.

Praktische Differenzen der unterschiedlichen Zugänge beziehen sich auf die Zielgruppe der Patienten, z. B. Alter, Störungsform und Schweregrad. Die Auswahl des Spielmaterials variiert von spärlich eingerichteten, eher wenig ausdifferenziertem Spielmaterial, um der eigenen Phantasie des Kindes möglichst breiten Raum zur Projektion zu geben, bis hin zu reichhaltigem, ausdifferenziertem Spielmaterial, das gerade der jeweils aktuellen unbewussten Phantasie entsprechen soll (wie bei der Sandspieltherapie). Auch die Dauer der Therapie variiert von fokussierten Kurzzeittherapien über eine begrenzte Zahl von vorher festgelegten Stunden bis hin zu einer mehrjährigen tiefenpsychologisch-fundierten oder analytischen Spieltherapie. Auch die Intensität kann variieren, von einer Stunde alle 2–4 Wochen (wie bei manchen Gruppentherapien) bis hin zu 2 Stunden pro Woche bei tiefenpsychologisch-fundierten Therapien. Die hochfrequenten analytischen Therapien mit 4–5 Stunden pro Woche sind weitgehend verlassen worden. Auch die Intensität der Elternarbeit kann variieren, wobei das Verhältnis von 4–5 Einzelstunden mit dem Kind zu einer Elternstunde sich bei vielen Schulen eingebürgert hat. Die Form der Elternarbeit variiert nach thematischem Fokus und nach Grad der aktiven Einbeziehung in den Prozess.

Die Therapien unterscheiden sich ferner deutlich nach dem Grad der Strukturierung. Am wenigsten strukturiert sind die „nichtdirektiven“, personen-zentrierten Therapien, die tiefenpsychologischen Schulen nehmen eine Zwischenstellung ein und die kognitiv-verhaltenstherapeutischen Therapien erreichen den höchsten Grad der Strukturierung.

Schließlich unterscheiden sich die Therapien nach Modalität, d. h. ob Einzel- oder Gruppentherapie, sowie nach Setting, ob ambulant (in der Praxis/Klinik oder zu Hause), tagesklinisch oder sogar stationär. Im Prinzip sollten natürlich möglichst alle Kinder ambulant behandelt werden, die teil- oder vollstationären Behandlungen sind den schwereren Störungen vorbehalten und immer mit anderen therapeutischen Zugängen kombiniert.

2.2 Neuere Trends und empirische Daten

Neben den wichtigen Entwicklungen in der Verhaltens- und Familientherapie hat die Spieltherapie in den letzten Jahren eine deutliche Renaissance erlebt. Drei wesentliche Gründe haben dazu beigetragen, dass die Spieltherapien wieder zunehmend in Theorie und Praxis an Bedeutung gewonnen haben:

Zum einen hat man erkannt, dass emotionale, intrapsychische Probleme bei Kindern nur durch eine Einzeltherapie direkt zu lösen sind und dies nur über ein kindgerechtes Medium wie das Spiel erreicht werden kann.

Auch innerhalb der Verhaltenstherapien wurde deutlich, dass eine Verhaltensmodifikation des Kindes am günstigsten erreicht werden kann, wenn das Kind über ein altersentsprechendes Spiel aktiv in die Therapie miteinbezogen wird.

Und zuletzt zeigte sich, dass traditionelle Familientherapien gerade für jüngere Kinder wenig geeignet sind. Die Therapie fand üblicherweise auf verbaler Ebene zwischen den Eltern alleine oder unter Einschluss der älteren Kinder und Jugendlichen statt. Neuere Entwicklungen dagegen beziehen auch jüngere Kinder über das Spiel in die Familieninteraktion während der Therapie ein.

Die zunehmende Bedeutung der Spieltherapien spiegelt sich in der großen Zahl von Publikationen und Handbüchern wieder, die in den letzten 15 Jahren erschienen sind. In englischer Sprache sind es vor allem die Bücher von Jennings (1993), Kaduson et al. (1997), Kissel (1990), Lanyado und Horne (1999), Mark und Incorvaia (1995), McMahon (1992), O’Connor (1991), Ryan und Wilson (1996), West (1996), Wilson, Kendrick und Ryan (1992) und viele andere mehr. In deutscher Sprache sind vor allem Handbücher zur personenzentrierten Spieltherapie erschienen, während die anderen Richtungen weniger berücksichtigt wurden (Boeck-Singelmann et al., 1996, 1997; Goetze & Jaede, 1998; Goetze, 2002; Petzold & Ramin, 1991; Schmidtchen, 1989, 1991). Das wohl wichtigste Werk überhaupt ist das einzigartige, grundlegende Werk von O’Connor und Braverman (1997), auf das immer wieder verwiesen wird. Anhand eines hypothetischen Fallbeispieles wurden Vertreter verschiedener spieltherapeutischer Schulen gebeten, ihr spezifisches Vorgehen zu erläutern und darzustellen. Es wird dabei deutlich, dass selbst bei der gleichen Grundproblematik verschiedenste therapeutische Zugänge denkbar und effektiv sind. Das Anliegen des Buches war es, die Pluralität verschiedener therapeutischer Zugänge darzustellen und darauf hinzuweisen, dass es keine allgemeine Überlegenheit einer spezifischen Therapieschule gibt.

In den nächsten Jahren wird es die Aufgabe der Psychotherapieforschung sein, die Frage der differentiellen Therapieindikation zu klären, d. h. welche Therapieform bei welchem Kind mit welcher Störung in welcher Familie effektiver und effizienter ist. In den Publikationen lassen sich folgende Trends ablesen: Enge, durch einzelne Therapieschulen definierte Sichtweisen werden verlassen. Stattdessen findet man nicht nur eine Integration von verschiedenen spieltherapeutischen Zugängen, sondern auch von anderen Therapieformen, vor allem der Verhaltenstherapie und der Familientherapie. Es wurden fokussierte Kurzzeittherapien mit einem umschriebenen Behandlungsziel, begrenzten Stundenzahlen und strukturierten Therapiemanualen entwickelt. Auch finden sich spezielle, störungsbezogene Spielangebote, z. B. für Kinder nach Trennung und Scheidung der Eltern, zur Vorbereitung vor Operationen und anderen medizinischen Eingriffen, oder nach erfahrener Misshandlung und Missbrauch. Zudem werden Spieltherapien zunehmend auch empirisch evaluiert. Dabei sind die personenzentrierte Spieltherapie und die Verhaltenstherapien sehr viel besser untersucht als die tiefenpsychologischen und familientherapeutischen Spieltherapien.

In den nächsten Kapiteln soll eine Auswahl der wichtigsten spieltherapeutischen Zugänge dargestellt werden. Eine Übersicht findet sich in der Tabelle 2.1. In einzelnen Kapiteln wird zunächst die personenzentrierte Spieltherapie, anschließend die tiefenpsychologischen und zuletzt alle weiteren dargestellt.

Tab. 2.1: Übersicht über verschiedene Formen der Spieltherapie (s. auch von Gontard & Lehmkuhl, 2003a, b)

2.3 Personenzentrierte (nicht-direktive) Spieltherapie

2.4 Analytische Formen der Spieltherapie

Psychoanalytische Spieltherapie nach Anna FreudPsychoanalytische Spieltherapie nach Melanie KleinAndere psychoanalytische Spieltherapien (nach D.W. Winnicott, E. Erickson)Individualtherapie nach A. AdlerAnalytische Psychotherapie nach C.G. JungSandspieltherapie nach D. Kalff

2.5 Andere Spieltherapien

GestalttherapieKunsttherapienEcosystem Play TherapySpieltherapie nach Milton EricksonFokussierte Spieltherapien

2.6 Verhaltenstherapeutische Ansätze

Cognitive-Behavioral Play Therapy (CBPT)Parent-Child Interaction Therapy (PCIT)

2.7 Familientherapeutische Ansätze

Dynamische Familien-SpieltherapieStrategische Familien-SpieltherapieFamilien-Spieltherapie mit jungen Kindern

2.8 Spieltherapien für Kleinkinder

Filial Therapy (FT)Developmental Play Therapy (DPT)Theraplay

2.3 Personenzentrierte Spieltherapie

Die personen- oder kindzentrierte (früher nicht-direktive oder klienten-zentrierte) Spieltherapie ist eine sehr weit verbreitete Form der Spieltherapie. Ihre therapeutischen Grundprinzipien sind so weitsichtig und treffend formuliert, dass sie fast als allgemeingültige therapeutische Einstellung einem Kind gegenüber gelten darf.

Die personenzentrierte Spieltherapie beruht auf der Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers, die von seiner Schülerin Virginia Axline 1947 für das Kindesalter erweitert wurde. Die wesentlichen Konstrukte dieser Persönlichkeitstheorie umfassen die Person, das phänomenologische Feld und das Selbst. Es wird angenommen, dass jede Person eine in ihr angelegte Tendenz zu innerem (positivem) Wachstum, Entwicklung, Unabhängigkeit und Reifung trägt. Jede Person versucht, innerhalb ihres phänomenologischen Feldes, das innere und äußere, bewusste und unbewusste Erfahrungen enthält, seine Bedürfnisse zu erfüllen. Die Erfahrungen mit diesem Feld führen zu einem Gefühl von Selbst, einer Wahrnehmung eigener Eigenschaften mit sich und dem Umgang mit der Umwelt. Ein gut integriertes, positives Selbstkonzept führt zu besseren interpersonellen Beziehungen (Landreth & Sweeney, 1997; s. auch Boeck-Singelmann et al., 1996, 1997; Goetze & Jaede, 1988; Goetze, 2002; Schmidtchen, 1989, 1991).

Störungen werden als eine Inkongruenz zwischen dem Selbstkonzept des Kindes und den aktuellen Erfahrungen angesehen, also als Störungen des inneren Wachstumsdranges. Das Ziel der Behandlung liegt in einer Selbstaktualisierung und Kongruenzerfahrung, der Fokus der Therapie liegt dabei eindeutig auf dem bewussten Erleben und nicht – wie bei tiefenpsychologischen Schulen – auf unbewussten Determinanten (Biermann-Ratjen, 1995). Die Prinzipien der kindzentrierten Spieltherapie wurden in acht Grundregeln von Axline (1989, 1993; erstmals 1947 erschienen) zusammengefasst. Es lohnt sich, die Originaltexte von Axline zu lesen, da diese Grundprinzipien trotz aller Variationen in den letzten Jahrzehnten immer noch ihre Gültigkeit haben:

Aufnahme einer warmen, freundlichen Beziehung,

bedingungslose Annahme,

Ermöglichung eines freien Ausdrucks von Gefühlen,

Reflektion von wahrgenommenen Gefühlen des Kindes,

Respekt vor der eigenen Problemlösefähigkeit des Kindes,

Bestimmung des Therapieverlaufes durch das Kind,

keine Beschleunigung des Prozesses durch den Therapeuten,

Grenzen nur zur Verankerung in der Realität und zum Schutz des Kindes.

Dabei richtet sich die Strukturierung der Therapie nach den individuellen Bedürfnissen des Kindes, so dass der ursprüngliche Begriff „nicht-direktive Spieltherapie“, den Axline prägte, durch die Bezeichnung „personen-“ oder „kindzentrierte“ Therapie ersetzt wurde.

Da die wesentlichen psychischen Veränderungen nur einer akzeptierenden, verständnisvollen Beziehung folgen können, legte die personenzentrierte Spieltherapie immer einen großen Wert darauf, heilsame Therapeutenvariablen zu definieren. Die wichtigsten Haltungen des Therapeuten wurden von West (1996) zusammengefasst:

Die Fähigkeit zu Beziehung und Kommunikation mit Kindern,

Echtheit, Authentizität und Kongruenz des Therapeuten,

positive Akzeptanz, nicht besitzergreifende Wärme,

exakte Empathie,

Zuverlässigkeit,

Respekt,

keine Ausbeutung,

die Wahrnehmung und Fähigkeit, auf eigene innere Gefühle und Repräsentanzen als Kind (das sogenannte „eigene innere Kind“) einzugehen.

Indikationen und Kontraindikationen

Die Indikationen zur personenbezogenen Spieltherapie werden kontrovers diskutiert und von Vertretern der Schule z. T. zu weit gefasst. So wurden von Landreth et al. (1996) 97 vorher publizierte, exemplarische Spieltherapiefälle dargestellt und nach DSM-IV–Diagnosen klassifiziert. Die Spieltherapie wurde z. T. begleitend zu anderen Maßnahmen eingesetzt und diente nicht in jedem Fall als Haupttherapie. Dennoch finden sich Störungen aus dem gesamten Gebiet der Kinderpsychiatrie, die spieltherapeutisch behandelt wurden, unter anderem: Missbrauch und Vernachlässigung, aggressives Verhalten, Bindungsschwierigkeiten, Autismus, Verbrennungsfolgen, chronische Erkrankungen, Taubheit und körperliche Behinderung, Dissoziationen, Schizophrenie, emotionale Störungen, Enuresis und Enkopresis, Angststörungen, Trauer, Hospitalisation, Lernschwierigkeiten, geistige Behinderungen, Leseschwierigkeiten, elektiver Mutismus, Störungen des Selbstwertgefühls, Störungen des Sozialverhaltens, Sprachstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, zurückgezogenes, sozial ängstliches Verhalten. Schon bei der Durchsicht dieser Liste dürfte an Hand der neueren empirischen Therapieergebnisse eine erhebliche Skepsis aufkommen.

Nach eigener Erfahrung müssen die Indikationen sehr viel enger gefasst werden. Die personenzentrierte Spieltherapie ist am effektivsten bei leichten und mittleren Schweregraden von Störungen, die keine stationäre Therapie erfordern; vor allem bei emotionalen, introversiven Störungen; nur bei expansiven Störungen, die eine deutliche emotionale Komponente tragen; und nur, wenn andere Therapieformen nicht effektiver sind.

Die Kontraindikationen wurden von West (1996) sehr viel realistischer zusammengefasst. Kontraindikationen können durch Faktoren beim Kind, in der Familie, in der Umwelt und beim Spieltherapeuten begründet sein. Nach West mag eine Spieltherapie nicht geeignet sein:

wenn das Kind geistig behindert ist,

nicht zwischen Realität und Phantasie unterscheiden kann,

unter Autismus, einem hyperkinetischen Syndrom, einer Persönlichkeitsstörung oder einer Psychose leidet,

wenn eine Fremdplatzierung geplant ist

und wenn das Kind die Spieltherapie ablehnt.

Auch ist die personenzentrierte Therapie nicht indiziert, wenn die Familie keine ausreichende Kooperationsbereitschaft zeigt und es ablehnt, Hilfe anzunehmen. Die Therapie ist auch dann wenig sinnvoll, wenn z. B. das Jugendamt oder Gerichte die Therapie nicht unterstützen, Informationen benötigen und die Vertraulichkeit, die eine Therapie erfordert, nicht gewährleistet ist. Zuletzt sollte sie nicht durchgeführt werden, wenn der Spieltherapeut nicht genügend Zeit hat und nicht adäquat supervidiert wird.

Ausstattung und Verlauf

Die Therapie wird in einem eigenen Spieltherapiezimmer durchgeführt, das kindgerecht eingerichtet ist und mit einem reichen Angebot von Spielmaterial ausgestattet ist. Sinnvoll sind nach eigener Erfahrung unter anderem ein Kindertisch mit Kinderstühlen, z. B. für Regelspiele und Malen; eine Liegeecke mit Matratzen, Kissen und Decken bei regressiven Bedürfnissen; offene Regale für frei zugängliches Spielmaterial und abschließbare Schränke, falls das Spielmaterial eingeschränkt werden soll; genügend Platz für Bewegungsspiele; thematisch geordnete Spielecken, z. B. für Puppenspiel, Kaufmannsladen usw.. Die Spielmaterialien sind nicht genormt und die Auswahl ist dem Therapeuten überlassen. Eine typische Auswahl umfasst z. B. Puppen, Puppenwagen, Puppenbett, Puppenhaus, Stofftiere, Handpuppen, Autos, Konstruktionsspiele, Regelspiele, Waffen, Kaufmannsladen, Malmaterial, Ton, Bücher.

Die Frequenz beträgt üblicherweise einmal pro Woche mit begleitenden Elterngesprächen ohne Kind jede 4. oder 5. Stunde. In einer Studie konnte Schmidtchen (1986) zeigen, dass die Therapiestunden (45–50 Minuten) überwiegend im Spiel verlaufen, während die Sprache nur ergänzend und begleitend eingesetzt wird: 93 % der Zeit ist reine Spielzeit und nur 7 % wird nicht-spielend verbracht. In nur 21 % der Therapiestunde wird gesprochen – zum Teil begleitend, zum Teil alleine ohne Spiel.

Die personenzentrierte Spieltherapie verläuft in typischen Stadien (West, 1996; Landreth & Sweeney, 1997):

Die

Initialstunde

ist, wie in anderen Therapieformen besonders wichtig, da sie als Schlüssel für die gesamte folgende Therapie gelten darf.

In der

ersten Phase

der Therapie zeigt das Kind oft ein höchst variables Verhalten. Die therapeutische Arbeit liegt in der Herstellung eines Arbeitsbündnisses mit Kind und Eltern.

In der

zweiten Phase

entwickelt sich ein zunehmendes Vertrauen zum Therapeuten, die Gefühlsäußerungen des Kindes werden fokussierter, dagegen kann sich das äußere Verhalten verschlechtern. Da dieses für Eltern sehr beunruhigend sein kann, müssen sie auf mögliche Veränderungen vorbereitet werden.

In der

dritten Phase

zeigt das Kind zunehmend offene und positive Gefühle, kann aber Ambivalenzen besser ertragen.

In der

vierten Phase

tauchen realistische Gefühle auf, das Kind fühlt sich emotional wohler und kann mit den Schwierigkeiten des Lebens besser umgehen. Zu dem Therapeuten hat sich eine altersentsprechende Beziehung entwickelt, so dass die Ablösung vorbereitet werden kann.

Die Therapie wird

beendet,

wenn die Therapieziele erreicht sind. Das Kind sollte in diesen Entscheidungsprozess eingebunden werden. Der bevorstehende Abschied sollte rechtzeitig vorbereitet und besprochen werden. Oft zeigen sich Rekapitulationen der vorherigen Stunden. Und obwohl die Übertragung endet, kann die reale Beziehung zum Therapeuten auch nach Ende der Therapie weiter bestehen.

Die Therapiedauer kann vorher festgelegt werden – oder nach den Bedürfnissen des Kindes offen gestaltet werden. Die übliche Dauer beträgt 10–40 Stunden, wobei auch kürzere Therapien durchaus effektiv sein können. Nach West (1996) zeigen sich partielle Verbesserungen schon nach 4 Wochen bei Kindern unter einem Alter von 6 Jahren, und nach 4–8 Wochen bei 10- bis 12-jährigen Kindern. Deutliche Besserungen können nach 2–4 Monaten bei Kindern unter 6 Jahren, nach 4–15 Monaten bei 10- bis 12-jährigen erreicht werden. Die Effektivität der personenzentrierten Therapie wurde in vielen empirischen Arbeiten nachgewiesen (Schmidtchen, 1986, 1991).

Zusammengefasst handelt es sich bei der personenzentrierten Spieltherapie um ein effektives „Breitbandverfahren“, das für viele Störungen eingesetzt werden kann. Die Hauptindikation sind leichte bis mittelschwere emotionale Störungen. Die Grundhaltung zum Kind und heilsame Therapeutenvariablen wurden detailliert erfasst und beschrieben. Das Störungskonzept an sich ist jedoch relativ atheoretisch, berücksichtigt nur bewusste Aspekte und wird bei schweren Störungen nicht ausreichen, bei denen ein differenziertes Verständnis der Psychodynamik erforderlich ist. Die Grundkonzepte wurden erweitert, sowohl mit einer Integration von Verhaltenstherapie, Familientherapie, als auch tiefenpsychologischen Konzepten (West, 1996).

2.4 Analytische Formen der Spieltherapie

Die psychoanalytischen Spieltherapien haben historisch das Spiel als ideales therapeutisches Agens für das Kindesalter etabliert und sind auch heute weit verbreitet. Auch theoretisch wurde die Rolle des Spiels als entscheidender Wirkfaktor im analytischen Prozess differenziert ausgearbeitet (Berna, 1976; Bolland & Sandler, 1977; Bally, 1969; Eckstein, 1976; Fahrig, 1999; Pearson, 1983; Rambert, 1977; Rubner, 1988; Stork, 1976). Da die psychoanalytischen Spieltherapien die Basis vieler anderer Therapieformen darstellen, sollen die Grundprinzipien in diesem Kontext kurz erwähnt werden. Wegen der Fülle des Materials ist eine Übersicht nicht möglich, so dass immer wieder auf weiterführende Literatur verwiesen wird.

Die ursprüngliche psychoanalytische Auffassung der Persönlichkeitsentwicklung basiert auf der Theorie der infantilen Sexualität. Die kindliche Entwicklung wurde als ein dynamischer Prozess angesehen, der den Ausdruck dieser Triebe und deren Modulationen durch Ich-Instanzen beinhaltete, d. h. einer Verhandlung zwischen Lust- und Realitätsansprüchen. Im historischen Verlauf wurde die Psychoanalyse durch die Ich-, Objekt- und Selbstpsychologie ergänzt (Lee, 1997).

Die Kinderanalyse ist indiziert bei Konflikten der intrapsychischen Instanzen, bei inadäquaten Abwehrmechanismen, Ängsten, Fixierungen, Regressionen auf frühere Entwicklungsstufen und Unterdrückung von Aggressionen. Das Spiel ist das wichtigste Medium für Diagnostik und Therapie in der Kinderanalyse. Das Spiel drückt bewusste und unbewusste Phantasien aus und dient der Exploration neuer Erfahrungen. In der Therapie begleitet und fördert der Analytiker das Spiel, stellt eine Übertragungsbeziehung her und interpretiert unbewusste Zusammenhänge (Lee, 1997).

Sigmund Freud behandelte 1909 den Fall des kleinen Hans, einem 5-jährigen Jungen mit einer Pferdephobie, indirekt über seinen Vater. Dagegen behandelte er nie Kinder direkt. Auch entwicklungstheoretische Werke, die „Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie“ (1905) (s. Freud, 1975) beruhen nicht auf direkten Beobachtungen von Kindern, sondern auf retrospektiven Konstruktionen von Erwachsenen. Aufgrund der fehlenden empirischen Beobachtungen von Kindern konnte Dornes (1993) treffend drei Tendenzen der psychoanalytischen Theoriebildung identifizieren: nämlich den „Theoretikomorphismus“, d. h. das Kind ist so, wie die Theorie es vorschreibt; den „Adultomorphismus“, d. h. einer Beschreibung der kindlichen Entwicklung an Begriffen der Erwachsenenpsychologie; und der „Pathomorphismus“, d. h. der Beschreibung der normalen kindlichen Entwicklung in Termini der Pathologie. Gerade die psychoanalytische Entwicklungspsychologie musste deshalb in den vergangenen Jahren anhand der neueren empirischen Befunde stark revidiert werden.

Entwicklung der Kinderanalyse

Zwei Personen sind bei der ursprünglichen Entwicklung der Kinderanalyse entscheidend: Anna Freud und Melanie Klein. Die wichtigsten Kontroversen der beiden, nach ihnen benannten Schulen, treffen das Verhältnis von Spiel und freier Assoziation, die Interpretation von Konflikten und die Frage, ob Kinder eine Übertragungsneurose entwickeln oder nicht (Holder, 1991).

Psychoanalytische Spieltherapie nach Anna Freud

Die wichtigsten Prinzipien der von Anna Freud gegründeten Therapieschule werden kurz dargestellt. Da das Kind oft wenig motiviert ist, muss als erstes und wichtigstes Therapieziel ein Arbeitsbündnis mit Kind und Eltern hergestellt werden (Freud, 1973; Holder 1991; Rubner, 1988). Erst im zweiten Schritt beginnt die eigentliche Therapie. Im Gegensatz zur Erwachsenenanalyse liegt das Therapieziel nicht in einer regressiven Begegnung und Auseinandersetzung mit verdrängten Inhalten, sondern im aktiven Erleben in der Gegenwart (Lee, 1997). Auch kann das Spielen nicht mit der freien Assoziation der Erwachsenen gleichgesetzt werden, da ungewiss bleibt, ob das Kind ein Stück äußere Realität oder seine innere Phantasie symbolisch mitteilt. Konflikte können reale Konflikte sein und nicht, wie bei Erwachsenen, internalisierte Konflikte der intrapsychischen Instanzen. Da direkte Deutungen Widerstand hervorrufen können, müssen Interpretationen langsam vorbereitet werden oder indirekt (über Puppenspiel, Geschichten von anderen Kindern) erfolgen (Bolland & Sandler, 1977). Neben einer Übertragungsbeziehung stellt das Kind auch reale Objektbeziehungen her. Der Therapeut ist nicht neutral, sondern aktiv im Spiel verwickelt, so dass eine Übertragung sich erst im Prozess zeigen kann. Erst wenn die Übertragung deutlich geworden ist, kann sie gedeutet werden.

Die Therapie findet in einem Spieltherapiezimmer statt, das individuell mit Spielmaterial bestückt wird (Sandler, Kennedy & Tyson, 1982). Der Therapeut bietet dem Kind maximale Ausdrucksmöglichkeiten und setzt Grenzen nur dort, wo eine Verletzungsgefahr gegeben ist. Er beobachtet und begleitet in Worten und Spiel und interpretiert vorsichtig, ohne den Fluss des Spiels zu unterbrechen. Diese gezielte Interpretation, d. h. die Übersetzung der beobachteten Spielinhalte zu ihren unbewussten Wurzeln, ist entscheidender als die therapeutische Wirkung des Spiels an sich.

Die Therapiefrequenz beträgt 2- bis 3-mal pro Woche, mit häufigen Elterngesprächen (1-mal alle 1–2 Wochen). Nach dem Erstgespräch erfolgt die Orientierungsphase, während der das praktische Vorgehen mit Eltern und Kind vereinbart wird. Mit dem Kind wird ein Arbeitsbündnis und eine vertrauenswürdige Beziehung zum Therapeuten aufgebaut. Negative Gefühle wie Ärger, Wut, Neid und Verlassenheitsängste können aktiviert werden und müssen in der Übertragung bearbeitet werden. Auch alle folgenden Hauptkonfliktpunkte müssen durchgearbeitet werden. Das Ende der Therapie wird vorbereitet und die Ablösung bearbeitet.

Psychoanalytische Spieltherapie nach Melanie Klein

Im Gegensatz zu Anna Freud führte Melanie Klein analytische Spieltherapien auch bei Kleinkindern durch (Klein, 1969, 1981). Sie glaubte, dass das kindliche Spiel der freien Assoziation der Erwachsenen entspricht und als unbewusstes Material betrachtet werden kann. Deshalb seien intensive, schnelle Interpretationen auch sexuellen Inhalts gerechtfertigt. Auch meinte sie, dass die Übertragung sich früh in der Analyse entwickelt und so früh wie möglich gedeutet werden muss, vor allem, wenn sie negativ ist (von Siebenthal, 1991). Daneben gehörte Melanie Klein zu den ersten, die den Wert eines speziellen Spieltherapiezimmers betonten (McMahon, 1992).

Andere psychoanalytische Spieltherapien

Andere Analytiker haben entscheidend zu der analytischen Spieltherapie beigetragen, ohne dass sie eine nach ihnen benannte Therapieschule initiiert hätten. D.W. Winnicott, Kinderarzt und Analytiker, betont, dass das Spiel an sich heilsam sei. Interpretationen seien weniger wichtig als eigene, spontane Entdeckungen des Kindes im Spiel. Damit grenzte er sich eindeutig von der Vorgehensweise von Melanie Klein ab (McMahon, 1992). Weitere entscheidende Beiträge Winnicotts beziehen sich auf die Bedeutung des Übertragungsobjektes und des „dritten Raum“ zwischen Innen- und Außenwelt, in der die Ursprünge der Kreativität liegen (Davis & Wallbridge, 1981; Wilson, Kendrick & Ryan, 1992; Kahr, 1996). Die bleibende Aktualität von Winnicott beruht auf seiner exakten, nüchternen Beobachtung von Kindern und Müttern, seiner einfachen Sprache und seinem weitgehenden Verzicht auf psychoanalytischen Jargon. Seine Beobachtungen wirken auch heute aktuell und modern und werden zu Recht rezipiert.

Auf die wichtigen Beiträge von anderen Analytikern, wie Erik Erickson, kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden (McMahon, 1992). Für eine Übersicht der Geschichte der Kinderanalyse darf auf Geissmann und Geissmann (1998) und Hamann (1993) verwiesen werden. Neuere Entwicklungen finden sich unter anderem in dem Handbuch von Lanyado und Horne (1999).

Analytische Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie in der Individualpsychologie (Alfred Adler)

Auch die Individualtherapie Alfred Adlers ist mit spieltherapeutischen Komponenten kombiniert worden (Bade, 1997; Kottmann, 1997; Stadler & Witte, 1991; Stadler, 1992). Wichtige Konstrukte der Adler’schen Persönlichkeitstherapie sind das „Zugehörigkeitsgefühl“ und der „Lebensstil“. Nach Adler hat jeder Mensch ein Grundbedürfnis, zu einer Gruppe zu gehören und eine Bedeutung zu haben. Adler nannte dies „das Zärtlichkeitsbedürfnis“, d. h. ein Wunsch nach Bezogenheit und sozialem Austausch. Der Umgang mit diesem Bedürfnis, die Befriedigung bzw. Versagung stellt eine zentrale Erfahrung der frühen Kindheit dar. Nach Adler entwickelt ein Kind bis zum Alter von 6–7 Jahren seine eigenen Schlussfolgerungen über sich und die Welt. Es entwickelt seinen eigenen „Lebensstil“ und spezifische Ziele. Wenn ein Kind nicht in einer positiven Art zur Familie gehören kann, dann wird es nach seinen eigenen Schlussfolgerungen es in einer negativen Art tun (sinnvoller oder destruktiver Lebensstil).

Ein weiteres individualpsychologisches Konstrukt geht davon aus, dass erlebte Kränkungen und Ohnmacht intrapsychisch kompensiert werden müssen, um das gefährdete Selbstbild zu stabilisieren. Symptome versuchen demnach, eine Art seelisches Gleichgewicht wiederherzustellen, so dass das Individuum wieder das Gefühl erhält, etwas bewirken zu können und nicht ganz ohnmächtig zu sein (Stadler, 1992). Der unbewusste Prozess der Symptombildung ist demnach als ein Selbstheilungsversuch zu verstehen. Nach dem Adler’schen Konstrukt, der „schöpferischen Kraft“, sollen in der Therapie die individuellen Stärken gefördert werden. In der Therapie soll dem Kind Raum gegeben werden, seine beeinträchtigenden Konflikte darzustellen (Stadler, 1992). In der therapeutischen Beziehung finden Aktuelles und Vergangenes, Lösungsversuche für intrapsychische Konflikte, bisherige Kompensationsmechanismen sowie missglückte Selbstheilungsversuche ihren Raum. Das therapeutische Vorgehen umfasst spiegelndes Mitspielen, Deuten, Verbalisieren und Verarbeiten. Vor allem im symbolischen Spiel werden Elemente der Lebensgeschichte, innerseelische Konflikte und die Beziehung zum Therapeuten deutlich und können spielerisch bearbeitet werden (Bade, 1997). Eine umfassende Darstellung des individualpsychologischen, spieltherapeutischen Vorgehens finden sich bei Stadler und Witte (1991), Stadler (1992), Bade (1997) und Kottmann (1997).

Analytische Psychotherapie nach C.G. Jung

Obwohl Jung nicht direkt mit Kindern gearbeitet hat, ist seine Persönlichkeitstheorie für Therapien im Kindesalter gut geeignet, da die zentrale Aufgabe jedes Menschen in der Individuation gesehen wird – der Ablösung von den Eltern und der Entwicklung der eigenen Identität. Seine Ideen wurden von Schülern für das Kindesalter adaptiert (Allan, 1997; Fordham, 1974). Die analytische Psychologie Jungs wird in Kapitel 4.6 ausführlich dargestellt. Nur die wichtigsten Unterschiede zur Freud’schen Psychoanalyse sollen in diesem Kontext erläutert werden (s. Allan, 1997).

Die Freud’sche Psychoanalyse wird als Basis angesehen, aber um wichtige Punkte ergänzt. Die wichtigsten Konstrukte der Jung’schen Psychologie und Unterscheidungsmerkmale zur Freud’schen Psychologie umfassen folgende Annahmen:

Das Ich ist das Zentrum des Bewusstseins und vermittelt zwischen inneren und äußeren Ansprüchen.

Das

persönliche Unbewusste

enthält unterdrücktes und verdrängtes Material aus dem persönlichen Erleben, das

kollektive Unbewusste

dagegen enthält Bewusstseinsschichten, die allen Menschen gemeinsam sind und durch Archetypen geprägt sind.

Der zentrale Archetyp ist das Selbst, das als Mittelpunkt, aber auch als Totalität der Psyche beschrieben wird. In der Entwicklung ist das Kind zunächst mit seinem Selbst verbunden, über eine De-Integration wird das Ich vom Selbst (durch Hunger, Schmerz usw.) getrennt und in der Re-Integration (durch Beruhigung, Befriedigung) angenähert entwickelt (Fordham, 1974).

Die

Persona

oder Maske beschreibt den Anteil der Psyche, mit dem sich das Kind seiner Umwelt zeigt.

Dagegen enthält der

Schatten

alle Anteile, die vom Bewusstsein noch nicht aufgenommen oder nicht akzeptiert werden können.

Andere wichtige Archetypen sind die

Anima

und der

Animus,

die gegengeschlechtlichen Anteile der Psyche.

Ferner wird die

Libido

als Lebensenergie und nicht im engeren sexuellen Sinn gesehen.

Die

Individuation

bedeutet nach Jung einen möglichst ungehinderten Fluss von Libido entlang der „Ich-Selbst-Achse“ (Neumann, 1990a; Erstausgabe 1963) und ist durch tiefe spirituelle Erfahrungen wie auch Bezogenheit zu anderen Menschen gekennzeichnet. Psychische Störungen entstehen, wenn dieser Fluss behindert oder an Komplexe gebunden wird.

Abb. 2.1: Konzepte der analytischen Psychologie C.G. Jungs mit dem Symbol der Hand dargestellt (nach Allan, 1997) Die Fingerspitzen, die am sensibelsten sind und die meisten Tastrezeptoren haben, repräsentieren das „Ich“ als Zentrum des Bewusstseins. Die Linie symbolisiert die Grenze zwischen Bewusstem und Unbewusstem: der Bereich, der dem Ich bewusst zugänglich ist, ist von einem Menschen zum anderen ganz unterschiedlich – deshalb der divergente Verlauf der Linie. Der untere Teil der Finger repräsentiert das persönliche Unbewusste, also Kondensate und Relikte der eigenen Lebensgeschichte. Sehr viel größer ist das kollektive Unbewusste, das alle Menschen in sich tragen. Unbewusstes ist sehr viel umfassender als das Bewusste. Der steuernde Archetyp in der Mitte der Hand ist das „Selbst“ (durch die Hand verlaufen alle Nerven und Sehnen der Finger). Die Aufgabe der „Individuation“ ist es, dass das „Ich“ lernt, in dynamischem Kontakt mit dem Selbst zu stehen und seine relative Bedeutung zu erkennen, ohne sich aufzugeben.

Das Ziel der Therapie ist die Aktivierung des Individuationsprozesses, so dass das Kind mit sich und seiner Umwelt in einer für das Individuum spezifischen und einzigartigen Art leben kann. Teilaspekte des therapeutischen Prozesses umfassen:

die Aktivierung der Selbstheilungskräfte,

die Stärkung der Ich-Selbst-Achse,

die Stimulierung von Kreativität und Phantasie,

die Heilung und Überwindung von psychischen Wunden,

die Entwicklung einer psychischen Innenwelt,

die Stärkung innerer Kompetenzen,

die Stärkung der Fähigkeit, mit zukünftigen Problemen umzugehen,

das Verständnis der Komplexität des Lebens und Offenheit für Veränderungen.

Analytische Kinder- und Jugendlichentherapie findet in einem „freien und geschützten Raum“ (Kalff, 1996a; Erstausgabe 1966) statt, der eine Verschiebung vom Ich (Bewusstsein) zum Selbst ermöglicht. Die Therapie findet in einem speziellen Spieltherapiezimmer statt mit einer meist reichen Auswahl von symbolischem Spielmaterial, einschließlich Sandspielkästen und Miniaturfiguren. Die Frequenz liegt bei ein- bis zweimal die Woche mit begleitenden Elterngesprächen. Der Therapeut bleibt im engen, gefühlsmäßigen Kontakt mit dem kindlichen Spiel. Grenzen werden nur dann gesetzt, wenn sie benötigt werden. Die Beziehung wird als existenzielle Begegnung zweier Menschen aufgefasst, so dass der Therapeut sich aktiv in die Beziehung zum Kind einbringt. Entscheidend dabei ist die analytische Haltung, die ein tiefes Verständnis in allen symbolischen und direkten Äußerungen des Kindes zu erfassen sucht. Dabei ist es entscheidend, die eigenen Emotionen (Gegenübertragung) von kindlichen Gefühlen (Übertragung) zu unterscheiden. Die Interventionen umfassen: Beobachtung, verbale Reflektion, Klärung und Amplifikation von Symbolen, Interpretation und Herstellung eines größeren Zusammenhanges (z. B. zwischen Gegenwart und Vergangenheit, zwischen Bewusstem und Unbewusstem). Da die Individuation teleologisch als grundsätzliches Ziel von jedem Menschen angesehen wird, gibt das Selbst des Kindes die Richtung der Therapie vor. Die Heilung wird nicht primär durch Aufdecken und Interpretieren bewirkt, sondern durch den Kontakt des Ich mit den Symbolen des Unbewussten und durch den freien, libidinösen Fluss zwischen Ich und Selbst.

Nach Allan (1997) können drei Phasen der Therapie unterschieden werden:

die Eingangsphase,

die Arbeitsphase (mit drei Subphasen) und

die Ausgangsphase (s. auch Kapitel 5.4).

Eschenbach (1978) beschrieb vier Phasen der Therapie:

der Initialraum,

die Latenz- oder Eroberungsphase (der Empfängnisraum),

die Phase der positiven und negativen Regression und

die Individuationsphase.

Analytische Kinder- und Jugendlichentherapie wurde auch außerhalb des klassischen klinisch-therapeutischen Settings im schulpsychologischen Bereich eingesetzt (Allan, 1988). Dabei können Zeichnung (Allan, 1988) wie auch das Erzählen und Schreiben von Geschichten (Allan und Bertoia, 1992) den Fluss zwischen Bewusstem und Unbewusstem ermöglichen, so dass auch schwierige Emotionen integriert werden können. Eine spezielle Form der Jung’schen Spieltherapie ist die Sandspieltherapie nach Dora Kalff (1996a), die in diesem Buch ausführlich dargestellt wird. Neben der analytischen Psychotherapie C.G. Jungs geht die Sandspieltherapie auf zwei weitere Ursprünge zurück, nämlich auf die Welttechnik von Margaret Lowenfeld und auf meditative, spirituelle Traditionen. In der klassischen Sandspieltherapie stehen der Aufbau und das Spiel mit Miniaturen in den vorgegebenen Sandkästen im Vordergrund, doch viele Jung’sche Therapeuten verwenden das Sandspiel als ergänzendes Spielmaterial in ihrer Praxis.

2.5 Andere Spieltherapien

Neben den klassischen tiefenpsychologischen und personenzentrierten Spieltherapien wurden in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Therapieformen entwickelt und beschrieben, die über das Medium des Spiels arbeiten. Von der Fülle der verschiedenen Therapierichtungen wurden einige herausgesucht und nach ihrer Bedeutung bzw. innovativen Ansätzen gewichtet und dargestellt.

Gestalttherapie

Die Gestalttherapie wurde ursprünglich von Fritz Perls auf tiefenpsychologischer Basis entwickelt und unter anderem von Oaklander (1981) für Kinder und Jugendliche adaptiert. Die Gestalttherapie zählt zu den sogenannten „humanistischen“ Therapien, die eine Integration von Sinneswahrnehmungen, Körperwahrnehmungen, Emotionen und Intellekt bewirken wollen (Caroll & Oaklander, 1997). Eine der Hauptkonstrukte der Gestalttherapie ist die Selbstregulation, eine Grundfähigkeit, die jeder Mensch besitzt. Ferner wird angenommen, dass Menschen sich entsprechend ihrer Grundpersönlichkeit in der Auseinandersetzung (Kontakt) mit ihrem Erlebnisfeld in ihrer Umwelt entwickeln. Durch diesen Kontakt soll sich das Gefühl von dem eigenen Selbst in Abgrenzung und Beziehung zu anderen entwickeln. Gesundheit wird nach der Gestalttherapie sehr einfach als eine Integration aller Bereiche eines Individuums gesehen. Störungen dagegen sind durch Blockaden, Rigidität, Abspaltungen und Inbalancen gekennzeichnet. Folglich ist das Ziel der Behandlung die Entwicklung der eigenen Selbstregulation, das wichtigste Medium dabei ist die therapeutische Beziehung.

Die Gestalt-Spieltherapie wird in einem speziellen Zimmer mit einer großen Auswahl an Spielmaterial durchgeführt und umfasst unter anderem Geschichtenerzählen, Spiele, Schauspielen und Musik. Interpretationen werden möglichst zusammen mit dem Kind entwickelt. Neben Einzel- und Elternsitzungen können auch Familiensitzungen mit Geschwistern indiziert sein. In dem hervorragenden Werk von Oaklander (1981) werden eine Vielzahl von verschiedenen Anregungen und Techniken aufgezeigt, die vorbereitet werden und dann vorstrukturiert in Einzel- und Gruppentherapien mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt werden können.

Zusammengefasst besteht die Gestalttherapie aus einem Konglomerat verschiedener, z. T. offener, z. T. vorstrukturierter Techniken, die anderen Therapierichtungen entlehnt wurden. Obwohl die sogenannte „humanistische“ Gestalttherapie ein sehr positives Bild der menschlichen Entwicklung entwirft, sind ihre theoretischen Konstrukte wenig differenziert und dürften für das Verständnis einer tiefen intrapsychischen und interpersonellen Dynamik nicht ausreichen. Wie bei anderen Therapieformen ist gerade bei der Gestalttherapie die Therapeutenvariable das wirksamste Agens.

Kunsttherapien

Kunsttherapien gehören nicht zu den Spieltherapien im engeren Sinne, obwohl sie auch einen nicht-verbalen Zugang bieten. Sie kombinieren kreative Prozesse des Malens, Zeichnens und bildnerischen Schaffens mit unterschiedlichsten therapeutischen Zugängen (McMahon, 1992). Der Grad der Vorstrukturierung variiert sehr von offenen bis zu maximal vorstrukturierten kreativen Angeboten. Die therapeutische Ausrichtung umfasst unter anderem die nicht-direktive Spieltherapie, die Psychologie C.G. Jungs (Daniel, 1993; Riedel, 1992), verschiedenste analytische Schulen und auch die Sandspieltherapie (Steinhardt, 2000). Die volle Bandbreite dieser sehr effektiven Zugänge kann in diesem Zusammenhang nicht adäquat gewürdigt werden.

Ecosystem Play Therapy

Ecosystem Play Therapy ist eine Spieltherapieform, die in den USA entwickelt und in Europa bisher noch wenig rezipiert wurde (O’Connor, 1997). Das Hauptmerkmal dieser Therapieform liegt auf der sogenannten „öko-systemischen Perspektive“: Das Kind ist eingebettet und wird beeinflusst durch die familiäre und schulische, aber auch die biologische, kulturelle, nationale, historische und religiöse Umwelt.

Das Ziel der Behandlung ist es, die kindliche Entwicklung im Rahmen seiner Umweltkontexte zu ermöglichen. Es handelt sich um eine strukturierte Therapieform, nach der neue Problemlösestrategien aktiv erarbeit und Ziele vertraglich vereinbart werden. Das Spielzimmer ist groß genug für körperliche Aktivitäten, aber eher spärlich eingerichtet, da der Schwerpunkt auf der therapeutischen Beziehung liegt. Der Therapeut strukturiert aktiv nicht nur die Auswahl des Spielmaterials, sondern auch den Ablauf der Stunden. In einer begrenzten Zahl von 10–15 Sitzungen werden konsekutiv Probleme in den verschiedenen Öko-Systemen des Kindes systematisch in Einzelsitzungen erarbeitet, später werden Eltern und Geschwister mit einbezogen.

Obwohl manche Spieltherapierichtungen tatsächlich den Blick auf das einzelne Kind verengen und seine Umwelt nicht genügend berücksichtigen, ist es dennoch fraglich, ob dies eine komplett neue Therapieform rechtfertigt. Mit Sicherheit wäre es günstiger, die umweltbezogene Perspektive von bereits bestehenden Therapieformen zu integrieren.

Spieltherapie nach Milton Erickson

Bei der Spieltherapie nach Milton Erickson handelt es sich um ein hypnotherapeutisch-suggestives Verfahren, bei dem unter anderem Puppenspiel, Metaphern und Geschichtenerzählen eingesetzt wird. Der Schwerpunkt liegt auf den aktuellen, gegenwärtigen Ressourcen und Problemlösefähigkeiten des Kindes. Unbewusste Zusammenhänge sollen nicht bearbeitet werden, auch wird die Entwicklung einer Übertragung nicht gefördert.

Die Therapieform gehört zu den theoretisch am wenigsten ausdifferenzierten Therapien. Ein spezielles Persönlichkeits- oder Beziehungsmodell liegt nicht vor. Der Ablauf der Stunden wie auch der Therapie ist ganz von den individuellen Vorlieben des Therapeuten abhängig. Zumindest in der Darstellung von Marvasti (1997) wirkt das therapeutische Vorgehen sehr willkürlich und wenig überzeugend – und kann als Haupttherapierichtung nicht empfohlen werden.

Fokussierte Spieltherapien

Fokussierte Therapien richten sich auf spezifische Probleme von Kindern in der realen Welt und verhelfen ihnen zu Lösungsmöglichkeiten. Die Inhalte sind eher bewusst und vorbewusst und konkrete Lösungsstrategien werden erarbeitet. Obwohl innere, unbewusste Konflikte nicht im Vordergrund stehen, können sie Kindern durchaus helfen, zwischen Realität und Phantasie zu unterscheiden (McMahon, 1992). Sie dürfen nicht mit tiefenpsychologisch-fundierten Kurzzeittherapien oder Fokaltherapien verwechselt werden. Der theoretische Hintergrund bezieht sich z. T. auf die personenzentrierte Spieltherapie, wobei die meisten thematisch hochstrukturiert die spezifische Problematik des Kindes im Fokus haben (Cittione & Madonna, 1996).

Nach McMahon (1992) wurden spezielle Programme auf folgende Patientengruppen bzw. Indikationen entwickelt: Für ängstliche Kinder; nach körperlicher Misshandlung und sexuellem Missbrauch (Wilson et al., 1992; Cattanach, 1992); bei körperlicher Behinderung; bei frühkindlichem Autismus; für somatisch-kranke Kinder in Kinderkliniken; zur Vorbereitung von medizinischen Eingriffen und Operationen; zur Bearbeitung von Trauer und Verlust; nach Trennung und Scheidung der Eltern. Nach Kaduson et al. (1997) müssen bei fokussierten Therapien je nach Indikationsstellung oft verschiedene Methoden und Theorien integriert werden. Dieses Vorgehen bezeichneten sie als „Synthetic eclectiscism“. Im Prinzip können fokussierte Therapien für vier Gruppen von Störungen unterschieden werden:

Introversive Störungen („internalizers“: Depression, Angst und Phobien, elektiver Mutismus),

Anpassungs- und Belastungsstörungen („stress reactions“: Scheidung und Trennung, posttraumatische Störung, sexueller Missbrauch),

expansive Störungen („externalizers“: ADHD, Störung des Sozialverhaltens, Geschwisterrivalität) und

andere Störungen (Bindungsstörungen, Adoptionsfolgen).

Es ist offensichtlich, dass sich Inhalt, Strukturierung und Ablauf der Therapien für diese vier Gruppen deutlich unterscheiden.

2.6 Verhaltenstherapeutische Ansätze

In den vergangenen Jahren wurde von der Verhaltenstherapie erkannt, dass gerade bei jüngeren Kindern Veränderungen am wirksamsten erreicht werden können, wenn sie über das Medium des Spiels angesprochen werden. Es wurden verschiedene Modelle entwickelt, nach denen verhaltens- und spieltherapeutische Elemente integriert wurden. Diese Entwicklung ist umso mehr zu begrüßen, als auch externalisierende Störungen explizit in das Indikationsspektrum aufgenommen wurden. Dabei zeigt sich, dass die Kombination von Spiel- und Verhaltenstherapien gerade bei externalisierenden sowie bei umschriebenen, monosymptomatischen Störungen effektiver ist als die weniger strukturierten, personenzentrierten und tiefenpsychologischen Spieltherapien. Wegen der hohen Persistenz von expansiven Störungen des Sozialverhaltens, z. T. vom Vorschul- bis zum Jugendalter, haben diese Kombinationen eine besonders hohe Relevanz und sollen ausführlicher besprochen werden. Zwei der wichtigsten Kombinationen wurden dabei herausgegriffen.

Cognitive-Behavioral Play Therapy (CBPT)

Bei der Cognitive-Behavioral Play Therapy (CBPT) werden kognitiv-verhaltenstherapeutische und spieltherapeutische Elemente in einer kindgerechten Form verbunden (Knell, 1993, 1997). Bei dieser Therapieform wird das Kind direkt über das Spiel in die Therapie einbezogen und die Veränderungen werden nicht ausschließlich über elterliche Interventionen bewirkt, wie es bei anderen Verhaltenstherapien üblich ist.