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Allen Kindern wohnt die Fähigkeit der Spiritualität, einer intrinsischen menschlichen Fähigkeit zur Transzendenz, inne. Sie zeigt sich in vielfältigen Ausdrucksformen wie Staunen, Verbundenheit mit allem Lebendigen und Weisheit. Viele Facetten der Spiritualität von Kindern und Jugendlichen können durch Buddhas Lehren, die immer stärker Eingang in die westliche Psychologie finden, verstanden werden. Deshalb widmet sich dieses Buch den Zusammenhängen zwischen buddhistischer und kindlicher Spiritualität. Es behandelt die Kindheit des Buddha sowie die Rolle des Kindes in seinen Lehren und in der buddhistischen Kunst. Die Mythologie des göttlichen Kindes wird in einen Kontext mit dem Verständnis von kindlicher Spiritualität in der Psychologie C. G. Jungs gestellt und Grundlagen kindlicher Spiritualität und Religiosität werden veranschaulicht. Der Autor vermittelt ein lebendiges und praktisch relevantes Verständnis von Spiritualität und Buddhismus und lässt Kinder selbst zu Wort kommen.
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Seitenzahl: 566
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Der Autor und Übersetzer
Alexander von Gontard, Prof. Dr. med., ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Kinderheilkunde und Psychotherapeutische Medizin; er war Lehrstuhlinhaber und Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum des Saarlandes. Er ist in eigener Praxis tätig und mit der Universität des Saarlandes affiliiert. Er hat breit über verschiedene Bereiche der Kinder- und Jugendpsychiatrie publiziert. Seit vielen Jahren praktiziert er Achtsamkeitsmeditation (Vipassana). Er hat sich intensiv mit der Analytischen Psychologie C. G. Jungs, der Sandspieltherapie und der Spiritualität von Kindern und Jugendlichen beschäftigt.
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This is a translation of »Buddhist Understanding of Childhood Spirituality. The Buddha’s Children«. First published in the UK in 2017 by Jessica Kingsley Publishers Ltd, 73 Collier Street, London, N1 9BE, UK
www.jkp.com
All rights reserved. Printed in the UK
Copyright © Alexander von Gontard, 2017
Übersetzt und mit einem Vorwort von Alexander von Gontard
1. Auflage 2021
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-035159-2
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-035160-8
epub: ISBN 978-3-17-035161-5
mobi: ISBN 978-3-17-035162-2
Ich möchte dieses Buch Christopher Titmuss widmen,Lehrer und Freund seit über einem Vierteljahrhundert.
Vorwort zur deutschen Übersetzung
Vorwort
Einleitung
Teil I: Buddhismus und Kindheit
1 Die eigene Kindheit des Buddha
Biographien des Buddha
Der historische Buddha
Der mythologische Buddha
2 Der Buddha und Kinder
Der Buddha und Kinder in der Kunst
Der Buddha im Gespräch mit Kindern
Kindheit in den Lehren des Buddha
Das Symbol der Geburt in den Lehren des Buddha
3 Kinder in Indien und anderen asiatischen Ländern
Kinder im alten Indien
Kinder im modernen Indien
Kinder in anderen buddhistischen Ländern, einschließlich ihrer Rolle als Novizen
Teil II: Spiritualität und Kinder
4 Jung’sche Psychologie und Spiritualität
Zusammenfassung der Jung’schen Psychologie
Der Archetyp des göttlichen Kindes in der Psychologie C. G. Jungs
Der Archetyp des göttlichen Kindes im Christentum
Der Archetyp des göttlichen Kindes in anderen Kulturen
5 Spiritualität und Religiosität
Definitionen von Spiritualität und Religiosität
Typische Aspekte der Spiritualität
Studien zur Spiritualität
Prävalenz der Spiritualität
Religiosität
6 Religiosität bei Kindern und Jugendlichen
Religiosität von Kindern und Jugendlichen in verschiedenen Kulturen
Negative Aspekte der Religiosität
Positive Aspekte der Religiosität
Stadien der Religiosität
Kombinierte Modelle der religiösen und spirituellen Entwicklung
Religiöse Förderung der Spiritualität
7 Erscheinungsformen der Spiritualität
Wundern und Staunen
Philosophieren
Weisheit
Interpersonelle Spiritualität
Das Unsichtbare sehen
Günstige Voraussetzungen für Spiritualität
Negative Spiritualität
Teil III: Die Lehren des Buddha und kindliche Spiritualität
8 Hindernisse der Spiritualität
Acht weltliche Bedingungen
Fünf Hindernisse zur Spiritualität
9 Drei Daseinsmerkmale
Vergänglichkeit
Unzulänglichkeit/Leiden
Leere/Nicht-Selbst
10 Die vier edlen Wahrheiten
Die erste edle Wahrheit
Die zweite edle Wahrheit
Die dritte edle Wahrheit
Die vierte edle Wahrheit
Der mittlere Weg
11 Der achtfache Pfad
Rechtes Verständnis
Rechte Absicht
Rechtes Sprechen
Rechtes Handeln
Rechte Lebensführung
Exkurs: Fünf Regeln
Rechte Anstrengung
Rechte Achtsamkeit
Rechte Konzentration
12 Interpersonelle Spiritualität
Gleichmut
Mitfreude
Liebende Güte
Mitgefühl
Zusammenfassung und Ausblick
Literatur
Stichwortverzeichnis
Als ich vor über zwei Jahren dieses Buch zu Ende schrieb, war es nicht mein Erstlingswerk zur Spiritualität von Kindern. Wenige Jahre zuvor war das Buch »Spiritualität von Kindern und Jugendlichen« im Kohlhammer Verlag erschienen. Es war dennoch eine neue und besondere Herausforderung. Zum einen, weil ich nach langer Zeit wieder ein Buch direkt in englischer Sprache geschrieben habe – und nicht über den Umweg einer Übersetzung aus dem Deutschen. Die englische Sprache ist die erste, die ich gelernt habe, und beim Schreiben habe ich Wörter und Redewendungen für mich wiederentdeckt und als bekannt und vertraut aufgegriffen, ein Prozess der Zeit erforderte und dennoch bereichernd war.
Die Herausforderung war eher inhaltlicher Art. Noch nie hatte ich so persönlich über eigene Erfahrungen geschrieben und, entgegen der üblichen wissenschaftlichen Schreibweise, dabei so viel von mir preisgegeben. Auch bewegte ich mich noch viel weiter aus dem üblichen wissenschaftlichen Mainstream und fügte Beispiele, Erinnerungen, Zitate aus Romanen und Biografien sowie wörtliche Wiedergaben von Patienten zusammen. Ich war mir unsicher, wie dieses wahrgenommen werden würde, insbesondere ob Leser von dem Thema Buddhismus und kindliche Spiritualität wirklich angesprochen werden würden. Auch kamen Zweifel auf, ob nicht zu viele Themen in ein einziges Buch gepackt wurden.
Es war dennoch ein großes Geschenk, dass der Verlag Jessica Kingsley mir die Möglichkeit gewährte, über die englische Sprache eine breitere Leserschaft zu erreichen. Nach wie vor fällt es jedoch manchen Lesern schwer, englische Originaltexte zu lesen. Sie bevorzugen eine Lektüre in ihrer Muttersprache, sodass eine Übersetzung Sinn macht. Deshalb bin ich froh darüber, dass diese Übersetzung beim Kohlhammer-Verlag erscheinen konnte. Erfreut war ich auch, weil es mir die Gelegenheit eröffnete, neben der eigentlichen Übersetzung den Text zu überarbeiten.
Sobald sich der Blick für die Spiritualität eingestellt hat, entdeckt man sie überall. Viele Aussagen von Kindern und Jugendlichen (aber auch Erwachsenen) in Romanen und Biografien zeugen von tiefem Verständnis, Weisheit und Freude an Entdeckung. Vielen Dichtern und Romanautoren ist die kindliche Spiritualität sehr vertraut. Von daher finden sich in der deutschen Übersetzung viele neue Zitate.
Ich wünsche Ihnen viel Freude und Anregung beim Lesen des Textes. Die Spiritualität von Kindern betrifft uns alle – wir alle waren einmal Kinder. Die Erlebnisse der Kindheit sind ein wertvolles Gut, um auch selbst die eigene spirituelle Dimension zu entdecken und zu erfahren. In anderen Worten, wir sind alle »Kinder des Buddha« und damit offen für die Vielfalt der Spiritualität.
Saarbrücken, Januar 2021
Alexander von Gontard
Als ich anfing, dieses Buch zu schreiben, hatte ich ein Traum: Ich träumte ich sah ein 18 Monate altes Kleinkind – ein kleines Mädchen mit lockerem roten Haar – sehr lebhaft, offen, mutig, ungezogen, aber dennoch glücklich. Ihre Mutter sagte: »Sie können Sie haben, aber sie muss noch geboren werden.«
Ich war verwundert über diesen paradoxen Traum: Hier ist dieses wundervolle kleine Mädchen, die auf ihren Füßen steht und bereit ist, die Welt zu entdecken; aber sie ist noch nicht in dieses Leben eingetreten, sie ist »ungeboren«. Das »Ungeborene« ist einer der Begriffe, die der Buddha wählte, um die spirituelle Dimension zu bezeichnen, die nicht umfassend in Worten ausgedrückt werden kann und auf die deshalb in Symbolen und Gleichnissen verwiesen wird. Die wichtige Botschaft ist, dass wir, wie das kleine Mädchen in dem Traum, sowohl in der relativen, »geborenen«, wie auch in der spirituellen und »ungeborenen« Dimension existieren. Wie der bekannte amerikanische Psychologe und Meditationslehrer Jack Kornfield es ausdrückte: »Wir sind spirituelle Wesen, die in menschlicher Form inkarniert sind« (Kornfield 2008, S. 79). Oder wie Thich Nhat Hanh, der anerkannte vietnamesische Mönch und Aktivist es ausdrückte: »Wir leben in der historischen Dimension und dennoch berühren wir die universelle Dimension« (Hanh 2007, S. 149).1
Wir alle sind in diese Welt eingetreten ohne eigene persönliche Wahl oder Aktivität, wir leben unser Leben und werden es zu einem zukünftigen Zeitpunkt wieder verlassen durch unseren Tod. Die spirituelle Dimension dagegen ist immer vorhanden – vor, während und nach dem Leben. Sie ist spirituell oder »ungeboren«, wie der Buddha es bezeichnete.
Das kleine Mädchen in dem Traum deutet auf diese Dimension hin, da sie noch »ungeboren« ist. Zur gleichen Zeit ist sie sehr lebhaft und ein perfektes Symbol für das »göttliche Kind«, der Begriff, den Carl Gustav Jung wählte für eine der liebenswertesten und wichtigsten Archetypen der menschlichen Psyche, die einen Neuanfang, Ganzheit und zukünftige Entwicklungen ausdrückt: »Ein wesentlicher Aspekt des Kindmotives ist sein Zukunftscharakter. Das Kind ist potentielle Zukunft« (Jung 1995, 9/1, § 278).
Zuletzt, in einer sehr eingeschränkten Bedeutung ist dieses kleine Mädchen im Traum auch ein Symbol für dieses Buch: Ursprünglich ungeboren, ist es ins Leben eingetreten und der Prozess des Schreibens war sowohl anregend wie auch herausfordernd. Es war in vielen Hinsichten eine neue Erfahrung. Üblicherweise bin ich sehr vertraut mit den Einschränkungen des akademischen Schreibens. Im Gegensatz dazu ist dieses Buch viel freier und beruft sich auf ein breites Spektrum von Quellen, sowie persönlichen und professionellen Erfahrungen.
Als Kinder- und Jugendpsychiater, Psychotherapeut und Kinderarzt hatte ich über 35 Jahre das Privileg, Kindern und ihren Familien zuzuhören und sie in lebensbedrohlichen und existenziellen Krisen sowie körperlichen und psychischen Erkrankungen zu begleiten. Andererseits war es mir auch möglich, Momente des Glücks, der Begeisterung und Leichtigkeit mit ihnen zu teilen. Allein indem ich offen und gegenwärtig war, wurde ich beschenkt durch das Vertrauen und die Offenheit, die mir junge Menschen entgegenbrachten, um mit ihnen zusammen ihre spirituelle Dimension zu erkunden. In diesem Zusammenhang des gemeinsamen Erfahrens und Teilens war Spiritualität niemals esoterisch oder spekulativ, sondern immer sehr real, wirklich und gültig. Spiritualität ist wirklich empirisch (d. h. auf Erfahrung und Erkenntnis beruhend) und phänomenologisch (d. h. basierend auf deskriptiven Phänomenen). Wie der australische Jung’sche Analytiker David Tacey bemerkte: »Spiritualität fragt nicht nach Beweisen, da der Beweis in der Erfahrung an sich liegt« (Tacey 2004, S. 164). Dies ist genau der pragmatische Zugang des großen amerikanischen Psychologen William James (1842–1910), dessen klassisches grundlegendes Werk »The varieties of human experience« (2012, erstmals 1902 veröffentlicht) nach wie vor so modern, klar und bodenständig erscheint. Wie James es überzeugend darlegt, kann Spiritualität exploriert, beschrieben und mitgeteilt werden – wie alle anderen Phänomene der Psyche.
Eine zweite Inspiration für mich waren die Einsichten des Schweizer Psychiaters und Analytikers Carl Gustav Jung (1875–1961). Ich kann mich sehr gut daran erinnern, als ich das erste Mal seine Schriften las – nicht auf Deutsch, wie sie ursprünglich veröffentlicht wurden, sondern auf Englisch. Als Jugendlicher, lange bevor ich überhaupt daran dachte, als Arzt und Psychotherapeut zu arbeiten, fand ich sein Buch »Modern man in search of a soul« in einem kleinen Antiquariat in Windsor, England.2 Vor kurzem nahm ich dieses Buch in meine Hände und sah wieder, wie der Buchhändler mit Bleistift die Worte »neu« (obwohl das Buch mehrere Jahrzehnte alt war, nämlich aus dem Jahr 1934) und »1,25 Pfund« auf die Innenseite geschrieben hatte. Ich fand auch Zitate wieder, die für mich damals wichtig waren und die ich unterstrichen hatte. Bezüglich der Traumsymbolik schrieb Jung: »Es ist praktisch unendlich viel ratsamer, die Symbolik des Traumes nicht semiotisch, d. h. nicht als Zeichen oder Symptom von feststehendem Charakter, sondern als wirkliches Symbol, nämlich als Ausdruck eines im Bewusstsein noch nicht erkannten und begrifflich formulierten Inhaltes und zudem als relativ zur jeweiligen Bewusstseinslage zu betrachten« (Jung, 1995,16, § 339). Und weiter: »Die wissenschaftliche Feststellung ihrer Natur ist nur durch vergleichende mythologische, folkloristische, religions- und sprachgeschichtliche Untersuchungen möglich« (Jung, 1995, 16, § 351.).
Und schließlich: »Verstehen wir überhaupt je, was wir denken? Wir verstehen bloß jenes Denken, das nichts ist als eine Gleichung, aus der nie mehr herauskommt, als wir hineingesteckt haben. Das ist der Intellekt: Über ihn hinaus aber gibt es ein Denken in urtümlichen Bildern, Symbolen, die älter sind als der historische Mensch, ihm seit Urzeiten angeboren und alle Generationen überdauernd, ewig lebendig unter Gründe unserer Seele erfüllend. Volles Leben ist nur in Einstimmung mit ihnen möglich, Weisheit, Rückkehr zu ihnen. Es handelt sich in Wirklichkeit weder um Glauben noch um Wissen, sondern um die Übereinstimmung unseres Denkens mit den Urbildern unseres Unbewussten …« (Jung 1995, 8, § 794).
Ich war erstaunt und entzückt über das, was ich als Jugendlicher gelesen hatte. Spiritualität, oder wie Jung es ausdrückte, das »Numinose«, ist eine grundlegende archetypische Erfahrung der menschlichen Seele, die in Symbolen ausgedrückt werden kann. Jung ist seit dieser Zeit für mich eine wesentliche Inspiration, die Spiritualität nicht nur zu beschreiben, sondern auch in einem größeren Zusammenhang zu verstehen. Durch eine eigene Jung’sche Analyse und Ausbildung in Sandspiel-Therapie, die auf der analytischen Psychologie C. G. Jungs beruht, wurde Jung ein ständiger Begleiter in meiner professionellen Arbeit.
Eine dritte Quelle der Inspiration waren die Lehren des Buddha, wie in dem Untertitel dieses Buches ausgedrückt. Der amerikanische Psychoanalytiker Mark Epstein beschreibt den Buddhismus als »die psychologischste der Weltreligionen und die spirituellste der Psychologien der Welt« (Epstein 1998, S. 16). Als eine historische Person, die vor 2500 Jahren in Nordindien lebte, beschrieb Siddhartha Gautama (sein Name vor seiner Erleuchtung) eine praktische, gleichzeitig universelle Möglichkeit, das Leben zu verstehen, die allen Menschen in jedem Alter und zu allen Zeiten zur Verfügung steht. Der Buddha oder der Erleuchtete, wie er nach seinen tiefen Erkenntnissen genannt wurde, teilte seine Erfahrungen großzügig mit allen. In einer offenen, gleichzeitig radikalen Art lud er Kinder, Jugendliche, Frauen und Männer ein, mit ihm radikal und ohne Kompromisse ihr Leben zu erkunden. Als Empiriker empfahl er, nur das zu akzeptieren, was man selbst für sich als wahr erkannt hat.
Als er einmal gefragt wurde: »Woher weiß man, wenn jemand die Wahrheit sagt«, antwortete er:
»Akzeptiere nichts nur aufgrund von mündlicher Weitergabe; wegen Traditionen; weil es wiederholt genannt wurde; weil es in Büchern, einschließlich heiligen Schriften niedergeschrieben wurde; weil es logisch und angemessen erscheint; aufgrund von Rückschlüssen und Schlussfolgerungen; da es durchdacht wurde; aufgrund von Akzeptanz und Überzeugung durch Theorie; da der Redner kompetent erscheint; aus Respekt für den Lehrer. Wisse, welche Dinge abgesegnet würden durch die Weisen und welche, wenn weiterverfolgt, zu Verletzung und Leiden führen würden« (Buddha: Kalama Sutra, zitiert nach Titmuss 1998, S. xi).
Zusätzlich zu diesem radikalen Hinterfragen betonte der Buddha den Wert von subtilen Zugängen zu Erkenntnissen durch Erfahrung und Meditation. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich es als Kind liebte zu meditieren. Ich lag auf meinem Rücken, verhielt mich still, schaute mit Erstaunen die Wolken an, das konstante Drehen, Aufbauen und Verändern der weißen Wolken, wie sie sich auf dem Hintergrund des blauen tropischen Himmels von Indien zeigten. Aufgewachsen im Heimatland des Buddha, haben die Bilder, Laute und Gerüche Indiens meine Kindheit von Geburt an durchtränkt und sind weiterhin lebendig und frisch. Veränderung, Bewegung und Unbeständigkeit (wie die sich konstant verändernden Wolken) können am besten in Stille erfahren werden und werden von vielen Kindern geschätzt. Wiederum sind diese meditativen Erfahrungen nicht esoterisch, sondern im wahren Sinn empirisch. Sie sind frisch, spontan und reflektieren damit die spirituelle Essenz der Lehren des Buddha. Diese Erfahrungen können spontan in Worten, Symbolen und im Spiel durch Kinder und Jugendliche ausgedrückt werden. In vielerlei Hinsicht sind Kinder und Jugendliche viel offener diesen tiefen Erfahrungen gegenüber als viele Erwachsene – in anderen Worten, sie sind die »Kinder des Buddha«.
Das Ziel dieses Buches ist es, die Frische und Lebendigkeit der Einsichten des Buddha zu vermitteln, die viele Kinder spontan erfahren. Das Buch reflektiert keine spezielle Schule oder Tradition des Buddhismus (es ist nicht konfessionsgebunden). Auch versucht es nicht, die Standards akademischer »Buddhologie« zu erfüllen. Das Ziel ist es, authentisch zu reflektieren und zu verstehen, was Kinder und Jugendliche zu sagen haben, genauso wie das kleine Mädchen in meinem Traum, das lebendig, offen, mutig, frech und glücklich war – und gleichzeitig »ungeborenen«. Daher habe ich deutsche Ausdrücke verwendet, um die Lehren des Buddha zu erläutern, anstatt die ursprünglichen Worte in den historischen Sprachen Pali oder Sanskrit.
Dieses Buch hat viele Einschränkungen. Obwohl ich mich auf eine breite Auswahl von Quellen berufe, bin ich kein Theologe, Philologe, Indologe, Buddhologe, Historiker oder Soziologe, auch bin ich nicht in Philosophie ausgebildet. Mein Hintergrund ist der der Kinder- und Jugendmedizin und Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, sowie der der langjährigen Erfahrung und Praxis der Meditation. Ich hoffe, dass die Leser meine Vereinfachungen, Missverständnisse und Mängel verzeihen werden, wo immer sie auftreten.
Ich bin Christopher Titmuss zu großem Dank verpflichtet, meinem Lehrer und Freund, der die Weisheit des Buddha mit mir geteilt hat. Zunächst möchte ich ihm dafür danken, dass er das Manuskript gelesen und korrigiert hat. Ich möchte auch Freunden, Kollegen und Seelenverwandten für Ihre Rückmeldung, Unterstützung und ihren Zuspruch danken. Schließlich möchte ich Natalie Watson des Verlags Jessica Kingsley Publishers danken, die dieses Projekt möglich machte, indem sie mir frei und großzügig erlaubte, dieses Buch zu schreiben – und die darüber hinaus dafür sorgte, dass es durch ihre sorgfältige und hilfreiche Bearbeitung seinen Weg ins Leben fand, d. h. »geboren« wurde.
Alexander von Gontard
Saarbrücken, im Februar 2017
1 In dem nächsten Satz erinnert er uns daran, dass »wenn wir zu viel drüber reden, bewegen wir uns weit weg von der universellen Dimension. Das ist der Grund warum in Kreisen des Zen-Buddhismus Menschen ermutigt werden zu erfahren und nicht viel zu reden.« Aus diesem Grund ist der Fokus dieses Buches auch auf die direkte Erfahrung gerichtet, mit vielen Zitaten von Kindern rund um die Welt.
2 Dieser Band enthält eine Reihe von Aufsätzen von C. G Jung und wurde in dieser Zusammenstellung nicht auf Deutsch veröffentlicht. Der Titel würde im Deutschen »Der moderne Mensch auf der Suche nach seiner Seele«, heißen, ein treffendes Thema auch für unsere Zeit.
Die Lehren und Einsichten des Buddha haben ihren Weg von ihren asiatischen Ursprüngen in den Westen gefunden. Buddhismus wurde beschrieben als die »psychologischste der Weltreligionen und die spirituellste der Psychologien der Welt« (Epstein 1998, S. 6). In einem sehr praktischen Sinn fühlen viele Menschen ein tiefes spirituelles Bedürfnis und eine Sehnsucht, die in ihrem täglichen Leben nicht erfüllt ist. Die Essenz der Lehren des Buddha ist so zugänglich, praktisch und leicht einzusetzen, dass sie eine große Anziehungskraft hat. Zusätzlich sind die Lehren kompatibel mit anderen religiösen Glaubensrichtungen und humanistischen Werten. Durch ihre nachgewiesenen positiven Effekte wurde »Achtsamkeit«, einer der Aspekte der Lehren des Buddha, in die moderne Psychologie und in viele verschiedene Schulen der Psychotherapie integriert.
In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von Büchern veröffentlicht, die sich mit so unterschiedlichen Themen wie Buddhismus und Meditation, Geschichte, Politik, Ethik, Weisheit, Psychotherapie, persönlichen Beziehungen und selbst Elternschaft beschäftigten – aber nur wenige, die sich auf Kindheit an sich bezogen. Eine Ausnahme ist das hervorragende akademische Werk mit dem Titel »Little Buddhas: Children and Childhoods in Buddhist Texts and Traditions« (Sasson 2013). Selbst in den ursprünglichen Texten des Buddha gibt es nur wenige Hinweise auf Kinder, jedoch beschreiben einige die Treffen des Buddha mit Jugendlichen. Die Vernachlässigung der Kindheit als Thema in buddhistischen Veröffentlichungen ist wirklich verblüffend.
Zur gleichen Zeit hat sich eine zunehmende Aufmerksamkeit für die offene und spontane Spiritualität von Kindern und Jugendlichen entwickelt. Spiritualität wird verstanden als ein inhärenter Aspekt der menschlichen Entwicklung, die in jedem Menschen von Anfang an vorhanden ist. Sie ist nicht abhängig von Lernen, Ausbildung, individuellen Stärken, Fähigkeiten oder besonderen Lebensereignissen. Sie ist selbst für sehr junge Kinder zugänglich. Spirituelle Erfahrungen von Kindern sind tatsächlich so universell und häufig, dass die meisten Erwachsenen sich gut an sie erinnern und Einzelheiten wachrufen können. Tiefe spirituelle Einsichten von Kindern können Wendepunkte im Leben sein und als innere Ressourcen wirken, mit zukünftigen Krisen umzugehen und sie lösen zu können.
Spiritualität wird definiert als die Fähigkeit und das Bedürfnis eines Individuums nach transzendenten Erfahrungen und als Sehnsucht nach Tiefe im Leben. Religiosität dagegen ist ein nicht individuelles System von transzendenten Werten, die in Institutionen, Glauben, Theologien und Ritualen formal strukturiert werden. Religiosität wird beeinflusst von historischen und kulturellen Faktoren, während Spiritualität auf jeden Menschen zutrifft, unabhängig davon, ob er oder sie sich als Atheist, Agnostiker oder Gläubiger bezeichnet.
Für manche Menschen kann die Spiritualität innerhalb eines religiösen Rahmens erfahren werden. Sie kann ein lebendiger und bereichernder Aspekt einer wahren religiösen Hingabe sein. Für die meisten Menschen in säkularen Gesellschaften dagegen, zeigt sich die Spiritualität außerhalb einer religiösen Tradition. Diese spontane oder natürliche Spiritualität kann sich in verschiedenen Bereichen offenbaren. Typische Erscheinungsformen der Spiritualität bei Kindern umfassen das Wundern und Staunen, das Philosophieren, die interpersönliche Spiritualität, die Weisheit und das Unsichtbare sehen. Phänomenologisch sind diese Erfahrungen real für den Einzelnen, sie können kommuniziert werden und sogar von anderen verstanden werden, vorausgesetzt, dass sie auf Resonanz stoßen und anerkannt werden.
Viele spirituelle Einsichten und Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen enthüllen ein tiefes und weises Verständnis des menschlichen Lebens. Viele ihrer Erkenntnisse sind sogar vollständig kompatibel mit den Lehren des Buddha – ohne dass die Kinder und Jugendliche jemals buddhistische Texte gelesen oder meditiert hätten. Diese Einsichten tauchen auf, da sie tiefe, universelle Wahrheiten widerspiegeln.
Das Ziel dieses Buches ist es, die Assoziationen zwischen kindlicher Spiritualität und den Lehren des Buddha (auch Dharma genannt) zu untersuchen. Die erste Annahme dabei ist, dass alle Menschen (Kinder, Jugendliche und Erwachsene) Zugang zu einer spontanen, persönlichen und natürlichen Spiritualität haben. Obwohl Unterricht und Übung die Wahrscheinlichkeit für spirituelle Erfahrungen erhöhen können, ist die spontane Spiritualität jedoch nicht abhängig von irgendwelchen Bedingungen oder Voraussetzungen wie Alter, Erfahrung oder Training. Sie kann jederzeit und an jedem Ort auftauchen und in ihrem Grad der Ausprägung von leichten bis überwältigenden Erfahrungen mit positiven wie auch negativen Qualitäten variieren. Obwohl sie vorübergehende Erfahrungen darstellen, weisen sie auf universelle Wahrheiten hin, die leicht von Kindern verstanden werden. Die zweite Annahme lautet, dass die spontanen spirituellen Erkenntnisse von Kindern mit den Einsichten, die der Buddha vor vielen Jahrhunderten umrissen hat, übereinstimmen.
Da sich die Erkenntnisse des Buddha über eine so lange Zeit in verschiedenen Ländern entwickelt haben, ist dieses Buch nicht Ausdruck einer spezifischen Schule des Buddhismus, im Gegenteil, es ist nicht an eine buddhistische Konfession oder Richtung gebunden. Buddhistische Traditionen wurden in verschiedenen Kulturen integriert und haben deshalb unterschiedliche Schwerpunkte. In ihren vielen Differenzen tragen sie zu der Vielfalt und dem Reichtum des Buddhismus bei. Trotz aller Unterschiede verweisen sie alle auf die Grundverständnisse und Lehren des Buddha. Wie der amerikanische Dharma-Lehrer Joseph Goldstein eines seiner Bücher passend benannte, es gibt nur ein Dharma. Damit drückt er aus, dass »es eine tiefe gemeinsame Übereinstimmung von befreiender Weisheit gibt, die durch alle Überlieferungen des Buddhismus läuft« (Goldstein 2002, S. 6).
Dieses Buch versucht, eine praxisorientierte Essenz der Lehren des Buddha (d. h. des Dharmas) so zu vermitteln, wie Kinder sie erfahren, d. h. die wesentliche Spiritualität und nicht religiöse oder philosophische Interpretationen. Aus diesem Grund werden primär die ursprünglichen Lehren des Buddha herangezogen und weniger spätere Kommentare.
Das Buch wird drei Themenbereiche verfolgen, die miteinander verbunden und verflochten sind:
Im ersten Teil werden die Verbindungen zwischen Buddhismus und Kindheit untersucht, beginnend mit der eigenen Kindheit des historischen Buddha, gefolgt von seiner Hagiographie und Mythologie. Themen und Hinweise auf Kindheit in seinen Lehren werden aufgegriffen und im historischen, sozialen und psychologischen Zusammenhang aufgezeigt. Das »göttliche Kind« ist eine der Hauptarchetypen in der Psychologie C. G. Jungs und kann Ganzheit, Neuanfang und Erlösung symbolisieren. Der Archetyp des »göttlichen Kindes« ist in anderen Religionen, wie beispielsweise im Hinduismus und Christentum, hochrelevant. Die weniger deutliche Rolle des »göttlichen Kindes« im Buddhismus wird diskutiert, obwohl die zukünftige, weltverändernde Möglichkeit des jungen Siddhartha Gautama schon kurz nach der Geburt erkannt wurde.
Der zweite Teil des Buches wird der Spiritualität und Religiosität von Kindern und Jugendlichen gewidmet und umfasst Definitionen, Häufigkeit, Erscheinungsform und günstige Bedingungen für Spiritualität. Das »Numinose« in der Psychologie C. G. Jungs und Spiritualität sind zwei Begriffe, die synonym verwendet werden können. Die Relevanz der Jung’schen Sicht, um die kindliche Spiritualität in Psychotherapie und im Alltag zu verstehen, wird untersucht.
Im dritten Teil werden Verbindungen und Übereinstimmungen zwischen der natürlichen, spontanen Spiritualität und den Lehren des Buddha dargestellt und diskutiert. Nur die Lehren, die besonders wichtig für Kinder sind, werden detailliert erläutert:
Vergänglichkeit ist einer der wichtigsten Aspekte kindlicher Erkenntnisse und Gedanken: Warum verändert sich alles, warum kann es nicht gleichbleiben, warum folgt der Herbst auf den Sommer und der Tod auf das Leben? Fragen über Leiden werden anschließend behandelt. Weltliche Bedingungen und Hindernisse der Spiritualität sind ebenfalls Teil ihrer täglichen Erfahrungen. Ethik, Gerechtigkeit und Fairness sind echte Besorgnisse vieler Kinder und Jugendlicher. Die Grundlagen der edlen vier Wahrheiten werden aus kindlicher Sicht und Erfahrung erläutert. Dabei liegt der Fokus auf den Lehren des Buddha auf dem mittleren Weg, der in dem achtfachen Pfad ausgedrückt ist. Zum Schluss sind interpersonelle Aspekte der Spiritualität wie Mitgefühl, Empathie mit Lebewesen und liebender Güte offensichtliche und wichtige Einstellungen vieler Kinder.
Das Ziel des Buches ist es, nicht nur die theoretischen Grundlagen der Spiritualität darzulegen, sondern auch Raum für subjektive Erfahrungen und Meinungen, in anderen Worten Raum für den direkten Ausdruck von Kindern zu geben. Aus diesem Grund wurden Zitate vieler Kinder während ihrer Psychotherapie und in anderen Kontexten herangezogen, wo immer sie passten. Andere Quellen umfassen Biografien, Autobiografien, historische Dokumente, wissenschaftliche Veröffentlichungen, Romane, Kinderbücher, Gedichte, Liedtexte und persönliche Erinnerungen. Fotografien und Zeichnungen illustrieren und ergänzen die Einsichten von Kindern.3
3 Obwohl ich kein Künstler bin, habe ich seit meiner Kindheit schon immer gerne fotografiert. Im Alter von 14 Jahren lernte ich Fotos selber zu entwickeln. Ich war immer fasziniert von der langsamen Entstehung von Bildern in den Wannen der Dunkelkammer. Dieser Prozess hat etwas Magisches an sich, wie langsam sich die Grautöne zeigen. Obwohl digitale Fotografie alles vereinfacht hat, bin ich noch immer fasziniert von der Verwandlung eines subjektiven Bildes zu einem Objekt, das geteilt werden und Gefühle und Emotionen ausdrücken kann. Aus diesem Grund ist dieses Buch nicht nur mit persönlichen Erinnerungen und Zitaten angereichert, sondern auch mit vielen Fotografien.
Die Lebensgeschichte des Buddha (563–483 vor Christus) kann leicht zusammengefasst werden. Er wurde als Siddhartha Gautama vor 2500 Jahren um Lumbini geboren, jetzt im südlichen Nepal gelegen. Er war der Sohn eines nordindischen Herrschers.4 Seine Mutter starb eine Woche nach seiner Geburt, sodass er durch seine Stiefmutter und seinen Vater in materiell luxuriösen Bedingungen versorgt wurde. Als junger Mann, im Alter von 29 Jahren, verließ er seine Frau und sein neugeborenes Kind, um tiefe Einsichten und Verständnis des Lebens zu erlangen. Als ersten spirituellen Zugang wählte er den asketischen Weg. Nachdem er durch Hungern völlig abgemagert war, erkannte er, dass weder Luxus und Verwöhnung noch extreme Einschränkung wirkliche Erkenntnisse eröffnen, sondern nur der sogenannte »mittlere Weg«. Nachdem er wieder zu Kräften gelangt war und für eine lange Zeit unter einem Baum meditierte hatte, kam er im Alter von 35 Jahren zu den entscheidenden tiefen Erkenntnissen, der sogenannten Erleuchtung. Diese waren so ergreifend, dass er zunächst nicht darüber reden wollte. Als er anfing zu lehren, fand der Buddha (der Erleuchtete, wie er jetzt genannt wurde) schnell eine große Zahl von Schülern. Er reiste und teilte seine Weisheiten und Einsichten großzügig mit allen. Er hatte zu der damaligen Zeit das große Glück, das hohe Alter von 80 Jahren zu erlangen und konnte bis zu seinem Tod lehren. Der Kern seiner Lehren ist so praktisch, hilfreich und wertvoll, dass sie weiterhin Menschen in der gesamten Welt ansprechen, selbst bis heute, 2500 Jahre später.
Das ist seine Lebensgeschichte kurz zusammengefasst. Wie John Strong (2009) aufzeigte, gibt es jedoch nicht eine Geschichte des Buddha, sondern viele Biografien mit großen thematischen Variationen und Auswirkungen, abhängig von den historischen Quellen, Übersetzungen und Rückübersetzungen. Man muss sich vergegenwärtigen, dass die Lehren und Reden des Buddha zunächst über viele Jahrhunderte mündlich wiedergegeben und weitergereicht wurden. Erst viel später, ca. 80 Jahre vor Christus, wurden sie niedergeschrieben. Diese zeitlichen Zusammenhänge lassen sich verstehen, wenn man sich vorstellt, dass zum Beispiel die Stücke von William Shakespeare (1564–1616) nur mündlich weitergereicht, gespielt, erzählt, wiederholt übersetzt und erst zu unserer Zeit niedergeschrieben worden wären. Die Grundhandlungen seiner klassischen Stücke wären beibehalten, aber die Sprache und Einzelheiten wären durch diesen Prozess natürlich verändert.
Zusätzlich zu den ursprünglichen Texten des Buddha, die in der alten Sprache Pali niedergeschrieben wurden, gibt es Übersetzungen und Rückübersetzungen in und von vielen anderen asiatischen Sprachen (wie Chinesisch, Tibetisch und Sanskrit). In diesem Prozess entwickelten sich neue Versionen und Ergänzungen. Man kann sich leicht vorstellen, wie in dem langen Prozess der mündlichen Wiedergabe Einzelheiten verändert wurden, obwohl natürlich der Kern der Lehren erhalten blieb. Wie wir später sehen sollten, wurden die Lehren des Buddha in thematische Gruppen zusammengefasst, um diese mündliche Wiedergabe über so viele Jahrhunderte zu erleichtern.
Zwei verschiedene Stränge der Lebensgeschichte des Buddha können aufgezeigt werden. Die erste ist die Geschichte seines Lebens als historische Person, die wie alle Menschen geboren wurde und die Entwicklungsstufen der Kindheit und Jugend durchlief. Es ist erstaunlich, wie viele historische Fakten über sein Leben vorhanden sind, obwohl 2500 Jahre vergangen sind. Dieser historische Aspekt seiner Biografie wird in dem nächsten Abschnitt zusammengefasst.
Der zweite Strang seine Biografie zeigt den Buddha als übernatürliches, magisches Wesen mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, aber nicht als historische Person wie wir alle. Diese Überlieferungstradition zeigt den jungen Buddha mit allen Qualitäten eines »göttlichen Kindes« nach den archetypischen Konzepten von C. G. Jung. In dieser Funktion kann das göttliche Buddha-Kind Trost, Hoffnung und Vertrauen für die Zukunft spenden. Dieser mythologische Buddha wird in einem späteren Abschnitt dargestellt.
Für die historische Tradition der Biografie des Buddha werde ich immer wieder das klassische Buch von Schumann, »Der historische Buddha« (2004), heranziehen, das erstmals 1982 veröffentlicht wurde und noch heute die fundiertesten Grundlagen liefert. Für den zweiten Strang, den mythologischen Buddha, ist die Biografie von John Strong (2009) eine wichtige Quelle. Passend zu dem Thema dieses Buches liegt der Fokus natürlich auf der Biografie der Kindheit und Jugend des Buddha.
Siddhartha Gautama wurde 563 vor Christus in dem Dorf Lumbini geboren, das jetzt im südlichen Nepal liegt. Er verbrachte sein gesamtes Leben in einem Gebiet in Nordindien, das 600 × 300 km umfasst, ein Gebiet mit fruchtbaren Ebenen im Süden und hohen Bergen im Norden.
Es fällt mir schwer mir vorzustellen, wie Indien gewesen sein muss vor so langen Zeiten. Es muss ein kaum bevölkertes, leises, landwirtschaftlich bebautes und schönes Landgewesen sein – ganz anders als moderne indische Städte mit Krach, verstopften Straßen, Luftverschmutzung, Plastikmüll an den Straßenrändern und vielen Menschen.5Vermutlich war es ähnlich wie das ländliche Indien, das ich als Kind erlebt habe. Ich kann mich noch an Büffelkarren mit zwei riesigen Rädern aus Holz erinnern, umherirrende Kühe (obwohl Kühe zu den Zeiten des Buddha noch nicht als heilig angesehen wurden) (siehe Schumann 2004, S. 236), Lehmhütten, Bauern auf den Feldern, Dorfbrunnen, der Geruch von Feuern aus Kuhdung – und natürlich keine Elektrizität. Könnten die Dörfer so ähnlich gewesen sein vor so langer Zeit?
Abb. 1: Dorf in Sarnath, Nordindien. Hier gab der Buddha seine erste Lehrrede. Ländliches Dorfleben hat sich seit den Zeiten des Buddha in Indien kaum verändert.
Wie Schumann (2004) aufzeigte, lehrte der Buddha überwiegend nicht in Dörfern, sondern in den Städten: »Reflektieren die ältesten literarischen Quellen der Inder, die Veden, ländliche Lebensweise, so tritt uns in den buddhistischen Schriften das Bild einer städtischen Kultur entgegen. Von Dörfern und Bauern ist zwar auch die Rede, aber vor allem die Städte bilden die Kulisse der Mission des Buddha, sie sind die Schwerpunkte eines blühenden merkantilen und politischen Lebens« (Schumann 2004, S. 14). Diese waren völlig anders als moderne indische Städte. Oft waren sie Festungen und wurden umringt von hohen Stadtmauern und Wassergraben. Sie lagen oft bei Flüssen und hatten Paläste, Basare und Wohnbereiche. Außerhalb der Städte trafen sich Wanderer in Parks und Gärten (Schumann 2016, S. 38ff.).
Das sechste Jahrhundert vor Christus war eine Zeit des spirituellen Umbruchs und der Reaktion gegen etablierte religiöse Tradition, die zu dogmatisch und mechanistisch geworden waren. Die Zeit war reif für eine Veränderung, durchaus vergleichbar mit den sozialen Umbrüchen und spirituellen und politischen Infragestellungen der 1960er Jahre. Siddhartha Gautama war zu dieser Zeit nicht der einzige Begründer einer spirituellen Tradition. Wie Schumann erläutert, hatte der Buddha mehrere spirituelle Konkurrenten, von denen Mahavira der bekannteste war. Er war der Begründer des Jainismus, einer hoch asketischen religiösen Sekte, die noch heute viele Anhänger in Indien hat, aber weniger Anziehung auf den Westen ausübt.
Zu dieser Zeit wurde Nordindien in Königreiche und Republiken aufgeteilt. Es ist interessant, dass Siddhartha Gautamas Vater nicht ein König war, sondern ein Herrscher der Republik der Sakyas, die heutzutage an der Grenze von Nordindien und Nepal liegt. Die Sakyas waren Krieger, Verwalter und Richter, die ihren Präsidenten wählten. Damals stand die Kriegerkaste gesellschaftlich höher als andere Kasten, wie zum Beispiel die Brahmanen, die Priester. Suddhodana, der Vater von Siddhartha Gautama, war somit ein gewählter Herrscher. Und Siddhartha Gautama war sein erster Sohn (Schumann 2004, S. 18).
Nach den historischen Legenden war seine Mutter Maya bei seiner Geburt schon 40 Jahre alt. Auch heute ist die erste Geburt einer 40-jährigen Mutter mit höheren Risiken sowohl für die Mutter wie auch für das Kind vor, während und nach der Geburt verbunden. Maya wollte ihr Kind zu Hause bei ihren Eltern entbinden. Sie reiste mit einem Büffelkarren über staubige und heiße Straßen, aber erreichte ihr Elternhaus nicht rechtzeitig. Ihr Sohn Siddhartha Gautama wurde unterwegs in Lumbini (Süd Nepal) geboren. Maya stand dabei aufrecht und hielt sich an den Zweigen eines Salbaums fest, ohne medizinische Unterstützung. Der Salbaum ist ein immergrüner Hartholzbaum, der bis zu 30–35 m hoch wachsen kann. Er ist weit verbreitet im indischen Subkontinent und hat große grüne Blätter. Seit der Geburt des Buddha ist der Salbaum ein Symbol der Vergänglichkeit im Buddhismus.
Maya war nach der Geburt erschöpft und fuhr in ihre Heimatstadt Kappilavathu. Während es dem Baby gut ging, entwickelte Maya Fieber und verstarb tragischerweise eine Woche später (Schumann 2004, S. 22). Selbst heutzutage ist die mütterliche Todesrate in Entwicklungsländern ohne ausreichende medizinische Versorgung sehr hoch. Nach den Statistiken der Weltbank hat sich die weltweite mütterliche Mortalität in den letzten 25 Jahren erfreulicherweise zurückgebildet. Dennoch gibt es selbst im Jahr 2014 weiterhin große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern: Während die mütterliche Mortalitätsrate 6 zu 100.000 Lebendgeburten in Deutschland betrug (neun in Großbritannien und 14 in den USA), war sie in Indien mit 174 weiterhin sehr hoch (World Bank 2014). Man kann davon ausgehen, dass diese Rate zu den Zeiten des Buddha noch viel höher war, sodass viele Kinder schon kurz nach ihrer Geburt zu Halbwaisen wurden.
Siddhartha Gautama hatte als neugeborener Halbwaise sehr viel Glück: Seine Tante und zukünftige Stiefmutter, die gerade seinen Halbbruder Nanda
Abb. 2: Relief mit Königin Maya während der Geburt ihres Sohnes, Siddhartha Gautama (Smithsonian National Museum of Asian Art, Washington, D. C.). Sie hält sich stehend an den Zweigen eines Salbaums fest. Die Geburt ihres Babys erfolgt von der rechten Seite ihres Körpers. Sein Kopf ist mit einem Heiligenschein umringt und er wird von einer Hebamme empfangen. Nach Legenden handelt es sich um den Gott Indra.
entbunden hatte, schaute nach ihm, umsorgte und stillte ihn, sodass er zu allen Zeiten versorgt wurde und niemals ohne mütterliche Bezugsperson war.
Die Arbeit von Fisher (2015) gibt einen guten Überblick über Studien zur Adoption und zu Pflegefamilien. Pflege- und Adoptivkinder haben insgesamt ein erhöhtes Risiko für negative Entwicklungen, einschließlich psychischen Störungen, Entwicklungs- und neurologischen Auffälligkeiten, vor allem, wenn sie vernachlässigt waren und multiple Bezugspersonen hatten. Wenn sie gut umsorgt waren, sind die Entwicklungsrisiken gegenüber anderen Kindern nicht erhöht. Im Gegenteil, manche Kinder entwickeln eine erhöhte Resistenz gegenüber Krisen, was ein protektiver Faktor für das gesamte Leben ist. Man kann deshalb davon ausgehen, dass Siddhartha Gautama von seiner Stiefmutter gut umsorgt wurde, sodass er nicht notwendigerweise durch den frühen Tod seiner leiblichen Mutter belastet war.
Nach den Legenden wurde der neugeborene Siddhartha Gautama im Alter von drei Tagen durch einen weisen alten Mann namens Asita empfangen, der vorhersagte, dass er ein Buddha, eine erleuchtete Person, werden würde. Acht andere brahmanische Priester sagten ebenfalls voraus, dass dieses Kind erfolgreich sein würde – entweder im Bereich der Religion als ein Buddha (d. h. ein Erleuchteter) oder im weltlichen Bereich als Herrscher.
Wahrscheinlich waren beide Voraussagen besorgniserregend für seinen Vater, der den Verlust seiner Frau betrauern musste und sich wahrscheinlich nichts mehr wünschte, als dass sein Sohn in seine Fußstapfen treten und wie er ein weiser Herrscher werden würde. Diese elterlichen Wünsche können als Projektion verstanden werden. Projektionen sind Erwartungen, die Eltern oft unbewusst in sich tragen und auf ihre Kinder projizieren. Sie können positiv oder negativ sein, realistisch oder unrealistisch. Projektionen sind nicht problematisch, wenn sie einen positiven Inhalt haben und realistisch sind. Jedoch können sie nachteilig sein, wenn negative Gefühle, ungelöste eigene Konflikte und Schwierigkeiten wie Trauma und Misshandlung von Eltern auf Kinder projiziert werden.
Kinder sind somit immer Empfänger von Projektionen ihrer Eltern: »In allen Kontexten werden Kinder mit hoher Wahrscheinlichkeit eine ordentliche Dosis elterliche Projektionen empfangen und müssen diese Erwartungen ertragen« (Sasson 2013, S. 11). Wenn sich elterliche Erwartungen, das kindliche Temperament und die Kernpersönlichkeit deutlich unterscheiden, kann dies problematisch sein. Wie wir gesehen haben, wurde Siddhartha Gautama von klein auf optimal umsorgt und materiell in jeder erdenklichen Weise verwöhnt, was seinerseits auch für die Entwicklung im Jugendalter problematisch sein kann. Einer Studie zufolge strebten reiche amerikanische Jugendliche eher nach äußerlichem Erfolg und hoher Leistung. Um beliebt zu sein, legten reiche Mädchen großen Wert auf ihre äußere Erscheinung, während Jungen eine höhere Wahrscheinlichkeit für Substanzmissbrauch oder antisoziales Verhalten entwickelten, um Anerkennung durch Gleichaltrige zu erlangen (Miller 2012, S. 224–225).
Zum Glück erlag Siddhartha Gautama nicht den Versuchungen seines Reichtums. Allerdings erfüllte er nicht die Erwartung seines Vaters, dessen Projektionen sich so sehr von seinem Temperament unterschieden. Zudem spürte er schon früh seine Berufung zu einem spirituellen Weg, ein Prozess, den C. G. Jung »Individuation« nannte. Individuation ist mit zwei Bewegungen assoziiert: Zum einen mit einer Trennung von bisherigen Werten und Bedingungen und zum anderen mit einer Verbindung und Wiedervereinigung, wie es der Jung’sche Analytiker Murray Stein (2006) ausführte. Individuation umfasst sowohl die Suche nach der eigenen Identität, d. h. die Person zu werden, die man wirklich ist, wie auch die Erkenntnis, dass man immer mit anderen Menschen verbunden ist. Sie kann auch als eine Berufung gesehen werden, die im Leben erfüllt sein muss. Bei Siddhartha Gautama war es somit eine innere Notwendigkeit, ein spiritueller Lehrer zu werden anstatt ein weltlicher Herrscher. Um gerade dieses zu verhindern, versuchte sein Vater ihn von den Leiden anderer Menschen fernzuhalten und ihn stattdessen in jeder möglichen Form zu verwöhnen.
Was wissen wir über die Kindheit des Siddhartha Gautama? Obwohl es nicht viel ist, sind mehr Fakten überliefert als zum Beispiel über die frühen Jahre von Jesus Christus. Wie wir später sehen werden, gibt es nur wenige Szenen in der Bibel über Jesus als Kind, zum Beispiel als er von seinen Eltern weglief und im Tempel blieb.
Siddhartha Gautama wuchs in solchem Reichtum auf, dass alle seine Wünsche erfüllt wurden. Dennoch zeigte er kein hohes Interesse an praktischen Aktivitäten wie Landwirtschaft und Kampfkunst, was für seinen Vater mit Sicherheit schwer zu akzeptieren war (Schumann 2004, S. 37). Stattdessen hatte er eine hohe Neigung zur Philosophie, Kontemplation und Meditation – Aktivitäten, die deutlich von den Erwartungen an einen zukünftigen Staatsmann abwichen. Wie Schumann es ausdrückte: »Die Gautama-Familie, die seine schwache Weltverhaftung und seine Transzendenz-Neugier stirnrunzelnd beobachtete«, versuchte so weit wie möglich dieses zu verhindern. »Wenn die Legende berichtet, Suddhodana habe seinen Sohn gegen die Welt abgeschirmt, um ihm den Anblick des Leidens zu ersparen, so war wohl der wahre Grund, Ideen der Weltflucht von ihm fernzuhalten« (Schumann 2004, S. 43).
In einem späteren Abschnitt beschreibt Schumann eindrücklich die Unterschiede zwischen Vater und Sohn:
»Hatte Suddhodana … gehofft, sein ältester Sohn werde sich zu einem robusten, entschlossen der Welt zugewandten Tatmenschen mit politischen Ambitionen entwickeln, so wurde er enttäuscht. An fröhlichen Gruppenspielen und militärischen Übungen desinteressiert, war der Jüngling zum Eigenbrötler geworden und philosophischen Überlegungen und kontemplativen Betrachtungen allzu sehr hingegeben. Statt seine angenehmen Lebensumstände zu genießen, war er infolge selbstentwickelter Maßstäbe mit der Welt unzufrieden und litt unter ihren Unzulänglichkeiten. Zugleich sann er darüber nach, wie sich die Welt subjektiv überwinden lasse. Kurzum, er war, mit der Sprache der Psychologie zu reden, ein sensibler, habituell introvertierter Denktyp. Kein Wunder, dass ihn das Leben in Haus und Ehe seelisch nicht ausfüllte und er die Chance ergriff, als Samana (Mönch) der Welt zu entsagen« (Schumann 2004, S. 224).
Zusammengefasst wuchs Siddhartha Gautama in einem Palast auf, in dem alle seine materiellen Bedürfnisse mehr als gedeckt waren. Wie er sich später daran erinnerte, »lebte ich … äußerst verwöhnt (im Elternhaus)« (Schumann 2004, S. 36). Als er 16 Jahre alt wurde (547 vor Christus), heiratete er seine Cousine Yasodhara, aber es dauerte weitere 13 Jahre bis sein Sohn Rahula geboren wurde. Insgesamt findet man wenig Aufsässigkeit in Siddhartha Gautamas Jugend. Allerdings führte seine Ernüchterung über sein materiell gesättigtes Leben schließlich dazu, dass er als junger Erwachsener im Alter von 29 Jahren seine Familie verließ.
Von früh an muss Siddhartha Gautama eine tiefe Berufung zu einem spirituellen Leben gespürt haben. Seine inhärente spontane Spiritualität, die allen Menschen innewohnt, war einfach so überwältigend, dass er ihr folgen musste. 25 Jahrhunderte später konnte sich Thich Nhat Hanh, einer der weisesten und bekanntesten gegenwärtigen buddhistischen Lehrer, an eine ähnlich tiefe Berufung als Kind erinnern. In einer bewegenden Sendung von Oprah Winfrey (Winfrey 2010) wurde er von ihr gefragt:
OW:
»Gibt es irgendeine besondere Erinnerung, die sie über ihre Kindheit erzählen können – ihre schönste Erinnerung?«
TNH:
»Eines Tages sah ich ein Bild des Buddha in einer buddhistischen Zeitschrift und er saß auf dem Gras.«
OW:
»Wie alt waren Sie da?«
TNH:
»Sieben, acht … Und er saß auf dem Gras sehr friedvoll … lächelnd … Und ich war beeindruckt. Um mich herum waren die Menschen nicht so wie er, sodass ich mir wünschte, so zu werden wie er. Und ich hegte diesen Wunsch biszum Alter von 16 Jahren, als sich die Erlaubnis meiner Eltern bekam, ein buddhistischer Mönch zu werden.«
OW:
»Wie fühlte sich dieser Wunsch, dieses Drängen, dieses Gefühl von ›Was ich tun muss, was ich werden muss‹ … Wie fühlte es sich an?«
TNH:
»Ich würde nicht glücklich sein, wenn ich nicht ein Mönch geworden wäre, und das ist das Gefühl.«6
Was in diesem Interview so schön ausgedrückt wurde, ist die starke spirituelle Berufung eines jungen Kindes, das genau und intuitiv wusste, wie sein Lebensweg sein würde. Während Thich Nhat Hanh schon in einem frühen Alter Mönch werden konnte, musste Siddhartha Gautama bis zum Alter von 29 Jahren warten, um diesen großen Schritt zu machen.
In der Biografie Siddharta Gautamas sind drei Szenen besonders bedeutsam: Die Erfahrung von tiefen meditativen Zuständen als Kind unter dem Rosenapfelbaum, die sogenannten vier Exkursionen und der große Abschied als junger Erwachsener. Diese werden in den folgenden Abschnitten ausführlich beschrieben.
Die Rosenapfel-Szene erscheint auf den ersten Blick belanglos, spielt aber eine entscheidende Rolle in der Biografie des Buddha. Sie ist so wichtig, da Siddhartha Gautama »zum ersten Mal von der Möglichkeit der Befreiung kostete – etwas, das universell für jeden zur Verfügung steht, der es versucht« (Sasson 2013, S. 82). Der Rosenapfelbaum ist ein Busch mit tiefhängenden Ästen, der allerdings bis zu 15 m hoch wachsen kann und Früchte trägt, die ähnlich sind wie Guavas.
Das Pflugfest war eine wichtige Feier am Hof. Jeder zog seine beste Kleidung dazu an. Suddhodana nahm seinen Sohn und seine Kindermädchen mit zum Feld und Siddhartha Gautama saß im Schatten unter einem Rosenapfelbaum. In dieser berühmten Pflug-Szene beobachtete Siddhartha Gautama seinen Vater, wie er in dieser wichtigen Zeremonie das Feld pflügte, um seine Herrschaft zu bekunden.
Unter dem Rosenapfelbaum trat Siddhartha Gautama zum ersten Mal in eine tiefe Meditation ein. In einer Version der Texte blieb er im Schatten des Baums sitzen, obwohl sich der Schatten aller anderen Bäume inzwischen verändert hatte. Er erkannte, dass es selbst bei dieser wichtigen Feier Leid für Lebewesen gibt, da Insekten und Würmer durch die Pflugscharen aufgewühlt und von den Vögeln gegessen wurden. Andere Texte schmücken die Geschichte weiter aus und berichten, dass der Pflug einen Frosch und eine Schlange tötete. Ein Junge ergriff daraufhin den Frosch, um ihn später zu essen, und warf die Schlange weg. Zur gleichen Zeit fühlte Siddhartha Gautama ein tiefes Mitgefühl mit den anwesenden Menschen, für die Arbeiter, die in der heißen Sonne schwitzen, und für die Last der Büffel, die den Pflug ziehen mussten (Sasson 2013, S. 83). Im Gegensatz zu seinem Vater, der mit dem Pflügen beschäftigt war und somit gerade diese Schmerzen verursachte, stand Siddhartha Gautama abseits vom Geschehen und distanzierte sich von der weltlichen Rolle seines Vaters. Dadurch betonte er seine Rolle als zukünftiger Mönch.
In einer der Lehrreden des Buddha, der »Großen Rede an Saccaka« (Buddha, Middle Length Discourses 1995, Sutra 36, Paragraf 31) wird diese Szene detailliert beschrieben:
»Ich kann mich erinnern als mein Vater, der Herrscher der Sakyas, beschäftigt war, während ich in dem kühlen Schatten eines Rosenapfelbaums saß, abseits von sinnlichen Freuden, abseits von ungesunden Geisteszuständen, trat ich ein und verblieb in dem ersten Jana, der begleitet wird durch angewandtes und aufrechterhaltendes Denken, durch Entrückung und Freuden, die aus der Abgeschiedenheit geboren wurden. Könnte dies der Pfad zur Erleuchtung sein?« Danach kam die Erkenntnis: »Dies ist wirklich der Pfad zur Erleuchtung.«
Unter dem großen Rosenapfelbaum trat Siddhartha Gautama in die erste Stufe der vier Versunkenheitszustände, die in der Sprache Pali »Janas« genannt werden. Diese Vertiefungen entsprechen meditativen Zuständen, die mit innerer Freude beginnen, gefolgt von Glück, Ausgeglichenheit und schließlich klarer Einsicht. Dieser vierte Zustand wird auch mit den Begriffen »weder Freude noch Schmerz« bezeichnet (Titmuss 1998, S. 188). Der erste meditative Zustand des inneren Glücks, den Siddhartha Gautama erlebt hatte, ist gekennzeichnet durch Freude, Gelassenheit und gerichteter Aufmerksamkeit. Es ist ein tiefer und bewegender Zustand der Meditation, der erreicht werden kann, indem man sich auf ein Objekt, üblicherweise den Atem, konzentriert. Indem man das Kommen und Gehen des Atems beobachtet, kommt Stille ganz natürlich und die dadurch ausgelöste Gelassenheit kann zu noch tieferen Zuständen der Absorption vorangehen. So angenehm diese meditativen Erfahrungen auch sind, sie sind nicht Voraussetzung für Einsicht und Verständnis. Manche Menschen erreichen diese Zustände niemals in ihrem Leben, zeigen aber dennoch große Weisheit. Dagegen können andere leicht in die »Janas« eintreten, werden von ihnen abhängig und versuchen diese besonderen Gefühle wieder zu erleben.
Ohne Zweifel können Kinder die Stadien der inneren Freude spontan erleben, zum Beispiel, wenn sie von der Natur überwältigt sind. Die Erfahrung dieser Absorption als Kind kann einen zu späteren Zeiten im Leben an die Möglichkeit eines spirituellen Lebens erinnern. Als der junge Siddhartha Gautama in diesen meditativen Zustand eintrat, war er einerseits alleine, andererseits mit anderen Menschen zusammen. In der Anwesenheit seines Vaters, der auf dem Feld pflügte, war er seinem Vater nicht nur körperlich nahe, sonderm auch dem, was dieser repräsentierte. Das war für ihn vertraut, vielleicht sogar tröstend und stabilisierend. Zur gleichen Zeit muss dies eine vollständig neue spirituelle Erfahrung gewesen sein, die er alleine ohne seinen Vater erfahren hat – tiefe Freude, Glück und Mitgefühl mit allen Lebewesen. Möglicherweise hat er das empfunden, was in christlichen Worten die Verbindung mit dem »himmlischen Vater« oder mit dem »Königreich des Himmels« bezeichnet wird.
Auch Thich Nhat Hanh schildert zum Beispiel, wie er während eines Schulausflugs zu einem Berg, auf dem ein Einsiedler leben sollte, ähnlich wie der Buddha als Kind seine erste tiefe spirituelle Erfahrung hatte (sein Alter ist leider nicht angegeben). Er war zunächst enttäuscht, dass er diesen Einsiedler nicht getroffen hatte. Er setzte sich von seinen Freunden ab und lief in den Wald hinein:
»Als ich tiefer in den Wald gelangte, hörte ich auf einmal das Geräusch von tropfendem Wasser. Es war ein so schönes Geräusch. Ich kletterte weiter in Richtung dieses Geräusches und traf schon bald auf einen natürlichen Brunnen, ein kleines Becken, das von großen Steinen aus vielen Farben umgeben war. Das Wasser war so klar, dass ich bis auf den Boden sehen konnte. Ich war sehr durstig und so kniete ich mich hin, schöpfte etwas Wasser in meine Hände und trank es. Das Wasser schmeckte wunderbar. Noch nie hatte ich etwas vergleichbar Köstliches getrunken. Ich fühlte mich vollkommen zufrieden, wollte oder brauchte überhaupt nichts – selbst der Wunsch, dem Einsiedler zu begegnen, war weg. Ich stellte mir vor, dass der Einsiedler sich vielleicht in den Brunnen verwandelt hatte« (Hanh 2017, S. 221).
Daraufhin fiel er in einen tiefen Schlaf. Als er erwachte, sah er die Bäume über sich. Er verabschiedete sich von dem Brunnen und machte sich, noch voll des Wunderns und Staunens, auf die Rückkehr zu seinen Klassenkameraden. Dieses Erlebnis war wirklich ein Wendepunkt:
»Das war meine erste spirituelle Erfahrung. Danach wurde ich ruhiger und stiller. Ich hatte nicht das Bedürfnis, das Geschehen mitzuteilen. Ich wollte es in meinem Herzen bewahren. Mein Wunsch, Mönch zu werden, wurde stärker. Als ich 16 war, gaben mir meine Eltern die Erlaubnis, in den Tu-Hieu-Tempel in der Nähe von Hue einzutreten und dort zunächst als Aspirant, dann als Novize zu praktizieren« (Hanh 2017, S. 225).
Wie bei Siddharta Gautama machte Thich Nath Hanh diese erste spirituelle Erfahrung als Kind in der Natur unter Bäumen. Der Brunnen, aus dem lebensspendendes Wasser aus der Tiefe der Erde kommt, gilt als heiliges Symbol und wird in vielen Kulturen verehrt. Das Wasser ist ein universelles Symbol für das Leben allgemein sowie für das Unbewusste. Auch Thich Nath Hanh hatte sein erstes tiefes spirituelles Erlebnis an einem passenden symbolischen Ort. Er wurde danach vom Schlaf überwältigt und wollte zuerst nicht über das Erfahrene reden. So intensiv muss dieses Erlebnis gewesen sein – genauso wie beim Buddha, der nach seinen tiefen Erfahrungen als Erwachsener gehemmt war zu reden und seine Erlebnisse in Worte zu fassen.
Diese tiefen Gefühle können positiv getönt sein, wie in dem Fall von Siddhartha Gautama und Thich Nath Hanh. Andererseits, wie alle spirituellen Erfahrungen, können sie auch eine negative Tönung haben, verbunden mit Gefühlen der Trennung und Distanz. Beide Arten der Erfahrung, sowohl die positive als auch die negative, können lebenslange Folgen haben und wichtige Wendepunkte darstellen. Wie wir später sehen werden, war die Erinnerung an die Rosenapfel-Szene als Kind so stark für den erwachsenen Siddhartha Gautama, dass er seine Experimente mit Hunger und Asketentum beendete.
Auch C. G. Jung beschrieb eine ähnliche Szene, als er auf dem Weg zur Schule war, d. h. in einer alltäglichen Situation. John Freeman, ein Herausgeber der Zeitschrift New Statesman und späterer Botschafter Indiens, führte mit C. G. Jung 1959 das berühmte BBC-Interview, das man bei YouTube anschauen kann (BBC 1959). Als Freeman fragte: »Können Sie sich an die erste Gelegenheit erinnern, als Sie sich Ihres eigenen Selbst bewusst wurden?«, antwortete der 84-jährige Jung:
»Das war in meinem elften Lebensjahr. Da war ich plötzlich auf meinem Weg zur Schule, ich trat plötzlich aus einem Nebel. Es war als ob ich in dem Nebel gewesen war, laufend im Nebel, und ich trat aus ihm heraus und wusste, ›Ich bin. Ich bin, was ich bin.‹ Und dann dachte ich, ›Aber was war ich vorher gewesen?‹ Und dann fand ich, dass ich in einem Nebel gewesen war, nicht wissend, wie ich mein Selbst von den Dingen unterscheiden sollte. Ich war nur ein Ding unter anderen.«
C. G. Jung konnte sich nicht an Auslöser dieser spirituellen Erfahrung erinnern. Er ging zur Schule, so wie jeden Tag. Jedoch wusste er nach der Erfahrung, dass sich etwas verändert hatte. Er hatte Bewusstheit und ein Gefühl von Identität erlangt. Zur gleichen Zeit fühlte er Distanz und Entfremdung zu seinem Vater. Er erkannte, dass sein Vater auch nicht unfehlbar war: »Es hing zusammen mit der Tatsache, dass ich war, und von da an sah ich meinen Vater in einer anderen Art.«
Jung verwendete das Symbol des Nebels, um die dramatischen inneren Veränderungen zu kennzeichnen, die er in einer Alltagssituation, nämlich auf dem Schulweg, erfuhr. In einem dichten Nebel ist die Sicht begrenzt, man sieht nur wenige Meter vor einem, alles andere ist verschwunden. Objekte verlieren ihre dreidimensionale Qualität und lediglich Umrisse in verschiedenen Stufen von Grau verbleiben. Die Objekte sind jedoch nicht verschwunden; sie sind nur vorübergehend nicht sichtbar. Sobald der Nebel sich lüftet, werden die Gegenstände wieder sichtbar. Jung sagte, dass er als Kind in einem Nebel gelebt hat und sich nicht von anderen Gegenständen unterschied. Als er plötzlich aus dem Nebel trat, veränderte sich seine Sichtweise unwiederbringlich. Er sah klar, nahm sich als Individuum wahr und seinen Vater als Mensch mit Schwächen und Fehlern, nicht als den allmächtigen und unfehlbaren Vater seiner Kindheit.
Diese Beschreibung von Jung teilt viele Ähnlichkeiten mit den Lehren des Buddha. Wenn man die Realität klar sieht, wird der Nebel verschwinden. Oder um noch ein anderes Symbol zu verwenden, hinter den Wolken kann man den Himmel sehen, der immer da ist und nicht verschwindet. Mit anderen Worten weiß man bei dieser Art der Erfahrung, dass man nicht glauben muss – dies ist ein Kennzeichen von tiefem spirituellem Verständnis.
Diese Erfahrungen können nicht durch Willen alleine hervorgerufen werden, sie ereignen sich spontan. C. G. Jung konnte sich noch Jahrzehnte später als alter Mann daran erinnern. Dieses Kindheitserlebnis war für ihn ein Wendepunkt. Wie mit allen tiefen Erfahrungen gibt es keinen Weg zurück. Jung erkannte, dass sich von diesem Zeitpunkt an seine Wahrnehmung gegenüber seinem Vater für immer verändert hatte. Er war nicht mehr der mächtige Vater, sondern war fehlbar geworden.
In dem Interview wurde Jung später von John Freeman gefragt: »Glauben Sie jetzt an Gott?« Daraufhin antwortete Jung: »Jetzt? Schwer zu sagen. Ich weiß. Ich muss nicht glauben. Ich weiß.«
Es ist diese Art des Wissens, die ein wahres spirituelles Verstehen kennzeichnet. Wenn man verstanden hat, weiß man wirklich. Zudem verbleibt dieses Wissen lebenslang. Die Szene ist immer noch so lebendig, dass Jung noch 73 Jahre später, im letzten Teil seines Lebens, von ihr berührt ist. Viele Kinder erfahren solche Zustände der Absorption wie Siddhartha Gautama, Thich Nath Hanh und C. G. Jung:
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich in Indien zwischen Büschen saß und auf das schlammige Ufer eines Sees schaute. Ich muss ungefähr fünf Jahre alt gewesen sein. Ein intensives Gefühl von Zeitlosigkeit und Ausdehnung kam über mich, als ich dem Plätschern der kleinen Wellen zuhörte. Die Geräusche der Wellen waren unwirklich und schienen von weit her zu kommen, obwohl sie nur wenige Meter entfernt waren. Seitdem ist das Meditieren am Wasser und die Wahrnehmung der Wellen für mich immer eine besondere Erfahrung. Wellen sind ein besonderes Symbol der Nicht-Dualität des universellen und relativen Lebens. Einerseits ist eine Welle Teil des Ozeans, andererseits könnte der Ozean nicht Ozean sein ohne die Wellen. Die beiden sind untrennbar und ein wundervolles Symbol des Lebens, das die große, universelle und die kleine, relative Sicht vereinigt.
Diese Kindheitserinnerungen hatten einen tiefen und wichtigen Einfluss auf mein gesamtes Leben. Für viele Jahre verbrachten wir die Sommerferien in Griechenland. Ein Ort den ich besonders liebte war ein kleiner Leuchtturm, von dem man das Meer rundum von einer Klippe betrachten konnte. Ich saß für Stunden in tiefer Meditation, hörte den Wind und das Brechen der Wellen an den Felsen. Manchmal kamen dort Delphine vorbeigeschwommen. Mit geschlossenen Augen konnte ich die Geräusche des aufspritzenden Wassers hören, wie sie aus dem Wasser sprangen. Wenn ich meine Augen öffnete, sah ich die tiefe blaue Farbe des Mittelmeers unter mir und die unendliche Bläue des Himmels über mir und ich hatte ein tiefes Gefühl der Ehrfurcht.
Wellen und Ozeane waren schon immer ein Symbol für das Universelle und Relative, sowohl für Kinder wie auch Erwachsene. Der vietnamesischer buddhistische Lehrer Thich Nhat Hanh verwendete dieses Symbol auf eine sehr poetische Art:
»Manche Wellen des Ozeans sind hoch und manche sind niedrig. Wellen scheinen geboren zu werden und zu sterben. Aber wenn wir tiefer schauen, sehen wir, dass die Wellen, obwohl sie kommen und gehen, auch aus Wasser sind, das immer da war. Vorstellungen von hoch und niedrig, Geburt und Tod können auch bei Wellen angewendet werden, aber das Wasser ist frei von solchen Unterscheidungen. Erleuchtung bedeutet für die Welle den Moment, wenn sie erkennt, dass sie Wasser ist. In dem Moment verschwindet alle Angst vor dem Tod« (Hanh 2007, S. 38).
Was Thich Nhat Hanh hier ausdrückt ist, dass unser relatives Leben und das universelle Leben niemals getrennt sind, obwohl wir oft diese einfache Wahrheit nicht erkennen. Die Wellen ändern sich, aber das Wasser nicht. Sobald wir dieses klar sehen, fügt sich alles an seinem Platz ein und wir fühlen uns erleichtert:
»Selbst wenn wir in der Welt der Wellen leben, berühren wir Wasser, wissend, dass eine Welle nichts als Wasser ist. Wir leiden, wenn wir nur die Welle berühren, aber wenn wir lernen, in Verbindung mit dem Wasser zu bleiben, fühlen wir die größte Erleichterung« (Hanh 2007, S. 153).
Diese Erleichterung kommt, wenn man die Vergänglichkeit und Endlichkeit als intrinsische Bestandteile des relativen menschlichen Lebens akzeptiert, während das Universelle sich nicht verändert:
»Sobald du fähig bist, das Wasser zu fangen, wird es dir nichts ausmachen, dass die Wellen kommen und gehen. Du bist nicht länger beunruhigt durch Geburt und Tod der Welle. Du hast keine Angst mehr. Du bist nicht mehr bestürzt über den Anfang und das Ende der Welle, noch ob die Welle höher oder tiefer ist, mehr oder weniger schön. Du bist fähig, diese Ideen loszulassen, da du schon das Wasser berührt hast« (Hanh 2007, S. 157).
Zusammengefasst erleben die meisten Kinder wie Siddhartha Gautama tiefe spirituelle Einsichten, die sie oft in Symbolen, wie dem Rosenapfelbaum, dem Brunnen, dem Nebel oder den Wellen, ausdrücken. Wie wir später sehen werden, erscheinen diese Einsichten spontan, da Kinder und Jugendliche von Anfang an eine natürliche Kapazität zur Spiritualität in sich tragen. Diese Fähigkeit verschwindet nicht, wenn sie erwachsen werden, wie die Biografie des Buddha zeigte. Zwei weitere entscheidende Erfahrungen des Buddha nach seiner Jugend, d. h. als junger Erwachsener, waren die vier Exkursionen (auch bekannt als die vier Zeichen) und die große Abreise – seine Entsagung des bisherigen Lebens.
Bei den vier Exkursionen handelte es sich um eine Serie von Ereignissen, bei denen Siddhartha Gautama seinen Palast verlässt und dabei Alter, Krankheit, Tod und einem weisen Mann begegnet. Diese führen letztendlich dazu, dass er sein bisheriges Leben im Überfluss beendet. Wie Schumann es erzählt, verließ Siddhartha Gautama die Palastmauern viermal in einem Pferdewagen, der von vier Pferden gezogen wurde (Schumann 2004, S. 60). Das erste Mal nahm er wahr, wie ein älterer Mann dem Tode nahe war. Bei den folgenden Ausflügen begegnete er einem kranken Mann, einem Leichnam und einem Mönch. Indem er die Begrenzungen und Veränderungen des Lebens erkannte, festigte sich sein Wunsch, Mönch zu werden. Genau zu diesem Zeitpunkt stand die Geburt seines Sohnes Rahula an.