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Menschen sind Meister der sozialen Interaktion: Wir kommunizieren und kooperieren mit Leichtigkeit und schaffen gemeinsam, was alleine unmöglich wäre. Dafür ist es unabdingbar, sich in andere hineinzuversetzen. Was denkt, weiß, will unser Gegenüber? Dieses Erschließen der mentalen Zustände anderer Menschen wird als Theory of Mind bezeichnet. Doch wie entwickelt sich diese Fähigkeit vom Säuglings- bis ins Seniorenalter? Welche psychischen Störungen gehen mit einer Beeinträchtigung der Theory of Mind einher? Kann diese Fähigkeit trainiert werden und existiert sie auch bei Tieren? Antworten auf diese und weitere Fragen zu diesem Kernkonzept der Entwicklungspsychologie erhalten Studierende in diesem Einstiegswerk.
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utb 5133
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Jun.-Prof. Dr. Anne Böckler-Raettig lehrt an der Universität Würzburg und untersucht die Grundlagen sozialen Verstehens und Verhaltens. Mit experimental-psychologischen und neurowissenschaftlichen Methoden erforscht sie unter anderem Blickkontakt, Empathie, Theory of Mind und prosoziales Verhalten.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.
UTB-Band-Nr.: 5133
ISBN 978-3-8252-5133-8
ISBN 978-3-846-35133-8 (EPUB)
© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München
Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Printed in EU
Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Covermotiv: © iStock.com/Benjavisa
Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach
Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München
Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
Hauptteil
1 Was ist Theory of Mind?
2 Wie kann man Theory of Mind messen?
3 Wie entwickelt sich Theory of Mind über die Lebensspanne?
4 Bei wem ist Theory of Mind beeinträchtigt?
5 (Wie) kann man Theory of Mind fördern?
6 Gibt es Theory of Mind bei Tieren?
Anhang
Glossar
Literatur
Register
Abkürzungsverzeichnis
aSTS
anteriorer superiorer temporaler Sulkus
BOLD
Blood-Oxygenation-Level Dependent
BAS
Bipolare Affektive Störung
CBASP
Cognitive-Behavioural Analysis System of Psychotherapy
fMRT
funktionelle Magnetresonanztomografie
FTD
Frontotemporale Demenz
ICD
International Classification of Diseases and Related Health Problems
IFG
inferiorer frontaler Gyrus
IMT
Imposing Memory Task
MASC
Movie for the Assessment of Social Cognition
mPFC
medialer präfrontaler Kortex
PCC
posteriorer cingulärer Kortex
PRE
Precuneus
pSTS
posteriorer superiorer temporaler Sulkus
RME
Reading the Mind in the Eyes Test
SSES
Spezifische Sprachentwicklungsstörung
ToM
Theory of Mind
TP
temporale Pole
TPJ
temporo-parietale Junktion
Einführung
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“
(Immanuel Kant).
In dem von Immanuel Kant formulierten kategorischen Imperativ liegt unsere moderne Ethik begründet. Bevor wir eine Handlung ausführen, sollen wir demnach von uns selbst abstrahieren und prüfen, ob wir diese Handlung auch dann für richtig befinden würden, wenn wir in einer anderen gesellschaftlichen oder persönlichen Situation wären. Aus psychologischer Sicht ist dieser mentale Prozess, das Abstrahieren von eigenen momentanen äußeren und inneren Zuständen und das hypothetische Sich-Hineinversetzen in Andere, potentiell von unserem Handeln Betroffene, hochinteressant – und ein Beispiel für Theory of Mind.
Theory of Mind als der Versuch, die Gedanken, Überzeugungen und Absichten, also die mentalen Zustände Anderer, zu verstehen, ist nicht nur für moralisches Handeln unabdingbar. Um in unserer komplexen, durch und durch sozialen Welt sinnvoll agieren zu können, bedarf es der adäquaten Vorhersage der Handlungen und Reaktionen unserer Mitmenschen (Heider 1958). Und dafür müssen wir uns fragen: Wie sieht die Welt aus den Augen meines Gegenübers aus und wie geht es sich in seinen Schuhen? Diese Sicht auf die Sicht des Anderen spielt für erfolgreiche Koordination, Kommunikation und Kooperation eine zentrale Rolle (Frith/Frith 2003). Gleichzeitig stoßen wir regelmäßig an Grenzen, wenn es darum geht, von unserer eigenen Lebensrealität, von unseren Überzeugungen und Vorlieben abzusehen und den Blickwinkel Anderer nachzuvollziehen, vor allem dann, so scheint es, wenn dies besonders notwendig wäre, z. B. während emotionaler Situationen wie Konflikten und Krisen (Kanske et al. 2016).
Das vorliegende Buch soll einen Einblick in die empirische Forschung zu Theory of Mind geben. Dazu wird zunächst der Begriff geklärt und von verwandten Konzepten abgegrenzt und es werden neuronale und kognitive Grundlagen beleuchtet sowie persönliche und situative Faktoren erörtert, die mit Theory of Mind zusammenhängen. Da unser Verständnis von Theory of Mind eng mit deren empirischer Untersuchung verknüpft ist, gibt Kapitel 2 einen Überblick über typischerweise genutzte Messverfahren. Wie sich Theory of Mind über die Lebensspanne entwickelt, in welchen Psychopathologien sie beeinträchtigt ist und wie wir sie durch Trainings fördern können, wird in den nachfolgenden Kapiteln behandelt. Abschließend fasst Kapitel 6 die Forschung zu Theory of Mind im Tierreich zusammen.
Theory of Mind ist ein u. a. in der Psychologie und den sozialen Neurowissenschaften stark beforschtes Themengebiet. Die theoretischen und empirischen Arbeiten sind vielfältig und deren vollständige Wiedergabe würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Nicht genannte Forscherinnen und Forscher bitte ich um ihr Verständnis. Gleichzeitig gibt es neben den bereits gewonnenen Erkenntnissen auch offene Fragen und Kontroversen, auf die das vorliegende Buch an den entsprechenden Stellen verweisen möchte.
Um die Gültigkeit der hier beschriebenen Erkenntnisse für beide Geschlechter zu betonen, werden die männliche und weibliche Form im Wechsel verwendet.
Hauptteil
Was ist Theory of Mind?
1
Theory of Mind, das Nachdenken über die mentalen Zustände unserer Mitmenschen, ist ein zentraler Aspekt sozialen Erlebens und Handelns. Das folgende Kapitel zeichnet die Entwicklung des Theory of Mind-Begriffs in der empirischen Forschung nach und grenzt ihn von verwandten sozialen Funktionen wie Empathie, Mitgefühl, räumlicher Perspektivübernahme und Metakognition ab. Der aktuelle Forschungsstand zu den neuronalen Grundlagen und den an Theory of Mind beteiligten kognitiven Prozesse wird zusammengefasst. Abschließend soll ein Überblick über persönliche und situative Faktoren gegeben werden, die mit der individuellen Motivation und / oder Fähigkeit zu Theory of Mind in Zusammenhang stehen.
Lebewesen zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, mit ihrer Umwelt zu interagieren. Die Umwelt von uns Menschen besteht nun maßgeblich aus anderen Menschen; Gelegenheiten – und die Notwendigkeit – zu sozialer Interaktion sind also allgegenwärtig. Wenn wir mit Anderen kommunizieren und kooperieren, sei es beim gemeinsamen Tragen eines Sofas während unseres Umzugs oder beim Planen eines Urlaubs, spielen nicht nur unsere eigenen Gedanken, Absichten und Überzeugungen eine Rolle, sondern auch die des Anderen. Weiß meine Bekannte, dass ich das Sofa kippen will, bevor wir das enge Treppenhaus betreten? Bedenke ich, dass mein Partner wegen seines Heuschnupfens lieber im Herbst verreisen möchte? Was vermutet meine Mutter, dass ich über ihre Meinung zu meiner Berufswahl weiß?
Der Versuch, die mentalen Zustände Anderer zu erschließen und über diese nachzudenken, wird als Theory of Mind (ToM) bezeichnet. Um die verschiedenen Facetten dieses Begriffes besser verstehen zu können, werden im Folgenden die Hintergründe der psychologischen Forschung zu ToM aufgezeigt.
Hintergrund und Definition
Die empirische Forschung zu ToM hat ihren Ursprung in der Frage, welche Lebewesen sich selbst und Anderen überhaupt mentale Zustände zuschreiben. In diesem Zusammenhang bezeichnet ToM das Verständnis, dass Individuen geistige Zustände haben, z. B. Überzeugungen und Absichten, die zum einen ursächlich für ihr Verhalten sind und die sich zum anderen zwischen Individuen unterscheiden können. Eine Person hat also eine ToM, wenn sie versteht, dass der Student, der die Dozentin im Büro vermutet, und die Studentin, die die Dozentin in der Kantine vermutet, jeweils an unterschiedlichen Orten nach ihr Ausschau halten werden (unabhängig davon, wo sie sich tatsächlich aufhält). Die ersten Untersuchungen zielten darauf ab, herauszufinden, wer dieses Verständnis, also eine ToM, besitzt. Premack und Woodruff (1978) erforschten beispielsweise, ob Schimpansen bei Menschen mentale Zustände erkennen und deren Verhalten entsprechend vorhersagen können (siehe Studienbeschreibung Premack / Woodruff 1978).
Studie
„Does the chimpanzee have a Theory of Mind?“
(Premack / Woodruff 1978)
In ihrem Artikel „Does the chimpanzee have a Theory of Mind?“ gingen David Premack und Guy Woodruff der Frage nach, ob Schimpansen Menschen Absichten zuschreiben können. Dafür zeigten die Autoren der 14-jährigen und bei Menschen aufgewachsenen Schimpansin Sarah kurze Videosequenzen, in denen Menschen mit verschiedenen Problemen konfrontiert waren, u. a. mit außer Reichweite befindlichen Nahrungsmitteln, mit abgeschlossenen Türen oder mit nicht angeschlossenen elektrischen Geräten. Unmittelbar nach jedem Video legten die Forscher der Schimpansin mehrere Fotos vor, wobei nur eines der Fotos den zur Lösung des Problems notwendigen Gegenstand abbildete. Die Ergebnisse zeigten, dass Sarah überzufällig häufig das jeweils richtige Foto auswählte. Premack und Woodruff schlussfolgerten, dass Schimpansin Sarah den in den Videos abgebildeten Personen Handlungsabsichten zuschrieb und so deren Verhalten entsprechend vorhersagen konnte (Premack / Woodruff 1978).
Ganz ähnlich war auch die Forschung zu ToM bei Kindern zunächst auf die Frage ausgerichtet, ob und in welchem Lebensalter Kinder die Einsicht erlangen, dass andere Personen mentale Zustände haben, die von ihren eigenen mentalen Zuständen abweichen können (Perner / Wimmer 1985). Diese Art der Fragestellung sieht ToM als eine Reihe von Konzepten und Kenntnissen, die man entweder hat oder nicht hat.
Nachdem hier spannende Einsichten gewonnen wurden (siehe auch Kapitel 3 und Kapitel 6), hat sich der Fokus wissenschaftlicher Forschung zunehmend auf die Frage gerichtet, wie das Verstehen der mentalen Zustände anderer Individuen eigentlich funktioniert. Welche kognitiven Prozesse laufen ab, während wir erschließen, was Andere denken, wissen, wollen und mögen? Vor diesem Hintergrund wird ToM also weniger als etwas verstanden, das man hat, sondern vielmehr als etwas, das man tut. Die Definition von ToM als der Versuch bzw. der Prozess, die mentalen Zustände Anderer zu erschließen, hat inzwischen relativ breite Akzeptanz gefunden (Apperly 2012). Dieser Ansatz bietet die Grundlage für Untersuchungen von ToM über die komplette Lebensspanne hinweg und erlaubt die präzise Erforschung der neuronalen, kognitiven, situativen und persönlichen Faktoren, die beim Verstehen anderer Menschen eine Rolle spielen.
Definition
Theory of Mind ist der Versuch, zu verstehen, was Andere denken, wissen, glauben, wollen, planen oder mögen. Theory of Mind bezeichnet also den Prozess, die mentalen Zustände Anderer zu erschließen und über diese nachzudenken.
Cover
Über den Autor
Impressum
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
Hauptteil
1 Was ist Theory of Mind?
2 Wie kann man Theory of Mind messen?
3 Wie entwickelt sich Theory of Mind über die Lebensspanne?
4 Bei wem ist Theory of Mind beeinträchtigt?
5 (Wie) kann man Theory of Mind fördern?
6 Gibt es Theory of Mind bei Tieren?
Anhang
Literatur
Register
Anzeigen
Rückseite
Cover
Über den Autor
Impressum
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Einführung
Hauptteil
1 Was ist Theory of Mind?
2 Wie kann man Theory of Mind messen?
3 Wie entwickelt sich Theory of Mind über die Lebensspanne?
4 Bei wem ist Theory of Mind beeinträchtigt?
5 (Wie) kann man Theory of Mind fördern?
6 Gibt es Theory of Mind bei Tieren?
Anhang
Literatur
Register
Anzeigen
Rückseite