Theory of Mind - Anne Böckler-Raettig - E-Book

Theory of Mind E-Book

Anne Böckler-Raettig

0,0

Beschreibung

Menschen sind Meister der sozialen Interaktion: Wir kommunizieren und kooperieren mit Leichtigkeit und schaffen gemeinsam, was alleine unmöglich wäre. Dafür ist es unabdingbar, sich in andere hineinzuversetzen. Was denkt, weiß, will unser Gegenüber? Dieses Erschließen der mentalen Zustände anderer Menschen wird als Theory of Mind bezeichnet. Doch wie entwickelt sich diese Fähigkeit vom Säuglings- bis ins Seniorenalter? Welche psychischen Störungen gehen mit einer Beeinträchtigung der Theory of Mind einher? Kann diese Fähigkeit trainiert werden und existiert sie auch bei Tieren? Antworten auf diese und weitere Fragen zu diesem Kernkonzept der Entwicklungspsychologie erhalten Studierende in diesem Einstiegswerk.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 118

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



utb 5133

Eine Arbeitsgemeinschaft der Verlage

Böhlau Verlag · Wien · Köln · Weimar

Verlag Barbara Budrich · Opladen · Toronto

facultas · Wien

Wilhelm Fink · Paderborn

A. Francke Verlag · Tübingen

Haupt Verlag · Bern

Verlag Julius Klinkhardt · Bad Heilbrunn

Mohr Siebeck · Tübingen

Ernst Reinhardt Verlag · München

Ferdinand Schöningh · Paderborn

Eugen Ulmer Verlag · Stuttgart

UVK Verlag · München

Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen

Waxmann · Münster · New York

wbv Publikation · Bielefeld

Jun.-Prof. Dr. Anne Böckler-Raettig lehrt an der Universität Würzburg und untersucht die Grundlagen sozialen Verstehens und Verhaltens. Mit experimental-psychologischen und neurowissenschaftlichen Methoden erforscht sie unter anderem Blickkontakt, Empathie, Theory of Mind und prosoziales Verhalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 5133

ISBN 978-3-8252-5133-8

ISBN 978-3-846-35133-8 (EPUB)

© 2019 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in EU

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Covermotiv: © iStock.com/Benjavisa

Satz: JÖRG KALIES – Satz, Layout, Grafik & Druck, Unterumbach

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Einführung

Hauptteil

1    Was ist Theory of Mind?

2    Wie kann man Theory of Mind messen?

3    Wie entwickelt sich Theory of Mind über die Lebensspanne?

4    Bei wem ist Theory of Mind beeinträchtigt?

5    (Wie) kann man Theory of Mind fördern?

6    Gibt es Theory of Mind bei Tieren?

Anhang

Glossar

Literatur

Register

Abkürzungsverzeichnis

aSTS

anteriorer superiorer temporaler Sulkus

BOLD

Blood-Oxygenation-Level Dependent

BAS

Bipolare Affektive Störung

CBASP

Cognitive-Behavioural Analysis System of Psychotherapy

fMRT

funktionelle Magnetresonanztomografie

FTD

Frontotemporale Demenz

ICD

International Classification of Diseases and Related Health Problems

IFG

inferiorer frontaler Gyrus

IMT

Imposing Memory Task

MASC

Movie for the Assessment of Social Cognition

mPFC

medialer präfrontaler Kortex

PCC

posteriorer cingulärer Kortex

PRE

Precuneus

pSTS

posteriorer superiorer temporaler Sulkus

RME

Reading the Mind in the Eyes Test

SSES

Spezifische Sprachentwicklungsstörung

ToM

Theory of Mind

TP

temporale Pole

TPJ

temporo-parietale Junktion

Einführung

„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“

(Immanuel Kant).

In dem von Immanuel Kant formulierten kategorischen Imperativ liegt unsere moderne Ethik begründet. Bevor wir eine Handlung ausführen, sollen wir demnach von uns selbst abstrahieren und prüfen, ob wir diese Handlung auch dann für richtig befinden würden, wenn wir in einer anderen gesellschaftlichen oder persönlichen Situation wären. Aus psychologischer Sicht ist dieser mentale Prozess, das Abstrahieren von eigenen momentanen äußeren und inneren Zuständen und das hypothetische Sich-Hineinversetzen in Andere, potentiell von unserem Handeln Betroffene, hochinteressant – und ein Beispiel für Theory of Mind.

Theory of Mind als der Versuch, die Gedanken, Überzeugungen und Absichten, also die mentalen Zustände Anderer, zu verstehen, ist nicht nur für moralisches Handeln unabdingbar. Um in unserer komplexen, durch und durch sozialen Welt sinnvoll agieren zu können, bedarf es der adäquaten Vorhersage der Handlungen und Reaktionen unserer Mitmenschen (Heider 1958). Und dafür müssen wir uns fragen: Wie sieht die Welt aus den Augen meines Gegenübers aus und wie geht es sich in seinen Schuhen? Diese Sicht auf die Sicht des Anderen spielt für erfolgreiche Koordination, Kommunikation und Kooperation eine zentrale Rolle (Frith/Frith 2003). Gleichzeitig stoßen wir regelmäßig an Grenzen, wenn es darum geht, von unserer eigenen Lebensrealität, von unseren Überzeugungen und Vorlieben abzusehen und den Blickwinkel Anderer nachzuvollziehen, vor allem dann, so scheint es, wenn dies besonders notwendig wäre, z. B. während emotionaler Situationen wie Konflikten und Krisen (Kanske et al. 2016).

Das vorliegende Buch soll einen Einblick in die empirische Forschung zu Theory of Mind geben. Dazu wird zunächst der Begriff geklärt und von verwandten Konzepten abgegrenzt und es werden neuronale und kognitive Grundlagen beleuchtet sowie persönliche und situative Faktoren erörtert, die mit Theory of Mind zusammenhängen. Da unser Verständnis von Theory of Mind eng mit deren empirischer Untersuchung verknüpft ist, gibt Kapitel 2 einen Überblick über typischerweise genutzte Messverfahren. Wie sich Theory of Mind über die Lebensspanne entwickelt, in welchen Psychopathologien sie beeinträchtigt ist und wie wir sie durch Trainings fördern können, wird in den nachfolgenden Kapiteln behandelt. Abschließend fasst Kapitel 6 die Forschung zu Theory of Mind im Tierreich zusammen.

Theory of Mind ist ein u. a. in der Psychologie und den sozialen Neurowissenschaften stark beforschtes Themengebiet. Die theoretischen und empirischen Arbeiten sind vielfältig und deren vollständige Wiedergabe würde den Rahmen dieses Buches sprengen. Nicht genannte Forscherinnen und Forscher bitte ich um ihr Verständnis. Gleichzeitig gibt es neben den bereits gewonnenen Erkenntnissen auch offene Fragen und Kontroversen, auf die das vorliegende Buch an den entsprechenden Stellen verweisen möchte.

Um die Gültigkeit der hier beschriebenen Erkenntnisse für beide Geschlechter zu betonen, werden die männliche und weibliche Form im Wechsel verwendet.

Hauptteil

Was ist Theory of Mind?

1

Theory of Mind, das Nachdenken über die mentalen Zustände unserer Mitmenschen, ist ein zentraler Aspekt sozialen Erlebens und Handelns. Das folgende Kapitel zeichnet die Entwicklung des Theory of Mind-Begriffs in der empirischen Forschung nach und grenzt ihn von verwandten sozialen Funktionen wie Empathie, Mitgefühl, räumlicher Perspektivübernahme und Metakognition ab. Der aktuelle Forschungsstand zu den neuronalen Grundlagen und den an Theory of Mind beteiligten kognitiven Prozesse wird zusammengefasst. Abschließend soll ein Überblick über persönliche und situative Faktoren gegeben werden, die mit der individuellen Motivation und / oder Fähigkeit zu Theory of Mind in Zusammenhang stehen.

Lebewesen zeichnen sich durch die Fähigkeit aus, mit ihrer Umwelt zu interagieren. Die Umwelt von uns Menschen besteht nun maßgeblich aus anderen Menschen; Gelegenheiten – und die Notwendigkeit – zu sozialer Interaktion sind also allgegenwärtig. Wenn wir mit Anderen kommunizieren und kooperieren, sei es beim gemeinsamen Tragen eines Sofas während unseres Umzugs oder beim Planen eines Urlaubs, spielen nicht nur unsere eigenen Gedanken, Absichten und Überzeugungen eine Rolle, sondern auch die des Anderen. Weiß meine Bekannte, dass ich das Sofa kippen will, bevor wir das enge Treppenhaus betreten? Bedenke ich, dass mein Partner wegen seines Heuschnupfens lieber im Herbst verreisen möchte? Was vermutet meine Mutter, dass ich über ihre Meinung zu meiner Berufswahl weiß?

Der Versuch, die mentalen Zustände Anderer zu erschließen und über diese nachzudenken, wird als Theory of Mind (ToM) bezeichnet. Um die verschiedenen Facetten dieses Begriffes besser verstehen zu können, werden im Folgenden die Hintergründe der psychologischen Forschung zu ToM aufgezeigt.

Hintergrund und Definition

Die empirische Forschung zu ToM hat ihren Ursprung in der Frage, welche Lebewesen sich selbst und Anderen überhaupt mentale Zustände zuschreiben. In diesem Zusammenhang bezeichnet ToM das Verständnis, dass Individuen geistige Zustände haben, z. B. Überzeugungen und Absichten, die zum einen ursächlich für ihr Verhalten sind und die sich zum anderen zwischen Individuen unterscheiden können. Eine Person hat also eine ToM, wenn sie versteht, dass der Student, der die Dozentin im Büro vermutet, und die Studentin, die die Dozentin in der Kantine vermutet, jeweils an unterschiedlichen Orten nach ihr Ausschau halten werden (unabhängig davon, wo sie sich tatsächlich aufhält). Die ersten Untersuchungen zielten darauf ab, herauszufinden, wer dieses Verständnis, also eine ToM, besitzt. Premack und Woodruff (1978) erforschten beispielsweise, ob Schimpansen bei Menschen mentale Zustände erkennen und deren Verhalten entsprechend vorhersagen können (siehe Studienbeschreibung Premack / Woodruff 1978).

Studie 

„Does the chimpanzee have a Theory of Mind?“

(Premack / Woodruff 1978)

In ihrem Artikel „Does the chimpanzee have a Theory of Mind?“ gingen David Premack und Guy Woodruff der Frage nach, ob Schimpansen Menschen Absichten zuschreiben können. Dafür zeigten die Autoren der 14-jährigen und bei Menschen aufgewachsenen Schimpansin Sarah kurze Videosequenzen, in denen Menschen mit verschiedenen Problemen konfrontiert waren, u. a. mit außer Reichweite befindlichen Nahrungsmitteln, mit abgeschlossenen Türen oder mit nicht angeschlossenen elektrischen Geräten. Unmittelbar nach jedem Video legten die Forscher der Schimpansin mehrere Fotos vor, wobei nur eines der Fotos den zur Lösung des Problems notwendigen Gegenstand abbildete. Die Ergebnisse zeigten, dass Sarah überzufällig häufig das jeweils richtige Foto auswählte. Premack und Woodruff schlussfolgerten, dass Schimpansin Sarah den in den Videos abgebildeten Personen Handlungsabsichten zuschrieb und so deren Verhalten entsprechend vorhersagen konnte (Premack / Woodruff 1978).

Ganz ähnlich war auch die Forschung zu ToM bei Kindern zunächst auf die Frage ausgerichtet, ob und in welchem Lebensalter Kinder die Einsicht erlangen, dass andere Personen mentale Zustände haben, die von ihren eigenen mentalen Zuständen abweichen können (Perner / Wimmer 1985). Diese Art der Fragestellung sieht ToM als eine Reihe von Konzepten und Kenntnissen, die man entweder hat oder nicht hat.

Nachdem hier spannende Einsichten gewonnen wurden (siehe auch Kapitel 3 und Kapitel 6), hat sich der Fokus wissenschaftlicher Forschung zunehmend auf die Frage gerichtet, wie das Verstehen der mentalen Zustände anderer Individuen eigentlich funktioniert. Welche kognitiven Prozesse laufen ab, während wir erschließen, was Andere denken, wissen, wollen und mögen? Vor diesem Hintergrund wird ToM also weniger als etwas verstanden, das man hat, sondern vielmehr als etwas, das man tut. Die Definition von ToM als der Versuch bzw. der Prozess, die mentalen Zustände Anderer zu erschließen, hat inzwischen relativ breite Akzeptanz gefunden (Apperly 2012). Dieser Ansatz bietet die Grundlage für Untersuchungen von ToM über die komplette Lebensspanne hinweg und erlaubt die präzise Erforschung der neuronalen, kognitiven, situativen und persönlichen Faktoren, die beim Verstehen anderer Menschen eine Rolle spielen.

Definition

Theory of Mind ist der Versuch, zu verstehen, was Andere denken, wissen, glauben, wollen, planen oder mögen. Theory of Mind bezeichnet also den Prozess, die mentalen Zustände Anderer zu erschließen und über diese nachzudenken.

Gängige synonyme Bezeichnungen für ToM in der wissenschaftlichen Literatur sind Mentalisieren (mentalizing) und kognitive Perspektivübernahme. Umgangssprachlich beschreiben auch die Termini „sich in jemanden / jemandes Lage hineinversetzen“, „jemandes Blickwinkel einnehmen“ oder „sich in jemandes Schuhe stellen“, was wir unter ToM verstehen.

Das Erschließen der mentalen Zustände unserer Mitmenschen ist in vielfältigen sozialen Konstellationen relevant und spielt z. B. eine Rolle für

■   Ironie (Hier müssen wir verstehen, dass eine Person etwas anderes denkt, als sie sagt.)

■   Small Talk (Hier müssen wir verstehen, dass unser Gegenüber nicht die ehrliche, sondern die einfache und / oder unterhaltsame Antwort auf ihre Fragen erwartet.)

■   Taktgefühl (Hier müssen wir verstehen, worüber unser Gesprächspartner lieber nicht sprechen oder was er nicht hören möchte.)

■   Verhandlungen (Hier müssen wir verstehen, zu welchen Kompromissen unsere Verhandlungspartnerinnen bereit sind und mit welchen Zugeständnissen von unserer Seite sie zufrieden wären.)

■   Bluffen (Hier müssen wir im Bewusstsein halten, dass die getäuschte Person etwas glaubt, von dem wir selbst wissen, dass es nicht wahr ist.)

■   das Führen eines Teams (Hier müssen wir u. a. verstehen, wer wodurch motiviert werden kann und wie viel Freiraum bzw. Anleitung die verschiedenen Mitarbeiter benötigen.)

■   das Eingehen und Aufrechterhalten von Beziehungen (Hier müssen wir nachvollziehen, was das Verhalten unserer Freundin über ihre Ansichten und Absichten aussagt und welche Auswirkungen unser eigenes Verhalten auf unsere Freundin hat.)

Die Komplexität der ToM-Anforderungen kann natürlich je nach Situation variieren und man spricht häufig von verschiedenen Stufen oder Levels der kognitiven Perspektivübernahme. Die erste Stufe beschreibt dabei das Nachvollziehen eines mentalen Zustandes der Form „A glaubt (oder weiß, will, plant, etc.) x“. Die zweite Stufe hat entsprechend die Form „A glaubt (...), dass B möchte (oder weiß, will, plant, etc.), dass x“, die dritte Stufe beschreibt „A glaubt (...), dass B möchte (...), dass C denkt (oder weiß, will, plant, etc.), dass x“ und so fort (siehe Abbildung 1). Im Durchschnitt können Erwachsene derartige Aussagen bis zur vierten Stufe relativ problemlos nachvollziehen (Kindermann et al. 1998).

Abb. 1: Beispielhafte Darstellung von ToM der Komplexitäts-Stufen 1, 2 und 3

Abgrenzung

Während unserer vielfältigen und allgegenwärtigen Interaktionen nutzen wir nicht nur ToM, sondern auch andere Zugänge, um das Verhalten unserer Mitmenschen zu deuten und unsere eigenen Handlungen entsprechend anzupassen. Es ist daher sinnvoll, diese Prozesse (beispielsweise Empathie und räumliche Perspektivübernahme) kurz zu benennen und vom ToM-Begriff abzugrenzen. Dabei gilt es zu bedenken, dass in der reichhaltigen Literatur zu sozialer Kognition unterschiedliche Definitionen und Kategorisierungen der Mechanismen sozialen Verstehens existieren. Die folgende Klassifikation ist also eine gängige, aber nicht die einzige. Zudem ist es wahrscheinlich, dass die unterschiedlichen sozio-emotionalen und sozio-kognitiven Prozesse nicht strikt getrennt voneinander ablaufen, sondern auf vielfältige Weise miteinander interagieren können (Kanske et al. 2016).

Empathie

Wenn es darum geht, unsere Mitmenschen zu verstehen, spielen neben dem kognitiven Zugang, der ToM, vor allem auch emotionale Prozesse eine Rolle. Ein intuitives Verständnis dafür, wie es Anderen geht, erlangen wir durch Empathie (Lipps 1907). Wenn wir sehen, wie andere Menschen körperlichen Schmerz erleiden, spüren wir diesen förmlich am eigenen Leib. Ebenso fühlen wir uns direkt und ohne bewusste Anstrengung in Personen ein, die Trauer, Wut oder Freude zeigen. Dieses unmittelbare Teilen der körperlichen, sensorischen oder emotionalen Zustände anderer Menschen wird als Empathie bezeichnet (De Vignemont / Singer 2006).

Definition

Empathie ist ein emotionaler Zustand, der durch denselben Zustand einer anderen Person ausgelöst wird und bezeichnet das unmittelbare Einfühlen in die körperliche oder emotionale Lage Anderer.

Mitgefühl

Die Beobachtung oder Vorstellung von körperlichem oder psychischem Leid führt nicht nur dazu, dass wir uns direkt in die Betroffenen einfühlen und deren Leid teilen, sondern kann auch einen weiteren emotionalen Zustand auslösen, das Mitgefühl, oder compassion (Batson et al. 1987). Im Gegensatz zur Empathie bezeichnet Mitgefühl ein positives Gefühl des Wohlwollens und der Wärme für unsere Mitmenschen.

Definition

Mitgefühl oder compassion beschreibt das positive Gefühl des Wohlwollens und der Wärme für andere Lebewesen.

Räumliche Perspektivübernahme

Wenn wir miteinander interagieren, treten häufig Situationen auf, in denen wir aus unterschiedlichen räumlichen Perspektiven auf Objekte oder Szenen schauen. Beim gemeinsamen Tragen eines Klaviers haben wir unterschiedliche Blickwinkel, sowohl auf das Klavier als auch darauf, was sich hinter dem jeweils Anderen befindet. Für die erfolgreiche Koordination von Handlungen ist es wichtig, dass wir die (unterschiedliche) Perspektive Anderer miteinbeziehen, ein Prozess, der als räumliche Perspektivübernahme bezeichnet wird und den Menschen sowohl absichtlich als auch relativ automatisch ausführen können (Samson et al. 2010; Böckler et al. 2011