Kommissar Jörgensen und
die Tänzerin: Mordermittlung Hamburg Kriminalroman
Krimi von Peter Haberl & Chris Heller
Der Drogenhändler Fritsche wird ermordet. Kurze Zeit später
werden auch die Geschäftsführer der Clubs, die Fritsche gehören,
tot aufgefunden. Die Hamburger Kriminalkommissare Jörgensen und
Müller nehmen die Ermittlungen auf. Doch welches Motiv treibt den
Mörder? Rache? Gier nach Macht und Geld? Obwohl die beiden
Kommissare in verschiedene Richtungen ermitteln, können sie den
Mörder nicht finden.
Doch dann fällt Jörgensen in einem der Clubs die Tänzerin
Diana Flatow auf. Sie erinnert ihn sehr an die Tochter von Jannick
Hanbuchen, der Fritsche vor einigen Jahren verraten hatte und dann
ebenfalls ermordet wurde.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Cassiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Kommissar Jörgensen ist eine Erfindung von Alfred
Bekker.
Chris Heller ist ein Pseudonym von Alfred Bekker.
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
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Prolog
Die Augen des Bankräubers wanderten unruhig durch den Raum. Er
beobachtete jeden der Kunden, die leise vor sich hinmurmelten und
nervös auf ihre Handys starrten. Die Luft war dick von Angst und
Aufregung.
Plötzlich schrie jemand laut auf und sprang in die Höhe. Es
war eine Frau, die mit zitternden Händen einen Notizzettel
hochhielt, auf dem stand: "Ich habe eine Bombe!"
Der Bankräuber lachte spöttisch und richtete seine Pistole auf
sie. "Glauben Sie wirklich, dass ich dumm genug bin, Ihnen zu
glauben?"
In diesem Moment betrat ein Mann das Gebäude -
Kriminalhauptkommissar Roy Müller.
Mein Kollege.
Er hatte seinen Revolver gezogen und achtete nicht darauf, wer
um ihn herumstand.
"Stehen bleiben!", brüllte er so laut er konnte. “Kripo
Hamburg!”
Der Bankräuber drehte sich schnell um und zielte auf den
Kripo-Mann. Doch bevor er abdrücken konnte, tauchte dieser zur
Seite weg und feuerte drei Schüsse ab.
Nur eine Sekunde herrschte Stille im Raum, bis der Verbrecher
lauthals schreiend zusammenbrach, während Kommissar Roy Müller sich
langsam näherte, um ihn festzunehmen.
"Wer sind Sie?", fragte Roy kühl.
"Ich heiße Max", antwortete der Räuber keuchend. “Und ich
verlange einen Arzt und einen Anwalt.”
"Max was?"
"Ich weiß es nicht..."
“Sie wollen mich auf den Arm nehmen!”
“Ich mache keine Angaben.”
“Ganz, wie Sie wollen.”
“Ich bin verletzt! Das ist Polizeigewalt!”
Inzwischen trafen die Kollegen ein.
Die Martinshörner waren unüberhörbar.
“Ist er das?”, fragte einer der Kollegen.
Roy kannte ihn.
Er nickte knapp: "Bringen Sie diesen Typ ins Gefängnis."
Während die Polizei eintraf und den Tatort absicherte,
beobachtete Roy Müller das Chaos, welches er gerade beendet hatte.
Mit einem Seufzer dachte er an all die Arbeit zurück, die noch auf
ihn wartete - aber für jetzt waren seine Gedanken bei der Frau,
deren Notizzettel alles verändert hatte.
"Ich sollte ihr vielleicht dankbar sein", murmelte er vor sich
hin. "Ohne ihre Hilfe hätte es wahrscheinlich schlimmer enden
können."
“Die ist jede Woche hier”, sagte später einer der
Bankangestellten. “Kommt aus der Geschlossenen und zieht überall
einen Zettel hervor, auf dem steht, dass sie eine Bombe
hätte.”
“Diesmal war es im richtigen Moment”, sagte Roy Müller. “Das
hat den Bankräuber aus dem Konzept gebracht.”
“Ja.”
“Hat die Frau kein Hausverbot bei Ihnen?”
“Sie mogelt sich immer wieder rein. Wir zeigen sie an, sie
kommt in die GEschlossene - und irgendwann beginnt alles von
vorn.”
“Ist frustrierend, was?”
“Sie sagen es.”
*
Roy Müller ist mein Kollege,. Aber auch mein Freund. Mein Name
ist Uwe Jörgensen. Ich bin auch Kriminalhauptkommissar. Zusammen
mit Roy bin ich Teil der sogenannten Kriminalpolizeilichen
Ermittlungsgruppe des Bundes, die hier in Hamburg angesiedelt
ist.
“Da bist du einmal nicht dabei und dann passiert sowas”,
meinte Roy, als ich ihn am nächsten Morgen an der bekannten Ecke
abholte.
Er hatte mir von dem Banküberfall erzählt. Und auch davon,
dass er da ziemlich beherzt eingegriffen hatte.
Manchmal ist das so. Dann muss man einfach eingreifen.
Natürlich ist das ein Risiko.
Aber wenn man das nicht täte, dann wäre das in jedem Fall noch
schlimmer.
So ist das. Mut wird oft genug aus Angst geboren. Aus der
Angst davor, dass etwas noch Schlimmeres geschieht, wenn man gar
nichts tut. Also greift man ein. Man überlegt da nicht lange. Man
handelt einfach. Um groß nachzudenken hat man in so einer Lage
ohnehin keine Zeit. Dazu geht in solchen Situationen normalerweise
alles viel, zu schnell.
*
Wir hatten das Grundstück des Bauernhofes westlich von Schulau
umstellt. Es war dunkel. Ein frischer Wind blies von der Elbe her.
In den Kronen der Bäume und den Büschen rauschte es leise. Der Mond
stand wie eine große, gelbe Scheibe im Südosten. Einige Sterne
blinkten am Himmel. Ich warf einen Blick auf die Uhr. Es war 21.58
Uhr.
Aus einem der Fenster des Bauernhauses fiel Licht. Im Haus war
es still. Unaufhaltsam hüpfte der Sekundenzeiger weiter. Ich war
mit einer kugelsicheren Weste und einem Helm ausgerüstet, an dem
ein Headset befestigt war. In meiner Hand lag die Walther P99. Ich
ahnte, dass wir auf Widerstand stoßen würden.
In dem Haus befanden sich Alexander Fritsche und Jannick
Hanbuchen, zwei Verbrecher, die im Drogengeschäft und im Geschäft
mit der Prostitution mitmischten und die sich auf diesen Bauernhof
geflüchtet hatten, um sich dem Zugriff der Kriminalpolizei von
Hamburg zu entziehen. Außerdem befanden sich einige Männer bei
ihnen, die sich als ihre Handlanger entpuppt hatten und die
ebenfalls mit empfindlichen Strafen zu rechnen hatten.
Um Punkt 22 Uhr befahl ich den Zugriff. In den Schatten
ringsum wurde es lebendig. Trockene Schläge erklangen, als einige
Kollegen versuchten, die Eingangstür aufzurammen. Plötzlich begann
eine Maschinenpistole zu rattern. Befehle wurden geschrien. Aus
verschiedenen Fenstern zuckten Mündungslichter. Die Detonationen
verschmolzen ineinander und verdichteten sich wie zu rollendem
Donner.
Auf der Rückseite des Hauses klirrte es, als die Beamten der
Sondereinheit die gläserne Terrassentür einschlugen.
Maschinenpistolenfeuer mischte sich in das trockene Dröhnen der
Pistolen. Krachend flog schließlich die Haustür auf. Dann gab es
einen ohrenbetäubenden Knall, als einer der Beamten eine
Blendgranate in die Halle des Bauernhauses warf. Grelles Licht
blitzte hinter den Fenstern der Halle auf.
Beamte drangen in das Gebäude ein.
Aus den Fenstern sprangen zwei Kerle. Sie flohen in die Nacht
hinein. Polizisten folgten ihnen. Einer der Flüchtenden wurde
eingeholt und niedergerungen. Der andere floh in einen Schuppen und
warf die Tür hinter sich zu.
Ein Motor heulte auf. Dann donnerte der Gangster auf einer
schweren Maschine aus dem Schuppen. Eine Garbe aus einer MP mähte
ihn von dem Motorrad. Die Maschine rollte noch einige Schritte
fahrerlos weiter, dann fiel sie mit lautem Getöse zu Boden.
Im Bauernhaus krachten noch vereinzelte Schüsse. Dann schrie
ein Mann voll Panik: »Aufhören! Ich ergebe mich! Hört zu schießen
auf!«
Noch zwei-, dreimal krachte es, dann schwiegen die Waffen.
Weitere Polizisten drängten ins Haus. Es dauerte nicht lange, dann
wurden vier Männer ins Freie geführt. Sie waren gefesselt. Ein
Beamter trat vor mich hin und sagte: »Einer der Kerle ist tot, im
Haus liegen zwei Verwundete. Von den vieren, die wir festgenommen
haben, ist einer angeschossen. Nichts Gravierendes, lediglich eine
Streifschusswunde.«
»Haben wir Fritsche und Hanbuchen?«, fragte ich.
»Ja, die beiden befinden sich unter den Gefangenen.«
»Lassen Sie die beiden ins Präsidium schaffen«, sagte
ich.
»In Ordnung«, sagte der Kollege und entfernte sich.
Eine Gestalt näherte sich mir. Ich erkannte den Mann trotz der
Dunkelheit. Es war Roy.
»Ein voller Erfolg«, sagte er. »Wir haben Fritsche und
Hanbuchen. Die Kerle haben uns lange genug an der Nase
herumgeführt.«
»Es sind nur zwei Figuren in dem schändlichen Spiel«, murmelte
ich. »Günter Fritsche ist der Boss der Bande. Gegen ihn haben wir
nichts in Händen.«
»Warten wir ab, was die Vernehmung von Alexander Fritsche und
Jannick Hanbuchen ergibt«, murmelte Roy.
»Alexander Fritsche wird seinen Vater kaum verraten«, erklärte
ich. »Ob Hanbuchen genug von Günter Fritsche weiß, um diesem einen
Strick zu drehen, ist fraglich.«
»Hören wir uns an, was die Kerle zu sagen haben«, knurrte Roy.
Auch er trug eine kugelsichere Weste und einen Helm. In der
linken Hand hielt er eine Maschinenpistole. Mein Kollege hatte sich
an der Erstürmung des Bauernhauses beteiligt.
Ich ging zu dem Pulk von Männern hin, die die Gefangenen
zwischen sich hatten. Jetzt flammten auch einige Scheinwerfer auf
und tauchten das Szenarium in grelles Licht. Die Gestalten warfen
lange Schatten.
Die vier Gefangenen musterten mich trotzig. Ich schaute von
einem zum anderen. Dann heftete ich meinen Blick auf Alexander
Fritsche.
»So haben Sie sich den Ausgang dieses Abends sicher nicht
vorgestellt, Fritsche.«
»Mein Vater wird mich herausholen«, stieß der Gangster hervor.
»Er wird die besten Anwälte konsultieren.«
»Was wir gegen Sie in den Händen haben, reicht, um Sie für die
nächsten zehn Jahre aus dem Verkehr zu ziehen«, versetzte
ich.
Alexander Fritsche verzog verächtlich den Mund.
»Die Verbindungen meines Vaters reichen weiter als Sie
denken«, maulte er.
“Wir haben auch schon richtig Angst”, sagte ich.
“Das sollten Sie auch!”
“Ich lass mich nicht so leicht einschüchtern”, erklärte
ich.
“Könnte ein Fehler sein.”
“Sie werden in nächster Zeit andere Probleme haben, als an
Ihre Racheschwur zu denkmen.”
“Meinen Sie?”
“Das weiß ich.”
“Na, dann…”
*
Am Tisch in der Mitte des Vernehmungsraumes saß Jannick
Hanbuchen. Hanbuchen war sechsunddreißig Jahre alt. Er hatte kurze,
dunkle Haare und verfügte über ein schmales Gesicht. »Reden Sie,
Hanbuchen«, forderte ich den Burschen auf. »Wir wissen, dass
Alexander Fritsche die Straßenverkäufer mit Drogen versorgt und mit
ihnen abrechnet. Und wir vermuten, dass hinter Alexander Fritsche
sein Vater steht. Erzählen Sie uns, was Sie wissen!«
“Also nichts”, sagte er.
“Nun kommen Sie schon…”
“Nein, nicht auf die Tour!”
“Das ist keine Tour.”
“Sondern?”
“Packen Sie aus. Das erleichtert.”
“Erleichtert?”
“Erstens erleichtert es innerlich…”
“Pah!”
“Und zweitens erleichtert es das Strafmaß. Also reden Sie
schon.”
“Mich beschäftigt eine ganz andere Sache.”
“So?”
Eine Pause entstand.
Er sah mich an.
Er sah mich an, wie ein Fisch.
So ausdruckslos war dieser Blick.
»Wer hat uns verraten?«, fragte Hanbuchen.
»Wir haben einen Informanten«, versetzte ich. »Sie werden
verstehen, dass ich Ihnen seinen Namen nicht sage. Bei einer
Übergabe von Rauschgift im Hafen kam es zu einer Schießerei. Die
beiden Kerle, die die Drogen übernahmen, konnten entkommen. Es
waren Leute von Fritsche. Sprechen Sie schon!«
»Was blüht mir?«, fragte Hanbuchen.
»Sie sind Drogenhändler, und sie haben Fritsche geholfen,
junge Frauen aus dem Osten illegal nach Hamburg zu holen und diese
Frauen gezwungen, der Prostitution nachzugehen. Da kommen einige
Jahre zusammen.«
»Ich kann euch helfen, Alexander Fritsche für den Rest seines
Lebens hinter Gitter zu bringen.«
»Was hat Fritsche verbrochen, das ihm lebenslänglich
einbringen könnte?«, fragte ich.
»Er hat einen Mann erschossen.«
»In Ihrem Beisein?«
»Ja. Ich war Zeuge. Es handelte sich um einen
Straßenverkäufer. Der Bursche wirtschaftete in seine eigene Tasche.
Wir legten den Leichnam im Volkspark ab. Der Mord wurde nie
geklärt.«
»Was verlangen Sie, wenn Sie als Zeuge gegen Fritsche
auftreten?«, fragte ich.
»Straffreiheit und Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm.«
»Man müsste sich mit der Staatsanwaltschaft an einen Tisch
setzen«, murmelte ich. »Haben Sie schon einen Anwalt
konsultiert?«
»Ja, Chris Hansen von Hansen & Partner.«
»Die Staatsanwaltschaft lässt sicher mit sich reden, wenn Sie
sich keines Kapitalverbrechens schuldig gemacht haben«, erklärte
ich. »Sprechen Sie mit Ihrem Anwalt! Wir werden uns mit dem
zuständigen Staatsanwalt kurzschließen.«
“Sie können mich mal.”
“Höflichkeit kostet nichts.”
“Ach!”
“Probieren Sie es mal ein bisschen damit. Kann nicht
schaden.”
“Das Gelaber von Ihnen geht mir sowas von auf den
Senkel!”
“Nun übertreiben Sie mal nicht.”
“Das ist Folter!”
“Natürlich!”
“Ich meine es Ernst.”
“Das hatte ich schon fast befürchtet.”
“Ich meine es wirklich Ernst.”
“Jetzt wird es lächerlich.”
“Eines Tages wird auch Ihnen das Lachen vergehen”, sagte er.
“Und zwar gründlich.”
“Mag sein”, sagte ich.
“Sie sollten sich schon jetzt mit dem Gedanken
auseinandersetzen.”
“Nein, da mache ich nicht mit.”
“Arschloch!”
“Einen schönen Aufenthalt in Santa Fu.”
Er verzog das Gesicht zu einer grimmigen Maske. Santa Fu - so
nannte der Volksmund die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel.
Vermutlich würde er da viele Freunde treffen.
Es war immer dasselbe.
*
Fünf Monate später fand der Prozess gegen Alexander Fritsche
statt. Der Gerichtsdiener rief die Prozessbeteiligten auf, sich in
den Sitzungssaal zu begeben. Alexander Fritsche saß neben seinem
Anwalt an einem Tisch. Auf der anderen Seite des Saales hatte der
Staatsanwalt Platz genommen. Die Zuschauerplätze waren voll
besetzt.
Der Vorsitzende kam aus einer Tür hinter dem Richtertisch. Der
Richter forderte die Anwesenden auf, sich zu setzen und ließ sich
selber nieder. Er wandte sich an Alexander Fritsche.
»Ihnen wird heimtückischer Mord vorgeworfen, Angeklagter. Mord
an Bruno Palmer. Bekennen Sie sich schuldig?«
Der Anwalt erhob sich.
»Mein Mandant bekennt sich nicht schuldig.«
Der Richter nickte.
»Na schön. Herr Staatsanwalt, ich bitte um Ihren
Vortrag.«
Der Ankläger erhob sich, warf einen Blick in die Runde, dann
nahm er sein Script in beide Hände und begann zu lesen.
»Dem Angeklagten wird vorgeworfen, am 27. Mai des vorigen
Jahres in seinem Auto den später im Volkspark aufgefundenen Bruno
Palmer erschossen zu haben, nachdem er ihn auf besonders
hinterhältige Art und Weise dazu brachte, seinen Wagen zu
besteigen. Es handelte sich hierbei um einen vorsätzlichen,
heimtückischen Mord, dessen ich hiermit Alexander Fritsche
anklage.«
»Was haben Sie dazu zu sagen, Angeklagter?«, fragte der
Vorsitzende.
»Mein Mandant bestreitet die Tat und behauptet, dass Jannick
Hanbuchen geschossen hat.«
»Es steht Aussage gegen Aussage«, murmelte der Richter.
»Treten wir in die Beweisaufnahme ein. Herr Staatsanwalt, rufen Sie
Ihren ersten Zeugen auf.«
»Ich rufe Herr Jannick Hanbuchen in den Zeugenstand!«, rief
der Staatsanwalt.
Jannick Hanbuchen wurde von einem Wachbeamten in den
Gerichtssaal geführt. Er war gefesselt. Ehe er den Zeugenstand
betrat, wurden ihm die Handschellen abgenommen.
Hanbuchen nahm Platz.
Fritsche starrte ihn an, als wollte er ihn hypnotisieren.
Seine Kiefer mahlten. In seinen Augen glomm ein böser Funke.
Nachdem Hanbuchen vereidigt worden war, forderte ihn der
Staatsanwalt auf, zu sprechen …
*
Der Vorsitzende schlug mit seinem Hammer auf die Holzunterlage
und sagte mit lauter, präziser Stimme: »Der Angeklagte wird des
Mordes aus niedrigen Beweggründen für schuldig befunden. Das Urteil
wird übermorgen um 9 Uhr vormittags in diesem Gerichtssaal
verkündet. Der Haftbefehl gegen den Angeklagten bleibt aufrecht
erhalten.«
Gemurmel und Geraune entstand im Gerichtssaal.
Günter Fritsche sagte grollend: »Lebenslänglich! Mein Sohn
wurde zu einer lebenslänglichen Gefängnisstrafe verurteilt. Und das
hat er Hanbuchen, diesem verdammten Bastard, zu verdanken. Bringt
mir diesen Kerl! Ich will das elende Schwein tot sehen.«
Bei Günter Fritsche befanden sich zwei Männer. Einer, ein
blondhaariger Bursche um die dreißig, sagte: »Die
Staatsanwaltschaft hat Hanbuchen ins Zeugenschutzprogramm
aufgenommen. Er ist in der Versenkung verschwunden. Wir wissen
nicht mal, ob er sich noch in Hamburg aufhält.«
»Findet es heraus! Ich will, dass der Schuft bestraft wird. Um
sich die Freiheit zu erkaufen, hat er meinen Sohn verraten. Bringt
mir den Kerl lebend! Ich möchte ihn eigenhändig in die Hölle
schicken.«
»Wo sollen wir ansetzen?«
»Nehmt seine getrennt lebende Frau in die Mangel! Die beiden
haben ein Kind miteinander. Es ist nicht auszuschließen, dass
Hanbuchen mit der Frau Verbindung aufgenommen hat. So viel ich
weiß, soll er ziemlich an seiner Tochter hängen.«
»Wir werden tun, was in unserer Kraft steht«, versprach der
Blondhaarige. »Komm, Axel, finden wir die Anschrift der Frau heraus
und statten wir ihr heute Abend einen Besuch ab!«
Die beiden Kerle erhoben sich. Der Bursche namens Axel war
dunkelhaarig und Anfang der dreißig.
»Wenn die Frau weiß, wo sich Hanbuchen verkrochen hat«, sagte
er, »dann wird sie es uns auch sagen. Mein Wort drauf, Boss.«
»Setzt alle Hebel in Bewegung, aber bringt mir Jannick
Hanbuchen! Der Hund muss für den Verrat an meinem Sohn
büßen.«
Axel Forster und Konrad Friedrichsen verließen die Wohnung
ihres Bosses. Günter Fritsche, ein Mann Mitte der sechzig, ging zum
Fenster und starrte gedankenvoll nach draußen. Sein Lebenswerk war
infrage gestellt. Alexander war sein einziger Sohn und sollte
irgendwann seinen Platz einnehmen. Nun sah es so aus, als würde
Alexander die Freiheit niemals mehr wiedersehen.
Der Hass, der in Günter Fritsche wütete, war grenzenlos. Er
würde keine Zugeständnisse und kein Erbarmen kennen. Wenn ihm
Jannick Hanbuchen in die Hände fiel, war sein Schicksal besiegelt.
Der alte Gangsterboss hatte Hanbuchen zum Tode verurteilt.
*
Es war 21 Uhr vorbei. Katrin Hanbuchen saß in ihrem Wohnzimmer
auf der Couch und schaute fern. Der Hamburg Sender strahlte eine
Reportage über den Beginn des 3. Golfkrieges am 20. März 2003 aus.
Der Reporter berichtete gerade, dass amerikanische und britische
Truppen von Kuwait aus eine Bodenoffensive gestartet hatten und
rasch Richtung Bagdad vorrückten. Außerdem waren amerikanische
Fallschirmjäger im Norden des Irak gelandet und hatten zusammen mit
kurdischen Kämpfern eine Nordfront eröffnet.
Es klingelte.
Katrin Hanbuchen schaute etwas befremdet zur Tür. Sie
erwartete niemand. Und sie konnte sich auch nicht denken, wer sie
um diese Zeit besuchen sollte. In ihrem gleichmäßigen Gesicht
arbeitete es.
Da klingelte es erneut.
Katrin Hanbuchen erhob sich und ging zur Tür. Sie schob die
Klappe vor dem Spion zur Seite und schaute durch die Linse. Draußen
stand ein Mann, den sie nicht kannte. Er hatte blonde Haare und war
um die dreißig Jahre alt. Katrin Hanbuchen öffnete die Tür ein
Stück, gerade so weit, wie es die Sicherungskette zuließ.
»Was wünschen Sie?«
Plötzlich ging alles blitzschnell. Der Blondhaarige warf sich
mit seinem gesamten Gewicht gegen die Tür. Die Sicherungskette
wurde aus der Verankerung gerissen. Die Türkante knallte gegen
Katrin Hanbuchens Stirn. Sie taumelte einige Schritte zurück, ein
spitzer Aufschrei stieg aus ihrer Kehle. Zwei Kerle kamen in die
Wohnung, einer drückte die Tür zu.
Aus dem Lautsprecher des Fernsehapparates erklang es: »Die USA
und ihre Verbündeten starteten den Krieg mit einem gezielten
Luftangriff auf Saddam Hussein und die militärische Führung des
Irak. Es folgten weitere Angriffe mit Cruise Missiles, Raketen und
Bomben …«
Einer der beiden Kerle hatte plötzlich eine Waffe in der Hand,
die er auf Katrin Hanbuchen richtete. Den beiden entging, dass die
Tür zu einem Nebenraum einen Spalt breit geöffnet wurde.
»Was wollen Sie von mir?«, keuchte Katrin Hanbuchen entsetzt.
Dort, wo die Türkante gegen ihre Stirn geprallt war, zeigte
sich eine Schwellung. Die Angst stieg wie ein Schrei in der Frau
hoch.
»Setz dich!«, stieß der Blondhaarige hervor.
»Sagen Sie mir …«
»Du sollst dich setzen!«, fuhr sie der Blondhaarige schroff
an. »Oder hast du was an den Ohren, Lady?«
Auf Beinen, die sie kaum tragen wollten, ging Katrin Hanbuchen
zu einem Sessel und ließ sich hineinfallen. Ihre Finger verkrallten
sich in den gepolsterten Armlehnen des Sessels. Entsetzen wütete in
ihren Augen, nur mühsam bezwang die Frau ihre Panik.
»Wo befindet sich Jannick Hanbuchen?«
Der Dunkelhaarige, der die Waffe auf die Frau gerichtet hielt,
spannte wie zur Bekräftigung der Frage mit dem Daumen den Hammer
der Pistole.
»Ich ... ich weiß es nicht«, stammelte Katrin Hanbuchen.
»Jannick hat eine neue Identität erhalten und …«
»Er hat sicher mit dir Verbindung aufgenommen. Schließlich ist
er ein guter Vater, der seine Tochter nicht einfach vergisst. Also
raus mit der Sprache! Welchen Namen hat er jetzt und wo wohnt
er?«
Der Blondhaarige trat neben den Sessel. Seine rechte Hand
verkrallte sich in den Haaren der Frau, er bog ihr brutal den Kopf
in den Nacken.
»Sicher liegt deine Kleine im Bett«, stieß er hervor. »Sollen
wir sie holen und ihr vor deinen Augen den Hals
durchschneiden?«
»Nein. Bitte, lassen Sie Jennifer in Ruhe. Sie ... sie hat mit
alledem nichts zu tun.«
»Dann sag uns endlich, was wir wissen wollen!«
Der schmerzhafte Zug in den Haaren der Frau verstärkte sich.
Sie stöhnte, der Schmerz trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie
kämpfte mit sich. Ihre Mundwinkel zuckten.
»Ich hole jetzt die Kleine!«, drohte der Blonde und ließ die
Haare der Frau los. »Wenn wir ihr Schmerzen zufügen, wirst du
sicher gesprächig.«
»Nein«, keuchte Katrin Hanbuchen. »Lassen Sie Jennifer in
Ruhe! Jannick hat den Namen Manfred Meinert angenommen. Er wohnt in
der Denickestraße Nummer 19. Jannick wollte Hamburg nicht
verlassen, um in der Nähe seiner Tochter zu sein.«
Nach dem letzten Wort schlug Katrin Hanbuchen beide Hände vor
das Gesicht und weinte hemmungslos. Der Blonde schaute seinen
Kumpan an. Dieser nickte. Die Hände Konrad Friedrichsens legten
sich um den Hals der Frau und pressten ihn zusammen. Katrin
Hanbuchen bäumte sich auf. Ihre Hände umklammerten die Handgelenke
Friedrichsens und versuchten seinen brutalen Griff zu sprengen.
Ihre Nägel bohrten sich in seine Haut. Der brutale Bursche lockerte
seinen Griff nicht. Die Schmerzen, die ihm die Frau verursachte,
ertrug er.
Erstickend riss Katrin Hanbuchen den Mund auf. Ihre Lungen
fingen an zu stechen, Schwindelgefühl erfasste sie. Sie hatte der
Kraft des Burschen nichts entgegenzusetzen. Plötzlich verließ sie
die Kraft. Ihre Hände sanken nach unten, ihre Gestalt erschlaffte.
Friedrichsen würgte sie noch einige Zeit, dann ließ er sie los. Der
Oberkörper der Toten kippte zur Seite.
»Gehen wir«, knurrte Axel Forster ungerührt und verstaute die
Pistole unter seiner Jacke im Hosenbund.
Niemand sah die beiden, als sie den Wohnblock verließen. Auf
der Straße zogen sie die dünnen Handschuhe aus, die sie getragen
hatten. Forster holte sein Handy aus der Tasche und tippte eine
Nummer, dann stellte er eine Verbindung her. Günter Fritsche
meldete sich. Forster sagte: »Hanbuchen nennt sich jetzt Manfred
Meinert und wohnt in der Denickestraße. Uns ist auch die Hausnummer
bekannt. Wir werden ihm jetzt einen Besuch abstatten.«
»Bringt mir das Schwein lebend!«
»Es wäre einfacher, ihn sofort kalt zu machen«, erklärte
Forster. »Ihn zu entführen und zu Ihnen zu bringen, ist mit Risiken
verbunden, Boss.«
Kurze Zeit herrschte Schweigen am anderen Ende der Leitung.
Dann erklang es: »Du hast recht. Bringt den Hurensohn um und
schneidet ihm ein Ohr ab, das ihr mir bringt!«
»In Ordnung, Boss.«
*
Jannick Hanbuchen saß in einem Pub in der Baererstraße. Das
Lokal war gut besucht. An den Tischen wurde diskutiert.
Gesprächsthema war der Ausbruch des dritten Golfkrieges. Hanbuchen
saß allein an einem Tisch. Was sich im Irak abspielte,
interessierte ihn nicht. Er war in Gedanken versunken. Immer wieder
fragte er sich, ob er richtig gehandelt hatte, als er Katrin anrief
und sie über seine neue Identität aufklärte.
Er trank sein Glas leer. Es war sein drittes Budweiser, und er
spürte die Wirkung des Alkohols. Ein leichter Taumel hatte ihn
erfasst. Dennoch entschloss er sich, noch ein viertes Bier zu
trinken. Er winkte der Bedienung. Es handelte sich um eine hübsche,
junge Frau, deren Rock verdammt kurz war und deren enger Pullover
ihre weiblichen Formen voll zur Geltung brachte. Sie kam und
Hanbuchen sagte: »Noch ein Bier, bitte.«
Sie lächelte ihn an und entfernte sich mit seinem leeren
Glas.
Hanbuchens Gedanken schweiften ab und konzentrierten sich auf
Jennifer, seine Tochter. Jennifer war dreizehn. Er liebte sie
abgöttisch und besuchte sie alle zwei Wochen. Jennifer war auch der
Grund, weshalb er seiner getrennt lebenden Ehefrau seine neue
Identität verraten hatte.
Siedend heiß durchfuhr es ihn.
Es war ein Fehler!, zuckte es zum wiederholten Mal durch
seinen Verstand. Ich werde mir eine neue Wohnung suchen. Wenn
Fritsche herausfindet, wo ich untergeschlüpft bin, ist mein Leben
keinen rostigen Cent mehr wert.
Die Bedienung brachte das Bier. Hanbuchen trank einen Schluck
und wischte sich mit dem Handrücken den Schaum von den Lippen.
Er begriff, dass er für seine Freiheit einen hohen Preis
bezahlt hatte. Günter Fritsche würde Jagd auf ihn machen. Es war
nicht auszuschließen, dass sich der alten Gangster an Katrin
wandte. Würde Katrin standhalten? O verdammt, sie werden sie quälen
und sie wird sprechen. Und dann …
Angst vor der Zukunft brandete in Hanbuchen hoch. Eine
unsichtbare Hand schien ihn zu würgen. Dumpf schlug das Herz in
seiner Brust. Der Gedanke an Günter Fritsche brachte seine Nerven
zum Schwingen. Er versuchte, diese mit Vehemenz auf ihn
einstürmenden Gedanken zu verdrängen, doch es gelang ihm nicht. Sie
nagten und fraßen in ihm und krampften ihm den Magen
zusammen.
Nachdem er sein Bier ausgetrunken hatte, bezahlte er und
machte sich auf den Nachhauseweg. Die Baererstraße war eine
Querstraße der Denickestraße, in der er eine Zwei-Zimmer-Wohnung
bewohnte. Sein Gang war nicht mehr ganz sicher. Der genossene
Alkohol machte sich bemerkbar. Die quälenden Gedanken jedoch konnte
er nicht vertreiben.
Hanbuchen schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. Es ging
auf Mitternacht zu. Hamburg erstrahlte im Glanz seiner Lichter. Die
Geräusche der Stadt in den Ohren setzte Hanbuchen mechanisch einen
Fuß vor den anderen. Siedend heißer Schreck durchfuhr ihn, als er
daran dachte, dass Günter Fritsche seine Wut vielleicht an
Jennifer, seiner Tochter, austoben würde.
Und immer wieder hämmerte es in seinem Verstand: Du hast einen
Fehler gemacht. Gott verdammt, du hättest Katrin niemals deine neue
Adresse verraten dürfen. Du bist ein elender Narr!
Er betrat das Gebäude, in dem er wohnte. Es war ein Altbau.
Hanbuchen schaltete die Treppenhausbeleuchtung ein. Das Licht
blendete ihn einen Moment lang. Im Treppenhaus roch es nach
Bohnerwachs. Hanbuchen stieg die Treppe hinauf. Sie war aus Holz
und so manche Stufe knarrte unter seinem Gewicht. In der zweiten
Etage lag seine Wohnung. Sein Atem ging etwas schneller, als er
oben anlangte. Er atmete tief durch. Hanbuchen verspürte das
quälende Bedürfnis, seine Notdurft zu verrichten und beeilte sich,
die Tür aufzusperren.
Sie schwang auf, er betrat den Raum und machte Licht. Mit dem
Fuß drückte er die Tür hinter sich zu. Er wollte sofort zur
Toilette. Als er sich mitten im Raum befand, wuchs hinter einem der
Sessel eine Gestalt in die Höhe. Hanbuchen hielt an, als wäre er
gegen eine unsichtbare Wand gelaufen. Schlagartig war er nüchtern.
Auch hinter dem anderen Sessel erhob sich ein Mann. »Forster!
Friedrichsen!«, entrang es sich Hanbuchen, und die Angst kam kalt
und stürmisch wie ein Schneesturm.
»Du hast einen Fehler gemacht, Jannick«, sagte der
dunkelhaarige Axel Forster. »Einen Fehler, der dich teuer zu stehen
kommen wird.« Er hielt eine Pistole auf Hanbuchen gerichtet. Ein
Schalldämpfer war aufgeschraubt. Der Drang, zur Toilette zu gehen,
wurde bei Hanbuchen übermächtig. »Wie habt ihr mich
gefunden?«
»Deine Frau hat gesungen, nachdem wir ihr drohten, der Kleinen
die Kehle durchzuschneiden. Sie einzuweihen war dein zweiter großer
Fehler.«
»Aber …«
Friedrichsen winkte ab. Auch er hielt eine Pistole mit
aufgeschraubtem Schalldämpfer in der Hand. »Halt doch die Fresse,
Jannick! Fritsche fordert deinen Kopf. Erst wollte er dich lebend.
Er hätte dir wahrscheinlich die Haut streifenweise abgezogen. Wir
konnten ihm das schließlich ausreden.«
»Ich ... ich will mit Fritsche sprechen«, keuchte Hanbuchen.
»Bringt mich zu ihm!«
»Du willst freiwillig mitkommen?«
»Ja. Ich … ich muss Fritsche einiges erklären. Er wird
einsehen, dass ich …«
»Darauf solltest du dich nicht verlassen«, unterbrach ihn Axel
Forster. »Aber mir soll es recht sein.«
»Ich ... ich muss auf die Toilette.«
»Da hast du wohl 'ne Kanone versteckt?«, stieß Friedrichsen
hervor.
»Nein. Ich muss wirklich.«
»Du wirst dich schon nicht gleich anpinkeln«, knurrte Forster.
»Gehen wir!«
*
Vom Auto aus telefonierte Forster mit Günter Fritsche.
»Wir haben Hanbuchen.«
»Warum habt ihr ihn nicht kalt gemacht?«
»Er wollte mit Ihnen sprechen, Chef.«
“Mit mir?”
“Ja.”
“Ist nicht dein Ernst.”
“Doch.”
Eine kurze Pause entstand
»Ich möchte wissen, was es zwischen ihm und mir zu besprechen
gäbe.«
»Ich schätze, er will Zeit gewinnen.«
»Bringt ihn in den Elbpark! Wir treffen uns auf dem Parkplatz
beim Baseball Feld. Ich bin in einer halben Stunde da. Passt nur
auf, dass euch Hanbuchen nicht entwischt! Ob wir ihn ein zweites
Mal erwischen, ist fraglich.«
»In Ordnung.«
Sie fuhren zum Elbpark.
Hanbuchen konnte den Harndrang nicht mehr länger zurückhalten.
Seine Hose war nass bis zu den Knien. Friedrichsen, der neben ihm
saß, stieß hervor: »Pfui Teufel, du elendes Schwein! - Er hat sich
bepinkelt. Deinen Sitz kannst du wegwerfen, Axel.«
»Wohin bringt ihr mich?«, fragte Hanbuchen.
Das Sprechen bereitete ihm Mühe. Seine Stimmbänder wollten ihm
nicht mehr gehorchen. Seine eigene Stimme kam ihm fremd vor.
»Hast du gedacht, wir bringen dich in Fritsches
Wohnung?«
»Bitte, lasst mich laufen! Euch habe ich doch nichts getan.
Wir haben uns doch immer gut verstanden.«
»Alexander war ein guter Freund von uns«, versetzte
Friedrichsen kalt. »Du hättest ihn nicht verraten dürfen.«
Sie fuhren auf den großen Parkplatz und hielten bei einigen
Büschen an. Mitten in der Nacht war der Parkplatz verwaist. Sie
warteten im Auto. Zehn Minuten später tauchten zwei Scheinwerfer
auf. Es war ein schwerer Bentley, der auf den Parkplatz gesteuert
wurde. Der Lichtkegel der Scheinwerfer kroch vor der Nobelkarosse
her über den Asphalt. Dann wurde der Wagen abgebremst. Zwei Männer
stiegen aus. Sie kamen näher.
»Aussteigen!«, gebot Friedrichsen.
Hanbuchen stieg aus. Auch Forster und Friedrichsen verließen
den Ford, in dem sie gekommen waren. Die beiden Männer aus dem
Bentley waren schließlich heran. Die Gesichter waren in der
Dunkelheit nur helle Kleckse. Günter Fritsche baute sich vor
Hanbuchen auf und stemmte beide Arme in die Hüften.
»Du verdammter Hund!«, stieß Fritsche zwischen den Zähnen
hervor und schlug im nächsten Moment zu. Seine Faust bohrte sich in
Hanbuchens Magen, und der Getroffene krümmte sich nach vorn. Der
Schlag presste ihm die Luft aus den Lungen und er japste
erstickend.
Fritsche drosch Hanbuchen die Faust ins Gesicht.
»Warum hast du Alexander verraten?«
»Ich ... ich …«
»Du hast dir damit die Freiheit erkauft, du elender Bastard.
Aber es war auch dein Todesurteil. Was willst du mir sagen?«
»Ich wollte dich bitten, Verständnis zu zeigen. Was sollte ich
denn tun? Die Kommissare setzten mich unter Druck. Ich war nervlich
am Ende und …«
»Nein, Hanbuchen. Du hast Alexander verkauft, wie einst Judas
Jesus Christus verkauft hat. Du hast den Bullen deine Aussage gegen
deine Freiheit angeboten. Wie sonst sollten sie darauf kommen, dass
Alexander damals diesen betrügerischen Dealer erschoss. Du bist
eine dreckige Ratte.«
»Er hat sich vor Angst in die Hosen gemacht«, sagte
Forster.
»Du willst mich um Verständnis bitten«, grollte Fritsche.
»Mein Sohn sitzt für den Rest seines Lebens hinter Gittern. Das
hast du zu verantworten. Du hast mein Lebenswerk infrage gestellt.
Und nun forderst du Entgegenkommen. Du musst verrückt sein,
Hanbuchen.«
»Ich sage die Wahrheit, Fritsche. Man hat mich unter Druck
gesetzt. Jörgensen und Müller …«
»Schafft mir dieses Stück Dreck aus den Augen«, stieß Fritsche
hervor und schnitt damit Hanbuchen schroff das Wort ab.
»Schluss!«
Forster und Friedrichsen packten Hanbuchen und zerrten ihn
zwischen die Büsche. Hanbuchen stemmte sich gegen den Griff der
beiden. Er begann zu schreien. Maik Kloose, der Mann, der Fritsche
chauffiert hatte, zog seine Pistole und schlug Hanbuchen den Lauf
gegen den Kopf. Seine Schreie erstarben. Er wimmerte nur noch.
Seine Beine gaben nach, und sie schleiften ihn fort. Kloose folgte
ihnen und repetierte seine Waffe.
Zwischen den Büschen warfen sie Hanbuchen zu Boden. In diesem
erwachte der Widerstandswille. Er stemmte sich hoch und lag auf
allen vieren. Speichel tropfte von seinen Lippen. Aus seiner Nase
rann Blut von Fritsches Schlag. Ein Laut, der sich anhörte wie
trockenes Schluchzen, entrang sich ihm.
Maik Kloose drückte ihm die Pistole zwischen die
Schulterblätter. Hanbuchen spürte den stählernen Druck und
erstarrte. Ein eisiger Schauer rann ihm über den Rücken hinunter.
Und dann drückte Kloose ab. Hanbuchens Denken riss schlagartig.
Seine Arme knickten ein, er fiel auf das Gesicht.
*
Jennifer Hanbuchen, die Dreizehnjährige, hatte die Mörder
ihrer Mutter gesehen. Das Mädchen beschrieb der Polizei das
Aussehen der beiden. In der Datenbank waren sie nicht erfasst. Die
Fahndung verlief ergebnislos. Günter Fritsche bot der Polizei
keinen Hebel, an dem sie ansetzen konnte. Irgendwann wurde die Akte
im Mordfall Hanbuchen geschlossen.
Die Jahre vergingen …
Kapitel 1
Es klopfte an die Tür des Büros von Gerold Schweizer.
Schweizer war Geschäftsführer im Big Bang, einem Club in der
Taubenstraße. Der Club befand sich im Erdgeschoss des Gebäudes, das
Büro in der Wohnung in der ersten Etage.
Gerold Schweizer riss seinen Blick vom Bildschirm des Laptops
los und richtete ihn auf die Tür. »Wer ist da?«
Die Tür wurde geöffnet und einer der Türsteher hielt den Kopf
ins Büro.
»Da ist jemand, der dich sprechen möchte, Gerold.« Der
Türsteher grinste anzüglich.
»Wer will mich sprechen?«
»Ihr Name ist Diana Flatow.« Der Türsteher schnalzte mit der
Zunge. »'ne Wucht die Kleine.«
»Schick Sie herein!«
Wenig später betrat eine junge Frau das Büro. Der Türsteher
blinzelte Gerold Schweizer zu, dann schloss er die Tür. Schweizer
heftete seinen Blick auf die Besucherin. Sie war höchstens zwanzig
und ausgesprochen hübsch. Lange, dunkle Haare rahmten ihr schmales,
rassiges Gesicht ein, ihr Kinn war fraulich rund, sie hatte Feuer
in den Augen. Ihre Größe schätzte Schweizer auf eins siebzig. Sie
war mit einer Jeans und einer Lederjacke bekleidet.
Schweizer registrierte, dass sie über eine erstklassige Figur
verfügte.
Die junge Frau lächelte. Zwischen ihren sinnlichen Lippen
schimmerten weiße Zähne.
»Guten Abend«, grüßte sie freundlich.
Schweizer lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.
»Was kann ich für dich tun?«
»Ich suche einen Job.«
»Wir sind voll«, sagte Schweizer. »Aber sollte eine der
Bedienungen ausfallen, will ich gerne auf dein Angebot
zurückkommen. Lass mir deine Telefonnummer hier!«
»Es geht nicht um einen Job als Bedienung«, sagte die junge
Frau. »Ich will tanzen.«
»Das Big Bang ist ein Stripteaselokal. Bist du
Stripteasetänzerin?«
»Ich habe den Job von der Pike auf gelernt«, versetzte die
junge Frau.
Schweizers Blick glitt an ihr hinauf und hinunter, kehrte nach
oben zurück und blieb an ihrem Gesicht hängen.
»Du gefällst mir. Wie war dein Name gleich wieder?«
»Diana Flatow. Freunde nennen mich Dana.«
»Wie alt bist du?«
»Neunzehn.«
»Kommst du aus Hamburg?«
Diana nickte. »Ja. Ich bin hier geboren.«
»Ja, was ich sehe, gefällt mir. Zieh dich aus! Du wirst
verstehen, dass ich die Katze nicht im Sack kaufen kann.«
Für einen Moment verhärteten sich die Linien in Dianas Zügen.
Aber sofort entspannte sie sich wieder und begann, sich
auszukleiden. Sie tat es in einer Art, die aufreizend wirkte. Erst
zog sie die Lederjacke aus, die sie auf das Sofa warf, das an der
Wand des Büros stand. Dann zog sie sich den Pullover über den Kopf.
Sie trug darunter nur einen Büstenhalter. Ihre Brüste waren rund
und fest …
Schließlich stand sie nackt vor dem Geschäftsführer. Sie
drehte sich einmal um ihre Achse. Schweizer musste sich
eingestehen, dass sie makellos gewachsen war. Etwas überkam ihn,
dem er nichts entgegenzusetzen hatte. Wie von Schnüren gezogen
erhob er sich. Mit belegter Stimme sagte er: »Okay, ich gebe dir
den Job. Aber vorher musst du dich erkenntlich zeigen. Du weißt,
was ich meine?«
Diana nickte. Mit kehliger Stimme antwortete sie: »Damit habe
ich gerechnet. Aber ich will den Job.«
»Dann sind wir uns ja einig«, sagte Schweizer mit einem
süffisanten Grinsen um die Lippen und zog seine Jacke aus. Langsam
kam er um den Schreibtisch herum. Er ging zur Tür, drehte den
Schlüssel herum, und ergriff erneut das Wort: »Jetzt kannst du
beweisen, was du drauf hast, Süße.«
Ihm entging die Kälte in den Augen der jungen Frau …
*
Dana bewegte sich im Takt der Musik. Gierige Augen
beobachteten sie. Noch war sie bekleidet; weißes T-Shirt, rote
Shorts, Lackstiefel, die ihr fast bis zu den Knien reichten. Die
Musik war leise aber eindringlich. Man konnte sehen, dass die junge
Frau ihr Handwerk verstand. Ihre Bewegungen waren aufreizend. Mit
einer fließenden Bewegung zog sie sich das T-Shirt über den Kopf,
schleuderte es einige Male durch die Luft und warf es dann hinter
sich. Der kleine BH bedeckte gerade ihre Brustwarzen. Nun begann
sie, das enge Höschen zu öffnen …
Roy Müller wartete, bis die Tänzerin völlig nackt auf der
Bühne stand. Es gab Beifall. Einige Kerle johlten.
Roy verließ die Bar durch die Hintertür. Ein Flur schloss sich
an, auf beiden Seiten zweigten jeweils zwei Türen ab. Links waren
die Toiletten. Die Türen auf der rechten Seite waren abgeschlossen.
Am Ende des Flurs schwang sich eine Treppe nach oben. Roy stieg sie
empor. In der ersten Etage waren zwei Türen. An einer war das
Schild mit der Aufschrift Office angebracht. Der Kommissar ging zur
anderen Tür und legte sein Ohr dagegen. Hinter der Tür war alles
ruhig.
Roy stieg in die zweite Etage hinauf. Auch hier gab es zwei
Türen. Hinter einer der Türen glaubte Roy leise Stimmen zu
vernehmen. Er holte sein Handy aus der Tasche und stellte eine
Verbindung her. Als sich Uwe Jörgensen meldete, sagte Roy: »In der
Bar konnte ich nichts Verdächtiges feststellen. Ein erstklassig
gewachsenes Girl bot einen Strip vom Feinsten. In der ersten Etage
ist alles ruhig. Aber aus einer Wohnung in der zweiten Etage
dringen Stimmen. Ich denke, unser Informant hat recht
gehabt.«
»In Ordnung«, sagte Uwe Jörgensen. »Wir besetzen die Ausgänge,
dann komme ich mit einigen Leuten hinauf.«
*
Ich gab den Einsatzbefehl. Das Polizei unterstützte den
Einsatz und hatte mir neun Leute zur Verfügung gestellt. Vorder-
und Hintereingang des Etablissements wurden von jeweils drei
Männern gesichert. Zu viert stiegen wir in die zweite Etage hinauf.
Dort trafen wir auf Roy. Er deutete wortlos auf die Tür, hinter der
er die verräterischen Geräusche vernommen hatte.
Ich nickte.
Roys Daumen legte sich auf den Klingelknopf. Der Glockenton
war durch die geschlossene Tür zu hören. Durch die Linse des Spions
konnte ich sehen, dass in der Wohnung Licht brannte. Jetzt
verdunkelte sich die Linse, Zeichen dafür, dass jemand nachschaute,
wer vor der Tür stand. Dann wurde die Tür einen Spalt geöffnet. Ich
sah einen blonden Bürstenhaarschnitt und darunter ein
blatternarbiges Schlägergesicht. Im rechten Ohr hatte der Bursche
einen glitzernden Stecker. Ich hatte meinen Ausweis schon in der
Hand, hielt ihn hoch und sagte: »Jörgensen, Kriminalpolizei
…«
Der Bursche wollte die Tür zuschlagen. Ich stellte
blitzschnell den Fuß nach vorn, und die Tür prallte dagegen. Der
Kerl stemmte sich gegen die Tür, um mich zurückzudrängen und
schließen zu können. Ich setzte mein Körpergewicht ein, rammte die
Tür auf und der Kerl taumelte zurück.
Zwei Kollegen stürmten an mir vorbei und rangen den Burschen
nieder. Ich ging weiter, erreichte das Ende des Flurs und stand vor
einer geschlossenen Tür. Kurz entschlossen klinkte ich sie auf und
versetzte ihr einen Stoß. Sie schwang nach innen auf. Eine Wolke
von Zigarren- und Zigarettenrauch schlug mir entgegen. In dem Raum
gab es vier Tische. Jeder der Tische war vollbesetzt. Die Männer
hielten Karten in den Händen. Vor ihnen lagen auf den Tischen
Packen von Geldscheinen und stapelten sich Münzen. Es gab auch ein
Roulette. Die Kugel klackerte …
»Kriminalpolizei!«, rief ich mit schneidender Stimme. »Bleiben
Sie auf Ihren Plätzen sitzen und legen Sie die Hände auf den
Tisch!«
Eine Verwünschung war zu hören. Dann trat Stille ein. Auch das
Klackern der Roulettekugel war verstummt.
»Wer von Ihnen ist Inhaber dieser Wohnung?«, fragte ich.
Ein Mann um die vierzig erhob sich. Er war mit einem hellen
Anzug bekleidet. Unter der Jacke trug er ein rotes Hemd.
»Das Haus gehört Günter Fritsche. Ich bin Geschäftsführer des
Big Bang. Das ist das Lokal im Erdgeschoss. Mein Name ist Gerold
Schweizer.«
»Weiß Herr Fritsche, dass in seinem Haus illegales Glücksspiel
betrieben wird?«
Schweizer schüttelte den Kopf.
»Er ist ahnungslos.«
»Dann müssen wir uns also an Sie wenden«, konstatierte
ich.
Schweizer nickte.
»Ja, diese Runde habe ich organisiert.«
»Dann muss ich Ihnen ja nicht erklären, weshalb ich Sie
nunmehr verhafte.«
Ich gab einem der Kollegen einen Wink. Er nahm ein
Handschellenpaar von seinem Gürtel und trat vor Schweizer hin.
»Umdrehen und Hände auf den Rücken!«
Ich wandte mich an die anderen Kollegen.
»Durchsuchen Sie die Männer hier und nehmen Sie Ihre
Personalien auf! Sie müssen alle mit einer Strafanzeige
rechnen.«
Wir ließen Schweizer ins Präsidium bringen und führten sofort
eine Vernehmung mit ihm durch. Er saß an dem Tisch in der Raummitte
und fixierte mich trotzig.
»Spätestens morgen Abend bin ich wieder auf freiem Fuß, Herr
Kommissar«, prophezeite er.
»Schon möglich, dass Sie die Kaution aufbringen können, die
das Gericht festsetzen wird. Warten wir es ab! Mit einer
Anklageerhebung müssen Sie auf jeden Fall rechnen.« Schweizer kaute
auf seiner Unterlippe herum. Ich fuhr fort: »Wir glauben Ihnen
nicht, dass Fritsche nicht wusste, dass in der Wohnung im zweiten
Stock illegal gespielt wird.«
»Ich weiß, dass Sie seit Jahren hinter Fritsche hier sind«,
sagte Schweizer grinsend. »Bis heute ist es Ihnen allerdings nicht
gelungen, ihm einen Strick zu drehen.«
»Eines Tages erwischen wir ihn.«
»Nicht mit meiner Hilfe.«
»Wir haben auch seinen Sohn erwischt.«
»Auch nur, weil Jannick Hanbuchen ihn verraten hat.«
»Kennen Sie die Geschichte?«, fragte ich.
Schweizer nickte. »Hanbuchen hat dafür gezahlt.«
»Den Mord an Hanbuchen und dessen getrennt lebender Ehefrau
rechnen wir Fritsche zu«, erklärte Roy.
Schweizer schürzte die Lippen.
»Sie vermuten, dass er dahintersteckt. Um ihm etwas ans Zeug
zu flicken, brauchen Sie aber Beweise. Und die haben Sie nicht.
Also, was wollen Sie überhaupt?«
»Wir wollen von Ihnen hören, dass Fritsche bezüglich des
illegalen Glücksspiels Bescheid wusste.«
»Geben Sie sich keine Mühe«, knurrte Schweizer. »Dafür bin
einzig und allein ich verantwortlich.«
»Wie Sie meinen«, sagte ich.
Wir ließen Schweizer arretieren und fuhren hinauf in die
Etage, wo unser Büro war. Nur die Nachtbereitschaft der
Kriminalpolizei war anwesend. Chef vom Dienst war Ludger Mathies.
Wir meldeten uns bei ihm, und ich klärte ihn mit knappen Worten
auf. Dann begaben wir uns in unser Büro und ich fuhr den Computer
hoch.
Gerold Schweizer war nicht in der Datenbank registriert.
Ich sagte zu Roy: »Er ist Ersttäter. Mit einem Haftbefehl
brauchen wir bei dieser Konstellation nicht zu rechnen.«
»Fertigen wir unseren Bericht an«, versetzte mein Partner.
»Entscheiden muss im Endeffekt der Staatsanwalt, wie es
weitergeht.«
»Für heute machen wir Schluss«, sagte ich. »Der Bericht hat
Zeit bis morgen.«
Ich brachte Roy nach Hause, dann fuhr ich zu meiner Wohnung.
*
Am Morgen erhielt ich einen Anruf aus dem Zellentrakt. Der
Kollege sagte: »Schweizers Rechtsanwalt ist eingetroffen. Er möchte
mit Ihnen sprechen.«
»Wir kommen«, versicherte ich.
Wenig später kamen wir unten an. Gerold Schweizer und sein
Anwalt warteten im Vernehmungsraum. Der Rechtsanwalt gab jedem von
uns die Hand und stellte sich vor. Sein Name war Sebastian Berger.
Er zeigte sich freundlich.
»Es wird sich wohl nicht abstreiten lassen, dass sich mein
Mandant nicht ganz gesetzkonform verhalten hat«, sagte er.
»Illegales Glücksspiel ist ein Straftatbestand«, erwiderte
ich.
»Mein Mandant hat sich vorher nie etwas zuschulden kommen
lassen. Es ist kaum anzunehmen, dass ein Gericht Haftbefehl gegen
ihn erlässt. Der Tatbestand ist nicht mit Gefängnis bedroht.«
»Wir haben einen Bericht verfasst, den wir dem Staatsanwalt
vorlegen«, versetzte ich. »Er muss entscheiden, ob er Anklage
erhebt.«
»Ich war der Meinung, man könnte mit Ihnen reden. Eigentlich
dachte ich, dass ich meinen Mandanten gleich mitnehmen kann. Es
genügt, wenn Sie Anzeige gegen ihn erstatten.«
»Wir haben einige Auskünfte von Ihrem Mandanten erwartet«,
sagte ich.
»Welche Auskünfte?«
»Seinen Boss betreffend. Wir vermuten, dass Günter Fritsche
hinsichtlich des illegalen Glücksspiels Bescheid weiß und daran
verdient.«
Der Rechtsanwalt schaute Schweizer an. Dieser schüttelte den
Kopf.
»Sie verrennen sich in etwas, Jörgensen.« Er räusperte sich
und heftete den Blick auf das Gesicht seines Anwalts. »Seit Jahren
ist die Kriminalpolizei hinter Fritsche her. Die Hexenjagd begann
schon vor sieben oder acht Jahren. Dann wurde Fritsches Sohn wegen
Mordes verurteilt. Das Kriminalpolizei erhoffte sich von Hanbuchen
Aussagen über Günter Fritsche. Hanbuchen hatte sich der
Staatsanwaltschaft als Kronzeuge gegen Alexander Fritsche zur
Verfügung gestellt. Er konnte aber über Günter Fritsche nichts
erzählen, was Grund zu einer Anklage ergeben hätte. Nun will man
mich nötigen, gegen Günter Fritsche auszusagen.« Schweizers Stimme
hob sich und wurde eindringlich. »Die Spielrunde habe ich ins Leben
gerufen. Fritsche hat damit nichts zu tun.«
»Sie fürchten sich vor Fritsche«, sagte ich. »Wie er gegen
Verräter vorgeht, hat das Beispiel von Jannick Hanbuchen
gezeigt.«
»Der Mord an Hanbuchen wurde Fritsche nie nachgewiesen«,
erwiderte Schweizer.
Ich schaute Roy an. Mein Partner zuckte mit den Schultern. Ich
presste sekundenlang die Lippen zusammen. Dann sagte ich: »In
Ordnung. Wir werden gegen Ihren Mandanten Anzeige erstatten. Sie
können ihn mitnehmen.«
»Ich wusste doch, dass Sie einsichtig sind und sich keine
Chance ausrechnen«, sagte der Anwalt lächelnd und erhob sich.
»Gehen wir, Herr Schweizer!«
Es gefiel mir nicht. Aber spätestens am Nachmittag hätten wir
Schweizer sowieso laufen lassen müssen, und mir war klar geworden,
dass er seinen Boss ohne Vorbehalte deckte. Ich wollte keinen
unnötigen Verwaltungsaufwand verursachen.
*
Schweizer fuhr zu seiner Wohnung in der Taubenstraße. Dort
angekommen nahm er das Telefon und tippte eine Nummer. Diana Flatow
meldete sich.
»Ich bin frei«, sagte Schweizer.
»Wo befindest du dich?«
»In meiner Wohnung. Ich möchte, dass du zu mir kommst.«
»Jetzt?«
»Ja, ich brauche dich.«
»Ich bin in einer halben Stunde bei dir.«
»Ich warte auf dich und kann es kaum erwarten.«
Sie kam tatsächlich nach dreißig Minuten. Er öffnete ihr die
Tür und ließ sie in die Wohnung. Diana war schön und begehrenswert.
Schweizer nahm sie in die Arme und küsste sie. Sie erwiderte seine
Küsse. Die Leidenschaft übermannte den Mann. Er drängte sie in sein
Schlafzimmer. Sie zogen sich gegenseitig aus. Dann lagen sie nackt
auf dem Bett.
Diana war eine erstklassige Liebhaberin. Sie bereitete
Schweizer für kurze Zeit den Himmel auf Erden. Er wurde von seinen
Gefühlen regelrecht hinweggeschwemmt. Und er war Diana in diesen
Minuten mit Körper und Geist verfallen …
*
Sechs Wochen waren vergangen …
Günter Fritsche entschloss sich, seinen Bars einen Besuch
abzustatten. Er überließ es zwar seinen Geschäftsführern, die
Etablissements zu leiten, aber hin und wieder sah er selbst nach
dem Rechten.
Er fuhr zum Big Bang. Maik Kloose, den er sozusagen als
Leibwächter beschäftigte, begleitete ihn. Es war 22 Uhr vorbei, als
Fritsche und Kloose die Bar betraten. Auf der Bühne war eine
erstklassig gewachsene Frau dabei, sich nach und nach zu
entkleiden. Sie war dunkelhaarig und bewegte sich rhythmisch im
Takt der Musik.
Gerold Schweizer sah seinen Boss, erhob sich und ging ihm
entgegen.
»Welch seltener Besuch«, empfing er Fritsche und reichte ihm
die Hand.
»Wie läuft es?«, fragte Fritsche, nachdem Schweizer ihn und
Kloose zu einem freien Tisch geleitet hatte und sie saßen.
Schweizer winkte einer Bedienung.
»Alles läuft wie geschmiert, Boss«, sagte er dann.
Fritsche beobachtete die Stripteasetänzerin. Sie war jetzt
völlig entkleidet, vollführte noch einige fließende Bewegungen und
bückte sich dann nach ihren wenigen Kleidungsstücken. Tosender
Beifall erhob sich.
Schweizer ergriff wieder das Wort: »Dana hat sich zum
Geheimtipp entwickelt. Das Girl ist wirklich erste Sahne. Dana
arbeitet seit etwa sieben Wochen im Big Bang und hat in dieser
kurzen Zeit für eine immense Steigerung der Umsätze gesorgt.«
Diana lief von der Bühne und verschwand durch eine Tür aus dem
Gastraum.
»Ja«, sagte Fritsche, »die Kleine hat Format. Ich will Sie
persönlich kennenlernen.«
»Ich hole sie«, erklärte Schweizer.
Die Bedienung kam zum Tisch. Fritsche bestellte eine Flasche
Wein, Kloose ein Wasser. »Bringen Sie drei Gläser mit«, bat
Fritsche die Bedienung, dann heftete er den Blick auf seinen
Geschäftsführer. »Worauf wartest du, Schweizer?«
Gerold Schweizer drückte sich hoch und verschwand. Es dauerte
etwa fünf Minuten, dann kam er, Diana im Schlepptau, zurück.
Fritsche erhob sich und gab Diana die Hand. Schweizer stellte
seinen Boss vor und sagte dann: »Das ist Dana Flatow, Chef. Zurzeit
mein bestes Pferd im Stall. Sie sorgt für Umsätze.«
»Setzen Sie sich, Dana«, lud Fritsche die Tänzerin ein, Platz
zu nehmen. Auf dem Tisch standen bereits die Flasche Wein und drei
Gläser. »Schenk uns ein, Gerold«, ergriff Fritsche wieder das Wort
und musterte aufmerksam und voll Interesse die junge Frau, die
jetzt wieder angekleidet war. »Sie trinken doch ein Glas Wein mit
mir, Dana?«
»Es ist für mich eine Ehre«, versetzte Diana.
»Wo kommen Sie her?«, fragte Fritsche, nachdem er ihr
zugeprostet und einen Schluck getrunken hatte.
»Ich bin hier in Hamburg geboren.«
»Dann leben Ihre Eltern also auch hier.«
»Meine Eltern sind tot«, erwiderte Diana.
»Das tut mir aber leid«, murmelte Fritsche.
Der Blick, mit dem ihn Diana fixierte, war unergründlich
…
*
Eine weitere Woche später. Bei Fritsche klingelte es. Der
Gangsterboss schaute auf die Uhr. Es war 22.25 Uhr. Fragend schaute
er seine Frau an.
»Wer kommt um diese Zeit zu uns?«
Ohne ihren Blick von der Mattscheibe abzuwenden sagte Pia
Fritsche: »Sieh einfach nach!«
Günter Fritsche verzog das Gesicht. Das Verhältnis zwischen
ihm und seiner Gattin war schon lange abgekühlt. Sie hatten sich
nichts mehr zu sagen. Aber Fritsche war siebzig und nach seinem
Dafürhalten zu alt, um sich nach einer anderen Frau umzusehen.
Alleine wollte er aber auch nicht sein. Darum lebte er neben Pia
her, ohne noch etwas für sie zu empfinden.
Er erhob sich, ging zur Tür, und nahm den Hörer der
Gegensprechanlage in die Hand.
»Wer ist da?«
»Ich muss dich sprechen, Boss. Es ist wichtig.«
Fritsche erkannte die Stimme und drückte den Türöffner. Den
Hörer der Sprechanlage hängte er ein. Er musste nicht lange warten,
dann läutete es erneut. Er öffnete die Tür.
»Was ist so wichtig, dass es um diese Zeit sein muss?«
»Darf ich eintreten?«
»Komm herein!« Fritsche drehte sich um und wandte dem späten
Besucher den Rücken zu. Dieser betrat die Wohnung und zog eine
Pistole unter seiner Jacke hervor, auf deren Mündung ein klobiger
Schalldämpfer aufgeschraubt war …
*
Wir hatten kaum den Dienst angetreten, als mein Telefon
läutete. Ich schnappte mir den Hörer, hob ihn vor mein Gesicht und
meldete mich. Es war Herr Bock, der sagte: »Guten Morgen, Uwe.
Kommen Sie und Roy doch bitte gleich einmal zu mir!«
»Eine Minute, Chef«, antwortete ich, legte auf und wies mit
dem Kinn zur Tür. »Zum Chef.«
Gleich darauf betraten wir das Vorzimmer, in dem Mandy, die
schöne Sekretärin unseres Chefs, residierte. Ich wünschte ihr einen
guten Morgen, Mandy lächelte und sagte: »Geht nur hinein! Der Chef
wartet schon.«
Ich klopfte.
»Herein!«, ertönte es. Als ich das Büro betrat, erhob sich
Herr Bock hinter seinem Schreibtisch und ging mir entgegen. Er
reichte erst mir, dann Roy die Hand, dann forderte er uns auf, an
dem runden Besprechungstisch Platz zu nehmen. Er setzte sich zu
uns.
»Schlechte Nachricht«, begann er.
»Uns kann nichts mehr erschüttern«, erklärte Roy und ein
seichtes Lächeln umspielte die Lippen meines Partners.
»Günter Fritsche wurde gestern Abend in seiner Wohnung
ermordet. Auch seine Frau ist tot. Beide wurden erschossen.« Ich
war einen kurzen Moment ziemlich perplex. Der Chef fuhr fort: »Mich
hat Harald Warnke angerufen. Ich habe mich bereit erklärt, den Fall
zu übernehmen, weil ich annehme, dass hinter dem Mord das
organisierte Verbrechen steckt. Außerdem sind wir seit Jahren an
Fritsche dran, ohne ihm etwas ans Zeug flicken zu können. Jetzt
will ich, dass wir wenigstens seinen Mörder fangen.«
»Gibt es irgendwelche Spuren, Hinweise, können Sie uns etwas
über die näheren Umstände des Doppelmordes sagen?«, fragte
ich.
»Nehmen Sie mit Kommissar Warnke Verbindung auf«, erwiderte
Herr Bock.
Ich rief Harald von unserem Büro aus an. Harald war Warnkes
Spitzname. Wir hatten schon so manchen Fall gemeinsam gelöst.
Harald meldete sich und ich nannte meinen Namen.
»Hi, Uwe«, sagte der Chef der Mordkommission. »Ich glaube, ich
weiß, weshalb du anrufst.«
»Denk nur nicht, dass ich dir jetzt hellseherische Fähigkeiten
unterstelle.«
Harald lachte.
»Es ist wegen Fritsche, nicht wahr?«
»Sehr richtig. Unser Chef will den Fall übernehmen und hat Roy
und mich mit den Ermittlungen beauftragt. Was gibt es zu berichten,
Harald?«
»Nicht viel. Fritsche bekam die Kugel zwischen die
Schulterblätter, seine Frau in die Brust. Die Wohnungstür wies
keinerlei Spuren eines gewaltsamen Eindringens auf. Es ist also
davon auszugehen, dass Fritsche seinem Mörder selbst die Tür
öffnete.«
»Kann es sein, dass ein Konkurrent ins Geschäft drängt?«
»Es ist natürlich nicht auszuschließen.«
»Wurden irgendwelche Spuren gesichert?«
»Fingerabdrücke – jede Menge. Sie müssen erst noch ausgewertet
und zugeordnet werden. Die meisten stammen wahrscheinlich von den
beiden Opfern. Laut Polizeiarzt ist der Tod zwischen 21 und 23 Uhr
eingetreten. Nachbarn wurden vernommen, aber niemand hat etwas
gesehen oder gehört.«
»Okay, Harald, leite uns zu, was bisher an Protokollen et
cetera angefallen ist.«
»Mach ich.«
Wir verabschiedeten uns und ich legte auf.
Ich suchte Gerold Schweizers Nummer heraus und rief ihn an.
Seine Stimme klang unausgeschlafen, als er sich meldete. Als ich
meinen Namen nannte, hörte ich ihn scharf die Luft durch die Nase
ausstoßen.
»Was wollen Sie von mir, Jörgensen?«
»Sie wissen scheinbar nicht, was geschehen ist«, erwiderte
ich.
»Sie werden es mir sicher gleich sagen.«
»Günter Fritsche wurde ermordet.«
»Was sagen Sie da?«
»Sie haben richtig gehört. Er und seine Gattin wurden gestern
Abend in ihrer Wohnung erschossen.«
»Großer Gott!«
»Können wir miteinander sprechen?«
»Ich kann Ihnen zu dem Mord sicher nichts sagen.«
»Es sind mehr Auskünfte allgemeiner Art, die wir von Ihnen
möchten«, erklärte ich.
»Ich bin zwar erst sehr spät ins Bett gekommen«, sagte
Schweizer, »aber meinetwegen. Kommen Sie vorbei!«
»Wir sind in einer Stunde bei Ihnen«, gab ich zu
verstehen.
Als wir an seiner Wohnungstür klingelten, öffnete er sofort.
Vorstellen musste ich mich nicht, denn wir waren uns bestens
bekannt. Schweizer begegnete uns mit kühler Reserviertheit. Aber er
bat uns in die Wohnung und bot uns sogar Sitzplätze an.
Die Tür eines Nebenraumes ging auf und eine atemberaubende
Frau kam heraus. Ich schätzte sie auf ungefähr zwanzig Jahre. Sie
sagte: »Ich rufe dich an, Gerold. Bis später.« Uns nickte sie
lächelnd zu, ging zur Tür und verließ die Wohnung.
»Die junge Frau kenne ich«, sagte Roy.
»Sie tanzt im Big Bang«, erwiderte Schweizer.
»Richtig«, versetzte Roy. »Ich habe sie am Abend der Razzia
gesehen.«
Ein Schatten schien über Schweizers Gesicht zu huschen. Dann
aber wechselte er das Thema und sagte: »Sie kommen wegen der
Ermordung von Fritsche und seiner Frau zu mir. Es sind Fragen
allgemeiner Art, die Sie mir stellen möchten. Also fragen
Sie.«
»Hatten sie engeren Kontakt zu Ihrem Boss?«, fragte ich.
»Nein. Er kam vielleicht einmal im Monat in die Bar, um nach
dem Rechten zu sehen. Ich traf mich mit ihm, wenn wir abrechneten.
Er ließ mir ziemlich freie Hand.«
»Äußerte er irgendwann in der letzten Zeit mal, dass er sich
bedroht fühle?«
Schweizer schüttelte den Kopf.
»Nein. Wer sollte ihn bedrohen? Wir …«
»Warum sprechen Sie nicht weiter?«
Schweizer strich sich mit Daumen und Zeigefinger über das
Kinn.
»Es ist nichts.«
»Was wollten Sie sagen?«
»Ich wollte sagen, dass wir niemandem im Weg waren.«
»Wie meinen Sie das?«, fragte ich.
Sekundenlang starrte Schweizer versonnen vor sich hin. Dann
sagte er: »Wir zahlten Schutzgeld.«
»An wen?«
»Ich weiß es nicht. Ein Mann kommt jeweils am ersten eines
jeden Monats und kassiert dreitausend Euro. Sein Name ist Ringo.
Mehr weiß ich nicht.«
Ich war überrascht.
»Ich denke, das Sagen hatte in diesem Bereich Hamburgs Günter
Fritsche.«
»Das ist ein Irrtum.«
»Ich will nicht um den heißen Brei herumreden, Schweizer«,
sagte ich. »Also reden wir Tacheles. Fritsche kontrollierte das
Drogengeschäft im Bereich von Hamburg-Mitte. Wir haben zwar keinen
Beweis, aber wir wissen es.«
»Dazu kann ich nichts sagen. Ich leite das Big Bang und weiß
nichts von irgendwelchen Drogengeschäften.«
»Zahlen auch die anderen Lokale Schutzgeld?«
»Ja.«
»Wo waren Sie gestern Abend zwischen 21 Uhr und 23 Uhr?«
»Ich war in meiner Wohnung.«
»Waren Sie nicht im Big Bang? Ist Ihre Anwesenheit dort nicht
vonnöten?«
»Montags bleibt die Bar geschlossen.«
»Kann jemand Ihr Alibi bestätigen?«
»Sicher. Dana war bei mir.«
»Ist das die Stripteasetänzerin, die vorhin die Wohnung
verließ?«, fragte ich.
»Ja. Wozu brauche ich ein Alibi? Haben Sie etwa mich im
Verdacht, Fritsche und seine Frau ermordet zu haben?«
»Wir müssen das Umfeld der Opfer durchleuchten«, erklärte ich.
»Was den Täterkreis anbetrifft, gehen wir nach dem
Ausschlussprinzip vor. Wenn die Tänzerin bestätigt, dass Sie
gestern Abend in Ihrer Wohnung waren, brauchen wir uns nicht mehr
mit Ihnen befassen.«
»Das ist einleuchtend. Dana wohnt in der Lindenallee.«
»Wie lautet ihr voller Name?«
»Diana Flatow.«
»Haben Sie auch eine Hausnummer?«
»Nummer 38, vierte Etage.«
»Kommen Sie bitte morgen Vormittag um 9 Uhr zu uns ins Büro?«,
sagte ich.
»Weshalb?«
»Wir werden aufgrund Ihrer Beschreibung infrage kommende Leute
aus dem Archiv filtern. Vielleicht erkennen Sie den Mann, der jeden
Monatsersten das Schutzgeld kassiert.«
»Ich werde da sein.«
Als wir in Richtung Lindenallee unterwegs waren, sagte Roy:
»Wir werden auch mit den Geschäftsführern der anderen Clubs
sprechen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass einer von ihnen
den Platz Fritsches einnehme möchte.«
»Fritsche verfügte über insgesamt vier Clubs«, sagte ich. »Das
Big Bang, das Camouflage, das Paradise und den Fusion Club.
Natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass sich einer der
Geschäftsführer auf Fritsches Thron schwingen möchte. Wenn es so
ist, müssen wir den Burschen herauspicken. Er ist vielleicht
Fritsches Mörder.«
»Was mich verwundert, ist die Tatsache, dass Fritsche
Schutzgeld bezahlte.«
»Er kontrollierte das Drogengeschäft«, antwortete ich. »Wobei
es interessant wäre, zu erfahren, an wen Fritsche bezahlte.
Vielleicht hat dieser Herr vor, zu expandieren und auch das
Drogengeschäft an sich zu reißen.«
»Das ist fast wahrscheinlich«, murmelte Roy. »Möglicherweise
sollten wir uns auch mal mit Alexander Fritsche unterhalten. Sein
Vater brach den Kontakt zu ihm nach seiner Verurteilung sicher
nicht ab. Vielleicht hat er Alexander gegenüber Äußerungen gemacht,
die uns weiterhelfen.«
Ich fand in der Lindenallee direkt vor dem Gebäude Nummer 38
einen Parkplatz. Es gab zwei Aufzüge. Wir fuhren in die vierte
Etage und fanden die Tür zu Diana Flatows Wohnung. Roy läutete. Die
Tür wurde geöffnet.
»Sind Sie mir gefolgt?«, fragte die schöne Frau
lächelnd.
»Nicht direkt. Wir wollten von Ihnen nur bestätigt haben, dass
sich Herr Schweizer gestern Abend zwischen 21 und 23 Uhr in seiner
Wohnung befand.«
»Wozu braucht er ein Alibi?«
»In dieser Zeit wurden Günter Fritsche und seine Gattin
ermordet.«
»Haben Sie Gerold in Verdacht?« Das Lächeln der jungen Frau
war erloschen.
»Nicht direkt. Aber er ist aus dem Schneider, wenn Sie sein
Alibi bestätigen.«
»Die Bar hatte gestern geschlossen. Es ist richtig. Ich war ab
20 Uhr bei Gerold. Wir waren aus und kamen gegen 3 Uhr nach Hause.
Ich blieb bis heute Morgen bei ihm. Sie haben es gesehen, als ich
die Wohnung verließ.«
»Vielen Dank, Frau Flatow«, sagte ich lächelnd. »Mehr wollten
wir gar nicht wissen.«
»Fahren wir zum Gefängnis«, schlug ich vor, nachdem wir wieder
im Dienstwagen saßen. »Von der Vernehmung Alexander Fritsches
verspreche ich mir einiges.«
*
Es dauerte ungefähr eine halbe Stunde, dann wurde der
Gefangene vorgeführt. Ich bat den Wärter, Alexander Fritsche die
Handschellen abzunehmen, und als das geschehen war, forderte ich
Fritsche auf, sich an den Tisch zu setzen.
»Man hat mich schon in Kenntnis gesetzt«, murmelte er.
»Gestern Abend wurden meine Eltern ermordet. Haben Sie schon eine
Spur zu ihren Mördern?«
»Diese Spur hoffen wir mit Ihrer Hilfe aufzunehmen«, erwiderte
ich.
»Sie wissen also nichts.«
»Wir nehmen an, dass Ihr Vater den Mörder gekannt hat und in
die Wohnung ließ.«
»Ich frage mich nach dem Grund«, murmelte Alexander
Fritsche.
»Es sind mehrere Gründe vorstellbar«, versetzte ich. »Es ist
nicht auszuschließen, dass sich jemand an die Stelle Ihres Vaters
schwingen möchte. Es kann sich auch um einen Racheakt handeln. Der
Mörder kann der Angehörige irgendeines Junkies gewesen sein, der
durch Ihren Vater in die Sucht und vielleicht sogar in den Tod
getrieben wurde.«
Alexander Fritsches Brauen schoben sich zusammen. Über seiner
Nasenwurzel zeigten sich zwei senkrechte Falten.
»Was soll diese letzte Anspielung?«
»Ihr Vater handelte doch mit Drogen«, mischte sich nun Roy
ein.
Fritsche bog die Mundwinkel nach unten, stieß scharf die Luft
durch die Nase aus und herrschte meinen Partner an: »Haben Sie auch
nur den geringsten Beweis für Ihre Behauptung?«
»Lassen wir das?«, sagte ich ungeduldig. »Es führt zu nichts.
Sie standen sicher mit Ihrem Vater in Verbindung.«
»Natürlich. Er besuchte mich regelmäßig. Wir telefonierten
auch miteinander.«
»Fühlte sich Ihr Vater von jemand bedroht?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Wussten Sie, dass Ihr Vater Schutzgeld bezahlte?«
Alexander Fritsche knirschte mit den Zähnen.
»Vater erzählte mir davon.«
»An wen zahlte er das Schutzgeld?«
»Das weiß ich nicht. Irgendjemand hat sich in Hamburg-Mitte
stark gemacht.«
»Kann es sein, dass derjenige ins Drogengeschäft drängt?«,
fragte ich.
»Ich sagte bereits einmal …«
Ich winkte ab und Alexander Fritsche verstummte.
»Wer sind die Geschäftsführer im Camouflage, im Paradise und
im Fusion Club?«, fragte ich.
»Im Camouflage ist es Axel Forster, im Paradise Konrad
Friedrichsen, im Fusion Club Tom Schandler.«
»Sie wissen also nichts?«, fragte ich noch einmal.
Nachdenklich musterte mich Fritsche.
»Sie sprachen von Rache«, sagte er dann.
»Richtig.«
»Ich denke an Jannick Hanbuchen. Seinen Tod und den seiner
getrennt lebenden Ehefrau rechnete man damals meinem Vater
zu.«
»Das ist sechs Jahre her«, versetzte ich. »Wer sollte nach so
langer Zeit Rache üben?«
»War nur so ein Gedanke«, murmelte Fritsche.
Als wir wieder auf dem Weg zum Präsidium waren, sagte Roy:
»Die Tochter der Hanbuchens war damals dreizehn Jahre alt. In der
Zwischenzeit ist sie erwachsen.«
»Sie kam damals in ein Heim in Volksdorf«, sagte ich.
»Wir sollten nachforschen, was aus ihr geworden ist«, schlug
mein Partner vor. »Weißt du, wie sich das Heim nennt?«
»Ich glaube, es heißt Zur grünen Linde«, antwortete ich.
Roy fuhr den Computer hoch, klickte das elektronische
Telefonbuch her und suchte die Nummer des Kinderheimes heraus. Dann
tippte er die Nummer in das Handy der Freisprechanlage. Dreimal
erklang das Freizeichen, dann meldete sich eine Frauenstimme: »Zur
grünen Linde, mein Name ist Lydia Meier. Was kann ich für Sie
tun?«
»Hier spricht Roy Müller vom Kriminalpolizei Hamburg. In Ihre
Einrichtung wurde vor ungefähr sechs Jahren ein Mädchen namens
Jennifer Hanbuchen aufgenommen.«
»Ich erinnere mich an Jennifer. Sie war hier, bis sie achtzehn
Jahre alt wurde. Dann hat sie das Heim verlassen. Das war im
vergangenen Jahr, im Februar.«
»Hat sie sich in der Zwischenzeit wieder bei Ihnen
gemeldet?«
»Nein. Wir haben nichts mehr von Jennifer gehört. Vielleicht
erkundigen Sie sich mal bei Ihrer Großmutter. Ihr Name ist Maria
Luise Stendal. Sie wohnt in Stellingen.«
»Wissen Sie die Straße?«
»Dazu müsste ich in der Akte nachsehen. Sie befindet sich
bereits im Archiv.«
»Möglicherweise finden wir die Adresse auch ohne Ihre Hilfe
heraus«, gab Roy zu verstehen. »Wenn nicht, melde ich mich noch
einmal. – Vielen Dank.«
»Keine Ursache.«
Roy wurde im Telefonverzeichnis fündig. Maria Luise Stendal
wohnte in der Koppelstraße in Stellingen. Mein Partner schrieb
Adresse und Telefonnummer auf und rief dann die Frau an. Sie
meldete sich. Roy erklärte sein Anliegen.
Die Frau sagte: »Jennifer hat sich nicht bei mir gemeldet. Ich
hatte während der ganzen Zeit, in der sie im Heim war, keinen
Kontakt zu ihr. Tut mir leid. Ich kann Ihnen nicht helfen.«
Roy bedankte sich und beendete das Gespräch. Er gab den Namen
Jennifer Hanbuchen in den Suchlauf des elektronischen Telefonbuchs
ein.
»Fehlanzeige«, knurrte er nach kurzer Zeit. »Entweder sie hat
kein Telefon, oder sie hat nach ihrer Entlassung aus dem Heim eine
andere Identität angenommen.«
Kapitel 2
Am Abend besuchten wir das Camouflage in der Winklerstraße. Es
handelte sich ebenfalls um eine Stripteasebar. Wir wussten, dass
hier ein Mann namens Axel Forster Geschäftsführer war. Der Laden
war gut besucht. Im Moment fand jedoch keine Vorstellung statt.
Leise Musik vermischte sich mit dem Gemurmel der Gäste. Manchmal
war unterdrücktes Lachen zu vernehmen.
Wir stellten uns an die Bar. Einer der beiden Keeper kam
heran.
»Bitte, machen Sie den Platz vor der Theke frei!«
»Wir sind nicht als Gäste hier«, erklärte ich. »Wo finden wir
Herrn Forster?«
»Was wollt ihr denn von ihm?«
Ich holte das Etui mit meinem Dienstausweis und der
Dienstmarke aus der Tasche und klappte es auf. Der Keeper schluckte
und sagte: »Er sitzt dort am Tisch. Es ist der dunkelhaarige Mann
in der Mitte.« Er wies mit der rechten Hand in eine bestimmte
Richtung.
Mein Blick folgte der Handbewegung. An dem Tisch saßen vier
Männer. Der Bursche, auf den sich meine Aufmerksamkeit richtete,
war Ende der dreißig. Er hatte fast schwarze Haare. Ich bedankte
mich bei dem Keeper, schob das Etui wieder ein und setzte mich in
Bewegung. Roy folgte mir. Bei dem Tisch angelangt hielt ich an. Die
vier Kerle maßen mich von oben bis unten mit ihren Blicken, ich
sagte: »Herr Forster?«
»Das bin ich«, sagte der Dunkelhaarige. »Wer sind Sie und was
wollen Sie von mir?«
»Kriminalpolizei«, erwiderte ich. »Kommissar Müller und ich
bin Kommissar Jörgensen.«
Forsters linke Braue hob sich etwas.
»Sie kommen sicher wegen der Sache mit Fritsche.«
»Richtig. Wir haben einige Fragen an Sie.«
Forster erhob sich.
»Folgen Sie mir«, sagte er.
Wir verließen die Bar durch die Hintertür und betraten wenig
später einen kleinen Raum, in dem ein Tisch und sechs Stühle
standen. Es roch nach kaltem Zigarettenrauch.