Tief am Grund des Sees - Tina Schlegel - E-Book

Tief am Grund des Sees E-Book

Tina Schlegel

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Beschreibung

Vermisst am Bodensee. Kommissar Sito hat gerade erst eine dramatische Geiselnahme an der Universität Konstanz hinter sich, als eine ganze Familie spurlos verschwindet. Außerdem wird eine Kollegin im Internet massiv bedroht – Sito und sein Team kämpfen an mehreren Fronten, immer zwingender laufen die beiden Fälle aufeinander zu. Doch als sie der Lösung des Vermisstenfalles näherkommen, geraten sie an rechtliche Grenzen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, den sie nur gewinnen können, wenn sie ein Opfer bringen …

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Tina Schlegel war Regieassistentin, Drehbuchautorin und Redakteurin, bevor sie als freiberufliche Kulturjournalistin u.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

© 2022 Emons Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Philip Mckay/Arcangel.com

Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer

Umsetzung: Tobias Doetsch

Lektorat: Lothar Strüh

E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck

ISBN 978-3-96041-972-3

Bodensee Krimi

Originalausgabe

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Dieser Roman wurde gefördert im Rahmen des Stipendienprogramms der VG WORT in NEUSTART KULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

Vom Untergang

Dunkelheit wird sein,

Wo warmes Licht einst war.

Taubheit gräbt sich ein

In hoffnungsvolles Denken.

Skelette schwimmen ans Ufer,

Enden als Treibholz im Sand.

Beständig höhlt das Wasser

Der nackten Steine kalte Haut.

Kein Atem mehr, kein Taumel,

Doch haucht im Vorübergleiten

Ein Fisch sein stummes Lebewohl –

Dort, tief am Grund des Sees.

PROLOG

Dunkelheit umgab ihn. Er schloss die Augen und wurde eins mit ihr. Für einen kurzen Moment nur auf der Suche nach dem Geräusch, das ihn verführt hatte zu bleiben.

Wo kam es her? Wo ist es hin?

Etwas Verbotenes zu tun war ungewohnt. Sein Körper brauchte eine Weile, sich in diesem neuen Gefühl zurechtzufinden. Er lauschte, um sicherzugehen, dass er allein war. Und wegen dieser anderen Sache.

Bedächtig lief er durch den dunklen Flur. Die Dielen knarrten, sein Fuß stieß gegen etwas, Licht aber wollte er nicht – die Dunkelheit war sein sicherer Raum, das Warme, das ihn barg, nicht das Bedrohliche. Er liebte die Dunkelheit. Bisweilen glaubte er, die Augen einer Katze zu haben. Die Augen und die Fähigkeit zu schleichen. Um Bäume, Büsche und Häuserecken, eins mit der Einsamkeit der Nacht. So elegant und weich, so beharrlich, so weise, so still und langmütig, so stellte er sich das vor, immer wenn er träumte, ein anderer zu sein. In den langen Stunden der Dunkelheit, in denen er wach lag. Auf der Lauer. Wie eine Katze. Den Mond anheulen, aber nein, halt, das waren die Wölfe, nicht die Katzen.

Noch lieber hätte er sich manchmal wie ein Wolf gefühlt, der war mächtiger, aber Wölfe, so hatte er einmal gelesen, Wölfe waren soziale Wesen, Rudeltiere überdies. Ein Rudeltier, nein, das war er nicht. Rudel machten ihm Angst, die Enge, die gelegentlichen und unabsichtlichen Berührungen der Körper beim Laufen. Allein der Gedanke daran ließ ihn frösteln. Also wie eine Katze. Geschmeidig, elegant, mutig und allein. Lautlos wie ein Schatten. Und niemand, der Fragen stellte. Einsamkeit war so sicher wie die Nacht.

Aber dann kam die dunkle Seite der Katze zum Vorschein, die er nicht mochte. Dieses unbestechliche Talent, sich anzupirschen. Nicht nur an seine Opfer. Von gnadenloser Geduld beseelt und auf den richtigen Moment wartend. Die Beute im Visier, schließlich zwischen den Pfoten, eiskalt. Zusehen, wie das Opfer sich wand, wie es hoffte zu entkommen. Wie lächerlich sie war, diese Hoffnung. Wie lächerlich sie überhaupt war, die Hoffnung.

Er wusste ohnehin nicht, was das sein sollte. Rund zweihundert Millionen Vögel starben jedes Jahr in Deutschland in den Pranken von Katzen. Das hatte er im Fernsehen gehört, als der Naturschutzbund über das Artensterben sprach. Die Katze, dieser dem Mensch so lieb gewordene Schmusetiger, war im Freien eine wahre Bestie, die ganze Arten auslöschte. Ironie des Schicksals, hatte er gedacht, holte sich der Mensch also seinen eigenen Untergang aufs Sofa, obwohl: Wer brauchte schon die Singvögel im Garten? Der Mensch hatte ja auch die Hoffnung, dass das auf ewig so weiterging mit dem Wunsch nach Haustieren, obwohl sie in tödlicher Mission durch sein Umfeld tobten. Hoffnung war also das Verdrängen der Realität.

Wie er. Er mochte Katzen, Tiere überhaupt. Sie waren nie aufdringlich, nie bestimmend, und so verdrängte er die meiste Zeit, so gut es ging, der Katzen finstere Seele. Wieder berührte sein Fuß etwas, er schob es zur Seite, erkannte, dass es ein Kinderschuh war. Er hielt einen Moment ganz ruhig den Fuß in der Luft, obwohl das unbequem war, seltsam berührt von dem winzigen Schuh.

Da. Da war es wieder. Dieses leise Geräusch bahnte sich seinen Weg durch das schweigsame Haus. Er lauschte. Es kam von oben. Zart und zaghaft und ängstlich zugleich. Stille. Er wartete. Da war es schon wieder. Ein ungeheuer zierliches Fiepen, hilfesuchend, verzweifelt legte es sich in die Nacht.

Ihm wurde plötzlich heiß, zunächst um den Hals, dann schrittweise sich von dort ausbreitend auch um die Schultern, den Rücken hinab bis in seinen Unterleib. Die Angst in dieser zaghaften Stimme erregte ihn. Als hätte das Verbotene nun eine Stimme. Vorsichtig schritt er die Treppe nach oben, in der Mitte knarzte das Brett, es klang, als bräche es jetzt gerade von dem Baum, dem es gestohlen wurde. Seine Hand fuhr über das glatt gegriffene Holzgeländer nach oben.

Wieder dieser kleine Laut, leiser war er geworden, noch zaghafter, als wäre er unsicher, ob es überhaupt Sinn machte. Es klang wie ein Baby. Die Erregung ließ ihn vibrieren. Das Verbotene wurde immer abwegiger, immer verheißungsvoller zugleich.

Oben angekommen, lauschte er angestrengt in die Stille hinein. Nichts. Er sah sich um, versuchte sich zu orientieren, beschwor die Katzenaugen in sich. Vier Türen gingen von dem Flur ab, eine stand offen und zeigte im Mondlicht ein rot gefliestes Badezimmer, drei weitere waren angelehnt. Er entschied sich für die mittlere, eine alte Tür aus Eichenholz, darauf waren bunte Buchstaben geklebt, ein Jungenname, dahinter ein Kinderzimmer mit Dachschrägen.

Als er eintrat, zögerlich, zitternd, überwältigt von einem unbekannten Gefühl, hörte er es wieder, inzwischen näher und aufgeregter als zuvor: ein verzweifeltes Fiepen, jetzt auch ein Scharren. Das Geräusch rüttelte an ihm, hob an zu einem wütenden und mutigen, ja todesmutigen Pfeifen, kratzte an der Dunkelheit und trampelte durch seine Gedanken.

Er überwand sich und griff nach der Wand rechts von der Tür. Tastend fand er nach wenigen Sekunden den Lichtschalter. Das grelle Licht schmerzte zunächst in seinen Augen. Von wegen Katzenaugen. Er rieb sich darüber, dann drehte er sich um und zuckte zusammen. Vor ihm stand, die kleinen Pfötchen um das Gitter seines Käfigs geklammert, ein Meerschweinchen. Das schwarz-braun-weiße Fell war lang und wechselte auf dem Kopf die Richtung, sodass es aussah, als hätte ihm jemand eine Frisur gemacht. Hungrig sah es ihn mit seinen großen Knopfaugen an, piepste noch einmal, schnupperte.

Er war wie gelähmt, unfähig, dem Blick des kleinen Wesens auszuweichen. Neben dem Käfig stand eine Packung mit Futter. Er holte einen grünen Kringel heraus und hielt ihn dem Tierchen hin. Gierig schnappte es den Leckerbissen und kitzelte dabei seinen Finger. Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Schließlich schüttete er das Futter in den Napf und beobachtete, wie das kleine Tier sich darauf stürzte. Verstohlen sah es immer wieder zu ihm. Schließlich kam ein zweites aus dem Holzhäuschen, es war von einem schönen hellen Braun. In andächtiger Einheit saßen sie neben dem kleinen Napf und knabberten an den grünen Kringeln.

Eine Erinnerung huschte vorbei, ließ ihn beben, und er wusste nicht, woher sie gekommen war. Etwas Warmes umspülte ihn, und für einen Augenblick hatte er Angst, dass er sich in die Hose gemacht hatte. Und das in deinem Alter, hörte er die Stimme des Großvaters. Besorgt griff er sich zwischen die Beine und stellte erleichtert fest, dass sein Schritt trocken war.

Dankbar sahen die Tiere ihn an. Er war ihr Retter.

Gnade.

Dankbarkeit war eine Gnade – die Antwort auf Güte.

Damit hatte er nicht gerechnet.

Teil 1

Alte Wunden

1

Paul Sito saß auf der Bank mit Blick rüber auf die Altstadt. Das Musikerviertel im Rücken, das Inselhotel im rechten Augenwinkel, fixierte er ein kleines Boot auf dem Wasser. Zeus und Streuner liefen am Ufer des Bodensees auf und ab und tauchten immer mal die Nase ins Wasser. Leise plätscherte der See hier ans Ufer, keine Spuren mehr von dem Unwetter der vergangenen Tage in sich tragend.

Sito sah auf die Uhr. Es schien, als versetze sein Freund ihn. Das war ungewöhnlich. Er holte zum wiederholten Mal sein Smartphone hervor, scrollte durch seine Nachrichten, sah auch auf seinem Diensthandy nach, wobei das eher unwahrscheinlich war. Nichts, keine Nachricht.

Das Boot auf dem Wasser schaukelte unvermittelt, beinahe konnte man meinen, der See habe die Erinnerung an den Sturm doch noch gespeichert und werde all die angestaute Energie nur stückweise wieder los. Auch Sito hatte das Gefühl, in ihm wabere der See ruhelos weiter. Drei Tage lang hatte es gedonnert und gestürmt, eine Windhose war über die Reichenau gefegt und hatte dort und in der Waldsiedlung für erheblichen Schaden gesorgt, die Dammstraße war noch immer gesperrt wegen Überflutung, zwei Bäume waren umgestürzt und blockierten außerdem den einzigen Zufahrtsweg zur Insel.

Die Menschen wurden vom Wasser aus versorgt. Der See hatte sich von seiner gefährlichen Seite gezeigt, etliche Boote waren in Seenot geraten, von zwei Menschen fehlte weiterhin jede Spur, und die Hoffnungen, sie noch lebend wiederzufinden, hatten sich zerschlagen. War dem Freund etwas zugestoßen? Sito überlegte, wann er ihn das letzte Mal gesprochen hatte – wann hatten sie dieses Treffen vereinbart? Vor dem Sturm?

Zeus bellte einen Schwan an, der daraufhin bedrohlich nahe ans Ufer kam und sich aufrichtete. Auch der weiße Schäferhund schien das zu begreifen und trat umgehend den Rückzug an, beeindruckt von dem größer werdenden, fauchenden Vogel. Mit ein paar Schritten Abstand widmete er sich einem Ast, der am Boden lag, als wäre nichts gewesen. Sito musste lächeln. Hunde hatten ein besonderes Talent, von interessiert auf völlig unbeteiligt umzuschwenken. Hätte er gekonnt, so hätte Zeus gewiss gepfiffen. Der Schwan schwamm mit aufgeplustertem Federkleid davon, den Blick noch eine trotzige kleine Weile grimmig auf die Hunde gerichtet.

»Na dann«, sagte Sito laut, klopfte sich auf die Schenkel und erhob sich.

»He, alter Freund, nicht so schnell.«

Überrascht sah Sito zur Seite und lachte erfreut. »Du kommst spät«, stellte er fest.

Heinrich Wint nickte. »Tut mir leid, ich hätte mich gemeldet, aber der Akku war leer.« Er hob die Schultern. »Ich werd mich nicht mehr daran gewöhnen, ständige Erreichbarkeit zu garantieren.«

»Dass du noch kommst und auch davon ausgehst, ich könnte nach einer Stunde noch da sein, ist ja schon allerhand.« Sito umarmte seinen Freund.

»Ich war mir sicher.« Wint ließ sich neben Sito auf die Bank nieder, blinzelte in die Novembersonne und begrüßte die Hunde, die beide zu ihm gerannt kamen. »Jungs, was ist los? So lange haben wir uns nicht gesehen? Und ich hab euch gar nichts mitgebracht.«

»Gut so, die werden so als Allianz manchmal echt lästig«, scherzte Sito und stupste Zeus sanft zur Seite. »Wie geht’s dir? Was macht die Schulter?«

Wint verdrehte die Augen. »Dieser dusselige Schuss, ich kann es noch immer nicht fassen. Jedes Mal wenn das Wetter sich ändert, erinnert meine Schulter mich an diesen verdammten Tag im letzten Herbst.« Wints Miene verfinsterte sich.

Sito musterte seinen Freund. Er wusste, wie dieser Tag an ihm nagte, diese Niederlage, die dem Sieg an die Seite gestellt war, diese Demütigung. Auch er dachte jeden Tag daran, es war unlöschbar in seine Erinnerung eingebrannt. »Ich habe bislang keine Idee, Heinrich, tut mir leid. Aber ich verspreche dir, dass ich das nicht aus den Augen verliere.«

»Ein Jahr ist es her, ein Jahr. Ich könnte kotzen, ehrlich. Wenn er im Fernsehen auftaucht, dann springe ich fast hinein.«

»Ich weiß«, sagte Sito leise.

»Wir werden ihn kriegen«, Wint nickte in die Ferne, »wir werden ihn kriegen, verlass dich darauf. Und wenn es das Letzte ist, was ich tun werde.«

Sito erschrak ob der Entschlossenheit seines Freundes, sagte aber nichts. »Wie macht sich der Ruhestand?«, fragte er stattdessen.

Wint lachte auf. »Langweilig.«

»Du wolltest doch unbedingt einen ruhigen Abend«, sagte Sito behutsam.

»Ruhestand ist eine innere Angelegenheit, Paul, das geht nur, wenn draußen alles in Ordnung ist.«

»Die Welt da draußen wird nie in Ordnung sein.«

»Eben«, entgegnete Wint, ohne zu zögern.

Sito kratzte sich an der Stirn. »Heinrich, willst du mir etwas Bestimmtes sagen? Ich habe irgendwie das Gefühl, dass …«

Wint sah ihn lange an, dann ließ er den Kopf hängen. »So geht es einfach nicht weiter, Paul.« Seine Stimme klang ungewohnt brüchig. »So geht das einfach nicht.«

»Was geht nicht weiter?«

Wint schüttelte den Kopf und winkte ab. »Ich hab im Moment andere Sorgen«, erklärte er ausweichend.

»Also? Was ist los?«

»Christine.«

Sito legte den Kopf in den Nacken. »Heinrich, du verspätest dich um eine Stunde, ich weiß vom ersten Moment an, dass du mir etwas sagen willst – meinst du, es wäre möglich, dass ich dir nicht jeden Wurm aus der Nase ziehen muss?«

Wint drehte sich abrupt zur Seite, sah Sito in die Augen, dann musste er lauthals loslachen. Er lachte so laut, als entlade sich darin der ganze aufgestaute Ärger.

Ein Sturm, dachte Sito umgehend, da braut sich ein Sturm zusammen wie dieses Unwetter letzte Woche über dem See.

Schließlich klopfte Wint sich auf die Oberschenkel, um sich Einhalt zu gebieten. »Du hast ja so recht, Paul, entschuldige bitte. Christine hat gestern angerufen. Da hat sich wohl im Netz einiges gegen sie gerichtet und über ihr entladen, ein Shitstorm wegen der letzten Pressekonferenz. Nicht schön.«

»Aber sie sitzt beim LKA in Stuttgart, die werden ja wohl Mittel und Wege haben, ihre Mitarbeiter vor so was zu schützen, oder nicht?«

»Du kennst ja Christine. Bevor sie einen Vorgesetzten um Hilfe bittet, macht sie lieber drei Nachtschichten.«

Sito kramte in seiner Tasche nach der Tüte mit den Hundesnacks und raschelte damit. Sofort kamen die Hunde angelaufen und setzten sich in freudiger Erwartung vor die Bank. »Du wärst also froh, wenn ich Karl auf die Sache ansetze?«

Wint nickte. »So war es gedacht.« Er sah zu den Hunden. »Fürs Fressen machen die auch einen Purzelbaum, oder?«

2

»Schatz? Bist du da?« Helen lief mit ihren Einkaufstaschen in die Küche und wuchtete sie auf die Ablage, auf der noch die Reste des Frühstücks lagen. Im ersten Moment wollte sie einen wütenden Schrei durch das Haus jagen, dann aber musste sie lächeln. Ihr Mann nutzte die Zeit gewiss nicht, um Fußball zu schauen, das wusste sie, auch, dass er später die Küche wieder aufräumen würde, wenn er das Abendessen gekocht hatte für sie und ihre drei Kinder. »Schatz? Zwerge? Wo seid ihr?« Sie trat auf den Flur und lauschte. Nichts. »Piept einmal. Mama ist zurück«, rief sie und schlich ins Wohnzimmer, jederzeit mit einem Angriff rechnend.

»Aaaaah«, schrie es von links und von rechts, und dann stürmten zwei Kinder auf sie zu und klammerten sich an ihre Beine, um sie festzuhalten. »Gefangen!«

Ihr Mann Robert kam auf allen vieren hinter dem Vorhang hervor, ein Tuch um die Stirn gebunden und eine Feder angesteckt. Mühsam rappelte er sich auf, klopfte sich den Staub von den Hosenbeinen und grinste seine Frau verlegen an. »Hallo, Schatz«, sagte er und schob dabei das Baby, das er in der Bauchtasche trug, auf die Seite, um seine Frau zu küssen. »Die Küche, ich weiß, aber die Indianer warten einfach nicht mit dem Angriff.«

Die kleinen Häuptlinge lachten und klatschten begeistert in die Hände.

Helen fuhr erst ihrem Mann und dann den beiden Kindern durch die Haare. Sie hatte unverschämtes Glück. Eine Dreiviertelstunde später waren die Jungs und auch sie frisch geduscht, und ihr Mann hatte den Tisch gedeckt. Spaghetti standen dampfend darauf, daneben ein Topf mit Tomatensoße, eine Schale mit frischen Kräutern für die Erwachsenen und eine Schüssel Salat.

Das Baby, ihr kleines Mädchen, lag schlafend im Stubenwagen. Sie könnte das alles nicht so gut wie ihr Mann, sie hatte längst nicht seine Geduld.

Robert kam mit zwei großbauchigen Gläsern Rotwein aus der Küche. Er sah gut aus, der Vollbart stand ihm ausgezeichnet, die Haare waren lang und dicht, und Helen freute sich jetzt schon darauf, wenn die Kinder im Bett waren und sie beide zusammen auf dem Sofa saßen und Musik hörten.

»Wie war es bei der Arbeit?«, fragte Robert.

»Anstrengend«, sagte Helen und schlürfte die Spaghetti um die Wette mit ihrem Sohn. »Die Zahlen müssten besser sein, sagen die Chefs aus Frankreich, die Zahlen können nicht besser sein, sage ich. Es sei denn, man würde ins Personal investieren. Die haben uns bei den Verhandlungen eiskalt angelogen.«

»Mama, los, nimm noch Spaghetti. Das war so lustig«, bat Ben, ihr jüngerer Sohn, und fügte hinzu: »Aber denen zeigst du es doch, oder?«

Helen beugte sich nach vorn und sah ihm tief in die Augen. »Mich lügt keiner an, das weißt du doch!«

Ben zuckte zusammen, dann lachte er und holte schnell noch eine Portion Spaghetti mit dem Plastiklöffel. Auf dem Weg zum Mund landete die Hälfte auf dem abwischbaren Set, auf dem der Bär, der Tiger und die lustige Tigerente von Janosch fröhlich über eine Wiese spazierten. »Ups«, sagte der Junge und lachte erst Mama, dann Papa unschuldig an.

»Mann, Ben«, schimpfte der größere Bruder Jonas, der gerade in die Schule gekommen war. »Du lernst das nie!«

»Na, na«, tadelte Robert. »Du konntest auch nicht von klein auf fehlerfrei essen, und ich erinnere gern an das Eis vom Nachmittag.«

»Oh«, machte Helen mit gespieltem Ernst. »Es gab heute schon Eis?«

Jonas senkte den Blick und grummelte in seine Nudelportion. Ben lachte mit tomatenverschmiertem Mund.

Eine Stunde später war der Familienzauber vorbei. Die Kinder lagen in ihren Betten, und Robert und Helen saßen auf dem Sofa mit der Flasche Wein und einer alten Platte von den Doors. Helen hatte ihre Füße angezogen und lehnte seitlich auf einem großen Kissen. »Ich bin dir wirklich dankbar«, sagte sie leise und hielt ihrem Mann ihr Glas hin.

»Das sagst du viel zu oft. Wir hatten das doch besprochen, und ich bin gern zu Hause, das weißt du.«

»Hast du heute denn auch was für dich machen können?«, fragte Helen und schenkte ihnen beiden noch einmal nach.

»Ja, natürlich«, sagte er, »ich hab zwei Seiten geschrieben und ein paar Skizzen gemacht. Wirklich, Schatz, hör auf, dir Sorgen zu machen.« Er stand auf, ging in die Küche und kam wenig später mit einem Zeitungsausschnitt zurück. »Schau mal, klingt das nicht gut?«

Helen nahm den Zeitungsausschnitt und studierte ihn. Ein warmes Gefühl breitete sich in ihr aus, denn ja, er hatte recht, das klang wirklich sehr gut.

3

Sito lief, gefolgt von den beiden Hunden, über den Benediktinerplatz und betrat das Polizeipräsidium. Zeus und Streuner trotteten brav neben ihm her. Am Boden sah man, dass es Herbst war, zahlreiche bunte Blätter tummelten sich dort, wölbten sich in Braun, Orange und Ocker über den Weg. Fußspuren zeugten von regem Betrieb an diesem Montag, dem ersten Tag nach den Herbstferien. Obwohl es erst November war, stand in manchen Ecken schon Adventsdekoration. Sito wusste, dass auch Miriam gedanklich in den Startlöchern saß, um ihr gemeinsames Haus in Egg weihnachtlich zu dekorieren.

Irgendwie war er angesichts der beiden blinkenden Hirsche in seinem Blickfeld erleichtert, dass Miriam gerade in Italien bei ihren Eltern war. Bald würde Sito seinen langjährigen Freund Friedrich, Miriams Vater, wiedersehen, denn zu Weihnachten wollte auch er gemeinsam mit Miriam und den Hunden nach Italien reisen. Aber noch fühlte sich in Sito nichts nach Weihnachten und schon gar nicht nach Verreisen an. Nicht nur der Ruhestand war an inneren Frieden gebunden, das Verreisen ebenso, und die Welt würde nie eine solche Ordnung erreichen, die es Sito ermöglichte, zur Ruhe zu kommen. Da ging es ihm wie Heinrich Wint. Die beiden kannten einander noch nicht, Friedrich und Heinrich, der ehemalige Polizeipräsident und der ehemalige LKA-Beamte, doch Sito hoffte, dass sich das einmal ändern ließe.

Er durchschritt das große Gebäude, in dem tausendsiebenhundert Menschen beschäftigt waren, und grüßte im Vorbeigehen einige Kollegen. Er wollte umgehend in die Kriminalinspektion 5, wo Karl Zimmermann als Leiter der Abteilung für Internetkriminalität saß. Cybercrime und digitale Spuren nannte man das. Es war Montagnachmittag, und Sito hoffte, den Kollegen dennoch anzutreffen. Bei Karl war das immer ein Glücksspiel, nicht weil er unzuverlässig war, sondern weil er und sein Team verstärkt zu Nachtzeiten arbeiteten, wenn im Netz viel Bewegung war, wobei Sito oft den Eindruck hatte, dass Karl beinahe rund um die Uhr im Einsatz war. Er hatte bislang nicht herausgefunden, was der persönliche Antrieb von Karl Zimmermann war. Doch jeder, der hier zu den treibenden Kräften gehörte, hatte eine eigene Geschichte und Motivation, dessen war sich Sito sicher.

Das Gespräch mit Wint ließ ihm keine Ruhe. Mit gemischten Gefühlen hatte er sich vorhin am See verabschiedet, wohl wissend, dass es in Wint brodelte, und er hatte Sorge, dass er diesem wachsenden Zorn nicht mehr lange würde Einhalt gebieten können.

»Hast du nicht auch manchmal das Gefühl, dass das alles keinen Sinn mehr macht?«, hatte er gefragt.

»Heinrich, wir geben jeden Tag unser Bestes, um den Sinn wiederherzustellen. Nur weil es einmal nicht funktioniert, heißt das doch nicht –«

Er war ihm barsch ins Wort gefallen. Es ging nicht darum, dass es einmal nicht funktionierte, es ging darum, dass da etwas Finsteres aus der Welt hervorbrach, etwas, das sie längst schon nicht mehr im Griff hatten. Sito wusste, worum es Wint ging, keine Frage.

Der letzte Herbst hatte ihnen allen vor Augen geführt, was sich da zusammenbraute – am rechten Rand, im Netz, in den sozialen Medien. Ein weltweites Terrornetz im Untergrund, hübsch und vermeintlich harmlos präsentiert in rechten Parteien, die weltweit in der Politik mitmischten. Inzwischen ließen sich immer mehr Menschen auch aus der Mitte von dieser vorgespielten Harmlosigkeit blenden, die Menge war so groß geworden, dass die Mitläufer gar nicht mehr sahen, wem sie da hinterherrannten – doch ganz vorn an diesem Mob wehte immer noch das Hakenkreuz.

Sito wusste um die Gefahr, er wusste, wo das Übel bekämpft werden musste, und er wartete geduldig wie ein Raubtier, um endlich zuschlagen zu können. Aber Wint musste die Beine stillhalten, sonst würde der Freund alles durcheinanderbringen.

Karl Zimmermann stand am Sideboard mit dem Kaffeeautomaten. Ein großes und gewiss teures Gerät von Saeco, das sich durchaus lohnte, hatte der ehemalige Hacker betont, denn hier würden zunächst die Bohnen frisch gemahlen und garantierten immer hervorragenden Kaffeegeschmack per Knopfdruck.

»Auch einen, Paul?«, fragte Karl, ohne sich umzudrehen.

Sito lachte. »Womit hab ich mich verraten?«

Karl drehte sich um und zeigte mit beiden Fingern auf die Hunde. »Ich riech die Viecher gegen den Wind. Zumal sie heute nass sind.«

»Entschuldige.« Sito ließ Zeus und Streuner in einer Ecke Platz machen und setzte sich an Karls Tisch. Eine zweite Tasse stand bereits in der Maschine und landete wenig später vor Sito. Das Aroma hüllte ihn angenehm ein.

»Die Jungs können sich ruhig frei bewegen, stört mich nicht. Ich hab sogar was für sie.« Karl wühlte in seiner Schublade und hielt zwei Hundeknochen in die Luft. »Na los, holt sie euch!« Acht Pfoten jagten über den Fußboden. »Hey, immer sachte, was denn los? Gibt’s zu Hause nichts?« Er lachte. »Bevor du fragst: Es läuft schleppend. Wir sind dran, wir basteln an Identitäten, aber es wird schwieriger, die Aufnahmebedingungen für die entsprechenden Gruppierungen werden strenger, sie sind gewarnt, und das ist nicht gut, Paul. Gar nicht gut.« Karl trank einen Schluck und sah gedankenverloren den Hunden beim Kauen zu. Er wirkte müde, erschöpft mit einer Spur Resignation.

»Wir haben Zeit, Karl, mach dich nicht verrückt.«

Karl schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, ob wir Zeit haben. Weißt du, manchmal sehne ich mich nach meinem Job als Hacker zurück, ein einfaches Ziel, überschaubar und begrenzt, inzwischen arbeite ich permanent ins Blaue hinein, nie scheint es ein Ende zu geben. Ich komme mir vor wie Sisyphus. Immer wenn wir einen Ring ausheben, lachen die und bauen drei neue.«

Sito schluckte, nach Wint nun auch Karl. War er denn der Einzige, der noch Hoffnung hatte? Ausgerechnet er?

Karl ließ seine Finger knacken und grinste Sito schief an. »Ich weiß, Paul, du bist ein hoffnungsloser Optimist. Eigentlich bist du sogar der Utopist unter uns, nicht wahr? Du denkst, alles wird irgendwann gut.«

Die Narbe an seiner Schläfe schmerzte, reflexartig strich sich Sito mit der linken Hand darüber, versuchte zu beruhigen, was doch nur ein Phantomschmerz war.

»Was ist das mit der Narbe da? Hast nie erzählt, woher die kommt«, stellte Karl fest und suchte in seiner Schublade nach etwas. Triumphierend hielt er zwei Schokoriegel in die Luft, was die Hunde dazu veranlasste, erneut auf einen Knochen zu hoffen und sich neben Karls Tisch in Position zu bringen.

»Ein Fisch war schuld«, antwortete Sito wahrheitsgemäß.

Karl stutzte, dann lachte er schallend los. Er lachte schrill und laut und ließ sich in seinen Sessel zurückfallen. Die ganze Anspannung schien sich dank des »Fisches« in einem einzigen großen Lachanfall zu entladen, was Sito an seine Begegnung mit Wint erinnerte. Der Sturm, er hatte sie alle im Griff.

»Der war gut, Paul, der war richtig gut«, sagte Karl, als er sich wieder gefangen hatte. »Weshalb bist du eigentlich hier?«

»Wint. Er wird unruhig.«

»Das ist er schon lange.«

»Jetzt kommt noch die Sorge um eine Freundin hinzu.«

»Wint hat Freunde? Sogar eine Freundin?«, sagte Karl zwinkernd.

»Eine Kollegin und ja, auch eine Freundin, mehr weiß ich nicht. Außerdem bin ich ja auch mit Heinrich befreundet.«

»Eben«, sagte Karl, als wäre damit alles gesagt.

»Christine Fané ist zum LKA Stuttgart gewechselt. Sie hat dort kürzlich eine Pressekonferenz gegeben, es ging um Gewalt gegen Frauen in der Öffentlichkeit, um diese Journalistin, die außerdem Migrationshintergrund hat. Du kennst die Geschichte. Das war übel. Seitdem steht nun auch Christine im Rampenlicht und muss sich einiges anhören. Auf jeden Fall ist Heinrich in Sorge, und ich denke nicht, dass er zur Übertreibung neigt.«

Karl hatte die Augenbrauen hochgezogen, seit das Wort »LKA« gefallen war. »Beim LKA? Und ihr kommt zu mir?«

»Nun ja, Karl, du und ich wissen, wie das mit dem Vertrauen funktioniert, nicht wahr?« Sito lächelte. »Wieso ›ihr‹?«

»Ach, egal. Seit letztem Herbst weiß ich das auf jeden Fall. Seit der ganzen Scheiße mit der NSU 2.0 ebenso.« Karl rollte mit seinem Bürostuhl näher an seinen Tisch heran, stützte sich darauf und beugte sich vor, die Schokoriegel lagen unangerührt vor ihm auf dem Tisch. »Ich soll der Sache also unauffällig nachgehen?«

»Zumindest mal einen Blick darauf werfen und vielleicht –«

»Du hast vermutlich keine Ahnung, welche Kräfte da aktiv sind, die Rechtsradikalen haben sehr illustre Untergruppierungen und Paralleluniversen hervorgebracht, einige davon hassen vor allem Frauen. Ich könnte mir vorstellen, dass wir auf so etwas stoßen. Ich kann dir da eine Aufstellung zukommen lassen, vor allem im Hinblick auf eure Freundin. Wie hieß sie gleich?«

»Christine Fané. Wir hätten sie gern bei uns gehabt, aber sie hat sich für Stuttgart entschieden.«

»Ja, ich erinnere mich.« Karl riss sich einen Schokoriegel auf. »Na also, doch wieder ein konkretes Ziel. Aber sei nicht enttäuscht, wenn dir das alles nicht gefallen wird.«

»Es gefällt mir jetzt schon nicht, dass es da eine Welt gibt, die nicht sichtbar ist und Böses im Schilde führt.«

4

Roman Enzig reihte die Vanillekipferl vor sich auf. Drei Stück waren übrig. Die leere Dose stand etwas weiter rechts auf dem Schreibtisch vor ihm, der Tee stand links daneben. Er widerstand dem Drang, die Tasse mit der Dose auf eine Höhe zu bringen. Seit einigen Wochen stellte er diesen Tick an sich fest, und er gefiel ihm überhaupt nicht, dabei war er nicht schwer zu erklären: Kontrollverlust auf der einen Seite, Suche nach Kontrolle auf der anderen. Grob gesagt, er war ein wenig ins Ungleichgewicht geraten.

Das Baby forderte ihn doch mehr als gedacht. Und das neue Buchprojekt ebenfalls. Schon wieder hatte er nicht Nein sagen können, allerdings brannte ihm dieses Thema einfach auch unter den Nägeln. »Wege aus der Radikalisierung«.

Weshalb radikalisieren sich Menschen überhaupt? Welche Bedeutung kommt hier den sozialen Medien zu, und wie können Gesetzgeber und Bildungseinrichtungen darauf reagieren? Einerseits war es wissenschaftlich ausgesprochen spannend, andererseits wollte Enzig sich allmählich nicht mehr damit beschäftigen und jede Nacht schlecht schlafen. Seit Monaten traf er sich nun mit einem der Täter aus ihrem letzten großen Fall, einem jungen Mann, Student, aus wohlhabendem Haus, der, ohne es zu merken, instrumentalisiert worden war und tatsächlich zur Waffe gegriffen hatte.

Dass jeder Bürger nach einem empfundenen Unrecht zu einem Täter aufgebaut werden konnte, war ein furchteinflößender Gedanke. Die klassischen Motivationen für Täter, ein Verbrechen zu begehen, wie Eifersucht und Habgier schienen immer unbedeutender zu werden. Die Bereitschaft, an Verschwörungstheorien zu glauben, nahm parallel rasant zu, weil das Netz grade hierfür eine ideale Verbreitungsplattform bot: ein regelfreier Raum, eine hohe Verbreitungsgeschwindigkeit und keine Überprüfbarkeit des Wahrheitsgehaltes. Die Kombination aus beiden Entwicklungen war beängstigend.

Ein Bellen vor seiner Tür ließ ihn aufschrecken. Es klopfte dreimal.

»Komm rein, Paul«, sagte Roman und schob nun doch die Tasse an den korrekten Platz. Sein linkes Augenlid zuckte.

Die Hunde kamen zuerst, ihnen folgend Paul Sito und der Duft nach frischem Kaffee.

»Oh, das ist aber nett«, sagte Roman, als Sito ihm eine Tasse neben die Kekse stellte.

»Deine ist ja bestimmt noch kaputt, oder?« Sito setzte sich und zeigte auf die leere Keksdose. »Jedes Jahr früher, wie? Dass Anna trotz des Babys zum Backen kommt.«

»Ich hab noch drei, magst du einen?«

»Nein, mir reicht Kaffee. Ich hab Heinrich getroffen. Und Karl.«

»Aha. Und?«

»Nichts Neues, wir drehen uns im Kreis, und Heinrich entwickelt sich zu einem unkalkulierbaren Teamplayer, fürchte ich.«

»Hm.« Enzig hing noch seinen Gedanken über Täter und ihre Motivation und über empfundenes Unrecht nach.

»Was ist?«

»Ungerechtigkeit ist schwer zu ertragen.«

»Das stimmt, Roman, das stimmt, daher kämpfen wir ja auch dagegen an.«

»Ich weiß nicht recht, ich hab das Gefühl, dass wir immer weniger gegen die Ungerechtigkeiten tun können, die die Menschen so empfinden da draußen.«

Sito sah zu dem Aktenberg und dem Flipchart. »Der alte Fall?«

Enzig nickte. »Weißt du, manchmal frage ich mich, wofür ich einen Mord begehen würde. Nein, schau nicht so, ich mein das ganz ernst. Du und ich, wir haben doch sehr klare Überzeugungen, wir glauben doch, dass wir auf der richtigen Seite stehen, dass es genau diese Überzeugungen sind, für die es sich lohnt, sein Leben einzusetzen. Aber damals, vor einem Jahr, als ich … also, die Wahrheit ist, da gab es so einen Moment, da hätte ich –«

»Das ist eine Notwehrsituation«, wandte Sito ein und umschloss seine Tasse mit beiden Händen.

»Nein, das meine ich doch nicht. Natürlich rechtfertigt Notwehr vieles. Ich meine, ich wusste so klar, wer böse und wer gut ist, ich hab mir vorgestellt, wie ich das Böse systematisch zerstöre, nicht um mich zu verteidigen, einfach um auch Böses zu tun. Es war wie ein Akt der Selbstbefreiung, der Erlösung. Das ist die Wahrheit, mit der ich seitdem leben muss.«

»Wahrheiten ändern sich«, sagte Sito leise. »Du träumst noch immer davon?«

Enzig nickte. Schnell griff er nach einem Keks und schob ihn in den Mund. Die beiden übrig gebliebenen richtete er wieder symmetrisch vor sich aus. Er sah, dass Sito seine Hände beobachtete, zog sie zurück, wusste, dass es zu spät und er durchschaut war. »Es ist nicht so, wie du denkst. Ich hab mich schon im Auge.«

Sito lachte. »Du weißt, dass das nicht geht.«

»Ja, ja, der psychologische Dienst hat mich im Auge, ist aber nicht so einfach, als Psychologe einem Kollegen gegenüber ehrlich zu sein. Irgendwie hofft man immer auf eine Überraschung und hat dann auch die schon Kilometer im Voraus durchschaut.«

»Ich hab es Heinrich ebenfalls gesagt, und Karl, am Ende wird die Gerechtigkeit siegen. Und dann könnt ihr beide wieder ruhig schlafen. Es wird nicht jeder zu einem Mörder, Roman, nicht jeder. Wir sind hier für rund neunhunderttausend Menschen zuständig, und die meisten sind gewiss sehr anständig.«

Enzig lachte laut auf. »Dass du dieses Wort benutzt, ›anständig‹, wer sagt das heute noch? Was ist schon Anstand? Eine Bürgerpflicht? Ein grundsätzlicher Wunsch des Menschen, sich sozialverträglich zu verhalten? Mitmenschlichkeit? Ich weiß nicht«, er nahm den nächsten Keks, »ich glaub, die Menschen halten sich an Regeln, um keinen Ärger zu haben, eher aus Bequemlichkeit als aus Überzeugung. Das bedeutet aber auch, dass sie sich viel schneller angegriffen und ungerecht behandelt fühlen, weil ihnen die innerste Überzeugung fehlt und weil sie sich einfach zu wichtig nehmen.«

Es klopfte, und Rosa Eckert, die Sekretärin in ihrer Abteilung, kam herein. »Wir haben einen Toten, unten am Rhein bei der FH.«

Enzig sah zu Sito. »Bestimmt ein Springer, das hört auch nie auf.«

5

Sechs Komma vier Millimeter waren die Gitterstäbe auseinander. Das sollte die Schädlinge abhalten. Erst letzte Woche hatte er eine Waldspitzmaus entdeckt, die für allerhand Unordnung gesorgt hatte. Den ganzen Tag hatte er benötigt, sich von dieser Unerhörtheit zu erholen. Chaos war dafür da, ausgesperrt zu werden, es war nicht Teil des geordneten Lebens. Wenn das Chaos Einzug hielt, dann war das geordnete Leben krank. Da gab es keine Ausnahmen: Chaos konnte nur in ein krankes System eindringen.

Ein Volk starb, wenn es in Unordnung geriet, wenn der Feind es von innen heraus auffraß. Die Varroamilbe etwa war so ein Feind, in den siebziger Jahren unabsichtlich nach Europa importiert, fraß und mordete sie sich durch die europäischen Bienenvölker. Eine grausame Tatsache, der jedes Jahr unzählige Völker zum Opfer fielen. Hundertfünfzigtausend in etwa.

Er schüttelte sich gegen die Kälte. Vor der nächsten Behandlung seiner Völker graute ihm bereits, aber es half nichts, die Prozedur mit Oxalsäure musste jedes Jahr wiederholt werden. Sechzigprozentige Ameisensäure, eingeflößt mit einem Nassenheider-Verdunster.

Er installierte das Mäusegitter und hoffte, dass sich nicht trotzdem ein sehr kleines Exemplar einer Waldspitzmaus hindurchschmuggelte. Das Gift der Bienen konnte ihr nämlich nichts anhaben, die Mäuse indessen zerstörten die Waben.

Gerade einmal zehn Kilogramm Honig hatten sie in der letzten Saison ernten können. Zehn Kilogramm! Das war nicht einmal ein Drittel der sonst üblichen Menge. Die Völker waren krank, geschwächt, und er war wütend und zur hilflosen Beobachtung verdammt. So stand er mit dem zweiten Käfig in der Hand und betrachtete die Behausungen seiner Bienenvölker.

Stundenlang könnte er ihnen zusehen, wie sie ein und aus flogen, wie sie ihren Rhythmus hielten, ihre Richtung, ihre Orientierung. Stundenlang genoss er die Tatsache, dass er über sie zu herrschen vermochte, dass es seine Völker waren, die er hegte und pflegte, beschützte vor dem Feind, denen er jene Ordnung bot, die sie brauchten, um ihm mit Honig zu danken. Sie taten es nicht freiwillig, dessen war er sich bewusst, aber sie waren Nutznießer seiner Fürsorge. Es hatte einige Jahre gedauert, sich all das Wissen anzueignen, das einen guten Imker ausmachte, aber wenn er etwas hatte hier draußen, dann war es Zeit. Zeit und Ruhe.

Neben dem Bienenstock lagen tote Bienen, zahlreiche. Das war nicht gut.

Unordnung. Chaos. Untergang.

6

Seit ihrer Gründung im Jahr 1906 hatte die Fachhochschule in Konstanz schon eine bewegte Geschichte hinter sich. Schön gelegen in der Altstadt am Rheinufer, war sie nicht nur wegen ihrer Studiengänge verlockend, sondern gewiss auch wegen der Aussicht auf den Fluss, der allerdings schon einige Opfer gefordert hatte. Die Rheinbrücke für Fahrräder, die die Altstadt mit dem Stadtteil Petershausen verband, hundertsechzig Meter quer über den Seerhein, war immer wieder die Attraktion für Brückenspringer. Im Sommer kamen wagemutige Badegäste, nachts Angetrunkene von den Studenten- und Wohnheimpartys. Es war nicht offiziell verboten für die Badegäste, gleichwohl war es gefährlich, wenn die Springer mit knapp fünfzig Kilometer pro Stunde in den Fluss eintauchten, vor allem, wenn sie angetrunken und leichtsinnig waren. Im November kamen schlicht auch jene hinzu, die sich in den Tod stürzten. Es war der Monat mit der höchsten Suizidrate. Die Wahrscheinlichkeit sprach im Moment also für diese letzte Variante.

Marc Busch war auf dem Parkplatz vor dem Präsidium zu Sito und Enzig gestoßen, jetzt liefen sie gemeinsam von der Schottenstraße ans Ufer. Kollegen hatten den Fundort abgesperrt, einige Schaulustige tummelten sich an dem rot-weißen Absperrband. Drüben strahlte der Herosé-Park in den Resten herbstlicher Farben, die in der Sonne leuchteten. Auf der Brücke suchten Beamte von der Kriminaltechnik nach Spuren des Opfers.

»Gibt es denn Zeugen, dass einer gesprungen ist letzte Nacht? Ist ja nicht gerade Badewetter«, sagte Marc Busch und zog den Reißverschluss seiner Jacke zu.

Sito schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ich weiß noch gar nichts.« Sie liefen zu dem abgesperrten Areal, wo der Rechtsmediziner Dr. Samuel Parson auf sie wartete. Er hob den Kopf und nickte ihnen lächelnd zu.

»Paul, es braucht echt ein Verbrechen, dass wir uns wiedersehen, Himmel! Grüß dich, Marc.«

»Tut mir leid, Samuel, aber du kennst mich doch. Was haben wir?«

»Einen Beifang.« Parson begab sich wieder zu dem Opfer in die Hocke. »Anfang zwanzig. Sturz aus hoher Höhe, eventuell von der Rheinbrücke. Dein Kollege hier meinte, ein Fischerboot habe ihn entdeckt und mit ans Ufer gezogen.«

Sito sah zur Brücke hin. »Wie soll das denn gehen? Wir haben Nachmittag, und auch wenn es November ist, fahren da sicher weit über tausend Radler über die Brücke. Und da soll einer gesprungen sein?«

Busch zuckte mit den Schultern. »Kümmert doch keinen, oder?«

Parson folgte dem Blick der beiden, dann schnippte er mit den Fingern, um ihre Aufmerksamkeit einzufordern. »Möglich ist bestimmt alles, aber der junge Mann ist schon länger tot, wahrscheinlich seit letzter Nacht. Ich nehme an, dass er nachts in den Rhein gestürzt ist.«

»Dann aber nicht von dieser Brücke oder weshalb sollte er nicht abgetrieben worden sein?«, erkundigte sich Sito.

Parson hob die Augenbrauen. »Du bist phantasielos heute, Paul, und grüblerisch, das sehe ich. Das Fischerboot war am frühen Morgen unterwegs, der Beifang wurde aber erst später entdeckt oder gemeldet.«

Sito brauchte einen Moment. »Es ist Schonzeit, nicht wahr? Die Fische haben Schonzeit.«

»So ist es. Und wenn du mich fragst, dann sollten sie für eine ganze Weile das ganze Jahr Schonzeit haben. Der See ist bald leer.«

»Ich nehme an, du kannst noch nicht sagen, ob er freiwillig gesprungen ist?«

»Nein, Paul, natürlich nicht, aber wir nehmen ihn mit rüber nach Singen. Eine Sache vielleicht noch, hier sind auffällig viele Narben, die nicht vom Sturz kommen, sind eher älter. Schau mal, hier im Gesicht.«

»Eine schlagende Verbindung vielleicht«, sagte Busch.

»Auch nicht auszurotten«, sagte Sito müde.

7

Der Parkplatz der Mainau war gut gefüllt. Vor ihnen stand ein Bus mit weiteren Touristen für einen Spaziergang über die Blumeninsel. Sie schloss kurz die Augen und tauchte ein in die Erinnerungen, die sie mit diesem beliebten Ausflugsziel verband, sofort hatte sie den Duft der Apothekerrose in der Nase, ihre Lieblingssorte, doch auch die rund fünfhundert anderen Sorten, die sich dort an der Promenade tummelten, waren betörend. Und am Ende der Blütehochzeit würde die schönste von ihnen zur Blumenkönigin gewählt. Schon länger waren sie nicht auf der Insel gewesen, jetzt bekam sie Lust auf einen Spaziergang.

»Mama, da waren doch die Schmetterlinge«, kam es prompt von der Rückbank.

Helen sah ihren Mann an, der grinste.

»Ich will zu den Schmetterwingen«, piepste prompt auch der Kleine. »Schmetterwinge, Schmetterwinge, Schmetterwinge.«

»Wir können heute nicht auf die Insel, aber wir machen das bald, versprochen«, erklärte sie den Jungs und schaute zu ihrem Mann. »Vielleicht wohnen wir bald schon nicht mehr so weit entfernt, das wäre doch toll. Vielleicht gibt es sogar eine Jahreskarte, dann können wir da öfter –«

»Schatz, immer langsam. Wir schauen uns das alles erst einmal in Ruhe an, okay?«

Sie seufzte und ließ ihren Blick hinüber zum Eingang auf die Mainau schweifen. Doch der Bus verdeckte im nächsten Moment ihre Sicht.

Im letzten Herbst waren sie da gewesen, zweimal. Ein Besuch mit ihren Eltern, einer mit seiner Schwester und beide Male hatten sie richtig Glück mit dem Wetter gehabt – es war nicht so überlaufen gewesen wie im Sommer, dennoch so schön, dass sie in T-Shirts am Ufer entlangschlendern und die Kinder Eis essen konnten. Im Sommer würden die Kinder am See ihre Schuhe ausziehen und ins Wasser springen, da war sie sich sicher. Sie hätte Wechselsocken in ihrer Tasche und würde immer wieder eine der Flaschen aus ihren Rucksäcken zaubern, weil immer eins der Kinder Durst hätte.

Die Rosen dufteten in ihren Gedanken, obwohl sie die Rosenwochen auf der Mainau noch nicht erlebt hatte, doch kannte sie den einen besonderen Duft sehr genau. Im Herbst prahlte die Insel mit Dahlienfeldern, über zehntausend Dahlienbüsche mit herrlich großen Blüten, Dahlien, so weit das Auge reichte, in allen Farben. Die Schmetterlinge im Tropenhaus hatten den Kindern natürlich besonders gut gefallen. Sie flatterten umher, nippten an den aufgestellten Orangenscheiben und boten sich als wunderschönes Fotomotiv an. Ihrem Sohn hatte sich einer sogar auf den Kopf gesetzt, das fand er erst lustig, dann aber gruselig, als die kleinen Füße sich auf ihm bewegt hatten und das Flattertier nicht mehr hatte weichen wollen.

»Und hier links geht es zur Universität«, sagte ihr Mann und legte ihr die rechte Hand auf den Schenkel.

Sie wusste, dass oberhalb der Mainau die Universität von Konstanz war. Lang, lang war es her.

»An der Uni haben eure Mutter und ich …«

»Euch kennengelernt«, vollendete ihr Ältester den Satz. »Wissen wir, Papa.«

Sie lachte. Eine glückliche Familie. So sah sie aus. Und das Baby schlief in seinem Maxi-Cosi.

Zehn Minuten später bogen sie inmitten der Ortschaft Litzelstetten nach links ab und fuhren den Berg hinauf. Von oben hatte man einen wunderschönen Blick auf den See. Der Ort hörte an dieser Stelle auf, doch die Adresse, die sie suchten, lag ein wenig außerhalb. Er hatte an der Kreuzung angehalten, versicherte sich, dass sie auf dem richtigen Weg waren, lachte sie an. Sie streichelte ihm über die Wange, warf einen flüchtigen Blick zum Ort, der unter ihnen lag. »Schön so im Nirgendwo«, flüsterte sie.

Robert nickte. »Nun denn, auf ins Abenteuer.«

8

Sito lief mit Enzig hinüber zu den Wohnheimen. Einige Beamte hatten bereits angefangen, die Bewohner zu befragen. Sie zeigten Fotos vom Opfer. Wenn sie kein Glück hatten, dann würden sie den Rest des Tages mit den Befragungen verbringen ohne einen Erkenntnisgewinn. Am Wochenende hatte keine Party stattgefunden, bislang hatte auch niemand den jungen Mann als vermisst gemeldet.

»Müssen wir von einem Tötungsdelikt ausgehen?«, erkundigte sich Marc Busch.

Sito zuckte die Schultern und beobachtete eine Gruppe von Männern bei ihren Booten. »Das wird uns erst Samuel mit Sicherheit sagen können. Was machen die da?«

»Ihre Boote winterfest?«

»Ich könnte wetten, dass einer von denen heute Morgen draußen war. Komm mit, Marc.«

Sie gingen wieder runter ans Ufer und stellten sich zu den Männern.

»Was ist denn da los?«, fragte der eine unwirsch.

»Haben Sie den Mann aus dem Rhein gefischt?«, entgegnete Sito.

»Einen Mann aus dem Fluss?« Der Mann rieb sich über das vom Wetter und vielleicht auch Alkohol gezeichnete Gesicht. »Davon weiß ich nichts.«

»Und Sie?«, fragte Busch und schaute die anderen der Reihe nach an.

»Den hat uns einer da hingelegt.«

»Ach«, Sito sah sich erstaunt um, »ich dachte, er sei von einem Angler aus dem Rhein gefischt worden.« Sito wartete einen Moment, doch die Männer blieben verstockt. »Hören Sie, uns geht es nicht darum, Ihnen Schwierigkeiten zu machen, weil Sie im November angeln, obwohl Schonzeit ist. Aber jemand hat einen Toten gemeldet und gesagt, er sei ein Fischer hier am Rhein. Wir wüssten nur gern, wann er den Toten gefunden hat und wo genau und ob er sonst noch etwas gesehen hat.«

Die fünf Männer wirkten nicht nur wortkarg, sie waren geradezu feindselig. Sito musterte sie, stieß auf Misstrauen bei den einen und Ärger bei den anderen und wunderte sich, dass hier Fronten verhärtet schienen, ohne dass er sich einer Schuld bewusst war.

»Wir wollen einfach keinen Ärger hier«, sagte der eine.

»Nicht das auch noch. Wir haben echt genug Ärger«, bestätigte ein Zweiter.

»Die Fische sind so gut wie weg, und die Naturschützer haben immer noch nicht genug.«

»Wovon sollen wir denn noch leben?«

»Dann das Nachtangelverbot, die Schonzeit, ständig die Attacken auf unser Vereinsheim. Wir haben echt genug«, ereiferten sie sich im Wechsel. Nur einer war stumm geblieben. Hager und mit hängenden Schultern stand er vor ihnen. Sito ging zu ihm.

»Es war sicher ein Schock, als Sie den Toten im Netz gefunden haben, nicht wahr?«

Der schmächtige Mann schluckte und presste sich die Hand vor den Mund.

»Du musst gar nichts sagen«, sagte ein großer, kräftiger Mann, der den größten Redeanteil bislang hatte. Er stemmte jetzt die Hände in die Hüften und baute sich vor Sito auf. »Wir müssen alle überhaupt nichts sagen.«

»Jetzt reicht es aber.« Busch zog seinen Ausweis aus der Tasche, hielt ihn hoch und drängte sich zwischen Sito und das Schwergewicht. »Wir wollen Ihnen keinen Ärger wegen irgendwelcher Angelzüge machen, stattdessen wollen wir einfach unsere Arbeit erledigen. Der junge Mann ist vielleicht Opfer eines Verbrechens geworden. Ich hab jetzt keine Lust mehr auf dieses Geplänkel.«

Sito sah überrascht zur Seite. So vehement kannte er seinen Kollegen gar nicht. Erst Heinrich, jetzt Marc. Es lag offenbar tatsächlich etwas in der Luft, schwelte unter der Oberfläche und wartete nur auf ein passendes Ventil.

»Ich war es«, sagte jener, den Sito direkt angesprochen hatte. Er hatte also die richtigen Schlüsse gezogen. »Ich bin am frühen Morgen raus und hab die Netze eingeholt. Erst am Ufer hab ich dann gesehen, dass da ein Mensch drinhing. Ich hab dann, ich weiß auch nicht, ich bin am Ufer entlang und hab auf die anderen gewartet, und dann haben wir erst mal überlegt, was wir machen.«

»Der war schon tot. Wir haben ihn nur rausgeschnitten und abgelegt. Und dann angerufen«, bestätigte ein anderer.

»Ihnen ist schon klar, dass uns wertvolle Zeit verloren gegangen ist, oder?«, fragte Busch.

»Wie viel Zeit ist denn vergangen, bis Sie angerufen haben?«

Die Männer tauschten Blicke. »Ein paar Stunden.«

»Wir dachten, das ist bestimmt ein Student, einer, der gesprungen ist und sich verschätzt hat.«

»Das kann ja auch noch sein, wir –« Sito stockte. Etwas an der Art, wie der Mann seinen Satz formuliert hatte, störte ihn. »Was meinen Sie damit, Sie dachten, es sei ein Student.«

Der hagere Mann erschrak sichtlich und sah die anderen schuldbewusst an.

»Was lässt Sie jetzt glauben, dass Ihre erste Einschätzung falsch war?«, hakte Sito nach.

Der Mann ließ den Kopf hängen und hielt sich die Hände vors Gesicht.

»Mann, haben Sie sich den mal angesehen? Den Rücken, mein ich?«

9

Am nächsten Tag saßen Sito und Busch in Enzigs Büro und warteten auf Samuel Parson. Er hatte eine Videoschaltung versprochen, sobald er Zeit dazu fand. Nach ihrem Gespräch mit den Fischern am Vortag hatte Sito umgehend seinen Freund in der Gerichtsmedizin Singen angerufen und gebeten, sich den Toten aus dem Rhein vorrangig anzusehen, wenigstens für eine erste Einschätzung.

»Dieses Theater wegen der Schonzeit der Fische, das gibt es doch nicht.« Busch ärgerte sich immer noch.

»Die Fischer haben ja nicht nur wegen der Schonzeit zu kämpfen«, versuchte Enzig den Kollegen zu beruhigen. »Sie sagen, dass die Fangquoten immer geringer werden, weil das Wasser zu sauber ist. Und dann noch die Kormorane, die den Bestand jedes Jahr verkleinern und nicht abgeschossen werden dürfen. Das Nachtangelverbot, die Schonzeit, die haben einfach Angst um ihre Existenz.«

Busch und Sito tauschten einen Blick.

»Roman, bist du unter die Anwälte gegangen?«, fragte Sito mit hochgezogenen Augenbrauen.

»Nee«, Enzig verdrehte die Augen, »aber das ist nun mal … ach, ist ja auch egal. Meinetwegen braucht es keinen Fisch aus dem Bodensee. Für mich braucht es überhaupt keinen Fisch.«

»Wie auch immer, wir haben einen jungen toten Mann, der den Fischern einen gehörigen Schreck eingejagt hat. Wenn ihr mich fragt, dann hatte der vielleicht auch Schiss, dass sein Netz schuld am Tod des Mannes war? Das kann doch auch noch sein, oder?«, fragte Busch.

Sito nickte. »Sicherlich. Wir werden ja gleich von Samuel hören, was so verwirrend war.«

»Wie konnten die eigentlich den Rücken sehen?«, fragte Enzig und blickte von Busch zu Sito. »Der war doch bekleidet, oder?«

»Stimmt«, entgegnete Sito. »Gute Frage. Vielleicht haben sie ihn aus dem Netz –«

Es klingelte, und Enzig schaltete auf die Videoübertragung. An der Wand erschien Samuel Parson aus seinem Sektionszimmer, einem hell ausgeleuchteten Kellerraum im Krankenhaus in Singen. Parson mochte sein Reich dort unten, ein separater Ausgang ermöglichte es ihm, in den Garten der Klinik zu gehen, ohne dafür durch das halbe Krankenhaus laufen zu müssen.

»Eure Zeugen gaben euch den Hinweis auf den Rücken, nicht wahr? Vermutlich machten sie die Entdeckung, als sie ihn aus dem Netz befreien mussten.« Parson machte eine Pause und sah dabei in die Kamera, auf die Zustimmung wartend, dann fuhr er fort. »Der Körper des jungen Mannes weist zahlreiche Verletzungen auf, angefangen von alten Brüchen, Schnittverletzungen bis hin zu Narben.«

»Misshandlung?«, fragte Enzig.

Parson nickte, den Blick auf seine Unterlagen geheftet. Seine Stirn lag in tiefen Falten. »Sieht leider so aus. Ja. Die Brüche sind aus der Kindheit. Neben diesen älteren Verletzungen finden sich auch Spuren am Hinterkopf, die auf stumpfe Gewalteinwirkung schließen lassen. Im Wasser war er höchstens ein paar Stunden.«

»Okay, Samuel, dann haben wir also einen ermordeten jungen Mann, sehe ich das richtig?«, fragte Sito.

Parson nickte stumm.

»Hast du schon eine Todesursache für uns?«

Jetzt schüttelte der Rechtsmediziner den Kopf. »Nein, Paul, noch nicht. Ich wollte euch nur diesen ersten Zwischenstand geben. Ich brauch noch ein wenig für die genaue Todesursache. Wasser verwischt ja immer die Spuren, dann kommen noch jene Verletzungen hinzu, die durch den Aufprall – Du weißt ja, Ertrinken als Todesursache ist für uns aus pathologischer Sicht tatsächlich immer eine heikle Sache, so schnell geht das nicht.« Er kratzte sich an der Stirn und sah zu dem Opfer auf dem Sektionstisch, der hell erleuchtet in der Mitte des Gewölbekellers stand.

Sito fröstelte, schon zu oft hatte er dort gestanden, seinem Freund zugehört, versucht, sich innerlich von dem Leiden des Opfers zu lösen. Wenn Enzig dabei war, dann war es noch schlimmer, dann fühlte er auch dessen Unbehagen mehr als deutlich.

»Ich kann euch aber sagen, dass wir kein typisches Ertrinken haben, dafür sind die Zeichen zu gering ausgeprägt.«

»Es gibt aber Zeichen von Ertrinken?«, hakte Busch nach.

Parson fuhr sich über seinen kahlen Kopf. »So wollte ich das nicht sagen, wir müssen das erst noch genau untersuchen. Ihr wisst doch, dass wir zwischen typischem und atypischem Ertrinken unterscheiden müssen und dass die Zeichen dementsprechend auch nur sehr schwach bis gar nicht vorhanden sein können.« Parson massierte seine Hände und sah sich um. »Ist irgendwie kalt heute hier unten. Wenn ich mich mal nicht melde, dann bin ich hier eingefroren. Keine Ahnung, ob die Heizkosten sparen wollen und meinen, dass es hier unten weniger Leute stört.« Parson hob die Hand. »Sagt jetzt nichts Falsches, ich möchte genauso wenig wie ihr bei der Arbeit frieren. Also, zurück zu dem jungen Mann. Wir suchen nach Paltauf-Flecken und Wydler-Zeichen, beides Fehlanzeige bislang. Dennoch kann ich Ertrinken als Todesursache nicht ausschließen, möglich wäre also, dass er bereits bewusstlos war, als er ins Wasser geworfen wurde.«

»Geworfen?«, fragten Sito und Enzig gleichzeitig.

Parson stutzte. »Ich dachte, das sei eine gesicherte Information, ich meine, der Sturz von der Brücke. Die Verletzungen zumindest würden passen, aber wenn nicht, dann werde ich das auch genauer in Augenschein nehmen. Möglich ist auch, dass er bei dem Aufprall auf dem Wasser bewusstlos wurde.«

Parson verabschiedete sich, Sito, Enzig und Busch blieben zurück.

»Also kein Springer«, sagte Busch.

Sito stand auf und trat ans Fenster. »So oder so, wir haben einen Toten mit einer langen Geschichte, und wir haben diesen verdammten November. Ich hab immer das Gefühl, dass mit dem Nebel auch mehr Düsternis aufsteigt.«

Er öffnete das Fenster und beugte sich vor. Tief inhalierte er die feuchtkalte Luft, die dem sonnigen Montag gefolgt war. Es roch nach einer Mischung aus Rauch und See, und er erinnerte sich, dass der Begriff »Seerauch« zu einem dieser besonderen Wetterphänomene am Bodensee zählte. Aber ob man ihn auch riechen konnte?

»Hm, eigenartig«, sagte da Enzig, der neben ihn getreten war und nach draußen auf die Auffahrt blickte. »Riecht irgendwie verbrannt.«

Seerauch, kalte Luft auf warmem Wasser. Nein, mit Verbrennung hatte das nichts zu tun. Vielleicht brannte gerade tatsächlich irgendwo im Haus etwas an.

10

Karl Zimmermann ließ seine Finger knacken. Ein Geräusch, mit dem er viele Kollegen zusammenzucken ließ, Paul Sito etwa, das wusste er, aber es geschah inzwischen ganz unbewusst – und viel zu oft. Ein Zeichen, dass er unruhig war. Wer Zeit hat, soll sich eine halbe Stunde am Tag für sich nehmen, wer keine Zeit hat, eine ganze Stunde, so der Spruch, den ein Freund ihm geschrieben hatte vor ein paar Tagen, kurz nachdem sie sich auf ein Bier im Brauhaus in der Altstadt getroffen hatten. Er sähe schlecht aus, hatte der Freund angemerkt.

Kein Wunder, dachte Zimmermann und rieb sich über das Gesicht. Seit Wochen schlief er nur sporadisch, unabhängig von Tages- oder Nachtzeiten. Er ging ins Büro, wenn es Nacht wurde, und ging nach Hause, wenn der Parkplatz vor dem Präsidium sich am Morgen gerade zu füllen begann. Seit Wochen missachtete er die Grundregel – sich nicht zu lange in entsprechenden Foren aufzuhalten. Seine Finger zuckten wieder, und er ballte wütend die Fäuste, als er es merkte.

Karl Zimmermann arbeitete seit einigen Jahren für die Polizei Konstanz in der Abteilung für Cybercrime und digitale Spuren, davor war er selbst Hacker gewesen. Er glaubte zwar, nicht so wirklich verbrecherisch tätig gewesen zu sein, war aber auch weit entfernt von einer weißen Weste. Inzwischen war das anders. Er könnte, wenn er wollte, in jedes System der Welt einsteigen, Angebote kamen immer wieder, wenngleich das natürlich keiner wusste bei der Polizei, aber inzwischen hatte er sich in eine ganz andere Sache verbissen, an welcher er gerade zu scheitern drohte: die Beobachtung, Unterwanderung und im besten Fall Zerschlagung rechter Netzwerke. Nach den Ereignissen im letzten Herbst, als Konstanz einmal kräftig durchgeschüttelt worden war und als Stadt noch immer nicht zu der Unbeschwertheit zurückgefunden hatte, die sie einst zu einem Lieblingsreiseziel im Süden Deutschlands gemacht hatte – the easy way of life am See –, schlief Zimmermann mit einem einzigen Ziel ein und wachte mit demselben auf, nämlich die Übeltäter zu überführen. Doch genau das war das Problem.

Zimmermann hatte sein Team mehr als verdoppelt. Zu seinem Bestandsteam kamen etliche, die er selbst rekrutiert hatte. Man ließ ihm da freie Hand. Die Kollegen Johannes Goffer und Martin Kaiser unterstützten ihn wie angekündigt, hatten aber gar nicht den nötigen Einblick. Der harte Kern um Zimmermann herum führte seit knapp einem Jahr ein Doppelleben, eines in der Realität, eines in der virtuellen Welt. Sie alle hatten sich mehrere Identitäten im Netz zugelegt und versucht, sich Zutritt zu verschiedenen rechtsradikalen Portalen zu verschaffen, etwa dem »Reconquista Germanica«. Dort trieben Trolle ihr Unwesen, organisierten sich in sogenannten Hater-Communitys, um in den sozialen Netzwerken ausgewählte Menschen einzuschüchtern.

Der Hass war gut organisiert und nahm deutlich zu, vor allem jener gegen Frauen in der Öffentlichkeit wie etwa bei den Incel-Gruppierungen. Mordaufrufe, Vergewaltigungsphantasien mit übelstem Vokabular waren an der Tagesordnung und trafen Frauen in der Politik, in den Medien, Frauen mit Migrationshintergrund, die offen Kritik an antiquierten Gesellschaftsbildern oder einem überholten Religionsverständnis äußerten, und Frauen im Allgemeinen, die in der Öffentlichkeit ihre Meinung vertraten und Gehör fanden, eben Frauen, die sich in der nach wie vor männlich dominierten Welt behaupteten. Und das war sie eben nach wie vor: eine männlich dominierte Welt. Das musste man sich immer wieder vor Augen führen, auch wenn man sich so weit davon entfernt glaubte wie Zimmermann während seiner Recherchen. Die Realität war indessen eine andere. Ob man wollte oder nicht, als Mann profitierte man von der Welt, wie sie war, stellte er bitter fest.

Wer außerdem wie Zimmermann und seine Leute Mitglied in einer entsprechenden Organisation werden wollte, musste einen »einwandfreien« Lebenslauf vorweisen und sich als aktives Mitglied behaupten. Es gab Aufnahmebedingungen und Aufnahmerituale, man brauchte einen rechtsradikalen Lebenslauf und musste durch »angemessenes« Verhalten auffallen. Sie spielten für ihre falsche Identität also böser Nazi, Hater, Rassist, Frauenhasser, virtueller Vergewaltiger und gingen gegen ihre Opfer in den sozialen Netzwerken vor, um sich in den regionalen oder überregionalen Bündnissen emporzuarbeiten. Nicht jeder konnte das, nicht jeder hielt das lange durch, daher gab es strenge Regeln, wie weit man gehen durfte, wann es zu viel wurde.

Er traf sich seit geraumer Zeit mit Heinrich Wint, der sich in diese Thematik einarbeiten wollte. Zimmermann spürte, dass auch Wint sich zunehmend radikalisierte. Es war schlicht die Hilflosigkeit angesichts dieser im Verborgenen wachsenden Gewalt – die man weder verstand noch kontrollieren konnte. Die Zeit des Dialogs, die Zeit der Vernunft waren eindeutig zu Ende. Mit der Einbindung Sitos hatte Wint nun also auch einen offizielleren Weg gewählt. Weshalb?

Zimmermann stand auf und drückte auf den Knopf seiner schwarzen Saeco, Kaffee, immer frisch, das war schon etwas wert. Aber laut war sie, erst beim Mahlvorgang, dann beim Brühvorgang. Während er wartete, schüttete er sich Cola aus einer großen Flasche in ein Glas und leerte es auf einen Zug. Es schmeckte nicht, aber es gab ihm das Gefühl, wach zu sein. Er hatte sich an diesem Tag an einem Hassmob gegen eine Frau beteiligt, er hatte gespürt, wie die Gegenwehr schwand, wie die Angst in ihrem Opfer wuchs. Und am liebsten wäre er in die virtuelle Welt gestiegen und hätte die anderen Jungs einfach am Kragen gepackt, um ihnen links und rechts eine Ohrfeige zu verpassen, dass ihnen buchstäblich Hören und Sehen verging. Er ballte die Faust, starrte auf die Lichter auf der Maschine und drückte den passenden Knopf für eine doppelte Tasse Kaffee.

Das Schlimmste aber war, dass er allmählich Sorge hatte, schizophren zu werden, die Rollen, sie vermischten sich, trieben ihn zu Gewaltphantasien, zwar nicht gegen die ausgewiesenen Opfer, dafür in immer radikalerem Maße gegen die Täter.

Er widerstand dem Impuls, seine Finger abermals knacken zu lassen, griff stattdessen nach seiner Lieblingstasse, schwarz und groß wie die Nacht. Schmeichelnd breitete sich das Aroma des frischen Kaffees von seiner Tasse nach oben aus, aber auch das konnte die Sorge nicht vertreiben. Sie machte ihn ganz verrückt, und sie betraf nicht nur ihn selbst, sie galt auch seinem kompletten Team. Die Ohnmacht ließ sie Sachen denken, die sie noch vor einigen Monaten nicht für möglich gehalten hätten.

Und allmählich gesellte sich zu dieser Sorge noch ein weiteres Problem: diese Welt hinter der Welt, dieses Spiel mit doppeltem, nein, dreifachem Boden, wo jeder jeden beobachtete, ohne zu wissen, wer ihm da gegenüberstand. Er hatte es nicht einmal Sito erzählt, doch neben seinem offiziellen Team bei der Polizei hatte Zimmermann auch eine Handvoll eigene Leute eingeschleust, fünf Menschen, die er aus ganz unterschiedlichen Gründen hatte akquirieren können. Zimmermann schluckte gegen das schwere Gefühl im Magen an, er hatte den Überblick verloren, über sich und über jene feinen Grenzen zwischen der virtuellen und der realen Welt.

11

Die Einfahrt schlängelte sich unter hübschen Birken dahin, die Sonne leuchtete durch die Blätter, in denen der Herbst sein Gesicht zeigte. Sie liebte Birken schon immer und wollte es gern als gutes Zeichen sehen, als Omen, hier am richtigen Ort angekommen zu sein. Sie spürte, dass ihr Mann ihr zuzwinkerte, und fühlte eine Welle des Glücks in sich. Wir machen das Richtige, sagte eine Stimme in ihr. Die Kinder lachten auf der Rückbank und zeigten auf die Weide, wo Kühe grasten. Pferde sollte es auch geben, so viel Idylle tat direkt weh.

Der Hof zeigte sich bei diesem goldenen Licht in einer bestechenden Ordentlichkeit. Links und rechts von der Einfahrt standen große Blumentöpfe mit Rosenbüschen und Lavendel. Ein Schild am Torbogen verwies auf heimischen Honig und die Eier, die man kaufen konnte. Natur pur und ein Leben im Einklang mit den Mitmenschen und der Natur, ein Ausstieg, wenn auch nur ein kleiner, irgendwo hinter Litzelstetten.

»So schön«, seufzte sie.

Sie fuhren auf den Hof und hielten an, als ein Hund auf das Auto zugestürmt kam. Er bellte. Als ein Pfiff ertönte, bremste er mitten im Lauf und blieb stehen. Auf ein »Sitz!« setzte er sich und blickte um sich. Zwei Männer kamen aus dem Haus, ein älterer und ein jüngerer. Der ältere winkte, lief zu dem Hund und streichelte ihm über den Kopf.

Sie stiegen aus, die Kinder rannten zu den Hühnern, die frei über den Hof liefen. Sie kamen nicht auf den ersten Pfiff zurück, sondern warteten drei Rufe ab. Innerlich musste Helen grinsen, Jungs eben, dachte sie, keine dressierten Hunde, manchmal einfach mit zu viel Energie im kleinen Körper.

»Guten Tag, herzlich willkommen. Sie möchten sich den Hof ansehen?«