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Jill Shalvis Von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt Die Geologin Haley flüchtet auf die Circle C Ranch, um sich vor einem Verbrecher zu verstecken, der hinter ihrem genialen System her ist, mit dem man Erdbeben auslösen kann. Doch dann trifft sie den blonden Hünen Cam, einen Mann, bei dem sie alles andere vergisst … Dawn Atkins Herzklopfen Ausgerechnet ihr One-Night-Stand Nick Ryder ist zur Stelle, als Miranda gemein bestohlen wird. Der Ex-Polizist hat bald eine heiße Spur und kann größeren Schaden abwenden - aber Mirandas rasendes Herz gerät durch Nick immer mehr in Gefahr … Lori Foster Cops lieben gefährlich Die reiche Emily und Agent Judd haben eins gemeinsam: Sie wollen beide - aus unterschiedlichen Gründen - den Waffenhändler Donner verurteilt sehen. Doch bald verbindet sie etwas ganz anderes: heftiges Verlangen. Und dieses droht, ihre Pläne zu vereiteln …
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Seitenzahl: 608
Jill Shalvis, Dawn Atkins, Lori Foster
TIFFANY EXKLUSIV BAND 72
IMPRESSUM
TIFFANY EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© Neuauflage in der Reihe TIFFANY EXKLUSIVBand 72 - 2019 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
© 1998 by Jill Shalvis Originaltitel: „Hiding Out at the Circle C“ erschienen bei: Silhouette Books, Toronto in der Reihe: INTIMATE MOMENTS Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Louisa Christian © Deutsche Erstausgabe 1999 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe TIFFANY DUO, Band 112
© 2002 by Daphne Atkeson Originaltitel: „Lipstick on His Collar“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Johannes Heitmann © Deutsche Erstausgabe 2003 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe TIFFANY, Band 1039
© 1997 by Lori Foster Originaltitel: „Outrageous“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto in der Reihe: TEMPTATION Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Roswitha Enright © Deutsche Erstausgabe 1998 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe TIFFANY, Band 768
Abbildungen: tankist276 / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 06/2019 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733758813
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, ROMANA, HISTORICAL
Haley musste sich beeilen. Es ging um Leben oder Tod. Sie rannte die Treppe zu der winzigen Wohnung hinauf, die sie gemeinsam mit den anderen Geologen der EVS – einem Unternehmen für Erdbeben- und Vulkanforschung – in Südamerika teilte, und blieb wie angewurzelt stehen.
Die Tür stand offen und war mit Blut befleckt. Zwei regungslose Körper lagen unmittelbar dahinter. Oh nein, Danyella und Frederick, ihre Kollegen. Ihre Freunde.
Haley wurde es ganz elend. Ebenso gut hätte sie jetzt tot sein können. Entsetzt schlug sie die Hand vor den Mund, machte kehrt und hastete die Treppe wieder hinab.
Stechende Schmerzen erinnerten sie daran, dass sie ihre Medizin gegen die Magengeschwüre nicht eingenommen hatte. Doch sie durfte nicht stehen bleiben. Dann würde man sie fassen, und sie bezweifelte, dass sie das Medikament anschließend noch brauchte.
Denk scharf nach, forderte Haley sich auf. Dabei musste sie sich zusammenreißen, um nicht vor Angst und Verzweiflung laut zu schreien. Letzte Woche war ihr die Entdeckung ihres jungen Lebens gelungen. Sie hatte ein Computersystem entwickelt, mit dem man das Geheimnis der Erdbeben- und Vulkanausbrüche entschlüsseln konnte. Aber irgendetwas war schiefgegangen – furchtbar schief. Heute früh hatte sie festgestellt, dass das Bürogebäude der EVS von einer Bombe zerstört worden war. Und jetzt waren auch noch zwei der fünf Kollegen ihres Teams ermordet worden. Falls ihr Verdacht zutraf, würde sie, Haley, zweifellos das nächste Opfer sein. Einer nach dem anderen würde getötet werden, und zwar aus reiner Gier.
Das Ganze war leicht zu durchschauen. Für sie war das neue Computersystem einzigartig, weil es Leben retten konnte. Einem anderen ging es vor allem um das rasche Geld, das sich damit verdienen ließ.
Mit letzter Kraft zwang Haley sich zur Ruhe, hielt ein Taxi an und fuhr zum Flughafen. Ihr blieb nichts anderes übrig, als schnellstens in die Vereinigten Staaten zurückzukehren. Mit dem ersten Flug, den sie bekommen konnte, flog sie nach Los Angeles.
Haley war mit den anderen hervorragenden Geologen nach Südamerika gereist, um die Erdbewegungen zu studieren. Sie war die jüngste ihres Teams gewesen, aber das war nichts Ungewöhnliches. Früher als andere hatte sie ihren Doktor gemacht und war rasch in die Elitegruppe der EVS aufgenommen worden. Ziel der Gesellschaft war es, Erdbeben- und Vulkanausbrüche vorherzusagen, um Menschenleben zu schützen. Sie hatte ihren Beitrag dazu geleistet und ein computergestütztes System entwickelt, das solche Naturereignisse vorab erkannte. Nicht im Traum wäre ihr eingefallen, dass jemand damit Erdbewegungen auslösen könnte. Doch genau das war geschehen. Haley zweifelte keine Sekunde daran. Das gestrige tragische Beben mehrere Hundert Kilometer südlich hatte keine natürliche Ursache gehabt. Menschen waren dabei ums Leben gekommen – mithilfe ihres Systems.
In panischer Angst eilte Haley zu ihrem Abflugsteig. Arbeit war ihr Leben, und sie ließ alles – absolut alles, wofür sie gearbeitet hatte – zurück. Ihr Magen krampfte sich zusammen. Wo waren Bob und Alda, die beiden anderen Geologen? Lebten sie noch? Und ihr Chef Lloyd Branson? War er dem Anschlag entkommen, oder war der nette, unaufdringliche Mann ebenfalls ermordet worden? Ihr Herz schmerzte bei dem Gedanken an ihre einzigen Freunde. Inständig hoffte sie, dass die anderen in diesem Moment ebenfalls auf der Flucht waren.
Irgendwie gelang es ihr, den Flug nach Los Angeles zu überstehen. Sobald sie die Maschine verließ, meldete sich der Pager an ihrer Hüfte und erschreckte sie beinahe zu Tode. Mit zitternden Fingern löste sie das Hightechgerät und entdeckte die beiden Mitteilungen.
Die erste Nachricht erneuerte ihre Panik. Sie stammte von Alda aus Südamerika. „Ich hoffe, du bist schon weg, Haley. Sie machen dich für alles verantwortlich. Flieh außer Landes, falls du es noch nicht getan hast.“
Haley schluckte trocken. Zum Glück war sie nicht als Einzige am Leben geblieben. Bei der zweiten Nachricht taumelte sie zum nächsten Stuhl. Die Mitteilung stammte ebenfalls aus Südamerika, aber von einer ihr unbekannten Nummer.
„Kehren Sie zurück, oder Sie sind die Nächste.“
Und was jetzt? Das staatliche Geologische Institut der Vereinigten Staaten arbeitete ebenfalls an einem Vorhersagesystem. Die dortigen Kollegen hielten sich für die besten der Welt und würden niemals zugeben, dass die EVS schon weiter war. Von ihnen konnte sie keine Unterstützung erwarten.
Haley schaltete den Pager aus und schloss die Augen. Zum Glück konnte das System ohne sie nicht erneut eingesetzt werden. Ohne ihre Aufzeichnungen und Notizen, die bei dem Bombenanschlag vernichtet worden waren, würde sie mindestens ein Jahr benötigen, um ein zweites Gerät zu bauen.
Und jetzt machte man sie für den Anschlag und die Morde verantwortlich. Für dieses Verbrechen würde sie in Südamerika verurteilt werden, falls die USA sie dorthin auslieferten. Es gab nur eine Lösung: Sie musste völlig von der Bildfläche verschwinden.
Plötzlich fühlte sich Haley dreimal so alt wie fünfundzwanzig. Sie hatte nur noch zwanzig Dollar in der Tasche und besaß lediglich die Kleider, die sie am Körper trug. Aber sie lebte. Und darauf kam es an.
Entschlossen blinzelte sie ihre Tränen fort und stand auf.
Cameron Reeves lehnte lässig an der Wand, nachdem die Maschine aus Los Angeles in Colorado Springs gelandet war, und beobachtete seine Schwägerin. Nellie sprach mit einer jungen Frau, drückte ihr die Hand und eilte zu ihm.
„Cam, was machst du denn hier?“ Sie stützte die Hände auf die Hüften. „Wo ist Jason?“
„Ich bin statt seiner gekommen.“
„Weshalb?“, fragte sie besorgt.
„Nun ja …“, begann Cameron und versuchte, seine Schwägerin zu beruhigen. Nellie war im achten Monat schwanger.
Ihre hübschen grünen Augen wurden schmal. „Nein, sag es lieber nicht“, unterbrach sie ihn und hielt eine Hand in die Höhe. „Ich will es gar nicht wissen.“
„Es ist nichts Ernstes, Nellie. Jason ist …“ Cameron zögerte einen Moment. „Er ist vom Scheunendach gefallen.“
„Wie bitte?“
„Keine Sorge, er hat sich nur die Hand verstaucht.“
Sie sahen sich an und lachten plötzlich. Jason war der netteste, ungeschickteste Mann, den man sich vorstellen konnte. Sie liebten ihn beide.
„Und weshalb ist Zach nicht gekommen?“
Cameron lächelte breit. Sein anderer Bruder war fest entschlossen, sich so weit wie möglich von Jason und Nellie fernzuhalten. „Er fürchtet, deine Gewichtszunahme könnte ansteckend sein.“ Liebevoll streichelte er ihren Bauch.
„Armer Jason. Er hat wirklich nur eine Verstauchung, ja?“ Nellie trat vor und umarmte ihren Schwager. Ihr Bauch berührte ihn zuerst, und Cameron schwankte ein wenig, bevor er das Gleichgewicht wiederfand.
„War es schön bei deiner Mutter?“ Er zog Nellie an seine Seite und wollte sie in Richtung Ausgang führen.
„Warte mal.“ Sie warf ihm einen unergründlichen Blick zu. „Vielleicht ist es ganz gut, dass Jason nicht hier ist.“ Sie blickte über die Schulter und sah ihn wieder an. „Wir suchen doch immer noch eine Haushälterin, nicht wahr?“
Die „Circle C Ranch“ war zu groß, um klein genannt zu werden, und zu klein, um als groß zu gelten. Obwohl die Brüder gern Rancher waren, wuchs ihnen die Arbeit über den Kopf. Ihre letzte Haushälterin war vor beinahe sechs Monaten gegangen. Seitdem trieb Nellie die Männer mit ihren armseligen Kochkenntnissen langsam zur Verzweiflung. Außerdem war das Haus viel zu geräumig, um ohne eine weitere Hilfe in Ordnung gehalten zu werden.
„Sag bloß, du hast Kochunterricht genommen“, sagte Cam vorsichtig.
„Nein, viel besser.“ Sie machte sich los und nahm seine Hand. „Ich habe eine Haushälterin eingestellt. Ich weiß zwar nicht, wie lange sie bleiben wird, aber …“
„Wo? Auf dem Flug von Los Angeles?“
„Ich habe sie auf dem Flughafen kennengelernt. Meine Maschine hatte Verspätung, und die Leute drängelten furchtbar. Diese Frau war die Einzige, die mir mit dem Gepäck half.“ Ihre Miene wurde besorgt. „Du hättest sie sehen sollen. Sie ist nicht älter als ich und hat furchtbare Angst. Mir scheint, sie ist vor irgendjemand auf der Flucht. Ich …“
„Du musstest unbedingt etwas tun.“
„Ja.“
Cam verstand seine Schwägerin. Nellie und er litten nach Ansicht der restlichen Familie unter einem „Helfersyndrom.“ Er ließ den Blick über die Passagiere schweifen und entdeckte die junge Frau sofort. Sie stand etwas abseits, rührte sich nicht und hielt den Kopf stolz in die Höhe. Sie sah ihn fest an, und ihm war, als träfe ihn ein elektrischer Schlag.
Die Frau hatte leuchtend blaue Augen. Selbst aus der Entfernung entdeckte Cam darin eine Tiefe, die er noch nie erlebt hatte. Zum ersten Mal seit Langem rührte sich etwas in seinem Innern, für das er keine Bezeichnung fand. Er schluckte trocken.
„Ist sie allein?“, fragte er leise.
„Ganz allein. Sie heißt Haley. Ich weiß nur, dass sie gerade aus Südamerika gekommen ist.“
Ihm sollte es egal sein, solange die junge Frau kochen konnte und den Haushalt in Ordnung hielt. Leider würden Zach und Jason sich mit dieser Angabe nicht zufriedengeben.
„Sie ist sehr nett“, fuhr Nellie fort. „Wir waren uns auf Anhieb sympathisch.“
Das sagte eine Menge, wenn man ihr derzeitiges Temperament bedachte. Außerdem traute Cameron ihrem Instinkt bedingungslos. „Also gut, meinetwegen“, sagte er, ohne die junge Frau aus den Augen zu lassen.
„Wirklich, Cam?“ Nellie umarmte ihren Schwager spontan. „Manchmal scheint mir, dass ich den falschen Reeves geheiratet habe.“
„Natürlich hast du das“, antwortete er lächelnd.
„Bringst du es Jason bei?“
Lachend wehrte er ab. „Kommt nicht infrage.“
„Bitte!“
Cam konnte den Blick nicht von der jungen Frau wenden. „Versprichst du dafür, dass du nie wieder für uns kochen wirst?“
„Ich verspreche es.“
Mehr konnte er nicht verlangen. „Okay, ich werde mit Jason reden.“
„Und mit Zach“, fügte sie hinzu und zog ihren Schwager mit.
„Hallo.“ Cameron lächelte freundlich und hoffte, dass es harmlos genug wirkte. Die Frau ist ein bisschen zu dünn, stellte er fest. Normalerweise bevorzugte er Frauen mit langem Haar. Doch die dunkle kinnlange Frisur passte gut zu ihren zarten Zügen. Haley hatte ein blasses klassisches Gesicht und sah ihn an, als wäre er derjenige, der eine Stellung suchte. „Ich hörte, Sie brauchen einen Job“, sagte er.
Sie nickte gnädig, und er lächelte erneut. „Sie leben auf einer Ranch?“, fragte sie und runzelte unmerklich die Stirn.
„Ziemlich weit entfernt von Colorado Springs“, gab er zu und spürte ihr Unbehagen. Langsam verzog er die Lippen zu einem Lächeln, das besagte, dass er keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. „Die ‚Circle C‘ liegt in nordwestlicher Richtung am Fuß der Berge. Ungefähr eine Stunde von hier.“
„Ist es dort sehr einsam?“
„So einsam, dass Nellie mit sich selber reden muss, wenn sie Gesellschaft haben will.“
Seine Schwägerin verdrehte die Augen. „Es gibt einige kleine Dörfer auf dem Weg dorthin. Aber keine große Stadt.“
„Das ist gut.“ Haley straffte ihre Schultern. „Ja, Mr. Reeves, ich brauche einen Job.“
Cam hatte keine Ahnung, was er mit dieser hochnäsigen Haushälterin anfangen sollte, außer sie ständig anzusehen. „Mein Name ist Cameron. Cam, falls es Ihnen recht ist. So nennen mich alle Freunde.“
„Danke.“ Sie nickte hoheitsvoll, obwohl sie einen guten Kopf kleiner war als er. „Und ich bin Haley W-Williams.“
Er mochte ihre dunkle, leicht heisere Stimme sofort. Es klang, als wäre sie gerade erst aufgewacht. Solch eine Stimme konnte einem Mann gefährlich werden. Sonst erinnerte allerdings nichts an dieser Frau an Sex. Die Erschöpfung und die Angst waren ihren Augen deutlich anzusehen. Sie presste die Handtasche fest an sich, und ihm fiel auf, dass sie für den Herbst in den Rocky Mountains nicht richtig gekleidet war. Die dünne Bluse und die eng anliegende lange Baumwollhose würden sie draußen nicht schützen.
Außerdem: Seit wann trugen obdachlose Haushälterinnen Kleider, die aussahen, als stammten sie von der Fifth Avenue?
„Holen wir unser Gepäck“, schlug Nellie vor.
„Ich habe keines“, antwortete Haley ruhig.
Cam bemerkte die plötzliche Härte in ihren Augen und wurde immer neugieriger. „Nun“, meinte er und warf seiner Schwägerin einen scharfen Blick zu, die eine mitleidige Bemerkung machen wollte. „Dann holen wir eben nur Nellies Sachen. Ladys?“ Er reichte den beiden Damen den Arm und lächelte innerlich, als Haley ihn verweigerte.
„Einen Moment noch“, sagte sie, während sie kurz darauf mit Nellies Koffer zum Ausgang gingen. „Dieser Job … Enthält er auch Unterkunft und Verpflegung?“
Er enthält alles, was Sie brauchen, dachte Cam. „Ja“, antwortete er nur.
„Bekomme ich ein eigenes Zimmer?“
Haley brauchte eine Bleibe, das war unübersehbar. Außerdem einige Kleider und sonstige persönliche Dinge. Aber zuerst musste er ihr Misstrauen darüber beseitigen, welche „Pflichten“ sonst noch von ihr erwartet werden könnten. „Selbstverständlich. Unsere Ranch ist ziemlich groß. Außerdem haben wir ein Gästehaus, in dem Sie wohnen können, wenn Sie möchten. Da Sie für uns kochen werden, sollten Sie auch unsere Mahlzeiten teilen. Über ein angemessenes Gehalt werden wir uns sicher einigen.“
So zerbrechlich und zart Haley war – sie wurde richtig hübsch, wenn der Stolz und der Zorn die Röte in ihre blassen Wangen trieben. „Damit das völlig klar ist: Ich werde ausschließlich für Sie kochen und putzen.“ Trotzig schob sie das Kinn vor.
Ihre Hochnäsigkeit brachte Cams Blut ins Wallen. Er mochte temperamentvolle Frauen, war aber nicht gern der Grund für deren Wutausbrüche. Eine Ausnahme bildete nur Nellie, weil es solchen Spaß machte, sie zu reizen. Und weil er nicht mit ihr zu schlafen brauchte. Das war Jasons Sache. „Etwas anderes erwarte ich nicht von Ihnen.“
Sie sah ihn aufmerksam an und überlegte, wie aufrichtig seine Worte waren.
Nellie lächelte ihr aufmunternd zu. „Niemand wird Sie belästigen, Haley. Bei uns sind Sie sicher.“
Haley wandte sich ab und dachte einen Moment nach. Dieser Job war ihre einzige Chance. Bis L. A. konnte man ihre Spur verfolgen, das war ihr klar. Von dort konnte sie überallhin geflogen sein. Solange sie ihre Kreditkarten nicht benutzte, hatte ihr Verfolger keine Möglichkeit, ihren Aufenthaltsort zu ermitteln.
„Können wir?“, fragte Nellie.
Es schien beinahe zu einfach zu sein. Haleys Misstrauen wuchs. „Einfach so? Sie wollen mich ohne Weiteres in Ihr Haus aufnehmen?“
Cameron wechselte einen unergründlichen Blick mit Nellie und sah sie wieder an. „Ja.“
Trotz seines unbekümmerten Verhaltens war der Mann nicht harmlos. Haley brauchte keinen Seismografen, um sein sinnliches Lächeln richtig zu deuten. „Sie verlangen keine Referenzen von mir und wollen nicht einmal wissen, ob ich wirklich kochen kann?“, fragte sie und witterte eine Falle.
Cam lächelte breit. „Solange Sie das Wasser nicht anbrennen lassen, kochen Sie in jedem Fall besser als unsere Nellie. Wir werden Ihnen unendlich dankbar dafür sein. Das können Sie mir glauben.“ Er lachte leise, denn Nellie stieß ihm den Ellbogen in den Bauch.
„Und wenn ich eine Massenmörderin wäre?“, fragte Haley herausfordernd.
„Sind Sie eine?“, erwiderte er und schob die Daumen in die Gürtelschlaufen. Sehr besorgt schien er nicht zu sein.
„Nein, das bin ich nicht.“ Haley erschauderte unwillkürlich bei dem Gedanken an das blutige Bild in ihrem Apartment. Würde sie es je vergessen können? Sie bezweifelte es. Aber jetzt ging es erst einmal ums Überleben.
Cameron sah sie an. Obwohl er keine Ahnung hatte, was in ihr vorging, erkannte sie das Mitgefühl in seinen Augen.
„Solange Sie nicht von der Polizei gesucht werden, sehe ich kein Problem“, meinte er leichthin.
Nun, sie wurde gesucht. Aber das brauchten diese netten Leute nicht zu wissen. „Dann vertrauen Sie blindlings dem Urteil Ihrer Frau?“
Cameron lachte laut, und sie wich instinktiv zurück. Nellie kam ihr zu Hilfe. „Cam ist mein Schwager, Haley. Mein Mann konnte nicht kommen, weil er … Er ist vom Dach gefallen. Wir leben gemeinsam mit meinem Schwager Zach auf der Ranch und brauchen dringend eine Haushälterin. Das habe ich Ihnen doch erzählt.“
Hatte sie eine andere Wahl? Sie konnte sich nicht an die Polizei wenden, solange sie als Hauptverdächtige für das Bombenattentat galt. Sie brauchte ein Versteck, an dem sie sicher war, bis sie wusste, wie sie weitermachen sollte, ohne umgebracht zu werden. „Weshalb gerade ich?“
„Weil ich Sie mag“, sagte Nellie und drückte ihre Hand.
Die schlichte Geste gab den Ausschlag. Wann hatte ihr jemand so bedingungslos die Freundschaft angeboten?
Nellie hielt ihre Hand noch immer fest. „Und weil ich mit lauter Männern zusammenwohne, die keine Ahnung haben, was es heißt, eine Frau zu sein. Wir waren uns auf Anhieb sympathisch, Haley.“
„Sie kennen mich doch gar nicht.“ Wie konnten diese Menschen so vertrauensselig sein? Wussten sie nicht, in was für einer Welt sie lebten? „Also gut“, stieß sie endlich hervor.
„Sie kommen mit?“ Nellie sah müde aus und rieb ihren Bauch.
„Ja, ich komme mit.“
Nellie umarmte sie herzlich, und Haley bemerkte Cams Blick. Er war warm und freundlich. Weshalb lag diesen Fremden so viel an ihr? Verlegen machte sie sich los und schob die Hände in die Taschen. Es war leicht, nett zu Nellie zu sein, denn sie mochte die junge Frau. Bei Cameron Reeves war die Sache nicht so einfach. Ihn durfte sie auf keinen Fall mögen. Das konnte sie sich nicht leisten.
Kalte Luft strömte durch die offenen Türen herein. Cameron zog seine Jeansjacke aus und hielt sie ihr hin. Er ließ sich auch nicht beirren, als sie vor ihm zurückwich.
„Nehmen Sie die Jacke“, sagte er unbekümmert. „Sie beißt bestimmt nicht.“
Nein, aber er vielleicht, dachte Haley.
„Draußen ist es kalt“, fügte Nellie hinzu und zog ihren Pullover über den runden Bauch.
In Südamerika war es heiß gewesen. An das Wetter in Colorado hatte Haley nicht gedacht. „Ich komme schon zurecht“, antwortete sie und merkte, dass sie rot wurde, weil die beiden sie erstaunt ansahen.
„Nun nehmen Sie die Jacke schon“, sagte Cam. „Sonst macht meine Schwägerin Ihnen die Hölle heiß.“ Ohne ihre Antwort abzuwarten, legte er das Kleidungsstück um ihre Schultern und wartete, bis sie die Arme hineingeschoben hatte. Sie spürte die wohlige Wärme und rocht den fremden, aber himmlischen Duft.
Sie hatten die Straße zum Parkplatz beinahe überquert. Plötzlich schoss ein Taxi mit quietschenden Reifen auf sie zu. Haley blieb wie angewurzelt stehen und hatte nur einen Gedanken: Sie haben mich gefunden und werden zwei unschuldige Menschen töten, um mich in die Finger zu bekommen!
Cam schimpfte laut, als der Wagen im Bogen um sie herumraste und sie mit Kies bewarf. Er schob Nellies Haar zurück und betrachtete seine Schwägerin aufmerksam. „Alles in Ordnung, Nel?“
„Dieser Idiot!“ Nellie schüttelte den Kopf. „Er wird noch jemanden umbringen.“
Haley rührte sich nicht und zitterte am ganzen Körper.
„Haley?“ Cam legte die Hände auf ihre Schultern.
Sie zuckte zusammen, und ihr Herz raste wie wild. „Es war nur ein Taxi“, sagte sie benommen.
„Ja“, stimmte er ihr leise zu und schob seine warme Hand in ihren Nacken.
Verzweifelt riss sie sich zusammen und stotterte: „Nur ein verdammter Taxifahrer, der es eilig hatte.“
„Richtig“, antwortete er besänftigend. „Nur ein Fahrer, der ein paar Dollar verdienen wollte. Er ist längst weg und kann Ihnen nichts mehr tun.“
Cam war so nett, dass sie beinahe die Fassung verlor. Energisch schob sie seine Hand fort. „Ich bin völlig in Ordnung.“
Er verzog die Lippen, als gefiele ihm ihre Schroffheit.
„Kommen Sie“, sagte Nellie. „Wir stehen mitten auf der Straße.“
Haley ließ sich willenlos mitziehen. Doch sie war nicht so betäubt, dass ihr der besorgte Blick zwischen Schwager und Schwägerin entging.
Ein braun-weißer Welpe mit riesigen Ohren sprang an der Seitenscheibe des Transporters in die Höhe und bellte freudig.
„Das ist Max“, erklärte Cameron und schob den Hund sanft ins Innere zurück. „He, Kleiner, beruhige dich.“ Er beugte sich zu dem kleinen Hund und kraulte ihn liebevoll hinter den Ohren.
Nellie liebkoste den Welpen ebenfalls und ließ sich ekstatisch von ihm küssen. Erschöpft kletterte sie auf die Rückbank. „Ich werde ein bisschen schlafen“, verkündete sie gähnend. „Tragt mich einfach ins Haus, wenn wir da sind.“
Haley blieb erschrocken stehen und betrachtete den lebhaften Max misstrauisch.
„Keine Sorge, er beißt bestimmt nicht“, versicherte Cam.
„Was für eine Rasse ist das?“
„Eine reinrassige Promenadenmischung.“ Er lächelte freundlich. „Halten Sie ihm einfach die Finger hin, damit er daran schnuppern kann.“
Haley überwand ihre Angst und streckte vorsichtig die Hand aus. Der kleine Kerl wedelte erwartungsvoll mit dem Schwanz und sah sie mit seinen großen Augen an. Es waren die freundlichsten Hundeaugen, die sie jemals gesehen hatte, und ihre Miene wurde weich. „Hallo, Kleiner“, sagte sie leise und zuckte zusammen, sobald sie seine warme Zunge an ihren Fingern spürte.
Cam hielt ihr die Tür auf, und sie setzte sich auf den Beifahrersitz. Max sprang nach hinten und legte sich auf Nellies Bauch.
„He, such dir einen anderen Platz“, murmelte Nellie, ohne den Welpen beiseitezuschieben.
Cameron startete den Motor und beschleunigte den Wagen. Sie ließen die Stadt mit ihren Lichtern hinter sich und fuhren eine schmale Straße entlang zu den schwarzen Bergen, die sich in der Ferne abzeichneten. Nervös wartete Haley darauf, dass Cam sie mit Fragen überschütten würde. Sie war an einem fremden Ort, saß im Fahrzeug eines Fremden und war auf dem Weg zu einer unbekannten Ranch mitten in der Wildnis. Einen Moment befiel sie die Panik. Sie musste den Verstand verloren haben.
Nein, ich bin nicht verrückt, sondern verzweifelt, dachte Haley. Auf der Ranch kannte niemand ihre Vergangenheit oder ihren Beruf. Für eine Weile würde sie einfach Haley Williams sein. Dieser Gedanke war eine ungeheure Erleichterung.
Weshalb stellte Cam ihr keine Fragen? Endlich hielt sie es nicht mehr aus. „Na, los. Bringen wir es hinter uns. Fragen Sie mich“, forderte sie ihn auf.
Cam nahm den Blick nicht von der Straße, doch seine Mundwinkel zuckten. „Und was sollte ich Sie Ihrer Meinung nach fragen?“
„Oh, eine ganze Menge.“ Sie sah ihn an. „Zum Beispiel, woher ich komme. Womit ich meinen Lebensunterhalt bisher verdient habe.“
Er schwieg eine ganze Weile. „Möchten Sie wirklich, dass ich Sie das frage?“
„Nein.“ Seufzend wandte sie sich ab und versuchte, nicht daran zu denken, wie warm seine Jacke war und wie herrlich sie duftete.
„Weshalb sollte mir Ihr Beruf wichtig sein, solange Sie kochen können und das Haus in Ordnung halte?“, fragte er neugierig.
„Weil Sie mich eingestellt haben. Es sollte Sie interessieren, was ich vorher getan habe.“
Er sah sie an, und sie stellte zum ersten Mal fest, wie dunkel und sanft seine braunen Augen blickten. „Und wenn ich Ihnen einfach vertraue?“
Haley dachte an das Computersystem, das sie entwickelt hatte. Damit konnte man Menschen nicht nur retten, sondern auch töten. „Sie sollten vorsichtiger mit Ihrem Vertrauen umgehen, Mr. Reeves“, antwortete sie leise. „Sonst könnte man Ihnen sehr weh tun.“
Etwas blitzte in seinen Augen auf und verschwand sofort wieder. „Mir nicht.“
Nein, weil es schon geschehen ist, erkannte Haley plötzlich. Irgendwann war Cameron ein tiefer Schmerz zugefügt worden. Doch so unbekümmert er wirkte, mehr würde er ihr nicht erzählen. „Sie wissen nicht einmal, ob ich kochen kann.“
„Dieses Risiko gehe ich ein.“
Sie murmelte etwas über die Trägheit der Männer im Mittleren Westen. Zum Glück nahm er ihr die Bemerkung nicht übel, sondern wirkte eher belustigt.
„Nanu, das klingt ja, als wäre Ihnen mein Schicksal nicht gleichgültig“, meinte er breit.
„Natürlich ist es das nicht. Schließlich zahlen Sie mein Gehalt!“
Lachend schüttelte er den Kopf und fuhr weiter durch die dunkle Nacht.
Cam legte die Hände hinter den Kopf und starrte an die Decke. Es war lange her, dass er Schwierigkeiten beim Einschlafen gehabt hatte. Aber es war spät, und er lag immer noch hellwach da.
Jason und Zach waren sofort mit Haley einverstanden gewesen. Die junge Frau hatte die beiden mühelos um den Finger gewickelt. Interessant war allerdings, dass sie ihren Charme nicht auch an ihm erprobte. Im Gegenteil. Haley setzte alles daran, dass er sie möglichst nicht zur Kenntnis nahm.
Natürlich hätte er sie nicht einstellen dürfen, ohne sich davon zu überzeugen, ob sie für die Arbeit geeignet war. Kräftige Mahlzeiten für ihn und seine Brüder zu kochen war eine echte Herausforderung. Auch das große Haus in Ordnung zu halten. Aber etwas an der argwöhnischen verletzlichen Haley Williams hatte sein weiches Herz gerührt. Mit der Frau in ihr hatte das nichts zu tun. Absolut nichts.
Oh, er mochte die Frauen – alle möglichen Typen. Aber er wollte keine ernsthafte Beziehung eingehen. Einmal hatte er sich gebunden. Das genügte.
Es gab noch mehr auf der Welt als Schmerz, Stress und harte Arbeit. Viel mehr. Leben und leben lassen, lautete seine Devise. Deshalb baute er jetzt Möbel, anstatt als Börsenmakler in Denver zu versauern. Und deshalb ließ er seine Brüder die Ranch führen, die eigentlich ihm gehörte. Manche Leute verurteilten diesen Müßiggang bei einem Mann, der gerade erst zweiunddreißig war. Cam dachte anders darüber. Er hatte seine Lektion auf die harte Art gelernt und wusste, wie kostbar das Leben sein konnte. Daher war er entschlossen, das Beste daraus zu machen.
Und das hieß: Er würde Haley soweit wie möglich helfen und ihr hoffentlich ausgezeichnetes Essen genießen.
Sonst nichts.
Allerdings konnte er den Argwohn in ihren Augen nicht vergessen, auch nicht ihre Panik bei dem Zwischenfall mit dem Taxifahrer. Die junge Frau hatte furchtbare Angst, und er musste herausfinden, weshalb.
Natürlich nur, um seine Familie zu schützen. Auf keinen Fall würde er sich persönlich mit Haley einlassen.
Haley lag in ihrem Bett in dem hübschen Gästehaus und konnte trotz ihrer Erschöpfung nicht einschlafen. Max hatte sich als warmes kleines Fellbündel zu ihren Füßen zusammengerollt. Er hatte unbedingt mitkommen wollen, obwohl sie ihn nicht dazu ermutigt hatte. Nellie hatte erzählt, sie hätte den Welpen in einem erbärmlichen Zustand auf der Straße gefunden. Das Tier fühlte sich immer noch nicht recht wohl in Gegenwart von Männern und schlief nicht gern allein.
Nun, dann sind wir schon zwei, dachte Haley. Sie fühlte sich ebenfalls nicht wohl in Gegenwart von Männern. Vor allem nicht, weil sie sehr wenig Erfahrung mit dem anderen Geschlecht besaß.
Vorsichtig hob sie den Kopf und betrachtete den schlafenden Welpen. Der kleine Kerl schien tatsächlich harmlos zu sein. Er war sogar richtig niedlich.
Ihr Magengeschwür brannte wie Feuer. Sie drückte ein Kissen auf den Bauch, rollte sich auf die Seite und blickte aus dem Fenster.
Colorado war die schönste Gegend, die sie jemals gesehen hatte. Und sie kannte eine Menge von der Welt. Die sanften Hügel, die hohen rauschenden Espen, der weite schwarze Himmel und die Einsamkeit gefielen ihr ungemein. Wunderbarerweise schien schon der Anblick ihre Magenschmerzen zu lindern.
Seufzend schloss sie die Augen und riss sie erschrocken wieder auf, denn die grausamen Erinnerungen quälten sie erneut.
„Es ist nichts passiert“, ermahnte sie sich, bis ihr Atem ruhiger wurde und ihr Herz nicht mehr so stark hämmerte.
„Ich lebe noch.“
Aber Dani und Frederick waren tot. Und sie hatte keine Ahnung, was mit dem armen Lloyd Branson geschehen war, ihrem netten Chef. Oder mit Bob. Alda schien unverletzt zu sein. Aber war sie in Sicherheit?
Haley erstarrte innerlich. Konnte einer der Kollegen für den Bombenanschlag verantwortlich sein? Nein, das war nicht möglich. Von ihnen war niemand eines Verrats fähig.
Aber wer hätte sonst wissen sollen, wie man das wertvolle System verwendete?
Haley setzte sich auf und warf ihr Kissen durch das kleine Zimmer. Max hob erschrocken den Kopf und winselte leise.
„Es ist alles in Ordnung“, beruhigte sie ihn und bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie den Kleinen verängstigt hatte. Vorsichtig streichelte sie sein Fell und lachte leise, weil er sich vor Freude zusammenrollte.
Wie verlockend das Leben plötzlich war.
Hier auf dieser Ranch wollte man nicht nur ihren Verstand. Sie durfte ein richtiger Mensch sein mit richtigen Gefühlen. Die Leute im Haupthaus waren wirklich sehr nett. Sie mochte Nellies Ehemann Jason, der sich sehr um seine Frau bemühte. Zach schien etwas ruhig und zurückhaltend zu sein, lächelte aber beinahe genauso hinreißend wie … Haley erstarrte bei dem Gedanken an den dritten Bruder.
Cameron Reeves.
Sie konnte seine Fehler mühelos aufzählen: Er war außerordentlich charmant – ein Fehler, weil sie Charme nicht traute –, sah erheblich besser aus, als gut für ihn war, hatte unwahrscheinlich sinnliche Augen – was nicht unbedingt ein Fehler sein musste – und ein Herz wie Gold. Letzteres betrachtete sie nur als Fehler, weil es eine Frau verletzlich machte.
Allerdings besaß der Mann noch eine andere gefährliche Seite, die sie nicht recht durchschaute. Sie wurde den Verdacht nicht los, dass er nicht immer sanft und nett war. Seine Gefühle gingen viel tiefer. Und diese raue, sinnliche Facette machte ihr Angst.
Zu ihrer Überraschung schlief Haley fest ein und wachte erst wieder auf, als es leise an ihrer Tür klopfte. Im nächsten Augenblick war sie hellwach und sah, dass die Sonne durch das Fenster hereinschien.
Oh nein. Sie hatte an ihrem ersten Arbeitstag verschlafen!
Schuldbewusst sprang sie aus dem Bett und eilte gemeinsam mit Max zur Tür. „Wer ist da?“, rief sie und strich nervös mit den Fingern durch ihr kurzes Haar. Sie trug nur ein Hemd und einen Slip.
„Ich bin es, Nellie.“
Max bellte fröhlich, sobald er die vertraute Stimme hörte.
„Ich wollte Ihnen …“ Nellie seufzte leise. „Ich möchte Ihre Gefühle nicht verletzen, aber ich dachte … Würden Sie bitte die Tür öffnen?“
Haley legte die leichte Steppdecke um ihre Schultern und drückte die Klinke nieder. „Es tut mir unendlich leid, dass ich …“
Nellie hielt einen Stapel Kleider in den Armen. „Ich wollte Ihnen dies hier bringen.“ Sie hielt inne und blickte zu dem Welpen hinab, der immer noch glücklich bellte. „Bitte, Max, halt einen Moment den Mund.“
Haley zog die Steppdecke enger um sich und wurde furchtbar verlegen. „Vielen Dank, aber ich brauche nichts.“
„Ich möchte Sie wirklich nicht kränken“, fuhr Nellie fort. „Lass das, Max!“, warnte sie den jaulenden Welpen.
„Ich will Ihre Sachen nicht.“ Es war schwierig, die Würde zu bewahren, wenn man nur mit einer geliehenen Steppdecke bekleidet war. Aber Haley musste es versuchen. „Bitte, haben Sie Verständnis dafür. Ich bin es nicht gewöhnt, dass man mir …“
Nellie legte die Kleider auf die Couch und reckte sich seufzend. „Ich kann im Moment sowieso nur Schwangerschaftskleidung tragen. Deshalb können Sie die Sachen ruhig annehmen. Ich möchte nicht aufdringlich sein, Haley. Aber ich sehne mich nach einer Freundin. Ich liebe meinen Mann und seine Brüder. Manchmal bin ich jedoch sehr einsam.“
Das konnte Haley gut verstehen. Sie hatte monatelang auf engstem Raum mit einem Team aus fünf Wissenschaftlern gelebt und war viel jünger gewesen als die anderen. Deshalb waren sie nur oberflächliche Bekannte geblieben. Sie erinnerte sich nicht einmal, wann sie zuletzt eine richtige Freundin gehabt hatte.
Plötzlich sehnte sie sich ebenfalls danach.
„Bitte, nehmen Sie meine Kleider“, bat Nellie leise und hob den aufgeregten Welpen hoch. „Ich biete Sie Ihnen aus reiner Freundschaft an und bestimmt nicht aus Mitleid.“
„Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, antwortete Haley tief gerührt und war den Tränen nahe. „Danke“, fügte sie hinzu und lachte wider Willen. „Sie bewahren mich davor, das Frühstück in Unterwäsche bereiten zu müssen.“
„Dieser Anblick hätte den Männern zur Abwechslung gewiss die Sprache verschlagen“, meinte Nellie vergnügt, und ihre Nervosität legte sich allmählich. „Bitte, lass uns du sagen. Ich freue mich so sehr, dass du hier bist. Und ich bin froh, dass ich dich nicht beleidigt habe.“
Haley betrachtete Nellies wohlgeformte Hüften und ihre vollen Brüste. „Einverstanden. Beleidigend ist höchstens, dass ich die Sachen längst nicht so gut ausfüllen kann wie du.“
„Dafür kannst du wenigstens deine Füße sehen.“ Nellie strich unsicher mit den Händen über ihre Jeans. „Haley?“
„Ja?“
„Du kannst doch kochen?“
Haley lächelte belustigt. „Diese Frage kommt ein bisschen spät.“
Nellie lächelte zurück. „Ehrlich gesagt, mir persönlich ist es völlig egal. Ich möchte auf jeden Fall, dass du bleibst. Aber die Männer werden in etwa zwanzig Minuten herunterkommen.“
„Ich lasse sie bestimmt nicht verhungern“, versprach Haley. Zum ersten Mal hatte sie eine echte Freundin. Diese Chance wollte sie nicht verderben.
Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass sie keine Ahnung vom Kochen hatte. Seit frühester Kindheit war sie auf Schulen für Hochbegabte gegangen, hatte anschließend an der Universität studiert und mehrere Examen abgelegt und war vor vier Jahren mit einundzwanzig nach Südamerika gezogen, um die Erdbewegungen zu untersuchen.
Mehr als fünf Minuten hatte sie nie in einer Küche verbracht. Doch sie war sicher, dass sie zurechtkommen würde. Schließlich brauchte man auch dafür nur eine bestimmte Technik.
Trotzdem hoffte sie, dass sich ein Kochbuch in der Küche fand.
Wenig später stand Haley in Jeans und einem Pullover in der Küche des Haupthauses. Beide Kleidungsstücke waren an gewissen Stellen ein bisschen zu weit.
Nellie beobachtete sie erwartungsvoll.
Haley lächelte ihr freundlich zu. „Geh ruhig und erledige, was du zu tun hast. Ich komme schon zurecht.“
„Bist du sicher?“ Nellie war nicht ganz überzeugt und rieb ihr Kreuz. „Lass dir wenigstens am ersten Tag helfen.“
„Ich bin die Haushälterin“, erklärte Haley bestimmt. „Und ich weise dich aus meiner Küche.“ Sie musste unbedingt allein sein, wenn sie sich nicht zum Narren machen wollte.
„In Ordnung“, meinte Nellie breit. „Ich bin bei den Pferden. Die Männer werden gegen sieben Uhr herunterkommen. Du hast also noch etwas Zeit.“ An der Tür blieb sie zögernd stehen. „Bist du sicher, dass du keine Hilfe brauchst? Du kannst es mir ruhig sagen.“
„Ich komme schon zurecht“, wiederholte sie und versuchte, die Ruhe zu bewahren. Die Küche war riesengroß. Trotz der morgendlichen Kühle rann Haley der Schweiß den Rücken hinab. Würde sie es wirklich schaffen?
Entschlossen erforschte Haley die Küche und entdeckte tatsächlich ein Regal mit Kochbüchern. Anschließend machte sie sich mit derselben Hartnäckigkeit an die Arbeit, mit der sie jede neue Tätigkeit in Angriff nahm.
Zwanzig Minuten später fand Cameron sie mit konzentrierter Miene über zwei dampfende Pfannen gebeugt. Hingerissen betrachtete er das hübsche Bild und wunderte sich, wie brav der kluge Welpe zu ihren Füßen saß.
„Runzeln Sie immer beim Kochen die Stirn?“
Haley zuckte erschrocken zusammen und scheuchte ihn entschlossen wieder hinaus. „Gehen Sie“, erklärte sie barsch. „Ich bin noch nicht fertig.“
Cam hätte ihr gern den Gefallen getan, aber das Essen roch zu köstlich. Lächelnd trat er näher und hätte nicht sagen können, ob er seinen Magen befriedigen wollte oder das seltsame Bedürfnis, in ihrer Nähe zu sein. „Ich bin halb verhungert. Was gibt es denn?“
Sie warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich brauche noch ein paar Minuten.“
„Eier?“, fragte er und schaute über ihre Schulter. „Hm. Ist das ein Omelett?“
„Meinen Sie?“, fragte sie hoffnungsvoll.
„Ja, und es sieht fabelhaft aus.“ Er beugte sich näher und streifte ihren Körper. Sie wich sofort beiseite – im Gegensatz zu Max. Der Welpe jaulte laut auf, als Cameron ihm auf den Schwanz trat.
„Ich sagte, Sie sollen hinausgehen“, wiederholte Haley. „Könnt ihr Kerle im Mittleren Westen denn nicht hören?“
Cameron lächelte breit. Die junge Frau gefiel ihm immer mehr. „Wissen Sie, dass mich solches Reden unwahrscheinlich anmacht?“ Er schnupperte anerkennend. „Auch dieser Geruch. Was ist es?“
„Seife. Ich benutze kein Parfüm.“
„Ich meinte das Essen, Darling. Aber Sie duften ebenfalls sehr gut.“ Er schnupperte übertrieben an ihrem Ohr und erntete einen Schlag auf die Brust, bei dem er laut auflachte.
„Sie blöder Kerl!“, rief Haley. Doch ihre Mundwinkel zuckten. Mutig rückte er wieder näher.
„Verschwinden Sie“, warnte sie ihn und schob ihn mit der Schulter zurück, als er sich erneut vorbeugte.
Er gehorchte sofort, denn Haley erstarrte, sobald sie ihn berührte. Ein Anflug von Angst blitzte in ihren blauen Augen auf. Kurz darauf atmete sie erleichtert durch und entspannte sich wieder.
Cameron schob die Hände in die Taschen und betrachtete sie nachdenklich. Haley war keine unbekümmerte junge Frau, die jeden Spaß mitmachte. Zumindest nicht mit Männern. Es würde eine Weile dauern, bis sie sich an seine forsche Neckerei gewöhnt hatte. Aber er war ein geduldiger Mensch.
Außerdem bestand der halbe Spaß aus Warten. Deshalb zwinkerte er Max zu, der die Zunge heraushängen ließ, als wollte er sagen: Ich war zuerst hier, Kumpel. Stell dich hinten an.
„Richtiges Essen!“, rief Jason und betrat die Küche. „Ich wage es kaum zu glauben.“
„Ja, zum Glück“, erklärte Zach, der ihm gefolgt war. Geschickt fing er den Teller auf, den sein Bruder ihm aus dem Schrank zuwarf. „Es riecht wirklich echt.“
Cam beobachtete, wie Haley seine Brüder anlächelte. Wenn das kein unbekümmertes Lächeln war …
„Die Frage ist, was Sie unter richtigem Essen verstehen“, antwortete sie.
Zach trat genauso nahe, wie sein Bruder es zuvor getan hatte, und schnüffelte anerkennend. Vergnügt wartete Cam darauf, dass Haley ihn ebenfalls zurückweisen würde. Doch nichts geschah. Im Gegenteil. Sie trat sogar beiseite, damit er besser sehen konnte.
Na gut. Cameron ließ seinen Bruder nicht aus den Augen. Zach und er glichen sich äußerlich. Sie hatten beide sonnengebleichtes hellbraunes Haar, braune Augen und einen hochgewachsenen schlanken Körper. Aber damit endete die Ähnlichkeit auch. Er hatte nicht erwartet, dass Zachs zurückhaltende Art Haley mehr zusagen würde.
Oder er hatte es nicht gehofft.
Haley lachte über eine Bemerkung, die Jason gemacht hatte. Am liebsten hätte er seinem Bruder eine runtergehauen.
Zach atmete tief ein und nahm eine Gabel. Haley gab ihm eine Portion und versorgte anschließend Jason.
„Ich bin ebenfalls halb verhungert“, verkündete Cam und hielt ihr seinen Teller hin. „Das riecht großartig“, fügte er mit seinem charmantesten Lächeln hinzu.
Haley stemmte die Hände auf die Hüften und sah ihn fest an. „Bedienen Sie sich gefälligst selber.“
Jason lachte, verstummte aber, sobald er Cams mörderische Miene bemerkte. Er duckte den Kopf, schob einen Bissen in den Mund und konnte sein wissendes Lächeln nicht verbergen. „Wir haben Glück gehabt, Bruder“, versicherte er. „Es schmeckt großartig, Haley.“
„Danke“, antwortete sie reizend und warf Cam einen finsteren Blick zu. „Sie stehen mir im Weg.“
Sie ist scharf auf mich, überlegte Cam und häufte seinen Teller voll. Er musste nur noch dafür sorgen, dass sie es zugab.
Das Kochen war ebenso einfach gewesen wie die Befolgung einer chemische Formel. Zumindest bei diesem Rezept. Das Haus zu säubern war dagegen eine echte Herausforderung. Körperlich ist es durchaus befriedigend, stellte Haley fest und trug einen Eimer mit Putzmitteln in die Küche, der aussah, als wäre er eine ganze Weile nicht benutzt worden. Die Gebrauchsanweisung auf dem Reiniger versprach, dass die Fliesen anschließend strahlend glänzen würden.
Und weshalb sind sie jetzt trotzdem nicht sauber? überlegte Haley einige Zeit später. Gar nicht zu reden von dem fehlenden Glanz. Verärgert las sie die Gebrauchsanweisung erneut und begann von vorn.
Wieder klappte es nicht. Haley sank verärgert auf alle viere und schrubbte noch stärker. Auf keinen Fall durfte sie sich die Blöße geben und bei dieser Arbeit versagen. Eine Stunde später bemerkte sie endlich eine leichte Verbesserung. Nicht ohne Grund hatte der Hersteller die Muskelkraft vergessen, die zusätzlich erforderlich war.
Haley richtete sich auf, reckte ihren schmerzenden Rücken und lachte innerlich. Nie im Leben hätte sie sich vorgestellt, dass sie einmal solch eine Tätigkeit verrichten würde. Entschlossen blies sie ihr Haar aus dem Gesicht und putzte weiter. So frei hatte sie sich schon lange nicht mehr gefühlt.
Peng, peng, peng.
Gewehrschüsse! Entsetzt sprang sie auf die Füße, eilte ans Küchenfenster, sah aber nichts. Nellie war nach Colorado Springs gefahren, um ihre Nägel maniküren zu lassen, und die Männer hatten sich an ihre Arbeit gemacht.
Verzweifelt lief Haley ins Wohnzimmer und stolperte über Max, der auf der Schwelle schlief. Wer immer ihr Team und ihre Arbeit vernichtet hatte, er hatte sie gefunden.
Mit pochendem Herzen rannte sie zu dem großen Fenster an der Vorderseite des Hauses und spähte durch die zurückgezogenen Vorhänge nach draußen.
Immer noch nichts.
Atemlos überlegte sie, was sie tun sollte. Das Blut rauschte ihr so stark in den Ohren, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Falls man sie gefunden hatte, musste sie unbedingt dafür sorgen, dass die Familie nicht gefährdet wurde. Zum Glück war Nellie außer Hause. Aber wo waren die Männer?
Max gähnte und sah sie ungerührt an. „Du bist mir vielleicht ein Wachhund“, sagte sie, und er leckte ihre Hand.
Rechts vom Haupthaus entdeckte sie zwei große Scheunen. Ihr Herz blieb beinahe stehen, als Cam aus einer heraustrat, etwas aufhob und wieder verschwand.
Sie musste ihn dringend warnen.
Haley verließ das Haus und blickte sich aufmerksam um. Sie eilte zu der Scheune und war jeden Moment darauf gefasst, dass man sie niederschießen könnte. Cam sah überrascht auf, als sie in die Scheune stürmte. Ohne ihn zu beachten, schloss sie erst einen, dann den anderen Torflügel. Keine leichte Aufgabe angesichts der Tatsache, dass die Flügel doppelt so groß waren wie sie.
„Was …“
„Pst!“, zischte sie über die Schulter und schob mühsam den großen Riegel vor. „Haben Sie eine Waffe?“
„Eine – was?“
„Eine Waffe“, schrie sie beinahe und verriegelte das Schloss.
„Du liebe Güte – nein.“ Cam erschauderte unwillkürlich. „Was soll das Ganze, Haley?“
Sie drehte sich zu ihm und lehnte sich keuchend an das Holz. Ohne das Sonnenlicht war es in der Scheune ziemlich dunkel, und sie wirkte riesengroß. „Gibt es noch eine Hintertür?“
„Ja.“ Er lehnte sich mit der Hüfte an seinen langen Arbeitstisch und beobachtete sie belustigt. „Soll ich sie ebenfalls verschließen?“
„Ja. Beeilen Sie sich!“ Atemlos trat sie näher und suchte die Wände nach Fenstern ab. Der Riegel vor der Tür würde nicht lange halten. Wenn sie eine Werkbank davorstellte … Entschlossen räumte sie die Sachen auf den Boden. „Wo sind Zach und Jason?“
Cam zog eine Braue in die Höhe. „Ausgeritten. Und falls es so etwas wie Gerechtigkeit gibt, werden sie noch eine Weile wegbleiben.“
„Sehr gut“, erklärte Haley erleichtert. Sie wollte nicht der Grund dafür sein, dass noch mehr Menschen ums Leben kamen. Vor allem nicht diese Menschen, die so nett zu ihr waren.
„Wir müssen uns beeilen“, sagte sie und wunderte sich, dass er lachte, sich aber nicht rührte.
„Ich beeile mich sonst nie“, meinte er. „Aber da Sie eine Dame sind, könnte ich es versuchen.“
Jede erfahrene Frau wäre bei dem sinnlichen Ton seiner Stimme gewarnt worden. Aber nicht Haley. „Bin ich froh“, erklärte sie. „Ich muss Ihnen nämlich etwas sagen, und es fällt mir nicht leicht.“
„Ich gestehe, dass es eine Weile her ist, seit – seit meinen Tagen in einer Scheune“, schloss er taktvoll und betrachtete die Werkbank, die sie geräumt hatte. „Hier ist es ziemlich staubig.“
Haley kniff die Augen leicht zusammen und sah Cameron zum ersten Mal richtig an. In seinem Blick lag eine Mischung aus hoffnungsvoller Erwartung und ungläubiger Belustigung. Der Mann war eindeutig sexuell erregt. Entsetzt wurde ihr klar, dass sie nicht von derselben Sache sprachen.
Im nächsten Moment kam ihr eine noch schlimmere Ahnung. „Was ist das?“, fragte sie und deutete auf das Gerät in seiner Hand.
Cameron hielt das Werkzeug in die Höhe. Es hatte verdächtige Ähnlichkeit mit einer Waffe. Oh nein!
„Meine Nagelpistole“, sagte er, beugte sich zu einem langen Holzbrett und betätigte den Abzug.
Peng, peng, peng.
„Sehen Sie?“ Lächelnd hob er den Kopf. „Ich baue Regale.“
„Verstehe“, stieß Haley mühsam hervor und lehnte sich an die Tischkante. „Ich … Ich gehe lieber wieder.“ Sie wandte sich ab und lief in Richtung Tür. Niemand war hinter ihr her. Sie hatte sich vor einem Mann zum Narren gemacht, bei dessen Anblick ihr Puls schon zu rasen begann.
„Haley?“
Sie wollte und konnte nicht antworten. Deutlich hörte sie, dass Cameron das Werkzeug hinlegte und ihr nacheilte. Deshalb beschleunigte sie den Schritt. Er holte sie ein, bevor sie den Riegel zurückschieben konnte. Sie sah ihn erst an, als er den Finger unter ihr Kinn legte.
„Verführen wollten Sie mich offensichtlich nicht.“
Haley schüttelte den Kopf, und ihr Herz begann erneut zu hämmern. „Nein.“
Er lächelte kläglich. „Es war das reizendste missverständliche Angebot, das ich jemals bekommen habe. Ich werde die Werkbank nie wieder so betrachten können wie früher.“
Haley trat einen Schritt zurück und stand mit dem Rücken an der Tür. Sie verstand nicht viel von Männern, aber Camerons Enttäuschung war unübersehbar. Endlich trat er beiseite, und sie atmete erleichtert auf. Er würde sie nicht bedrängen.
„Weshalb hatten Sie die Tür verriegelt, wenn Sie mich nicht auf die Werkbank drücken und uns beiden eine schöne Stunde bereiten wollten?“
Er neckte sie. Haley merkte es am Funkeln in seinen Augen und wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte. „Ich …“ Plötzlich kam ihr das Ganze furchtbar albern vor. „Ach – nichts.“
Sein Blick wurde so kühl, dass sie erschrak. Der Mann glaubte ihr eindeutig nicht.
Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich hatte mich nur gefragt, was Sie hier draußen machen.“
„Ich fertige Möbeln an.“
Haley blickte sich um und sah erst jetzt, dass die Scheune in eine Werkstatt verwandelt worden war.
„Ich dachte, Sie wären Rancher.“
„Meine Brüder sind es.“ Seine Stimme, die eben noch herzlich gewesen war, klang jetzt schroff. Cameron kehrte an seine Werkbank zurück und strich liebevoll über das Holz, das selbst für ungeübte Augen makellos schön war. „Die Ranch wäre mir zu viel Arbeit.“
„Zuviel Arbeit?“
Er zuckte mit den Schultern. „Dies hier tue ich lieber. Es ist – leichter. Und es macht mehr Spaß.“
Haley hatte ihre Arbeit mit einer Leidenschaft geliebt, die sie einem Mann wie Cameron niemals erklären konnte. Doch sie hätte ihre Tätigkeit gewiss nicht als „Spaß“ betrachtet. „Dann führen Ihre Brüder die Ranch?“
Falls er ihre Missbilligung spürte, ließ er es sich nicht anmerken. Oder sie war ihm egal. „Sie tun es gern.“
„Weshalb wohnen Sie hier alle gemeinsam?“ Diese Frage ging Haley seit ihrer Ankunft nicht aus dem Kopf.
„Wir sind eine Familie“, antwortete er schlicht und entspannte sich ein wenig. „Das Haus und das Land gehören rechtlich mir. Aber das ist unwichtig. Wir bearbeiten die Ranch gemeinsam.“
„Sie meinen: Ihre Brüder bearbeiten sie. Sie …“ Haley deutete in die Runde. „Sie haben sich etwas Leichteres ausgesucht.“
Lächelnd lehnte er sich an die Werkbank. „Wie Sie meinen.“
Haley ärgerte sich über sein anmaßendes Benehmen und hatte den Verdacht, dass sie der Grund dafür war. „Tun Sie das absichtlich?“
„Was?“
„Mir vorzuspielen, dass Sie ein gutmütiger Kerl sind.“
„Woher wollen Sie wissen, dass es gespielt ist?“
Er beobachtete sie eindringlich, und sie schlug die Augen nieder. Doch nun fiel ihr Blick auf seine breiten Schultern, seine kräftige Brust, über der sich das Flanellhemd spannte, und seine eng anliegenden Jeans, die seine langen schlanken Beine vorteilhaft betonten. Plötzlich merkte sie, dass sie den Mann hingerissen anstarrte. Erschrocken hob sie den Kopf und erkannte, dass Cameron es ausgesprochen genoss.
Das konnte unmöglich der Grund sein, weshalb ihr der Atem stockte. Es war völlig unmöglich, dass sie so etwas wie Lust empfand.
Ein schmerzhafter Stich durchfuhr ihren Magen, und sie keuchte unwillkürlich. Cam richtete sich sofort auf und eilte zu ihr.
„Was haben Sie?“
Der Schmerz legte sich ebenso rasch, wie er gekommen war. Haley fiel ein, dass sie ihre Tabletten nicht genommen hatte. „Nichts“, erklärte sie, straffte die Schultern und drehte sich zur Tür. „Absolut nichts.“
Er griff an ihr vorüber, um ihr beim Öffnen zu helfen. „Doch, Sie haben etwas“, beharrte er.
„Es geht mir gut, wirklich. Außerdem muss ich jetzt weiterarbeiten.“ Sie trat hinaus in den frischen Oktobertag. Der weite blaue Himmel Colorados leuchtete über ihr und vereinte sich mit der hügeligen Bilderbuchlandschaft. In der Ferne schwankten die Espen im Wind. Ihre runden flachen Blätter machten ein einzigartiges raschelndes Geräusch.
Cameron wartete, bis Haley einige Schritte gegangen war. „Tun Sie nicht zu viel“, rief er ihr nach.
Erstaunt blieb sie stehen und drehte sich um. „Das ist eine seltsame Bemerkung für einen Arbeitgeber.“
„Hier laufen die Dinge ein bisschen anders als dort, woher Sie kommen.“
„Das stimmt.“ Er würde sich wundern, wenn er erfuhr, dass sie bis vor Kurzem an der Spitze eines Teams von fünf der besten Geologen der Welt gestanden hatte, einige davon doppelt so alt wie sie.
„Vielleicht werden Sie mir eines Tagen davon erzählen“, sagte er ernst.
Haley überlegte, wie gut es ihr täte, mit jemandem über das Entsetzen zu reden, das sie quälte. Aber sie hatte selbst zu ihren besten Zeiten anderen nicht leicht vertraut und konnte es jetzt erst recht nicht.
„Haley?“ Cameron trat einen Schritt auf sie zu. „Ich bin ein sehr guter Zuhörer.“
Sie schüttelte den Kopf und war heute zum zweiten Mal den Tränen nahe. „Ich muss an die Arbeit“, stieß sie hervor und rannte den Weg zum Haupthaus zurück.
Cam sah ihr eine ganze Weile nach. So etwas hatte er seit Jahren nicht erlebt. Haley war in seine Werkstatt gestürmt, und er war so hingerissen von ihr gewesen, dass er die Panik in ihren Augen nicht bemerkte. Anschließend hatte sich ein Gefühl in seinem Innern geregt, das er nur als heftigen Beschützerinstinkt bezeichnen konnte. Er hatte immer schon ein weiches Herz für Menschen und Tiere in Not gehabt. Aber dies ging weit darüber hinaus.
„Wem starrst du denn so nach?“
Cameron entspannte sich und sah seinen Bruder an. „Unserer neuen Haushälterin.“
„Aha.“ Zach beobachtete, wie Haley die letzten Meter zum Haus eilte. „Sie ist hübsch“, erklärte er ruhig. „Und sie macht ein gutes Frühstück.“
„Aber?“ Cam drehte sich zu ihm. „Es gibt immer ein Aber, wenn du diesen Juristenton anschlägst.“
„Du magst sie.“
Cam seufzte leise. Sein Bruder besaß die untrügliche Fähigkeit, Dinge zu erkennen, von denen andere nicht einmal ahnten. „Ich mag eine Menge Leute.“
„Aber anders als sie.“
„Nein“, wehrte er ab. „Ich kenne Haley erst einen Tag, Zach.“
„Zugegeben. Trotzdem hast du einen gewissen Blick in den Augen. Eine Mischung aus Beschützerinstinkt und einer erheblichen Portion Wollust.“
„Musst du nicht das Vieh füttern?“, fragte Cam und ärgerte sich, dass Zach ihn durchschaut hatte.
„Ich möchte nicht, dass sie dir wehtut.“
Cam hätte seinen Bruder am liebsten ausgelacht, doch es gelang ihm nicht. „Ich bin inzwischen erwachsen, vergiss das nicht.“
„Lorraine ist schon eine ganze Weile tot.“
Cam blies die Luft aus, und seine gute Laune verschwand. Eine seltsame Unruhe erfasste ihn. „Du meinst, ich suche eine neue Ehefrau?“
„Nein, natürlich nicht.“
„Haley Williams ist unsere Haushälterin“, erklärte Cam entschlossen. „Hör auf, dir Sorgen zu machen. Du klingst beinahe wie unsere Mutter.“
„Wirklich?“, fragte Zach ruhig. Er nahm seinen Hut ab und strich mit dem Ärmel über seine Stirn. „Lorraine war nicht gut für dich.“
„Sie ist tot, Zach.“
„Sie hatte dich belogen und dir sehr weh getan.“
Cam wurde langsam wütend. „Hör endlich auf.“
„An Bord von Nellies Flugzeug war keine Haley Williams.“
„Woher weißt du das?“, fragte er gereizt.
„Ich habe es nachgeprüft.“
„Weshalb?“
Sie sahen sich eine ganze Weile schweigend an.
„Aus alter Gewohnheit. Schließlich bin ich einmal Polizist gewesen“, antwortete Zach endlich.
Cam bemerkte die Besorgnis seines Bruders. Vor seinem inneren Auge sah er Haley in der Scheune. Sie hatte furchtbare Angst gehabt, es aber entschlossen abgestritten. Bitte keine weitere Lügnerin, flehte er stumm. „Was hast du herausgefunden?“
Zach setzte seinen Hut wieder auf und schob die Daumen in die Gesäßtaschen. „Eine junge Frau mit dem Namen Haley war auf dem Flug von Südamerika nach Los Angeles, aber nicht auf der Strecke nach Colorado Springs. Allerdings könnte sie bar bezahlt haben oder unter einem falschen Namen gereist sein.“
„Du hast noch nicht einmal dein Examen und klingst schon wie ein Staatsanwalt“, sagte Cam. „Nachdem du sowieso keine Ruhe geben wirst, lass hören.“
„Entweder möchte sie, dass man glaubt, sie wäre noch in L. A., oder sie ist nicht, wer sie behauptet.“ Zach zögerte einen Moment. „Möchtest du, dass ich weitere Nachforschungen anstelle?“
„Nein.“ Haley sollte ihm selber die Wahrheit sagen und seinen Argwohn vertreiben. Noch einmal hielt er diese Lügerei nicht aus.
„Was geht hier deiner Ansicht nach vor?“
„Keine Ahnung.“ Cameron strich sich über die Brust und begriff nicht, weshalb sie plötzlich schmerzte. „Ich kann es nicht erklären. Aber ich bin sicher, dass Haley in Ordnung ist.“
„Dann bleibt nur eine Möglichkeit.“
Sie sahen einander an.
„Sie ist auf der Flucht“, ergänzte Zach.
„Ja.“ Aber wovor?
Haley eilte in Cams Arbeitszimmer, schloss die Tür und schob ihr T-Shirt in die Höhe. Der Pager unter ihren Jeans vibrierte heftig. Mit zitternden Händen löste sie das Gerät von ihrer Hüfte und drückte auf den Knopf. Erneut stammte die Nachricht von einer unbekannten Nummer in Südamerika.
„Ich werde Sie finden, Haley“, las sie, und ihr stockte der Atem.
In diesem Moment meldete sich der Pager erneut. Es war Alda.
„Wo bist du, Haley? Wer hat uns dies angetan? Lloyd ist tot. Er ist bei der Explosion ums Leben gekommen, sagt die Polizei. Bob ist auch verschwunden. Jetzt sucht man nach dir. Wo in aller Welt bist du?“
Haley starrte auf das Display und begann zu zittern. Plötzlich kam ihr ein furchtbarer Verdacht. Alda hatte darauf bestanden, dass sie ihre Entdeckung nicht veröffentlichten. Außer der Kollegin waren alle tot oder verschwunden. Sie, Haley, war davon ausgegangen, dass Lloyd ihr Computersystem an die Regierung verkaufen würde, damit das staatliche Geologische Institut die Studien fortsetzen konnte. Doch Lloyd hatte Alda zugestimmt, mit der Veröffentlichung bis nach dem letzten Test zu warten. Diese Tests hatten niemals stattgefunden.
Und jetzt suchte die Polizei nach ihr. Inständig hoffte Haley, dass sie nicht gefunden wurde, bevor der wahre Verbrecher einen Fehler begangen und sich selber verraten hatte.
Haley beschäftigte sich den ganzen Tag. Sie hatte keine andere Wahl, wenn sie nicht ständig an die demütigende Szene in der Werkstatt denken wollte. Das große Haus war sehr hübsch, aber nur oberflächlich sauber.
Sie hängte die Brücken und Läufer über den Zaun, atmete die frische Luft tief ein und wurde langsam ruhiger. Niemand wusste, dass sie hier war. Ringsum war nichts als freies Land. Sie merkte erst, dass sie nicht allein war, als der gewaltige Kopf einer Kuh nicht weit von ihr entfernt über den Zaun blickte.
Mit einem unterdrückten Schrei sprang sie zurück, stolperte über einen Besen und landete unsanft auf dem Hintern.
Die Kuh muhte laut und betrachtete sie ungerührt.
Ein Mann lachte herzlich, und Haley schloss verzweifelt die Augen. Weshalb musste ausgerechnet er zum zweiten Mal an diesem Tag Zeuge ihrer Blamage werden?
Als sie wieder aufsah, streckte Cameron ihr die Hand entgegen. Sie konnte nicht widerstehen und zog ihn neben sich in den Schmutz.
Haley hätte nicht sagen können, was sie erwartet hatte – Ärger, Entrüstung oder Verblüffung –, gewiss kein Gelächter. Cam saß auf dem Boden, warf den Kopf zurück und lachte schallend.
Sie wartete, bis er sich beruhigt hatte. Dann sprang sie auf, wischte den Staub von ihren Jeans und warf ihm einen vernichtenden Blick zu.
Er lächelte breit. „Sie sind ziemlich temperamentvoll, junge Dame. Und sie haben kräftige Arme.“
Haley wandte sich ab und wäre beinahe erneut gestolpert. Die Kuh blickte immer noch zu ihr herüber.
„Margaret tut Ihnen nichts. Sie wartet auf ihr Futter.“ Cameron stand ebenfalls auf und tätschelte den Kopf des Tieres. „Sie ist zwar hübsch, aber nicht besonders intelligent.“
Haley war bisher nicht einmal in die Nähe einer Kuh gekommen. Zögernd streckte sie die Hand aus, zuckte aber gleich wieder zurück, weil Margaret ihren gewaltigen Kopf drehte und sie mit ihren großen braunen Augen unheilvoll anblickte.
„Sie sieht nicht besonders gut“, sagte Cam. „Sie können sie ruhig anfassen. Sie wird Sie nicht beißen.“ Er nahm ihre Hand und zog sie so weit heran, dass sie die warme Stirn des Tieres berühren konnte.
Haley lächelte unwillkürlich.
Cam beobachtete sie. „Haben Sie noch nie eine Kuh angefasst?“
„Nein“, gab sie zu.
„Für ein Mädchen aus der Stadt halten Sie sich nicht schlecht.“
Das Traurige war nur, dass sie inzwischen weder ein Stadtmädchen noch ein Landmädchen war. Jahrelang hatte sie studiert und geforscht und von der Wirklichkeit abgeschirmt gelebt. Bis zu diesem Augenblick war ihr nicht einmal bewusst gewesen, dass sie nirgendwo hingehörte. Zu niemandem.
Energisch verdrängte sie den Gedanken, berührte die Kuh erneut und konnte sich gerade noch zusammenreißen, als Margaret geräuschvoll schnaubte. Mit einem letzten Blick auf die beiden Menschen machte sie sich davon.
Camerons Augen funkelten, und Haley merkte, dass er gern gelacht hätte. „Ich muss wieder an die Arbeit“, verkündete sie so würdevoll wie möglich.
Seine Lippen zuckten. „Das sagten Sie bereits.“ Er wippte auf den Fersen und blickte zum blauen Himmel, an dem sich nur wenige Schleierwölkchen zeigten. „Ein Unwetter zieht herauf. Heute Nacht wird es regnen.“
Haley zog die Nase kraus. „Das sind doch keine Regenwolken.“
„Ich spüre es einfach“, erklärte er. „Ich mag Regen nämlich.“
Haley mochte Regen ebenfalls. Diese ungewöhnliche Übereinstimmung zwischen Cameron und ihr verwirrte sie. Entschlossen nahm sie den Besen und wollte gehen. Doch Cam hielt ihre Hand fest.
„Gefällt es Ihnen hier, Haley?“
Sie betrachtete ihre vereinten Hände und machte sich los. „Ich bin erst einen Tag hier.“
„Ja, richtig. Ich werde die Frage anders stellen. Könnte es Ihnen hier gefallen?“
Das große Haus stand einladend hinter ihr. Haley hatte nie ein richtiges Heim gehabt. Sie war in Internaten aufgewachsen, und die Mutter hatte sie nie zu sich geholt. Anschließend war sie aufs College gegangen und später durch die ganze Welt gereist. Sie hatte immer von einem festen Wohnsitz geträumt. Aber was sollte sie damit anfangen?
„Haley?“ Cam trat näher und betrachtete sie eindringlich.
„Ich weiß es nicht“, antwortete sie ehrlich. „Ich habe noch nie an solch einem Ort gewohnt.“
„Wo sind Sie zu Hause?“ Seine leise warme Stimme hüllte sie ein, und sie hätte beinahe mehr verraten, als sie wollte.
„Ich habe kein Zuhause.“
Nachdenklich legte er den Kopf auf die Seite. „Jeder kommt irgendwo her.“
„Ich nicht.“
Sein Lächeln erstarb. „Sie sind voller Rätsel.“
„Ja“, antwortete sie aufrichtig. „Es tut mir leid.“
Er atmete verärgert aus, nahm ihr den Teppichklopfer ab und schlug auf den ersten Läufer ein. Dichter Staub wirbelte durch die Luft, und er schüttelte erstaunt den Kopf. „Du liebe Güte. Ich hatte keine Ahnung, wie schmutzig er ist.“
„Lassen Sie das. Es ist meine Arbeit.“
Er blickte über die Schulter zurück. „Nein, das Teppichklopfen übernehme ich. Sie sehen müde aus.“
Sie war müde. „Ich bin die Haushälterin.“
„Das geht schon in Ordnung, Haley.“
Sie wand ihm den Klopfer aus der Hand. „Dies ist meine Aufgabe. Verschwinden Sie!“
„Darf ich wenigstens zuschauen?“ Sie runzelte die Stirn, und er hob ergeben die Hände. „Oje. Sie sollten sehen, wie blau Ihre Augen werden, wenn Sie wütend sind.“
Haley überlegte, ob sie den Teppichklopfer als Waffe benutzen sollte, und drehte ihn in der Hand. „Sie haben bestimmt Wichtigeres zu tun. Bauen Sie ein weiteres Regal.“
Er lächelte träge, während sie den Klopfer wie einen Baseballschläger hob. „Mir ist aber nicht danach.“
Diese faulen Kerle. „Dann machen Sie sich sonst wie nützlich. Sie sind mir im Weg.“
Sein Lächeln wurde breiter. „Sie mögen mich.“
Haley verdrehte die Augen und kehrte ihm den Rücken zu.
Pfeifend schlenderte er davon. „Noch etwas, Haley“, rief er zurück. „Verängstigen Sie keine weiteren Kühe. Das ist nicht gut für die Milchproduktion.“
Sein Lachen drang durch die kühle Nachmittagsluft.
Später am Abend trat Haley auf die rückwärtige Veranda und beobachtete, wie es langsam dunkel wurde.
Nellie und Jason waren zum Essen in die Stadt gefahren, und Zach studierte in seinem Zimmer. Der kleine Max lag in seinem gepolsterten Körbchen und schnarchte leise.