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Die beiden Kommissare Schatz und Herzl haben sich in ihrer neuen Heimat, der ostbayerischen Provinz, recht gut eingelebt – nicht zuletzt wegen der beiden Herzblätter Julia und Carlotta. Da bricht eine rätselhafte Mordserie über die ländliche Idylle herein. Ein putzsüchtiger Narzisst mordet sich scheinbar wahllos durch bayerische Gefilde. Das geht dann nicht nur Schatz und Herzl an die Substanz, auch Dienststellenleiter Rödel, an sich ein erklärter Gegner der beiden Münchner Kollegen, zieht diesmal an einem Strang mit ihnen. Ganz nebenbei bekommt Schatz‘ Carlotta die Krise und quittiert dem die Freundschaft und das Geheimnis um den patenten Polizisten Häupl löst sich auf. Ganz schön viel Action für ein paar kalte Tage im Februar. Aber immerhin haben wir es hier mit echten Spezialisten zu tun, die ihren Job verstehen…
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Seitenzahl: 255
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Lydia Preischl ist ein echtes bayerisches Gewächs. Geboren in einem kleinen Dorf im Oberpfälzer Wald, wohnt sie noch heute mit Ehemann Stefan und Leihhund Amy dort. Nach dem Studium der Theologie und Religionspädagogik, unterrichtet sie nun schon seit vielen Jahren katholische Religionslehre. Das Schreiben betreibt sie nebenher als Hobby und nun, da die beiden Kinder erwachsen sind, hat sie auch mehr Zeit dafür.
Nach »Wildbiesler und Wadlbeißer« setzt sie mit »Tipferlscheißer« die erfolgreiche Stoapfalzkrimi-Reihe fort.
Lydia Preischl
Tipferlscheißer
Ein Stoapfalz-Krimi
Vollständige eBook Ausgabe 2019
© 2018 SPIELBERG VERLAG, Neumarkt
Lektorat: Sigrid Müller
Umschlaggestaltung: Ronja Schießl
Umschlagmotive: www.panthermedia.net
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung können ziviloder strafrechtlich verfolgt werden.
(e-Book) ISBN: 978-3-95452-096-1
www.spielberg-verlag.de
Geschichte und Personen sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder bereits verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Kapitel 1
Es goss in Strömen und war eiskalt, als die Kriminalhauptkommissare Robert Schatz, Georg Herzl und der Polizist Hans Häupl an ihrem neuen Tatort ankamen. Das triste Wetter wurde noch übertroffen von der tristen Wohnanlage, die vor ihnen lag. Es handelte sich um eine Reihe von aneinandergebauten Häuschen, deren gelblicher Putz teilweise abblätterte. Aus einer defekten Regenrinne tropften in beständigem Strom dicke Regentropfen ihr Tack-Tack-Tack auf einen Stapel Bretter. Sicher hatten die kleinen Wohneinheiten auch einmal bessere Zeiten gesehen. Für jede von ihnen war ein kleiner Vorgarten vorgesehen gewesen, der jedoch bei über der Hälfte der Häuser zubetoniert worden war. Die andere Hälfte glänzte mit wildwucherndem Gestrüpp, durch das man sich erst einmal seinen Weg zur Haustüre bahnen musste.
»Ich dachte, sowas gibt es bloß in der Stadt!«, sinnierte Herzl halblaut vor sich hin, während er die mit zahlreichen Flicken versehene Asphaltstraße hinaufschaute. Er strich sich über seinen grundsätzlich zerzausten dunklen Haarschopf.
»Slums gibt es überall«, gab ihm Schatz zur Antwort, obwohl Herzl lediglich ein Selbstgespräch geführt hatte.
»Eigentlich ist das hier ein gutes Beispiel dafür, wie eine ganz passable Wohngegend verkommen kann.« Häupl, der Polizist hatte sich eingemischt. Er war eine wertvolle Bereicherung für die beiden Kriminaler, die aus München in die kleine Stadt in der Oberpfalz versetzt worden waren, ursprünglich, um ein Personalloch zu füllen. Inzwischen hatten beide hier ihr Herz verloren, was nicht automatisch bedeutete, dass sie für immer hierbleiben wollten. Aber immerhin machten Schatz‘ Carlotta und Herzls Julia das Ganze erheblich angenehmer, als beide zu hoffen gewagt hatten.
Herzl runzelte die Stirn.
»Warum eigentlich, Hans?«
Hans Häupl war ein wandelndes Lexikon, beherrschte die hochdeutsche Sprache, hatte aber einen hervorragenden Draht zu seinen Landsleuten in und um Dranstadt. Dergestalt, dass er den beiden Kollegen Land, Leute und Lebenswirklichkeit zuweilen sehr gut erklären konnte, manches Mal aber auch dringend erklären musste.
»Es war eine Bahnarbeitersiedlung. Gebaut nach dem Krieg. Junge Familien, von denen ein Elternteil bei der Bahn arbeitete, hatten damals ein Anrecht darauf, hier einzuziehen und konnten relativ billig hier wohnen. Die Häuser sind ja ziemlich klein, aber den damaligen Ansprüchen durchaus gerecht geworden. Nach heutigen Verhältnissen sind die 80qm-Häuser natürlich nichts mehr für Familien, also zogen nach und nach Alleinstehende oder ältere Ehepaare ein, für die der Platz ausreichte. Die Leute wurden mit den Häusern älter. Das sind inzwischen fast alles Kleinrentner, die sich eine Renovierung nicht leisten können. Und die Gesellschaft, der das hier gehört, sitzt irgendwo im Ausland. Also verfällt das nach und nach. Das ist genau so gewollt, denn der Platz ist einiges wert. Seht mal da rüber!«
Häupl zeigte nach seinem langen Monolog auf die eine Seite des Hügels, auf dem sie gerade standen. Eine an schönen Tagen wundervolle Aussicht über das heute mit tiefliegenden Wolken verhangene Flusstal hinweg tat sich vor ihnen auf.
»Tolle Aussicht, wenn es nicht gerade regnet!« Herzl nickte nachdrücklich, um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. »Klar, dass die die Alten raushaben wollen, um mehr Profit rauszuholen.«
»Jetzt wird’s aber Zeit, dass wir mal nachsehen, warum uns dieser Arzt hat kommen lassen.«
Schatz brachte sie auf den Boden der Tatsachen zurück und marschierte selber voraus zum zweiten Häuschen in der langen Reihe.
Robert Schatz lebte von Fakten, die aneinanderzureihen oder auch zusammenzupuzzeln – je nachdem, was gebraucht wurde – er vortrefflich in der Lage war. Er war der Sortierte, Ordentliche, der Struktur in seine Dinge bringen musste. Nicht überpenibel, aber gerade so, dass er einen gesunden Gegenpart zum unordentlichen und unsortierten Herzl darstellte. Der kriminalisierte aus dem Bauch heraus. Georg Herzl stellte sich an den Tatort und sah sich um. Lange. Akribisch. Und fütterte Schatz dann mit den Fakten, die der für seine Kombinationen benötigte.
Inzwischen hatten sie das Haus betreten und standen nun in einem schmalen, dunklen Flur. Auf der rechten Seite führte eine Tür in einen Raum, der die ganze Hausseite einnahm, auf der anderen Seite gab es ein gegengleiches Zimmer, soweit man das durch die geschlossene Türe erahnen konnte. Eine schmale Treppe führte nach oben. Doch außer, dass dort die Dachschräge weit herunterreichte, konnte man nicht erkennen, ob es dort überhaupt noch Zimmer gab.
»Und hier haben mal Familien gewohnt?«, zweifelte Schatz angesichts der drückenden Enge. Er betrat den rechten Raum. Wie er schon gedacht hatte, nahm das Zimmer die ganze Tiefe des Hauses ein. Zur Vorderseite hin konnte man durch ein großes Fenster, vor dem ein nicht mehr ganz taufrischer Store hing, auf den eintönigen Vorgarten schauen. Der Raum war etwa sieben Meter lang und vier Meter breit. Schatz konnte ganz gut schätzen. Gegenüber der Tür, an der Wand zum Nachbarhaus, waren Regale eingebaut, in denen in ordentlicher Reihe eine Unmenge von Büchern standen. Schatz kümmerte sich nicht weiter darum, vielmehr hielt er auf den hinteren Bereich des Wohnzimmers zu, in dessen Mitte eine Couchgarnitur stand. Sie war auf den Fernseher, der zwischen den Regalen auf einem Sideboard thronte, hin ausgerichtet. Die zierlichen Möbel ließen noch viel Platz, um an das andere Ende des Raumes zu kommen, der sich dort verbreiterte und in eine kleine zum Wohnzimmer hin offene Küche mündete. Dort, am Übergang zwischen Wohnraum und Küche, stand der Arzt über einen sitzenden Mann gebeugt. Nun, da der Mediziner jemanden kommen hörte, richtete er sich auf.
Schatz sah, dass der Tote, der ihnen gemeldet worden war, im Rollstuhl saß – so als würde er schlafen. Auf den ersten Blick nicht unbedingt die Szenerie eines Mordes. Trotzdem musste der Arzt einen triftigen Grund gehabt haben, nach der Polizei zu verlangen.
»Grüß Gott. Ich bin Dr. Hahn. Der Hausarzt von Herrn Scholz. Edmund Scholz. Ich weiß auch nicht, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt. Deshalb habe ich Sie gerufen.«
»KHK Schatz, grüß Gott, Herr Doktor. Wie kommen Sie darauf, dass hier etwas nicht stimmen könnte?«
»Nennen wir es Intuition. Schon als ich den Herrn Scholz hier so sitzen sah, nachdem mich die Nachbarin gerufen hatte, hatte ich ein Gefühl, dass etwas komisch ist. Sehen Sie, ich weiß nicht, woran der Herr Scholz gestorben ist. Er hatte vor Kurzem einen Knöchelbruch, deshalb bewegte er sich im Raum gerne im Rollstuhl. Er tat sich schwer damit, mit Krücken gehen zu lernen. Verschiedene Leute kamen, um ihn bei seinen Gehübungen zu stützen oder einfach nur Bewegungen mit ihm zu machen, unter anderem ein Physiotherapeut. Der kommt abends um sieben. Aber erst seit Kurzem, eben wegen dem Knöchelbruch. Und er war Diabetiker, also der Scholz, nicht der Physio. Das aber auch schon viele Jahre lang. Er war ein sehr akribischer Patient und befolgte Anweisungen aufs Genaueste. Ich sehe keinen Grund, warum der Herr Scholz einfach so sterben sollte. Außerdem … wie soll ich sagen. Er sitzt so friedlich da, als würde er schlafen. Kein Todeskampf, nichts. Da stimmt einfach was nicht. Abgesehen davon, dass mir irgendwas daran nicht passt, wie er da sitzt. Ich komme aber grad nicht drauf.«
»Sie sind sehr aufmerksam. So mancher Arzt hätte einfach einen Totenschein ausgestellt«, lobte Schatz. »War Herr Scholz Rentner?«
»Pensionär. Er war dreißig Jahre lang Lehrer am hiesigen Gymnasium. Chemie und Physik. Man erfährt so allerlei, wenn man die Leute behandelt.«
»Hatte er Familie?«
»Ich weiß es nicht. Darüber sprach er nie.«
»Was für ein einsames Leben hier.« Vor nicht allzu langer Zeit war es Schatz selbst bewusst geworden, wie sich Einsamkeit anfühlte. Herzl, sein Kumpan und Arbeitskollege, hatte die Julia entdeckt und alles andere vergessen. Erst Carlotta, die heiße Venezolanerin, holte Schatz aus seiner offensichtlichen Lebenskrise.
Dr. Hahn jedenfalls zuckte auf Schatz‘ philosophische Bemerkung hin nur mit den Schultern, schwieg aber. Stattdessen hatte Herzl seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Der stand an der Wohnzimmertür und sah sich um. Dabei ließ er einfach seinen Blick schweifen, ohne sich weiter zu bewegen. Mehrmals entfuhr ihm ein nachdenkliches »Hm!«. Ansonsten ließ er nichts verlauten.
»Was genau treibt Ihr Kollege da vorne?«, wollte Dr. Hahn nun doch wissen.
»Er sondiert.«
Dr. Hahn war drauf und dran, Schatz‘ Antwort als Witz abzutun, doch dessen Miene war todernst.
Deshalb beobachtete er Herzl noch eine kurze Zeit.
»Das macht er gut!«, sagte er schließlich. Schatz nickte. »Ja…«
Das »Ja…« hing in der Luft, so dass Dr. Hahn noch etwas erwartete, doch Schatz betrachtete seinerseits jetzt wieder den Toten.
Herzl stand immer noch wie angewachsen. Dr. Hahn wunderte sich.
Er wunderte sich so sehr, dass er zusammenschrak, als Schatz unvermittelt wieder das Wort an ihn richtete.
»Haben Sie ihn bewegt?«
»Nein, ich habe lediglich überprüft, ob er noch lebt. Das hat meines Wissens auch schon die Nachbarin gemacht. Sonst hätte sie mich nicht gerufen. Also, ich war an der Halsschlagader, habe ihn abgehört, so gut es in dieser Position durch das offene Hemd ging, und dann gleich bei der Polizei angerufen. Als ich kam, saß er so da. Und das hat mich stutzig gemacht…« Dr. Hahn richtete sich auf. »Jetzt weiß ich auch, was mir an der Position hier nicht passt: Sehen Sie, er hat einen Fleck – ich vermute mal Kaffee – auf der Hose. Aber wo ist die Kaffeetasse? So gebrechlich war Herr Scholz auf keinen Fall, dass er sich nicht hätte umziehen können, wenn er schon die Kaffeetasse wegräumen kann. Das Schlafzimmer liegt gegenüber, da kommt er mit dem Rollstuhl hin. Das passt einfach nicht zusammen.«
Herzl kam näher und stellte sich dem Arzt vor.
»Guten Tag, Herzl. – Die Putzfrau von dem Herrn hätte ich auch gerne«, stellte er fest, ohne einen Gruß abzuwarten.
»Das war auch eines der Dinge, die mich stutzig gemacht haben. Bei Herrn Scholz war es nie so sauber. Verstehen Sie, schon ordentlich, aber eben nicht so… so… perfekt.«
»Also gut. Verdächtiger Todesfall. Wir holen Jost und die Spurensicherung. Bis dahin muss unser Herr Scholz noch hier warten, so leid es mir tut.«
Schatz war schon am Telefon und gab kurz Anweisungen durch.
Herzl wandte sich an Häupl, der nun auch im Zimmer stand, nachdem er sich das Haus angesehen hatte.
»Wir brauchen die Putzfrau und befragen mal die anderen Leute hier. Und irgendwann müssen wir uns auch um die Eigentümer dieser … Anlage … hier kümmern.« Herzls Gesicht sprach angesichts der abgerissenen Umgebung Bände.
»Ich nix Putzfrau!«, eröffnete Frau Afet Büyüktürk, nachdem Herzl sie hereingeholt hatte. Sie hatte geduldig draußen abgewartet. »Ich Nachabar von Herr Scholz. Mache Essen, manchmal, und helfe gehen. War Karankenschawester in Türkei.«
Sie stemmte die Arme in die gut gepolsterten Hüften und warf ihren dicken dunklen Haarzopf mit Schwung auf den Rücken. Die untersetzte Frau Büyüktürk machte einen durchaus resoluten Eindruck.
»Hatte Herr Scholz denn eine Zugehfrau?«, fragte Schatz behutsam.
»Nix Putze. Er selber Putze. Putztha halt wie Mann! Ph!« Sie machte eine umfassende Bewegung, hielt inne und heftete ihren Blick auf das Sofa. »Deutsches Kissen? Machta nie deutsches Kissen mit Hand.«
Für einen Moment folgten alle vier Männerblicke dem Fingerzeig der Frau Büyüktürk in Richtung des Kanapees und auf die in Reih und Glied stehenden Sofakissen, in die nach guter alter 50er-Jahre-Manier mit der Handkante ein Knick geschlagen worden war.
Frau Büyüktürk schaute angelegentlich auf den Boden unmittelbar vor ihr. Dann drehte sie sich um die eigene Achse, nicht ohne den Boden aus den Augen zu lassen.
»Hattha doch Putze? Ich frage nach Putze sein, aber Herr Scholz will nix Putze. Jetzt hattha doch Putze!« Sie sagte es reichlich vorwurfsvoll in Richtung des Verblichenen im Rollstuhl.
»Äh, nein, wir dachten, Sie wären…«, begann Schatz irritiert.
»Ich. Nix. Putze! Ich schau nach Mann. Weil er karank, aber ich nix scharubben hier. Wenn nix Putze, warum so sauber?«
»Vielleicht war eine Verwandte von ihm hier und hat sauber gemacht?«, versuchte Schatz die leicht saure Frau Büyüktürk zu besänftigen.
»Ph!«, machte sie noch einmal ein wenig zickig und verschränkte die Arme vor der ausladenden Brust.
»Liebe Frau Büyüktürk. Haben Sie heute jemanden hier im oder vor dem Haus gesehen?« Häupl, der mit schwierigen Kunden ausnehmend gut konnte, berührte die Dame sanft an der Schulter und führte sie hinaus in den Flur.
Schatz schnaufte tief durch, während Herzl schon wieder am Kombinieren war.
»Ich weiß nicht, Robert. Irgendwas passt mir hier nicht. Es ist so, als hätte ich es schon mal gesehen.«
»Vielleicht bei deiner Oma!«, entgegnete Schatz ohne Interesse.
Doktor Hahn, der stumm zugesehen und zugehört hatte, seufzte, dann schloss er seinen Arztkoffer und hob ihn auf. »Lassen Sie mal Ihren Gerichtsmediziner drüber. Falls Sie medizinische Daten brauchen, rufen Sie einfach in der Praxis an. Ich muss los, weil ich einen Haufen Leute im Wartezimmer sitzen habe. Die machen nur meine Helferinnen grantig, wenn sie mit Nörgeln anfangen.« Er grinste ein wenig schief.
»Schon recht, Herr Doktor. Wenn Sie dem Herrn Häupl draußen noch Ihre Telefonnummer geben würden?« Schatz nickte verständnisvoll.
Von draußen drangen Stimmen herein. Die Streifenkollegen waren eingetroffen, um den möglichen Tatort abzusichern und Schaulustige fernzuhalten. Aber in dieser Hinsicht hatten sie nicht viel Arbeit. Außer einem älteren Herrn, der mit einem kleinen weißen Hund auf der anderen Straßenseite stand und herüberschaute, war da niemand. Und auch der verlor alsbald das Interesse und ging weiter.
»Mann, ist das eine trostlose Gegend. Schaulustige sind eine Plage, aber so viel Desinteresse für einen Nachbarn ist deprimierend.«
Herzl hatte aus dem Vorderfenster geschaut und die Szene kommentiert. Dann drehte er sich um.
»Wie geht es jetzt weiter? Bis Jost da ist, dauert es eine gute Stunde. Nachbarn?«
Schatz nickte.
»Ja, gehen wir mal Klinkenputzen. Wir müssen ja auch mehr über Scholz herausfinden. Und rumwühlen können wir erst, wenn die KTU da war.«
Er hatte kaum zu Ende gesprochen, als Häupl hereinschneite. Die letzten Worte von Schatz hatte er noch mitbekommen.
»Also, Herr Scholz war alleinstehend, nie verheiratet, ohne sichtbare Verwandte, also Leute, die mal zu Besuch gekommen wären. Da kam die Frau Büyüktürk einmal am Tag, die ihm mit den Bewegungen half. Sie wohnt auf der Seite…«, Häupl deutete auf die Wohnzimmerwand, die dieses Haus vom nächsten trennte. »Ihre Zeit war normalerweise am späten Vormittag, dann brachte sie häufig auch gleich was zu essen mit. Nur heute war sie früher dran, weil sie selber einen Termin hatte, den hat sie jetzt aber schon abgesagt. Dann kommt eine weitere Nachbarin am Nachmittag, die wohnt da…«, Häupl drehte sich um und deutete auf die Flurseite in Richtung des ersten Hauses in der Reihe. »Manchmal spielen die älteren Herren hier in der Siedlung Karten miteinander. Aber das ist dann auch schon alles an Kontakten, von denen Frau Büyüktürk wusste. Und noch was: In den ersten fünf Häusern wohnen alte Herrschaften. Vom ersten Haus an gesehen zuerst die Dame mit ihrer Schwester, beide in den 60ern, hier Herr Scholz alleine, dann Frau Büyüktürk mit ihrem Ehemann, dann der Herr mit dem Hund, der da grad draußen stand, dann eine sehr alte Dame, bei der eine Polin wohnt, die ihr im Haushalt hilft. Die restlichen drei Häuser sind bewohnt von einer jungen Familie mit einem Kleinkind, einem jungen Paar und einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern.« Häupl riss den Zettel, auf dem er in kryptischen Zeichen das eben Gesagte festgehalten hatte, vom Notizblock, knüllte ihn zusammen und stopfte ihn in die rechte Uniformtasche. Es war seine Art, Aufzeichnungen zu archivieren. Aus einem unerfindlichen Grund fand er jedoch stets, wonach er gerade suchte. Überraschenderweise auch, wenn er die Zettel in eine seiner Schreibtischschublanden versenkte und nur von Zeit zu Zeit wieder aussortierte.
Schatz fragte sich, ob Herzl das immer schon so gemacht hatte. Ihm, Schatz, war es jedenfalls jetzt erst aufgefallen. Normalerweise glänzte der Polizist mit einer überlegten Vorgehensweise.
»Wer hat dir das alles erzählt?«, fragte Schatz überflüssigerweise nach. Er wusste, dass Häupl sich einfach mit den Leuten unterhielt und so ganz nebenbei erfuhr, was er wissen musste.
»Die Frau Büyüktürk. Die ist recht umgänglich.« Häupl zuckte mit den Schultern.
Er war sich durchaus bewusst, dass er ziemlich gut in seinem Job war.
Letztendlich dauerte es fast zwei Stunden, bis der Gerichtsmediziner Josef Probst, von allen einfach Jost genannt, und das Team in den weißen Ganzkörperanzügen im Hause von Herrn Scholz eintrafen. Nach einer weiteren halben Stunde Begutachtung konnte er endlich auf den Boden gelegt werden und schließlich wurde er mit dem Leichenwagen in die Gerichtsmedizin verbracht.
Als der Tote vom Stuhl gehoben wurde, verdichteten sich die Anzeichen, dass er nicht unbedingt freiwillig aus dem Leben geschieden war.
»Seht mal!«, Jost deutete auf den Stuhl. »Die Hose da am Oberschenkel war voll mit Kaffee, da würde man doch erwarten, dass der Stuhl auch was abbekommen hat. Aber keine Spur davon.«
Schatz beugte sich hinunter und begutachtete die Stelle.
»Hm. Aber was ist, wenn er sich den Kaffee doch woanders drübergeschüttet und sich – aus welchem Grund auch immer – nicht umgezogen hat. Dann muss da nichts auf dem Stuhl sein.«
»Einverstanden. Aber dann muss irgendwo im Haus doch zumindest eine Spur davon sein. Er spült die Tasse, aber er zieht sich nicht um? Ich weiß nicht.«
Herzl hatte sich während der Diskussion zwischen Schatz und Jost am Rollstuhl zu schaffen gemacht.
»Wenn wir ein Indiz dafür gebraucht haben, dass da was nicht mit rechten Dingen zuging, dann wäre das hier eins. Da ist irgendeine Flüssigkeit in dieser Ritze. Ich wette, das ist Kaffee.« Er fuhrwerkte mit dem in Latexhandschuhen verpackten Zeigefinger über den Schlitz und versuchte, ein wenig in die Tiefe zu wischen. Eine winzige Spur Feuchtigkeit war der Beweis dafür, dass der Kaffee doch auf dem Stuhl getrunken worden war.
»Irgendwer muss das sauber gemacht haben. Und auch gleich den Boden geschrubbt und das Geschirr gespült und …« Schatz fuhr herum, nachdem ihn eine bekannte Stimme unterbrochen hatte.
»Hattha Buch Tohuwabohu. Polizist schau, nix Buch so. Alles durcheinander. Regal immer schamutzig. Aschataub, Aschatechmücken tot, Aschapinnen tot.«
Alle Augen waren auf die resolute Türkin gerichtet und wieder sprang Häupl ein, der momentan recht unbeschäftigt herumstand.
Genaugenommen wusste eigentlich niemand, wie sie überhaupt noch einmal durch die Absperrung gelangt war, aber nun war sie erst mal da.
»Gibt es noch etwas, Frau Büyüktürk?«
»Nur sagen mein Mann, was ist Karabulut, morgens aschapaziert mit Aschatruppi, was ist unser Aschapaniel und schaut Auto. Aschawarz mit so Aschatreifen an Seite.« Sie zog eine imaginäre Linie, die die Streifen am Auto andeuten sollte.
»Mann, jetzt versteh ich die Oberpfälzer, zumindest halb, und jetzt kommt da die Frau, wie heißt sie noch?«, raunte Herzl Schatz zu.
Mit beinahe schon flehentlichem Blick fixierte er Häupl, der sich bereits eifrig Notizen gemacht hatte. Der Mann war ein Sprachgenie.
Wie bereits beim ersten Mal bugsierte Häupl die hilfsbereite Dame hinaus auf den Flur. Kurze Zeit später kehrte er zurück, um die Herren, die immer noch auf Aufklärung bezüglich der Aussage der Frau Büyüktürk warteten, zu informieren.
»Was denn nun?« Schatz, zu dessen vorrangigsten Eigenschaften nicht unbedingt Geduld zählte, fuhr Häupl eine Spur zu heftig an, bevor der mit der Erklärung beginnen konnte.
Der wusste sich seiner Haut zu wehren.
»Herr Häupl, oder von mir aus auch: Hans. Was hat denn die liebe und nette und hilfsbereite Frau Büyüktürk denn nun gesagt? Weil, mein lieber Hans, ich nicht verstehe, was sie gesagt hat.«
Häupl machte eine Pause und schaute unbefangen in Schatz‘ angespannte Miene.
»Lieber Hans…«, echote Schatz also gespielt ergeben und stellte sich bewusst gleichmütig in Positur.
Der liebe Hans grinste. Er hatte ein Gespür für Menschen und wusste, wie weit er gehen konnte. Im Falle der beiden Kriminalhauptkommissare wusste er sich inzwischen recht gut zu helfen. Eine Art Freundschaft hatte sich zwischen ihnen entwickelt, was in erster Linie auch daher rührte, dass weder Schatz noch Herzl sich den Vorgesetzten raushängen ließen. Tatsächlich tat jeder, was er am besten konnte oder was eben getan werden musste.
»Ihr Mann mit Namen Karabulut war heute Morgen mit dem Spaniel Struppi unterwegs und hat ein schwarzes Auto gesehen mit einem durchgehenden Streifen an der Seite. Sie meinte, es wäre ein kleines Auto gewesen mit nur zwei Türen. Zum Autotyp werde ich sie noch befragen beziehungsweise ihren Mann natürlich. Aber der spricht nicht so gut Deutsch wie sie. Sagt sie.« Häupls Grinsen wurde breiter.
»Und wann war das?«, fragte Schatz nun wieder ernsthafter.
»So genau können sie das nicht sagen. Ihr Mann ist gegen halb sieben raus, und da stand der Wagen schon da, und ist gegen acht zurückgekommen, da stand er immer noch da. Er trinkt ganz gerne mal einen Kaffee oben in der Bäckerei, ihr wisst schon…«
Schatz winkte ab. »Also, zwischen halb sieben und acht stand der Wagen auf jeden Fall da. Vielleicht früher, aber nicht viel später, weil die Frau wie-hieß-sie-noch den Arzt schon um acht Uhr angerufen hat.«
Bevor Jost und das Team eingetroffen waren, hatten sie schon Aussagen von den Nachbarn, die allesamt nichts gesehen hatten, aufgenommen. Nur bei den Büyüktürks waren sie nicht mehr gewesen. Deshalb auch der erneute Besuch der Frau wie-hieß-sie-noch im Scholz-Haus.
»Ich würde sagen, wir gehen mal ins Büro und sehen, wie wir weitermachen. Nur zu diesem Auto sollten wir mehr wissen. Wieso war die Frau … also, wieso ist ihrem Mann das Auto überhaupt aufgefallen?«
»Frau Büyüktürk sagte, ihr Mann hätte in seiner Jugend ein Ähnliches gehabt. Und er hätte es hier noch nie gesehen.«
»Dann müssen wir auf jeden Fall abklären, ob das Auto nicht woanders hingehört. Nicht, dass wir uns da auf etwas einschießen«, bestimmte Schatz. »Könntest du noch mal bei den Nachbarn nachfragen, was ihnen zu dem Auto einfällt, Hans?«
Oberwachtmeister Hans Häupl nickte ergeben. Dann eben nochmal eine Runde Fragen stellen. Grundsätzlich war er froh, dass sein eigentlicher Chef, Polizeihauptkommissar Rödel, ihn als Hiwi für die beiden Kriminaler abgestellt hatte. Die beiden waren gut, was nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen war, da sie sich oft ein wenig trutschig gaben, vor allem Georg Herzl. Robert Schatz schaute immer ein wenig hilflos aus der Wäsche. So, als könne er nicht bis drei zählen. Aber beide Einschätzungen waren ein großer Irrtum. Und er, der Häupl, konnte von der oft unkonventionellen Polizeiarbeit, mit der die beiden ans Werk gingen, eigentlich nur profitieren. Letztendlich stimmte die Chemie zwischen ihnen. Und die sexy Julia und die heiße Carlotta bremsten die Großstädter ganz hervorragend runter, wenn sie mal wieder ein wenig abhoben. Das alles ging Häupl durch den Kopf, als er auf dem Weg zum obersten der Häuschen war.
Also, das Auto… Er seufzte und zückte seinen Notizblock, bevor er den Klingelknopf drückte.
Die beiden Kriminaler hatten, nachdem die KTU-Leute dran waren, die Schubladen und Schränke begutachtet. Es gab nicht das geringste Anzeichen, dass etwas gesucht, geschweige denn gestohlen worden war. Nun befanden sie sich im Aufbruch. Herzl warf noch einen letzten Blick in den Raum, in dem nach wie vor verschiedene Leute zugange waren. Das Bücherregal fiel ihm auf.
»Hatte die Türkin nicht auch was über das Bücherregal gesagt?«
»Dass das normalerweise sehr unordentlich wäre. Mit toten Spinnen, Stechmücken und viel Staub. Und die Bücher durcheinander«, erklärte Häupl, der gerade eben seine Befragungsaktion beendet hatte, erstaunlich knapp. Normalerweise liebte er es, umschweifig zu dozieren.
»Jetzt sind sie nach Größe und Farben geordnet – die Bücher. Und da gibt es keine Spinnen oder Mücken, nicht mal ein Staubkörnchen. Irgendwie sollten wir diesen Umstand im Auge behalten«, dachte Schatz laut nach.
»Das und die Sofakissen mit dem deutschen Knick«, konnte Häupl nicht umhin, die bedrückende Situation mit einem kleinen Witz zu entschärfen.
Sie verließen endgültig die Szenerie und fuhren zurück ins Büro.
Vorderhand hieß es, auf die Ergebnisse von Jost und der Spurensicherung zu warten. Bis dahin verteilten sie Rechercheaufgaben unter sich.
Letztendlich verlief der Tag ergebnislos, was immer auch bedeutete: erfolglos.
Kapitel 2
»Sag mal, Julia, hast du eigentlich Eltern?« Herzl hatte keine Ahnung, wie er gerade auf diese Idee kam. Sie saßen aneinander gekuschelt auf Julias Sofa, schauten einen von ihren Lieblings-Schmonzetten-Romanzen-Filmen, der Herzl auf gewisse Ideen brachte und seine Geduld auf eine arge Probe stellte, und tranken jeder ein Bier. Die weiche Julia lag in seinen Armen und er atmete den Duft ihrer blonden Haare und ihres Parfums, das er so liebte. Wie immer, wenn er sie längere Zeit nicht gesehen hatte, konnte er sich kaum vorstellen, wie er nur je ohne diesen Engel hatte auskommen können. Längere Zeit war übrigens relativ. Ihm reichten schon ein paar Stunden, um Julia-Entzugserscheinungen zu entwickeln. Dann suchte er immer eine Möglichkeit, bei ihr in der Bürgermeisterei von Damling, dem Schauplatz ihres allerersten Mordfalles hier, vorbeizuschauen. Dort hatte er sie kennengelernt, als sie den Bürgermeister, der zugleich Schwager des damaligen Ermordeten war, befragen wollten. Es war nicht viel länger als ein paar Monate her, aber Herzl konnte sich ein Leben ohne diese zauberhafte Frau einfach nicht mehr vorstellen. Abgesehen davon schien es der guten Julia ähnlich zu ergehen. Sie besuchte das Polizeirevier häufiger, als es Schatz, dem Kollegen, lieb war. Aber je mehr der sich darüber echauffierte, desto öfter kam sie.
Der Film mündete gerade in eine langatmige Roadmovie-Phase und Herzl schaute sich in ihrem Wohnzimmer um – nicht zum ersten Mal, aber diesmal fiel ihm etwas auf.
»Es gibt keine Bilder von deinen Eltern oder deiner Familie hier«, stellte er fest.
Julia richtete sich auf und drehte sich zu ihm um. Herzl sah Bestürzung in ihren Augen und hatte keine Ahnung, was das verursacht haben könnte.
»Jeder hat Eltern«, entgegnete sie beinahe ein wenig aufgebracht.
»Ich würde sie gerne kennenlernen.«
Sie riss ihre ohnehin schon kugelrunden Augen noch weiter auf. »Kein Mann will de Eltern vo seiner Freundin kennalerna.«
»Dieser Mann hier schon. Weil dieser Mann hier extra wegen der zauberhaftesten aller Freundinnen in die Provinz gezogen ist und dafür die beste aller Männerfreundschaften aufs Spiel gesetzt hat.« Er hatte eine Prise Humor in seine Antwort gelegt, obwohl es nicht wirklich gelogen war. Schatz hatte weniger Grund gehabt, wieder hierher zurückzukehren, als Herzl, dem auch noch der Bonus einer Beförderung angeboten worden war. Das hatte der Kollege Herzl auch zuweilen spüren lassen. Inzwischen war Carlotta aufgetaucht und Schatz hochzufrieden mit seinem Los.
Julia reagierte sauer.
»Wega mir hättst des ned machen müssen«, zickte sie in ihrem bezaubernden Halbundhalbhochdeutsch.
Herzl hatte zwar immer noch keine Ahnung, was genau er getan hatte, um das zu verdienen, aber er bewertete ihre Antwort auch nicht über. Trotzdem blieb er hart.
»Was ist nun mit deinen Eltern?«
»Der Herr Kriminaler gibt ned auf, oder?« Sie sah immer noch angefressen aus, legte aber einen gemäßigteren Ton in ihre Stimme. »Vergiss des mit meine Eltern. Die ham eh nie Zeit.«
»Schlimme Kindheit?« Herzl hatte den starken Drang sie zu verteidigen, obwohl es keinerlei Anhaltspunkte für bösartige Eltern gab. Der Gedanke, jemand könnte Julia Böses wollen oder gewollt haben, machte ihn aggressiv. Allerdings hatte sie bisher nichts dergleichen erwähnt. Zuweilen sprach sie über ihre Eltern, dass sie sie besuchen müsse oder dass sie etwas abholen müsse, aber nichts, was diesen Ausbruch hier gerechtfertigt hätte.
»Ach wo. Ich hab alles g‘habt, was i mir nur g’wünscht hob…«
»Also, dann laden wir sie halt mal ein. Ich bestelle was vom Metzger und wir machen uns einen gemütlichen Abend. Die wollen deinen Dauerfreund doch bestimmt auch mal kennenlernen.«
»Georg. Lass es. Bitte.« Ihre Stimme klang so flehentlich, dass ihm ein Licht aufging.
»Du schämst dich wegen mir?«
»Oh mei, nie im Leben…«
»Dann ist es wegen meiner Wohnung? Aber die ist doch ganz gemütlich. Und das böse Zimmer zeige ich einfach nicht her.«
In das böse Zimmer hatten sie bei seinem Einzug in die teilmöblierte Wohnung alles hineingestopft, was nicht in die anderen Zimmer passte oder einfach nur potthässlich war, meistens eher letzteres. Das war nicht wenig, weshalb das böse Zimmer aus allen Nähten platzte.
Sie seufzte und er sah es als Zustimmung. Schon aus Neugierde wollte er jetzt nicht mehr lockerlassen.
»Dann machen wir das so. Schau mal, wann sie Zeit haben und sag es mir. Dann lade ich sie ein. Wie sich das gehört.«
Julia seufzte noch einmal, diesmal lauter, und kuschelte sich wieder an ihn. Nach einigen Minuten antwortete sie, ohne ihren Blick vom Fernseher zu wenden: »Aber wunder‘ di ned. Und gib mir hinterher ned den Laufpass. Bitte!« Herzl runzelte die Stirn. Was meinte sie nur? Grundsätzlich war er ein Mann, der sich schwer damit tat, zu begreifen, dass es ein Problem geben könnte, das nicht mit ihm selber in Zusammenhang stand.
Laut sagte er: »Ach nie im Leben, Schatz. Ohne dich bin ich doch nur halb.«
Der Abschluss des Abends war ganz und gar nicht halb, so dass Herzl den anstrengenden Tag, die rätselhafte Leiche und die lustige Frau Büyüktürk vollkommen vergessen konnte.
Dafür war alles am nächsten Tag wieder da. Spätestens als Herzl das Büro betrat und auf allen Schreibtischen verteilt Fotos liegen sah.
Rudi, Schatz‘ kleiner Dackel, den er während ihres letzten Falls von einem Übeltäter mit Billigung des Staatsanwalts übernommen hatte, lag schlafend im Körbchen neben dem Schreibtisch seines Herrchens. Das von Carlotta und Julia gebastelte Hundegeschirr mit der stolzen Aufschrift »Ich bin der Rudi und das ist mein Schatz«, lag auf dem Fensterbrett darüber. Rudi hob nicht einmal ein Augenlid, als Herzl doch recht geräuschvoll ins Büro gestürmt kam. Nun – vielleicht weniger gestürmt, aber immerhin ein wenig ausgeschlafener als es sonst bei ihm üblich war.
»So munter heute?«, fragte Schatz dann auch prompt.
»Warum nicht? War ein guter Abend. Wie geht’s Carlotta?«
Carlotta Suerte war seit zwei Wochen ihre Familie besuchen, die sich derzeit in der Schweiz aufhielt. Herzl wusste, dass seinem Partner die lange Abwesenheit seiner Freundin arg zu schaffen machte. Schatz war nicht dazu geboren, alleine zu sein.
»Geht gut. Sie ist glücklich, ihre Familie wieder zu sehen. Gar so oft ist das ja nicht der Fall. Aber sie fehlt mir. Das war es doch, was du wissen wolltest, Georg?«
Er wandte den Blick nicht von den Bildern, die er teilweise mit der Lupe untersuchte.
»Eigentlich nicht. Ich wollte wissen, wie es ihr geht. Und das weiß ich ja jetzt. – Wo ist eigentlich der Hans?«