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Schatz und Herzl, die beiden Kriminaler aus München, sind wieder zurück in der Oberpfalz, um die Bösen zu jagen. Da fällt ihnen schon die erste Leiche vor die Füße: die junge Susanne Bergreiter ist von einem Felsen gefallen – oder gar gestoßen worden? Dann wird auch noch während der Ermittlungen ein menschliches Skelett ganz in der Nähe gefunden. Ein ziemlich komplizierter Fall. Da wären die beiden Herren aus München ohne den patenten Dorfpolizisten Häupl wieder richtig aufgeschmissen. Auch privat kann Herzl, sein Herzblatt, die Julia endlich wieder an seine Brust drücken. Und auch für Schatz geht zu guter Letzt die Sonne auf...
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Seitenzahl: 258
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Vollständige eBook Ausgabe 2017
© 2017 SPIELBERG VERLAG, Neumarkt / Regensburg
Lektorat: Sigrid Müller
Umschlaggestaltung: Ronja Schießl
Umschlagfoto: Ronja Schießl
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung, Speicherung oder Übertragung
können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.
(eBook) ISBN: 978-3-95452-084-8
www.spielberg-verlag.de
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Lydia Preischl ist ein echtes bayerisches Gewächs. Geboren in einem kleinen Dorf im Oberpfälzer Wald, wohnt sie noch heute mit Ehemann Stefan und Leihhund Amy dort. Nach dem Studium der Theologie und Religionspädagogik, unterrichtet sie nun schon seit vielen Jahren katholische Religionslehre. Das Schreiben betreibt sie nebenher als Hobby und nun, da die beiden Kinder erwachsen sind, hat sie auch mehr Zeit dafür.
Geschichte und Personen sind frei erfunden.
»Es war eine Schnapsidee!«, Kriminalhauptkommissar Robert Schatz lamentierte in seinen nicht vorhandenen Bart, während Kollege Georg Herzl neben ihm im Auto saß und seinem üblichen Halbschlaf frönte.
Im Fahrzeug zumindest war ihre Zusammenarbeit klar definiert: Schatz, der gerne am Steuer saß und auch eindeutig der bessere Fahrer war, chauffierte, während Herzl lieber den Beifahrersitz für sich in Anspruch nahm. Er war nicht nur ein grottenschlechter Autofahrer ohne jeglichen Sinn für Verkehrsregeln, sondern döste auch quasi postwendend ein, sobald er im Auto saß.
Auch sonst ergänzten sie sich großartig. Herzl, der aus-dem-Bauch-heraus-Kriminalist und Schatz, der akribische, geradlinige Polizist mit dem scharfen Verstand, der normalerweise auch derjenige war, der sich mit Aussagen über seine Befindlichkeit zurückhielt.
Leute, die Schatz nicht so gut kannten, taten sich schwer damit, ihn einzuschätzen. Herzl hingegen war ein offenes Buch für jedermann. Ein großer Junge, häufig am Quengeln und zuweilen ein wenig unsortiert.
Diesmal war es umgekehrt. Schatz erregte sich, seit sie von München losgefahren waren. Denn im Grunde genommen gab er Herzl die Schuld daran, dass sie nun mindestens ein Jahr lang in der oberpfälzischen Provinz festsaßen, was zwar einen Karrieresprung für Herzl bedeutet hatte, ihm selber aber außer einem beschwerlichen Umzug nichts weiter beschert hatte.
»Wir hätten dem Gruber niemals zusagen dürfen, das Jahr da hinten abzureißen!«
Schatz sparte sich den Hinweis darauf, dass es Herzl gewesen war, der ihn dazu überredet hatte, ihrem Polizeichef in dieser Sache auf den Leim zu gehen.
»Ach, jetzt hör doch mal auf. Ist doch schön da und so erholsam. Sieh es doch als langen Urlaub. Und die Julia sagt, dass es dort praktisch keine Leichen gibt. So grundsätzlich«, gab Herzl ruhig zurück.
Schatz atmete tief durch, während er drei Gänge herunterschaltete, um sich in die Endlosschlange hinter einem Riesentraktor mit Riesenanhänger, beladen mit dicken Baumstämmen, einzureihen. Er wollte nichts Falsches sagen, da er wusste, dass Julia nicht einer der üblichen Aufrisse des Kollegen war, sondern eine tiefe Freundschaft mit Aussicht auf mehr zwischen den beiden bestand.
»So grundsätzlich vielleicht nicht, aber der Rödel versorgt uns sicher mit einem Stapel von Altfällen, für die wir uns dann die Hacken ablaufen, ohne großartig Erfolg zu haben. Und das wirkt sich dann auf unsere Quote aus – fatal aus!«, konnte Schatz nicht umhin zu widersprechen.
Polizeihauptkommissar Rödel war der Chef der Polizeiwache, in die Schatz und Herzl für ein Jahr abgeordnet worden waren, um die Lücken in den Reihen der Kriminaler zu füllen, die durch einen schweren Dienstunfall entstanden waren. Mit dem Unterschied, dass sie ihren Dienst nicht in Regensburg antreten würden, sondern in Dranstadt, einer wirklich kleinen Kleinstadt inmitten der Oberpfälzer Idylle.
»Das war ein Fehler!«, wiederholte Schatz zum hundertsten Mal, seit sie von München aus aufgebrochen waren.
Herzl sagte nichts.
»Die in der Dienststelle sind eh‘ der Meinung, dass wir strafversetzt worden sind.«
Herzl sagte nichts.
»Scheiße! Wann fährt dieses Ungetüm endlich mal zur Seite! Wenn man wenigstens mal überholen könnte!«
Herzl sagte nichts.
»Und das alles nur wegen deiner Julia.«
In dem Moment, in dem das Schatz entwischt war, tat es ihm schon wieder leid.
»Hast du es jetzt endlich mal gesagt, ja?«, kommentierte Herzl weder aufbrausend noch erkennbar angefressen. Es war ihm klar gewesen, dass sein Kollege das früher oder später loslassen musste. Sonst hätte es ihn zerrissen, den Schatz.
Der wiederum konnte sich in diesem Moment auch nicht dafür entschuldigen. Dazu war er zu grantig. Stattdessen versuchte er, sich halbherzig zu rechtfertigen.
»Aber es stimmt doch. Du warst doch derjenige, der vor nicht ganz sechs Wochen endlos herumgenölt hat, weil er jäh aus seinem geliebten München rausgerissen wurde. Und dann kommt die blonde Schönheit und plötzlich wird dir nicht mehr schwindelig von der frischen Luft«, machte sich Schatz nun, da das Kind schon in den Brunnen gefallen war, doch noch Luft.
»Geht’s dir jetzt besser?« Herzl, der einem Streitgespräch sonst nicht abgeneigt war, hielt sich zurück.
Sein Kollege hatte recht. Klar. Er, Herzl, hatte Julia gesehen und es war um ihn geschehen gewesen. Jetzt hatte er sie seit sechs Wochen nicht mehr an sich drücken können und konnte es kaum erwarten, in die Damlinger Gemeindekanzlei zu stürmen und sie endlich wieder leibhaftig vor sich zu haben.
Dort, in Damling, bei ihrem letzten Fall mit dem ermordeten Großvater, hatte er sie kennengelernt. Dranstadt, ihr zukünftiges Revier, war nur wenige Kilometer entfernt.
»Scheiße, nein, mir geht’s nicht besser!«
Schatz war nicht in der Lage, Georg Herzl von der Angel zu lassen, und schlug mit der flachen Hand gegen das Lenkrad.
Er war sauer und das würde auch noch geraume Zeit so bleiben.
Sie brauchten wieder fast zweieinhalb Stunden, da auf das Baumgespann ein Mini-Trecker mit Riesenheuballen folgte und darauf elf bis achtzehn Laster, die nicht schneller als 60 Stundenkilometer fuhren, und als dann der Straßenverlauf endlich das Überholen zuließ, gab‘s endlos Gegenverkehr. Zu allem Überfluss neunzig Kilometer lang keinen Meter Autobahn. Nur öde Landstraße mit hie und da einem Kilometer zusätzlicher Überholspur. Aber natürlich war genau dort niemand, den man überholen konnte.
Als Schatz auf den Parkplatz der Polizeiwache in Dranstadt einbog, war er mehr als genervt. Dieser Zustand bewegte sich auf diversen Ebenen: Zum einen natürlich sein Grant gegen den Kollegen, dann die endlose, nervtötende Fahrtstrecke, schließlich der Phantomschmerz in seinem nicht mehr vorhandenen Blinddarm und zu allem Überfluss in Kürze das grinsende Gesicht des Polizeihauptkommissars Rödel, dem Herrn ihrer zukünftigen Wirkungsstätte, der ihnen zwar nicht wirklich etwas zu sagen hatte, aber sicher im Übermaß präsent sein würde.
Er schnaubte beim Aussteigen durch die Nase, was er höchst selten tat, und drückte auf den Knopf des Summers, damit die Kollegen sie beide in die Wache lassen würden.
Herzl und er waren darin übereingekommen, dass sie noch kurz auf der Polizeistation vorbeischauen wollten, um dann endlich ihre Wohnungen einzurichten. Sie hatten sich Unterkünfte in unterschiedlichen Stadtteilen gesucht, um nicht auch noch abends aufeinander zu hocken, und mussten beide noch ihre Umzugskartons auspacken, die in den letzten Tagen angekommen waren. Eigentlich kannten sie weder ihre Wohnungen noch die Möbel, die angeblich mit vermietet wurden. Alles war von München aus gemanagt worden und so erwartete sie eine gigantische Wundertüte. Nun hatten sie noch zwei zusätzliche Urlaubstage, die fürs Einrichten reichen mussten.
»Ach, die Kriminaler aus der großen Stadt sind angekommen. Herzlich willkommen!«
Rödel, der Zwei-Meter-Mann, hielt Schatz süffisant lächelnd die Hand hin. Der schlug ein und beschloss, nicht auf den ironischen Ton einzugehen.
»Vielen Dank für das herzliche Willkommen. Wir werden uns hier sicher wohlfühlen und ein wenig aufräumen, denke ich. Denn dafür sind wir ja da«, gab Schatz zurück. Ein wenig Ironie musste dann doch sein.
Er wandte sich dem anderen Kollegen zu, der hinter einem Schreibtisch saß und – glaubte man seinem Gesichtsausdruck – durchaus erfreut über die Neuankömmlinge war.
»Servus Häupl. Wo schlagen wir unser zukünftiges Domizil auf?«
»Da, wo wir letztens auch schon waren.«
Häupl begrüßte Schatz und Herzl ebenfalls per Handschlag.
Er war der Einzige, der es positiv sah, vorübergehend eine Zweigstelle der Kriminalpolizei hier in Dranstadt zu haben, zumal sich Schatz und Herzl dafür ausgesprochen hatten, hier nur ihren Dienst zu tun, wenn ihnen der fähige Schutzpolizist zugewiesen werden würde. Sie hatten mit Hans Häupl schon bei ihrem letzten Fall hervorragend zusammengearbeitet.
Da die Höflichkeiten ausgetauscht waren, folgten sie Häupl in ihr zukünftiges Büro, das gegenüber dem öffentlichen Bereich lag.
»Oha! Hier hat sich ja einiges verändert!«, wunderte sich Herzl, der als erster in den Raum getreten war.
»Da lässt der Rödel sich nicht lumpen. Und es war auch nur eine Notlösung das letzte Mal. Jetzt sollen Sie es ja ein Jahr lang hier aushalten«, erklärte Häupl.
Aus dem Behelfsbüro war tatsächlich ein ansprechender Raum geworden. Die alten, wuchtigen Schränke mit dem Büromaterial waren verschwunden, stattdessen standen an der Wand moderne, ganz offensichtlich neu angeschaffte Büromöbel, die teilweise offen, teilweise abzuschließen waren. Zwei Schreibtische, die erheblich kleinere als die Saurier-Ausmaße ihrer Vorgänger hatten, standen sich gegenüber, ein dritter hatte seinen Platz an der Wand unter einem der Fenster gefunden. Auf allen dreien standen PCs, die Korkwand, die die ganze rechte Breitseite des Zimmers einnahm, hing immer noch da, war aber mit einer Unzahl von Pinnnägeln bestückt worden und in den Ecken gab es zwei neue Flipcharts mit einem Packen Ersatzpapier und Beschriftungsmaterial.
»Na, sieh mal an. Da stinkt ja unser Münchner Büro dagegen ab«, wunderte Schatz sich, nun doch etwas positiver gestimmt.
»Wie gesagt, da lässt sich der Rödel nichts nachsagen. Übrigens hat er auch gleich die ungelösten Fälle der letzten Jahrzehnte herausgesucht, damit die Herren Kriminaler nur ja ihre Arbeit haben.«
Häupl grinste über beide Backen.
»Da braucht der Polizeihauptkommissar Rödel keine Angst zu haben.«
Schatz schaute mit verkniffener Miene zu Herzl hinüber, als wolle er sagen: Ich hab‘s dir doch gesagt!
Herzl seufzte und sagte laut: »Ja, ich weiß, du hast’s gesagt.«
»Na gut, kümmern wir uns mal um unsere Wohnungen, so lange wir noch Urlaub haben. In zwei Tagen mischen wir die Dienststelle auf.«
Schatz hatte keine Lust, sich seine Unlust vor Rödel, der hinter sie getreten war und die Ohren offenhielt, anmerken zu lassen. Stattdessen verlieh er seiner Stimme einen lockeren Klang.
Schatz wandte sich zu ihm um.
»In zwei Tagen ist Dienstbeginn. Ich hoffe, dass der zweite Dienstwagen bis dahin da ist.«
Der zweite Dienstwagen war Bestandteil ihrer Vereinbarung mit Gruber, ihrem Münchner Chef, gewesen. Der sollte für die Dauer der Abordnung, die auf ein Jahr beschränkt war, auch ihr Chef bleiben, wie Schatz in jedem Gespräch ausdauernd wiederholt hatte.
»Der ist schon da, kann beim Autohaus abgeholt werden.«
»Was denn, ein neuer?«
Schatz drehte sich in seiner Überraschung frontal zu Rödel.
»Jahreswagen. Sie scheinen einiges verlangen zu können bei ihrem Obermuffti da in München.«
»Das aus Ihrem Munde, Rödel. Wo der Obermuffti doch Ihr alter Schulkollege ist.«
Rödels Miene entgleiste für einen Augenblick, dann hatte er sich wieder im Griff.
»Ach, das wissen Sie?«
»Wir sind gute Kriminaler, schon vergessen?«
»Nein, wie könnte ich das vergessen.«
Rödel haute ab.
Schatz seufzte, als er die Tür zum Parteienbüro lautstark ins Schloss fallen hörte.
»Na, das kann ja heiter werden!«
»Ach, sieh es doch positiv. Eigentlich können wir hier doch machen, was wir wollen.«
Herzl zuckte mit den Schultern.
»Nur keine Quote!«
»Wolltest du noch mal Karriere machen? Ich dachte, Gruber hat dich schon dezent darauf hingewiesen, dass für dich das Ende der Fahnenstange erreicht wäre?«
Herzl erinnerte sich lebhaft an jenes Gespräch, bei dem Gruber ihnen ihre Versetzung angetragen hatte.
»Dafür hast du noch Chancen, Georg. Müsstest du auf dem Lohnzettel schon bemerken«, bemerkte Schatz hintergründig.
»Jaaa, schon gut. Ich weiß ja, dass du nur wegen mir zugestimmt hast. Du musst mir das nicht ständig unter die Nase reiben.«
Herzl war nahe daran, seinen zur Schau gestellten Gleichmut aufzugeben und Schatz auch einmal eine gesalzene Antwort hinzuhauen. Aber wie so oft an diesem Tag unterließ er es auch diesmal, den Kollegen noch mehr gegen sich aufzubringen.
Schatz war müde. Von der Fahrt und auch immer noch von der Notoperation, die da vor acht Wochen so plötzlich über ihn hereingebrochen war. Blinddarmdurchbruch! Das war kein Zuckerschlecken! Er, der sich sein Leben lang eisern gesund hielt, hatte immense Probleme damit, jetzt plötzlich Schwäche zu spüren. Eigentlich hatte er sich immer über die Leute mokiert, die seiner Meinung nach entweder Simulanten oder Hypochonder oder einfach nur zimperlich waren. Selbstverständlich ging er nun weder davon aus, ein Simulant, ein Hypochonder oder zimperlich zu sein. Es ging ihm einfach noch nicht wieder gut. Zimperlich, das waren die anderen. Eh klar.
»Komm, ich fahr dich zu dem Autohaus und dann holen wir den zweiten Wagen, damit du auch mobil bist. Hol dir mal die Daten vom Rödel,« sagte Schatz, nun ein wenig friedlicher gestimmt.
Obwohl Herzl wenig Lust darauf hatte, Rödel noch einmal gegenüberzutreten, widersprach er nicht. Schatz hatte einiges gut bei ihm. Immerhin sorgte die Aussicht auf einen eigenen Wagen und ein baldiges Wiedersehen mit Julia für extrem gute Stimmung beim frischgebackenen Kriminalhauptkommissar.
Nachdem sie endlos miteinander telefoniert hatten, war die Begegnung mit der drallen Julia dennoch eine Offenbarung. Er stürmte ins Bürgermeistervorzimmer von Damling, ungeachtet der bösen Blicke des Herrn Bürgermeisters, der bei ihrem letzten Fall hier persönlich beteiligt gewesen war, und jetzt gerade bei Julia im Vorzimmer stand.
»Also, Herr Bürgermeister, jetzt müssns mi scho kurz mal entschuldigen«, sagte die Julia mit einem kecken Augenaufschlag und umarmte ihren Schorschi, wie sie ihn zu nennen pflegte, derart, dass ihm die Luft wegblieb. Nicht nur wegen der ungeahnten Kraft, die sie entwickelte, eher schon wegen der weichen Formen, die sich gegen seinen Körper pressten.
»Scheiße, i hob di echt vermisst. Und des hob i no vo koam Kerl ned g’sagt«, begeisterte sich die blonde Schönheit gerade und Herzl konnte nur erahnen, was sie in ihrem Oberpfälzer Dialekt gerade herausschoss. Er hatte nach wie vor seine liebe Not mit dem einheimischen Zungenschlag.
»Bist scho eizong?«, fragte sie, nachdem sie ihn dann doch losgelassen hatte, aber immer noch auf Tuchfühlung neben ihm stand.
»Falls du gerade gefragt hast, ob ich schon eingezogen bin, dann nein. Ich war noch gar nicht in der Wohnung. Danke übrigens, dass du dort mal nach dem Rechten geschaut hast.«
»Ach, du wirst schon sehen, dass die ganz nett ist. Altmodische Möbel zwar, aber grundsätzlich ganz in Ordnung.«
Jetzt hatte sie auf Hochdeutsch umgeschaltet. Herzl kannte sie gut genug, dass sie, wenn sie sich noch länger unterhielten, irgendwann in einen Mischmasch aus Hochdeutsch und Dialekt fallen würde.
Julia sprach weiter: »Na ja, a paar vo dene Möbel musst da halt mal anschau’n.«
Genau! Herzl kannte seine Julia doch schon recht gut. Aber diese Version ihres Dialekts konnte er wenigstens einigermaßen verstehen.
»Wäre der Herr Kriminaler wohl so nett, meine Vorzimmerdame wieder arbeiten zu lassen?«, mischte sich der Bürgermeister gar nicht unfreundlich ein.
Immerhin hatten sie seine angeheiratete Nichte Adele wegen Mordes verhaftet. Bei ihrem letzten Einsatz hier.
»Schon recht, Herr Bürgermeister. – Bis dann, Julia.«
»I komm dann nach Dienstschluss und helf dir beim Einrichten!«, rief sie ihm noch nach, da er sich eilig vom Acker machte, um keinen Ärger mit dem Herrn Bürgermeister zu provozieren.
Dafür saß er kurze Zeit später in der Wohnung, die im zweiten Stock eines Sechsfamilienhauses lag. Das Haus mochte früher ein ansprechendes Bürgerhaus gewesen sein, Heimat einer betuchten Familie mit vielen Dienstboten. Dann hatte jemand die Idee gehabt aus den großzügigen Räumen Wohnungen zu stückeln, mit nachträglich eingezogenen Rigipswänden und notdürftiger Badezimmerlösung. Herzl schmunzelte, als ihm das Wort ›notdürftig‹ in Zusammenhang mit dem seltsamen Badezimmer einfiel. Es gab in dem schmalen Schlauch ein winziges Waschbecken, eine Dusche, die sich hinter der Tür versteckte und vom Gefühl her auch kleiner als handelsübliche Duschen war, und eine Toilette, die an der Kopfseite des Raums unter dem schmalen Fensterchen irgendwie riesig wirkte, neben all den putzigen Puppenstubenmaßen der übrigen Installationen.
Er ging zurück ins Wohnzimmer. Der Flur war ebenso schmal wie das Duschklo, dafür war das einzige wirklich wuchtige Teil im Wohnzimmer – der Wohnzimmerschrank – so groß, dass er das Gefühl hatte, dass das Haus darum herum gebaut worden sein musste. Auf den zweiten Blick hatte er entdeckt, dass der Schrank aus drei Teilen bestand und somit transportabler als gedacht war. Was nicht bedeutete, dass der Schrank irgendetwas Anziehendes an sich hatte. Das Teil war einfach nur potthässlich. Dafür hatte zumindest das Wohnzimmer auch angenehme Seiten. Der Ausblick durch die zwei hohen Bürgerhausfenster mit immerhin moderner Isolierverglasung ging über ein Flüsschen hinweg hinüber zu einer Feld- und Wiesenlandschaft. Seine Wohnung lag am Stadtrand und der Wasserlauf umfloss Dranstadt nach der einen Seite. Die ganze Stadt befand sich innerhalb des Flusses, außerhalb gab es lediglich besagtes Bauernland und einige wenige, einödig stehende Bauernhäuser. Zur gegenüberliegenden Stadtseite, vis-a-vis des Flusses, begrenzte ein dichter Wald, den granitene Felsstränge durchzogen, den Ort.
Herzl drehte dem Fenster den Rücken zu und schnaufte tief durch. In eben jenem Wohnzimmer stapelten sich die Umzugskartons und er wusste absolut nicht, wo er anfangen sollte. Statt mit dem ersten Schritt zu beginnen und einen der Kartons zu öffnen, ging er hinüber in die Küche, die zwar ebenfalls sehr klein war, aber immerhin quadratische Ausmaße hatte und damit ein wenig geräumiger wirkte. Er öffnete eine Wasserflasche, trank durstig und wanderte damit ratlos weiter.
Ein ausreichend dimensioniertes Schlafzimmer und ein weiteres, eher kleines Zimmer, das als Arbeits- oder Kinderzimmer genutzt werden konnte, vervollständigten die Wohnung. Herzl konnte sich kaum vorstellen, hier mit einer Familie zu wohnen, aber für einen einzigen Bewohner mit seiner frisch verliebten Freundin würde es wohl reichen.
Es klingelte. Voller Vorfreude betätigte er den Summer, stellte die Flasche achtlos in die Ecke, und wenig später nahm er die frisch verliebte Freundin in Empfang.
»Wart‘ doch, Schorschi. Du zerdrückst ja unser Abendessen!«, wiegelte sie ab und drückte ihn mit beiden Händen zurück in die Wohnung.
»Scheiß drauf! Ich musste schon so lange auf dich warten.«
Herzl konnte kaum glauben, wie verliebt er in die Julia war. So etwas kannte er nicht, trotz seiner inzwischen gut über dreißig Jahre. Es war verwirrend. Und wunderschön. Also, eher wunderschön als verwirrend.
Während er noch seine wirren Gedanken sortierte, hatte Julia den Korb in die Küche gestellt und die Jacke ausgezogen. Jetzt kam sie zu ihm, der immer noch an der nunmehr geschlossenen Tür stand, zurück.
»So, jetzt will ich sehen, wie du dich freust«, kokettierte sie.
Während sie sich küssten, schoss Herzl durch den Kopf, wie es nun weitergehen konnte. Ins Schlafzimmer mit der Schönen? Nein, eher nicht. Er hatte das fatale Gefühl, dass so viel Überschwang ihm bei seiner Julia keine Rosen bringen würde. Die hatte die Fäden lieber selber in der Hand. Abgesehen davon war das Bett noch im Rohzustand, also ohne Matratze und Bettzeug. Er ärgerte sich darüber, dass ihm noch nicht eingefallen war, zumindest das zu erledigen.
Tatsächlich schob sie ihn nach einem angemessenen Kuss wieder ein wenig auf Abstand.
»So, jetzt müss’ma aber was tun.«
Sie marschierte in das Wohnzimmer.
»Mei, Schorschi! Was hast’n den ganz’n Tag gemacht? Da is ja ned eine Kist’n auspackt!«
Sie schaute unglaublich vorwurfsvoll und er war zerknirscht.
»Ich wusste einfach nicht, wie ich anfangen sollte.«
Herzl zuckte mit den Schultern. Schuldbewusst, obwohl er gar nicht wusste, wofür er sich schuldig fühlte.
»Na, dann sag‘ ich dir jetzt, wie wir anfangen. Mach mal eine Kiste nach der andere auf und schau rein, was drin ist. Dann verteilst du die Kisten in den Räumen, wo sie hingehör’n«, kommandierte sie und Herzl war froh, dass sie die Führung übernahm. Er war für solche Sachen einfach zu chaotisch. Allerdings – der Gedanke drängte sich vehement in seine Gehirnwindungen – brauchte er sich dann nicht zu wundern, wenn sie auch sonst das Alpha-Tierchen herauskehrte.
Sie hatte inzwischen einen kleinen Eimer und Putzmittel mit den dazugehörigen Lappen aus dem Korb gezogen und machte sich daran, den Schlafzimmerschrank und die wuchtige Kommode, die seitlich vom Bett stand, sauber zu wischen. Anschließend nahm sie sich die Küchenschränke vor. Zum Schluss kam noch der Kühlschrank an die Reihe, dem sie große Aufmerksamkeit widmete.
»Die Matratzen haben sie dir schon ins Schlafzimmer gestellt. Wenns’d mir hilfst, dann mach ich dir des Bett.«
Nein, Herzl wagte nicht zu hoffen, dass das Bett heute noch eingeweiht werden würde. Nicht zusammen mit der Julia. Die war da wirklich eigen. Da brauchte er Geduld. Sie bestimmte den Zeitpunkt. Das hatte er inzwischen schon gelernt. Alphatierchen eben.
Aber erstaunlicherweise war der Abend auch ohne Sex zauberhaft. Wie immer mit ihr. Nachdem die Kartons mehr oder weniger aus dem Wohnzimmer verschwunden waren, lediglich einige Wohnzimmerkartons standen noch herum, kuschelten sie auf der Couch, tranken ein oder auch drei Gläschen Wein und hörten kuschelige Musik. Dazu hatte seine Julia Häppchen gemacht, mit Lachs und Käse, richtig teurem Käse aus dem Bioladen. Weintrauben und eine Wassermelone hatte sie ebenfalls besorgt, letztere sogar fachmännisch in seiner inzwischen funktionstüchtigen Küche zerkleinert. Er selber wusste mit solchen Dingern immer nichts anzufangen. Keine Idee, wie er den Fußball aufschneiden sollte, damit der das Innere preisgab. Julia wusste solche Sachen. Sie war praktisch und packte die Dinge an. Gut war sie, die Melone und die Julia. Und überhaupt alles.
Die Julia passte einfach! Auch wenn er sie am späten Abend züchtig nach Hause brachte und wenig später todmüde in sein frisch gemachtes Bett fiel.
»Na, wie war das Wiedersehen mit der schönen Julia?«
Schatz konnte sich die Frage nicht verkneifen, als sie sich zwei Tage später auf dem Revier einfanden. Sein Interesse war ehrlich gemeint. Er hatte schon bemerkt, dass die junge Dame das Herz seines Kollegen gewonnen hatte und der recht empfindlich auf irgendwelche Spitzen reagierte. Schon seltsam, dass es den Luftikus so heftig erwischt hatte.
»Sie hat mir mit der Wohnung geholfen.«
»Und, wie ist sie so?«
»Wie wird sie schon sein, zauberhaft und zuckersüß. Du kennst sie doch auch.«
Herzl schüttelte missbilligend den Kopf über die einfältige Frage des Herrn Kollegen.
Der grinste. »Die Wohnung, du Dödel.«
Nun grinste auch Herzl gutmütig.
»Altmodische Möbel, aber ganz nett eingerichtet inzwischen. Die Julia hat ein gutes Händchen dafür und hat sich um die Vorhänge und so gekümmert. Aber ganz fertig sind wir noch nicht.«
»Na dann…«
Schatz fragte sich selber, ob er vielleicht nicht doch eine Spur eifersüchtig auf Herzls unerwartetes Glück war? Seit seiner Operation saß da ein Stachel, den er noch nicht so ganz greifen konnte. Herzl hatte ihn damals darauf gebracht, mit seinem Spruch vom alten Ehepaar, das sie beide irgendwie markierten. Tatsache war, dass er selber keinerlei Familie hatte. Von seinem Kollegen wusste er, dass da zumindest noch Eltern waren, die irgendwo in der Stuttgarter Gegend wohnten und auch noch ein Bruder, der sich in den Weiten Kanadas verfangen hatte.
Dazu kam, dass er noch keinen Strich an seiner eigenen Wohnung erledigt hatte. Von sich selber überrascht und vielleicht sogar ein wenig panisch, hatte er gestern Abend begriffen, dass er keine Ahnung hatte, wie er all das bewältigen sollte. Was gehörte wohin? Dass ausgerechnet er, der Ordentliche, Pedantische, plötzlich so hilflos herumstand, machte ihm Angst. Am liebsten würde er den ganzen Tag im Bett verbringen und irgendwelche alten Filme anschauen. Und gestern Abend war ihm plötzlich klargeworden, dass er drauf und dran war, eine saftige Depression zu entwickeln, oder einen Burnout. Oder beides, wenn er auch nicht wusste, was beides so genau war.
Er seufzte, was ihm einen überraschten Blick von Häupl und Herzl einbrachte. Es war noch früh am Morgen und sie würden heute erst einmal die Lage peilen – sprich: Die sogenannten Altfälle vom Rödel durchforsten.
Automatisch hatte sich eine Sitzordnung ergeben: Schatz und Herzl saßen sich in der Mitte des Raumes gegenüber, während Häupl den Schreibtisch am Fenster hinter Schatz übernommen hatte.
Schatz hatte den Packen mit den Unterlagen vor sich liegen und schlug den angestaubten Aktendeckel des obenauf liegenden Falles auf. Hier wusste er wenigstens, was er zu tun hatte.
Adele Roma stand in gestochener Handschrift vorne drauf. Er seufzte noch einmal vernehmlich. Die Mörderin ihres letzten Falles hieß auch Adele. Keine Phantasie, diese Oberpfälzer! Er überflog die erste Seite und runzelte die Stirn.
»Der Rödel hat einen Knall!«, sagte er dann und meinte es ganz und gar nicht humorvoll.
Die anderen beiden schauten ihn an. Noch bevor sie nachfragen konnten, sprach Schatz weiter.
»Adele Roma wurde getötet und dann versuchte ihr Mörder, sie anzuzünden, was ihm aber nicht gelungen ist, weil er es im Wald versucht hat und es zu der Zeit in Strömen schüttete.
»Ok? – Und?«
Herzl sah Schatz fragend an.
»Und?«, wiederholte Schatz süffisant. »Wisst ihr, wann das war? – 1910. Vor mehr als hundert Jahren.«
»Und, haben sie den Fall gelöst?«, fragte Herzl ohne rechtes Interesse.
»Wohl kaum, sonst läge er doch nicht hier auf dem Stapel. Aber 1910 – gibt’s hier keinen außer mir, der sich über den Rödel aufregt?«
Häupl grinste. Genauer gesagt, er hatte Mühe, nicht laut herauszulachen.
Schatz kam in Fahrt: »Falls der Rödel meint, dass das hier witzig ist, dann werde ich ihm mal flüstern, was wirklich witzig ist!«
Da er während seiner Rede beständig lauter geworden war, fühlte sich Häupl bemüßigt, als menschliche Barriere vor die Tür zu treten. Schatz war tatsächlich aufgestanden und näherte sich bedrohlich dem Ausgang.
»Immer langsam, Chef. Das Ei habe ich Ihnen gelegt. Ich konnte es nicht lassen. Die Akte fand ich, als ich den alten Büroschrank ausräumte. Ich habe einen neuen Aktendeckel herumgelegt und alles auf den Stapel befördert.«
Ganz sicher war er sich nicht, ob sein Humor bei Schatz fruchtete.
»Wenn es von Ihnen ist, Häupl, dann lach‘ ich drüber. Ha ha!«
Schatz sah missmutig drein, aber Herzl amüsierte sich königlich.
»Häupl, genial. Möge die Adele Roma in Frieden ruhen.«
»Ja, das soll sie.«
Häupl nickte inbrünstig, was Schatz nun doch ein Grinsen entlockte.
»Das kann ja heiter werden, mit zwei solchen Witzbolden und dem Rödel obendrein!« Er klatschte die Akte Häupl an die Brust. »Legen Sie das mal ab, wo immer man das bei euch auch ablegt.«
»Alles klar, Chef!«
Der Polizist nahm die Akte an sich und schob sie in eine Schublade seines Schreibtisches, um sie außer Sichtweite von Schatz zu schaffen.
Inzwischen hatte Schatz die alten Akten brüderlich geteilt. Sie alle brüteten nun über ihren Stapeln. Mord und Totschlag in Dranstadt und drum herum. Irgendwie ein Panoptikum an seltsamen Vorgängen. Aber Morde waren immer seltsam.
Das Klingeln des Telefons unterbrach sie bei ihrer Lektüre. Schatz ging gleich selber an den Apparat auf seinem Schreibtisch, meldete sich und runzelte die Stirn, während er zuhörte. Aus irgendeinem komischen Grund besserte sich seine Laune augenblicklich. Endlich etwas zu tun!
»Ob ihr es glaubt oder nicht, Freunde, wir haben eine Tote.«
»Du verarscht uns jetzt, oder?«
Herzl hatte seine Arme über den staubigen Papieren verschränkt und beobachtete Schatz ein wenig übermüdet beim Telefonieren. Nun war er hellwach.
»Würd‘ ich gern, aber so originell bin ich nicht.« Schatz‘ Ton war trocken und seine Miene unverändert. »Rafft euch auf, tote Frau irgendwo in Buchenriss.«
Bei der Erwähnung des Namens zuckte Herzl zusammen. Es war Schatz‘ Geburtsort, wie Herzl seit der Notoperation seines Kollegen wusste. Doch Schatz reagierte keineswegs.
»Also, was jetzt?«
Herzl zuckte mit den Schultern, holte seine Jacke vom Haken und warf Häupl die seine zu. Dann verließen sie die Wache.
Vorderhand waren sie mit nur einem Auto unterwegs. Buchenriss lag seitwärts zwischen Damling, ihrem letzten Einsatzort, und Dranstadt. In kaum einer Viertelstunde waren sie vor Ort, zumal Häupl mit Schatz‘ Beschreibung vom Tatort sofort etwas anfangen konnte und zielstrebig darauf zuhielt.
Die tote Frau lag am Fuße eines Felsvorsprungs, unter dem auf einem steilen Abhang Büsche und kleine Bäumchen zu finden waren. Ein abgebrochener Ast und mehrere Zweige unter dem Körper der Toten und drum herum zeugten davon, dass sie auf die äußerste Baum- und Buschreihe gefallen sein musste. Geholfen hatte ihr das wenig. Sie lag mit verdrehten Gliedmaßen auf dem Boden, das verschrammte Gesicht mit weit aufgerissenen Augen den Ermittlern zugewandt.
»Scheiße, die ist doch kaum älter als zwanzig. Vielleicht nicht mal das.«
Schatz hockte sich vor die Leiche und betrachtete sie eingehend. Herzl stand hinter ihm und schaute nach oben, dorthin, wo die junge Frau ausgerutscht sein musste oder was auch immer dazu geführt hatte, dass sie gefallen war. Es mochten etwa dreißig Meter sein, die bis zum Felsen hinaufführten, wobei Herzl ein schlechter Schätzer war. Ein Meter mehr oder weniger machte jedoch für das eindeutige Ergebnis auch nichts mehr aus.
Er seufzte. Er war Kriminaler, aber Kinder und junge Leute gingen ihm noch mehr an die Nieren, als die üblichen mittelalterlichen Leichen oder die ganz Alten, zu denen er ohnehin keinen Draht hatte.
»Man kann schlecht sagen, ob irgendeine äußerliche Einwirkung zu ihrem Sturz geführt hat, dazu ist sie vom Fall zu gezeichnet. Da muss der Gerichtsmediziner drüber.«
Schatz erhob sich.
»Wissen wir schon, wie es passiert ist? Wer hat uns angerufen?«
Herzl drehte sich um. Erst mehrere hundert Meter weiter hinten fing der Ort Buchenriss an. Dort, in der Ferne, konnte er einige Leute in ihren Gärten stehen sehen. Die üblichen Gaffer. Das durchdringende Geräusch der Ambulanz-Sirene näherte sich und wenige Sekunden später hielt der Krankenwagen am Ort des Geschehens.
»Ich wurde von Ihren Kollegen verständigt, die an der Notfallleitung sitzen. Angeblich hat ein vollkommen aufgelöster junger Mann angerufen…«, erklärte der Notarzt im Näherkommen.
Herzl wurde einer Antwort enthoben, da sich von oben herunter eine schrille Stimme bemerkbar machte.
»Sie lebt doch noch, nicht wahr? Sie lebt doch noch?«
Das aus der Entfernung kaum zu erkennende Gesicht eines jungen Mannes schob sich über die Felsnase. Offensichtlich hatte er sich sicherheitshalber hingelegt, um nicht selber zu stürzen.
»Wie kommt man da rauf?«
Herzl wandte sich hektisch zu Häupl um, der gerade bei dem Notfallteam stand und selber in die Höhe schaute.
»Über Damling. Von hier aus kommt man nicht hoch. Aber man kann relativ nah ranfahren. Über eine Forststraße.«
»Damling lässt uns nicht los, nicht wahr?«
Schatz atmete tief durch, dann schrie er nach oben: »Gehen Sie vom Felsvorsprung weg. Wir kommen zu Ihnen hinauf. Setzen Sie sich in ordentlicher Entfernung hin. Wir kümmern uns schon um die junge Frau.«
»Da gibt’s nichts mehr zu kümmern!«, meldete sich der Sanitäter resolut.
Schatz winkte ab.
»Muss er ja noch nicht wissen. Sonst springt er hinterher. – Also, Häupl?«
»Na, dann einsteigen.«
Herzl gab noch die Anweisung, dass die Sanitäter so lange dableiben sollten, bis ein weiteres Polizistenteam anwesend sein würde. Er hatte die Kollegen bereits zuvor per Telefon angefordert.
Häupl pflügte halsbrecherisch durch den Wald den Hügel hinauf, bis der Weg durch ein Dickicht verstellt war. Mehr als einmal drohte ihr Automobil, das für derartige Unternehmungen ganz und gar nicht geschaffen war, aufzusitzen oder sich festzufahren und Schatz bezweifelte, dass der Rückweg noch angetreten werden konnte. Häupl hatte die Reifen die letzten Meter scharren lassen, bis der schweifelnde Wagen letztendlich nicht mehr weiterwollte. Nun, darum würde man sich später kümmern müssen.
Gegenwärtig war es am Wichtigsten, den aufgelösten jungen Mann zu finden, möglichst schnell zu finden, nicht, dass er seiner Frau oder Freundin doch noch nachsprang!
»Hier geht’s lang!«