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Ein Knattern und Fauchen lässt Tobias auf der Kletterkiefer aufhorchen. Ein Flugzeug mitten auf der Waldwiese? So etwas hat es noch nie gegeben. Tobias beobachtet, wie der Doppeldecker landet und drei Flieger aus der kleinen Maschine klettern. Er sieht, wie die Flieger eine Karte ausbreiten und ihre Kopfhauben ablegen. Als sie sich abwenden und etwas zu erkunden scheinen, kann Tobias nicht widerstehen: Er stopft sich eine Kopfhaube unter das Hemd und läuft hastig den Weg zurück ins Dorf. Doch Tobias kann sich an der Kopfhaube nicht erfreuen, so viel sie ihm auch von Flugzeugen, Wind und Wolken zu erzählen vermag, denn er weiß, sie wird gebraucht ...
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Seitenzahl: 75
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Jürgen Leskien
Tobias sucht den Doppeldecker
ISBN 978-3-96521-018-9 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1975 in Der Kinderbuchverlag Berlin
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
2020 EDITION digital Pekrul & Sohn GbR Alte Dorfstraße 2 b 19065 Godern Tel.: 03860-505 788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.edition-digital.de
„Ja“, sagt Onkel Heiner, „sei nicht traurig!“ Er boxt Tobias sanft in die Seite, nimmt aber schnell die Hand an das Lenkrad; denn der starke Motor des Lastautos brummt ärgerlich, als sie durch das große Schlagloch scheppern.
Da soll ich nicht traurig sein, denkt Tobias, wo ich mich auf Frank so gefreut habe! Uns fehlt ein ganzer Tag, wenn Frank erst morgen kommt. Allein finde ich die jungen Füchse im Wald nicht. Und an der Tankstelle, das schaffe ich auch nicht ohne Frank. Ich kann doch nur die Hälfte der großen Autoscheiben putzen,
Tante Hela tankt so flink!
„Frank kommt schon zwei Tage früher aus dem Zeltlager, das große Lagerfeuer heute Abend, das gönnst du ihm doch? Onkel Heiner kneift ein Auge zu, und Tobias setzt sich ganz gerade hin. „Na klar, kommt er eben morgen!“
Der Onkel gibt kräftig Gas, die Alleebäume schwuppen vorbei. „Wie war es bei dir dort in den Bergen?“
Tobias zeigt mit dem Arm, wie steil die Berge sind, spannt die Muskeln und sagt: „Jetzt schaffe ich drei Klimmzüge!“
Sie müssen vor der Bahnschranke halten. Onkel Heiner stellt den Motor ab, er zeigt auf das Flugmodell, das Tobias auf den Knien hält, und fragt: „Das Fliegerchen, das hast du wohl im Ferienlager gebastelt?“
Tobias nickt. „In einer Woche. Mücke hat zwölf Rippen.“
„Das ist viel“, Onkel Heiner startet den Motor. Wie ein Finger zeigt die Bahnschranke zum Sommerhimmel. Gutes Wetter für Mücke, denkt Tobias, heute werde ich sie fliegen lassen; und plötzlich ist er nicht mehr traurig.
Onkel Heiner lenkt den Laster in die schmale Straße. Tante Hela steht an der Hecke, Tobias sieht sie lachen. Ihr dicker Zopf ist noch länger geworden. Sein Pinselende kitzelt Tobias, als Tante Hela ihn drückt. Sie dreht ihn, noch einmal und noch einmal.
' „Wie braun du bist, Tobias, und wie groß!“
Sie lacht ihn an, und Tobias hält Tante Hela fest. Mit ihrer Hand streicht sie immer wieder über seinen Rücken. Plötzlich macht er sich los.
„Mücke ist noch im Auto!“
Tante Hela sieht ihn erstaunt an, Tobias steht schon auf dem eisernen Steigbügel des Fahrerhauses und öffnet die Tür. Vorsichtig reicht er Mücke herunter.
„Mit zwölf Rippen“, erklärt er.
Tante Hela fährt sacht mit den Fingern über die Bespannung. „Zart wie Mückenflügel“, sagt sie leise. Dann gehen alle drei den breiten Gartenweg entlang.
Tante Hela fragt, wie die Bahnfahrt war und ob Onkel Heiner es noch bis zur Zugankunft geschafft habe. Onkel Heiner antwortet für Tobias, denn Tobias beobachtet die Rauchkringel über dem Schornstein und wirft Gras in die Luft. Der Wind ist gut, denkt er.
Tante Hela hat ihm zugesehen, sie zieht ihn zu sich heran. „Natürlich muss Mücke heut noch fliegen, aber die Apfelplinsen wirst du doch erst essen!“
Tobias nickt heftig. Apfelplinsen!
Ein großer Blumenstrauß steht auf dem Tisch. Die Servietten neben den Tellern sind bunt und rascheln, wenn man sie berührt, doch Tobias faltet seine Serviette nicht erst auseinander. Er schielt an den Blumen vorbei zu Mücke, die mit der Nase nach unten an der Liege lehnt. Er isst vier Apfelplinsen, dann steht er auf dem Hof.
„Bis um fünf bin ich an der Tankstelle“, ruft Tante Hela ihm nach.
Tobias hört es nicht mehr. Er steht an der großen Kiefer und blinzelt in die Sonne. Wolkenschiffe segeln langsam am blauen Mittagshimmel. So blau ist auch Mückes Bauch. Tobias hält Mücke fest in der Hand, rennt über den Hof. Tante Hela hat ihm einen Apfel in die Hosentasche gesteckt. Der schlägt beim Laufen ans Bein, aber Tobias stört das nicht. Mücke will fliegen, sie reißt ihm den Arm nach oben, er muss ordentlich aufpassen. Tobias sieht zu den Wolkenschiffen, schlägt noch einen Haken um die Holzmiete und ist schon auf der Schneise, die zur Waldwiese führt.
Einhundertachtundzwanzigmal muss man auf Tante Helas Rad die Pedale treten, dann ist man an der großen Waldwiese. Heute kann Tobias nicht mit dem Rad fahren, obwohl er es sehr eilig hat, Mücke hat zu breite Tragflächen. Tobias bleibt stehen, nimmt Mücke in die andere Hand. Vorsichtig berührt er den Randbogen der Tragfläche. Es war recht schwierig, die dünnen Leisten zu biegen, auch das Leitwerk anzubringen, war nicht einfach. Als sie das Spannpapier aufzogen, sagte Olaf, ihr Student: „Tobias, du darfst das Modell bis zum Ende der Ferien mit nach Hause nehmen.“
„Ich? Ja, aber … Und ihr?“, stotterte Tobias. Das Spannpapier war dünn, wie schnell war da ein Loch hineingerissen! Und sie waren fünf, die am kleinen Flugzeug gearbeitet hatten.
Er sah sie an, trat von einem Bein auf das andere.
„Ich darf es wirklich mitnehmen?“, fragte er und hoffte sehr, dass alle ja sagen würden.
Die Hanne nickte zuerst und dann auch Gerold.
Nur Jens sagte: „Aber wiederbringen!“
Nun steht Tobias am Rand der großen Waldwiese. Die Luft flimmert, er muss die Augen zukneifen, um die Baumwipfel auf der anderen Seite zu erkennen. Dann rennt er hinein in das hohe Gras. Noch längst nicht in der Mitte der Wiese, hält Tobias den feuchten Zeigefinger steil nach oben. Vorsichtshalber wirft er Grashalme in die Luft und weiß es nun genau, der Wind weht dem Dorf zu.
Mückes blauer Bauch liegt gut in Tobias’ Hand. Wie beim Weitsprung läuft er an, schneller und schneller. Jetzt holt er weit aus, und schon ist Mücke in der Luft. Ganz ruhig segelt sie. Tobias bleibt stehen. Er hat Mücke gestartet! Wie ein großer Vogel gleitet sie, nur viel ruhiger. Tobias läuft, er will sie einholen, stürzt über einen Maulwurfshügel. Doch Mücke verliert er nicht aus den Augen, sie segelt immer noch. Jetzt neigt sie die Tragfläche und landet sanft im hohen Gras. Tobias hebt sie auf, dreht sich mit ihr im Kreise. Wie gut Mücke fliegt, ich habe Mücke fliegen lassen!
Wieder nimmt er Anlauf, Mücke fliegt höher als beim ersten Start. Da sieht Tobias, wie Grashalme aufgewirbelt werden. Mit den Halmen steigt auch Mücke. Sie steht fast in der Luft, aber sie steigt immer noch. Tobias muss sich weit zurücklehnen. Die Sonne sticht in den Augen. Für einen Moment kann er Mücke nicht sehen. Aus der Sonne heraus segelt sie in einer flachen Kurve dem Waldrand entgegen. Endlich hat Tobias sie eingeholt. Sie verliert kaum Höhe und steuert die kräftige Kletterkiefer an! Tobias bleibt erschrocken stehen. Mit einer Tragfläche berührt Mücke die Zweige, dreht sich auf den ausladenden Ästen. Die blaue Rumpfnase kippt nach unten, aber die Zweige halten Mücke fest. Zum Glück haben sie kein Loch in die Bespannung gerissen, Tobias kann es von unten genau sehen, auch das Leitwerk ist unbeschädigt, er atmet erleichtert auf.
Der Kiefernstamm ist sehr dick und mit fester Borke gepanzert. Tobias blickt zur Baumspitze. Er sieht das Himmelsblau zwischen den Ästen, und er sieht die hellbraune Rinde am Stamm dort in der Krone. Aus dieser Rinde quellen Harztropfen. Die Harztropfen erkennt Tobias von unten nicht, aber er weiß, wie klebrig sie sind. Tobias denkt an seine helle Hose und holt tief Luft.
Die unteren knorrigen Aststummel erreicht er ohne Mühe.
Tobias kann flink steigen, es ist ja auch eine Kletterkiefer. Er kann Mücke sehen, sie schaukelt auf den Zweigen. In einer Astgabel ist ein zerfranster Kiefernzapfen eingeklemmt. Ein Eichhörnchen oder ein Specht wird die Samenblättchen herausgefressen haben.
Der nächste Ast ist schlecht zu erreichen. Tobias probiert es mit einem Klimmzug. Gut, dass ich das geübt habe, denkt er und lässt sich langsam herunter, um sich noch einmal hochzuziehen. Dann sitzt er auf dem Ast, der Mücke festhält. Mit den Händen greift er die oberen Äste.
Vorsichtig tastet sich Tobias in kleinen Schritten zu den ausladenden Zweigen. Gleich ist es geschafft, nur noch Mücke herunterschütteln. Tobias stampft mit dem Fuß auf, noch einmal und noch einmal. Doch dann tritt er daneben und kann sich gerade noch festhalten. Der Schwung lässt ihn wie einen Affen hin und her schaukeln.
Doch Mücke ist aus den Zweigen geschüttelt. Tobias sieht, wie sie in einem weiten Bogen in die Schneise hineinsegelt.
Langsam hangelt er zum Kiefernstamm zurück und ruht sich auf einer Astgabel aus. Von hier aus kann er die Waldwiese überblicken. Er sieht den weißen Margeritenfleck und sogar den Ameisenhaufen am Waldrand.
Was war das? Ein Knall! Da - noch einmal.
So laut, wie es manchmal aus dem Motorradauspuff herausknallt. Von der Wiese schallte es herüber. Tobias muss nicht lange suchen. Er glaubt, sich zu täuschen, guckt weg und sieht noch einmal hin. Ein Flugzeug! Tatsächlich, ein Flugzeug!
Weitab, am gegenüberliegenden Rand der Lichtung, schwebt es dicht über den Bäumen heran, kommt immer näher und tiefer.
Schnell steigt Tobias zwei Äste höher. Er sieht gerade noch, wie die Räder in das Gras eintauchen. Langsam, mit schnatterndem Motor, rollt das Flugzeug eine Kurve. Tobias kann den seidigen Propellerkreis erkennen. Die Fensteraugen blitzen in der Abendsonne.
Ein richtiges Flugzeug mit doppelten Tragflächen!
Das Flugzeug rollt auf den Waldrand zu. Es scheint, als wolle es zur Kletterkiefer kommen. Tobias steigt wieder in die Astgabel.
Vor dem Waldrand rollt das Flugzeug herum, zeigt seine Breitseite. Tobias kann die Nummer lesen. 430 steht in schwarzen Ziffern an dem dicken grünen Rumpf. Tobias erkennt auch Hammer und Ährenkranz am Schwanz.
Nur die Piloten kann er nicht sehen. Das Flugzeug rollt nicht mehr, es steht. Der Motor lärmt noch einmal, das Gras duckt sich im Propellerwind. Aus dem schwarzen Rohr an der Seite des Motors kommt ein Niesen und eine kleine blaue Wolke, die sich sofort auflöst.
Einen besseren Platz als hier auf der Astgabel kann Tobias sich nicht wünschen. Jetzt, da der Propeller sich nicht mehr dreht, sind sogar die gelben Propellerspitzen zu erkennen.