Tödlich wie die Trauer - Charlotte Peters - E-Book
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Tödlich wie die Trauer E-Book

Charlotte Peters

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Beschreibung

Seine Nackenhaare stellten sich auf, als sich ihre Lippen langsam zu einem Lächeln verzogen. Dann glitt ihr Blick zur Seite und richtete sich auf etwas in seinem Rücken. Luka fuhr herum und sah gerade noch die Eisenstange auf sich niedersausen.

TÖDLICH WIE DIE TRAUER

Zwei Tote, ermordet an ihrem Arbeitsplatz. Das gemeinsame Element ist ein Zettel, darauf ein gebrochenes Herz – und ein einzelner Buchstabe.
Was verbindet die Opfer? Und wird sich die Reihe fortsetzen?
Diese Fragen beschäftigen nicht nur die Polizei und die beiden Privatermittler Jonas und Felix, sondern auch Luka, der nach einem brutalen Überfall zu sich kommt, einen Zettel in seiner Hosentasche.
Gemeinsam geraten er und die Krankenschwester Veronika immer tiefer in eine Welt, in der Liebe und Wahnsinn Hand in Hand gehen und eine glückliche Beziehung das Todesurteil bedeuten kann.

Dies ist Teil 3 der Reihe, aber er kann auch unabhängig von den ersten Bänden gelesen werden.

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Charlotte Peters

 

 

 

 

TÖDLICH WIE DIE TRAUER

Hinweis:

Die handelnden Personen und alle Geschehnisse sind frei erfunden und haben kein Vorbild in der Realität. Orte sowie Unternehmen, Behörden, Organisationen und andere Gruppen sind ebenfalls frei erfunden oder werden fiktiv genutzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2021 Charlotte Peters

 

Charlotte Peters

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

Inhaltsverzeichnis

 

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Epilog

Leseprobe

 

Kapitel 1

 

Er streckte eine Hand aus und tastete nach dem nächsten Vorsprung. Seine Fingerspitzen krallten sich in den leicht rauen Stein, und er verlagerte seinen Körperschwerpunkt, bis sein linkes Bein frei war, um die nächste minimale Vertiefung zu finden.

Seine Konzentration war absolut – selbst ein kurzes Abschwenken der Gedanken konnte tödlich sein, wenn man ungesichert fast fünfzehn Meter über dem Abgrund hing.

Aus einem der Fenster schräg über ihm fiel unvermittelt Licht nach draußen, und instinktiv verharrte er kurz, ehe er sich langsam wieder in Bewegung setzte. Das Licht erlosch wieder, doch von der Vorderseite des Gebäudes drang genügend Helligkeit herüber, dass er der im Vorfeld geplanten Route folgen konnte.

Er schob sich ein weiteres Stück in die Höhe und fasste mit der linken Hand um die Gebäudekante herum, sodass er sich in den Seitgriff lehnen konnte, während die Finger seiner Rechten den nächsten Punkt ertasteten: einen Riss, wo an dem alten Fabrikgebäude zwischen zwei Steinreihen Mörtel herausgebröckelt war. Die Lücke war gerade groß genug, um drei Fingerkuppen hineinschieben zu können.

Der Grip seiner Kletterschuhe erlaubte es ihm, sich das letzte Stück nach oben zu stemmen, bis er die Fußspitzen auf der nächsten Zierleiste aufsetzen konnte. Zwar waren diese Vorsprünge nur wenige Zentimeter tief, doch sie boten ihm ausreichend Halt, um zwischen den Stockwerken einen Moment durchzuatmen und einen Arm nach dem anderen auszuschütteln, bevor er in den Chalk-Beutel an seinem Gürtel fasste, um seine Hände mit dem weißen Pulver zu bestäuben.

Ein letztes Mal griff er in die Wand, setzte die rechte Fußsohle auf und senkte den Ballen, bis die komplette Sohle Kontakt zur Mauer hatte.

Noch ein Zug, und er hatte sein Ziel erreicht und hockte auf dem Sims des obersten Fensters. Er löste den Sauggreifer von seinem Gürtel, hielt ihn gegen die Glasscheibe und presste mit dem Daumen wiederholt den Knopf der Vakuumpumpe, bis der Greifer festsaß und ihm den nötigen Rückhalt für die nächsten Schritte bot.

Mit routinierten Bewegungen setzte er den Glasschneider an und ritzte einen Kreis in die äußerste Scheibe. Dann tauschte er Glasschneider gegen Hammer, löste mit vorsichtigen Schlägen das Kreisinnere entlang der Sollbruchstelle und legte die Bruchstücke auf dem Fenstersims ab. Das Ganze wiederholte er noch zwei Mal; dann hatte er sich durch die Isolierverglasung gearbeitet und konnte den Arm durch die Öffnung stecken und den Fenstergriff drehen. Das Fenster schwang auf.

Er schlüpfte ins Wohnungsinnere und drückte das Entlüftungsventil, um den Sauggreifer zu lösen, bevor er ihn zusammen mit dem Werkzeug und den Glasstücken wieder in seinem Rucksack verstaute.

Er zog den Fensterflügel zu und trat aus dem Gäste-WC in den dunklen Flur. Mit einem Grinsen registrierte er das Blinken der scharfgeschalteten Alarmanlage, die die Wohnungstür sicherte, dann wandte er sich zum Wohnzimmer.

Ungeniert kippte er alle Lichtschalter neben dem offenen Durchgang. Deckenleuchten an den dunklen Holzbalken und Spots vor den unverputzten Backsteinwänden flammten auf und tauchten die riesige Loftwohnung in helles Licht.

Beiläufig streiften seine Blicke über moderne Möbel und eine technische Ausstattung vom Feinsten, während er zielstrebig auf die Treppe an der fensterlosen Rückwand zuging und die Stahlblechstufen zur Galerie hinaufstieg.

Große Tische und vollgestopfte Bücherregale dominierten den Bereich, und auf einem Schreibtisch standen neben einem iMac und einem Haufen technischem Zubehör auch einige persönliche Gegenstände wie Anti-Stress-Spielzeug und Fotos. Und ein kleines Gemälde in einem schlichten Silberrahmen.

Er griff danach und betrachtete die Darstellung einer hübschen jungen Frau mit schulterlangen dunkelbraunen Haaren und einem schelmischen Lächeln.

Zufrieden zog er die gepolsterte Schutzhülle aus einer Innentasche seiner Jacke, steckte das Bild hinein und verstaute es sicher.

Dann wandte er sich zum Gehen. Er schaltete die Lampen wieder aus und kehrte ins Gäste-WC zurück. Minuten später hatte er das kaputte Fenster mit Folie abgeklebt und befand sich auf dem Rückweg nach unten.

 

* * *

Als er die unterste Zierleiste erreicht hatte, stieß er sich von der Wand ab, traf mit den Vorderfüßen auf dem Boden auf, ging in die Knie und fing die restliche Fallenergie mit den flachen Händen ab.

Geschmeidig kam er wieder in die Höhe und zog sich den Helm vom Kopf. Er nahm den Rucksack ab und ließ den Helm hineinfallen, ehe er sich bückte, um seine Kletterschuhe auszuziehen.

»Luka Schmidt?«, erklang eine Stimme hinter ihm, und er wirbelte herum.

Zwei Männer standen wenige Meter von ihm entfernt im Halbdunkel und versperrten ihm den Weg zur Straße.

Diese beiden waren wie er selbst von Kopf bis Fuß schwarz gekleidet, doch anders als er waren sie groß und kräftig gebaut. Und ein Blick reichte, um ihm zu zeigen, dass es keine Polizisten waren.

Mit einem innerlichen Fluch verabschiedete er sich von seinem Rucksack samt Inhalt. Dann explodierte er. Drei schnelle Schritte führten ihn schräg an der Hausfassade empor, bis er sich in Kopfhöhe abstieß, über die beiden Fremden hinweghechtete und sich dabei in der Luft drehte. Er landete, machte eine Rolle, kam aus der Bewegung heraus wieder hoch und rannte.

»Teufel!«, hörte er hinter sich einen der Männer sagen.

Ohne weiteres Zögern nahmen die beiden die Verfolgung auf, und die Jagd begann.

Luka sprintete um die Gebäudeecke herum und rannte den Bürgersteig entlang. Passanten waren zu dieser Stunde kaum noch unterwegs, sodass er ungehindert die Beine in die Hand nehmen konnte.

Als er einen schnellen Blick über die Schulter warf, sah er, dass seine Gegenspieler sich getrennt hatten und ihm auf unterschiedlichen Straßenseiten folgten, offensichtlich in der Hoffnung, ihm so den Weg abschneiden zu können.

Luka grinste. Wozu gab es eine dritte Dimension?

Mit einem Satz stand er auf einem Stromverteiler, ein zweiter brachte ihn auf das Dach eines Kioskhäuschens. Von dort sprang er hoch zu einem Balkon. Seine Füße trafen auf die Wand, und seine Finger umklammerten die Oberkante der Brüstung. Für die Dauer eines Wimpernschlags hing er so; dann zog er sich hinauf. Seine Füße hockten auf der Brüstung auf, und er schnellte nach oben. Drei Stockwerke später stand er auf dem flachen Dach des Gebäudes und warf einen Blick über die Kante.

Er brauchte ein paar Sekunden, bis er seine Verfolger ausfindig gemacht hatte. Sie bewegten sich auf zwei grob parallel verlaufende Seitenstraßen zu. Beider Augen waren nach oben gerichtet.

Luka hob die Hand in einem spöttischen Gruß, bevor er sich umdrehte und das Dach entlangrannte. An der gegenüberliegenden Kante stieß er sich ab. Einen Herzschlag lang schien die Zeit stillzustehen, als sein Körper die Entfernung zum Nachbarhaus überwand.

Ein paar Meter entfernt und ein gutes Stück tiefer kam er wieder auf und rollte sich ab.

Zwei Häuser weiter hatte er sich wieder dem Straßenniveau genähert.

Er lief zum seitlichen Rand des Dachs und sah die Straße entlang. Keine Spur von seinen Verfolgern.

Mit einem Grinsen breitete er die Arme aus und warf sich von der Brüstung. Im Sprung packten seine Hände den Ausleger einer Ampel. Er schwang sich um den Mast herum, flog durch die Luft, landete und machte einen Salto, um die Bewegungsenergie abzubauen.

Den Rest des Weges legte er in gemütlichem Jogging-Tempo zurück.

Zu Hause angekommen, schaltete er die Lampe in seinem kleinen Flur ein, bevor er die Wohnungstür abschloss, den Schlüssel auf das Bord warf und seine Kletterschuhe auszog. Kurz betrachtete er die von seiner Flucht durchgewetzten Sohlen, ehe er die Schuhe mit einem Achselzucken fallen ließ. Die taugten nur noch für die Tonne.

Barfuß und mit der Jacke unterm Arm ging er ins Wohnzimmer und streckte die Hand nach dem Schalter aus.

Das Licht ging an, und er sah sich den beiden Fremden gegenüber, die es sich in seinen Sesseln bequem gemacht hatten und auf ihn warteten.

Kapitel 2

 

Luka erwachte aus seiner Erstarrung, ließ die Jacke fallen und bückte sich nach seinem Schlagstock. Noch während er ihn aus dem Halfter an seinem Unterschenkel riss, arretierten die Segmente, sodass er eine fast einen Meter lange Waffe in den Händen hielt, als er in Kampfstellung ging.

Die beiden Fremden tauschten einen Blick. Dann zog einer von ihnen eine Pistole unter seiner Weste hervor und richtete sie auf Luka.

In Zeitlupe ließ Luka den Schlagstock sinken.

»Okay«, sagte der andere Mann. »Jetzt, wo alle hier sind, können wir uns vielleicht in Ruhe unterhalten. Luka?«

Er machte eine einladende Bewegung zur Couch hin. Langsam bückte sich Luka und legte den Schlagstock auf den Boden. Statt auf der Couch Platz zu nehmen, zog er einen der Esstischstühle ein Stück beiseite, bevor er sich setzte.

Der Mann warf seinem Begleiter einen Seitenblick zu und seufzte. »Felix?«

Kommentarlos steckt der andere seine Waffe weg, und Luka entspannte sich etwas.

»Was wollen Sie von mir?«, fragte er.

»Informationen.«

Luka lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. »Fangen Sie an.«

Die Augen seines Gesprächspartners blitzten amüsiert auf. »Meinetwegen. Mein Name ist Jonas Decker; mein Freund hier heißt Felix Wagner.«

Luka musterte seine ungebetenen Besucher genauer. Er schätzte beide auf etwa Mitte dreißig und vermutete, dass sie ihm sowohl an Körpergröße als auch an Masse einiges voraushatten. Davon abgesehen waren das hervorstechendste Merkmal die Narben, die sich über eine Hälfte von Wagners Gesicht zogen.

»Wie sind Sie hier reingekommen, und woher wissen Sie, wo ich wohne?«

»Anders als Sie vorhin haben wir die Tür genommen und Ihre Fensterscheiben heil gelassen. Ihr Schloss ist übrigens Mist. Woher wir wissen, wo Sie wohnen …«

Er zuckte die Schultern und zog ein Handy aus der Tasche.

»Sie sind nicht schwer zu finden«, sagte er und tippte ein paarmal, bevor er das Gerät so hielt, dass Luka das Display sehen konnte. Sein Profil auf der Homepage der Schule.

Decker steckte das Handy wieder ein. »Was macht einen Ethik-Lehrer zum Einbrecher?«

»Um mein Profil zu finden, müssen Sie erst mal meinen Namen kennen«, stellte Luka fest, ohne auf die Frage einzugehen.

Wagner gab ein undefinierbares Geräusch von sich, dann streifte er zu Lukas Verblüffung seine Schuhe ab, zog die Füße an und machte es sich in seinem Sessel bequem.

»Scheint, das kann dauern«, sagte er.

Decker atmete einmal tief durch und nahm das Handy wieder aus der Tasche. Sekunden später starrte Luka auf eine Aufnahme seines Gesichts, offensichtlich vor dem Haus gemacht, in das er heute eingebrochen war.

Er hob den Blick und sah Decker mit hochgezogenen Augenbrauen an.

»Wir haben Kameras am Haus angebracht. Als Sie mit Ihrer Spider-Man-Nummer begonnen haben, haben wir uns in aller Ruhe auf den Weg gemacht, um Sie abzufangen. Und«, fuhr er fort, bevor Luka fragen konnte, »Ihren Namen haben wir per Gesichtserkennung rausgefunden.«

Wieder steckte er das Gerät weg, bevor er sich vorbeugte. »Und jetzt sind Sie dran.«

»Warum –«, begann Luka und verstummte, als Deckers flache Hand durch die Luft fuhr.

»Ich habe gesagt, Sie sind dran.«

Luka kaute auf der Innenseite seiner Wange herum; dann zuckte er mit den Schultern.

»Ich bin im Auftrag einer Versicherung eingebrochen.«

Überraschung zeichnete sich auf Deckers Gesicht ab. Sein Freund lachte. »Das hatten wir auch noch nicht.«

»Wie läuft das ab?«, fragte Decker.

»Jemand will etwas versichern lassen, eine Kunstsammlung zum Beispiel. Damit die Gesellschaft das Risiko besser abschätzen und die Höhe der Police festlegen kann, vereinbart sie mit ihm eine Überprüfung seiner Sicherheitsmaßnahmen. Das kann auch einen fingierten Einbruch beinhalten.«

»So wie ein Hacker, der ein Computersystem oder Programm knackt, um Schwachstellen zu demonstrieren?«, fragte Wagner. Luka nickte.

»Und Sie sind Einbruchspezialist?«

Luka zuckte die Achseln. »Ich bin Fassadenkletterer. Die Wohnungstür ist durch eine Alarmanlage gesichert, da machte es Sinn, durchs Fenster zu gehen.«

Er lächelte. »Tut mir leid für Sie, dass Sie sich umsonst bemüht haben, aber hier geht alles mit rechten Dingen zu.«

Erleichtert, dass sich das Rätsel um seine Verfolger so schnell geklärt hatte, schob er sich in seinem Stuhl nach oben und hockte sich auf die Rückenlehne. Die Füße auf dem Sitz, begann er zu kippeln.

Decker öffnete den Mund, doch dann schloss er ihn wieder, ohne etwas zu sagen.

Erneut lachte Wagner. »Jonas brennt drauf, Ihnen zu sagen, dass Sie aufpassen sollen«, sagte er. »Ich bin der Meinung, dass Sie selbst schuld sind, wenn Sie hinten rüber knallen.«

Bevor Luka antworten konnte, fuhr er fort. »Im Übrigen liegen Sie schief. Man hat Sie übers Ohr gehauen, denn der Besitzer der Wohnung hat mit Sicherheit keinen Einbruch vereinbart.«

»Woher wollen Sie das wissen?«

»Weil er unser Klient und im Moment nicht in Deutschland ist«, sagte Decker.

Lukas skeptischer Blick wanderte zwischen den beiden Männern hin und her. »Und warum beobachten Sie beide seine Wohnung?«

»Weil er uns damit beauftragt hat, rauszufinden, wer ihm eine Morddrohung geschickt hat.«

Die vorderen Stuhlbeine trafen klackend auf den Boden, als Luka sich abrupt vorbeugte. »Eine Morddrohung?«

»Was haben Sie mitgehen lassen?«, war Wagners Gegenfrage.

Luka angelte nach seiner auf dem Boden liegenden Jacke und öffnete die Innentasche. Er zog die Schutzhülle heraus und warf sie Wagner zu, der sie geschickt auffing.

Er nahm das Bild heraus und betrachtete es einen Moment, ehe er es so hielt, dass sein Kollege es sehen konnte. »Maria Reinhardt.«

»Wer ist Maria Reinhardt?«, wollte Luka wissen.

»Die Exfrau eines Manns, der im Knast gesessen hat, nachdem er versucht hat, ihren Neuen kaltzumachen«, war Wagners Antwort.

»Maria Reinhardt ist am ersten November vor sieben Jahren bei einem Autounfall ums Leben gekommen«, führte Decker weiter aus. »Ihr Exmann, Martin Keller, hat unseren Klienten dafür verantwortlich gemacht. Deswegen hat er versucht, ihn zu überfahren, nachdem er von Marias Tod gehört hatte.«

»Er hat es verbockt und wurde festgenommen. Vor drei Monaten ist er aus der Haft entlassen worden. Er hat sich genau einmal bei seinem Bewährungshelfer gemeldet, bevor er von der Bildfläche verschwunden ist. Keine Woche später hat unser Klient per Post einen Zettel bekommen mit einem gebrochenen Herz und den beiden Worten ›ludi incipiant‹.«

»Die Spiele mögen beginnen«, übersetzte Luka.

Wagner gab ein unwilliges Geräusch von sich. »Wieso versteht das eigentlich jeder außer mir?«

Luka ignorierte ihn. »Und wieso denken Sie, dass es sich dabei um eine Morddrohung handelt?«

»Weil er es damals nicht geschafft hat, ihn umzubringen, und weil eine Analyse ergeben hat, dass das Herz mit Blut gezeichnet wurde«, antwortete Decker.

»Wir haben unserem Klienten geraten, sich aus der Schusslinie zu ziehen, während wir ermitteln. Er hat sich dafür entschieden, Köln auf Dauer zu verlassen und seine Wohnung hier zu verkaufen.«

»Da sagst du was«, murmelte Wagner. Dieses Mal war er es, der sein Handy aus der Tasche holte und einige Augenblicke konzentriert tippte und wischte, während Luka und Decker warteten.

»Bingo.« Er steckte das Handy wieder ein.

»Das Bild ist auf einem der Fotos im Immobilienportal zu sehen.« Er nickte zu dem kleinen Gemälde hin, das Decker noch in der Hand hielt.

»Das heißt, Keller wusste, dass die Wohnung leer steht, und er konnte beschreiben, wo das Objekt zu finden ist, das geklaut werden sollte«, fasste sein Partner zusammen.

»Und der Weg über die Versicherung hat ihm ein Rundum-Sorglos-Paket beschert, weil er sich keinen Kopf machen musste, wie er selbst einsteigt«, spottete Wagner.

»Muss der Kunde im Vorfeld Angaben zu Alarmanlagen und dergleichen machen?«, fragte Decker.

Luka seufzte und schüttelte den Kopf. »Die Idee ist ja, die Situation so realistisch zu machen wie möglich, weil ein normaler Einbrecher diese Infos auch nicht hätte.«

»Vielleicht sollten sie das Konzept noch mal überdenken«, stellte Decker trocken fest.

»Die Versicherung prüft alle Anfragen im Vorfeld genau«, verteidigte Luka seinen Arbeitgeber. »Dazu gehört auch, dass der Kunde seinen Personalausweis und eine notariell beurkundete Kopie des Kaufvertrags vorlegt.«

»Dann sind Sie ja aus dem Schneider«, entgegnete Wagner. Dann fügte er hinzu: »Zumindest, was die rechtliche Seite angeht.«

»Wie soll er denn an den Kaufvertrag gekommen sein? Oder an einen falschen Ausweis?«

Wagner schüttelte den Kopf. »Der Typ hat sieben Jahre gesessen. Sie glauben gar nicht, wie leicht Sie an jemand kommen, der Unterlagen fälscht, wenn Sie im Knast Kontakte knüpfen und Geld wie Heu haben.«

»Wie ginge es denn normalerweise jetzt weiter?«, fragte Decker. »Sie übergeben den Gegenstand der Versicherung, und die dann dem Auftraggeber?«

Luka nickte. »Soll ich zur Polizei gehen?«

Decker schüttelte den Kopf. »Lassen Sie uns das machen. Geben Sie das Bild und die Infos an die Versicherung weiter. An wen können wir uns da wenden?«

Luka nannte ihm Namen und Telefonnummer seines Hauptansprechpartners, die Decker in seinem Handy speicherte, bevor er eine Visitenkarte auf den Couchtisch legte.

»Unsere Nummern. Für alle Fälle.«

Wagner entfaltete seine Beine und zog die Schuhe wieder an; dann griff er nach etwas, das neben seinem Sessel stand.

Im nächsten Augenblick flog es durch die Luft, und Luka konnte es gerade noch rechtzeitig auffangen, bevor es ihn traf. Das Etwas stellte sich als sein Rucksack heraus, den er bei seiner Flucht zurückgelassen hatte.

»Falls Sie auf der schiefen Bahn bleiben wollen«, war Wagners Kommentar.

Decker war ebenfalls aufgestanden und streckte sich gähnend. »Dann können wir ja für heute Schluss machen.«

Luka sah auf die Uhr und stöhnte. »Sie vielleicht. Aber ich muss noch Unterricht vorbereiten.«

Kapitel 3

 

»So’n Scheiß erlebst auch nur du. Nächtliche Verfolgungsjagden durch Köln?« Micha roch an der Milchtüte und gab dann einen Schluck in seine Tasse.

Luka lehnte mit der Schulter gegen die Wand der kleinen Kaffeeküche neben dem Lehrerzimmer und grinste seinen besten Freund und Kollegen an. »Das war so cool.«

Micha schüttelte den Kopf.

»Was denkst du, wer die Typen waren?«, fragte er dann.

Luka hob die freie Schulter. »Keine Ahnung. Aber sie kamen in etwa so rüber wie James Bond in echt.«

»Und du denkst, das ist der richtige Umgang für einen Lehrer?« Micha klaute einen der Konferenzkekse und tunkte ihn in den Kaffee, während sie zurück ins Lehrerzimmer schlenderten.

»Vielleicht wird es Zeit, dass du dir einen anderen Nebenjob suchst.«

Luka lachte. »Bist du verrückt? Ich hatte noch nie so viel Spaß wie gestern.«

»Wenn hier jemand verrückt ist, dann du.« Micha sah über Lukas Schulter und stöhnte leise. »Referendarin auf zwei Uhr.«

Luka unterdrückte den Impuls, sich umzudrehen. »Hauen wir ab?«

Micha nickte, und sie traten einen eiligen Rückzug an.

»Holen wir uns was zu essen und gehen raus«, schlug Luka vor, und sie bahnten sich ihren Weg durch die Scharen von Schülern und Lehrkräften Richtung Mensa.

Eine gute Viertelstunde und gefühlte zwanzig ›kurze Fragen‹ später kamen sie mit großen Pizzastücken auf Papptabletts ins Freie, gingen ums Gebäude herum und suchten sich eine ruhige Ecke.

»Allmählich müsste sie doch gemerkt haben, dass wir kein Interesse haben«, stellte Luka fest und biss in seine Pizza.

»Die ist so daran gewöhnt, dass sie Aufsehen erregt, dass sie denkt, sie könnte jeden kriegen.«

Luka nickte. Nadine, die neue Referendarin für Deutsch und Englisch, war blond, hübsch und mit einem Selbstbewusstsein ausgestattet, das so groß war wie ihre Oberweite.

»Und da sie die Finger von den Schülern lassen muss, sind wir rein altersmäßig die naheliegendsten Opfer.«

»Ich glaube nicht, dass sie Interesse an mir hat«, stellte Micha mit einem Blick auf sein kurzärmeliges Oberhemd und die Stoffhose fest. »Ich denke, sie steht mehr auf Piercings und Tätowierungen als auf Brille und Bundfalten.«

Luka lachte kurz auf. »So nah, dass sie von meinem Piercing wüsste, ist sie mir noch nicht gekommen. Wird sie auch nicht.«

»Vielleicht auf der Stufenfahrt«, schlug Micha in ungerührtem Tonfall vor.

»Scheiße, echt jetzt?« Luka ließ die Pizza sinken und starrte seinen Freund an. »Ist sie dabei?«

»Ich habe gehört, sie hat den Antrag gestern abgegeben.«

»Na super.« Luka schüttelte den Kopf.

Dann zuckte er mit den Schultern und wechselte das Thema. »Wie läuft’s mit dem Musical?«

»Gut. Die Entscheidung, Oliver mit einem Mädchen zu besetzen, war richtig. Emily ist fantastisch.«

»Kann ich mir vorstellen.« Luka legte das Papptablett mit seiner Pizza auf der Betonstufe ab, auf der Micha saß.

»Und was macht der Blog?«, fragte Micha mit vollem Mund. »Ich hab schon ein paar Tage nicht mehr reingeguckt.«

»Letzte Woche sind ein paar schöne Videos dazugekommen, und wir arbeiten an einem Leitfaden für Texte in Leichter Sprache.«

»Keine Fremdwörter, kurze Sätze und so? Ich dachte, da achtet ihr eh schon drauf.«

»Tun wir auch«, bestätigte Luka und begann, sich zu dehnen.

»Aber Leichte Sprache geht noch darüber hinaus, zum Beispiel bei der Formatierung von Texten. Ist echt spannend, wenn man sich da mal näher mit beschäftigt.«

»Gilt das nicht für alles?« Micha kaute und sah Luka bei seinen Lockerungsübungen zu.

»Du fängst aber nicht gleich an, hier die Wand raufzukraxeln, oder? Nimm doch mal ein bisschen Rücksicht auf uns Normalsterbliche und lass uns nicht so alt aussehen.«

»Du bist alt. Nichts, was ich mache oder nicht mache, wird daran etwas ändern.«

»Arsch«, sagte Micha mit einem Lachen. Er wollte noch etwas hinzufügen, unterbrach sich aber, als Lukas Handy klingelte.

»Schmidt.«

»Decker. Haben Sie schon mit der Versicherung gesprochen?«

Luka brauchte einen Moment, bevor er den Namen und die Frage einordnen konnte.

»Direkt heute Morgen«, antwortete er dann und hielt kurz das Mikro zu.

»Die beiden James Bonds von gestern Abend«, raunte er Micha zu.

»Ich habe das Bild dabei und gebe es auf dem Nachhauseweg bei der Versicherung ab«, fuhr er dann an Decker gewandt fort.

»Okay. Mein Partner und ich haben den gestrigen Vorfall der Polizei gemeldet. Ich sage denen Bescheid, wo sie sich das Bild abholen können.«

»Geben die es dann an den Eigentümer zurück?«

»Erst mal ist es ein Beweismittel. Irgendwann bekommt unser Klient es wieder, aber Keller kommt jedenfalls nicht mehr dran. Wollen Sie, dass einer von uns Ihnen heute Nachmittag folgt, bis Sie das Bild abgegeben haben?«

Luka lachte. »Am helllichten Tag? Ich glaube, das schaffe ich auch allein.«

»Alles klar. Machen Sie’s gut.«

Luka beendete den Anruf und steckte das Handy wieder ein, bevor er sich den lauwarmen Rest seiner Pizza schnappte.

»Sie haben mit der Polizei gesprochen, die sich das Bild bei der Versicherung abholt. Damit bin ich raus aus der Sache.«

Er seufzte, und Micha schüttelte den Kopf.

»Einerseits habe ich nicht den Drang, mich nachts durch die Stadt scheuchen zu lassen. Andererseits bin ich neidisch. Dichter als im Kino bin ich an sowas noch nicht drangekommen.«

Dann stieß er seinen eigenen Seufzer aus, als die Pausenklingel ertönte. »Weiter geht’s.«

 

* * *

»Wer liest den nächsten vor?«

Luka sah in die Runde. Sechs der acht Teilnehmer seines Alphabetisierungskurses waren nach dem Unterricht mit essen gegangen und saßen jetzt an einem großen Tisch beim Chinesen.

Die leeren Teller waren abgeräumt, die Rechnung bezahlt, und jeder hatte seinen Glückskeks ausgepackt.

Luka hatte den Anfang beim Vorlesen gemacht und grinste bei der Erinnerung an seinen Spruch: ›Wer langsam geht, kommt auch ans Ziel.‹

Es gab kaum etwas, das seinen Lebensstil weniger traf.

»Ich.« Pamela breitete ihren Zettel vor sich aus.

»›Auch der weiteste Weg beginnt mit dem ersten Schritt‹«, las sie vor, langsam, aber ohne zu stocken. Dann hob sie den Kopf, und ihr Lächeln war umwerfend.

Luka liebte seinen Job. Er hatte sich mit offenen Augen dafür entschieden, Lehrer zu werden, und bei allem Frust, den der Schulalltag mit sich brachte, machte ihm die Arbeit in der Regel Spaß. Aber einer sechzigjährigen Frau dabei zuzuhören, wie sie las und den ungläubigen Stolz auf ihrem Gesicht zu sehen, war eine ganz andere Nummer.

Die Motivation und Begeisterung seiner erwachsenen Schüler gaben ihm jeden Montag den Kick, der ihn durch die kommende Woche trug.

»Ganz toll«, lobte er.

»Wer jetzt?«

»Ich.« Amar sah mit gerunzelter Stirn auf den Text. »Aber zwei Wörter nicht klar.«

Er drehte den Zettel so, dass Luka ihn lesen konnte, und tippte auf die betreffenden Stellen.

»Oh.« Luka kratzte sich hinter dem Ohr.

»Ja, das ist schwierig, vor allem das letzte. ›Stolpern‹ ist das erste, das heißt … gehen und dabei fast fallen. Und das zweite ist ›Maulwurfshügel‹. Hügel sind Haufen von Erde. Und Maulwürfe sind kleine Tiere mit einem dunklen Fell, die in der Erde leben und graben und dabei die Hügel machen.«

Er machte Schaufelbewegungen mit seitlich gedrehten Händen. »Alles klar?«

Amar nickte. »›Die Menschen stolpern nicht über Berge, sondern über Maulwurfshügel‹«, las er zusammenhängend vor.

»Kleine Sache ist großes Problem, ja?«

Luka nickte. »Wenn man nicht guckt, wohin man tritt.«

»Jetzt ich.« Belinda hob scheu die Hand. Sie war die Jüngste im Kurs und die Schüchternste. Gleichzeitig war sie eine der Besten.

»›Ein Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag‹«, las sie flüssig vor, und Luka nickte ihr zu.

»Super.«

Paul räusperte sich. »Ich habe auch einen guten. ›Wer perfekt sein will, muss sich oft verändern.‹«

Die anderen grinsten.

»Dann bin ich ja auf dem richtigen Weg«, sagte er und sah Susanne neben sich an.

»Jetzt du?«

Sie nickte. »›Schönheit liegt im Auge des Be…trach…ters‹«, las sie vor, nur ein wenig über das letzte Wort stolpernd.

Das war der Vorteil von Glückskeksen, dachte Luka. Kurz genug, dass sie nicht so einschüchternd wirkten, aber eine größere Herausforderung als die Texte in den Übungsbüchern.

»Und manche sind so schön, dass es jeder sieht«, sagte Paul mit vielsagendem Blick. Susanne errötete, und die anderen lächelten amüsiert.

Paul hatte seine Schwärmerei für die hübsche Mittdreißigerin von Anfang nicht verbergen können, aber im Laufe des Kurses war er selbstsicherer geworden und zögerte nicht länger, sie zum Ausdruck zu bringen.

»Und du noch?«, fragte Luka den Letzten im Bund.

Matthias war Mitte vierzig, Automechaniker und ein Berg von einem Mann – und es war ihm am schwersten gefallen, zuzugeben, dass er Probleme mit dem Lesen und Schreiben hatte.

Er seufzte schwer und drehte widerwillig seinen Zettel um. »›Was du auch tust, tu es mit deinem ganzen Herzen.‹«

Paul klopfte ihm auf die Schulter, und Matthias hob einen Mundwinkel, was Luka als Erfolg verbuchte.

»Große Klasse«, sagte er und sah auf die Uhr.

»Verflixt. Ich wollte noch einkaufen.«

Er trank den Rest von seinem Jasmintee und stellte die leere Schale ab.

»Ich sag dann mal Tschüss und bis nächste Woche.«

Unter einem Chor von Verabschiedungen zog er seine Jacke an und hob noch einmal grüßend die Hand, bevor er das Restaurant verließ.

Er konnte auch morgen Abend einkaufen gehen, dachte er, während er in lockerem Tempo durch die Straßen joggte. Oder er konnte –

Seine Überlegungen fanden ein abruptes Ende, als Hilferufe an sein Ohr drangen. Er blieb stehen und horchte.

Es war eine Frauenstimme, und sie kam aus dem nahen Park. Scheiße.

Statt bis zum nächsten Eingang zu laufen, sprang er über den niedrigen Stabgitterzaun, kämpfte sich durch die Büsche und sprintete über die Sandfläche des kleinen Spielplatzes.

Das Herz schlug ihm bis zum Hals, und er wünschte sich, er hätte seinen Schlagstock dabei.

Um diese Zeit war hier außer dem gelegentlichen Hundebesitzer auf Gassirunde kaum jemand unterwegs, auch wenn es noch eine Weile dauern würde, bis es ganz dunkel war.

Kurz hielt er inne, um zu lauschen, dann hörte erneut einen schwachen Ruf. Er folgte ihm zu einer Baumgruppe in der Nähe des Weihers, das Handy schon in der Hand, um Polizei oder Rettungsdienst zu alarmieren.

Als er zwischen den Bäumen hindurchkam, sah er eine Frau auf dem Boden knien, die Hände aufgestützt und den Kopf gesenkt. Doch von einem Angreifer war nichts zu sehen.

Luka rannte zu der Fremden und ging neben ihr in die Hocke. »Alles okay bei Ihnen?«, fragte er behutsam.

»Sind Sie verletzt? Soll ich den Notarzt rufen oder die Polizei?«

Die Frau hob den Kopf, und Luka stutzte, als er ihr Gesicht sah. Sie wirkte nicht so, als ob sie Angst hätte. Im Gegenteil.

Seine Nackenhaare stellten sich auf, als sich ihre Lippen langsam zu einem Lächeln verzogen. Dann glitt ihr Blick zur Seite und richtete sich auf etwas in seinem Rücken.

Luka fuhr herum und sah gerade noch die Eisenstange auf sich niedersausen.

 

* * *

Reglos saß er am Schreibtisch, die Augen geschlossen und die lockeren Fäuste auf den Oberschenkeln, doch seine Meditationsübungen hatten heute nicht den üblichen Erfolg.

Der Angriff auf Luka Schmidt war ein Fehler gewesen, ein bedauerlicher Rückfall in alte Verhaltensmuster.

Sein Atem ging schneller, und seine Fingernägel gruben sich in die Handflächen, als er sich an das Geräusch der Schläge erinnerte, an den dumpfen Aufprall der Stange und die Schmerzenslaute seines Opfers.

In sieben langen Jahren hatte er nicht vergessen, wie es sich anfühlte, dem Drang nach Rache nachzugeben, und wie ein trockener Alkoholiker sehnte er sich nach der unmittelbaren Befriedigung.

Aber sein Verstand war stärker als sein Instinkt. Der heutige Rückschritt würde ihn nicht davon abhalten, seine Mission zu erfüllen.

Gab es in Luka Schmidts Leben eine Frau, die er liebte?

Vielleicht konnte sie ihm dabei helfen, seinen Ausrutscher auszubügeln.

Ruhiger geworden, entspannte er seine schmerzenden Hände, griff nach einem frischen Stapel Karteikarten und begann mit der Planung.

Kapitel 4

 

»Unser Flip ist mal wieder hier«, begrüßte Manou Veronika, als die vor der Frühschicht zur Dienstübergabe ins Stationszimmer kam.

»Wer?«, fragte Veronika und stellte den aus der Personalküche mitgebrachten Teebecher ab.

Ihre Kollegin machte ein paar bogenförmige Bewegungen mit der Hand. »Unser Grashüpfer. Der Parkourläufer?«

»Ah.« Jetzt wusste sie, wen Manou meinte. »Auf Station? Was hat er denn jetzt angestellt?«

Das Gesicht ihrer Freundin wurde ernst. »Wenn wir das wüssten. Er sieht aus, als wäre er vom Dach gefallen oder so was. Als er eingeliefert wurde, war er kaum bei Bewusstsein.«

»Scheiße«, murmelte Veronika.

»Du sagst es.« Manou fuhr fort, ihr und dem Rest des Teams die wichtigsten Infos zum Zustand der Patienten auf der Station weiterzugeben, ehe sie sich verabschiedete.

»Komm gut nach Hause.« Veronika winkte ihr kurz zu und begann ihre Schicht.

Kurze Zeit später kam sie auf ihrer Runde bei Luka Schmidt vorbei, der als Privatpatient in einem Einbettzimmer lag. Die Leseleuchte am Bett brannte, sodass sie sein Gesicht sehen konnte, und er sah wirklich übel aus.

Zuerst dachte sie, er schlafe, doch als sie ans Bett trat, öffnete er die Augen – oder versuchte es zumindest, denn das linke war so stark zugeschwollen, dass er vermutlich nicht viel damit erkennen konnte.

Doch sein Lächeln war breit und wirkte mehr als nur ein bisschen stoned. Offensichtlich hatten die Schmerzmittel voll angeschlagen.

»Veronika.«

»Herr Schmidt. Wie geht es Ihnen?«

»Veronika«, sagte er noch einmal. Dann holte er tief Luft und begann zu singen: »Verooonika, der –«

Instinktiv hielt sie ihm die Finger vor den Mund, und er verstummte.

»Beim nächsten Mal nehme ich ein Kissen«, drohte sie ihm. Seine Lippen unter ihren Fingern verzogen sich zu einem erneuten Grinsen, und sie nahm ihre Hand wieder fort.

»Ihnen geht es ja offenbar besser, als Sie aussehen. Vielleicht sollten Sie sich ein anderes Hobby suchen? Wie oft sind Sie im Laufe der Jahre schon in der Notaufnahme gewesen?«

»Keine Ahnung«, murmelte er, während ihm die Augen zufielen. »Zusammengeschlagen wurde ich bis jetzt nie.«

Veronika starrte ihn an. Zusammengeschlagen?

Sie betrachtete ihn genauer und gab Manou recht, dass seine Verletzungen weit über das hinausgingen, was man bei einem Sturz erwarten konnte.

Platzwunden in seinem Gesicht waren geklebt und verpflastert, und oberhalb der linken Schläfe waren die kurzen dunkelblonden Haare um einen Verband herum rasiert.

Nase und Lippen waren geschwollen und die linke Gesichtshälfte dunkel verfärbt.

Seine Arme lagen auf der Bettdecke, und die kurzen Ärmel des Patientenhemds ließen großflächig mit asiatischen Motiven tätowierte Unterarme frei, die jetzt von Blutergüssen und Schrammen bedeckt waren.

Er sah tatsächlich so aus, als hätte ihn jemand übel durch die Mangel gedreht.

Veronika wandte sich zum Gehen und fragte sich, ob sie wohl je die Hintergründe erfahren würde.

 

* * *

»Hey, Alter.« Micha ließ die Sporttasche vor dem Kleiderschrank auf den Boden fallen und zog sich einen der Besucherstühle ans Bett.

Er betrachtete Luka eingehend und schüttelte dann den Kopf. »Was machst du bloß für einen Scheiß?«

Luka grinste, obwohl die Bewegung schmerzhaft war. »Das hat man davon, wenn man Batman spielt.«

»Du hast gesagt, eine Frau hätte dir eine Falle gestellt?«

Luka nickte. Er hatte seinem Freund nur eine kurze Version der Story gegeben, als er ihn angerufen und ihn gebeten hatte, ihm ein paar Klamotten vorbeizubringen.

---ENDE DER LESEPROBE---