Marie & Stefan: Fehler der Vergangenheit - Charlotte Peters - E-Book
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Marie & Stefan: Fehler der Vergangenheit E-Book

Charlotte Peters

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Beschreibung

Hinter der Wohnungstür blieb er einen Moment stehen und dachte an die Träume, die er gehabt hatte. Liebe und Glück hätten diese Räume füllen sollen. Stattdessen würden sie nun Trauer und Schmerz beherbergen.

MARIE & STEFAN
Eine folgenschwere Entscheidung
Ein tragischer Schicksalsschlag
Der Weg in eine Zukunft
jenseits der
FEHLER DER VERGANGENHEIT

Welche Chance hat eine Zukunft, die auf einem alten Verrat beruht?
Als der Polizist Stefan erfährt, dass er einen sechzehnjährigen Sohn hat, ist er außer sich vor Zorn auf die Mutter des Jungen.
Nur, dass es Marie ist. Die Liebe seines Lebens. Aber auch die Frau, die ihn von einem Moment zum anderen ohne Erklärung sitzen gelassen hat. Er glaubt, dass sie sich von ihm getrennt hat, weil sie die Wahrheit über seine Natur nicht akzeptieren konnte.
Doch was, wenn Marie eine ganz andere Geschichte zu erzählen hat?
Je mehr Zeit Marie mit Stefan verbringt, desto klarer wird ihr, dass sie damals einen schweren Fehler gemacht hat. Nun bleibt ihr nur zu hoffen, dass ihre neue Beziehung mit ihm eine Zukunft hat und sie das retten können, was wichtiger ist als alles andere: das Leben ihres gemeinsamen Kindes.

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Charlotte Peters

 

 

 

 

MARIE & STEFAN:

 

FEHLER DER VERGANGENHEIT

Hinweis:

Die handelnden Personen und alle Geschehnisse sind frei erfunden und haben kein Vorbild in der Realität. Orte sowie Unternehmen, Behörden, Organisationen und andere Gruppen sind ebenfalls frei erfunden oder werden fiktiv genutzt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Copyright © 2019 Charlotte Peters

 

Charlotte Peters

c/o AutorenServices.de

Birkenallee 24

36037 Fulda

Inhaltsverzeichnis

 

PROLOG

Kapitel 1: STEFAN

Kapitel 2: MARIE

Kapitel 3: STEFAN

Kapitel 4: MARIE

Kapitel 5: STEFAN

Kapitel 6: MARIE

Kapitel 7: STEFAN

Kapitel 8: MARIE

Kapitel 9: STEFAN

Kapitel 10: MARIE

Kapitel 11: STEFAN

Kapitel 12: MARIE

Kapitel 13: STEFAN

Kapitel 14: MARIE

Kapitel 15: STEFAN

Kapitel 16: MARIE

Kapitel 17: STEFAN

Kapitel 18: MARIE

Kapitel 19: STEFAN

Kapitel 20: MARIE

Kapitel 21: STEFAN

Kapitel 22: MARIE

Kapitel 23: STEFAN

EPILOG: MARIE

 

Leseprobe – KALT WIE DIE ANGST

PROLOG

 

Er parkte das Auto am Straßenrand und warf die Fahrertür zu, ohne abzuschließen. Nichts rührte sich in der ruhigen Nachbarschaft, als er im Licht des sichelförmigen Mondes auf das Haus zuging.

Mit wenigen Handbewegungen verschaffte er sich Zutritt. Hinter der Wohnungstür blieb er einen Moment stehen und dachte an die Träume, die er gehabt hatte. Liebe und Glück hätten diese Räume füllen sollen. Stattdessen würden sie nun Trauer und Schmerz beherbergen.

Er gab sich einen Ruck und durchquerte mit entschlossenen Schritten den Flur. In der Küche waren Herd und Arbeitsplatte mit den Bestandteilen des Festessens bedeckt, zu dem es nun nie kommen würde.

Neben dem Herd stand der massive Messerblock.

Sekundenlang schwebte seine Hand über den Griffen, dann zog er langsam das Kochmesser heraus.

Mit der Klinge in der Hand ging er weiter zum Schlafzimmer. Der schmale Streifen von Mondlicht, der durch den Vorhangspalt schien, fiel auf das Bild an der Wand. Der Wolf sah den Betrachter aus intelligenten gelben Augen an, die Ohren aufmerksam aufgestellt.

Seine Hand umklammerte den Messergriff fester, als er die Klinge hob.

Kapitel 1: STEFAN

 

»Stefan? Anruf für dich.«

Uwe hielt mir das Telefon hin, als ich auf dem Rückweg zu meinem Schreibtisch bei ihm vorbeikam.

Ich nahm das Gerät entgegen und meldete mich.

»Schneider.«

»Stefan?«, kam eine zögerliche Stimme, und mein Atem stockte. Siebzehn Jahre, und es brauchte nur das eine Wort, um zu wissen, wer sprach.

Sie deutete mein Schweigen falsch.

»Hier ist Marie Kolberg.«

Marie.

Ich drehte mich weg von Uwe und trat ans Fenster, damit keiner der Kollegen mein Gesicht sehen konnte.

»Was willst du?«

»Ich …«

Wieder dieses Zögern. Die Marie, die ich gekannt hatte, war kein zögerlicher Mensch gewesen. Auch nicht, als es darum ging, mein Leben kaputtzumachen.

»Ich möchte dich treffen.«

Ich schloss meine Augen und lachte. »Ja, klar.«

»Es ist wichtig.«

»Marie –«

»Bitte.«

Scheiße.

»Wann und wo?«, fragte ich, fast gegen meinen Willen.

Ich hörte ihr Aufatmen. »Könntest du heute am frühen Abend zu mir kommen? Zimmer 203 im Lindenhof.«

»Sieben.«

»Danke.«

Ich legte ohne ein weiteres Wort auf und brachte Uwe das Telefon zurück.

Dann ignorierte ich die neugierigen Blicke und machte weiter mit meiner Arbeit.

 

* * *

Wenige Minuten nach sieben stand ich vor der Zimmertür mit der Nummer 203.

Mein Klopfen war kaum verklungen, als sich die Tür öffnete und ich zum ersten Mal seit über siebzehn Jahren die Frau wiedersah, die einmal der Mittelpunkt meines Lebens gewesen war. Die Frau, die mich von einem Moment zum anderen ohne Erklärung sitzen gelassen hatte.

Marie.

Und verdammt, sie hatte sich kaum verändert. Noch immer zart und mädchenhaft, nur dass sie ihre langen Haare jetzt in einem Zopf auf dem Rücken trug. Mit einem Auge registrierte ich, dass sie sorgfältig gekleidet und zurechtgemacht war, als wäre ihr diese erste Begegnung nach all der Zeit wichtig.

Doch der Großteil meiner Aufmerksamkeit galt den Gefühlen, die sich in ihrem Gesicht abzeichneten.

Freude. Schuld. Furcht.

Wovor zum Teufel hatte sie Angst?

»Stefan. Komm rein«, sagte sie und trat zurück.

Ich blieb in der Nähe der Tür stehen und sah sie an.

Ihre Hände waren ineinander verknotet, und ihre Zungenspitze fuhr nervös über ihre Lippen.

Sie kam gleich zur Sache.

»Ich möchte, dass du Johannes kennenlernst«, sagte sie.

Ihrem Blick folgend, drehte ich mich um und sah einen Jungen in der Verbindungstür zum Nebenzimmer stehen.

Mein Atem stockte, als ich in sein Gesicht blickte, und es hätte Maries leise Worte nicht gebraucht: »Deinen Sohn.«

Lange Augenblicke stand ich reglos. Meine Augen erforschten die Gesichtszüge des Jungen. Meine Haare. Meine Augen. Mein Mund.

Mein Sohn.

Fassungslos drehte ich mich wieder zu Marie um. Sie zuckte zusammen, als sie mein Gesicht sah, und ihre Hände verkrampften sich.

»Siebzehn Jahre«, flüsterte ich. »Wie konntest du mir das antun?«

»Stefan …«

»Wie?«

Sie schlang die Arme um sich und schaute mich nicht an, als sie antwortete.

»Ich wusste nicht, dass ich schwanger war, als wir uns getrennt haben.«

Es brannte mir auf der Zunge, ihre Formulierung zu korrigieren, aber ich schwieg.

»Als ich es rausfand, habe ich die Ausbildung unterbrochen und bin wieder zu meinen Eltern gezogen. Und als Johannes dann auf der Welt war … Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich war immer wieder kurz davor, es dir zu sagen, aber ich wusste nicht, wie. Und je mehr Zeit verging …«

Ihre Augen hingen an dem Jungen, als sie weitersprach, und er kam zu ihr und stellte sich neben sie.

»Er war mein Sohn.«

»Das war er nicht, Marie. Er war unser Sohn.«

Mein Gesicht war verzerrt, und es kümmerte mich nicht, ob mein Schmerz offen darin geschrieben stand.

»Unserer«, flüsterte ich.

Ich wartete, aber sie sagte nichts.

»Warum jetzt?«, fragte ich schließlich.

Ihr tiefer Atemzug zitterte. Dann antwortete sie, und die Worte bohrten sich in mein Hirn, bis ich kaum noch klar denken konnte.

»Er ist krank, Stefan. Seine Nieren arbeiten nicht richtig. Es kann Monate oder auch Jahre dauern, aber irgendwann werden sie versagen, und dann …«

»Sterbe ich«, vollendete er, und ich senkte den Kopf und kämpfte gegen die aufsteigende Übelkeit an.

»Im Moment bekommt er Medikamente, der nächste Schritt wäre die Dialyse. Aber das Beste wäre eine Transplantation. Er steht auf der Warteliste für ein Spenderorgan, aber das dauert Jahre.«

Ich hob den Kopf wieder und sah, dass sie weinte und er den Arm um sie gelegt hatte.

»Bei Nieren ist auch eine Lebendspende möglich, oder?«, fragte ich.

Sie nickte. »Aber ich bin als Spenderin nicht optimal, und dann ist das Risiko für den Empfänger höher.«

»Wo kann ich mich testen lassen?«

Sie schloss für einen Moment ihre Augen. »Im ersten Schritt wird das Blut untersucht. Die Blutabnahme dafür kann in einer normalen Praxis gemacht werden.«

»Ich rede Montag mit meiner Ärztin.«

Sie öffnete ihren Mund, aber ich kam ihr zuvor und wandte mich an den Jungen: »Ich will mit dir sprechen.«

Er nickte. »Aber nicht jetzt.«

»Nein, nicht jetzt.«

Ich sah kurz wieder Marie an. »Ich melde mich morgen.«

Sie nickte stumm, und ich verließ fluchtartig das Zimmer.

Erst vor dem Hotel verlangsamten sich meine Schritte wieder. Neben meinem Wagen blieb ich stehen und starrte blicklos auf den Asphalt des Parkplatzes.

Endlich zog ich mein Handy aus der Hosentasche und wählte Ralfs Nummer.

»Stefan hier«, sagte ich, als er sich meldete. »Kannst du mich im Schabau treffen?«

Pause, dann fragte er zurück: »Jetzt?«

»Oder nachher, wie es dir passt.«

»Soll ich Mark und Simon mitbringen?«

»Je mehr, desto besser«, antwortete ich grimmig. »Irgendwann erfahren sie es ja doch.«

Wieder gab es eine kurze Pause, aber Ralf entschied sich offensichtlich, am Telefon nicht weiter nachzufragen.

»Bis gleich dann«, sagte er nur und beendete das Gespräch.

Ich stieg ein und fuhr das kurze Stück bis zur Kneipe.

Ich hatte mein erstes Bier zur Hälfte auf, als Ralf und sein Bruder an den Tisch kamen. Schweigend nickte ich meinen beiden ältesten Freunden zu.

»Das letzte Mal, als ich dich mit so einem Gesicht gesehen habe, hattest du dich gerade von Marie getrennt«, stellte Ralf fest, als er sich setzte.

»Sie hat sich von ihm getrennt«, korrigierte ihn Mark. Dann warf er mir einen schnellen Blick zu.

»Sorry«, murmelte er.

Ich winkte müde ab. »Du hast ja recht.«

Noch während die Kellnerin Ralf und Mark ein Bier brachte, betrat Simon die Kneipe, kam rüber zu uns und setzte sich neben Ralf. Seine Augen glänzten, als er sein Handy aus der Tasche holte.

»Max hat gestern das erste Mal gelächelt«, eröffnete er uns und präsentierte stolz ein Beweisfoto seines kleinen Sohns.

Ralf prostete ihm zu. »Wie alt ist er jetzt?«, fragte er.

»Sechs Wochen.« Simon warf selbst noch einmal einen Blick auf das Handy, bevor er es wieder wegsteckte.

»Meiner ist sechzehn Jahre«, sagte ich und leerte mein Bier, ehe ich der Bedienung ein Zeichen gab, mir ein neues zu bringen.

Stille entstand, und die Blicke flogen zwischen den dreien hin und her, bevor sie sich auf mich konzentrierten.

»Erklär uns das«, forderte Ralf.

Ich stellte das Glas beiseite, verschränkte die Arme auf dem Tisch und lehnte mich vor.

»Heute Vormittag bekam ich einen Anruf von Marie«, begann ich.

»Seine Ex«, warf Mark zur Erklärung für Simon ein.

»Meine Ex, von der ich seit mehr als siebzehn Jahren nichts gehört habe«, bestätigte ich.

»Sie sagte, sie müsse mich unbedingt treffen. Sie bittet mich, zu ihr ins Hotel zu kommen, und dort eröffnet sie mir dann, dass wir einen gemeinsamen Sohn haben.«

Ich senkte den Kopf, und meine Finger gruben sich so tief in meine Oberarme, dass es schmerzte. Ich kämpfte gegen den fast unwiderstehlichen Drang an, den Tisch umzuschmeißen oder laut zu brüllen – irgendetwas, um meiner ungeheuren Wut ein Ventil zu verschaffen.

Als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, blickte ich auf. Die Gesichter meiner Freunde waren grimmig. Ich wusste, dass sie nachempfinden konnten, was ich fühlte. Ralf und Simon waren selbst Väter, und Mark hatte seine erste Frau und ihr ungeborenes Kind auf tragische Weise verloren.

»Warum …?«, begann Mark.

»Warum sie es mir damals nicht gesagt hat, oder warum sie es jetzt tut?«

»Fang mit damals an«, schlug Ralf vor.

»Ich habe euch nie erzählt, warum sie sich von mir getrennt hat.«

Ich blickte von Ralf zu Simon. »Zwei von euch sind mit Frauen verheiratet, die so sind wie ihr. Du«, wandte ich mich an Mark, »hattest das große Glück, dass Lea dich so akzeptieren konnte, wie du bist. Und das vielleicht noch größere Glück, dass sie gesehen hat, was du bist.«

»Du hast ihr die Wahrheit über dich gesagt, und sie hat dir nicht geglaubt«, fasste Mark zusammen.

»Warum hast du uns nicht gefragt?« Ralf lehnte sich vor.

»Einer von uns hätte es ihr doch beweisen können.«

Ich nahm das frische Bier von der Kellnerin entgegen und leerte es in einem Zug zur Hälfte.

»Am nächsten Morgen war sie weg. Erst war die Mailbox ausgeschaltet, und zwei Tage später bekam ich die Ansage, die Rufnummer wäre nicht vergeben. Über Festnetz konnte ich sie nicht erreichen, und auf meine Briefe hat sie nicht reagiert.«

»Und um ihr hinterherzurennen warst du zu stolz«, vermutete Simon.

Ich nickte. »Vielleicht hätte ich es tun sollen.«

»Quatsch«, entgegnete er aufgebracht. »Das denkst du jetzt im Rückblick.«

»Und warum hat sie es dir jetzt gesagt?«, fragte Ralf ruhig.

Ich rieb mit beiden Händen fest über mein Gesicht.

»Er ist todkrank. Wenn er keine Spenderniere bekommt, stirbt er früher oder später.«

Bewegung entstand um den Tisch herum, als meine Worte sie trafen.

»Scheiße«, murmelte Ralf, und Mark schüttelte nur den Kopf.

»Also will sie ein Pfund Fleisch von dir«, stellte Simon fest.

»Erzähl mir nicht, du würdest dich für Max nicht sofort aufschneiden lassen«, erwiderte ich.

Er sah mich grimmig an. »Aber wie sie mit dir umgeht ist unter aller Sau.«

»Bist du sicher, dass er dein Sohn ist?«, fragte Mark zögernd.

»Ganz sicher. Ihr habt ihn nicht gesehen.«

Simon stand unvermittelt auf. »War’s das, was du uns sagen wolltest?«

Ralfs Augenbrauen zogen sich zusammen. »Simon …«

Simon unterbrach ihn mit hochgehaltener Hand, dann ging er zur Bar. Kurze Zeit später kam er mit einer Flasche Klarem und einem Glas zurück, die er vor mich auf den Tisch stellte.

»Dann nutz es aus, dass das Zeug bei dir eine Wirkung hat. Oder hast du morgen Dienst?«

Ich schüttelte den Kopf und betrachtete die Flasche skeptisch. »Dieses Wochenende habe ich frei. Aber ich bin nicht sicher, ob das so eine gute Idee ist.«

»Keine Sorge«, entgegnete Simon. »Wir bringen dich schon nach Hause.«

Ich kippte das erste Glas und goss mir das nächste ein.

 

* * *

Sehr viel später an dem Abend lud Simon mich bei mir zu Hause ab und begleitete mich bis zur Haustür.

Ich war so betrunken, dass ich Probleme hatte, den Schlüssel ins Schloss zu stecken, aber sprechen konnte ich noch. Einigermaßen.

»Johannes«, verkündigte ich ihm. »Mein Sohn.«

»Ja, ich weiß«, entgegnete er mit ungewohnter Geduld.

»Marie«, sagte ich.

»Meine Frau.«

Damals

 

Es dämmerte an diesem späten Oktobernachmittag kurz vor achtzehn Uhr. Vor einer guten halben Stunde war die Sonne untergegangen, und Fackeln leuchteten durch die zunehmende Dunkelheit, als Stefan und Marie auf das Backstein-Tor zugingen, das im Mittelalter das Westtor des Örtchens Alt-Kaster gewesen war.

»Was ist denn hier los?«, kicherte Marie, als sie die Gestalten sah, die mit schauerlicher Maske und langem Umhang umhersprangen.

Stefan senkte den Kopf und blickte sie lächelnd an. »Willkommen zum Halloween-Spaziergang auf dem Werwolf-Wanderweg.«

»Wwwerwwwolf-Wwwanderwwweg?«, fragte sie, die vier ›Ws‹ in die Länge ziehend.

»Wwwirklich wwwunderbar.«

Er lachte und legte den Arm um sie. »Kasper.«

Sie gesellten sich zu der wartenden Gruppe hinzu.

Der Werwolf-Wanderweg führte einmal um Alt-Kaster herum und bot an sieben Stationen Hinweistafeln mit Informationen aus dem Leben von Peter Stubbe, komplett mit Holzschnitten aus der damaligen Zeit.

Peter Stubbe, einem Bauern und Hirten, der bei seinen Nachbarn als Außenseiter gegolten hatte, waren zahlreiche Morde und andere Gräueltaten vorgeworfen worden, die er in der Gestalt eines Werwolfs begangen haben sollte.

Über den Wolfgangstieg, wo Stubbe sein Unwesen getrieben haben sollte, und an seinem Geburts- und Wohnort vorbei wanderte die Gruppe entlang des Kasterer Sees und hörte davon, wie man Jagd auf den vermeintlichen Werwolf gemacht hatte, bis er endlich gefangen und im Bedburger Rathaus vor Gericht gestellt worden war.

Stefan griff nach Maries Hand, als sie dem Bericht lauschten, wie Stubbe unter der Folter die Taten gestanden hatte und am 31.10.1589 auf bestialische Weise öffentlich hingerichtet worden war.

Stefan war mit dieser Geschichte groß geworden. Stubbes Fall war der bekannteste Werwolfprozess und wurde im Rudel als Warnung dafür benutzt, was geschehen konnte, falls Außenstehende von seiner Existenz erfuhren.

Nach etwa eineinhalb Stunden waren sie wieder am Agatha-Tor angekommen, ihrem Ausgangspunkt.

»Gruselig«, sagte Marie, während sich die Teilnehmer verstreuten. »War eine super Idee von dir, herzukommen.«

Sie hakte sich bei ihm ein und strahlte ihn an. »Sollen wir gucken, ob wir hier ein schönes Restaurant finden?«

Er schüttelte lächelnd den Kopf. »Ich habe gekocht. Zu Hause steht schon alles parat und muss nur noch wieder aufgewärmt werden.«

»Noch besser! Was gibt es denn?«

»Eine Überraschung.« Noch wollte er ihr nicht sagen, dass er alle Register gezogen hatte, weil es ein Festessen werden würde. Vorher gab es noch etwas, worüber er mit ihr sprechen wollte – und die heutige Wanderung war der perfekte Aufhänger dafür.

Sie gingen langsam in Richtung des Parkplatzes, doch nach wenigen Metern hielt er unter einer Straßenlaterne an.

»Es gibt etwas, das ich dir schon lange hätte sagen sollen«, begann er, und dann stockte er, bevor er neu ansetzte.

»Peter Stubbe ist vermutlich kein echter Werwolf gewesen, aber …«

»Vermutlich?«, unterbrach Marie ihn erheitert.

»… aber das heißt nicht, dass es keine Werwölfe gibt.«

Sie sah ihn wortlos an.

Verdammt, er hatte vollkommen schiefgelegen. Es war eine Schnapsidee gewesen, es ihr ausgerechnet an Halloween zu erzählen.

»Es gibt allein in Deutschland ein gutes halbes Dutzend Rudel, und ich wurde in eins davon geboren.«

Noch immer sagte sie nichts.

»Ich bin ein Werwolf, Marie. Ich trage das Wolfsgen in mir, aber weil es rezessiv ist und meine Mutter ein normaler Mensch ist, kann ich mich nicht wandeln.«

Endlich sprach sie, und ihre Stimme klang gedrückt. »Du willst mir erzählen, dass du ein Werwolf bist.«

Er holte tief Luft, dann nickte er. »Ja.«

Ihr Blick hing an seinem Gesicht, und sie sah ihn an, als versuche sie, seine Gedanken zu lesen. Langsam füllten sich ihre Augen mit Tränen, und sein Herz stockte.

Er streckte seine Hand aus, um ihre Haare zurückzustreichen. »Marie.«

Sie wich zurück, bevor er sie berühren konnte, und dann wirbelte sie auf dem Absatz herum und rannte Richtung Parkplatz.

Er erwachte aus seiner Starre und folgte ihr.

»Marie!«

Er hörte ihr Schluchzen, als sie die Tür aufriss und in den Wagen sprang. Sie gab Gas, bevor er das Auto erreicht hatte.

Als die Rücklichter längst nicht mehr zu sehen waren, starrte Stefan noch immer dorthin, wo sie in der Dunkelheit verschwunden waren. Seine linke Hand umklammerte den Verlobungsring in seiner Tasche.

Kapitel 2: MARIE

 

Der Schein der frühen Morgensonne fiel durch die bunten Vorhänge meines Hotelzimmers, und ich rollte mich mit einem Seufzer auf die Seite, um wieder mal auf meinen Wecker zu sehen. Fünf vor sieben.

Drei Kreuze, dass es endlich spät genug war, um aufstehen zu können. Insgesamt hatte ich vielleicht zwei Stunden geschlafen. Aber es war weiß Gott nicht die erste schlaflose Nacht, die ich in den vergangenen Jahren verbracht hatte.

Ich raffte mich auf und ging ins Bad. Erfahrungsgemäß würde mir eine kühle Dusche dabei helfen, in die Gänge zu kommen.

Ich machte mich fertig, zog Jeans und ein T-Shirt an und klopfte leise an die Verbindungstür zum Nebenzimmer, bevor ich sie einen Spalt öffnete.

»Schon wach?«

Vom Bett her kam ein Grummeln.

»Ich brauche Kaffee. Soll ich alleine frühstücken gehen oder auf dich warten?«

Erneutes Grummeln, dann: »Halbe Stunde.«

»Ich bin unten im Frühstücksraum, okay?«

»Okay.«

Ich zog die Tür zu und ging die Treppe runter ins Erdgeschoss. Trotz der frühen Stunde waren schon Gäste anwesend, als ich den großen Raum betrat, in dem das Frühstück serviert wurde.

Ich nahm an einem der kleineren Tische Platz und bat um Kaffee, als die Serviererin nach meinen Wünschen fragte.

Ich hatte drei Tassen geleert und knabberte noch an meiner ersten Brötchenhälfte, als Joko ein volles Tablett auf den Tisch stellte und sich mir gegenübersetzte.

»Morgen.«

»Morgen. Gut geschlafen?«

»Geht so.«

Ich sah ihm zu, wie er seine Cornflakes löffelte. Hatte ganz den Eindruck, als ginge seine Laune über die übliche Morgenmuffeligkeit hinaus.

»Was ist?«

Er nahm einen weiteren Löffel, kaute und schluckte, bevor er mir antwortete.

»Es ist wegen Stefan.«

Ich nickte und wartete, dass er weitersprach. Gestern Abend war er einsilbig gewesen und hatte nicht über das Treffen reden wollen.

Er rührte in seiner Schüssel. »Ich habe immer gedacht, er wäre ein Arschloch, wenn du dich von ihm trennst.«

»Joko, ich habe nie gesagt, ich hätte mich von ihm getrennt, weil er nicht nett war.«

»Aber du hast auch nie gesagt, warum du dich von ihm getrennt hast.«

Er ließ den Löffel fallen und beugte sich vor. »Mama, er war fertig.«

Bei seinen Worten sah ich wieder Stefans Gesichtsausdruck vor mir. Ich glaubte nicht, dass ich ihn je wieder vergessen würde. Ich schluckte in dem vergeblichen Versuch, den Kloß in meinem Hals loszuwerden.

»Er war sauer, weil er nicht wusste, dass es mich gibt«, fuhr Joko fort.

»Ich hätte siebzehn Jahre lang einen richtigen Vater haben können, wenn du es ihm gesagt hättest.«

»Joko …« Ich musste mehrfach tief durchatmen, bevor ich weitersprechen konnte.

»Vielleicht habe ich damals nicht die richtige Entscheidung getroffen. Ich war nur ein paar Jahre älter als du jetzt bist. Aber ich hatte meine Gründe.«

»Was für Gründe?«

»Du weißt doch, dass ich darüber ich nicht sprechen will.«

Er sah mich trotzig an. »Dann frage ich eben ihn.«

»Tu das, und dann sag mir, was er gesagt hat«, murmelte ich.

 

* * *

Zwei Stunden später stellte ich meinen Wagen auf einem Parkplatz in der Innenstadt ab, stellte die Parkscheibe und legte sie aufs Armaturenbrett.

Erinnerungen strömten auf mich ein, als ich mit den Händen in den Jackentaschen die im Sonnenschein liegende Fußgängerzone entlangging.

Die Buchhandlung mit der eingegliederten Stadtbücherei, in der ich als Kind zahllose Stunden verbracht hatte.

Der kleine Teeladen, in dem es auch Pralinen und Schnickschnack gab.

Das chaotische Schreibwarengeschäft mit der Postfiliale.

Die Pizzeria mit der alten Jukebox und der weltbesten Pizza Hawaii.

Die Drogerie, in der Stefan und ich gemeinsam unsere ersten Kondome gekauft hatten.

Ich kam abrupt zum Stehen, als keine fünf Meter vor mir Stefan aus dem Eingang der Bäckerei kam.

Er sah mich, und einen Moment lang glaubte ich, er würde weitergehen. Dann blieb er ebenfalls stehen.

»Hallo Stefan«, sagte ich, und er nickte nur. Er sah blass und müde aus, und ich fragte mich, ob er eine ebenso üble Nacht verbracht hatte wie ich.

»Du bist nicht bei der Arbeit?«, fragte ich.

»Heute nicht.«

Ich stand vor ihm und wusste nicht, was ich sonst sagen sollte.

Die Stille zog sich, bis er den Kopf zur Seite drehte und hörbar die Luft ausstieß, ehe er mich wieder ansah.

»Kaffee?«

Ich stimmte zu, und wir gingen zu dem kleinen Eiscafé hinüber, vor dem einige Tische und Stühle standen.

Wir bestellten beide einen Cappuccino, und ich versuchte, nicht daran zu denken, wie oft wir früher zum Eis essen hergekommen waren.

Stefan streckte seine langen Beine neben dem Tisch aus und betrachtete die vorbeigehenden Fußgänger.

»Wo ist Johannes?«

»Mit seiner Kamera unterwegs.«

Erst jetzt kam sein Blick zu mir herüber.

»Er fotografiert gerne?«

»Wie ein Profi.«

Die Bedienung brachte unseren Kaffee, und ich rührte Zucker in meinen, während Stefan schon den ersten Schluck nahm.

»Er hat bald Geburtstag.«

Eine Feststellung, keine Frage. Offensichtlich hatte er nachgerechnet.

»In drei Wochen«, bestätigte ich. »Am achten Juli.«

»Was kann ich ihm schenken?«, fragte er sofort.

»Geld. Er spart auf ein Moped.«

»Du lässt ihn Moped fahren?«

»Er ist fast siebzehn, Stefan.« Ich sagte ihm nicht, wie viel Stress Joko und ich gehabt hatten, bevor ich ihm endlich erlaubt hatte, den Führerschein zu machen.

Ich runzelte die Stirn, als ich seinen nachdenklichen Gesichtsausdruck sah.

»Und ich will nicht, dass du ihm ein Moped schenkst. Er ist damit groß geworden, dass man für teure Wünsche sparen oder arbeiten muss. Das ist mir wichtig.«

Jetzt war er es, dessen Stirn sich in Falten legte.

»Reg dich ab. Ich hab nicht vor, ihm ein Moped zu schenken. Und ich werde jetzt auch nicht anfangen, mich in deine Erziehung zu mischen. Aber ich will ihn treffen, Marie. Allein.«

Ich zögerte nur einen Moment. »Klar. Wann?«

»Sobald es geht.«

»Vielleicht könntet ihr heute Abend essen gehen? Pizza oder so?«

»Ich hole ihn gegen sieben ab.«

»Ich sage es ihm.«

Mein Mund war trocken, und ich trank einen Schluck von meinem Kaffee.

»Er ist sauer auf mich.«

»Warum?«

Ich konzentrierte mich darauf, das zerknitterte Zuckertütchen auf der Tischplatte glattzustreichen.

»Weil er dich nicht früher kennengelernt hat.«

Als er nichts erwiderte, hob ich widerstrebend den Blick. Sein Gesicht war starr und ausdruckslos, doch seine Augen sprachen Bände.

Stumm winkte er der Bedienung. Als sie an den Tisch trat, griff ich nach meiner Tasche, doch Stefan warf mir einen so bösen Blick zu, dass ich mein Portemonnaie stecken ließ.

Er zahlte, stand auf und warf eine Visitenkarte vor mir auf den Tisch.

»Handynummer steht auf der Rückseite.«

Ohne ein Wort des Abschieds ging er davon.

Ich griff nach der Karte, zog mein Handy aus der Tasche und fügte seine Nummer zu meinen Kontakten hinzu.

»Marie?«

Aus meinen trüben Gedanken gerissen blickte ich auf, als ich meinen Namen hörte. Ich brauchte einen Moment, bis ich die Frau wiedererkannte, die bei meinem Tisch angehalten hatte.

»Inga?«

»Du bist es wirklich! Mann, das ist ja eine Ewigkeit her!«

Sie zog sich einen Stuhl zurück, setzte sich und beugte sich angeregt vor.

»Erzähl doch, wie geht es dir?«

»Ähm …« Wie sollte ich die vergangenen fast zwanzig Jahre in ein paar Worten zusammenfassen?

»Ich bin Krankenschwester und habe einen Sohn«, sagte ich schließlich. »Wir sind zu Besuch hier.«

»Länger? Dann könnten wir uns ja mal im Schabau treffen und in aller Ruhe quatschen. Was denkst du?«

Sie nahm ihr Handy aus der Tasche.

»Lass mich kurz gucken, wann es bei mir passt.«

Etwas überwältigt lehnte ich mich zurück, während sie ihren Kalender prüfte. Inga und ich waren nie besonders eng befreundet gewesen, aber es war nett, jemanden von damals zu treffen, der so viel Begeisterung über das Wiedersehen zeigte.

»Wie wäre es morgen Abend? Sieben oder acht?«

»Das wäre okay.« Ich brauchte nicht in meinen Kalender zu sehen. Ich hatte mir bis auf Weiteres unbezahlten Urlaub genommen und keine Termine.

»Gut, dann sagen wir halb acht, okay? Bis dann! Ich muss weiter; hab eine Verabredung.«

Sie sprang auf und eilte mit einem kurzen Winken davon.

Ich trank den letzten Schluck kalt gewordenen Kaffee und machte mich auf den Rückweg zum Auto.

Der nächste Stopp auf meiner Reise in die Vergangenheit war die Gesamtschule, auf die Stefan und ich gegangen waren.

Wir kannten uns vom Schulhof, seit wir zehn waren, aber er war in der Parallelklasse gewesen, sodass wir erst in der Oberstufe gemeinsamen Unterricht hatten. Auf der Klassenfahrt nach Polen hatten wir uns das erste Mal geküsst und waren seitdem fest zusammen gewesen.

Ich ging an den Sportplätzen vorbei zum Haupteingang. Weil Samstag war, war niemand in der Nähe, als ich mich auf die Bank setzte, wo sich unsere Clique immer getroffen hatte.

Niemand sah, wie mir die Tränen über das Gesicht liefen, als ich mich daran erinnerte, wie ich es jeden Morgen kaum hatte erwarten können, ihn endlich wiederzusehen.

Und dabei waren wir damals nur Freunde gewesen.

Ich blieb sitzen, bis ich mich wieder unter Kontrolle hatte, dann ging ich langsam zum Auto zurück.

Die letzte Etappe war etwas länger, aber schließlich bog ich in einen Feldweg ein und parkte das Auto. Der Wald lag im Sonnenschein vor mir.

Stefan war immer gerne im Wald gewesen. Und solange ich ihn kannte, hatte er ein Faible für Wölfe gehabt. Als ich im Internet auf einen Künstler gestoßen war, der Auftragsarbeiten durchführte, hatte ich ihn gebeten, einen Wolf zu malen, der auf einer Lichtung im Wald stand und den Betrachter ansah.

Stefan war begeistert gewesen. Er hatte das Bild sofort gegenüber dem Bett aufgehängt, und dann hatte er sich bei mir bedankt. Zärtlich, leidenschaftlich und sehr ausgiebig.

Ich hatte fest daran geglaubt, dass wir beide etwas ganz Besonderes hatten, etwas Dauerhaftes. Niemals hätte ich damit gerechnet, dass er wenige Wochen später auf diese Weise mit mir Schluss machen würde. Indem er mich mit einer so offensichtlichen Lüge von sich trieb.

Als ich in jener Nacht zu meinem Auto gerannt war, war mein einziger Gedanke gewesen, er hätte eine andere und wollte mich loswerden.

---ENDE DER LESEPROBE---