Tortengräber - Heinrich Steinfest - E-Book

Tortengräber E-Book

Heinrich Steinfest

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Beschreibung

Klaus Vavras tägliche Freuden sind es, Croissants zu essen und Frauen am Telefon anzuschweigen. Seine beiden Gewohnheiten bringen ihn in ernste Gefahr: Vavra kann es nämlich nicht unterlassen, die auf einen Geldschein – den er natürlich beim Croissantkauf bekommen hat – gekritzelte Nummer zu wählen und wie gewohnt zu schweigen. Wenige Minuten später stürmt die Polizei seine Wohnung. Und damit beginnt eine ebenso mord- wie wendungsreiche und hoch komische Rallye quer durch Wien.

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Taschenbuchausgabe

6. Auflage September 2011

ISBN 978-3-492-95798-4

© 2007 Piper Verlag GmbH, München

Erstausgabe: Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach 2000

Umschlaggestaltung: semper smile, München

Umschlagfoto: Jim Naughten / Corbis

Datenkonvertierung: CPI – Clausen & Bosse, Leck

BEWUSSTSEINSSCHWELLE. Trennlinie zwischen dem Bewußten und dem Unbewußten. Sie bildet aber keine scharfe Grenze, die imstande wäre, die Innenwelt in zwei getrennte Abschnitte zu teilen.

(Wörterbuch des Kriminaldienstes, Leopold Vitecek, 1965)

Die Österreicher haben kürzlich ein Länderwettspiel im Fußball abgeführt, bei welchem sich erwies, daß die gefürchtete ungarische Elf Österreich nicht zu schlagen vermochte. Man spielte 2 mal 45 Minuten unentschieden. Aber schließlich schossen die Österreicher durch das Pech eines ihrer prominentesten Sportsleute sich selbst ein – Tor, ein Eigen-Goal, wie man auch sagt. Und so gingen denn die Ungarn als nicht eben rühmlicher Sieger vom Platze. Das ist österreichisches Schicksal. Und gewiß bin ich in diesem Sinne ein giltiger Repräsentant meines schönen und liebenswürdigen Vaterlandes. Denn das entscheidende Tor hab’ ich mir immer selbst geschossen: nie die Anderen.

(Commentarii, 15.4.1954, Heimito von Doderer)

1|  Ein Täter wird geboren

Was könnte man Gutes über diesen Mann sagen? Daß er pünktlich zur Arbeit kam, seinen Fernseher angemeldet hatte, regelmäßig Vitamintabletten schluckte und häusliche Schimmelbildung vermied? Daß er auf seine Zimmerpflanzen achtete, ohne deshalb gleich persönlich zu werden, da er dies als esoterisch und in der Folge als weibisch empfunden hätte: mit grünen Gewächsen reden? Daß er eine Ehe und eine Scheidung hinter sich gebracht hatte? Worüber er nicht sprach. Und kaum einer, der ihn kannte, konnte sich vorstellen, daß dieser Mann je das Herz einer Frau erobert, belästigt oder auch nur überrascht hatte. Er vermittelte den Eindruck eines ewigen wirklichen Junggesellen. Nicht daß er sich gegenüber Frauen unhöflich verhielt. Aber die so überaus höflich behandelten Damen spürten seine leise Verachtung und seinen gar nicht so leisen körperlichen Ekel. Es war wie eine Allergie. Und tatsächlich bekam er Ausschläge, vornehmlich an den Beinen und oberhalb des Bekkenknochens, wenn er gezwungen war, die Hände von Frauen, also die Hände von vorgesetzten Frauen, die er nicht ausschlagen konnte, anzufassen. Mehr zu berühren, das wollte er sich gar nicht vorstellen. Er meinte, eine solche extreme Reaktion müsse mit den Hautcremes und Nagellacken und Parfüms zusammenhängen, mit dem vielen Gold und Silber und dem ganzen Kunststoff auf Frauenhänden. Daß seine Allergie möglicherweise einen psychischen Ausgangspunkt besaß, wollte er ebensowenig ausschließen. Aber was, dachte er sich, hätte es ihm genutzt, sich eines traumatischen Erlebnisses und seiner fatalen Fortpflanzung bewußt zu werden. Er glaubte nicht an Heilung. Sehnte sich auch gar nicht nach einer solchen. Ihm war einfach nicht danach, Frauenhände anzufassen. Punktum. Und da vorgesetzte Frauen selten vorkamen, glückte seine Methode der Vermeidung. Andere Männer aßen keine Kiwis. Waren sie deshalb unglücklich?

Was könnte man Schlechtes über diesen Mann sagen? Daß er Blattläuse umbrachte, Zigarettenkippen ins Klo warf, Tageszeitungen las? Nicht ganz so harmlos war allerdings seine gelegentliche Abendbeschäftigung, von der er freilich nicht sprach, da allgemein das Verständnis dafür fehlte. Doch davon später.

Gerne wurde er für einen Buchhalter oder Beamten der alten Schule gehalten, vielleicht weil er regelmäßig Hut trug oder wegen seiner vom Tageslicht verschonten Gesichtshaut. Aber er hatte einen durchaus modischen Beruf. Er entwarf Nahrung für Leute, die keine Zeit hatten. Und wer hatte schon Zeit? Dabei wollte der Konsument ja nicht bloß satt werden, sondern sich mit den Speisen auch gleich ein gutes Gewissen einverleiben. Weshalb neuerdings eine Menge vegetarischer oder quasivegetarischer oder eben auf irgendeine ominöse Weise korrekte Fertiggerichte entwickelt wurden, auch von Vavra, der sich dennoch nur wundern konnte. Er selbst hielt sich Vegetarier vom Leib, gleich welchen Geschlechts. Aber er bastelte an einer revolutionären Avocadosuppe für eingebildete Spitzensportler und andere Hypochonder sowie an einer ganzen Serie sogenannter U-Bahn-Nahrung, etwa Hirsekroketten, auf deren goldbrauner Oberfläche diverse Markenfirmen mit ihren Namen und Logos warben. Das war die Zukunft: Lebensmittel, die nicht nur für sich selbst buhlten, sondern auch für Schuhe, Kleidung, Parfüms, das neue Familienprogramm der Regierung etc., eine Werbung, die man hinunterschlucken, sich einverleiben konnte. Auch arbeitete Klaus Vavra an einem Sojaburger, den man mitsamt der Verpackung verspeisen konnte. Eßtaugliche Hüllen empfand er als seine große Herausforderung. Wobei er nicht primär an Müllvermeidung dachte, sondern an die Vermeidung des Aufwandes, der mit jeder individuellen Beseitigung einer Hülle einherging. Was blieb, war das hygienische Problem. Deshalb ja die Verpackung. Im Grunde hätte die eßtaugliche Verpackung ihrerseits eine Verpakkung benötigt, was natürlich Unsinn war. Andererseits: Unsinnigkeit war kein Gegenargument, war es nie gewesen.

Vavra liebte die Routine. Dazu gehörte auch sein tägliches Croissant, das er sich auf dem Weg zur Arbeit besorgte. Immer nur eines. Das war sein ganzes Frühstück. Er achtete auf seine Figur, ohne zu wissen, wozu eigentlich.

Auch an diesem Tag, der, wie man so sagt, als ein rabenschwarzer enden sollte, betrat er die Bäckerei, grüßte und orderte sein Croissant. Die Verkäuferin kannte ihn, wußte, was er wollte, aber die Bestellung auszusprechen, war ihm wichtig. Er wäre sich sonst wie ein Trinker vorgekommen, dem man ungefragt sein Glas hinstellt.

Er kramte in seiner Geldbörse. Da er aber nicht genug Kleingeld zusammenbekam, zahlte er mit einem größeren Schein. Unter dem Geld, das ihm die Verkäuferin herausgab, befand sich ein Zwanzig-Schilling-Schein, der dem peniblen Vavra sofort ins Auge stach. Die Banknote war mit Kugelschreiber beschmiert worden: Kreise, Kreuze, dazwischen eine Zahlenreihe. Vavras Verhältnis zu Geldscheinen war, zumindest bis zu diesem Tag, ungleich besser als das zu Frauen. Er empfand es als Unverschämtheit, ein Zahlungsmittel, das ja durch eine Unzahl von Händen ging, in welcher Form auch immer zu verunstalten. Was dachten sich die Menschen dabei, Papiergeld zu Notizblöcken umzufunktionieren? Nicht daß er glaubte, daß solche Menschen dachten. Allzugerne hätte er die Annahme des Geldscheins verweigert. Doch Vavra war ein ängstlicher Mensch. Er fürchtete das Unverständnis der Verkäuferin, fürchtete – da nun weitere Kunden eintraten –, man würde ihn belächeln. Öffentliche Auftritte waren ihm ein Greuel. Das war nicht der Ort und nicht der Anlaß, um im Mittelpunkt zu stehen. Weshalb er sich mit einer unsichtbaren Mißfallensgeste begnügte, das Ärgernis in seiner Geldbörse unterbrachte und die Bäckerei verließ.

Während seiner Arbeitszeit dachte er nicht mehr an die Geschichte, war zu sehr damit beschäftigt, einem Tofuwürfel den Geschmack von Leberkäse einzuhauchen, seine Festigkeit zu erhöhen und ihm eine fingerfreundliche Form zu verleihen sowie auf der Vorder- und Rückseite das markante Konterfei eines ehemaligen russischen Präsidenten und auf den Seitenflächen das Logo eines Möbelhauses unterzubringen. Auf dem Nachhauseweg wiederum war er wie üblich in die Lektüre seiner Tageszeitung vertieft. Doch als er nun in seinem bequemen Ledersessel saß und gelangweilt den Bemühungen eines telegenen Psychologen folgte, dem Fernsehpublikum den Grund für die Häufung von Amokläufen zu erklären, da kam Vavra nicht umhin, sich seines morgendlichen Ärgers zu entsinnen. Auch wenn er sich ermahnte, nicht weiter darüber nachzudenken, die Sache regte ihn auf. Er nahm seine Geldbörse vom Tisch, zog den inkriminierten Geldschein heraus und betrachtete das Geschmier, das jene wirre und dichte konstruktivistische Note von Graphiken besaß, die während eines Telefonats entstehen und des öfteren an Bebauungspläne erinnern. Vavra sah auf die sieben Ziffern, welche in aneinandergereihte Karos eingeschrieben waren. Sein Gesicht erhellte sich. Ein kleines, dafür böses Lächeln zog seinen Mund auseinander.

Es muß nun also erwähnt werden: Herrn Vavras Obsession. Er selbst hätte wohl eher von einem bescheidenen Abendvergnügen gesprochen, aber er sprach nicht davon. Wer erzählt schon, irgendwelche Telefonnummern anzuwählen, in der Hoffnung, daß sich am anderen Ende der Leitung eine alleinstehende, ängstliche Frau meldet? Von Obszönitäten allerdings konnte keine Rede sein. Vavra schwieg eisern. Atmete bloß, auch nicht lauter oder rascher als üblich. Er hörte zu. Ob es nun die verzweifelte Bitte war, er möge sich endlich melden, oder ob er als perverses Schwein beschimpft wurde, immer hörte er die Angst heraus, und die ließ er sich auf der Zunge zergehen. Und auch wenn er nie eine Nummer zweimal wählte – aus Gründen der eigenen Sicherheit und da er Übermut für schändlich hielt –, so stellte er sich gerne vor, wie die Frauen darauf warteten, daß er sie erneut anrief, wie sie sich vorbereiteten, sich eine Strategie zurechtlegten, unschlüssig, wie einem solchen Psychopathen zu begegnen sei, ob sie sich belustigt geben, ihm drohen sollten, mit Kastration, mit einem Ehemann, der demnächst nach Hause kam, oder ob es besser war, die Kraft seines Schweigens aufzulösen, indem sie selbst schwiegen. Überlegten, ob sie überhaupt zum Telefon gehen, den Anrufbeantworter einschalten, den Stekker herausziehen sollten. Vavra genoß die Vorstellung, wie die Phantasie mit diesen Frauen durchging, sie an ihrer Angst herumdrückten wie an einem Furunkel und dadurch nur noch alles schlimmer machten. Wie sie in Küchenläden nach Messern kramten, Türen überprüften, Fenster schlossen, Pillen schluckten, durch Zigaretten atmeten, in den seltensten Fällen jemanden anriefen, der ihnen helfen konnte. Wer hätte das auch sein können? Die Polizei? Ein Witz, lieber starben sie, als sich vor der Polizei lächerlich zu machen. Freunde? War es besser, sich vor Freunden lächerlich zu machen?

Vavra gab sich nur hin und wieder diesem seinem Vergnügen hin. Und tätigte nie mehr als einen erfolgreichen Anruf pro Abend. Daß er dabei etwas Unkorrektes tat, kam ihm sehr wohl in den Sinn, so unkorrekt, wie den Fiskus um ein paar hundert Schilling zu betrügen, sich nach Beginn des Kinofilms in eine bessere Reihe setzen oder auf dem Gehsteig parken. Ihn plagte keine Sekunde ein schlechtes Gewissen. Schließlich griff er die Frauen nicht an. Daß er ihnen in die Seele griff, nicht mit einer Pranke, sondern mit einem feinen, scharfen Instrument, das mußte er zugeben. Aber deshalb von Terror sprechen? Wirklich nicht, sagte sich Vavra, das mußten diese Weiber schon aushalten, ohnehin ein zähes Volk.

Warum also nicht jene Nummer probieren, die auf dem Geldschein stand? Aus dem Ärgernis vielleicht sogar einen Profit ziehen. Eine schöne Möglichkeit. Er holte sich den Telefonapparat, den er auf seinem Schoß plazierte, streckte seine Beine aus, entspannte sich, und erst als sein Atem ruhig und gleichmäßig ging, wählte er die Nummer. Bei aller atemtechnischen Gelassenheit fuhr ihm die Erregung wie ein kundiger Griff zwischen die Beine, als er nun eine Frau vernahm, die sich mit »Hafner« meldete. Vavra schwieg in gewohnter Weise. Souverän, wie er das bei sich nannte. Die Frau erklärte mit einer Stimme, deren Festigkeit einen nervösen Unterton besaß, sie sei bereit, sämtliche seiner Forderungen zu erfüllen.

»Wie?« wäre es Vavra fast entschlüpft.

»Aber ich bitte Sie, töten Sie meine Tochter nicht.«

Gerne hätte Vavra darauf insistiert, daß ihm nichts ferner lag. Auf was für Sachen kamen die Leute bloß? Verdammte Hysterie. Konnte man sich denn keinen biederen kleinen Streich mehr erlauben, ohne gleich der ungeheuerlichsten Absichten verdächtigt zu werden?

Die Frau sprach von Geld, erwähnte die Banken, die sich Zeit ließen. Natürlich ließen sich Banken Zeit, aber Vavra verstand nicht. Hörte auch nicht mehr richtig hin, schwieg in die verwirrende Rede hinein, dachte an seine eigenen Sorgen, an den jungen Kollegen, den man ihm zur Seite gestellt hatte, zu seiner Entlastung, wie es hieß. Daß er nicht lachte. Der Bursche hatte keine Ahnung. Besaß zwar tausend Abschlüsse, wie das jetzt Mode war, kam aus Deutschland, wie das jetzt auch Mode war, aber hatte nie in seinem Leben auch nur eine Suppe selbst zubereitet. Vavra war nämlich der Überzeugung, daß, wer zeitgenössische Nahrungsformen entwickelte, der traditionellen Kochkunst mächtig sein mußte, so wie jeder ernstzunehmende abstrakte Künstler sich in seinen Anfängen mit der Gegenständlichkeit beschäftigt hatte. Nein, er wußte ganz gut, daß ihm der Laborchef diesen jungen Ehrgeizling nur deshalb vor die Nase gesetzt hatte, damit er, Vavra, jenen Druck verspürte, den man neuerdings für unerläßlich hielt, um die Kreativität der Mitarbeiter anzustacheln.

Vavra legte auf. Einfach verrückt, dachte er, und meinte damit den heraufbeschworenen Konkurrenzkampf, der die Leute in Wirklichkeit von ihrer Arbeit abhielt, da sie primär damit beschäftigt waren, Intrigen zu entwickeln, Querelen auszutragen, Angriffe abzuschmettern. An die Frau, die Merkwürdigkeit, daß sie seinen Anruf erwartet zu haben schien, dachte er nicht weiter. Wozu sich den Kopf zerbrechen? Er gab sich noch kurz dem Fernsehen hin, was in diesem Moment gar keine schlechte Lösung war. Als er sich eine halbe Stunde später erhob, um schlafen zu gehen, fiel sein Blick auf den Tisch, dort, wo noch immer der Zwanzig-Schilling-Schein lag. Er nahm das Ding, das seine morgendliche Verstimmung und seine abendliche Enttäuschung verursacht hatte, und wollte es zurückstecken. Da war nun aber das unklare Gefühl einer Bedrohung, die von diesem Schein ausging. Er wollte sich nicht länger aufregen müssen. Und er wollte diese Schandtat aus dem Umlauf ziehen, weshalb er das Geld in den Holzofen warf, wo die Glut zwar nicht der Angelegenheit, aber dem bedruckten und beschmierten Papier ein rasches Ende bereitete.

Vavra fühlte sich ärmer, aber auch reicher. Er vollzog die Abendtoilette mit der gewohnten Gründlichkeit und legte sich ins Bett, wo er sogleich, wie alle Menschen reinen Gewissens und dank der Wirkung einer zuvor eingenommenen Tablette, in den Schlaf sank.

Leider blieb er dort nicht lange, da nur Minuten später der Lärm berstender Fenster und Türen den Erfolg des Medikaments zunichte machte. Vavra riß die Augen auf. Gleißende Lichtkegel schossen über ihn hinweg. Merkwürdig verzerrte Stimmen drangen aus allen Richtungen. Ihm war, als führten unzählige Röhren zu einem zentralen Punkt, der sein Bett war, der – genaugenommen – er selbst war. Warum? Weil er Suppen erfand? Oder war das eine Gasexplosion, ein Erdbeben? Oder bereits die Hölle, die jeden Menschen einzeln willkommen hieß, wie unbedeutend er auch sein mochte? Nun, nichts von dem. Es war bloß die Polizei, die hier so spektakulär auftrat, eine ihrer Spezialeinheiten. Leute, die eine gewisse Erfolgsgarantie darin sahen, eine Wohnung in größte Unordnung zu bringen. Vavra aber fürchtete, in eine bruegelsche Vision vom Triumph des Todes geraten zu sein, als nun im endlich erstarrten Licht dunkle, gesichtslose, käferartige Gestalten über ihn herfielen, ihn auf den Bauch warfen und seine Arme Richtung Schulterblätter verdrehten. Ein Knieschützer und mit ihm das Gewicht eines ausgewachsenen Mannes lastete auf Vavras Nacken, während eine Stiefelspitze gegen seine Hoden stieß. Er schrie auf. Jemand schlug ihm gegen das Ohr, mehr beiläufig, als wollte man ihn bloß daran erinnern, daß er hier der letzte war, der sich eine Wehleidigkeit erlauben durfte.

Jetzt spürte er das kalte Metall der Handschellen an seinen Gelenken. Auch fixierte man seine Beine fachgerecht. Zwei Polizisten faßten ihn wie ein Kind am Saum seiner Pyjamahose, hoben ihn hoch und trugen ihn aus der Wohnung.

Im Stiegenhaus drängte sich eine ganze Armee, worunter dieses gelitten hatte. Doch waren die Männer zwischenzeitlich zur Ruhe gekommen, schließlich befand sich die Katze im Sack. Trotz Rauchverbot glühten erste Zigaretten. Vavra wurde kaum beachtet, als er nun wie ein Möbelstück aus dem Haus befördert wurde. Kein einziger Mensch auf der Straße, nicht einmal Polizeiwagen waren zu sehen. Man hatte die Gegend weiträumig abgeriegelt und die Anrainer mittels einer Megaphonstimme, die Schmerz und Tod versprochen hatte, davon abgehalten, an die Fenster zu treten.

Vavra im seidenen Nachtgewand, frierend – immerhin war es Mitte Dezember –, einige Zentimeter über dem Boden schwebend. Die beiden vermummten Polizisten blieben wortlos. Auf der anderen Seite der Straße lag eine Parkanlage, auf der nun ein Hubschrauber wie ein alkoholisiertes Insekt aufsetzte. Vavra vermutete die Blicke der Nachbarn auf seiner anstößigen Erscheinung. Er genierte sich. Auch für den Lärm, den er gewissermaßen verursacht hatte. Übrigens hielt er Kafkas Prozeß für eine schlimme Übertreibung. Die Welt war besser, als die Kunst sie sich vorstellen wollte. Auch in seinem Fall lag ein Irrtum vor, doch er war überzeugt, daß sich selbiger würde aufklären lassen. Und als man ihn nun in den Hubschrauber verfrachtete, hätte er gerne erwähnt, daß er diese Polizeiaktion, ihren Ablauf, die präzise Folge aktionsreicher Maßnahmen für mustergültig halte. Verwechslungen geschahen nun einmal, auch im besten System. Mag sein, daß Unschuldige im Gefängnis saßen. Wollte man deshalb den Rechtsstaat abschaffen? Natürlich nicht. Diese wenigen Opfer erkennungsdienstlicher Mißgriffe waren wohl auch selbst schuld an ihrem Schicksal. Er hingegen würde, sobald er die Möglichkeit dazu bekam, darlegen, daß er keineswegs daran denke, die Presse zu informieren oder gar die Behörden anzuklagen, bloß weil diese daneben- und zufällig ihn gegriffen hatten. Er wollte sich mit einer förmlichen Entschuldigung zufriedengeben und die Sache gerne wieder vergessen.

Zu seiner Überraschung landete der Hubschrauber auf einem der beiden flakturmartigen Komplexe des Allgemeinen Krankenhauses. Erneut wurde er an der Hose gepackt, die einen unbedankten Qualitätstest bestand. Man zog ihn über den Landeplatz und hinein in den Aufzug. Vavra war das alles nun doch ein wenig zuviel. Die Ansätze seiner Oberschenkel brannten. Auch seine nackten Füße, die auf die plötzliche Wärme reagierten. Wie der ganze Vavra, der für einen Moment das Bewußtsein verlor, so wie man einen Faden verliert. Als er erwachte, trugen sie ihn gerade durch einen Gang, hielten vor einer gläsernen Kabine an. Eine Krankenschwester musterte Vavra über den Rand ihrer Brille hinweg, als sei er es nicht wert, durch die korrigierende Wölbung des Glases betrachtet zu werden. Ein Blick wie zur Schädlingsbekämpfung. Nicht gerade die Frau, der man vorwerfen konnte, sie markiere hier den Engel in Weiß. Sie nahm eine Liste, auf der sie mit zwei geraden, boshaften Strichen einen Namen durchkreuzte. Am Ende des Ganges öffnete sich eine mit Kinderzeichnungen zugeklebte Türe, und Vavra wurde in einen langgestreckten Raum geschafft. Auf einem ebenso langgestreckten gläsernen Konferenztisch triumphierten in schönster Ordnung vier pflastersteingroße Aschenbecher. An den Tischenden waren Aufnahmegeräte installiert worden, dazwischen standen mehrere Tassen, darin mit Sahne verdünnter Kaffee. Die am Tisch abgelegten Pistolen fielen nicht weiter auf unter den silbernen Zuckerschalen, Milchkännchen, den Schnupftabakdosen, den Zigarettenetuis und Flachmännern. Auf der Fensterseite des Tisches saß ein halbes Dutzend Männer in hellen Anzügen. Die bunten Krawatten korrespondierten mit den Einstecktüchern. Die Köpfe schmückten echte Friseurfrisuren, nichts Hausgemachtes, nicht die übliche Heimarbeit talentierter Gattinnen. An Fingern und Ohren trugen sie breite Ringe, wie man das öfters bei Staatsdienern sieht. Die zwei Burschen aber, die an den Aufnahmegeräten saßen, wirkten eher wie Praktikanten. Und tatsächlich handelte es sich um technisch versierte Gymnasiasten, die ihr Direktor im Zuge der von der Regierung ausgegebenen Forderung nach eigenverantwortlicher Kapitalbeschaffung und Diversifikation an die Polizei vermittelt hatte.

Der Blick auf das nächtliche Wien war großartig. Es schien, als vibrierten die Lichter in vorweihnachtlicher Erregung, als habe der optimistische Geist der Wiener Handelskammer selbst die letzte und kleinste Straßenlaterne erfaßt. Während die beiden Schüler mit privatwirtschaftlichem Eifer ihre Geräte prüften und die Beamten rauchten und plauderten, als sei das hier ein Betriebsfest, stand eine Person am Fenster und sah hinauf zum klaren Nachthimmel. Eine Frau mit aufgestecktem Haar. Die Spitzen der sichelförmigen Ohrringe wiesen auf den langen, dünnen Hals, der wie ein weißer Stiel das schwarze Haar mit dem schwarzen Kleid verband. Daß sie hier das Sagen hatte, war spürbar, vielleicht auch bloß, weil sie als einzige stand.

Natürlich: Durch die Fernsehserien wirbelten in jüngster Zeit weibliche Chefkriminalistinnen, rotgelippte, schmalwangige Bastionen der Unbestechlichkeit, zwischen kalter Autorität und Waldorfpädagogik wankend, zwischen distanzierter Grazie und burschikoser Direktheit. Aber daß auch im wirklichen Leben Frauen in den befehlsgebenden Bereich des polizeilichen Apparates vordrangen, war Vavra so neu wie fremd und ihm ein weiterer Beweis für den fatalen Einfluß klischeebildender Fiktionen auf die Realität. Was es im Fernsehen gab, drängte sich über die Köpfe des Publikums in die Wirklichkeit hinein. Ein künstlicher Virus, der mit mörderischer Kraft in die Natur fuhr und sie bis zur Unkenntlichkeit deformierte.

Die Frau wandte sich um. Eine auf eine kränkliche Art elegante Erscheinung. Die nackten Arme, dünn und bleich wie ihr Hals, verrieten eher einen Hang zum skandinavischen Symbolismus als zum Schießsport. Freilich konzentrierte sich der Blick aller Betrachter, die diese Frau das erste Mal sahen, auf die flachgedrückte, S-förmige Nase, die wie eine blecherne Gebäckform zwischen den infolge Müdigkeit oder Trauer stets angestrengten Augen steckte. Wie sie zu dieser auffälligen Gesichtsmitte gekommen war, blieb weitgehend unbekannt, auch, warum sie die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie nicht nutzte, um dem voyeuristischen, einmal mitleidigen, einmal höhnischen Blick ihrer Umwelt zu entkommen. Etwa dem Verdacht, daß sie mittels dieser Entstellung sich die Männer vom Leib halte. Oder daß sie den Zustand ihrer Nase einer kämpferischen Liaison verdanke, an die sich ständig zu erinnern ihre masochistische Ader sie zwinge. Auch gab es obskure Spekulationen darüber, inwieweit ihre verunfallte Nase ihre Karriere gefördert habe, da einige Neider behaupteten, gerade ihre Nase habe Lilli Steinbeck den Geruch von Kompetenz verliehen. Daß sie diese tatsächlich besaß, ignorierten sogar ihre engsten Mitarbeiter, die sich die beachtlichen Erfolge der Abteilung fälschlicherweise selbst zuschrieben. Natürlich litten die untergebenen Herren Qualen, daß eine Frau das Kommando innehatte, die außer ihrer Nase so gar nichts von einem Mann besaß und die im Gegensatz zu ihren fiktionalen Pendants weder eine Waffe noch ein hartes Wort zu bedienen wußte, langsam und vorsichtig und selten mit dem Auto fuhr, keinen schwarzen Gürtel besaß, überhaupt keinen Gürtel, Computer mied und gerne früh schlafen ging. Dafür war sie fast so berühmt wie für ihre Nase: daß sie sich, wann immer möglich, um acht, neun am Abend in den Schlaf zurückzog. Man kann sich also vorstellen, daß sie wenig von Nachtarbeit hielt, während ihre Kollegen sich mit Vorliebe im Rahmen von Observationen und diversen Aufmischungen die Nächte um die Ohren schlugen, um dann freilich tagsüber das Geld nicht wert zu sein, das sie nächtens in Bars und Kneipen ausgaben.

Natürlich galt Steinbeck als Lesbe. Warum, das wollte keiner sagen. Warum, das war ja auch nicht die Frage. Doch zu einem echten Widerstand gegen sie war es nie gekommen. Sie wurde in den oberen Etagen geschätzt. Dort saßen zwar auch nur Männer, die überall Lesben sahen. Aber diese Männer waren auf Erfolge angewiesen. Und Steinbeck lieferte diese Erfolge.

Es war jetzt kurz vor Mitternacht. Steinbeck folglich wenig begeistert ob eines Verhörs, das man genausogut am nächsten Vormittag hätte führen können. Doch ihr Vorgesetzter hatte die Priorität und Eile betont, mit der dieser Fall zu behandeln sei, da ja nicht nur ein Leben auf dem Spiel stehe, was allein die Nacht noch nicht zum Tage mache, sondern ausgerechnet eine in Österreich ansässige deutsche Industriellenfamilie im Mittelpunkt der unerfreulichen Geschehnisse stehe. Schließlich kämen die Deutschen in dieses Land, um ihre Ruhe zu haben, eben, um aus dem Mittelpunkt zu treten und am Rande der Aufmerksamkeit dem allzu menschlichen Bedürfnis nach Beschaulichkeit und angstfreiem Genuß des Erworbenen nachzukommen. Der Wohnungsstandort Österreich dürfe nicht gefährdet werden. Die Deutschen wären heikel. Das sei ja auch ihr gutes Recht.

Vavra starrte auf ihre Nase, als überlege er angestrengt, mit welcher Spezies er es zu tun habe. Steinbeck blieb gelassen und erinnerte Vavra solcherart, daß es nicht an ihm war, sich hier freche Blicke zu erlauben, sondern mit aller Freundlichkeit auf einen Irrtum hinzuweisen.

Ein Sessel wurde herangeschoben und Vavra endlich fallen gelassen. Sein gebeutelter Leib entspannte sich nur langsam. Gerne hätte er geantwortet. Doch niemand stellte eine Frage. Merkwürdigerweise hatten die Männer Besseres zu tun, als sich um ihn zu kümmern. Man unterhielt sich angeregt über Bandscheibenschäden, schlechte Bezahlung und die Oberweite einer Dame, die bloß einen Vornamen zu haben schien. Nur Steinbeck betrachtete ihn. Er sah nicht zurück, der Nase wegen, spürte aber ihren Blick, der wie eine Trennscheibe seinen dürftig bekleideten Körper kopfabwärts durchschnitt.

»Könnte ich vielleicht etwas zum Anziehen haben?«

Sofort wurden sämtliche Gespräche eingestellt, waren sämtliche Blicke auf ihn gerichtet. Nur der Qualm der Zigaretten stieg ungebrochen, geradezu geräuschvoll zur Decke. Einer zeigte mit dem Finger auf ihn und meinte, wenn er hier gedenke, große Töne zu spucken, dann werde er sich noch wundern. Was Vavra dann auch tat, als man endgültig zur Arbeit überging, ihn vornweg über die Aussichtslosigkeit seiner Situation unterrichtete und schließlich die Frage stellte, wo er Frau Hafners Tochter Sarah versteckt halte, ob, und wenn ja, wie viele Komplizen beteiligt seien.

Vavra zeigte sich erschüttert, erklärte, daß er das Opfer eines groben Mißverständnisses geworden sei, bereute sogleich das Wort grob und wurde ja auch für diese Äußerung mit zwei Schlägen ins Gesicht bedankt, die er bis in seine halberfrorenen Füße hinunter spürte. Die alte Geschichte: Man wollte keine Beteuerungen, sondern ein Geständnis. Beteuerungen hätten bis morgen warten können.

Irgendwie kam Vavra nicht dazu, seine ursprüngliche Strategie zu verfolgen, indem er den Einsatz lobte, auch für härtere Methoden Verständnis zeigte und polizeifeindliche Medienberichte geißelte. Man dichtete ihm eine Entführung an. Bei allem Verständnis – hatten diese Leute denn keine Augen im Kopf? Glaubten die tatsächlich, er besäße soviel Schneid, eine derartige Aktion zu planen, gar auszuführen, ein vielleicht schreiendes Mädchen zu betäuben, sie in irgendein Versteck zu schleppen, seelenruhig telefonische Forderungen durchzugeben … Endlich verstand er: die Nummer auf dem Geldschein. Gerade die Tatsache, daß er am Telefon geschwiegen, daß er Angst hatte hervorrufen wollen, machte ihn verdächtig. Er war in eine Fangschaltung geraten wie andere in die Arbeitslosigkeit. Sein Schweigen, das ihn absichern sollte, hatte sich als Bumerang erwiesen. Hätte er gestöhnt, Frivolitäten ausgespuckt, mit Vergewaltigung gedroht, man hätte ihn aus der Leitung geworfen, um Platz zu machen für den Anruf der Entführer. So aber …

Vavra rang mit sich. Nun, es blieb ihm gar nichts anderes übrig. Er mußte seine kleine Leidenschaft gestehen. Was ihm leichter gefallen wäre ohne die Anwesenheit dieser Frau. Es war aber diese Frau, die ihre Leute, indem sie sich schneuzte – ein vertrautes Zeichen –, in Schach hielt und also Vavra die Möglichkeit gab, seine unglaubwürdige Geschichte zu erzählen. Immerhin führte dies zur Erheiterung der Runde. Allerdings stand man unter Druck, hatte eigentlich keine Zeit für solche absurden Ausreden.

»Bei dem kommen wir mit Höflichkeit nicht weiter, wann sind wir mit Höflichkeit je weitergekommen«, sagte ein rotgesichtiger Enddreißiger. Allgemeines Nicken der Männer. Die Jünglinge grinsten. Freuten sich darauf, ihren Mitschülern Authentisches berichten zu können. Aber Steinbeck erwies sich einmal mehr als Spielverderberin, nahm einen Stuhl, setzte sich Vavra gegenüber, plazierte ihre spitzen Ellenbogen auf den Sessellehnen, schob ihre Fäuste zusammen, auf deren Fläche sie ihr Kinn ablegte, und erklärte Vavra, daß er doch bitte so nett sein möge, ihr eine andere Geschichte aufzutischen. Mit dieser könne sie schließlich nicht vor den Polizeipräsidenten und den Minister treten, die leider beide auf eine rasche Erledigung der Affäre pochen würden. So seien Politiker nun mal, einfach gestrickte Leute, die Forderungen aufstellten, als wäre das Leben ein begrenztes Feld. Auch der Polizeipräsident sei gewissermaßen Politiker. Sie könne das, was er da berichte, glauben oder nicht, aber sie könne es beim besten Willen so nicht weitergeben.

Wie alle Unschuldigen machte Vavra nun den Fehler, nicht nur auf seiner Unschuld zu bestehen, was noch angegangen wäre, sondern auch noch auf seiner Version von der Wahrheit zu beharren. Er war einfach nicht bereit, sich eine bessere Geschichte auszudenken, sondern gab immer wieder, trotz freundlichen Ersuchens Steinbecks und drohender Gebärden ihrer Mitarbeiter, seine dämliche Zwanzig-Schilling-Schein-Burleske zum besten.

Nach zwei Stunden unerquicklicher Wiederholungen tat Steinbeck einen Seufzer, in dem echtes Mitleid zum Ausdruck kam, zündete sich eine Zigarette an, steckte sie Vavra in den Mund und verließ den Raum. In dem sich nun niemand mehr befand, der dem Delinquenten seinen kleinen Nikotingenuß gönnen wollte. Wer hätte die Ungeduld der Herren nicht verstanden? Einer der Gentlemen erhob sich und schnippte Vavra die Zigarette aus dem Mund. Der darauffolgende Schlag ins Gesicht erwies sich jedoch als wenig umsichtig, da Vavra in eine Ohnmacht fiel, aus der man ihn so schnell nicht wieder herausbekam.

2|  Striptease

Die Zelle, in der er nun seit Wochen einsaß, Weihnachten und Silvester wenig feierlich hinter sich gebracht hatte, schien eher ein Büroraum zu sein. Auf einer zerkratzten Schreibtischplatte, deren hellgrüner Anstrich nur noch schwach in das Auge des Benutzers fuhr, stand eine mechanische Schreibmaschine, die – laut einer an die Wand genagelten Tafel – dazu diente, jederzeit und selbständig ein Geständnis zu verfassen, da man an die Einsicht sowie die Bekenntnis- und Beichtfähigkeit der festgenommenen und inhaftierten Personen unbedingt glaube.

Es war eines von diesen trostlosen Büros, das nie einen Innenarchitekten, Ergonomen oder Betriebspsychologen gesehen hatte, mehr eine Amtsstube, die der Abschreckung von Antragstellern diente. Die ohne Begeisterung tapezierten Wände waren geschmückt mit einer ausgebleichten Straßenkarte Wiens, einem Poster, auf dem eine halbnackte Dame für den Genuß gespritzten Weißweins in Zeiten erhöhter Temperatur warb, einem schlichten Holzkreuz und einem gerahmten, aber glaslosen Farbdruck von phantastischer Harmlosigkeit. Zwei Topfpflanzen demonstrierten ihre Unzufriedenheit mit den Verhältnissen. In einem Regal standen Bücher, die nicht zum Lesen gedacht waren, wie Chemie erobert die Welt oder Schachkuriosa. Tröstlich war der Blick durch das Fenster hinunter auf eine Parkanlage. Wieder schien er sich in einem Spital zu befinden. Er sah Leute in Rollstühlen, Hausmänteln und Gipsverbänden, die trotz der Kälte ihre Runden absolvierten. Dazu Angehörige, die immerfort auf ihre Uhren sahen. Allerdings war das Fenster verschlossen, der Raum überheizt. Es stank nach kaltem Rauch, obwohl Vavra keine Zigaretten erhielt. Ein Kadaver von einem Sofa diente ihm als Bett. Zum Schlafen kam er freilich selten. Die traditionelle Masche. War er einmal eingenickt, wurde er unsanft geweckt, in einen gerätelosen Operationssaal eskortiert und mußte sich stehend die ständig gleichen Fragen anhören. Daß er hin und wieder einen Schlag erhielt, nahm er bereits mit einer gewissen Gelassenheit hin. Von einer gezielten Folter konnte man nicht sprechen, fand Vavra, die verhörenden Beamten waren schlicht ungehalten, eigentlich hilflos, auch nicht unfreundlicher, als es ihr Beruf verlangte. Das Stehen war die eigentliche Tortur. Eine Grippe schwächte ihn. Er fühlte sich, als habe er Sport getrieben. Gerne hätte er den anderen und sich selbst aus dem Dilemma herausgeholfen. Aber wie sollte ihm ein Geständnis gelingen, eines, das die Beamten auch zufriedenstellen würde? Er konnte keine Auskunft darüber geben, wo sich Sarah Hafner befand. Und darum ging es doch wohl.

Am Abend irgendeines Tages – längst hatte er den Überblick verloren – erschien ein fetter Mensch mit der Gehetztheit des Freiberuflers in Vavras Zelle. Er trug einen altväterischen, dunklen Anzug, reinigte seine Brille am weißen Hemd, stöhnte über die schreckliche Luft, die Hitze, betrachtete kopfschüttelnd die Einrichtung, erregte sich über das Kreuz an der Wand, mein Gott, in welchem Jahrhundert lebe man eigentlich, nahm eine Packung aus seiner Sakkotasche, aus der er ein ganzes Rudel ineinander verschmolzener Schokoladekugeln zog und mit einer entschlossenen Bewegung in seinem Mund unterbrachte, kaute einige Zeit daran, um dann die Masse ebenso entschlossen hinunterzuschlucken. Jetzt schien er erleichtert, lehnte seinen Körper an den Schreibtisch und stellte sich als Dr. Grisebach vor, Rechtsanwalt, der hier sei, um seine, Vavras, Interessen zu vertreten.

»Sie kommen spät«, sagte Vavra, der auf seinem Sofa liegenblieb, einfach, da er sich für Höflichkeiten zu schwach und deprimiert fühlte. Seine Bemerkung bezog sich darauf, daß ihm bisher – entgegen jeglicher vermuteter Rechtsstaatlichkeit – der Besuch eines Strafverteidigers verwehrt worden war. Ja, man hatte auf seinen Protest geradezu beleidigt und mit dem nebulösen Hinweis reagiert, höhere Interessen seien zu berücksichtigen. Auch Dr. Grisebach schien sich daran nicht zu stoßen und meinte: »Lieber Herr Vavra, wir wollen doch nicht kindisch werden.«

»Natürlich nicht.«

»Ausgezeichnet.«

Grisebach sah sich um, als suche er verzweifelt nach einem geeigneten, einem unverfänglichen Gesprächsthema.

»Wie ist das Essen?«

Vavra gab keine Antwort, wies bloß mit einer knappen Geste auf den Emailtopf, der auf einem kniehohen Holztisch stand. Der Anwalt reckte seinen Kopf vor, erkannte – oder erahnte auch bloß – die Masse aus zerstampftem Gemüse, seufzte amüsiert, na ja, man sei ja auch nicht zum Essen hier, nicht wahr.

»Also, Herr Vavra. Ich bin jetzt Ihr Anwalt. Ob Sie das freut oder ob es mich freut, darum geht es nicht. Es geht in erster Linie darum, Verfahren abzukürzen, Schmerzen zu lindern, Schmerzen, die eben aus der Überlänge von Verfahren resultieren. Ich will gar nicht wissen, welchen unglücklichen Umständen Sie Ihre Situation verdanken. Es mag Sie enttäuschen, aber wen kümmert schon Ihr Unglück. Keiner will wissen, warum Sie etwas getan haben, es reicht, daß Sie es getan haben.«

Vavra richtete sich halb auf. Sein Zorn fuhr heilend durch seine Gelenke. Von der Polizei konnte er nichts verlangen, aber der Kerl hier war sein Anwalt.

»Was, denken Sie, Grisebach, soll ich getan haben!« schnauzte er ihn an und fühlte sich sehr wohl dabei, auf den Titel dieses Herrn verzichtet zu haben.

Grisebach lächelte milde, signalisierte, daß er als Rechtsbeistand noch lange nicht verpflichtet war, sich mit den Unschuldsbeteuerungen seiner Mandanten auseinanderzusetzen. »Bitte, bitte«, sagte er.

»Worum?«

»Reden wir Tacheles miteinander.«

War der Kerl etwa Jude? Grisebach? Eine solche Vorstellung beunruhigte Vavra. Nicht daß er sich als Antisemit verstand. Er kannte keine Juden. Woody Allen, das war der einzige, soweit man das sagen konnte. Er mochte seine Filme. Aber konnte man sie jüdisch nennen? Schon richtig, daß man hin und wieder einen Orthodoxen auf den Straßen Wiens sah. Doch die besaßen etwas Unwirkliches, Geisterhaftes.

»Sie müssen verstehen, Herr Vavra, niemand ist an Ihrem Kopf wirklich interessiert. Man hält Sie für einen Zufallstäter, für einen Kleinbürger, der auch einmal an das große Geld wollte. Glauben Sie mir, gerade schlechtbezahlte Polizisten haben dafür das allergrößte Verständnis. Aber die Angelegenheit ist … nun, sie ist delikat. Deutsche Industriellentöchter in Österreich entführen, ich bitte Sie, das geht einfach nicht. Ich bringe es gleich auf den Punkt. Man will wissen, wo Ihre Kompagnons diese Sarah Hafner versteckt halten. An einem Prozeß, an einer Verurteilung Ihrer Person besteht nicht das geringste Interesse. Sie wären ja nicht der erste Verbrecher, der frei herumläuft. Das hält eine Gesellschaft schon aus. Die Presse weiß nichts von der Entführung. Und die Familie Hafner würde sich bei einem glücklichen Ausgang aus der Sache heraushalten. Das sind vernünftige Leute. Im Prinzip ist dem Deutschen die Rache fremd. Wirklich. Sie sehen, der Spielraum ist beträchtlich. Im Grunde, Herr Vavra, müßten Sie sich einzig damit begnügen, Ihr altes Leben erneut aufzunehmen. Einen Rückfall hält der zuständige Psychologe für unwahrscheinlich.«

»Tut er das?«

»Sie sind verbittert. Verständlich. Aber sehen Sie Ihre Chance. Ein kleines, bescheidenes Leben. Ein ehrbarer Bürger sein. Das ist nicht die Hölle. Das ist besser als schlechtes Essen, schlechte Umgebung, schlechte Bücher.«

Grisebach hatte in das Regal gegriffen und Duden: Richtiges und gutes Deutsch herausgezogen, in welchem er nun blätterte, erneut kopfschüttelnd. Dann warf er den Band neben die Schreibmaschine wie ein totgeschlagenes Tier und sah wieder zu Vavra.

»Also?«

»Sie wollen, daß ich gestehe.«

»Gottchen, guter Mann, ich will, daß Sie hier als freier Mensch herauskommen. Das wird uns aber nicht gelingen, wenn Sie unentwegt das Unschuldslamm markieren. Sie hätten nichts davon, würde ich Sie dabei unterstützen, Ihre Tat zu verdrängen. Wie stellen Sie sich das vor? Soll ich auf den Tisch klopfen und darauf bestehen – Indizien hin oder her –, mein Mandant sei ein guter Mensch, Opfer unglaublichster Schnitzer, und ich, sein Anwalt, ein gläubiger Thomas, stehe eisern hinter seiner behaupteten Schuldlosigkeit? Und dann marschieren Sie dennoch für den Rest Ihres Lebens hinter Gitter. Und meine Kollegen fragen mich, ob ich verrückt geworden bin. Ich habe einen Ruf zu verlieren.«

Grisebach nahm sich einen Stuhl, setzte sich neben Vavra, legte ihm die fleischige Hand auf die Schulter, zwinkerte sozusagen von Mann zu Mann, in diesem Moment nicht mehr Anwalt, sondern Zeitgenosse, Freund, Priester. Sprach mit weicher Stimme. Der eigentümlich faltige Sack unter seinem Kinn zitterte.

»Vavra, Menschenskind! Ich kann doch verstehen, wie Ihnen zumute ist. Zuerst denkt man nur ans Geld. Wer denkt nicht daran? Sie sind ein braver Mann, Sie schuften, zahlen Steuern, trennen Ihren Müll, sparen, spielen ein bißchen Lotto, anständiger kann man gar nicht sein, und müssen zusehen, wie einige aufgeblasene Kretins Millionen machen, indem sie ein paar Hundert Leute freisetzen und so was dann Wirtschaftskompetenz nennen. Sie werden wütend, wenn Sie sehen, wie unverschämt da getrickst, spekuliert, betrogen, wie da gehurt wird, werden wütend, wenn Sie etwas von wohlerworbenen Privilegien hören, von irrwitzigen Mehrfachbezügen, wenn Sie die Scheckbetrüger im Parlament sehen, wenn Sie an steinreiche Deutsche denken, die ganze Landstriche in Besitz nehmen. Und dann sagen Sie sich, daß der Anstand einen ja auch nicht davor bewahrt, irgendwann im Grab zu landen. Sie wollen auch einmal im Ritz logieren, die kurzen Gehwege zwischen Lifts und Limousinen in Maßschuhen bewältigen, die Weiber an den geschenkten Perlenketten ins Bett führen, den Winter im Whirlpool verpennen, vielleicht sogar arbeiten, Aktienschieberei und ähnliche Beschwerlichkeiten. Gottchen, vielleicht wollen Sie auch bloß Ihre Schulden bezahlen. Wer denkt nicht einmal daran, damit zu drohen, Babynahrung zu vergiften? Wer denkt nicht an Postraub und Versicherungsbetrug? Und an Entführung. Viele träumen, und ein paar nehmen ihr Schicksal in die Hand. Und dort wird es dann dreckig, das Schicksal. Daß diese Leute scheitern, liegt in der Natur der Sache. Laien eben. Zum Verbrecher muß man geboren sein. Eine Frage des Talents. Und man darf auch nicht glauben, man könnte sich von einem Tag zum anderen echte Skrupellosigkeit einverleiben. Einfach ein Kind entführen und dann auch noch gut schlafen. Sehen Sie sich doch all diese Hobbykriminellen an, die dann flennend, um Verzeihung heischend, vor den Gerichten stehen, bloß wieder sein wollen, was sie einst waren. Da werden Sie kein aufrechtes Haupt sehen. Aufrechte Häupter sind der Luxus der Professionellen und der Politischen, der Eliten auf der anderen Seite des Spektrums. Ich weiß, Vavra, wie Ihnen zumute ist. Daß Sie längst nicht mehr an das Geld denken, an das Sie ja doch nicht gelangt sind. Das kümmert Sie gar nicht. Die Vorstellung, die Sie wahnsinnig macht, ist die, ein Kind entführt zu haben. Damals dachten Sie, warum nicht ein Kind, immerhin das beste Druckmittel, irgend so ein verzogener Fratz, der mit Ponys und barocken Spieluhren aufgewachsen ist. Jetzt denken Sie nur noch: ein Kind. Das macht Sie krank. Und darum glauben Sie, Sie könnten sich in wüste Behauptungen flüchten, glauben, wenn man Sie nicht verurteilt, brauchen Sie auch sich selbst nicht zu verurteilen. Nun, ich kann Ihnen versichern, man wird Sie schuldig sprechen. Außer Sie sind endlich bereit, diese ganze hirnrissige Aktion zuzugeben und zu sagen, wo Sarah Hafner versteckt ist.«

Warum eigentlich nicht, dachte sich Vavra und antwortete: »Taubenhofgasse 3.«

»Ausgezeichnet«, sagte Grisebach, notierte die Adresse auf der Rückseite einer Eintrittskarte, lächelte noch einmal in den Raum wie in eine Kamera und verließ die Zelle.

Vavra war müde gewesen, hatte diesen schrecklichen Menschen, diesen angeblichen Rechtsbeistand aus seiner Zelle haben wollen. Warum ihm ausgerechnet die Taubenhofgasse eingefallen war, konnte er nicht sagen. Er war in der Nähe dieser unbedeutenden Einbahnstraße in die Schule gegangen. Damals hatte die Taubenhofgasse einen durchaus bedeutenden Eissalon beherbergt, der jetzt nicht einmal mehr eine Legende war. Ob der altehrwürdige Schlüsseldienst noch existierte, konnte Vavra nicht sagen, denn er war schon viele Jahre nicht mehr in dieser Gegend gewesen, also auch sicher nicht vor kurzem, um dort eine entführte Industriellentochter unterzubringen. Zudem kannte er die Wohnung nicht, die er Grisebach angegeben hatte, irgendeine Taubenhofgassenwohnung eben.

Er schlief ein. Wovon er auch immer träumte, seine Träume gefielen ihm. Das Gefängnis tat seinen Träumen gut, wenngleich sie nicht unbedingt als hübsch zu bezeichnen waren, da in ihnen eine beträchtliche Anzahl von Menschen in bedeutendem Maße Schaden nahm.

Ob er das Grisebach zu verdanken hatte, konnte er nicht sagen. Aber zum ersten Mal ließ man ihn die Nacht durchschlafen. Kurz vor sieben stampfte einer von den weißgewandeten Wärtern in die Zelle und servierte das Frühstück: Kaffee und Croissant. Im Kaffee schwammen schwarzgrüne, runzelige Blätter, die als Seetang zu erkennen noch die optimistischste Vermutung darstellte. Das Croissant aber bot nicht bloß einen angenehmen Anblick, sondern erwies sich nach vorsichtiger Annäherung auch als durchaus schmackhaft, eigentlich als einzigartig. Exakt dieser Umstand schmälerte den Genuß und rang ihn nach dem zweiten Bissen völlig nieder. Denn das Hörnchen erinnerte an all jene, die Vavra in den vergangenen Jahren in der Bäkkerei Lukas erstanden hatte. Er war fest davon überzeugt, ein Lukascroissant von jedem anderen auseinanderhalten zu können, da jedes andere qualitativ abfiel. Das gibt es nicht, hatten seine Arbeitskollegen behauptet, aber Vavra hätte jeden Test bestanden, hätte er nicht abgelehnt, sich einem solchen zu unterziehen. Er wollte nicht, daß die Kunst, ein Croissant von einem anderen zu unterscheiden, zur Kuriosität verkam. Man konnte natürlich auch sagen, daß Herr Vavra Croissants betreffend ein wenig komisch war. Auf jeden Fall legte er das angebissene Backwerk auf den lichtgrauen Teller zurück, betrachtete es eingehend und fragte sich, wer hier die Fäden zog. Ein Zufall konnte das nicht sein. Daß die Bäckerei Lukas für ein Gefängnis oder Spital buk, war für Vavra unvorstellbar. Auch hatten die Frühstücke der letzten Tage aus ungenießbaren Donuts bestanden, deren Oberflächen von einem dichten Netz von Haarrissen bedeckt gewesen waren. Nein, dieses unverkennbare Lukascroissant auf seinem Tisch mußte ein Zeichen sein. Aber ein Zeichen wofür? Vavra zitterte, seine geschwollenen Augen schimmerten marmeladig, tief in seinem Magen nistete die Wut, was noch keinem Magen bekommen ist. Er ballte die Hand zur Faust und hätte sich beinahe vergessen, hätte beinahe auf das Croissant eingedroschen. Statt dessen faßte er sich an die Knie. Dreh jetzt bloß nicht durch, alter Junge, das wollen die doch. Was wäre denn gewonnen, sich an einem Croissant, an einem Lukas zu vergehen.

Er beruhigte sich. Vavra verspeiste die Blätterteigkonstruktion. Und ließ es sich also doch noch schmecken.

Grisebachs Besuch blieb einmalig. Andererseits wurden die Verhöre eingestellt. Was Vavra verwirrte, da er sicher gewesen war, daß man ihn nun erst recht bearbeiten, ihm seine Taubenhof-Lüge übelnehmen würde. Vielleicht aber versuchte man, irgendeine Falle aufzubauen. Eine Falle, in die er nicht gehen würde, weil er nicht gehen konnte, eben weil er unschuldig war.

Vavra wurde nur noch abgeholt, wenn es unter die Dusche ging. Man brachte ihm ein Schachspiel, nach dem er nicht verlangt hatte, dazu Schachbücher. Er belächelte diesen platten, bildungsbürgerlichen Hinweis, begann dennoch zu spielen, allerdings nicht klassisches Schach, sondern, wenn man so will, Free Chess, indem er etwa seinen Bauern ungeheuerliche Freiheiten einräumte. Alltag stellte sich ein. Er durfte sich selbst rasieren. Die Rasierklingen waren neu. Niemand schien es zu stören, hätte er sich umgebracht. Die Zeit kroch unmerklich vorbei. Manchmal hörte er Gesang. Ein Sonntag, vermutete er. An irgendeinem Vormittag, an dem nicht gesungen wurde, kamen sie. Nicht die üblichen grobschlächtigen Typen in ihren weißen Unterhemden, sondern zwei Streifenpolizisten, ziemlich jung – Hänsel und Gretel, dachte Vavra. Auf ihn wirkten sie zurückgeblieben, wie sie dastanden, die Kappen in den Händen, und auf ihn hinunterschauten wie auf ein Stück strahlendes Material.

»Und?« fragte er, bereits im Ton der hochmütigen Gleichgültigkeit eines Menschen, den ein paar Schläge nicht mehr aus der Fassung bringen konnten.

»Mitkommen«, sagte Gretel mit gespielter Strenge. Sie zupfte nervös an ihren Haaren, die steif, gespalten und gefärbt ihr rundes Gesicht leidlich dämmten.

Ende der Leseprobe