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Eine verstörende Melodie, ein tragisches Schicksal, ein tödliches Geheimnis ...
Von einer Italienreise bringt die Violinistin Julia Ansdell als Souvenir ein altes Notenbuch mit nach Hause. Es enthält eine handgeschriebene, bislang völlig unbekannte Walzerkomposition. Julia ist fasziniert von dem schwierigen Stück, doch jedes Mal, wenn sie die aufwühlende Melodie spielt, geschehen merkwürdige Dinge. Etwas Bösartiges geht von dem Walzer aus, etwas, was das Wesen von Julias dreijähriger Tochter auf beunruhigende Weise zu verändern scheint. Weil niemand ihr Glauben schenkt, reist Julia heimlich nach Italien, um nach der Herkunft der mysteriösen Komposition zu forschen ...
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Seitenzahl: 339
Buch
Von einer Italienreise bringt die Violinistin Julia Ansdell als Souvenir ein altes Notenbuch mit nach Hause. Es enthält eine handgeschriebene, bislang völlig unbekannte Walzerkomposition. Julia ist fasziniert von dem schwierigen Stück, doch jedes Mal, wenn sie die aufwühlende Melodie spielt, geschehen merkwürdige Dinge. Etwas Bösartiges geht von dem Walzer aus, etwas, was das Wesen von Julias dreijähriger Tochter auf beunruhigende Weise zu verändern scheint. Weil niemand ihr Glauben schenkt, reist Julia heimlich nach Italien, um nach der Herkunft der mysteriösen Komposition zu forschen. Dort stößt sie auf ein jahrzehntealtes gefährliches Geheimnis …
Autorin
So gekonnt wie Tess Gerritsen vereint niemand erzählerische Raffinesse mit medizinischer Detailgenauigkeit und psychologischer Glaubwürdigkeit der Figuren. Bevor sie mit dem Schreiben begann, war die Autorin selbst erfolgreiche Ärztin. Der internationale Durchbruch gelang ihr mit dem Thriller Die Chirurgin, und seither sind ihre Romane von den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Tess Gerritsen lebt mit ihrer Familie in Maine.
Weitere Informationen unter: www.tessgerritsen.com
Von Tess Gerritsen bereits erschienen
Gute Nacht, Peggy Sue · Kalte Herzen · Roter Engel · Trügerische Ruhe · In der Schwebe · Leichenraub
Die Rizzoli-&-Isles-Thriller
Die Chirurgin · Der Meister · Todsünde · Schwesternmord · Scheintot · Blutmale · Grabkammer · Totengrund · Grabesstille · Abendruh · Der Schneeleopard
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Tess Gerritsen
Totenlied
Thriller
Deutsch von Andreas Jäger
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Die Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »Playing with Fire« bei Ballantine Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC., New York.
1. Auflage
Copyright der Originalausgabe © 2015 by Tess Gerritsen
Published by Arrangement with Tess Gerritsen Inc.
Dieses Werk wurde im Auftrag der Jane Rotrosen Agency LLC vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2016 by Limes in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Redaktion: Gerhard Seidl
Umschlaggestaltung: © www.buerosued.de
Umschlagmotiv: © Arcangel Images/ Benjamin Harte
WR · Herstellung: kw
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-18344-8V001www.limes-verlag.de
Michael S. Palmer zum Gedenken
Julia
1
Schon im Eingang steigt mir der Geruch nach alten Büchern in die Nase, ein Hauch von sprödem Papier und abgegriffenem Leder. Die anderen Antiquitätenläden, an denen ich in dieser kopfsteingepflasterten Gasse vorbeigekommen bin, hatten alle wegen der Hitze ihre Türen geschlossen und die Klimaanlagen eingeschaltet, aber hier steht die Tür weit offen, wie um mich zum Eintreten aufzufordern. Es ist mein letzter Nachmittag in Rom, meine letzte Gelegenheit, ein Souvenir von meiner Reise mitzunehmen. Ich habe schon eine Seidenkrawatte für Rob und ein üppig mit Rüschen besetztes Kleidchen für unsere dreijährige Tochter Lily gekauft, nur für mich selbst hab ich noch nichts gefunden. Im Schaufenster dieses Antiquitätengeschäfts erspähe ich nun genau das Richtige.
Im Laden ist es so düster, dass es einen Moment dauert, bis meine Augen sich an das Dämmerlicht gewöhnt haben. Draußen herrscht drückende Schwüle, aber hier drin ist es merkwürdig kühl, als ob ich mich in eine Höhle verirrt hätte, in die weder Hitze noch Licht vordringen. Allmählich treten Konturen aus dem Halbdunkel hervor, und ich sehe mit Büchern vollgestopfte Regale, alte Überseekoffer und in der Ecke eine Ritterrüstung aus stumpfem Metall. An den Wänden hängen Ölgemälde, allesamt ziemlich hässlich und geschmacklos, versehen mit vergilbten Preisschildern. Dass in der Nische der Ladeninhaber steht, bemerke ich erst, als er mich plötzlich auf Italienisch anspricht. Erschrocken fahre ich herum und erblicke ein gnomenhaftes Männchen mit Augenbrauen wie zwei schneeweiße Raupen.
»Es tut mir leid«, antworte ich. »Non parlo italiano.«
»Violino?« Er deutet auf den Geigenkasten, den ich auf dem Rücken trage.
Das Instrument ist viel zu wertvoll, um es im Hotelzimmer liegen zu lassen, und auf meinen Reisen nehme ich es überallhin mit.
»Musicista?«, fragt er und spielt dazu Luftgeige. Sein rechter Arm macht sägende Bewegungen mit einem imaginären Bogen.
»Ja, ich bin Musikerin. Aus Amerika. Ich bin heute Vormittag beim Festival aufgetreten.« Er nickt höflich, doch ich glaube kaum, dass er mich versteht. Ich deute auf den Artikel, den ich im Schaufenster entdeckt habe. »Dürfte ich mir das mal anschauen? Libro? Musica?«
Er nimmt das Album aus der Auslage und reicht es mir. Schon an der Art, wie die Kanten des spröden Papiers unter meiner Berührung bröckeln, erkenne ich, dass es wirklich alt ist. Es ist eine italienische Ausgabe, und auf dem Titelblatt lese ich das Wort Gypsy über dem Bild eines Geige spielenden Mannes mit zottigen Haaren. Ich schlage das erste Stück auf, das in einer Molltonart gesetzt ist. Die klagende Melodie ist mir unbekannt, doch es juckt mich schon in den Fingern, sie zu spielen. Ja, das ist es, wonach ich ständig suche – alte, in Vergessenheit geratene Stücke, die es verdienen, wiederentdeckt zu werden.
Während ich die übrigen Stücke durchsehe, fällt ein loses Blatt heraus und flattert auf den Boden. Es ist keine Seite aus dem Album, sondern ein Manuskriptbogen, dessen Notenlinien dicht mit bleistiftgeschriebenen Noten besetzt sind. Der Titel der Komposition ist in elegant geschwungenen Lettern von Hand verzeichnet.
Incendio, komponiert von L. Todesco.
Während ich die Noten lese, kann ich die Musik in meinem Kopf hören, und schon nach wenigen Takten weiß ich, dass dieser Walzer wunderschön ist. Er beginnt als schlichte Melodie in e-Moll. Doch nach Takt sechzehn wird die Musik allmählich komplexer, und von Takt sechzig an häufen sich Noten auf Noten, mit Versetzungszeichen, die jähe Dissonanzen hervorbringen. Ich drehe das Blatt um, und hier ist jeder einzelne Takt vom Bleistift nahezu geschwärzt. Eine rasend schnelle Folge von Arpeggios steigert die Melodie zu einem wilden Wirbel von Noten, der mir plötzlich einen Schauder über den Rücken jagt.
Ich muss diese Noten haben.
»Quanto costa?«, frage ich. »Für dieses Blatt und das Album zusammen?«
Der Antiquar mustert mich mit einem verschlagenen Blitzen in den Augen. »Cento.« Er zieht einen Stift aus der Tasche und schreibt die Zahl auf seine Handfläche.
»Hundert Euro? Das kann doch nicht Ihr Ernst sein.«
»È vecchio. Alt.«
»So alt nun auch wieder nicht.«
Sein Achselzucken sagt mir: Entweder akzeptieren Sie meinen Preis, oder Sie lassen es bleiben. Er hat bereits die Gier in meinen Augen gesehen und weiß, dass ich jeden noch so überzogenen Preis für diese zerfledderte Sammlung von Zigeunermelodien bezahlen werde. Die Musik ist mein einziger Luxus. Ich interessiere mich nicht für Schmuck, Designerklamotten oder Schuhe, und das einzige Accessoire, auf das ich wirklich Wert lege, ist die hundert Jahre alte Geige, die ich auf dem Rücken trage.
Er quittiert mir meinen Kauf, und ich trete aus dem Laden in die Nachmittagshitze, die die Luft zäh wie Sirup macht. Wie seltsam, dass mir da drin so kalt war. Ich blicke mich noch einmal zu dem Gebäude um, aber ich entdecke keine Klimaanlage, nur geschlossene Fenster und die beiden Wasserspeier, die über dem Giebeldreieck thronen. Ein Sonnenstrahl fällt mir in die Augen, reflektiert von dem Messing-Türklopfer in Form eines Medusenhaupts. Die Tür ist jetzt geschlossen, doch durch das staubige Fenster sehe ich noch, wie der Antiquar mich beobachtet. Dann entzieht er sich meinem Blick, indem er den Rollladen herunterlässt.
Rob ist ganz begeistert von der neuen Krawatte, die ich ihm in Rom gekauft habe. Er steht vor dem Spiegel in unserem Schlafzimmer und bindet sich geschickt den seidig glänzenden Stoff um den Hals. »Das ist genau das, was ich brauche, um ein langweiliges Meeting ein bisschen aufzupeppen«, sagt er. »Vielleicht sorgen diese Farben ja dafür, dass niemand einschläft, während ich die Zahlen herunterrattere.«
Mit seinen achtunddreißig Jahren ist er noch genauso schlank und fit wie am Tag unserer Hochzeit, wenngleich sich in den letzten zehn Jahren ein paar graue Strähnen in seine Schläfen eingeschlichen haben. Mit seinem gestärkten weißen Hemd und den goldenen Manschettenknöpfen sieht mein in Boston aufgewachsener Ehemann ganz wie der akribische Wirtschaftsprüfer aus, der er ist. Bei ihm dreht sich alles um Zahlen: Gewinne und Verluste, Aktiva und Passiva. Er sieht die Welt in mathematischen Begriffen – und selbst die Art, wie er sich bewegt, ist von geometrischer Präzision, denke ich, als ich sehe, wie seine Krawatte im Bogen durch die Luft schwingt und sich zu einem perfekten Knoten fügt. Wie verschieden wir sind! Die einzigen Zahlen, die mich interessieren, sind Sinfonien- und Opusnummern und die Taktbezeichnungen meiner Musik. Rob erzählt jedem, dass genau dies ihn an mir angezogen habe, weil ich im Gegensatz zu ihm eine Künstlerin sei, ein Luftwesen, das im Sonnenschein tanzt. Anfangs hatte ich Sorge, dass unsere Verschiedenheit uns auseinanderbringen würde, dass Rob, der immer so fest mit beiden Beinen auf dem Boden steht, es irgendwann satthätte, seine Frau, dieses ätherische Geschöpf, daran zu hindern, in die Wolken zu entschweben. Aber nach zehn Jahren sind wir immer noch zusammen, immer noch verliebt wie am ersten Tag.
Er lächelt mich im Spiegel an, während er den Krawattenknoten stramm zieht. »Du warst ja heute Morgen furchtbar früh wach, Julia.«
»Ich bin immer noch auf römische Zeit eingestellt. Dort ist es jetzt schon Mittag. Das ist das Positive am Jetlag – stell dir nur mal vor, was ich heute alles erledigen kann!«
»Ich sage dir voraus, dass du spätestens um die Mittagszeit zusammenklappen wirst. Soll ich Lily in den Kindergarten fahren?«
»Nein, ich möchte sie heute bei mir behalten. Ich hab ein schlechtes Gewissen, weil ich eine ganze Woche von ihr getrennt war.«
»Ach, mach dir keine Gedanken. Deine Tante Val hat sofort auf der Matte gestanden und sich wie immer um alles gekümmert.«
»Na ja, aber ich habe Lily wahnsinnig vermisst, und deswegen will ich heute jede Minute mit ihr verbringen.«
Er dreht sich um und präsentiert mir seine neue Krawatte, die exakt in der Mitte des Kragens sitzt. »Was sind denn deine Pläne?«
»Es ist so heiß, da dachte ich mir, wir gehen am besten ins Schwimmbad. Und schauen dann vielleicht in der Bücherei vorbei, um ein paar neue Bücher auszusuchen.«
»Klingt gut.« Er beugt sich herab, um mich zu küssen, und sein glatt rasiertes Gesicht strömt einen herben Zitrusduft aus. »Ich mag es gar nicht, wenn du nicht hier bist, Schatz«, murmelt er. »Vielleicht nehme ich mir das nächste Mal eine Woche frei und begleite dich. Wäre das nicht viel …«
»Mommy, guck mal! Wie hübsch!« Lily kommt ins Schlafzimmer getänzelt und wirbelt in dem neuen Kleid, das ich ihr aus Rom mitgebracht habe, im Kreis herum. Sie hat es am Abend zuvor gleich anprobiert und weigert sich jetzt, es wieder auszuziehen. Ohne Vorwarnung wirft sie sich mit Karacho in meine Arme, und wir fallen beide lachend aufs Bett. Es gibt nichts Köstlicheres als den Duft meines eigenen Kindes, und ich würde am liebsten jedes Molekül von ihr in mich aufsaugen, sie mit meinem eigenen Körper verschmelzen lassen, sodass wir beide wieder eins werden. Während ich den kichernden Blondschopf und die lavendelfarbenen Rüschen an mich drücke, lässt auch Rob sich aufs Bett fallen und legt seine Arme um uns beide.
»Hier sind die zwei allerschönsten Mädchen auf der ganzen Welt«, verkündet er, »und sie sind alle beide mein!«
»Daddy, bleib zu Haus«, befiehlt Lily.
»Würde ich ja gerne, mein Herzchen.« Rob drückt Lily einen lauten Schmatz auf den Kopf und steht widerstrebend auf. »Daddy muss arbeiten gehen, aber du, du hast es doch gut, nicht wahr? Du kannst den ganzen Tag mit Mommy verbringen.«
»Komm, wir ziehen unsere Badesachen an«, sage ich zu Lily. »Wir machen uns jetzt einen superschönen Tag, nur du und ich.«
Und es wird ein superschöner Tag. Wir planschen im Schwimmbad herum, wir gönnen uns Pizza und Eis zum Mittagessen, und wir gehen in die Bücherei, wo Lily sich zwei neue Bilderbücher aussucht, beide mit Eseln, ihren Lieblingstieren. Doch als wir gegen 15 Uhr wieder nach Hause kommen, bin ich fast ohnmächtig vor Erschöpfung. Wie Rob vorhergesagt hat, holt mich der Jetlag ein, und ich wünsche mir nichts weiter, als ins Bett kriechen und schlafen zu können.
Leider ist Lily hellwach, und sie hat die Kiste mit ihren alten Babysachen auf die Terrasse geschleift, wo unser Kater Juniper in der Sonne döst. Lily liebt es, Juniper zu verkleiden – schon hat sie ihm eine Haube um den Kopf gebunden und versucht jetzt, seine Vorderpfote in einen Ärmel zu zwängen. Unser gutmütiger alter Kater lässt wie immer alles gleichmütig über sich ergehen, ohne sich an der unwürdigen Maskerade mit Spitzen und Rüschen zu stören.
Während Juniper seine Modenschau absolviert, trage ich meine Geige und den Notenständer auf die Terrasse und schlage das Album mit den Zigeunermelodien auf. Wieder rutscht das lose Notenblatt heraus und landet mit der Vorderseite nach oben vor meinen Füßen. Incendio.
Ich habe die Noten nicht mehr angeschaut, seit ich sie in Rom gekauft habe. Jetzt, als ich das Blatt am Ständer festklemme, denke ich an diesen schummrigen Antiquitätenladen und den Inhaber, der dort wie ein lichtscheues Höhlenwesen in seiner Nische lauerte. Plötzlich bekomme ich eine Gänsehaut, als ob die Kühle des Ladens immer noch an den Noten haftete.
Ich nehme meine Geige und beginne zu spielen.
An diesem schwülen Nachmittag klingt mein Instrument tiefer und voller denn je, jede einzelne Note weich und warm. Die ersten zweiunddreißig Takte des Walzers sind so wunderschön, wie ich sie mir vorgestellt habe, eine Klage in einem melancholischen Bariton. Doch ab Takt vierzig steigert sich das Tempo. Die Melodie ist jetzt voller jäher Wendungen und Sprünge, gespickt mit Versetzungszeichen, und schwingt sich bis zur siebten Lage auf der E-Saite auf. Schweißperlen treten mir auf die Stirn, so sehr muss ich mich anstrengen, um mich nicht zu verspielen und das Tempo zu halten. Ich habe das Gefühl, dass mein Bogen sich selbstständig macht, dass er sich bewegt wie von Zauberhand geführt und ich nur mühsam mit ihm Schritt halten kann. Oh, was für eine herrliche Musik das ist! Was für ein beeindruckendes Konzertstück, wenn es mir nur gelingt, es zu meistern. Die Noten jagen die Tonleiter hinauf. Doch dann verliere ich völlig die Kontrolle, alles klingt plötzlich schief, und meine linke Hand verkrampft sich, als die Musik sich zur Raserei steigert.
Eine kleine Hand fasst an mein Bein. Etwas Warmes, Feuchtes beschmiert meine Haut.
Ich lasse die Geige sinken und schaue nach unten. Lily starrt zu mir auf, ihre Augen klar wie türkisfarbenes Wasser. Selbst als ich entsetzt auffahre und ihr das Gartenwerkzeug aus der blutigen Hand reiße, trübt keine Regung ihre ruhigen blauen Augen. Ihre nackten Füße haben Abdrücke auf den Terrassenfliesen hinterlassen. Mit wachsender Bestürzung folge ich diesen Fußspuren zum Ursprung des Bluts.
Und dann kann ich nur noch schreien.
2
Rob hilft mir, das Blut der Katze von der Terrasse zu waschen. Der arme alte Juniper ist jetzt in einen schwarzen Müllsack gewickelt und wartet auf sein Begräbnis. Wir haben das Loch dafür in der hintersten Ecke des Gartens ausgehoben, hinter dem Fliederbusch, damit ich es nicht jedes Mal sehen muss, wenn ich in den Garten gehe. Juniper war achtzehn Jahre alt und fast blind, ein sanfter Gefährte, der etwas Besseres verdient hätte, als seine letzte Ruhe in einem Müllsack zu finden, aber ich war zu erschüttert, um mir Gedanken über Alternativen zu machen.
»Ich bin sicher, dass es einfach nur ein Unfall war«, erklärt Rob bestimmt. Er wirft den benutzten Schwamm in den Eimer, und das Wasser nimmt sofort eine scheußliche rosarote Färbung an. »Lily muss gestolpert und auf ihn gefallen sein. Gott sei Dank ist sie nicht mit dem spitzen Ende nach oben gelandet, sonst hätte sie sich ein Auge ausstechen können. Oder Schlimmeres.«
»Ich habe ihn in den Müllsack gewickelt. Ich habe seinen Körper gesehen, und es war nicht nur eine einzelne Stichwunde. Wie kann man drei Mal hintereinander stolpern und fallen?«
Er ignoriert meine Frage. Statt einer Antwort hebt er die Mordwaffe auf, einen Löwenzahnstecher mit spitzen Zinken, und fragt: »Wie hat sie dieses Teil überhaupt in die Finger bekommen?«
»Ich habe letzte Woche hier Unkraut gejätet. Da muss ich wohl vergessen haben, es wieder in den Werkzeugschuppen zu legen.« An den Zinken klebt immer noch Blut, und ich wende den Blick ab. »Rob, beunruhigt es dich nicht, wie sie auf das alles reagiert? Sie hat Juniper erstochen, und ein paar Minuten darauf verlangt sie ein Glas Saft. Das macht mich so fertig – wie seelenruhig sie mit ihrer Tat umgeht.«
»Sie ist noch zu klein, um das zu verstehen. Eine Dreijährige weiß nichts vom Tod.«
»Sie muss gewusst haben, dass sie ihm wehtut. Er hat doch sicher irgendwelche Laute von sich gegeben.«
»Hast du es denn nicht gehört?«
»Ich habe hier gestanden und Geige gespielt. Lily und Juniper waren am anderen Ende der Terrasse. Sie schienen sich wunderbar zu vertragen. Bis …«
»Vielleicht hat er sie gekratzt. Vielleicht hat er sie irgendwie provoziert.«
»Geh rauf und schau dir ihre Arme an. Da findest du nicht den kleinsten Kratzer. Und du weißt genau, wie gutmütig dieser Kater war. Man konnte an seinem Fell zerren und ihm auf den Schwanz treten, und nie hat er einen gekratzt. Ich hatte ihn, seit er ein kleines Kätzchen war, und dass er jetzt ein solches Ende finden musste …« Meine Stimme versagt, und ich sinke auf einen Gartenstuhl, überwältigt von Trauer und Erschöpfung. Und von Schuldgefühlen, weil ich meinen alten Freund nicht beschützen konnte, als er nur sechs Meter von mir entfernt verblutete.
Rob tätschelt mir unbeholfen die Schulter, er weiß nicht, wie er mich trösten soll. Mein logisch denkender Mathematiker-Mann ist hilflos, wenn er mit den Tränen einer Frau konfrontiert wird. »Hey. Hey, Schatz«, murmelt er. »Wie wär’s, wenn wir uns ein neues Kätzchen ins Haus holen?«
»Ist das dein Ernst? Nach dem, was sie mit Juniper gemacht hat?«
»Okay, war eine blöde Idee. Aber bitte, Julia, mach ihr keine Vorwürfe. Ich wette, dass sie ihn genauso sehr vermisst wie wir. Sie begreift nur nicht, was passiert ist.«
»Mommy?«, ruft Lily aus ihrem Zimmer, wo ich sie für ihr Nickerchen ins Bett gelegt habe. »Mommy!«
Obwohl sie nach mir ruft, ist es Rob, der sie aus dem Bett hebt, Rob, der sie auf dem Schoß wiegt, in demselben Schaukelstuhl, in dem ich sie immer gestillt habe. Ich sehe ihnen zu, und ich denke an die Nächte, als sie noch ein Säugling war und ich sie in diesem Stuhl gewiegt habe, Stunde um Stunde, ihre samtweiche Wange an meine Brust geschmiegt. Nächte mit wenig Schlaf, aber voller Magie, als es nur Lily und mich gab. Dann sah ich ihr oft tief in die Augen und flüsterte: »Bitte erinnere dich immer daran. Vergiss nie, wie sehr Mommy dich liebt.«
»Miezi ist weg …« Lily schluchzt an Robs Schulter.
»Ja, mein Schatz«, murmelt Rob. »Miezi ist jetzt im Himmel.«
»Würden Sie sagen, dass dieses Verhalten für eine Dreijährige normal ist?«, frage ich eine Woche später den Kinderarzt bei Lilys Vorsorgetermin. Dr. Cherry untersucht Lilys Bauch. Er bringt sie zum Kichern, indem er sie an verschiedenen Stellen drückt, und er antwortet nicht sofort auf meine Frage. Er scheint Kinder wirklich zu mögen, und Lily dankt es ihm, indem sie ihre charmanteste Seite hervorkehrt. Gehorsam dreht sie den Kopf, damit er ihre Trommelfelle anschauen kann, und macht den Mund weit auf, als er den Spatel einführt, um ihre Zunge herunterzudrücken. Meine reizende Tochter weiß schon ganz genau, wie sie jeden, dem sie begegnet, um den Finger wickeln kann.
Jetzt richtet er sich auf und sieht mich an. »Aggressives Verhalten muss nicht unbedingt ein Anlass zur Sorge sein. Kinder in diesem Alter sind leicht einmal frustriert, weil ihre Ausdrucksmöglichkeiten eingeschränkt sind. Und Sie sagten doch, dass sie immer noch hauptsächlich in Drei- oder Vierwortsätzen spricht.«
»Ist das etwas, worüber ich mir Gedanken machen sollte? Dass sie nicht so viel spricht wie andere Kinder?«
»Nein, nein. Diese Entwicklungsstufen sind nicht in Stein gemeißelt. Es gibt da große Schwankungen von Kind zu Kind, und in allen anderen Bereichen entsprechen Lilys Fortschritte ganz den Erwartungen. Ihre Größe, ihr Gewicht und ihre motorischen Fähigkeiten liegen alle im Normbereich.« Er setzt sie auf dem großen Untersuchungstisch aufrecht hin und schenkt ihr ein strahlendes Lächeln. »Und was für ein braves kleines Mädchen du bist! Ich wünschte, alle meine Patienten würden so gut mitmachen. Man sieht, wie konzentriert sie ist, wie gut sie aufpasst.«
»Aber nach dem, was mit unserer Katze passiert ist, muss man da nicht befürchten, dass sie etwas noch Schlimmeres tun könnte, wenn sie …« Ich halte inne, als ich merke, dass Lily mich beobachtet und mir ganz genau zuhört.
»Mrs. Ansdell«, sagt Dr. Cherry leise, »wie wär’s, wenn Sie Lily in unser Spielzimmer bringen? Wir sollten das unter vier Augen besprechen, in meinem Büro.«
Er hat natürlich recht. Meine kluge, aufmerksame Tochter versteht mit ziemlicher Sicherheit mehr, als mir bewusst ist. Ich gehorche und führe sie aus dem Behandlungszimmer in den Spielbereich für die kleinen Patienten. Hier liegt überall Spielzeug herum, knallbunte Plastiksachen ohne scharfe Kanten oder Kleinteile, die von Kindern, die alles wahllos in den Mund stecken, verschluckt werden könnten. Auf dem Boden kniet ein Junge ungefähr in ihrem Alter und macht Motorgeräusche, während er einen roten Lastwagen über den Teppich rollt. Ich setze Lily ab, und sie steuert zielsicher einen Kindertisch mit Plastik-Teetassen und einer Teekanne an. Dann nimmt sie die Kanne und beginnt, unsichtbaren Tee einzuschenken. Woher weiß sie, wie das geht? Ich habe noch nie zu einer Teegesellschaft eingeladen, und doch legt meine Tochter hier das stereotype Mädchenverhalten an den Tag, während der Junge mit seinem Laster spielt und dazu brmm-brmm macht.
Dr. Cherry sitzt hinter seinem Schreibtisch, als ich sein Büro betrete. Durch das Sichtfenster können wir die beiden Kinder im Nebenzimmer beobachten – auf ihrer Seite ist die Scheibe verspiegelt, sodass sie uns nicht sehen können. Sie spielen nebeneinander her und ignorieren einander in ihren getrennten Jungen- und Mädchenwelten.
»Ich glaube, Sie interpretieren zu viel in diesen Vorfall hinein«, sagt er.
»Sie ist erst drei, und sie hat unser Haustier getötet.«
»Gab es irgendwelche Warnzeichen, bevor das passierte? Hat irgendetwas darauf hingedeutet, dass sie der Katze etwas antun könnte?«
»Nein, nichts dergleichen. Ich hatte Juniper schon, bevor ich verheiratet war, und Lily kennt ihn schon ihr ganzes Leben. Sie ist immer ganz behutsam mit ihm umgegangen.«
»Was könnte diese Attacke ausgelöst haben? War sie wütend? War sie wegen irgendetwas frustriert?«
»Nein, sie wirkte vollkommen zufrieden. Sie haben so friedlich miteinander gespielt, also habe ich sie sich selbst überlassen, während ich Geige übte.«
Er denkt über dieses letzte Detail nach. »Ich nehme an, Sie müssen sehr konzentriert sein, wenn Sie Geige üben?«
»Ich habe ein neues Stück probiert. Also war ich wohl tatsächlich sehr darauf fixiert.«
»Das erklärt es vielleicht. Sie waren mit etwas anderem beschäftigt, und sie wollte Ihre Aufmerksamkeit auf sich lenken.«
»Indem sie unsere Katze ersticht?« Ich lache ungläubig auf. »Das wäre aber eine ganz schön drastische Methode.« Ich blicke durch das Sichtfenster auf meine Tochter mit ihrem goldblonden Haarschopf, wie sie da so fein bei ihrer imaginären Teegesellschaft sitzt. Es widerstrebt mir, die nächste mögliche Erklärung anzusprechen, aber ich muss ihn das fragen. »Ich habe neulich im Internet einen Artikel über Kinder gelesen, die Tiere quälen. Angeblich ist das ein ganz schlechtes Zeichen. Es könnte bedeuten, dass das Kind schwere psychische Probleme hat.«
»Glauben Sie mir, Mrs. Ansdell«, meint er und lächelt gütig, »Lily wird nicht zu einer Serienmörderin heranwachsen. Also, wenn sie wiederholt Tiere quälen würde oder wenn es Fälle von Gewalttätigkeit in der Familie gäbe, dann wäre ich vielleicht eher besorgt.«
Ich schweige, und er sieht mich stirnrunzelnd an.
»Gibt es da etwas, was Sie mir anvertrauen möchten?«, fragt er leise.
Ich hole tief Luft. »Es gibt da eine familiäre Vorbelastung. Einen Fall von Geisteskrankheit.«
»Auf der Seite Ihres Mannes oder auf Ihrer?«
»Auf meiner.«
»Ich kann mich nicht erinnern, etwas Derartiges in Lilys Patientenakte gelesen zu haben.«
»Weil ich es nie erwähnt habe. Ich dachte nicht, dass so etwas erblich sein könnte.«
»Wovon sprechen Sie?«
Ich lasse mir Zeit mit der Antwort, denn ich will einerseits bei der Wahrheit bleiben, andererseits will ich ihm nicht mehr sagen als unbedingt nötig. Es ist mir so schon unangenehm genug. Ich blicke durch das Fenster des Spielzimmers auf meine wunderschöne Tochter. »Es passierte kurz nach der Geburt meines Bruders. Ich war damals erst zwei Jahre alt, also habe ich selbst keine Erinnerung daran. Die Einzelheiten habe ich erst Jahre später von meiner Tante erfahren. Man sagte mir, meine Mutter habe eine Art Nervenzusammenbruch erlitten. Sie musste in eine Anstalt eingewiesen werden, weil man befürchtete, dass sie eine Gefahr für andere sein könnte.«
»Der Zeitpunkt ihres Nervenzusammenbruchs lässt vermuten, dass es sich um einen Fall von Wochenbettdepression oder -psychose handelte.«
»Ja, das ist die Diagnose, von der die Rede war. Sie wurde von verschiedenen Psychiatern begutachtet, und sie kamen zu dem Schluss, dass sie nicht zurechnungsfähig sei und für das, was passiert war, nicht verantwortlich gemacht werden könne.«
»Was ist denn passiert?«
»Mein Bruder – mein kleiner Bruder …« Meine Stimme wird zu einem Flüstern. »Sie hat ihn fallen lassen, und er ist gestorben. Es hieß, sie habe zu der Zeit unter Wahnvorstellungen gelitten. Sie hat Stimmen gehört.«
»Das tut mir leid. Das muss eine schlimme Zeit für Ihre Familie gewesen sein.«
»Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie furchtbar es für meinen Vater gewesen sein muss, ein Kind zu verlieren. Und zu erleben, wie meine Mutter ihm weggenommen wurde.«
»Sie sagten, dass Ihre Mutter in eine Anstalt kam. Ist sie irgendwann wieder genesen?«
»Nein. Sie starb dort zwei Jahre darauf an einem Blinddarmdurchbruch. Ich habe sie eigentlich gar nicht gekannt, aber jetzt muss ich ständig an sie denken. Und ich frage mich, ob Lily – ob das, was sie mit unserer Katze gemacht hat …«
Jetzt versteht er, wovor ich Angst habe. Seufzend nimmt er seine Brille ab. »Ich versichere Ihnen, da gibt es keine Verbindung. Die Genetik gewalttätigen Verhaltens ist nicht so simpel wie die Tatsache, dass Lily Ihre blauen Augen und Ihre blonden Haare geerbt hat. Ich weiß nur von wenigen dokumentierten Fällen, in denen es eindeutig in der Familie lag. Es gibt da zum Beispiel eine Familie in den Niederlanden, da hat fast jedes männliche Mitglied schon einmal im Gefängnis gesessen. Und wir wissen, dass bei Jungen, die mit einem überzähligen Y-Chromosom zur Welt kommen, die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, dass sie straffällig werden.«
»Gibt es so etwas auch bei Mädchen?«
»Mädchen können natürlich auch antisoziales Verhalten zeigen. Aber ist das eine genetische Veranlagung?« Er schüttelt den Kopf. »Ich glaube nicht, dass die Daten das hergeben.«
Die Daten. Er hört sich an wie Rob, der ständig Zahlen und Statistiken zitiert. Diese Männer glauben so fest an ihre Zahlen. Sie verweisen auf wissenschaftliche Studien und zitieren die neuesten Forschungsergebnisse. Warum beruhigt mich das nicht?
»Entspannen Sie sich, Mrs. Ansdell.« Dr. Cherry beugt sich über den Schreibtisch und tätschelt meine Hand. »Mit ihren drei Jahren ist Ihre Tochter vollkommen normal. Sie hat ein einnehmendes, liebevolles Wesen, und Sie sagen, dass sie noch nie zuvor etwas Derartiges getan hat. Sie müssen sich keine Sorgen machen.«
Lily ist in ihrem Kindersitz eingeschlafen, als ich bei meiner Tante Val in die Einfahrt einbiege. Es ist die übliche Zeit für ihr Nickerchen, und sie schläft so fest, dass sie sich auch nicht regt, als ich sie aus ihrem Sitz hebe. Noch im Schlaf hält sie Eselchen fest umklammert, ihren ständigen Begleiter, der inzwischen ziemlich abstoßend aussieht, zerzaust und vollgesabbert und wahrscheinlich wimmelnd von Bakterien. Das arme alte Eselchen ist schon so oft geflickt und ausgebessert worden, dass es zu einem Frankenstein-Wesen mutiert ist, mit einem Zickzackmuster von dilettantischen Nähten überzogen. Schon kann ich einen neuen Riss im Stoff sehen, wo die Füllung herausschaut.
»Oh, ist sie nicht entzückend?«, gurrt Val, als ich Lily in ihr Haus trage. »Wie ein kleiner Engel!«
»Kann ich sie auf dein Bett legen?«
»Natürlich. Aber lass die Tür offen, damit wir hören, wenn sie aufwacht.«
Ich trage Lily in Vals Schlafzimmer und bette sie behutsam auf die Tagesdecke. Dann betrachte ich sie noch eine Weile, wie immer verzückt vom Anblick meiner schlafenden Tochter. Ich beuge mich herab, atme ihren Duft ein und spüre die Hitze, die ihre rosig glänzenden Wangen abstrahlen. Sie seufzt und murmelt im Schlaf »Mommy«, ein Wort, das mir stets ein Lächeln entlockt. Ein Wort, nach dessen Klang ich mich in den quälend langen Jahren, als ich immer wieder vergeblich versuchte, schwanger zu werden, so sehr gesehnt habe.
»Mein Baby«, flüstere ich.
Als ich ins Wohnzimmer zurückkehre, fragt Val: »Und was hat Dr. Cherry über sie gesagt?«
»Er meinte, es gebe keinen Grund zur Sorge.«
»Hab ich’s dir nicht gesagt? Kinder und Haustiere vertragen sich nicht immer gut. Du erinnerst dich nicht mehr daran, aber als du zwei Jahre alt warst, hast du immer meinen alten Hund gepiesackt. Und als er dann irgendwann mal nach dir geschnappt hat, hast du gleich zurückgeschlagen. Ich denke, dass es sich mit Lily und Juniper ganz ähnlich abgespielt hat. Manchmal reagieren Kinder, ohne nachzudenken. Und sie begreifen die Folgen ihres Handelns nicht.«
Ich blicke aus dem Fenster in Vals Garten: ein kleines Paradies, vollgestopft mit Tomatenpflanzen, saftigen Kräutern und Gurkenranken, die am Spalier emporklettern. Mein verstorbener Vater war auch ein begeisterter Gärtner. Er kochte gerne, rezitierte Gedichte und sang ebenso falsch wie begeistert, genau wie seine Schwester Val. Auf ihren Kinderfotos sehen sie sich auch ganz ähnlich, beide dünn und sonnengebräunt, mit identischen Jungenhaarschnitten. In Vals Haus gibt es so viele Fotos von meinem Vater, dass es mir bei jedem Besuch einen Stich ins Herz gibt. An der Wand gegenüber von meinem Platz sind Bilder von meinem Vater als zehnjähriger Junge mit seiner Angelrute. Als Zwölfjähriger mit seinem Amateurfunkgerät. Und mit achtzehn Jahren als Highschool-Absolvent in seinem Talar. Immer mit dem gleichen ernsten und zugleich offenen Lächeln im Gesicht.
ENDE DER LESEPROBE