7,99 €
John Grisham einmal anders – ein Amerikaner entdeckt seine italienische Seele
Einst umjubelter Football-Star steht Rick Dockery plötzlich vor dem Aus. Ein Angebot aus dem fernen Italien kommt wie gelegen: Die Parma Panthers suchen einen neuen Spielmacher. Rick zögert nicht, und aus der Reise ins Ungewisse wird die Reise in ein neues Leben.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 396
Nur elf Minuten trennen die Cleveland Browns von der Meisterschaft, da geschieht das Unfassbare: Spielmacher Rick Dockery wirft drei entscheidende Fehlpässe, das Match ist verloren. Die Karriere des Spielers ist damit beendet. Fast. Denn im fernen Europa meldet ein Team Interesse an, und Dockery packt seine Koffer. Die Reise geht nach Italien, wo ihn die Parma Panthers sehnsüchtig erwarten. Ein Quarterback der NFL in Parma – was für eine Sensation! Und Dockery enttäuscht sie nicht: Groß, blond, gut aussehend, ein Amerikaner, wie er im Buche steht. Was allerdings auch bedeutet, dass Dockery erstaunt ist, dass man in Italien Italienisch spricht, dass eine kurze Hose am Abend ein Fauxpas ist oder dass es ein Land gibt, in dem die Oper beliebter ist als Football. Aber die Italiener sind geduldig, und Dockery gefällt die italienische Lebensart. Gutes Essen, schöne Frauen, so lässt es sich aushalten. Doch fehlt nicht irgendetwas? Richtig! Football! Die Parma Panthers versprechen sich von ihrem neuen Star nichts Geringeres als den Sieg in der heimischen Meisterschaft. Dass sie weit von der Tabellenspitze entfernt sind, lassen sie als Argument nicht gelten. Wozu haben sie schließlich eine Wunderwaffe aus Amerika?
Dieses Buch ist meinem langjährigen Verleger Stephen Rubin gewidmet, einem großen Verehrer von allem, was mit Italien zu tun hat – Oper, Essen, Wein, Mode, Sprache und Kultur. Vielleicht nicht unbedingt Football.
Es war ein Krankenhausbett, so viel schien klar, wenn auch Gewissheiten momentan etwas Flüchtiges an sich hatten. Es war schmal und hart, und an den Seiten, als würden sie Wache halten, gab es glänzende Metallgeländer, die ein Entkommen unmöglich machten. Die Laken waren schlicht und sehr weiß. Hygienisch einwandfrei. Der Raum war abgedunkelt, doch das Sonnenlicht versuchte, durch die Jalousien zu schlüpfen, die vor dem Fenster hingen.
Er machte die Augen wieder zu, selbst das war schon schmerzhaft. Dann öffnete er sie erneut, und es gelang ihm, die Lider für eine Weile offen zu halten und sich auf seine stille, in einem leichten Nebel liegende kleine Welt zu konzentrieren. Er lag auf dem Rücken, von stramm unter die Matratze gestopften Laken niedergehalten. Zur Linken bemerkte er einen Schlauch, der zu seiner Hand führte und danach irgendwo hinter ihm verschwand. Von fern, wohl aus dem Flur, hörte er eine Stimme. Dann machte er den Fehler, sich bewegen zu wollen, nur den Kopf ein bisschen anders zu betten, doch es ging nicht. Stechender, heißer Schmerz schoss ihm durch Schädel und Nacken, und er stöhnte laut auf.
»Rick. Bist du wach?«
Die Stimme klang vertraut, gleich danach erschien ein Gesicht. Arnie atmete auf ihn herab.
»Arnie?«, sagte er mit schwacher, krächzender Stimme, dann schluckte er.
»Ich bin’s, Rick, Gott sei Dank, du bist wach.«
Arnie, der Agent, in entscheidenden Momenten immer zur Stelle.
»Wo bin ich, Arnie?«
»Du bist im Krankenhaus, Rick.«
»Das hab ich kapiert. Aber wieso?«
»Wann bist du aufgewacht?« Arnie fand einen Schalter, und eine Lampe neben dem Bett leuchtete auf.
»Ich weiß nicht. Vor ein paar Minuten.«
»Wie fühlst du dich?«
»Als hätte mir jemand den Schädel zertrümmert.«
»Nahe dran. Wird schon wieder, vertrau mir.«
Vertrau mir, vertrau mir. Wie oft hatte er Arnie schon um Vertrauen bitten gehört? Tatsache war, dass er Arnie noch nie ganz vertraut hatte, und es gab keinen plausiblen Grund, ausgerechnet jetzt damit anzufangen. Was wusste Arnie über traumatische Kopfverletzungen oder andere tödliche Wunden, die einer abbekommen hatte?
Rick machte die Augen wieder zu und atmete tief durch. »Was ist passiert?«, fragte er leise.
Arnie zögerte und strich mit der flachen Hand über seinen haarlosen Kopf. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Vier Uhr nachmittags, sein Schützling war also fast vierundzwanzig Stunden bewusstlos gewesen. Nicht lang genug, dachte er, leider.
»Was ist das Letzte, woran du dich erinnerst?«, fragte Arnie, indem er beide Ellbogen auf das Bettgeländer stützte und sich vorbeugte.
Nach einigem Nachdenken brachte Rick heraus: »Ich erinnere mich, wie Bannister auf mich zustürzt.«
Arnie schmatzte mit den Lippen. »Nein, Rick. Das war die zweite Gehirnerschütterung, vor zwei Jahren in Dallas, als du bei den Cowboys warst.« Rick stöhnte auf, und auch für Arnie war es keine angenehme Erinnerung, weil sein Schützling damals an der Seitenlinie gehockt und ein Cheerleader-Girl beäugt hatte, als sich das Spielgeschehen urplötzlich zu ihm hin verlagerte und er, ohne Helm, von mindestens einer Tonne fliegender Körper begraben wurde.
Dallas entließ ihn zwei Wochen später und verpflichtete einen anderen dritten Quarterback.
»Letztes Jahr warst du in Seattle, Rick, und jetzt bist du in Cleveland, bei den Browns, erinnerst du dich?«
Rick erinnerte sich und stöhnte noch ein bisschen lauter. »Was für ein Tag ist heute?«, fragte er, die Augen wieder geöffnet.
»Montag. Das Spiel war gestern. Hast du noch irgendeine Erinnerung dran?« Wenn du Glück hast, nicht, hätte Arnie gern ergänzt. »Ich hol mal eine Krankenschwester. Die haben schon gewartet.«
»Noch nicht, Arnie. Red mit mir. Was ist passiert?«
»Du hast einen Pass geworfen, dann wurdest du in die Zange genommen. Purcell ist einen Weak Side Blitz gelaufen und hat dir den Kopf abgerissen. Du hast ihn überhaupt nicht kommen sehen.«
»Warum war ich im Spiel?«
Das war nun in der Tat eine ausgezeichnete Frage, eine, die voller Erbitterung in jeder Sportsendung in Cleveland und dem oberen Mittelwesten gestellt wurde. Warum war er im Spiel? Warum gehörte er zum Team? Wo zum Teufel kam er überhaupt her?
»Lass uns später drüber reden«, sagte Arnie, und Rick war zu schwach, um zu widersprechen. Zögernd, widerwillig fing sein verwundetes Gehirn an, sich vorsichtig wieder zu regen, sich aus dem Koma zu schütteln, die Arbeit aufzunehmen.
Die Browns. Das Browns Stadium, an einem sehr kalten Sonntagnachmittag vor einer Rekordzuschauermenge. Die Play-offs, nein, mehr noch – das Endspiel um die AFC-Meisterschaft.
Der Boden war gefroren, hart wie Beton und ebenso kalt.
Eine Krankenschwester war im Zimmer, und Arnie verkündete: »Ich glaube, er hat sich berappelt.«
»Großartig«, sagte die Schwester ohne Begeisterung. »Ich hol dann mal einen Arzt.« Mit noch weniger Enthusiasmus.
Rick blickte ihr nach, ohne den Kopf zu bewegen. Arnie ließ die Fingerknöchel knacken, er saß irgendwie auf Kohlen. »Hör mal, Rick, ich muss los.«
»Klar, Arnie. Danke.«
»Kein Problem. Hör zu, es gibt keine nette Art, es dir beizubringen, also bin ich ganz offen. Heute Morgen haben die Browns angerufen – das heißt, Wacker hat angerufen –, und, na ja, dein Vertrag wird nicht verlängert.« Es war schon fast ein alljährlich wiederkehrendes Ritual, diese Entlassungen zum Ende der Saison.
»Tut mir leid«, sagte Arnie, aber nur, weil er es sagen musste.
»Ruf die anderen Teams an«, sagte Rick, und das weiß Gott nicht zum ersten Mal.
»Muss ich offensichtlich gar nicht. Die rufen schon bei mir an.«
»Das ist doch toll.«
»Kann man so nicht sagen. Sie rufen an, um mich zu warnen, ich soll bloß nicht sie anrufen. Ich fürchte, das könnte das Ende der Fahnenstange sein, mein Junge.«
Kein Zweifel, dass dies das Ende der Fahnenstange war, aber Arnie fand einfach nicht den Mut zur Deutlichkeit. Vielleicht morgen. Acht Teams in sechs Jahren. Einzig die Toronto Argonauts hatten sich getraut, ihn für eine zweite Saison zu verpflichten. Jedes Team brauchte einen Ersatzmann für seinen Ersatzquarterback, und Rick war genau der Richtige für diese Rolle. Die Probleme freilich begannen, wenn er sich aufs Spielfeld begab.
»Muss mich sputen«, sagte Arnie mit erneutem Blick auf seine Uhr. »Und hör mal, in deinem eigenen Interesse, lass den Fernseher aus. Es ist brutal, vor allem bei ESPN.« Er tätschelte Ricks Knie und eilte aus dem Zimmer. Vor der Tür saßen auf Klappstühlen zwei massige Wachleute, die sich mühsam wach zu halten versuchten.
Arnie blieb am Schwesternzimmer stehen und sprach mit dem Arzt, der sich schließlich auf den Weg machte, durch den Flur, an den Sicherheitsleuten vorbei in Ricks Zimmer. Seinem Umgang mit dem Kranken fehlte jede Wärme – eine rasche Überprüfung der Grundfunktionen ohne viel Unterhaltung. Neurologische Untersuchungen würden folgen. Eine stinknormale Gehirnerschütterung eben, war das nicht schon die dritte?
»Glaub ja«, sagte Rick.
»Schon mal dran gedacht, sich einen anderen Job zu suchen?«, fragte der Arzt.
»Nein.«
Solltest du aber vielleicht, dachte der Arzt, und zwar nicht nur wegen des angeschlagenen Gehirns. Drei Interceptions in elf Minuten sollten eine klare Ansage sein, dass Football nicht deine Bestimmung ist. Zwei Krankenschwestern erschienen, um bei den Untersuchungen zu assistieren. Keine von beiden sagte auch nur ein Wort zu dem Patienten, obwohl der ein unverheirateter Profi-Sportler von bemerkenswert gutem Aussehen und mit durchtrainiertem Körper war. Doch das war ihnen vollkommen egal, ausgerechnet jetzt, wo er ihren Zuspruch gut hätte gebrauchen können.
Sobald er wieder allein war, begann Rick, mit aller Vorsicht, nach der Fernbedienung zu suchen. In der Zimmerecke hing ein großer Fernseher an der Wand. Rick hatte vor, direkt auf ESPN zu schalten und es hinter sich zu bringen. Jede Bewegung tat weh, und zwar nicht nur an Kopf und Nacken. Im unteren Rückenbereich plagte ihn etwas, das sich wie eine frische Stichwunde anfühlte. In seinem linken Ellbogen, also dem, den er nicht zum Werfen benötigte, tobte ein pochender Schmerz.
In die Zange genommen? Er fühlte sich wie unter einen Zementlaster geraten.
Eine der Krankenschwestern war wieder da, in den Händen ein Tablett mit Medikamenten. »Wo ist die Fernbedienung?« , fragte Rick.
»Äh, der Fernseher ist kaputt.«
»Arnie hat den Stecker rausgezogen, stimmt’s?«
»Welchen Stecker?«
»Vom Fernseher.«
»Wer ist Arnie?«, fragte sie, während sie mit einer nicht ganz kleinen Nadel hantierte.
»Was ist das?«, fragte Rick und vergaß kurzfristig Arnie.
»Vicodin. Davon können Sie gut schlafen.«
»Ich hab genug vom Schlafen.«
»Ärztliche Anweisung, okay? Sie brauchen Ruhe, sehr viel Ruhe.« Sie leitete das Vicodin in seinen Tropf und beobachtete eine Weile die klare Flüssigkeit.
»Sind Sie Browns-Fan?«, fragte Rick.
»Mein Mann ist einer.«
»War er gestern beim Spiel?«
»Ja.«
»Wie schlimm war es denn?«
»Das wollen Sie sicher nicht wissen.«
Als er aufwachte, war Arnie wieder da, saß in einem Sessel neben dem Bett und las die Cleveland Post. Unten auf der Titelseite konnte Rick gerade noch die Schlagzeile »Fans stürmen Krankenhaus« entziffern.
»Was!«, sagte Rick so kraftvoll wie möglich.
Arnie riss die Zeitung nach unten und sprang auf. »Alles in Ordnung, mein Junge?«
»Wunderbar, Arnie. Was für ein Tag ist heute?«
»Dienstag, früher Dienstagmorgen. Wie fühlst du dich, Junge?«
»Gib mir die Zeitung.«
»Warum?«
»Was läuft da, Arnie?«
»Was genau willst du wissen?«
»Alles.«
»Hast du Fernsehen geguckt?«
»Nein. Du hast ja den Stecker rausgezogen. Red mit mir, Arnie.«
Arnie ließ seine Fingerknöchel wieder knacken, dann ging er langsam zum Fenster, wo er die Jalousie ein bisschen hochzog. Er spähte hindurch, als lauere Unheil auf der anderen Seite. »Gestern sind hier ein paar Hooligans aufgetaucht und haben eine Szene gemacht. Die Cops sind aber gut mit ihnen fertiggeworden, haben ungefähr ein Dutzend von ihnen festgenommen. War nur ein kleiner Haufen Schläger. Browns-Fans.«
»Wie viele?«
»In der Zeitung steht, ungefähr zwanzig. Waren eben betrunken.«
»Und warum sind sie hergekommen, Arnie? Wir sind unter uns – nur du und ich, Agent und Spieler. Die Tür ist zu. Bitte, füll meine Lücken auf.«
»Sie hatten rausgefunden, dass du hier bist. Eine Menge Leute würden dich derzeit gern aufs Korn nehmen. Es gab hundert Morddrohungen. Die Leute sind sauer. Sie bedrohen sogar mich.« Arnie lehnte sich gegen die Wand, nicht ohne einen Hauch von Selbstgefälligkeit, dass sein Leben nun immerhin wert war, bedroht zu werden. »Du kannst dich immer noch nicht erinnern?«, fragte er.
»Nein.«
»Die Browns liegen elf Minuten vor Schluss mit siebzehn zu null gegen die Broncos in Führung. Und die Null beschreibt nicht mal annähernd, was für ein Gemetzel da läuft. Nach drei Vierteln haben die Broncos insgesamt einundachtzig Yards Raumgewinn erzielt, dabei drei, ja, sage und schreibe drei First Downs gehabt. Na, kommt es langsam?«
»Nein.«
»Ben Marroon spielt Quarterback, weil Nagel sich im ersten Viertel eine schwere Oberschenkelzerrung geholt hat.«
»Daran erinnere ich mich jetzt.«
»Elf Minuten vor Schluss wird Marroon von den Füßen geholt, als der Ball schon weg ist. Er wird vom Platz getragen. Niemand macht sich Sorgen, denn die Defense der Browns könnte an diesem Tag sogar General Patton und seine Panzer aufhalten. Du kommst aufs Feld, beim Third and twelve, du wirfst einen wunderbaren Pass auf Sweeney, der aber leider für die Broncos spielt, und vierzig Yards später ist er in der Endzone. Daran irgendeine Erinnerung?«
Rick schloss langsam die Augen und sagte: »Nein.«
»Überanstreng dich nicht.«
»Beide Teams punten, dann verlieren die Broncos den Ball. Sechs Minuten noch, Third and eight, du änderst den angesagten Spielzug und willst auf Bryce werfen, der einen Hook läuft, doch dein Pass kommt zu hoch und landet bei jemandem im weißen Trikot, mir fällt der Name nicht ein, aber rennen kann er jedenfalls, bis ganz ins Ziel. Siebzehn zu vierzehn. Langsam ist eine gewisse Anspannung zu spüren bei den mehr als Achtzigtausend. Vor ein paar Minuten haben sie schon gefeiert. Die erste Super-Bowl-Teilnahme überhaupt und so weiter. Die Broncos machen den Kick-off, die Browns tragen den Ball dreimal, weil Cooley jetzt kein Passspiel mehr ansagt, und also punten sie beim vierten Versuch. Beziehungsweise versuchen sie es. Der Ball geht verloren, die Broncos erobern ihn auf der Vierunddreißig -Yard-Linie der Browns, was aber kein Problem darstellt, weil die Defense der Browns, die zu diesem Zeitpunkt stinksauer ist, den Gegner innerhalb von drei Spielzügen um fünfzehn Yards zurückdrängt, aus Field-Goal-Entfernung heraus. Die Broncos punten, du übernimmst auf der eigenen Sechs-Yard-Linie und schaffst es, den Ball vier Minuten lang immer in die Mitte der Verteidigungslinie zu stopfen. Der Vormarsch kommt an der Mittellinie ins Stocken, Third and ten, noch vierzig Sekunden zu spielen. Die Browns haben Angst zu passen und noch mehr Angst zu punten. Ich weiß nicht, was für eine Ansage Cooley macht, aber du änderst wieder den Plan und feuerst eine Rakete zur rechten Seitenlinie, wo Bryce völlig frei steht. Ein präziser Pass.«
Rick versuchte sich aufzusetzen und vergaß für einen Moment seine Schmerzen. »Ich kann mich immer noch nicht erinnern.«
»Ein präziser Pass, aber viel zu hart. Der Ball prallt von Bryce’ Brust ab, Goodson schnappt ihn sich und galoppiert ab ins gelobte Land. Die Browns verlieren einundzwanzig zu siebzehn. Du liegst am Boden, wie in zwei Teile zersägt. Sie legen dich auf eine Bahre, und während sie dich vom Feld rollen, buht die eine Hälfte der Zuschauer und die andere Hälfte jubelt wild. Ganz schöner Lärm, so was hab ich noch nie gehört. Ein paar Betrunkene springen von den Rängen und stürmen auf die Bahre zu – sie hätten dich umgebracht – , aber die Ordner gehen dazwischen. Es folgt eine nette kleine Schlägerei, auch von der ist in sämtlichen Talkshows die Rede.«
Rick lag in sich zusammengesackt ganz tief im Bett, tiefer als je zuvor, hatte die Augen geschlossen und atmete ziemlich angestrengt. Das Kopfweh war wieder da, ebenso die stechenden Schmerzen im Nacken und an der Wirbelsäule entlang. Wo waren die Medikamente?
»Tut mir leid, mein Junge«, sagte Arnie. Das Zimmer wirkte im Dunkeln netter, also machte Arnie die Jalousie wieder ganz runter und ging zu seinem Sessel und seiner Zeitung zurück. Sein Schützling war allem Anschein nach tot.
Die Ärzte wollten ihn entlassen, doch Arnie hatte mit Entschiedenheit dargelegt, dass der Patient noch ein paar weitere Tage der Ruhe und des Schutzes benötige. Die Browns zahlten die Wachleute, und offenbar waren sie darüber nicht sehr glücklich. Das Team übernahm auch die ärztlichen Kosten, und es würde nicht mehr lange dauern, bis sie sich deswegen beschwerten.
Auch Arnie hatte langsam genug. Ricks Karriere, wenn man sie denn so nennen konnte, war vorbei. Arnie bekam fünf Prozent, und fünf Prozent von Ricks Gehalt reichten nicht mal, um die Kosten zu decken. »Bist du wach, Rick?«
»Ja«, sagte der mit geschlossenen Augen.
»Hör mir mal zu, okay?«
»Ich hör zu.«
»Das Schwerste in meinem Job ist, einem Spieler zu sagen, dass es Zeit ist, aufzuhören. Du hast dein ganzes Leben Football gespielt, es ist alles, was du kennst, alles, wovon du träumst. Niemand hört gern auf. Aber Rick, alter Freund, es ist wirklich Zeit, Schluss zu machen. Es gibt keine Alternative.«
»Ich bin achtundzwanzig, Arnie«, sagte Rick mit geöffneten Augen. Sehr traurigen Augen. »Was soll ich deiner Meinung nach machen?«
»Viele von den Jungs werden Trainer. Oder Makler. Du warst ein helles Köpfchen – hast deinen Abschluss gemacht.«
»Meinen Abschluss hab ich in Sport, Arnie. Das heißt, ich könnte einen Job kriegen, wo ich Sechstklässlern für Vierzigtausend im Jahr Volleyballspielen beibringe. Da hab ich keinen Bock drauf.«
Arnie erhob sich und ging, wie tief in Gedanken versunken, um das Ende des Betts. »Fahr doch erst mal nach Hause, ruh dich ein bisschen aus und denk drüber nach.«
»Nach Hause? Wo soll das sein? Ich hab an so vielen verschiedenen Orten gewohnt.«
»Zu Hause ist Iowa, Rick. Dort lieben sie dich noch immer.« Und wirklich lieben tun sie dich in Denver, überlegte Arnie, behielt den Gedanken aber klugerweise für sich.
Die Vorstellung, auf den Straßen von Davenport in Iowa gesehen zu werden, jagte Rick einen Schrecken ein, er gab ein leises Stöhnen von sich. Die Stadt war vermutlich tief gedemütigt ob der Leistung ihres Sohnes. Aua. Er dachte an seine armen Eltern und schloss die Augen wieder.
Arnie sah auf seine Uhr, dann bemerkte er – warum auch immer erst jetzt –, dass sich keine Karten mit Genesungswünschen und keine Blumen im Zimmer befanden. Die Schwestern hatten ihm erzählt, dass keine Freunde zu Besuch gekommen seien, niemand aus der Familie, keine Mannschaftskameraden, niemand, der auch nur entfernt etwas mit den Cleveland Browns zu tun hatte. »Ich muss mich beeilen, mein Junge. Ich schau morgen noch mal vorbei.«
Im Hinausgehen warf er beiläufig die Zeitung auf Ricks Bett. Sobald die Tür hinter ihm zuging, schnappte sich Rick das Blatt und wünschte sich bald, er hätte es nicht getan. Nach Polizeischätzung hatte eine Menge von fünfzig Personen vor dem Krankenhaus eine wüste Demonstration veranstaltet. Richtig unerfreulich wurde die Angelegenheit, als ein Fernsehteam aufkreuzte und zu filmen begann. Ein Fenster wurde eingeworfen, und einige der stärker betrunkenen Fans stürmten den Empfang der Notaufnahme, vermutlich auf der Suche nach Rick Dockery. Acht Verhaftungen gab es. Ein großes Foto – Titelseite unterhalb der Falte – zeigte die Menge unmittelbar vor den Festnahmen. Zwei derb gemalte Plakate waren deutlich zu lesen: »Zieht jetzt die Konsequenzen!« und »Legalisiert Euthanasie«.
Es wurde noch schlimmer. Die Post beschäftigte einen berüchtigten Sportjournalisten namens Charles Cray, einen fiesen Schreiberling, dessen Spezialität im Frontalangriff lag. Da er immerhin raffiniert genug vorging, um glaubhaft zu wirken, wurde Cray von vielen gelesen, denn er widmete sich den Fehltritten und Schwächen von Profi-Sportlern, die Millionen verdienten, aber durchaus nicht perfekt waren, mit Wonne. Er war Experte für alles und ließ sich keine Gelegenheit entgehen, eine Attacke zu reiten, und sei sie noch so billig. Seine Dienstagskolummne – auf der ersten Seite des Sportteils – begann mit der Schlagzeile »Kann Dockery die Rangliste der größten Esel aller Zeiten toppen?« .
Wer Cray kannte, hatte keine Zweifel, dass Rick Dockery diese Rangliste toppen würde.
Die Kolumne, wie immer gut recherchiert und in beißendem Stil geschrieben, rekapitulierte die nach Crays Meinung größten individuellen Schnitzer, Missgeschicke und Pleiten in der Geschichte des Sports. Da war Bill Buckners fataler Fehlgriff während der Baseball World Series 1986, Jackie Smiths fallen gelassener Touchdown-Pass im dreizehnten Super Bowl und so weiter und so fort.
All dies aber, so rief, ja schrie Cray seinen Lesern zu, waren lediglich Einzelaktionen gewesen.
Mr. Dockery dagegen schaffte drei – sage und schreibe drei! – verheerende Pässe in nur elf Minuten.
Daher sei Rick Dockery ganz klar der unumstritten größte Esel in der Geschichte des Profi-Sports. Das Urteil war eindeutig, und wer daran etwas auszusetzen habe, solle sich bei Cray melden.
Rick warf die Zeitung gegen die Wand und rief nach neuen Tabletten. Im Dunkeln, allein, bei geschlossener Tür, wartete er darauf, dass das Medikament seine wundersame Wirkung entfaltete, ihn in Bewusstlosigkeit fallen ließ und dann hoffentlich für immer fortholte.
Er sank tief ins Bett zurück, zog sich die Decke über den Kopf und fing an zu weinen.
Es schneite, und Arnie hatte die Nase voll von Cleveland. Er war am Flughafen, wartete auf einen Flug nach Las Vegas, seinem Zuhause, und verkürzte sich die Wartezeit, indem er wider besseres Wissen einen eher untergeordneten Vizepräsidenten der Arizona Cardinals anrief.
Rick Dockery nicht mitgezählt, vertrat Arnie momentan sieben Spieler in der NFL und vier in Kanada. Er war, wie er sich mitunter gezwungen sah einzugestehen, ein Agent der mittleren Preisklasse, doch natürlich stand ihm der Sinn nach Höherem. Telefongespräche für Rick Dockery zu führen war seinen Ambitionen nicht unbedingt förderlich. Zwar war Rick zu diesem trostlosen Zeitpunkt vermutlich der Spieler im Land, über den am meisten geredet wurde, doch es war eben nicht das Gerede, das Arnie gebrauchen konnte. Der Vizepräsident war höflich, aber kurz angebunden und konnte es gar nicht erwarten, den Hörer wieder aufzulegen.
Arnie ging zu einer Bar, holte sich etwas zu trinken und suchte sich einen Platz weit weg von allen Fernsehapparaten, denn das einzige Thema, das Cleveland nach wie vor in Atem hielt, waren die drei Interceptions gegen einen Quarterback, von dem niemand gewusst hatte, dass er überhaupt zum Team gehörte. Die Browns waren mit einer eher schwankenden Offense, aber einer knallharten Defense durch die Saison gezogen, einer Defense, die alle Rekorde brach, weil sie so wenig Raumgewinn und Punkte für den Gegner zuließ. Sie verloren nur ein Spiel, und mit jedem Sieg wuchs die Begeisterung der seit Langem nach dem Super Bowl hungernden Stadt für ihre einstmals liebenswerten Verlierer. Plötzlich, innerhalb einer kurzen Spielzeit, waren die Browns keine Verlierer mehr, sondern Schlächter.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!