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Mit den Beiträgen zu allen ausgewählten Werken aus Kindlers Literatur Lexikon. Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur. Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK. Der blutige Fluch der Atriden-Familie – sie opfern und sie morden sich – ist nur mit einem Richterspruch Athenes aufzulösen. ›Die Orestie‹ des Aischylos, schon vor 2.500 Jahren gefeiertes Theatererlebnis über die Geburt der Demokratie, hat mit ihren Motiven von Rache und Vergeltung, Pflicht und Selbstbestimmung unzählige Künstler beeinflusst, darunter so politische wie Jean-Paul Sartre. Dieses ebook enthält die Tragödien ›Die Orestie‹, ›Die Perser‹, ›Der gefesselte Prometheus‹, ›Die Schutzflehenden‹ und ›Die Sieben gegen Theben‹.
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Seitenzahl: 332
Aischylos
Tragödien
Aus dem Altgriechischen von Johann Gustav Droysen
Fischer e-books
Mit den Beiträgen zu allen ausgewählten Werken aus Kindlers Literatur Lexikon.
Mit dem Autorenporträt aus dem Metzler Lexikon Weltliteratur.
Mit Daten zu Leben und Werk, exklusiv verfasst von der Redaktion der Zeitschrift für Literatur TEXT + KRITIK.
ATOSSA
BOTE
CHOR PERSISCHER FÜRSTEN
DAREIOS’ SCHATTEN
XERXES
Palast der persischen Könige, vor dem Palast der Altar Apollons
CHORFÜHRER
Wir sind die Getreuen des persischen Volks,
Das zumal auszog zum hellenischen Land,
Sind Wächter der vielglückseligen und
Goldprangenden Sitze, die Xerxes selbst,
Mein König und Herr,
Auswählte, der Lande zu wachen.
Um die Heimkehr unseres Königes nun,
Um des goldenen Heers Heimkehr angstvoll
Vorahnend erbebt in der Brust mein Herz,
Von Bekümmernis voll.
Denn die Jugend des Reichs, denn Asias Kraft
Zog fort, nachjauchzt sie dem Jüngling;
Und es kommt doch zu Fuß, und es kommt doch zu Roß
Kein Bote zur persischen Heimat.
Und von Susa so, von Ekbatana fort
Und vom alten Gemäur der kissischen Stadt
Zogen sie fernhin,
Bald Scharen zu Roß, dann andre zu Schiff,
Und des Fußvolks Reihn,
Die der Kern im Gedränge der Schlacht sind.
Auszog Amistres und Artaphernes,
Aus Megabazes und Astaspes,
Die Gewaltgen im Reich,
Könige, dienstbar nur dem Großkönige,
Feldherrn von Heeren im Heere des Reichs,
Mit dem Bogen der Schlacht, auf schäumendem Roß,
Furchtweckend zu schaun und entsetzlich im Kampf
In des Muts vielwagender Hoffnung.
Und der Schlachtroßtummler Artembares auch,
Masistres auch
Und Imaios der Held, goldbogenbewehrt,
Und Pharandakes,
Und der Rosse Bewältger Sosthanes.
Und andre gesandt hat des schwellenden Nils
Fruchtüppiges Tal,
Susiskanes, Pegastagon,
Den Ägypten gebar, und der Fürst Arsames,
Der Memphis, die heilige Stadt, sein nennt,
Und der uralt herrlichen Theben Herr
Ariomardos,
Und vom Bruchland zog schiffsruderndes Volk
Mit hinaus, zahlloses Gewimmel.
Von dem weichlichen Volk aus Lydia kam
Kriegsvolk, dem zumal
Sich des Festlands Heer scharweis anschloß;
Die führt Arkteus und Matragathes,
Herrschende Könige.
Auch Sardes sendet, die goldene, viel
Kriegsscharen, verteilt in die Wagen der Schlacht,
Die mit Doppelgespann, dreifachem Gespann
Furchtbar toddräuend dahinziehn.
Die vom Tmolosgebirg und den Fluren umher,
Sie bedrohn Hellas mit dem knechtischen Joch;
So der Speeramboß Tharybis, Mardon
Und die mysischen Schleudrer. Von Babylon auch
Aus goldenem Tor in geschlängeltem Zug
Zog buntes Gewühl, teils Schiffsvolk aus,
Teils Schützen der Kunst des Geschosses gewiß;
Was Schwert nur trägt in dem ganzen Bereich
Asiatischen Stamms,
Nachfolgt es den Fahnen des Königs.
Ja, die Blüte des Volks aus persischem Reich
Zog fern in den Krieg,
Und Asias Land, das sie aufzog, seufzt
Und grämt sich um sie, von Verlangen gequält;
Und die Mutter, das Weib, die die Tage gezählt,
Sehn bang, wie die Tage dahinfliehn.
Erste Strophe
CHOR
Schon hineindrangen die burgstürmenden Kriegsscharen des Königs
In das jenseitige nachbarliche Festland
Auf der taubandigen Brück über den Sund der
Athamantischen Hella;
Um den Nacken der See schlang sich der dichtbalkige Heerweg.
Erste Gegenstrophe
Denn der vielvolkigen Flur Asia kampfkühner Gebieter,
In das Land trieb er die Heerwolke der Seinen
Wie ein Sturm, beides vom Festland, von der See her;
Er vertraut’ sich den kühnsten,
Den gewaltigen Feldherren, des goldnen Geschlechts göttliche Sonne.
Zweite Strophe
Mit dem bluttrunkenen Mordblick des zum Fang fliegenden Felsdrachen, so vielarmig, so vielschiffig hinab schießt er den Giftpfeil
Von dem Schlachtwagen Assyriens in die lanzenkundgen Städte.
Zweite Gegenstrophe
Und es tritt keiner hervor gegen die lautbrandende Heerflut, wie ein Bollwerk vor der unzwingbaren Meerwoge zu schirmen;
Denn unnahbar in der Schlacht kenn ich und kühn das Volk der Perser.
Epode
Doch der trugsinnenden Gottheit, wer entkommt ihr von den Menschen?
Wer entrinnt ihr mit dem raschfliehenden Fuß glückenden Sprunges?
Denn so süß lächelnd im Anfange sie liebkost, sie verlockt
In das Garn, draus nimmermehr
Noch hinausschleichend, noch ausweichend der Mensch wieder entkommt.
Dritte Strophe
Denn ein Gott ordnet’ die Lose des Schicksals; es gebot in der Urzeit schon den Persern,
Sich den burgstürmenden Kämpfen,
Sich der roßwimmelnden Feldschlacht, sich dem nächtigen Überfall zu weihn.
Dritte Gegenstrophe
Doch das Volk lernte das finstre, das sturmschauererschäumende weitrückige Meer sehn,
Sich der See heiligem Hain nahn,
Dem behend schwankenden Tauwerk und der Brücke des Völkerzugs vertraun.
Vierte Strophe
Drum zerreißet drinnen mein gramumnachtet Herz
Wehe!
Daß es nur des Perserheers Vaterstadt, die mannvereinsamte Stadt Susa nur es nicht vernimmt!
Vierte Gegenstrophe
Und der Kissier hohe Burg, wiederhallen wird sie dies
Wehe!
Diesen Wehruf weinend wird wieder schrein der Weiber Schwarm, wird entzweireißen Schleier und Gewand.
Fünfte Strophe
Alles streitbare Volk zog zu Roß und zog zu Fuß
Einem Schwarm Bienen gleich ihrem Heerkönig nach vom Reich hinaus,
Zog fernhin über ringsumjochte, beidem Gestade zugleich
Ufernahe Vorsee.
Fünfte Gegenstrophe
Doch daheim naßgeweint ist in Sehnsucht manches Bett;
Persis’ Fraun gramerschöpft, sich um den Mann jede sehnend, den sie liebt,
Den waffenkühnen, kampfberühmten, welchen sie gab in den Krieg,
Witweneinsam bleibt sie.
CHORFÜHRER
Ihr Perser, wohlan!
Nun setzt euch dort an den alten Palast
Und laßt uns treu tiefforschenden Sinns
Rat pflegen; die Not, sie gebeut es.
Wie wird es denn jetzt um Xerxes stehn,
Um Dareios’ Sohn,
Den erhabensten Zweig von der Väter Geschlecht!
Hat der Bogen Geschoß nun den Sieg sich erzielt?
Hat der Lanze Gewalt
Ihn mit eherner Stirn sich ertrotzet?
Aus der Königlichen Pforte wird Atossa herausgetragen
CHOR
Sieh dort! Wie in Strahlen der Gottheit naht
Sie, die Sonne, die Mutter des Königes uns,
Unsere Königin.
In den Staub werf ich mich. Laßt ehrfurchtsvoll
Uns alle zugleich
Anbetend im Staub sie begrüßen!
Sie fallen nieder und berühren den Boden mit der Stirn
CHORFÜHRER
Tiefgeschürzter Perserinnen allverehrte Königin,
Greise Mutter unsers Königs, Heil dir, Heil, Dareios’ Weib,
Gattin einst des Persergottes, Persergottes Mutter noch,
Wenn der alte Dämon jetzt nicht unser Heer verraten hat.
ATOSSA
Drum erschein ich, drum enteilt ich des Palastes goldnem Tor
Und verließ mein und Dareios’ einst gemeinsam Schlafgemach;
Und das Herz zerreißt mir Sorge. Aber sagen muß ich euch
Noch ein andres; selbst um mich nicht, Freunde, bin ich frei von Furcht,
Ob das Glück nicht, das Dareios einst, der Gottheit voll, erbaut,
Unser Reichtum stürzt, der hinzieht stolzen Schrittes, staubumwölkt.
Darum quält zwiefache Sorge unaussprechlich mein Gemüt;
Keiner scheut die Macht des Reichtums, wenn ein Mann sie nicht vertritt,
Noch umstrahlt den Gutentblößten seiner Macht gerechter Glanz.
Wohl ist gnug des Gutes, wohl auch für ein liebstes Auge Furcht –
Ja, des Hauses Auge heißt mir seines Herren Gegenwart.
Für das alles, falls es so ist, wie ich es fürchte, wollet nun,
Perser, vielgetreue Greise, treulich mir Berater sein;
Denn in euch und eurer Weisheit ruht mir aller beste Rat.
CHOR
Wiß es, Herrin, nicht vergeblich rufst du mit dem ersten Wort
Uns zu Rat, zu aller Tat auf, deren Kraft uns nicht gebricht.
Denn die treusten Ratgenossen hast in uns du dir erkannt.
ATOSSA
Zahllose Träume sind mir fort und fort des Nachts
Gekommen, seit mit seinem Heer mein Sohn hinaus
Der Iaonen Lande heimzusuchen zog.
So deutlich aber sah ich keinen andern noch
Als in der letztvergangnen Nacht; ich sag ihn dir.
Mir war’s, als säh ich zween schöngewandige
Jungfraun, die eine reichgeschmückt in persischen
Prachtkleidern und im dorischen Kleid die andere,
An Gestalt bei weitem aller Weiber herrlichste,
Fehllos an Schönheit, beide Schwestern eines Stamms;
Als ihre Heimat hatte vordem diese sich
Hellas erloset, jene das Barbarenland.
Die beide glaubt ich nun zu sehn, wie kampfbereit
Sie sich wild entgegenstanden; doch mein Sohn gewahrt’s,
Er hemmt sie, er beruhigt sie, schirrt beide sich
Vor seinen Wagen, und um ihren Nacken liegt
Sein Joch. Die eine hob sich, warf sich im Geschirr,
Doch ließ den Mund sie leicht vom Zügel bändigen;
Unruhig riß die andre, mit empörter Hand
Zertrümmert wild sie seinen Wagen, zügellos
Schleift sie ihn gewaltsam mit sich und zerbricht ihr Joch.
Da stürzt mein Sohn hin; und es steht sein Vater nah,
Dareios, voll Betrübnis; als den Xerxes sieht,
Zerreißt er jammernd sich das Gewand um seinen Leib. –
Bei Nacht im Traume sah ich dies, wie ich’s erzählt.
Drauf als ich aufstand und die Hand mit fließendem
Quellwasser netzte, dann mit gabenreicher Hand
Hintrat zum Altar, um den gefahrabwendenden
Gottheiten fromm zu spenden, deren Amt es ist,
Da sah ich einen Adler fliehn zu Phoibos’ Herd.
O Freunde, lautlos stand ich da in meiner Angst.
Ihm nachgeflogen kommt ein Falk in eilgem Flug,
Schießt auf ihn nieder und zerkratzt mit wilden Klaun
Sein Haupt, das wehrlos in die Flügel eingeschmiegt
Den Leib dahingibt. Schrecken war es mir zu schaun,
Wie euch zu hören; denn ihr wißt, wohl ist mein Sohn,
Wenn alles gut geht, ein bewundrungswürdger Held;
Doch wenn es mißlingt – pflichtig keiner Rechenschaft,
Herrscht er wie vordem, wenn er heimkehrt, seines Reichs.
CHOR
Weder allzusehr bekümmern, Mutter, soll dich unser Wort,
Noch dich unbekümmert machen. Zu den Göttern wende dich,
Bete, daß sie von dir wenden, was du Unheildrohndes sahst,
Daß sie Gutes allgewährend enden dir und deinem Sohn
Und dem Reich und allen Treuen. Und zum andern spende dann
Für die Erde, für die Toten, flehe, daß auch gnadenreich
Dein Gemahl Dareios, den du heute nacht im Traum gesehn,
Gutes dir und deinem Sohne aus den Tiefen send ans Licht,
Doch in die Nacht gebannt das Böse schwinden lasse schattengleich.
So des eignen Sinns Prophete sag ich dir den treusten Rat;
Und daß allseits freudiger Ausgang komme, drauf vertrauen wir.
ATOSSA
Freundlich hast du, erster Deuter meines Traumgesichtes, mir,
Meinem Sohn und meinem Hause wohl den besten Rat gesagt.
So gescheh uns alles Beste. Alles dies, wie du es rätst,
Wird den Göttern und den Lieben, die das Grab deckt, gleich geweiht,
Wenn wir zum Palast zurückgehn. – Aber wissen möcht ich wohl,
Wo in der Welt denn, Freunde, sagt man, daß die Stadt Athenai liegt?
CHOR
Fern im Westen, wo der letzten Abenddämmerung Untergang.
ATOSSA
Und verlangt hat’s meinen Sohn doch, sich zu erjagen diese Stadt?
CHOR
Ja, das ganze Hellas würde dann dem König Untertan.
ATOSSA
So bedeutend ist der eignen Krieger Zahl in ihrem Volk?
CHOR
Eben dieses Heer erschuf schon vieles Leid dem Medervolk.
ATOSSA
Aber sag, was gibt’s noch sonst dort? Ist der Reichtum da zu Haus?
CHOR
Silber quillt in ihrer Berge Adern, recht des Landes Schatz.
ATOSSA
Führt denn ihre Hand der Pfeile senneschwirrenden Bogen auch?
CHOR
Nein, sie tragen hohe Lanzen, und ein Schild bedeckt den Leib.
ATOSSA
Aber wer ist ihr Gebieter und beherrschet Volk und Heer?
CHOR
Keines Mannes Sklaven sind sie, keinem Menschen untertan.
ATOSSA
Wie vermögen dann sie Fremden, die sich als Feinde nahn, zu stehn?
CHOR
Daß sie einst Dareios’ schönes, mächtiges Heer vernichteten.
ATOSSA
Traurig Wort, das wohl die Mutter an den fernen Sohn gemahnt.
CHOR
Doch ich glaube, bald erfährst du alle Nachricht ganz genau,
Denn der Mann dort, wie er daherläuft, zeigt’s den Persern deutlich an,
Und er bringt uns sicher Neues, mag es gut sein oder schlimm.
Ein Bote kommt
BOTE
Weh euch, ihr Städte aller Lande Asias!
Weh, Perserland, dir, alles Reichtums stolzer Port!
Wie hat hinweg ein Schlag der Schätze Pracht gerafft!
Dahingesunken ist die Blüte Persiens!
Ach! Traurig Amt, der Trauer erster Bote sein!
Und doch, die Not will’s, Perser, daß ich alles Leid
Auffalte; umkam, weh! der Barbaren ganzes Heer!
Erste Strophe
CHOR
Gräßliches, gräßliches Weh!
Entsetzliches, unselges Weh uns!
O weinet, weinet, Perser, da ihr solches Leid hört.
BOTE
Und all das Unsre, gar und ganz ist’s nun dahin;
Mir selbst erscheint der Tag der Heimkehr unverhofft!
Erste Gegenstrophe
CHOR
Ach, uns währte zu lang
Dies Leben, das solch unermeßlich,
Solch maßloses Leid uns, den Ergreisten, aufspart.
BOTE
Und als ein Augenzeuge, nicht auf fremdes Wort
Bericht ich euch, o Perser, was wir duldeten.
Zweite Strophe
CHOR
Weh! Umsonst, umsonst entsandte
Asias weites Reich
Sein zahlloses Geschoß und Rüstung dir, du siegendes Hellas!
BOTE
Gefüllt mit Leichen elend Umgekommener
Ist Salamis’ Felsstrand, sind die Ufer rings umher.
Zweite Gegenstrophe
CHOR
Weh! Die teuren Leichen, sagst du,
Treiben in brandender See,
Tot, durchfeuchtet, ein Spiel der Wellen, tot von Ufer zu Ufer!
BOTE
Da half uns Pfeil und Bogen nichts, das ganze Heer
Kam um, im Angriff seiner Flotten übermannt.
Dritte Strophe
CHOR
So schrei dem Feind dein Wehgeschrei des Abscheus gramgetränkt,
Weil allunselig alles uns,
Ach! mit des Heers Untergang dahinsank!
BOTE
O Salamis, schnöder, allverhaßter Name mir!
Und du, Athen, laut jammr ich, wenn ich dein gedenk!
Dritte Gegenstrophe
CHOR
Athen, du Abscheu, deinen Feinden bleibt’s tief eingeprägt,
Wie gar viel Perserinnen du
Beugetest, nun gattenlos und kindlos!
ATOSSA
Schon lange schweig ich Arme, durch der Leiden Last
Betäubt; denn weit ragt über jedes Wort hinaus
Dies unbeschreibbar, unerfragbar schwere Los.
Und doch, es muß sein Leiden, das ein Gott verhing,
Der Mensch ertragen. Drum enthüll uns alles nur;
Und ob vor Gram du seufzest, dennoch sprich gefaßt:
Sag, wer ist nicht tot? Wen beweinen wir noch sonst
Der teuren Fürsten, der, mit dem Feldherrnstab belehnt,
Hinsinkend seine leeren Reihn ohn Führer ließ?
BOTE
Xerxes vor allen lebt und schaut der Sonne Licht.
ATOSSA
Dem Haus der Meinen hast du ein großes Licht genannt,
Ein sonnenhelles Morgenlicht nach dunkler Nacht.
BOTE
Doch Artembares, der Reutermyriadenfürst,
Er treibt am öden Klippenstrand Silenia.
Den Chiliarchen Dadakes, durchbohrt vom Speer,
Sah ich behend hinstürzen in die dunkle Flut.
Der hochgeborne Baktrerfeldherr Tenagon,
Ihn spült die Brandung auf und ab an Aias’ Strand.
Lilaios und Argestes und Oarsames,
Die drei zerschmettern in des taubennährenden
Eilandes Strömung ihre Stirn am Felsenriff.
Und fern vom Quell des Niles der Ägyptier
Arkteus, Adeues und der schildgewappnete
Pharnuchos, aus demselben Schiffe stürzten sie.
Der Chryser Myriadenführer Matallos,
Der Fürst der drei Myriaden schwarzer Ritterschaft,
Er färbte seinen dichtgelockten, schattigen,
Goldfarbigen Kinnbart mit des Blutes Purpurrot.
Der Mager Arabos und der Baktrer Artames
Liegt dort im rauhen Boden ärmlich eingewohnt,
Dort auch Amistres und Amphistreus, der den Speer
Toddräuend schwang, dort Ariomardos, dessen Tod
Sardes beweinet, dort der Mysier Saisames.
Tharybis, der fünfmalfünfzig Segel Admiral,
Von Geschlecht Lyrnaier, an Gestalt vor allen schön,
Nicht weich gebettet ruhet jetzt des Armen Haupt.
Syennesis auch, der freie Fürst Kilikiens,
An Mut der Erste, der allein schon größte Not
Den Feinden schaffte, rühmlich sank auch der dahin.
Nur diese Feldherrn hab ich dir genannt in Eil;
Es ist des unzählbaren Leides kleinster Teil.
ATOSSA
Weh mir, der Leiden höchstes hab ich nun gehört,
Die Schmach der Perser, ärgstes, laut beklagtes Weh!
Doch sag mir das noch, wiederum zurückgewandt,
Wie groß der Griechenschiffe Zahl zum Kampfe war,
Daß sie sich erkühnten, mit dem Perserheer den Kampf
Im kecken Angriff anzufangen, wie du sagst.
BOTE
Gewiß der Zahl nach mußten wohl die Flotten der
Barbaren siegen; denn es war hellenischerseits
Die ganze Zahl der Schiffe zehnmal dreißig, und
Ein Geschwader noch von zehn erlesnen außerdem.
Doch Xerxes hatte, wie ich es selbst sah, eine Macht
Von tausend Segeln, drunter wegen Schnelligkeit
Vor allen wert zweihundertsieben. So die Zahl.
Du glaubst bezwungen uns doch nicht in jenem Kampf?
Es hat ein Dämon alles Heer hinweggetilgt,
Der unsre Schale sinken ließ ungleichen Glücks.
Die Götter retten selbst der Göttin Pallas Stadt.
ATOSSA
So steht der Athenaier Stadt noch unzerstört?
BOTE
Der Mut des Volkes schützt sie, eine feste Burg.
ATOSSA
Sag, welcher Anfang ward den Schiffen zum Gefecht?
Wer fing den Kampf, fing ihn der Hellenen kühne Schar,
Mein Sohn ihn an, vertrauend auf der Schiffe Zahl?
BOTE
Anhub, o Herrin, alles Weh ein rächender,
Erzürnter Dämon, der woher auch je erschien.
Denn ein hellenischer Mann vom Athenäervolk
Kam hin und sagte deinem Sohne Xerxes an,
Sobald das Dunkel rings der schwarzen Nacht genaht,
Nicht bleiben würden dann die Hellenen, würden schnell
An Bord versammelt, andre je auf andrem Weg,
In geheimer Flucht erretten ihres Lebens Heil.
Kaum daß er dies vernommen, arglos bei der List
Des fremden Mannes und dem Neid der Ewigen,
Gebeut er seinen Admiralen allzumal,
Sobald der glühnden Sonne zündend Abendlicht
Hinab sich taucht und Dunkel den Hain der Luft erfüllt,
Soll sich das Schiffsgeschwader in drei Zeilen reihn
Und jeden Ausweg hüten, jede Flucht zur See,
Dann andre rings um Aias’ Insel ziehn im Kreis,
Daß, wenn die Griechen ihrem bösen Los entfliehn
Und heimlich Ausgang irgendwo sich noch erspähn,
Es allen dennoch Leib und Leben kostete.
So sprach der König gar zu hochgemuten Sinns;
Was ihm bevorstand von den Göttern, wußt er nicht.
Denn jene, wohl gescharet, gewärtig des Befehls,
Bereiten erst das Mahl sich, und der Rudersmann,
Einbindet er sein Ruder an das Ruderholz.
Als dann der Sonne letzter Strahl erloschen war
Und Nacht heraufstieg, ging ein jeder Ruderer
Und jeder, wer nur Wehr und Waffe trug, an Bord.
Zurufen Schar um Scharen sich von Schiff zu Schiff,
Sie fahren jeder, wo ihm Ort und Fahrt bestimmt;
Die ganze Nacht durch ordnen, durch die Bai verteilt,
Der Schiffe Führer des Geschwaders ganze Macht.
Die Nacht verging, und wahrlich, der Hellenen Heer,
Es hatte nirgend heimliche Flucht sich ausgespürt.
Als drauf mit seines Wagens Lichtgespann der Tag
Die ganze Meerbucht sonnenhell beleuchtete,
Da schallet’ fernher von den Hellenen freudiger
Gesang herüber, und das Kriegslied jauchzt’ zurück
Des felsgen Eilands tausendstimmiger Widerhall.
Furcht überschlich jetzt uns Barbaren allzumal,
Die wir getäuscht uns sahn; denn nicht, um nur zu fliehn,
Erhoben die Hellenen ihren Kriegsgesang;
Sie sangen, sich in den Kampf zu stürzen frohen Muts;
Trompeten flammten schmetternd, allanfeuernd drein,
Und rings mit rauschendem, wechselhastgem Ruderschlag
Ward schäumend die Flut geschlagen nach der Lotsen Ruf.
Und plötzlich waren alle nah vor unserm Blick.
Des Geschwaders Linie führte festgeschlossen an
Der rechte Flügel; nach ihm kam der ganze Zug
Heraufgefahren; rufen hörte man zugleich
Vielfache Stimmen: »Auf, o Hellas’ Söhne, kommt!
Das Vaterland befreit, befreiet Weib und Kind,
Befreit der heimatlichen Götter teuren Sitz,
Der Väter Gräber! Jetzt um alles kämpfen wir!«
Und auch von uns her rauschte laut ein persisches
Geschrei entgegen; nicht zu säumen war es Zeit.
Da schlug mit Krachen Schiff in Schiff den bohrenden
Erzschnabel; anfing ein hellenisch Schiff die Schlacht,
Riß einem Tyrier allen Schmuck vom Steuerbord.
Zwar widerstand anfangs der Perserflotte Wald,
Doch als die Unzahl unsrer Segel in des Meers
Engfahrt sich trieb, war keiner keinem mehr zu Schutz,
Und wechselseitig mit der eisernen Schnäbel Stoß
Zerschlugen, zerschmetterten sie sich der Ruder Doppelreihn.
Der Griechen Schiffe drangen klug berechnet nach,
Sie prallten ringsher gegen uns, jäh stürzten um
Der Schiffe Bäuche, nicht zu sehn mehr war die See,
Mit Wrack und Scheiter und mit Leichen überdeckt,
Bedeckt mit Leichen Klippen und Gestad umher.
In wilder Flucht fortrudernd eilte sich jedes Schiff,
Soviel noch übrig waren vom Barbarenheer.
Doch gleich wie auf Thunfische oder auf ein Volk
Von ziehenden Fischen schlugen, stießen, schleuderten
Sie zerbrochne Ruder und Gebälk; dazu erfüllt’
Die weite See Wehklage rings und Angstgeschrei,
Bis daß dahin sie nahm der dunkle Blick der Nacht. –
Und doch, das Unmaß unsres Leides, spräch ich auch
Zehn ganzer Tage, dennoch nicht erschöpft ich es;
Denn wiß es wohl, daß nimmer noch an einem Tag
Von Menschen so zahllose Zahl dem Tod erlag.
ATOSSA
Weh uns! Hereinbricht ein entsetzlich Meer des Grams,
Uns Persern und den Völkern Asiens allzumal.
BOTE
Und wisse, noch ist nicht das halbe Maß erschöpft,
So vielen Leides Überlast brach auf sie ein,
Daß wohl es zwiefach das Gesagte überwiegt.
ATOSSA
Und welches Unheil könnte noch unselger sein?
Sag, welch ein neues Leiden noch des Heers du meinst,
Das meines Mutes sinkende Waage traurig füllt?
BOTE
Soviel der Perser blühten in der Jugend Kraft,
An Mut die kühnsten, an Geschlecht die herrlichsten,
Allzeit die allertreusten unserm Könige,
Sie raffte schmachvoll jammerreichster Tod dahin!
ATOSSA
O mein Verhängnis! Weh mir Unglückseligen!
Und wie geschah es, daß der Tod sie uns entriß?
BOTE
Es hegt ein Eiland nah dem Gestad von Salamis,
Klein, schwer zur Landung, wo der reigenliebende Pan
Gern weilt und wandelt längs dem stillen Klippenstrand.
Dorthin beschied sie Xerxes, daß, sobald der Feind,
Beraubt der Schiffe, sich zum Ufer rettete,
Sie leichten Spiels erschlügen alles Griechenvolk,
Den Unsern aber hülfen aus der Gefahr der See –
Der eignen Zukunft schlecht bedacht; denn als ein Gott
Den Griechen gab zu siegen in der Schiffe Kampf,
Geschah’s desselbgen Tages, daß Gewappnete
In eherner Rüstung aus den Schiffen sprangen. Sie
Umzogen dann die Insel rings und fanden nicht
Den Ort zum Angriff, da die hinabgeschleuderten
Felsstücke niederrissen und von der Bogen Schnur
Zahllose Pfeile niederschwirrend mordeten.
Jedoch zuletzt, aus einer Schlucht hinangestürmt,
Zerschlagen, zerfleischen sie der Beschlichnen Leiber, bis
Den Armen allen aller Lebenshauch entflohn.
Laut schrie da Xerxes, als er dies endlose Weh
Ansah; denn weithin überschauend alles Heer,
Saß er am Strand, auf hoher Düne hochgethront;
Sein Kleid zerriß er, schrie in hellem Jammer auf,
Erließ der Landmacht eilig noch den Heerbefehl
Und floh in ordnungsloser Flucht. – Das ist der Gram,
Drum dir zu seufzen noch zum frühern Leide kam.
ATOSSA
Verhaßter Dämon, wie betörtest du des Sinns
Die Perser! Arg vertauschte meinem Sohne sich
Die Rache für Athenais Stolz; noch gnügte nicht,
Was von den Barbaren Marathon hinweggerafft;
Mein Sohn gedachte jetzt zu rächen ihren Tod
Und zog auf sein Haupt dieses Jammers Übermaß.
Doch sag, die Schiffe, die dem Untergang entflohn,
Wo hast du sie gelassen? Weißt du’s? Sag’s genau!
BOTE
Der wenigen Schiffe Führer, die der Kampf verschont,
Ergaben ordnungslos der Flucht, den Winden sich.
Die andern Scharen wurden im Böoterland
Vernichtet. Teils am sprudelhellen Wiesenquell
Vor Durst verkommend, teils erschöpft und atemlos,
Entflohn wir weiter zum Gebiet der Phokier,
Zum Lande Doris, zum Merlina-Busen, wo
Spercheios mit gewogner Woge netzt die Au;
Von dort zum Lande Achaia und der Thessaler
Feldstädte, die uns, ganz von Speis und Trank entblößt,
Aufnahmen; dort nun starben uns Unzählige
Vor Durst und Hunger, denn vereint war beides da.
Ins Land Magnesia ging es dann, drauf ins Gebiet
Der Makedoner und zur Furt des Axios,
Durch Bolbes’ sumpfigen Röhricht, zum Pangaios-Berg,
Ins Land Edonis. Doch in dieser Nacht verhing
Ein Gott zur Unzeit Winterfrost, es starrt’ in Eis
Des heilgen Strymon breites Bett; und wer zuvor
Die Götter nie geglaubet hatte, flehte jetzt
In banger Andacht, betete Erd und Himmel an.
Sobald geendet sein inbrünstiges Gebet
Das Heer, so eilt’s eisüberfrorne Furten hindurch;
Und wer von uns, eh seine Strahlen heiß der Gott
Aussandte, durchkam, der erhielt sein Leben dort.
Denn glühnden Blicks durchdrang der Sonne leuchtend Aug
Des Eises Decke, schmolz sie fort mit hastger Glut;
Da stürzte alles durcheinander; glücklich war,
Wem je am schnellsten seines Odems Kraft erstarb.
Wie viele dorther übrig und gerettet sind,
Die sind durch Thrake kaum mit unsagbarer Not
Hindurchgedrungen, nahn sich, eine kleine Zahl,
Dem Land der Heimat, also daß die Perserstadt
In bittrer Sehnsucht nach der teuren Jugend seufzt.
Das ist die Wahrheit; aber noch verschwieg ich viel
Des Leides, das den Persern auferlegt ein Gott.
CHOR
O unentfliehbar arger Dämon, allzu schwer
Tratst du mit empörtem Fuß zu Boden Persis’ Volk.
ATOSSA
O weh mir Unglückseigen, daß mein Volk vertilgt!
Du klar geschautes Traumgesicht der bangen Nacht,
Wie allzu deutlich offenbartest du mir Gram!
Ihr aber hattet meinen Traum mir schlecht erkannt.
Und dennoch will ich, weil sich hierin euer Rat
Bewährt, zum ersten uns der Götter Gnad erflehn,
Sodann den Toten und der Erde fromme Gab,
Aus unserm Palast Opferbrote bringend, nahn;
Zwar für ein Leid, das nun vollbracht, ich weiß es wohl,
Doch für die Zukunft, ob es besser werden mag.
Ihr aber müsset uns in solcher trüben Zeit
Als treue Freunde gönnen euren treuen Rat.
Doch meinen Sohn, wenn er sich vor mir nahete,
Begrüßt und tröstet und geleitet zum Palast,
Daß nicht zum Leide neues Leid sich häufen mag.
Ab mit dem Boten und Gefolge
CHORFÜHRER
Allherrschender Zeus, nun hast du hinweg
Das unzählige stolz hinziehende Volk
Der Perser getilgt,
Hast Susa nun und Ekbatanas Burg
Mit den Schatten des Grames umnachtet.
Wohl manche zerreißt mit der rosigen Hand
Sich den Schleier und weint,
Und der weinende Blick netzt Busen und Schoß,
Denn auch sie hat teil ja des Grames.
Und die Persierinnen, die süßklagenden,
Die es nach dem Gemahl, dem sie kaum sich vermählt,
Nach dem Schlummer der duftigen Teppiche sehnt,
Nach der Jugend Genuß, der verlorenen Lust,
Im unsäglichen Gram wehklagen sie laut. –
Auch uns sei drum der Gefallenen Los,
Das betrauerte, würdig gefeiert.
Erste Strophe
CHOR
Nun seufzt die ganze Asia, daß so sie verödet weit und breit,
Ach, Xerxes führte sie hinab!
Ach, Xerxes führte sie ins Grab!
Ach, Xerxes schuf mit seinen stolzen Meerschiffen all dies Leiden uns!
Warum war Dareios so seinem Volke sonder Gram,
Kühn ein König des Bogens,
Susas teurer Gebieter?
Erste Gegenstrophe
Das Heer zu Land, das Heer zur See, gleichrudrig flügelschwingende
Meerschiffe trugen sie hinab!
Meerschiffe trugen sie ins Grab!
Meerschiffe, fort zur Schlacht des Untergangs in der Ioner blutge Hand;
Kaum der König selber ist dort, wie wir gehört, entflohn,
Über thrakische Heiden
Auf den Straßen des Winters.
Zweite Strophe
Aber die ersten des Todes – oh!
Welche dort ihr Geschick ließ – weh!
Am Kychreiagestade – weh uns!
Fault ihr Leib nun! O weint, o wehklaget, zum Himmel aufschreit
Im tiefsten Gram! Wehe! Wehe! Weh uns!
Lasset das wilde, schmerzhelle Weh weit und weiter hallen!
Zweite Gegenstrophe
Treibend in einsamer See – oh!
Nagt sie zuckend die stumme Brut – weh!
Der allauteren Woge! Weh uns!
Einsam klagt um den Herrn das Haus, kinderverwaiste Eltern
Im tiefsten Gram. Wehe! Wehe! Weh uns!
Klagende Greise wir haben alljedes Weh erfahren!
Dritte Strophe
Asias Völker gehorchen
Fürder der persischen Macht nicht,
Fürder dem persischen Schoß nicht,
Knechtend dem Zwange der Herrschaft;
Nicht mehr beten im Staub sie
Schweigend an, da des Königs
Zwingende Kraft dahinsank.
Dritte Gegenstrophe
Fürder auch hütet der Menschen
Rede sich nicht, da zu freiem
Worte sich frei nun das Volk fühlt,
Weil der Gewalt es sich frei fühlt,
Denn ein blutig Gefilde,
Denn die Insel des Aias
Deckt, was Persien einst war!
Atossa, ohne den königlichen Schmuck, tritt auf; wenige Dienerinnen, die Krüge und Schalen tragen, folgen
ATOSSA
Ihr Freunde, wer des Grames nasse Pfade kennt,
Der weiß es, wie den Menschen, wann des Mißgeschicks
Sturzwelle einbricht, alles Furcht zu wecken liebt,
Doch wenn das Schicksal sanfter flutet, jeglicher
Fortan sich gleiche, frohe Fahrt hofft bis zum Ziel,
Auch mir erscheinet alles jetzt erfüllt mit Furcht;
Mein Auge sieht Aufruhr der Götter überall,
In meinem Ohr gellt’s, aber nicht wie Siegesruf;
So quält und ängstigt dieses Herz der Leiden Furcht.
Drum bin ich wieder diesen Weg – nicht wie zuvor
Im Glanz der Hoheit, nicht im goldnen Wagensitz –
Zurückgekommen, fromm dem Vater meines Sohns
Aufs Grab zu gießen je der liebsten Spende Guß:
Von junger, unberührter Kuh weißlautre Milch,
Der Blumenschaffnerin Biene tröpfelnd hellen Seim,
Dazu der jungfräulichen Quelle kühlen Trunk,
Und unvermischt, wie einst der wilden Mutter er
Entsprang, der alten Rebe glühenden Purpursaft;
Dann auch des stillen, ewig blättergrünenden
Laubdunklen Ölbaums milde, duftigsüße Frucht,
Und bunte Blumen, Kinder der verjüngten Au. –
Nun, Freunde, singt denn euer feiernd Totenlied
Zu meiner Totenspende, rufet mir empor
Den hehren Geist Dareios’, während ich mit Fleiß
Den Göttern jenseits gieße meiner Spende Gruß.
Atossa geht zu dem folgenden Gesang zum Grab des Dareios; die Dienerinnen folgen
CHOR
Du, Persias Stolz, hehre Gebieterin,
Du spende den Gruß in der Toten Gemach;
Wir wollen dazu mit Gesang laut flehn,
Daß gnädig uns sei’n
Die Geieiter der Toten im Hades.
Ihr heiligen Grabgottheiten zumal,
Hermes, Gaia, du der Unteren Fürst,
O sendet den Geist nun empor an das Licht;
Denn weiß er dem Land je Rettung noch,
Er allein nennt’s uns, wie es endet.
Erste Strophe
Hörest du mich, seliger Geist, hörest du, gottähnlicher König,
Wie ich in Trauer hinabsende zu dir den lautjammernd hallenden Totenruf?
Schmerzliches Geschrei
Will ich zu dir schrein,
Drunten, hörest du uns wohl?
Erste Gegenstrophe
Gaia und ihr anderen grabwaltenden Gottheiten, empor laßt,
Mir von den Tiefen emporsteigen den hehren Geist, Persias Susageborenen Gott,
Schickt ihn mir empor,
Dessengleichen
Noch kein persisches Grab barg.
Zweite Strophe
Teueres Haupt, teueres Grab! Ach, du verbirgst ein teures Kleinod!
Aidoneus, so geleit du ihn aufwärts,
Aidoneus, unsern herrlichen Herrn Dareianas! Oh!
Zweite Gegenstrophe
Nimmer in feindtilgenden Feldschlachten verdarb er unser Kriegsheer,
Gottes Liebling, so benannte sein Volk ihn,
Gottes Liebling war er, so herrlich er unser Heer führte! Oh!
Dritte Strophe
O Bal, alter Hort,
O Bal, nahe dich, nah!
Steige zu deines Grabes Steinmal!
In der Goldsohle, dem Goldband der Sandale,
Mit der Königstiara
Um die Stirn erscheine!
Nahe dich, Vater Dareios, du Schuldreiner! Oh!
Dritte Gegenstrophe
Daß neu Leid du selbst,
Unsagbares Leid,
König der Könige, hörst, erscheine!
Und der Styx Nebel erhebt schon sich, umhüllt mich!
In den Tod, Herr, vernichtet
Ist die Jugend Persias!
Nahe dich, Vater Dareios, du Schuldreiner! Oh!
Epode
O du, o du, o du,
Ewig den Deinen im Tode beweint!
Was denn ist’s, daß so gewaltig, so gewaltig zu dir,
Dir in Not, dir im Tod ringsher dein Reich
Maßlos wehklagt?
Hinsank all sein stolzrudernd
Nun verlorenes, verlorenes Geschwader! –
Der Geist des Dareios steigt empor, angetan wie der Chor ihn geschildert
DAREIOS
Ihr, meiner Treuen Treuste, Persias Älteste,
Gefährten meiner Jugend, was geschah dem Reich?
Es jammert, schlägt sich, reißt sich blutig alles Land;
Und hier am Grabe spenden mein Gemahl zu sehn,
Mich macht es bang; doch folgt ich willig ihrem Ruf.
Ihr aber wehklagt, dicht um meine Gruft gedrängt,
Ihr wecktet mich, ihr rieft mit schattenbannendem
Gesange gramvoll meinen Geist und wisset doch,
Wie traurig aufwärts aller Weg und wie so schnell
Die Götter jenseits fassen, doch freilassen nie.
Selbst über jene machtgewaltig noch, erschien
Ich eilig, eh des Säumens Vorwurf mich ereilt. –
Welch neues Weh, sprecht Perser, ward euch auferlegt?
Der Chor wirft sich in den Staub
CHOR
Mir verbeut, Herr, deinen Anblick,
Mir verbeut, Herr, wo du nah bist,
Zu sprechen die alte Ehrfurcht.
DAREIOS
Doch da ich empor von jenseits deinem Ruf zu folgen kam,
So berichte nun und sag mir alles treu, was euch geschah,
Nicht in weiter Rede, sondern kurz gedrängt und ohne Scheu.
CHOR
Doch mich scheut’s, dir zu verhehlen,
Und mich scheut’s, dir zu erzählen,
Was dem Freund zu sagen unsagbar.
DAREIOS
Hält denn so die alte Ehrfurcht deines Sinnes dich gebannt,
Du, Genossin meines Lagers, greises, hochgebornes Weib,
Wolle du denn, deine Tränen, deinen Schmerz beschwichtigend,
Deutlich mir erzählen. Menschlich Leid betrifft den Menschen leicht.
Vieles Unheil wird im Meeres-, vieles auch im Erdenschoß
Reif dem Menschen, wenn zu lang sein überlebend Leben währt.
ATOSSA
Du vor aller Menschen Lose durch ein schönstes Los beglückt,
Daß, solange dich der Sonne Blick geschaut, du neidenswert
Friedenselge Tage lebtest, einem Gott gleich deinem Volk,
Doppelt wohl dir, daß du starbest, eh du den tiefsten Fall gesehn;
Denn, Dareios, allen Jammer sage dir ein kleines Wort:
Nieder im Staub liegt Persis’ Hoheit allzerstört. Du weißt es jetzt.
DAREIOS
Wie geschah’s? Kam Todesschauer, kam Empörung über euch;
ATOSSA
Pest und Streit nicht – um Athen war’s, daß dahinsank unser Heer.
DAREIOS
Wer von meinen Söhnen führte dorthinaus die Völker; Sprich!
ATOSSA
’s war der kühne Xerxes; alles Land der Feste leert’ er aus.
DAREIOS
Hat mit Landmacht oder Seemacht diese Torheit er gewagt?
ATOSSA
Beides; doppelt Stirn und Antlitz bot des Heeres Doppelzug.
DAREIOS
Aber wie konnt auch das Landheer wagen einen Übergang?
ATOSSA
Brücken ließ er über Hellas’ Fluten jochen seinem Heer.
DAREIOS
Und vollbracht es und verschloß so dort den mächtgen Bosporos;
ATOSSA
Also ist’s; doch seinem Sinnen hat ein Dämon sich gesellt.
DAREIOS
Weh, gesellt ein großer Dämon, der ihm verwirrte allen Rat!
ATOSSA
Ja, der Ausgang lehrt es jetzt, wie bitter ihm’s vollendet ward!
DAREIOS
Was geschah denn, was betraf sie, daß bejammern ihr sie müßt?
ATOSSA
Seine Flotte riß die Landmacht mit in den Untergang hinab.
DAREIOS
Gar und ganz hat so des Feindes Lanze nun sein Heer vertilgt?
ATOSSA
Susa nun sieht tot und öde seine Straßen, seufzet laut …
DAREIOS
Götter, nein! Solch herrlich Kriegsheer, solch ein königlich Geleit!
ATOSSA
Und der Baktrer ganzes Volk fiel, greisem Alter jeder fern.
DAREIOS
O des Grames! Welche Jugend, welche Kriegsmacht sank dahin!
ATOSSA
Einzig Xerxes sei vereinsamt, heißt es, noch mit wenigen.
DAREIOS
Wo und wie geendet hat er? Gibt es Rettung? Welche; Sprich!
ATOSSA
Glücklich kam er selbst zur Brücke, welche Land und Land vereint.
DAREIOS
Und zurück in seine Lande rettet’ er sich? Ist’s gewiß?
ATOSSA
Ja, es sagt so ein Bericht uns, Widerspruch ist nicht darin.
DAREIOS
Wehe! Eilig kam Erfüllung aller Sprüche; meinem Sohn
Schleuderte Zeus der Gottverheißung Ende zu! Wohl glaubt ich einst,
Fern in ferner Zeit vollenden würde sie der Götter Rat;
Aber wer sie selbst sich zeitigt, dem gesellt sich schnell der Gott.
Aufgefunden all den Meinen scheint der Quell des Grames jetzt,
Aber nicht mein Sohn erkennt es, jugendlichen Stolzes voll,
Der den heilgen Hellespontos einem Knecht gleich kettenhaft
Wähnte zu umfahn, den mächtgen Bosporos, des Gottes Strom,
Der den Weg des Meeres umschuf und, mit der Fesseln Eisenlast
Ihn umgürtend, weite Straße seinem weiten Heere schuf,
Der, ein Mensch, die Götter alle glaubte, bösen Wahns betört,
Und Poseidon selbst zu zwingen. War’s denn möglich, trieb ihn blind
Nicht des Wahnsinns Geist; Ich fürchte, meines Reichtums viele Müh
Wird zum schnöden Raube jedem, der danach zu greifen eilt.
ATOSSA
Dazu ward durch böser Männer bösen Rat dein kühner Sohn
Irrgeleitet; denn sie sprachen: Großen Reichtum hättest du
Sonst im Spiel des Kriegs gewonnen, während er mutlos daheim
Kriege spiele, nicht das Erbteil mehre, das er einst empfing.
Hören mußt er diesen Vorwurf böser Männer viel und oft,
Drum beschloß er jenen Feldzug, gegen Hellas auszuziehn.
DAREIOS
Also zu Ende hat denn er das Wort gebracht,
Das größte, unvergeßliche, dessengleichen noch
Niemals die Feste Susa so verödet hat,
Seit Zeus, der Herrscher, dieses Amt verordnete,
Daß über Asias herdenreiche Lande stets
Ein König richte, mit dem Stab der Macht belehnt.
Denn Medos war der erste Führer unsres Volks,
Doch dessen Sohn erst schuf des großen Werkes Schluß;
Der hehren Weisheit Steuer lenkte seinen Mut.
Der dritte nach ihm, Kyros’ allglückselge Kraft,
Gab, da er herrschte, Frieden allem seinem Volk,
Gewann der Lyder und der Phrygier reiches Land
Und unterwarf sich ganz Ionia mit Gewalt.
Denn weil er mild war, zürnte nicht auf ihn der Gott.
Des Kyros Sohn dann war der Perser vierter Fürst.
Der fünfte Mardos, seines Vaterlandes Schmach
Und seines angestammten Throns. Ihn mordete
Mit List der edle Ataphernes im Palast
Mit treuen Männern, denen zufiel diese Pflicht.
Für mich entschied das Los sich, das ich viel gewünscht,
Und rüstig focht ich vieles aus mit meinem Volk;
Solch Leiden aber schafft ich nimmermehr dem Reich.
Doch meinen Sohn Xerxes betörte Jugendlust
Zu Jugendtorheit; nicht gedacht er fürder noch
An mein Vermächtnis. Ihr, Genossen einst, bezeugt’s:
Von allen Fürsten, die wir beherrscht die Persermacht,
Hat keiner soviel Elend auf sein Volk gebracht.
CHOR
Doch nun? O Fürst Dareios, wohin wendest du
Des Wortes Ausgang, wie am besten retten denn
Wir persisch Volk uns jetzt vor diesem Leiden noch?
DAREIOS
Wenn nun und nimmer ihr gen Hellas’ Täler zieht,
Und wär an Zahl noch größer euer medisch Heer;
Denn ihrer Heimat Erde kämpft für sie im Bund.
CHOR
Wie sagst du dies Wort? Wie verbündet kämpft das Land?
DAREIOS
Es schlägt mit Hunger all die Allzutrotzenden.
CHOR
Doch schickten wir ein mächtges wohlversehnes Heer …
DAREIOS
Selbst aber das Heer, das in Hellas’ Feldern jetzt
Noch weilt, der Rückkehr frohen Tag erblickt es nie.
CHOR
Wie sagst du? Zieht denn nicht der Perser ganze Macht,
Heimkehrend aus Europa, über Hellas’ Furt?
DAREIOS
Von vielen wenige, wenn den Göttersprüchen man,
Die traurig dartun dies Geschick der Gegenwart,
Darf traun; und nicht geschieht das eine, andres nicht.
Und wenn es so ist, einen besten Teil des Heers,
Auf leere Hoffnung trauend, läßt er dann zurück;
Sie bleiben, wo die Ebene rings Asopos’ Flut,
Die liebe Tränkung des Böoterlandes, netzt,
Wo aller Leiden schwerster Schlag noch ihrer harrt,
Der Lohn des Hochmuts und der Gotteslästerung,
Die in Hellas nicht sich scheuten, Götterbilder frech
Zu plündern, Göttertempel zu verbrennen. Ja,
Altäre sind verschollen, ewger Götter Sitz
Ruchlos von Grund aus umgestürzt und umgewühlt.
Drum müssen gleiches, die so übel taten, jetzt
Erwarten und erdulden; noch ist nicht ihr Kelch
Erschöpft; es bleibt noch eine Neige bittrer Schuld.
Das wird der heilge Opferguß des Perserbluts
Vom Speer der Dorer auf Plataias Felde sein.
Und Totenhügel werden spät den Enkeln bis
Ins dritte Glied noch stummberedte Zeugen sein,
Daß nicht zu hoch sich heben soll des Menschen Stolz.
Hochmut nach kurzer Blüte setzt die Ähre an
Der Schuld, die bald zu tränenreicher Ernte reift.
Die jetzt ihr diese Strafe blinden Stolzes saht,
Gedenkt an Hellas, an Athenai, hütet euch,
Der Gegenwart Genuß verschmähend, fernen Glücks
Begierig, umzustürzen eignes, größres Glück.
Zeus selbst ist Rächer allzu kühn aufstrebenden
Hochmutes, fordert streng der Taten Rechenschaft.
Darum so lehrt denn ihr, die weise wißt zu sein,
Mit weisem Rate meinen Sohn, von sich zu tun
Des edlen Sinnes gottverworfnen Übermut.
Du aber, greise Mutter, welche Xerxes liebt,
Geh zum Palast, wähl einen Schmuck, der seiner Macht
Geziemt, und eile deinem Sohn entgegen; denn
Im Schmerz des Unglücks riß er zu Fetzen lumpenhaft
Um Brust und Nacken seines Kleides Goldgeweb.
Du, Mutter, mußt ihn freundlich mir besänftigen,
Dich nur, ich weiß es, anzuhören trägt er jetzt.
Ich aber geh von hinnen in des Grabes Nacht;
Lebt wohl, o Greise; ob in Leid auch, dennoch gönnt,
Solang es Tag ist, eurer Seele frohen Mut,
Weil doch den Toten stirbt die Lust an Gold und Gut.
Der Schatten des Königs verschwindet
CHOR
Wieviel des Leides schon erfüllt und noch verhängt
Dem Perservolk ist, hört ich mir zum tiefsten Gram.
ATOSSA
O Dämon, welch ein bittres Leid kam über mich!
Vor allem aber sticht ins Herz mir dieser Gram,
Daß ich die Schande meines Sohns an seinem Leib,
Des zerrissenen Kleides werde sehn, das ihn bedeckt.
Drum eil und hol ich aus dem Palast einen Schmuck
Und gehe, zu begegnen meinem lieben Sohn.
Mein Liebstes will ich nicht verlassen in seiner Not.
Die Königin ab
Erste Strophe
CHOR
Wohl, ein erhabenes, glückliches, städtebeherrschendes Leben erlosten wir, als der Greis König,
Schuldlos, nimmer bewältiget, allen ein Hort,
Gleich wie ein Gott huldreich Dareios herrschte.
Erste Gegenstrophe
Sonst da erschienen wir herrlichsten Heeres berühmt, und es richtete jegliche Stadt des Rechts Ordnung;
Mühlos sonder Gefahr von den Kriegen zurück
Brachte zur Heimat glücklich baldige Heimkehr.
Zweite Strophe
Wieviel Städte gewann er und mühte sich nimmer doch über den Halys
Und verließ nie seinen Herd:
Soviel längs dem strymonischen Meer acheloische Städte benachbart
Thrakes Tälern liegen.
Zweite Gegenstrophe
Fern vom Strande die Städte des Landes, die mauerumschloßnen, gehorchten
Willig seinem Machtgebot,
Auch die prangenden rings an der Hella Gestad und die Bucht der Propontis
Und des Pontos Mündung.
Dritte Strophe
Die Eilande, die wogenumrauschten der Vorsee,
Längs den Küsten unsres Landes,
Lesbos, Chios und Samos’ olivenumfriedet Feld,
Mykonos, Paros, Naxos und fast anlehnend an Tenos
Andros’ nah Gestade.
Dritte Gegenstrophe
So auch dienten ihm zwischen der Küste gefüget
Lemnos und Ikarias See,
Rhodos, Knidos, und Kyprias prangende Städte dann,
Paphos, Soloi und Salamis, deren Gründerin jetzt uns alles Grames Schuld ist.
Epode
So auch alle die glücklichen Städte
Rings im Gebiet der Ioner,
Reich von Griechen bewohnt, zwang er nach seinem Sinn;
Ihm zu Gebot war ein mächtiges Heer stets
Kriegswehrhafter
Weither heimischer Krieger.
Doch jetzt dulden wir deutlich ein göttergewandeltes Ende der Kämpfe,
Allgewaltig geschlagen durch des Meeres Unheil!
Pause; dann erscheint Xerxes mit wenigem Gefolge
XERXES
Weh mir!
Unseligster ich, daß so mein Haupt
Dies Los, das verhaßt unerwartete, traf!
So sinnlos wild stürzt’ sich der Dämon
Auf Persias Volk! Wie trag ich es, oh!
Hinschwindet die Kraft mir in Mark und Gebein!
Und seh ich dort die Getreuen des Volks –
Zeus, hätte doch fern mit dem anderen Heer,
Mit den Toten zugleich
Mich begraben des Todes Verhängnis!
CHOR
Weh, weh uns, Herr, um das herrliche Heer,
Um der Persergewalt allherrlichen Ruhm,
Um die Blume des Volks,