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Als die amerikanische Regierung die Besiedelung Oklahomas freigibt, versammeln sich Tausende Menschen an der Grenze zum – wie sie glauben – Gelobten Land, in dem sich eine neue Zukunft würde verwirklichen lassen. Doch unter den Landhungrigen und Abenteurern sind auch skrupellose und brutale Profiteure und Geschäftemacher, die auch vor Mord nicht zurückschrecken, um sich auf Kosten der Hoffnungsvollen und Verzweifelten zu bereichern und ihnen sogar das erhoffte Land abspenstig zu machen.
Unter denen, die an der Grenze warten, bis das Militär den Startschuss gibt, befindet sich auch der Treibherdencowboy Dan Kelly, der ein Stückchen Land am Roten Bach für sich haben möchte, das vor langer Zeit vom Blut seiner Kameraden getränkt wurde. Mit einer kleinen Handvoll Menschen, denen er vertrauen kann, macht sich Kelly auf den Trail. Dort wird sich sein Schicksal erfüllen, denn unter den Profiteuren befinden sich die Verbrecher, die für den Tod seiner Freunde verantwortlich sind …
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Larry Lash
Trail des Todes
nach Oklahoma
Western
Neuausgabe
Copyright © by Authors/Bärenklau Exklusiv
Cover: © by Steve Mayer mit eigenen Motiven von edeebee (KI) mit Bärenklau Exklusiv, 2024
Korrektorat: Falk Nagel
Dieser Roman erschien ursprünglich unter dem Titel »Lockende Ferne«.
Verlag: Bärenklau Exklusiv. Jörg Martin Munsonius (Verleger), Koalabärweg 2, 16727 Bärenklau (OT), Gemeinde Oberkrämer. Kerstin Peschel (Verlegerin), Am Wald 67, 14656 Brieselang
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Inhaltsverzeichnis
Impressum
Das Buch
Trail des Todes nach Oklahoma
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
Der Autor Larry Lash
Eine kleine Auswahl der Western-Romane des Autors Larry Lash
Als die amerikanische Regierung die Besiedelung Oklahomas freigibt, versammeln sich Tausende Menschen an der Grenze zum – wie sie glauben – Gelobten Land, in dem sich eine neue Zukunft würde verwirklichen lassen. Doch unter den Landhungrigen und Abenteurern sind auch skrupellose und brutale Profiteure und Geschäftemacher, die auch vor Mord nicht zurückschrecken, um sich auf Kosten der Hoffnungsvollen und Verzweifelten zu bereichern und ihnen sogar das erhoffte Land abspenstig zu machen. Unter denen, die an der Grenze warten, bis das Militär den Startschuss gibt, befindet sich auch der Treibherdencowboy Dan Kelly, der ein Stückchen Land am Roten Bach für sich haben möchte, das vor langer Zeit vom Blut seiner Kameraden getränkt wurde. Mit einer kleinen Handvoll Menschen, denen er vertrauen kann, macht sich Kelly auf den Trail. Dort wird sich sein Schicksal erfüllen, denn unter den Profiteuren befinden sich die Verbrecher, die für den Tod seiner Freunde verantwortlich sind …
***
Western von Larry Lash
Stichtag war der zweiundzwanzigste April. Mittags um zwölf Uhr sollten die Startschüsse fallen. Jeder wusste es, jeder hatte das Datum und die Stunde, in der Oklahoma den weißen Siedlern eröffnet werden sollte, in sein Gedächtnis eingebrannt.
Aber was wussten schon all die Landhungrigen, die Abenteurer, all diejenigen, die ausgezogen waren, Land, Glück und Reichtum zu erobern, von Oklahoma? Was wussten sie schon von den vielen Indianerstämmen, die Oklahoma bewohnten, was wussten sie von den Verlorenen, von den roten Söhnen Manitus? »Oklahoma« bedeutete in der Crow-Sprache so viel wie »Land des roten Mannes«. Wer trauerte den Rothäuten schon nach? Wer dachte schon an die Vergangenheit dieses Staates und daran, dass dieses Land für alle Zeiten vertraglich den Indianerstämmen von der Regierung zugesichert worden war?
Die Zukunft hatte begonnen, die Zukunft des weißen Mannes, der sich einen Kontinent erobert hatte. Zu Tausenden näherten sie sich der Grenze.
Unter ihnen befanden sich Menschen aller Berufe und aller Stände. Das Ziel dieser Menschen war es, ein möglichst großes Stück von dem Land Oklahoma für sich zu bekommen. Nur wenige der Leute, die zur Grenze gekommen waren, um am Wettrennen um das Land teilzunehmen, wussten etwas von den berüchtigten Boomer, von jenen hartgesottenen Kerlen, die sich schon seit Jahren im Oklahoma-Territorium festgesetzt hatten. Rücksichtslos hatten sie auf eigene Faust das Land des roten Mannes in Besitz genommen. Das war schon lange Zeit vor dem Datum, an dem die Regierung das Land zur Besiedlung freigab. Nein, nur wenige der hoffnungsfroh herbeiströmenden Menschen wussten, dass Truppenmacht erforderlich sein würde, um die Boomer zu vertreiben. Nur Eingeweihten war bekannt, dass sie trotz der Militärabsperrung auf Schleichwegen in das Land gelangt waren, dass das Land trotz strenger Verbote schon betreten war und dass es um die besten Landstücke blutige Kämpfe geben würde. Die Boomer hatten sich festgesetzt und glaubten, ein Recht auf das vor der Freigabe in Besitz genommene Land zu haben.
Dieses Recht bestand zwar nur in den Köpfen dieser Männer, es war gesetzlich aber nicht verankert. Trotzdem beschloss Dan Kelly sehr wachsam zu sein. Für ihn stand es fest, dass sich auch Boomergruppen unter dem großen Heer der an der Grenze wartenden Menschen befanden, um bei der Landverteilung die Interessen der Boomer wahrzunehmen.
»Du und ich, Silbersporn, wir beide werden auf uns achtgeben«, sagte Dan Kelly zu seinem Pferd, mit dem er staubbedeckt der Grenze entgegentrabte. Dan war kein Greenhorn. Er war einer von denen, die die Grenze vielfach durchritten hatten. Jeder Treibherdencowboy aus Texas kannte das Land, musste es durchreiten, wenn er einer Treibherdenmannschaft angehörte, die Rinder zu den Absatzmärkten nach Kansas brachte. Wie jeder Treibherdencowboy hatte er am eigenen Leibe erfahren, wie die roten Söhne Manitus um ihr Land kämpften. Freunde waren aus den Sätteln gefallen, von Pfeilen durchbohrt oder von Schmetteräxten getroffen. In wilden Kämpfen und Rinderstampeden hatten viele ihr Leben lassen müssen. Ihre Gräber lagen in Oklahoma, in der blutdurchtränkten Erde. Der rotgelbe Staub hatte die Gräber zugeweht, doch Dan Kelly hatte Oklahoma und die Gräber nicht vergessen.
Auch Dan war nur einer unter den vielen Tausenden von Menschen, die zur Grenze unterwegs waren, einer der vielen, die das Wettrennen mitmachen würden. Er hatte ein ganz bestimmtes Stück Land im Auge. In dem Gebiet, das er sich erobern wollte, hatte er ein Holzkreuz über dem Grab seines Freundes Ben in die Erde gerammt. Erinnerungen banden ihn an dieses Land. Es schien ihm, dass dort, wo er als einziger Überlebender nach der Vernichtung der Treibherde übriggeblieben war, ein neuer und guter Anfang zu machen war.
»Go on, Silbersporn«, sagte er ein wenig heiser und mit rauer Stimme zu seinem Pferd, einem stark gebauten, grobknochigen Wallach, dessen Fell wie Silber gleißte. »Doch wir lassen uns Zeit, wir wollen ausgeruht sein, wenn es losgeht. Wir haben uns viel vorgenommen, Silbersporn.«
Dass er mit seinem Pferd redete, bewies, dass er viel allein und in der Wildnis gelebt hatte. Diesen Menschen war es ein Bedürfnis, hin und wieder die eigene Stimme zu hören. Es war eine Angewohnheit, die sich auch dann nicht verlor, wenn viele Menschen in der Nähe waren. Dass wenige Menschen in der Nähe waren, das konnte man allerdings beim besten Willen nicht sagen. Noch nie hatte Dan so etwas wie diese Völkerwanderung gesehen. Nur so konnte man das bezeichnen, wollte man dem gerecht werden, was sich auf die Grenze zubewegte. Heerströme von Menschen waren es. Viele dieser Landhungrigen waren unzureichend ausgerüstet, andere waren durch zu viel Gepäck belastet. Frauen und Kinder waren unter diesen Menschen, in Begleitung und teils auch allein. Es kamen ganze Siedlergemeinschaften, die so dicht gedrängt auf den Leiterwagen hockten, dass sie kaum Platz hatten. Staubverkrustete, schwitzende Fußgänger begegneten ihm, die ihre wenigen Habseligkeiten zu einem Bündel verschnürt hatten und es über die Schulter geworfen trugen. Geschäftemacher, die ihre Waren an der Grenze aufbauen würden, zogen in dem Zug mit.
Dan Kelly erinnerte dieses Treiben an eine riesige, verrückte Prozession, die zu Ehren eines heidnischen Gottes stattfand. Jeder der Teilnehmer drängte, stieß und schubste sich durch. Sie versuchten, einander zu überholen, jeder wollte der erste sein an der Grenze, um einen guten Startplatz zu erwischen.
Ein spitzer Aufschrei zur Linken, dort, wo sich ein natürlicher Graben befand, lenkte Dan Kellys Aufmerksamkeit in diese Richtung. Eine kleine Stauung behinderte ihn in der Sicht. Er hörte Fluchen und Schimpfen und dazwischen das Lachen einer Frau, dann eine laute Stimme:
»Der armen Kreatur ist nicht zu helfen. Findet sich niemand, der eine Kugel opfert?«
»Wir werden unsere Kugeln in drei Tagen, wenn der Startschuss zum Rennen gefallen ist, noch notwendig brauchen«, wurde ihm von jemand anders geantwortet. »Jede Kugel für das Pferd ist Verschwendung! Ziehen wir weiter und lassen wir uns nicht aufhalten!«
Dan nahm seinen Wallach herum. Er handelte instinktiv, ohne dass es einer Überlegung bedurft hätte. Sein schmales, staubbedecktes und verschwitztes Gesicht, in dem dunkle Augen standen, war von harten Strapazen gezeichnet. Seine Wangenknochen standen ein wenig hervor, und die Haut spannte sich darüber wie trockenes Pergamentpapier. Für seine Größe war Dan ein wenig zu hager. Er hatte Ähnlichkeit mit einem Indianerkrieger, der zu lange auf dem »schwarzen Pfad« gewesen war und nun müde und halbverhungert den heimatlichen Jagdgründen zustrebte. Nein, Dan Kelly war kein schöner Mann. Sein trockenes, stoppelbärtiges Gesicht, die dunklen Augen und seine Hagerkeit, all das umschattete ihn und ließ ihn düster auf seine Mitmenschen wirken. Wer ihn anschaute und eingehend betrachtete, verzichtete auf ein Gespräch mit ihm und auf jeden Fall auf seine Begleitung. Er erinnerte zu sehr an einen einsamen Wolf, der auch in diesem Heerzug einsam blieb und es auch so wollte. Dan Kelly strahlte etwas Unnahbares aus.
»Zehn Dollar für das Pferd«, hörte Dan in diesem Moment die Stimme eines stiernackigen Mannes vor sich, der jetzt nur widerwillig Platz machte, um Dan vorbeizulassen.
Nur sekundenlang sahen Dan und der stiernackige Mann sich in die Augen. Dieser kurze Augenblick genügte bereits, um in beiden Männern eine unabdingbare Abneigung wach werden zu lassen. Dan hatte gegen den bulligen, stiernackigen Mann eine solche Abneigung, dass sich seine Augenlider eng zogen und er das Gefühl hatte, als hätte ihn etwas Unangenehmes körperlich berührt.
Das war aber nicht der Fall. Der Mann stand vor seinem Wagen, und neben ihm befanden sich einige von jenem finsteren Gesindel, denen man alles, aber nur nichts Gutes zutrauen konnte.
Zwischen den beiden Männern, zwischen Dan und dem Stiernackigen, war kein Wort gefallen. Der andere war beiseitegetreten und ließ Dan passieren.
Das Gesicht dieses Mannes hatte sich Dan so deutlich eingeprägt, dass er es unter Tausenden herausfinden würde. Das alles war nur möglich, weil es tief im Menschen etwas gibt, was man mit Worten nicht beschreiben kann, das aber vorhanden ist. Nun, Dan machte sich im Augenblick keine weiteren Gedanken um seine Zu- und Abneigungen. Es war nicht Neugier gewesen, was ihn zur Seite zum Graben hatte ausweichen lassen, es war vielmehr das Weinen einer Frau gewesen, die er wenig später erblickte.
Sie hockte am Grabenrand und hatte beide Arme um den Hals einer hochbeinigen, rostbraunen Stute geschlungen, die im Graben lag. Die Läufe des Tieres zuckten kaum noch. Die großen, dunklen Augen der Stute waren rot vor Aufregung, die Nüstern waren weit gebläht und die Ohren steil aufgestellt. Das Mädchen – vielleicht war es auch eine Frau – hatte mit den Armen den Hals des Tieres umfasst und presste das Gesicht fest an den Pferdehals. Sie war es, die den Schrei ausgestoßen hatte, als man sie mit ihrem Reittier vom Weg ab- und in den Graben gedrängt hatte. Das Tier war abgerutscht und hatte sich die rechte Vorderhand gebrochen. Niemand brauchte Dan zu sagen, dass eine völlig Verzweifelte den Pferdehals umklammerte. Ein einziger Blick ließ es ihn erkennen.
»Eine Unverschämtheit von Ben Kendrick, die Lady mit ihrem Pferd vom Reitweg weg und in den Graben zu drängen! Man nimmt hier nicht einmal mehr auf eine Frau Rücksicht! Von Stunde zu Stunde wird es unerträglicher. Immer mehr bröckelt von allen die Zivilisation ab. Ich bin sicher, dass nach den drei Tagen, die wir noch warten müssen, unsere natürlichen menschlichen Gesetze keine Gültigkeit mehr haben werden. Madam, machen Sie bitte jetzt Platz, das Tier muss von seinen Leiden erlöst werden. Daran können keine Tränen etwas ändern!«
Der Mann, der diese Worte sagte, schob sich weiter vor. Er war klein und drahtig. Sein Gesicht war vom Alter zerfurcht und hatte tausend Falten. Er trug keine Kopfbedeckung. Sein silbergraues Haar verlieh ihm ein kühnes Aussehen.
Die Frau schien seine Worte nicht gehört zu haben. Sie blieb neben ihrem Pferd am Grabenrand hocken, und erst als Dan dem alten Mann zu Hilfe kam und sie an der Schulter berührte, blickte sie auf.
»Kommen Sie, Madam!«, sagte Dan höflich.
Seine Worte schienen kaum von ihr gehört zu werden. Ihr Blick ging durch ihn hindurch. Ihre dunklen Augen schimmerten feucht. Sie war völlig abwesend mit ihren Gedanken, und nur langsam fand sie sich in die Wirklichkeit zurück. Wortlos löste sie sich schließlich von der Stute und ließ sich vom Grabenrand wegführen, dorthin, wo Dan sein Pferd abgestellt hatte. Hinter ihnen dröhnt der Schuss, der das Leiden der Stute beendete. Deutlich gewahrte Dan, wie seine Begleiterin zusammenzuckte, wie sich ihre Lippen
fest zusammenpressten und ihre Augen wieder den abwesenden Blick bekamen.
»Ich habe das Tier selbst großgezogen«, hörte Dan sie sagen, als wollte sie ihm etwas erklären. »Dieses Tier war das letzte aus unserer Zuchtherde, das uns noch blieb. Mit ihm hoffte ich beim Wettrennen in drei Tagen …« Weiter sprach sie nicht. Ihre müde Handbewegung zeigte deutlich, dass sie um viele Hoffnungen ärmer geworden war. »Es war die letzte Chance für die Ranch«, fuhr sie fort. »Es sollte ein neuer Anfang werden nach dem Ruin.«
»Sicherlich ist es möglich, ein anderes Pferd zu kaufen«, erwiderte Dan. »Noch ist nichts verloren. Ich werde mich für Sie umschauen, Madam. Drei Tage sind eine lange Zeit, in drei Tagen kann sich viel ändern!«
Jetzt erst schien sie sich wieder zu fangen. Ihr Blick bekam wieder Glanz.
»Ich brauche keinen Trost«, sagte sie plötzlich mit fester Stimme und fuhr dann zweifelnd fort: »Glauben Sie, dass man ein Pferd bekommen kann? Und wenn schon, dann bestimmt nur zu Wucherpreisen, und dazu wird es noch ein schlechtes Tier sein. Meine Stute war ein Rennpferd, ich hätte mit ihr jedes andere Pferd im Rennen schlagen können. Die B 1 hätte eine reelle Chance gehabt.«
»Madam, ich kenne die B 1 aus Texas nur als eine mächtige Ranch?«
»Sie war es«, erwiderte sie sogleich. »Drei Treibherden kamen in Kansas nicht an, und damit hatte die B 1 aufgehört zu existieren.«
Ein Mann wie Dan, der selbst Treibherdencowboy gewesen war, wusste, welche Tragik hinter diesen Worten steckte, welche Hoffnungen zerstört und begraben worden waren. Stampeden, Öd- und Durststrecken, dazu Banditen und vieles andere mehr hatten der einst mächtigen Ranch den Todesstoß versetzt. Es war erschütternd für Dan zu hören, dass selbst eine so große und mächtige Ranch wie die B 1 es gewesen war, hatte untergehen können. Er erinnerte sich noch an die Zeit, in der jeder Cowboy in Texas es für eine Ehre angesehen hatte, für die mächtige B 1 zu reiten. Die Familie Day hatte die Ranch Generationen lang in Besitz gehabt. Die Besitzer der B 1 waren mächtige Männer gewesen, kleine Könige, deren Wort in Texas viel gegolten hatte.
Das alles war nach den Worten seiner Begleiterin vorbei.
»Sie müssen Gloria Day sein, Ben Days einzige Tochter?«
»Sie kennen meinen Vater?«, fragte sie ihn überrascht.
»Ich habe etwa vor zehn Jahren eine Treibherde für ihn nach Kansas gebracht«, sagte er ruhig. »Damals waren Sie ein kleines, sommersprossiges Mädchen, Madam. Ich glaube, dass Sie sich meiner noch erinnern können?«
Sie sah ihn scharf an und schüttelte dann verneinend den Kopf. Nach einigem Überlegen antwortete sie:
»O doch, wenn ich mich recht erinnere, dann waren Sie es, der damals King, den Wildhengst, einbrachte? Sie müssen es gewesen sein, Dan Kelly!«
Jetzt war er es, der sichtlich überrascht war. Nicht nur, dass sie sich an seine Arbeit als Bronco-Buster erinnerte, sie kannte auch noch seinen Namen. War es Zufall, dass er ausgerechnet diesem Mädchen in diesem Heerzug der Glücksucher und Abenteurer begegnete?
»Ihr Vater hätte Sie nicht allein reiten lassen sollen, Gloria Day«, sagte er zu ihr. »Männer werden das Rennen machen.«
»Warum sollen Frauen es nicht schaffen? Viele sind gekommen, und Dad ist krank.«
»Ben Day krank?« Dan Kelly sprach das so aus, als könnte er es nicht glauben, dass ein Mann wie Ben Day krank werden könne. In seiner Erinnerung war Ben Day ein kraftstrotzender, bärenstarker Mann, ein Mann, den Himmel und Hölle, Tod und Teufel nicht zu beugen vermochten.
»Dad kann sich nur noch in einem Rollstuhl vorwärtsbewegen«, antwortete sie auf seinen Einwurf. Sie beobachtete ihn bei diesen Worten und sah, dass er erbleichte.
»Ein gesunder Day wäre über all das Unglück, das über die B 1 kam, hinweggekommen«, fuhr sie fort. »Dad ist aber dazu verurteilt, die Welt von einem Rollstuhl aus zu sehen. Wie schwer es gerade ihm fiel, welche innerlichen Kämpfe er hat durchmachen müssen, kann nur der verstehen, der ihn gut kannte. Ich weiß nur, dass man ihn damals nach seiner Schussverletzung mehr tot als lebendig nach Hause brachte. Seit dieser Zeit ist er ein anderer. Er ist immer in düstere Grübeleien versunken und spricht kaum noch. Es kommt hinzu, dass er dazu verdammt ist, den Mann, der ihn zum Krüppel machte, nicht aufspüren zu können. Er hat sich immer einen Sohn gewünscht. Nun, ich sagte ihm, dass auch ich eine Day sei, dass auch ich wie ein Mann handeln könne. Ich habe mir wohl zu viel zugemutet«, schloss sie resigniert.
In diesem Augenblick kam der alte Mann mit dem zerknitterten Gesicht und den weißen Haaren heran. Er trug den Sattel mit den Satteltaschen auf dem Rücken.
»Ich habe Ihrem Reittier das abgenommen«, sagte er zu dem Mädchen gewandt. »Ein gewisser Kendrick kaufte das tote Tier und gab zehn Dollar dafür. Hier ist das Geld, Madam!«
Er wollte es ihr hinreichen, doch sie winkte nur angewidert ab.
»Behalten Sie es!«, sagte sie zu ihm. Ihr Blick: ging zum Graben zurück, wo der schwere Wagen des stiernackigen Mannes stand. Er und seine Begleiter standen am Grabenrand und diskutierten.
»Was soll nun geschehen, Madam?«, fragte der Alte. »Das Zeug hier werden Sie kaum schleppen können. Ich würde es für Sie tun.«
Bevor sie antworten konnte, sagte Dan:
»Auf dem Rücken meines Pferdes ist es besser aufgehoben. Gehen wir zu Fuß weiter. Es kann mir nicht schaden, wenn ich mir ein wenig die Füße vertrete. Es ist nicht mehr allzu weit zur Grenze.«
»Junger Mann, dann opfern Sie einen guten Startplatz«, erwiderte der Alte, wobei er mit Kennerblicken Silbersporn betrachtete. »Ich denke, dass Sie es nicht ablehnen, wenn ich in Ihrer beider Begleitung bleibe«, wandte er sich an Dan Kelly und Gloria Day. »Es marschiert sich besser, wenn man Freunde findet.« Er lachte seltsam und fuhr fort, bevor man ihm antwortete: »Ich bin John Smith. In Santa Fe hatte ich einen Laden. Der Verkauf brachte mir so viel ein, dass ich eine Teilstrecke mit der Stagecoach zurücklegen konnte. Wenn dieses Oklahoma-Territorium nicht geöffnet würde, hätte ich mit dem Verkauf meines Ladens ein Geschäft machen können. So aber war es eine Pleite, denn die Interessenten, die sich um meinen Laden beworben hatten, fielen plötzlich ab, als die Kunde sich breitmachte, dass man hier neues Land bekommen kann. Warum soll ein alter Mann sein Glück vor Toresschluss nicht noch einmal versuchen? Ich fühle mich noch jung.«
Ohne Zweifel war dieser alte Mann, der jahrelang hinter der Ladentheke gestanden hatte und sich plötzlich entschloss, dem ewigen Einerlei adieu zu sagen, ein origineller Typ.
»In uns allen bleibt wohl, auch wenn wir noch so alt werden, die Sehnsucht nach der Ferne lebendig, Freunde«, sagte er. »Auf diesem Marsch erst habe ich begriffen, dass diese Sehnsucht in vielen Menschen steckt. Die Sehnsucht ist ein lebendiger Strom, der alle auf seinem Rücken trägt. Niemand weiß, wohin er treibt, und doch beseelt alle das Gefühl, dass sie das Glück beim Schopfe fassen können. Auch dieser stiernackige Kendrick wird, wenn in drei Tagen die Startschüsse fallen, mit dabei sein. Vorher aber wird er noch seine Geschäfte machen. Wir müssen achtgeben, dass wir unser Fleisch nicht bei ihm kaufen.«
Die letzten Worte hatte er nur so leise gesagt, dass sie für Dan allein verständlich waren. Dan gab keine Antwort. John Smith hatte recht. Kendrick machte Geschäfte. Seine Garküche war sicherlich eine der größten, die an der Grenze aufgefahren wurde. Tausende von Menschen mussten verpflegt werden, und nicht alle hatten so viel Lebensmittel mit, dass sie auf eine Garküche verzichten konnten.
Dan war dem Alten behilflich, die Sachen von Gloria Day auf den Rücken von Silbersporn zu packen. Das Mädchen blickte nicht mehr zum Graben. Sie schien aufzuatmen, als man sich jetzt zu dritt in Bewegung setzte. Eine kleine Gemeinschaft, zustande gekommen durch das Unglück Gloria Days, hatte sich zusammengefunden. Das gleiche Ziel verband sie. Wie lange aber würde es dauern? Die Zerreißprobe selbst für alte Freundschaften, selbst für Blut- und Familienbande, würde nach den Startschüssen kommen. Vieles würde zerbrechen. Die menschliche Gier war schon jetzt deutlich spürbar. Jetzt schon, auf dem Marsch zur Grenze, hatte das Rennen um die besten Startplätze begonnen. Wie würde sich die Gier erst auswirken, wenn in drei Tagen das Signal gegeben war?
Die drei Fußgänger trafen bald auf einen bleich aussehenden vierzehnjährigen Jungen, der am Wegrand hockte und verzweifelt zur Erde starrte. Dan hielt an und fragte ihn: »Wartest du auf jemanden, Junge?«
Mit rotgeränderten Augen starrte ihn der Junge an. Er brauchte einige Zeit, bis er antworten konnte. Seine rissigen Lippen zeigten deutlich, dass er Durst hatte, noch deutlicher zeigte es sein Blick auf Dans Feldflasche. Dan gab ihm wortlos zu trinken.
»Ich warte nicht«, sagte der Junge. »Mein Stiefbruder hat mich abgehängt. Eine Kalesche kam vorbei, die von einem Farbigen kutschiert wurde. Eine feine Lady saß darin. Sie ließ anhalten und winkte meinem Stiefbruder zu. Dann blieb ich allein, mein Stiefbruder hat mich nicht mitgenommen. Er hat mir noch zugerufen, dass ich zusehen sollte, wie ich fertig würde. Vielleicht würden wir uns später in Oklahoma einmal wiedersehen. Er hat mich allein gelassen, ohne den Versuch zu machen, bei der Lady um einen Platz für mich in der Kutsche zu bitten.«
Seine Stimme erstickte. Er schluckte schwer, doch weinte er nicht.