Transfer des Lernens - Karl Josef Klauer - E-Book

Transfer des Lernens E-Book

Karl Josef Klauer

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  • Herausgeber: Kohlhammer
  • Kategorie: Bildung
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2010
Beschreibung

Central aspect of learning is the transfer of the learnt to new challenges. Thus transfer of learning is not only relevant to learning research but particularly in the area of thinking and problem solving. Recently the transfer of cognitive structures, strategies and metacognitive competences are researched intensively especially self-regulated learning. This issue is theoretically important and practically helpful for academic and personal education, for training with simulators and even and for coaching.

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Ein zentraler Zweck des Lernens besteht in der Übertragung des Gelernten auf neue Herausforderungen. Daher ist der Transfer des Lernens nicht nur im Rahmen der Lernforschung relevant, sondern gerade auch im Bereich des Denkens und des Problemlösens. In jüngster Zeit wird der Transfer von kognitiven Strukturen, von Strategien und metakognitiven Kompetenzen intensiv erforscht, so insbesondere beim selbstgesteuerten Lernen. Dementsprechend ist die Thematik sowohl theoretisch bedeutsam als auch hilfreich in der praktischen Anwendung, etwa in Erziehung und Bildung, in der beruflichen Ausbildung, beim Training mittels Simulatoren und sogar beim Coaching. Dieses Buch ist die erste umfassende Monografie zum Thema im deutschen Sprachraum.

Prof. Dr. Karl Josef Klauer, emeritierter Professor für Erziehungswissenschaft der RWTH Aachen, ist ein international anerkannter Experte im Bereich der Pädagogischen Psychologie und des kognitiven Trainings.

Karl Josef Klauer

Transfer des Lernens

Warum wir oft mehr lernen als gelehrt wird

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrofilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen oder sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

1. Auflage 2011 Alle Rechte vorbehalten © 2011 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany

ISBN: 978-3-17-021464-4

E-Book-Formate

epub:

978-3-17-028180-6

mobi:

978-3-17-028181-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1 Einführung

1.1 Ein altes, aber noch immer aktuelles und kontrovers diskutiertes Thema

1.2 Definition des Lerntransfers

1.3 Experimentelle Versuchspläne der Transferforschung

1.3.1 Die beiden klassischen Versuchspläne

1.3.2 Die Erfassung von Prätesteffekten

1.3.3 Die Messung von Transfereffekten

1.3.4 Wie steht es um Placeboeffekte?

1.4 Das Problem der Transferdistanzen

1.5 Zusammenfassung

2 Transfer auf partiell identische Aufgaben

2.1 Der Ansatz von Thorndike

2.2 Generalisierungsgradient und das Ähnlichkeitsparadox

2.3 Neuere Studien zum Transfer bei partiell identischen Aufgaben

2.3.1 Systeme virtueller Simulation

2.3.2 Motorisches Lernen: Ähnliche Bewegungsabläufe

2.4 Andersons moderne Variante der Theorie der identischen Elemente

2.5 Begrifflich-logische Problematik der Theorie

2.6 Zusammenfassung

3 Transfer von Strukturen

3.1 Transfer relationaler Strukturen

3.1.1 Was genau ist eine Analogie? Definition und Theorien

3.1.2 Klassische Experimente zum analogen Problemlösen

3.1.3 Weiterführende Studien

3.1.4 Analogieaufgaben in Intelligenztests

3.1.5 Wenn analoges Denken in die Irre führt

3.1.6 Rückblick und Ausblick

3.2 Transfer kategorialer Strukturen

3.2.1 Kategorisierung und Inferenzen: Beispiele der Forschung

3.2.2 Kategorisierung und Inferenzen: Erklärungsmodelle im Test

3.3 Zusammenfassung

4 Transfer von Strategien

4.1 Die Strategie des Vergleichens

4.1.1 Induktives Denken und die Strategie des Vergleichens

4.1.2 Training und Transfer: Effekte auf Intelligenz, Lernen und Problemlösen

4.2 Bereichsspezifische Strategien

4.2.1 Lern- und Lesestrategien

4.2.2 Rückblick auf die Studien zu Lese- und Lernstrategien

4.2.3 Training und Transfer von Verhandlungsstrategien

4.2.4 Training und Transfer von Führungsstrategien

4.2.5 Training und Transfer von Fußballstrategien

4.3 Metakognitive Strategien

4.3.1 Training einzelner metakognitiver Strategien

4.3.2 Selbstreguliertes Lernen: Theoretischer Hintergrund

4.3.3 Strategien des selbstregulierten Lernens und Problemlösens

4.3.4 Rückblick und Ausblick

4.4 Asymmetrischer Strategietransfer

4.4.1 Das Huckepacktheorem

4.5 Zusammenfassung

5 Bedingungen, die den Transfer beeinflussen

5.1 Trait-Treatment-Interaktionen: Nicht alle profitieren gleich viel

5.1.1 Das Passungstheorem

5.1.2 Interaktion von Trainingsbedingung und Lebensalter

5.1.3 Aptitude-Treatment-Interaktionen

5.2 Wie kommt es zu negativem Transfer?

5.2.1 Umstellung der Lernstrategie

5.2.2 Wenig hilfreiche Beanspruchungen und unnütze Lernhilfen

5.2.3 Überlastung der Arbeitskapazität

5.2.4 Wenn die Anforderungen zu leicht sind

5.2.5 Interferenzen durch früheres Lernen

5.2.6 Oberflächliches Lernen

5.2.7 Motivationale Faktoren

5.2.8 Negative Stimmung und negative Lehrer-Schüler-Interaktion

5.2.9 Fazit

5.3 Zusammenfassung

Literatur

Sachverzeichnis

Personenverzeichnis

Für Rosemarie

Vorwort

Wenn man sich etwas eingehender mit der Thematik des Lerntransfers befassen will, so wird man bald bemerken, dass es nicht nur im deutschen, sondern auch im englischen Sprachraum an aktuellen umfassenden Darstellungen fehlt, zumal gerade auch in jüngerer Zeit unwahrscheinlich viele experimentelle Untersuchungen zu der Thematik veröffentlicht werden. Die älteren amerikanischen Bücher zum „Transfer of Learning“ waren für ihre Zeit zwar vorbildlich strukturiert, aber sie sind heute inhaltlich überholt. Gegenwärtig ist die Situation auch in den Staaten bei weitem nicht mehr so günstig. Insofern erschien es angebracht, eine kleine einführende Monographie zu erarbeiten, zumal die Forschungen zum Transfer des Lernens gerade in den letzten Jahrzehnten viele neue Ansätze und bemerkenswerte Fortschritte erzielt haben.

Die zentralen Kapitel des vorliegenden Textes sind nach den theoretisch bedeutsamen Modellen gegliedert, die die Forschungen beherrscht haben und noch immer beherrschen. Schon ein Blick auf das Inhaltsverzeichnis verdeutlicht, welche Theorien und welche Ansätze die aktuelle Transferforschung kennzeichnen.

Das Einführungs- und das Abschlusskapitel heben sich davon jedoch ab. In der Einführung geht es um die wichtigsten methodologischen Aspekte der Transferforschung, während das Abschlusskapitel Bedingungen thematisiert, die den Transfer des Lernens modifizieren. Insbesondere behandelt das Kapitel auch jene Bedingungen, die negativen Transfer bewirken können, bei denen sich das Lernen also schädlich auswirkt. Gerade auf diesem Sektor besteht noch erheblicher Forschungsbedarf.

Bei der Erarbeitung des Textes ging es mir wesentlich darum, den Leser möglichst nahe an die einschlägige Forschung heranzuführen. Aus diesem Grund wurde großer Wert darauf gelegt, möglichst viele der wichtigen experimentellen Studien in ihrem theoretischen Zusammenhang mitsamt ihren Fragestellungen, Versuchsplänen und Ergebnissen vorzustellen. Daraus resultierte ein besonders forschungsnaher Text.

Der Transfer des Lernens ist nicht nur im Rahmen der Lernforschung relevant, sondern insbesondere auch im Bereich des Denkens und der Problemlösung. Dementsprechend ist die Thematik sowohl theoretisch bedeutsam als auch hilfreich in der praktischen Anwendung, z. B. in Erziehung und Bildung, in der beruflichen Ausbildung, beim Training mittels Simulatoren und beim Coaching. Auf der anderen Seite wird gerade in neuester Zeit der Transfer von kognitiven Strukturen, von Strategien und metakognitiven Aspekten, etwa im Fall des selbstregulierten Lernens, erforscht. Diese Studien sind theoretisch wie praktisch äußerst bedeutsam. Daher dürften nicht nur Studierende der Psychologie von dem Text profitieren, sondern auch Erziehungswissenschaftler und Ausbilder von Ausbildern für die verschiedensten Berufe.

Herbst 2010

K. J. K.

1 Einführung

In diesem Kapitel geht es hauptsächlich um methodische und technische Probleme, z. B. um die Definition des Lerntransfers, um Versuchsanordnungen und Fragen der Erfassung und Messung des Transfers. Die Definition ist zwar nicht schwierig, aber da es unterschiedliche Einschätzungen der Bedeutung des Transfers gibt, begegnet man ab und zu auch Definitionsvarianten, denen man nicht auf den ersten Blick ansieht, dass und warum sie abwegig sind.

1.1 Ein altes, aber noch immer aktuelles und kontrovers diskutiertes Thema

Inwieweit Transfer des Gelernten möglich ist, wird schon seit über hundert Jahren erforscht. Gleichwohl ist das Thema auch heute noch äußerst aktuell: Eine kurze Recherche mit dem Stichwort „Transfer of learning“ nur in der Datenbank PsycINFO bringt schon über 4 500 Publikationen; beschränkt man sich auf die letzten zehn Jahre, so finden sich immer noch über 1 400 einschlägige Veröffentlichungen, also im Durchschnitt 140 pro Jahr, jeden zweiten oder dritten Tag eine. In Google Scholar bekommt man zu dem Stichwort sogar 1,5 Millionen Angebote, die zu sichten praktisch unmöglich ist. Allein daraus wird ersichtlich, wie stark der Lerntransfer die Forschung nach wie vor beschäftigt. Das hat mehrere Gründe:

Das Thema gilt als

pädagogisch

außerordentlich wichtig.

Bis heute ist die Möglichkeit und Reichweite des Lerntransfers

umstritten.

Viele Forscher versuchen herauszufinden, unter welchen Bedingungen und bei welchen Lernprozessen beachtlicher Transfer doch stattfinden kann.

Viele haben den Leitspruch der Lateiner „Non scholae sed vitae discimus“ bis zum Überdruss gehört. Er bedeutet letztlich nichts anderes, als dass in der Schule Gelerntes wirksam auf die Anforderungen übertragen werden soll, die den Lernenden später „im Leben“ begegnen werden (als ob die Schulzeit nicht auch zum Leben gehörte). Eine solche Übertragung ist schließlich der eigentliche Sinn des Schulunterrichts. In der Gegenwart hat sich die Problematik erheblich verschärft. Angesichts der sich rasch wandelnden Anforderungen, die den modernen Menschen vor immer neue Situationen stellen, bleibt gar nichts anderes übrig, als Wege zu finden, die jungen Menschen heute für die Ansprüche zu qualifizieren, denen sie morgen begegnen und die noch weitgehend unbekannt sind. So wurde der Lerntransfer als der heilige Gral der Pädagogik bezeichnet (Resnick, 1989; Haskell, 2001). Lohman (1993, S. 48) erklärte entsprechend, Lerntransfer sei ein wichtiges, wenn nicht gar das wichtigste Thema der Erziehung. Tatsächlich wurde die Bedeutung des Lerntransfers schon früh erkannt. Die ältesten Untersuchungen reichen bis in das 19. Jahrhundert zurück, wie bei Ernst Meumann (1907) in seinen „Vorlesungen zur Einführung in die experimentelle Pädagogik und ihre psychologischen Grundlagen“ nachzulesen ist.

Einen ersten und folgenreichen Rückschlag verursachten allerdings die Untersuchungen von Thorndike (Thorndike & Woodworth, 1901; Thorndike, 1922), welche die bis dahin herrschende Zuversicht erschütterten und bis heute nachwirken. Thorndike gilt als der Autor, der die Doktrin der formalen Bildung zu Fall brachte. Mit formaler Bildung war die Schulung des Geistes gemeint, die insbesondere durch die alten Sprachen Griechisch und Latein vermittelt werden soll und die den Verstand in einer Weise schulen soll, dass die so Gebildeten in der Lage sind, später beliebige andere Aufgaben zu bewältigen – jedenfalls besser als diejenigen, die diese Bildung nicht genossen haben. Thorndike kam aufgrund seiner experimentellen Studien zu einer sehr skeptischen Einschätzung der Möglichkeiten des Transfers, und bis heute gibt es bedeutende Wissenschaftler, die seine transferkritische Position aufgreifen und weiterführen. Auf Thorndike und die Folgen wird im nächsten Kapitel eingegangen.

Was übrigens die alten Sprachen betrifft, so waren Thorndikes Schlussfolgerungen zweifellos berechtigt. Neuere Untersuchungen auch im deutschsprachigen Raum zeigen beispielsweise, dass mit dem Lateinunterricht keine besonderen intellektuellen Kompetenzen vermittelt werden (Gutacker, 1979). Latein- oder Englischunterricht bringt in der intellektuellen Entwicklung keinen Unterschied, allenfalls gibt es kleine Auswirkungen auf den Sprachgebrauch des Deutschen. Jedoch erleben die „Lateiner“ eher Lernstress (Haag & Stern, 2000; Haag, 2001).

Seit über hundert Jahren wird also die Möglichkeit des Lerntransfers von manchen Autoren skeptisch beurteilt. Jedoch könnte auch eine Fülle von Äußerungen zitiert werden, die genau das Gegenteil behaupten. Um nur ein Beispiel zu bringen: Halpern (1998) betonte im „American Psychologist“ mit Nachdruck und belegte vielfältig, dass der Lerntransfer von großer und weitreichender Bedeutung sei. Und nicht wenige Autoren halten Transfer für ein allgegenwärtiges Phänomen, mit dem man nahezu immer rechne müsse, wie dies schon Hebb (1949) oder Ferguson (1956) taten. Von Detterman (1993) wurde dagegen der Gebrauch des Begriffs problematisiert. Die schlichte Anwendung des Gelernten in neuen Situationen verdiene keinesfalls die Bezeichnung Transfer, sondern sei eigentlich Sinn und Zweck des Lernens überhaupt. Dazu ein Beispiel: Saks und Belcourt (2006) gingen der Frage nach, welchen Sinn die vielen Trainingskurse eigentlich haben, die Firmen ihren Angestellten bieten. Sie stellten fest, dass unmittelbar nach dem Trainingskurs 62 % der Teilnehmer das Gelernte einsetzen, nach sechs Monaten noch 44 % und nach einem Jahr nur noch 34 %. Längerfristig sind solche Kurse offenbar nicht sehr effektiv. Für Saks und Belcourt handelt es sich dabei eindeutig um Transfer, was Detterman nur als Anwendung des Gelernten akzeptieren würde.

Wie man sich denken kann, sind sich nicht alle Forscher darüber einig, was genau unter Transfer zu verstehen ist. Einige Beispiele mögen das illustrieren. Der in der Mitte des 20. Jahrhunderts sehr einflussreiche Experimentalpsychologe Osgood (1962, S. 520) sprach von Transfer, wenn eine vorangehende Aktivität einen Effekt auf nachfolgendes Lernen ausübt. Danach gibt es nur Transfer auf Lernen, der aber von irgendwelchen Aktivitäten ausgehen kann, jedoch nicht notwendig vom Lernen. Dagegen beschrieb Ferguson Transfer als Einfluss früheren Lernens auf späteres Lernen (Ferguson, 1954, S. 100), was Mayer aufgriff und auf Problemlösen erweiterte („Transfer is the effect of previous learning on new learning or problem solving.“, vgl. Mayer, 2003, S. 19). Nach Haskell (2001, S. 24) ist Transfer ein Prozess, der die Übertragung früheren Lernens auf neue Situationen überhaupt betrifft. In der Gegenwart definieren Mähler und Stern (2006) Transfer im gleichen Sinne als die Anwendung gelernten Wissens oder gelernter Fertigkeiten in neuen Situationen, also in Situationen, die beim Erlernen nicht vorgekommen sind (ähnlich auch Hasselhorn & Gold 2006). Die Transferdefinition von Steiner (2006, S. 193) schließt erstaunlicherweise sogar die Möglichkeit negativen Transfers aus, denn Transfer bedeutet ihm zufolge die Nutzung früher erworbenen Wissens in neuen Situationen, wobei eine Verbesserung des Lernens dank des Transfers erwartet wird (vgl. auch Hasselhorn & Hager, 2008).

Angesichts solch höchst divergierender Einschätzungen wird es notwendig, den Transfer des Lernens genau zu definieren. Dabei geht es insbesondere darum zu klären,

ob Lerntransfer nur bezüglich des Lernens stattfinden kann, wie manche Autoren annehmen, oder auch in Bezug auf andere Variablen,

ob nur Lernaktivitäten zu Lerntransfer führen können,

ob – wie bei Osgood – gewisse andere Aktivitäten Lerntransfer bewirken können,

ob es neben Lernaktivitäten noch weitere Bedingungen gibt, die das Transfergeschehen beeinflussen können und

ob es sich bei der Anwendung des Gelernten in neuen Situationen um Lerntransfer handelt oder nicht.

Es gilt also festzulegen, welche unabhängigen Variablen Lerntransfer bewirken können, in welchen abhängigen Variablen sich ein Lerntransfer darstellen kann und welche anderen Bedingungen das Transfergeschehen beeinflussen oder modifizieren mögen.

1.2 Definition des Lerntransfers

Transfer bedeutet Übertragung. Die älteren deutschen Forscher des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, wie etwa Ernst Meumann, sprachen von Mitübung und von Übungsübertragung. Das englische „Transfer of training“ ist wahrscheinlich eine Übersetzung der deutschen Übungsübertragung. Ganz glücklich gewählt waren die deutschen Begriffe Mitübung und Übungsübertragung nicht; einerseits weil Lerntransfer nicht notwendig erfordert, was man landläufig unter Übung versteht, und andererseits, weil Lerntransfer nicht unbedingt positiv sein muss, was die deutschen Ausdrücke aber unterstellen. „Mitübung“ und „Übungsübertragung“ bringen jedoch beide zum Ausdruck, dass die Übung auch auf anderes als das Geübte wirken soll. Übungsübertragung bedeutet immerhin, dass Übung nicht nur auf das Geübte wirkt, sondern dass sie auch auf etwas anderes übertragen wird. Mitübung bringt dagegen zum Ausdruck, dass etwas geübt wird und dass zugleich etwas anderes mitgeübt wird, unabhängig davon, ob man sich darüber klar wird. Beim Lerntransfer geht es jedenfalls um einen Lern- oder Übungseffekt, der über den primären Effekt des Lernens oder Übens hinausgeht. Allerdings schwingt bei den deutschen Ausdrücken nicht mit, dass auch ein negativer Transfer möglich ist.

Rein sprachlich versteht man unter Lerntransfer einen Transfer des Lernens. Wir können also Lerntransfer zunächst einmal als eine spezielle Wirkung, einen speziellen Effekt des Lernens oder der Übung definieren. Andere Aktivitäten als Lernen können vielleicht ähnliche oder gar die gleichen Wirkungen erzielen, die aber nicht als Transfer des Lernens zu kennzeichnen sind. Insofern ist die Definition von Osgood zurückzuweisen. Lerntransfer kann gemäß dieser ersten Begriffsbestimmung nur als ein Effekt des Lernens entstehen. Lernen ist also die unabhängige Variable, die Transfer nach sich ziehen kann oder auch nicht.

Um welche Effekte eines Lernprozesses geht es aber beim Lerntransfer? Was kommt als abhängige Variable in Frage? Zunächst und in erster Linie erwartet man mit gutem Grund, dass Lernen die Beherrschung genau jenes Stoffs oder jener Fähigkeit verbessert, den man lernt oder die man übt. Vielfach haben Lernprozesse darüber hinaus aber noch weitere Effekte, Nebeneffekte, die den Lernenden nicht immer bewusst werden. Für Pädagogen ist es beispielsweise selbstverständlich, dass früheres Lernen sehr häufig späteres Lernen beeinflusst. Beim systematischen Unterricht wird davon bewusst Gebrauch gemacht, indem man vorher das bringt, was sich später als hilfreich und förderlich oder gar als notwendiges Vorwissen erweisen wird. Es gibt sogar, wie wir weiter unten sehen werden, negative Effekte früheren Lernens auf späteres Lernen, und auch das ist ein Transfer des Lernens, eine Lernübertragung. Lernen kann sich aber ebenso auf andere Variablen als auf späteres Lernen auswirken – und auch in diesem Fall ist es sinnvoll, von Lerntransfer zu sprechen.

Der inflationäre Gebrauch des Transferbegriffs ist aber sicher nicht hilfreich. Hierzu ein Beispiel: Dass die Schreibungen Oma’s Schnapsladen oder Helmuth’s Frischeparadies den angelsächsischen Genitiv-Apostroph einsetzen und dass die Schreibung im Deutschen nicht korrekt ist, kann man erst dann erkennen, wenn man die entsprechenden Regeln zuvor gelernt hat. Das Erlernen der Regeln ermöglicht also die Beurteilung, ob es sich um einen Rechtschreibfehler handelt. Um Lerntransfer handelt es sich aber selbst dann nicht, wenn die beiden Beispiele zum ersten Mal auftauchen und als fehlerhaft erkannt werden. Dabei geht es mit Detterman nur um die Anwendung der gelernten Regel bei einer neuen Aufgabe. Wozu erlernt man schließlich solche Regeln? Würde man diesen Vorgang schon als Lerntransfer bezeichnen, so läge bei jeder Anwendung einer gelernten Regel bei einer neuen Aufgabe Lerntransfer vor.

Lernprozesse können also neben ihrem Haupteffekt einen oder mehrere weitere Effekte nach sich ziehen. Bei den zusätzlichen Effekten kann es sich um späteres Lernen handeln, das mit beeinflusst wird, aber auch um Effekte in der Wahrnehmung, beim Problemlösen und bei anderen Variablen. Etwas präziser lässt sich der Transfer daher wie folgt bestimmen: Man kann triviale von nichttrivialen Lern- oder Übungseffekten unterscheiden. Trivial nennen wir im vorliegenden Zusammenhang die Effekte, die bei den Aufgaben auftreten, die gelernt oder geübt wurden. Dies entspricht schließlich der Erwartung: Um solche Wirkungen zu erzielen, wird ja gelernt – auch wenn dies nicht immer gelingt wie erhofft. Nichttrivial nennen wir Lern- oder Übungseffekte, wenn sie bei Aufgaben auftreten, die überhaupt nicht gelernt und geübt wurden.

Definition Lerntransfer

Transfer ist ein nichttrivialer Lerneffekt, d. h. ein Lerneffekt bei Aufgaben, die in dem fraglichen Prozess weder gelernt noch geübt wurden.

Um also zu entscheiden, ob ein Transfer vorliegt, muss man sorgfältig prüfen, was gelernt wurde und ob ein zusätzlicher Effekt des Lernens auf eine andere Variable stattgefunden hat. Der Transfer des Lernens ist deswegen so interessant, weil damit ein Effekt gemeint ist, der über das ursprünglich Gelernte hinausreicht.

Eine ähnliche Definition des Lerntransfers, die allerdings nicht hinreichend beachtet worden ist, hatte schon Ferguson (1954; 1956) vor gut einem halben Jahrhundert eingeführt. Er bediente sich dabei einfacher Funktionsgleichungen, die den Zusammenhang zwischen Lernen und Lerntransfer verdeutlichen (s. Kasten 1.1).

Die Formeln bringen eine zusätzliche und wichtige Erkenntnis: Das Lernen (Fall B) stellt sich als ein Sonderfall des Transfers dar und nicht umgekehrt der Transfer als ein Sonderfall des Lernens (Ferguson, 1963, S. 185). Die gängige Meinung geht darüber hinaus dahin, Lernen sei ein sehr häufiges, Transfer dagegen ein seltenes Phänomen. Macht man sich jedoch Fall C klar, so muss man damit rechnen, dass eher das Gegenteil der Fall ist, nämlich dass Transferphänomene sehr viel häufiger als Lernphänomene stattfinden werden. So können bei einem einzigen Lernprozess mehrere Variablen beeinflusst werden, im positiven wie im negativen Sinne, wenngleich oft auch unbemerkt oder nur in geringem Ausmaß. Daher muss man mit weit mehr Transferphänomenen rechnen, als viele bislang annehmen. Zutreffender ist insofern die Einschätzung von McKeachie (1987, S. 707) „… when we want it, we do not get it. Yet it occurs all of the time”. Der Lerntransfer erweist sich damit als ein bei allem Lernen vorkommendes Phänomen, wie schon Hebb (1949) vermutete.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass definitionsgemäß nur ein Lernprozess zu Lerntransfer führt und dass Lerntransfer nur bei anderen Variablen als bei dem Gelernten selbst auftreten kann.

Unabhängige und abhängige Variablen des Transfers sind somit definiert, so dass nun die Frage nach den geeigneten Versuchsplänen gestellt werden kann. Variablen, die einen modifizierenden Einfluss auf das Transfergeschehen ausüben können, werden uns erst später begegnen.

1.3 Experimentelle Versuchspläne der Transferforschung

1.3.1 Die beiden klassischen Versuchspläne

Eine umfassende Übersicht über die experimentellen Versuchsanordnungen der Transferforschung findet sich bei Holding (1991). Ältere Lehrbücher wie etwa die von Osgood (1962) oder Ellis (1965) unterscheiden zwei Versuchsanordnungen der Transferforschung, den Proaktions- und den Retroaktionsplan, auf die in leicht modifizierter Form zurückgegriffen wird. Der einfachere von beiden ist der Proaktionsplan. Er soll den Einfluss des Lernens auf eine andere Variable erfassen. Mit diesem Versuchsplan lässt sich beispielsweise herausfinden, ob es hilfreich ist, erst einige Wurftechniken zu erlernen, bevor man mit Basketball beginnt. Der Retroaktionsplan dagegen soll den rückwirkend modifizierenden Einfluss des Lernens auf früher Gelerntes messen. Der Retroaktionsplan bringt keinen tatsächlich rückwirkenden Effekt, wie dies die Bezeichnung nahe legt. Er kann aber dazu führen, früher gelerntes Wissen fortzuführen, zu ergänzen, aber auch zu korrigieren.

Mit diesem Plan kann beispielsweise untersucht werden, wie ein Unterricht über Osmose das bisherige Verständnis über das Wachstum der Pflanzen verändert, ein Umlernprozess, der inzwischen auch als Conceptual Change bekannt ist.

In den Versuchsplänen stellt Lernen stets die unabhängige Variable dar. Als abhängige Variable kommt nicht nur ein anderes Lernen in Frage, vielmehr kann Transfer auf irgendeine andere Leistung stattfinden und daher auch getestet werden (s. Kasten 1.2).

Kasten 1.2: Versuchspläne: Proaktions- und Retroaktionsplan

Proaktionsplan

Experimentalgruppe:

lernt A

→ Test B

Kontrollgruppe:

lernt A nicht

→ Test B

Retroaktionsplan

Experimentalgruppe:

Test A → lernt B

→ Test A

Kontrollgruppe:

Test A → lernt B nicht

→ Test A

Beide Pläne haben gewisse Schwierigkeiten, auf die nun kurz eingegangen wird. Der Proaktionsplan setzt vergleichbare Leistungsniveaus bei Experimental- und Kontrollgruppe voraus. Wenn nun aber eine der Versuchsgruppen von vornherein deutlich höhere Leistungen zeigen würde, so wäre das Ergebnis der Untersuchung fragwürdig. Vergleichbare Leistungen werden am besten gewährleistet, wenn die Probanden per Zufall auf die Experimental- und die Kontrollbedingung verteilt werden, wie dies im folgenden Beispiel der Fall war (s. Kasten 1.3).

Kasten 1.3: Beispiel einer Proaktionsstudie

Casner (2005) hat den Proaktionsplan in der Pilotenausbildung eingesetzt, um zu untersuchen, ob ein vorgeschaltetes Training auf kleinerem, ebenfalls anspruchsvollem Fluggerät hilfreich ist, um das Steuern moderner Passagierflugzeuge zu lernen. Von 16 Piloten wurden acht trainiert, eine Serie von Steuerprozeduren an der Elektronik eines modernen, aber kleineren Flugzeugs auszuführen. Dabei ging es um die Navigation mittels GPS, um die Bedienung des Autopiloten und um verschiedene Flugoperationen. Die acht anderen Piloten bekamen dieses Training nicht. Danach erhielten alle 16 den Auftrag, die gleiche Serie von Operationen an einem computergesteuerten Simulationssystem, das die Anforderungen eines modernen großen Düsenjets simulierte, durchzuführen. Die Piloten mit dem vorgeschalteten Training waren in der Lage, 83 % der Leistungen zu erbringen, während die Piloten ohne dieses Vortraining 54 % der Handlungen ausführen konnten. Berücksichtigte man überdies, dass ein Teil der Steuerungsleistungen dank der Beschriftung der Bedienungselemente erbracht werden konnte, war der Unterschied noch deutlicher. Denn ließ man diese Prozeduren außer Betracht, lösten die Piloten ohne das Vortraining nur 22 % der ihnen gestellten Aufgaben. Das vorgeschaltete Training erwies sich demnach als sehr hilfreich.

Die Untersuchung von Casner illustriert einige wichtige Aspekte, enthält jedoch auch Schwächen. Das zwar prinzipiell geeignete und vom Autor vorgenommene Verfahren der Zufallszuweisung zu den Versuchsgruppen erweist sich in diesem Beispiel aufgrund der kleinen Stichprobe als Schwachpunkt. Handelt es sich um eine derart kleine Stichprobe, so können erhebliche Unterschiede auch bei einem Zufallsverfahren resultieren. Deshalb lässt sich nicht ausschließen, dass die Experimentalgruppe schon vorher deutlich bessere Leistungen zeigte als die Kontrollgruppe. Insofern wäre es in diesem Fall besser gewesen, im Sinne des Retroaktionsplans vor Beginn einen Leistungstest zu erheben, um zeigen zu können, ob nicht schon bemerkenswerte Leistungsunterschiede zwischen den Gruppen bestanden. Man hätte dann sogar ein Zufallsverfahren wählen können, das in dem Fall eher vergleichbare Gruppen gewährleistet hätte. Beispielsweise hätte man die 16 Teilnehmer nach dem Vortest in eine Rangordnung bringen können, um acht nahezu gleich leistungsfähige Paare zu bilden und um danach per Zufall schrittweise zu entscheiden, welcher Paarling welcher Gruppe zugeordnet wird. Man spricht dann von einem stratifiziertzufälligen Vorgehen bei der Bildung äquivalenter Versuchsgruppen.

Die stratifiziert-zufällige Gruppenbildung hat ebenfalls einen Nachteil. Es handelt sich dabei nicht mehr um uneingeschränkt zufällig gebildete Gruppen, und dies schließt aus, später die gewonnenen Ergebnisse auf die Grundgesamtheit der jeweiligen Probanden zu generalisieren. Aber zumindest der Kausalzusammenhang lässt sich so experimentell nachweisen. Wo dies nicht der Fall ist, kann man aus dem Versuch überhaupt nichts folgern.

Eine weitere Schwierigkeit stellt die Tätigkeit der Kontrollgruppe dar, während die Experimentalgruppe lernt. Autoren wie Ellis und Osgood sagten in ihren Versuchsplänen, dass die Kontrollgruppe „ruht“, wobei sie sich ausdrücklich darüber im Klaren waren, dass diese nicht nichts tun kann. In den Versuchsplänen oben (s. Kasten 1.2) heißt es nur, dass die Kontrollgruppe nicht die Lerntätigkeit ausübt, die von der Experimentalgruppe gefordert wird. Damit wurde natürlich nicht positiv zum Ausdruck gebracht, was genau die Kontrollgruppe in der Zeit tun soll. In der erwähnten Studie von Casner (2005) erhielten die Piloten der Kontrollgruppe keinerlei Aufgaben, die ähnlich beanspruchend oder hilfreich wie die der Trainingsgruppe waren. Insofern bleibt letztlich unklar, wie die Ergebnisse der Untersuchung zu bewerten sind. Tatsächlich wird in den Versuchsplänen der Effekt des Lernens im Kontrast zur Tätigkeit der Kontrollgruppe erfasst. Daher ist es unerlässlich, dass die Kontrollgruppe eine Tätigkeit ausübt, die sie einerseits ähnlich beansprucht wie die Experimentalgruppe, andererseits aber deutlich andere Anforderungen stellt. Beispielsweise könnte man keine klaren Schlussfolgerungen ziehen, wenn die eine Hälfte der Klasse einen Lehrtext studieren muss, während die andere Hälfte Fußball spielen darf. Hier wäre es angemessener, die Kontrollgruppe auch einen Lehrtext bearbeiten zu lassen, der jedoch eine völlig andere Thematik behandelt, eine, die für die untersuchte Fragestellung irrelevant ist.

Beim Retroaktionsplan wird immer zu Beginn ein auf die Fragestellung zugeschnittener Test erhoben. In dem Fall kann man auch, wenn dies sinnvoll und möglich erscheint, die Versuchsgruppen nach dem stratifiziert-zufälligen Verfahren zusammenstellen. Dank des Prätests im Retroaktionsplan lässt sich der differenzielle Lernzuwachs in A besser beurteilen als dies ohne Prätest möglich wäre. Der Versuchsplan erfasst dann den Einfluss des Lernens auf eine früher gelernte Leistung und zeigt, welche Veränderungen auf das intervenierende Lernen zurückzuführen sind.

Manche Versuchspläne sind noch komplexer als der Pro- und der Retroaktionsplan. Beispielsweise findet man in der Trainingsforschung gelegentlich eine Versuchsanordnung, die neben dem primären Lerntransfer einen sekundären Lerntransfer nachweisen lässt (vgl. Klauer, 1996a). In dem Fall wird zunächst erforscht, wie das intervenierende Lernen zu einer geänderten Leistung führt. Das kann mittels Retroaktionsplan geschehen, mit dem der primäre Transfereffekt belegt werden kann. Im anschließenden Versuchsteil wird untersucht, ob sich diese geänderte Leistung auf eine weitere Leistung auswirkt, also einen sekundären Transfereffekt bewirkt (s. Kasten 1.4). Ein solcher Versuchsplan ist besonders anspruchsvoll und erfordert eine sorgfältige Planung und Durchführung des Vorhabens.

Kasten 1.4: Versuchsplan zum primären und sekundären Transfereffekt

Experimentalgruppe:

Test A → trainiert B → Test A → lernt C → Test C

Kontrollgruppe:

Test A → trainiert X → Test A → lernt C → Test C

Im Retroaktionsteil kann die Bestätigung erbracht werden, dass die Intervention B einen größeren, kleineren oder anderen Effekt auf Test A hat als die Intervention X. In der zweiten Phase, der anschließenden und für beide Gruppen gleichen Lernphase, lässt sich zeigen, ob die vorausgegangene Intervention auch noch eine weitere Wirkung zur Folge hat, nämlich auf das Lernen von Lehrstoff C. Mit Hilfe eines solchen Versuchsplans kann bewiesen werden, dass ein Lernprozess mehr als eine Variable beeinflusst und/oder dass dies auch noch zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden kann. So lässt sich zeigen, ob ein Lernvorgang nicht nur den beabsichtigten Haupteffekt, sondern auch noch weitere Nebeneffekte nach sich ziehen kann. Solche Untersuchungen sind theoretisch wie praktisch von großer Bedeutung. Dazu in Kasten 1.5 ein Beispiel zur Erläuterung:

Kasten 1.5: Fördert ein spezielles Denktraining schulisches Lernen?

48 Schülerinnen und Schüler zweier achter Klassen eines Gymnasiums wurden per Zufall auf zwei Gruppen verteilt. Die eine Gruppe erhielt fünf Wochen lang zweimal wöchentlich eine Stunde Training im induktiven Denken, wobei ein allgemein verfügbares Programm eingesetzt wurde. In dieser Zeit setzte die andere Gruppe den regulären Unterricht fort. Vor und nach dem Training wurde ein Intelligenztest erhoben, der den Effekt des Denktrainings erfassen sollte. Soweit die Retroaktionsphase. Die sich anschließende zweite Phase begann mit einem Lehr-Lern-Paket aus der Geographie, das jeder Schüler in einer einstündigen Stillarbeit durcharbeiten sollte. Diese Phase schloss mit einem lehrzielorientierten Test ab, mit dem das erfasst werden konnte, was inzwischen von dem Lehr-Lern-Paket gelernt wurde. Erwartet wurde zweierlei: erstens, dass die Kinder mit dem Denktraining deutlich besser im Intelligenztest abschneiden würden, und zweitens, dass sie auch mehr geographisches Wissen in der Lernphase erworben hätten. Beide Erwartungen wurden deutlich bestätigt (Klauer, 1997). Man kann also weitere Transfereffekte auf anderes Lernen keinesfalls ausschließen.

Es gibt zwei Möglichkeiten, um einen Retroaktionsplan statistisch auszuwerten, nämlich als Varianzanalyse mit Messwiederholung oder als Kovarianzanalyse. Geht es darum, den Effekt eines Treatments zu erfassen, empfiehlt sich weniger die Varianzanalyse mit Messwiederholung. Der eigentlich interessierende Effekt würde dann durch eine Interaktion erfasst, nämlich durch die Interaktion Gruppe x Zeitpunkt. Statistische Interaktionseffekte sind aber weniger leicht nachzuweisen als Haupteffekte. In der Kovarianzanalyse hingegen erscheint der Effekt des Treatments als Haupteffekt und ist daher leichter nachweisbar.

1.3.2 Die Erfassung von Prätesteffekten

Es stellt sich bei Retroaktionsplänen allerdings die Frage, ob es eine Wirkung hat, wenn die Versuchsgruppen anfangs einen Prätest bearbeiten. Diese Frage wurde zwischen 1960 und 1980 besonders intensiv untersucht. Dabei war zu unterscheiden, ob Prä- und Posttest gleich oder verschieden sind und worauf sie sich beziehen. Sind in den Tests kognitive Leistungen gefordert, wird man mit anderen Ergebnissen rechnen, als wenn es sich um affektiv-emotionale, um motivationale oder um Einstellungsvariablen handelt. Aber wie werden Prätesteffekte überhaupt erfasst? Der differenzierteste Versuchsplan stammt von Solomon (1949) und kombiniert den Retroaktionsplan mit dem Proaktionsplan (s. Kasten 1.6).

Kasten 1.6: 4-Gruppen-Versuchsplan von Solomon (1949)

Gruppe 1

Prätest →

experimenteller Faktor

→ Posttest

Gruppe 2

Prätest

→ Posttest

Gruppe 3

experimenteller Faktor

→ Posttest

Gruppe 4

→ Posttest

Mit Hilfe dieses Plans können verschiedene Fragestellungen geprüft werden, wenn die Probanden den Gruppen zufällig zugeordnet worden sind. Beim Vergleich der Gruppen 2 und 4 lässt sich dann ermitteln, ob der Prätest einen Einfluss auf den Posttest genommen hat, während der Vergleich der Gruppen 1 und 3 zeigt, ob der Prätest den Einfluss einer interessierenden experimentellen Bedingung modifizierte. Sind Prä- und Posttest identisch und dauert der Versuch längere Zeit, so lässt sich überdies prüfen, ob es zwischenzeitliche außerexperimentelle Einflüsse gibt wie etwa Reifungsfortschritte, Transfereffekte des fortlaufenden Schulunterrichts und dergleichen mehr, die die Posttestleistung beeinflusst haben könnten. Haben solche Einflüsse nicht stattgefunden, so sollten sich die Prätests der Gruppen 1 und 2 nicht bedeutsam von dem Posttest der Gruppe 4 unterscheiden.

Nachdem 1976 Glass die Technik der Metaanalyse eingeführt hatte, veröffentlichten Wilson und Putnam (1982) eine Metaanalyse zum Thema der Prätesteffekte. Die wichtigsten Ergebnisse sind folgende:

Soll man dann ganz auf Prätests verzichten? Das ist keineswegs durchgängig zu empfehlen. Prätests erhöhen zumindest bei kognitiven Leistungen die Präzision der Untersuchung. In den Retroaktionsplänen erhalten beide Versuchsgruppen einen Prätest, der sich in beiden Gruppen auch gleichermaßen positiv auswirken wird. Darüber hinaus lässt sich aber prüfen, ob der Leistungszuwachs zwischen Prätest und Posttest durch ein Treatment beeinflusst wird, das eine der Versuchsgruppen erhält – und das ist in der Regel die Fragestellung, die in einem solchen Versuch interessiert. Handelt es sich allerdings um nichtkognitive Variablen, so sind Prätests nur nach sorgfältiger Überlegung einzusetzen, denn der Sensibilisierungseffekt durch Prätests ist in dem Fall nicht zu unterschätzen.

Kritisch zu sehen sind solche Interventionsstudien, die auf eine angemessene Kontrollgruppe verzichten und nur die Veränderungen feststellen, die bei ihrem Treatment in der Experimentalgruppe zu beobachten sind. Handelt es sich um kognitive Leistungen, sind in jedem Fall Verbesserungen zu erwarten, und zwar schon wegen der Messwiederholung. Bei nichtkognitiven Variablen liegen auch hier die Dinge komplexer, doch ist in jedem Fall mit Effekten der Messwiederholung zu rechnen. Beim Fehlen einer Kontrollgruppe sind also keine Aussagen über die Wirkung eines Treatments möglich.

1.3.3 Die Messung von Transfereffekten

Üblicherweise misst man die Transfereffekte, die in einem Proaktionsplan ermittelt werden, mit Hilfe der standardisierten Mittelwertsdifferenz d, wie Cohen (1977) dies vorgeschlagen hatte. Die Effektstärke d wird nicht nur in Transferversuchen gebraucht und ist wie folgt definiert:

MEG bezeichnet den Mittelwert der Experimentalgruppe, MKG den der Kontrollgruppe und sp die gemittelte Standardabweichung der beiden Versuchsgruppen. In der Formel hierzu bedeutet N die Anzahl der Probanden und s die Standardabweichung jeweils von Experimental- und Kontrollgruppe.

Beim Retroaktionsplan steht ein Prätest zur Verfügung. Auch bei Zufallszuweisung der Probanden zu den Gruppen ergeben sich Mittelwertsunterschiede. Deren Berücksichtigung bei der Schätzung der Effektstärke des Treatments erhöht die Präzision. Dies geschieht mittels der um Prätestunterschiede korrigierten Effektstärke dkorr, die vom Verfasser vorgeschlagen (Klauer, 1989) und seither vielfach eingesetzt wurde.

Dankenswerter Weise hat ein Kollege eine kleines Programm ins Internet gestellt, das es gestattet, dkorr auf sehr bequeme Weise zu errechnen (Jacobs, 1999). Man braucht nur die Mittelwerte, die Standardabweichungen und die Stichprobengrößen N der beiden Gruppen einzugeben und erhält dann die Schätzung der korrigierten Effektstärke.

1.3.4 Wie steht es um Placeboeffekte?

Placebo- und Hawthorneeffekte spielen in der psychologischen Forschung immer wieder eine Rolle. Der Hawthorneeffekt ist aus der betriebspsychologischen Forschung bekannt (Roethlisberger & Dickson, 1939), wo man festgestellt hat, dass schon das bloße Wissen um die Teilnahme an einem Experiment zu Leistungsänderungen führen kann. Placeboeffekte werden primär in der pharmakologischen Forschung untersucht, in der die Effekte eines Medikaments (des Verums) mit den Effekten eines Leerpräparats (des Placebos) verglichen werden. Erhebliche Aufregung und Kontroversen hat es um Placeboeffekte im Rahmen der psychotherapeutischen Behandlung gegeben (Adair, Sharpe & Huynh, 1989), wohingegen die Untersuchungen in der Pädagogischen Psychologie durchgehend sachlich beurteilt und entsprechend akzeptiert wurden.

In Trainingsstudien, die in kleinen Gruppen mit Kindern stattfinden, kann nach Hager und Hasselhorn (1993; 1995; vgl. auch Hager, Hübner & Hasselhorn, 2000) der enge Kontakt zwischen Trainer und Kindern zu einer unspezifischen Leistungsverbesserung führen, die an sich positiv zu beurteilen ist, wenn sie stattfindet. Die Autoren sprechen in diesem Zusammenhang vom Zuwendungseffekt, der die Wirkung eines spezifischeren Trainings jedoch überlagern kann und ihn dann überschätzen lässt. Denkbar ist sogar, dass das spezifische Training völlig wirkungslos bleibt und eine nachgewiesene Verbesserung allein auf den Zuwendungseffekt zurückzuführen ist. Es handelt sich also um eine Sonderform des Placeboeffekts.

Wie lässt sich ein solcher unspezifischer Fördereffekt erfassen? In Trainingsversuchen ist es nach Hager und Hasselhorn (1995) angebracht, nicht nur die Kinder der Experimentalgruppe zu trainieren, sondern auch die der Kontrollgruppe, eben weil in der Kleingruppe die Zuwendung als solche schon unspezifische Fördereffekte erzielen kann. Die Autoren fordern daher, die Wirkung des Zieltrainings mit der Wirkung eines anderen Trainings zu vergleichen, das in der Durchführung vergleichbar stattfinden und ähnlich beanspruchend sein soll – nur eben bei anderen Variablen. Der Vorschlag läuft also auf zwei Treatments hinaus, die einander zu kontrastieren sind: einerseits das Treatment, an dem man interessiert ist, und andererseits ein Placebo-Treatment, das sehr ähnlich konzipiert ist, aber andere Komponenten fördern soll. Der Retroaktionsplan sieht dann so aus (s. Kasten 1.7):

Kasten 1.7: Retroaktionsplan nach Hager und Hasselhorn zur Kontrolle von Zuwendungseffekten

Experimentalgruppe:

Test A → trainiert B → Test A

Kontrollgruppe:

Test A → trainiert C → Test A

Das Training C sollte danach unter vergleichbaren Bedingungen wie Training B durchgeführt werden, nur muss es andere Leistungskomponenten fördern. Führt ein solcher Versuch zu einem signifikanten Ergebnis, etwa dass Training B die Leistung in A deutlicher verbessert als Training C, so kann man in der Tat eine klare Schlussfolgerung ziehen. Man hat dann die Überlegenheit des Zieltrainings gegenüber dem Placebotraining in seiner Wirkung auf A nachgewiesen. Nachteilig ist dieser Versuchsplan allerdings, wenn kein statistisch signifikanter Unterschied aus dem Versuch hervorgeht. In dem Fall kann es sein, dass beide Trainingsvarianten gleich starke Effekte erzielen oder auch gleich schwache, so dass sich daraus nichts schließen lässt. Beide Trainings können eben auch wirkungslos bleiben. Um dieses unbefriedigende Ergebnis auszuschließen, empfiehlt es sich, eine dritte Trainingsgruppe einzuführen (s. Kasten 1.8).

Kasten 1.8: Retroaktionsplan von Klauer für Placebostudien

Experimentalgruppe:

Test A → Training B

→ Test A

Placebogruppe:

Test A → Training C

→ Test A

Kontrollgruppe:

Test A → kein Training

→ Test A

In den Versuchsplänen der Kästen 1.7 und 1.8 sind die Probanden per Zufall den Bedingungen zuzuordnen. Die Gruppe ohne Training muss natürlich auch angemessen beschäftigt werden, damit Schlussfolgerungen möglich sind. Handelt es sich um Schulkinder, so könnten die Kontrollkinder zu der Zeit den regulären Unterricht fortsetzen, da die anderen Kinder ihr Training erhalten. Folgende Vergleiche sind dann möglich:

Kontrast der Experimentalgruppe zu der Kontrollgruppe

. Falls das Zieltraining einen signifikant größeren Effekt auf den Zuwachs in Posttest A hat als die Kontrollbedingung, ist der Effekt des Zieltrainings nachgewiesen.

Kontrast des Placebotrainings zu der Kontrollbedingung

: Mit diesem Kontrast wird der Zuwendungs- oder Placeboeffekt direkt erfasst und geschätzt. Ist der Effekt signifikant verschieden von null, so ist ein unspezifischer Effekt nachgewiesen und der Effekt des Zieltrainings wird um diesen Anteil überschätzt.

Kontrast des Zieltrainings zu dem Placebotraining

: Falls hier ein nachweisbarer Unterschied zugunsten des Zieltrainings besteht, hat dieses eine entsprechend größere Wirkung auf den Zuwachs in Posttest A als das Placebotraining: Dann übersteigt die Wirkung des spezifischen Trainings die Wirkung unspezifischer Förderung, die etwa auf die Zuwendung zurückzuführen ist. Findet sich jedoch

kein

signifikanter Unterschied zwischen den beiden Trainingsvarianten, entscheiden die beiden anderen Vergleiche, ob beide Trainings gleich wirksam oder gleich wirkungslos waren.

Ältere Metaanalysen zu Schätzungen des Placeboeffekts in pädagogisch-psychologischen Experimenten (Adair, Sharpe & Huynh, 1990; Dush, Hirt & Schroeder, 1989; Robinson, Smith, Miller & Brownell, 1999) führten durchweg zu Ergebnissen, die ebenfalls nicht signifikant verschieden von null waren. Im Übrigen konnten Lipsey und Wilson (1993) in einer viel beachteten Metaanalyse zeigen, dass Placeboeffekte nicht lange vorhalten, sondern relativ rasch verschwinden. Bei vergleichbaren Experimenten darf man also unterstellen, dass Placeboeffekte in ihrem Ausmaß als gering einzuschätzen sind.

1.4 Das Problem der Transferdistanzen

Eine naheliegende Möglichkeit, die Transferdistanz zu bestimmen, liegt darin, die Ähnlichkeit zwischen Lern- und Transferaufgaben zu ermitteln. Haben zwei Lernaufgaben gleiche Elemente oder Teile, so sind sie einander ähnlich, und je mehr Elemente sie gemeinsam haben, umso ähnlicher sind sie einander. Demnach wäre also vorauszusagen, dass ein Lerntransfer auf ähnliche Lehrstoffe stattfindet. Vom Ausmaß der Ähnlichkeit müsste abhängen, wie ausgeprägt der Transfer sein wird.

Analog differenziert man schon seit langem zwischen nahem und weitem Transfer. Naher Transfer findet statt, wenn Lern- und Transfermaterial einander ähnlich sind, sich stark überschneiden. Transfer, der unter diesen Bedingungen erfolgt, dürfte sich sehr häufig einstellen und ist natürlich wenig aufregend. Lehrkräfte können sich indes aufregen, wenn ein solcher Transfer ausbleibt. Ist jedoch die inhaltliche Überschneidung gering oder gar zu vernachlässigen, handelt es sich um weiten Transfer. Weiter Transfer ist daher für viele Autoren der eigentlich interessante Fall. Daher ist die Messung der Transferdistanz bedeutsam.

Wie kann man die Transferdistanz zwischen Lehrstoffen ermitteln? Wenn in Erdkunde die Arktis behandelt wird, so lässt sich sicher manches auf die Antarktis übertragen. Zweifellos gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Arktis und Antarktis, die etwa mit dem Verhalten des Wassers unter dem Einfluss niedriger Temperaturen zu tun haben. Sicher gibt es auch wichtige Unterschiede, beispielsweise größere Landmassen in der Arktis als in der Antarktis. Analysiert man die Verhältnisse im Einzelnen, lassen sich Vorhersagen ableiten, in welcher Hinsicht mit positivem Transfer gerechnet werden kann. Ein anderes Beispiel: In den Alpen gibt es charakteristische Veränderungen, je höher man steigt. Diese betreffen die mittleren Temperaturen, aber auch die Besiedlung, den Pflanzenwuchs, die Tierwelt und manches mehr. Steht nun im Unterricht später die Behandlung der südamerikanischen Anden an, so gibt es ähnliche Zusammenhänge, so dass man trotz der bedeutsamen Unterschiede Transfereffekte erwarten wird.

Im vorliegenden Zusammenhang ist aber die Frage wichtiger, wie die Transferdistanzen im Falle von Arktis-Antarktis und Alpen-Anden zu beurteilen sind. Welcher Transfer ist größer, welcher kleiner? Tatsächlich gibt es in diesen wie in vergleichbaren Fällen bislang noch keine Möglichkeit, die Transferdistanz vergleichend zu beurteilen, so dass es hier auch nicht möglich ist zu prüfen, ob die weitere Transferdistanz zu geringerem Transfer führt. So bleibt es eine Aufgabe für die Zukunft, Methoden zu entwickeln, um die Transferdistanz zwischen unterschiedlichen Lehrstoffen zu bestimmen.

Kasten 1.10: Sechs Dimensionen des Transfers (nach Barnett & Ceci, 2002, S. 621)

Dimension

Beispiel naher Transfer

Beispiel ferner Transfer

Fachgebiet

Maus vs. Ratte

Wissenschaft vs. Kunst

Situativer Kontext

Gleiches Klassenzimmer

Schule vs. Strand

Zeitlicher Kontext

Gleiche Sitzung

Jahre später

Funktionaler Kontext

Beides schulisch

Schulisch vs. Spiel

Sozialer Kontext

Beides individuell

Individuell vs. Gruppe

Modalität

Beides schriftlich

Lesen vs. Holz schnitzen

Bleibt man jedoch bei den 64 Kategorien, wie dies die Autoren vorschlagen, so steht man unverändert vor der Aufgabe, nahen von fernem Transfer unterscheiden zu müssen. Das kann innerhalb einer Untersuchung nachvollziehbar geschehen, zwischen verschiedenen Studien ist dies aber zumeist nicht eindeutig möglich. Das zentrale Problem der Transferdistanz ist mit der Taxonomie von Barnett & Ceci (2002) nicht gelöst.

Bessere Möglichkeiten bieten dimensionale Ansätze, bei denen Objekte in einen zwei- oder mehrdimensionalen Raum eingebettet werden, so dass die Distanz zwischen den Objekten bestimmbar wird. Liegt Objekt A weit entfernt von Objekt B, so ist die Transferdistanz zwischen den Objekten relativ groß; Liegen die Objekte näher beieinander, so ist die Transferdistanz entsprechend gering. Mitunter wird ein solches Maß auch zur Messung der Ähnlichkeit von Objekten benutzt (vgl. z. B. Goldstone, 1994). Zwei Objekte sind danach umso ähnlicher, je mehr Eigenschaften sie gemeinsam haben. Bedient man sich der multidimensionalen Skalierung (z. B. Ashby, 1992), so stellt sich Ähnlichkeit als invers zur geometrisch-räumlichen Distanz zwischen den Objekten dar. Sinngemäß lässt sich die Transferdistanz analog ermitteln (s. Kasten 1.11).

Der Verfasser erarbeitete ein Verfahren, das es gestattet, die Transferdistanz zwischen Aufgabenmengen zu bestimmen (s. Kasten 1.11). Konkret ging es darum, die Distanz zwischen Aufgaben des induktiven Denkens quantitativ festzulegen. Das Verfahren kann angewendet werden, wenn zwei Aufgabenmengen im mengentheoretischen Sinne definiert sind, das heißt wenn für beide Mengen die Merkmale feststehen, anhand derer entschieden werden kann, ob eine beliebige Aufgabe zu der einen Menge oder zu der anderen oder zu keiner von beiden gehört. Das Vorgehen basiert auf der einflussreichen Analyse von Tversky (1977), der Ähnlichkeit als eine Funktion der gemeinsamen und verschiedenen Merkmale definierte, jeweils gewichtet nach deren Bedeutung oder Einfluss.

In der Arbeit von Klauer (1989b) konnte auf 73 Fälle zurückgegriffen werden, bei denen verschiedene Mengen von Trainings- und Testaufgaben eingesetzt worden waren. Konkret konnten

einerseits die mittleren Transferdistanzen berechnet werden und