Traum und Traumverständnis in der Psychoanalyse - Helmwart Hierdeis - E-Book

Traum und Traumverständnis in der Psychoanalyse E-Book

Helmwart Hierdeis

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Beschreibung

Der Bezug des Traums zum alltäglichen Erleben wurde schon früh erkannt. Dass Träume auf die psychische Verfassung des Träumenden verweisen, war die Entdeckung Sigmund Freuds. Die Psychoanalyse sieht im Traum ein »Fenster zum Unbewussten«, weil er wichtige Informationen über verdrängte Traumata und Konflikte liefern und zugleich mögliche Lösungen anbieten kann. Psychoanalytische Methoden tragen dazu bei, die eigenartige Sprache des Traums zu verstehen und damit Wege zum Selbstverständnis für alle Träumer, insbesondere aber für hilfesuchende zu öffnen. Von großer Bedeutung sind dabei auch die Erkenntnisse der modernen interdisziplinären Traumforschung.

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Herausgegeben vonFranz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Helmwart Hierdeis

Traum undTraumverständnis in derPsychoanalyse

Vandenhoeck & Ruprecht

Mit 14 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99886-2

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de

Umschlagabbildung: Paul Klee, Castle Garden, 1919/Öffentliche Kunstsammlung, Basel, Switzerland/Bridgeman Images

© 2018, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen /

Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

Inhalt

Vorwort zur Reihe

Vorwort zum Band

1 Annäherungen

1.1 Episode

1.2 Der Traum in der Alltagserfahrung

1.3 Der Traum in der Alltagssprache

1.4 Der Traum in Kunst und Literatur

2 Freuds »Traumdeutung« (1900)

2.1 Vorbemerkung

2.2 Freuds Kritik an der zeitgenössischen Traumforschung

2.2.1 Auslöser des Traums

2.2.2 Funktionen des Traums

2.3 Freuds Traumverständnis und Deutungsmethode

2.4 Paradigma: Freuds »Traum von Irmas Injektion«

2.4.1 Hinführung und Traumtext

2.4.2 Traumanalyse

2.5 Schritte der »Traumarbeit«

2.6 Kritik an Freuds Deutung des Irma-Traums

2.7 Freuds Rückschau

3 Traum und Traumverständnis nach Freud

3.1 Ausdifferenzierung innerhalb der Psychoanalyse: Alfred Adler und Carl Gustav Jung

3.2 Der Traum als Text

3.3 Das Ich im Traum

3.4 Empirische Traumforschung

4 Beispiele für die psychoanalytische Arbeit an und mit Träumen

4.1 Vorbemerkungen

4.2 Angst- und Straftraum

4.3 Übertragung im Traum

4.4 Gegenübertragung im Traum

5 Epilog

5.1 Der Traum als Veränderungsanzeige

5.2 »Wahrtraum«

5.3 Schlussbemerkung

Literatur

Bildnachweis

Vorwort zur Reihe

Zielsetzung von PSYCHODYNAMIK KOMPAKT ist es, alle psychotherapeutisch Interessierten, die in verschiedenen Settings mit unterschiedlichen Klientengruppen arbeiten, zu aktuellen und wichtigen Fragestellungen anzusprechen. Die Reihe soll Diskussionsgrundlagen liefern, den Forschungsstand aufarbeiten, Therapieerfahrungen vermitteln und neue Konzepte vorstellen: theoretisch fundiert, kurz, bündig und praxistauglich.

Die Psychoanalyse hat nicht nur historisch beeindruckende Modellvorstellungen für das Verständnis und die psychotherapeutische Behandlung von Patienten hervorgebracht. In den letzten Jahren sind neue Entwicklungen hinzugekommen, die klassische Konzepte erweitern, ergänzen und für den therapeutischen Alltag fruchtbar machen. Psychodynamisch denken und handeln ist mehr und mehr in verschiedensten Berufsfeldern gefordert, nicht nur in den klassischen psychotherapeutischen Angeboten. Mit einer schlanken Handreichung von 70 bis 80 Seiten je Band kann sich der Leser schnell und kompetent zu den unterschiedlichen Themen auf den Stand bringen.

Themenschwerpunkte sind unter anderem:

–Kernbegriffe und Konzepte wie zum Beispiel therapeutische Haltung und therapeutische Beziehung, Widerstand und Abwehr, Interventionsformen, Arbeitsbündnis, Übertragung und Gegenübertragung, Trauma, Mitgefühl und Achtsamkeit, Autonomie und Selbstbestimmung, Bindung.

–Neuere und integrative Konzepte und Behandlungsansätze wie zum Beispiel Übertragungsfokussierte Psychotherapie, Schematherapie, Mentalisierungsbasierte Therapie, Traumatherapie, internetbasierte Therapie, Psychotherapie und Pharmakotherapie, Verhaltenstherapie und psychodynamische Ansätze.

–Störungsbezogene Behandlungsansätze wie zum Beispiel Dissoziation und Traumatisierung, Persönlichkeitsstörungen, Essstörungen, Borderline-Störungen bei Männern, autistische Störungen, ADHS bei Frauen.

–Lösungen für Problemsituationen in Behandlungen wie zum Beispiel bei Beginn und Ende der Therapie, suizidalen Gefährdungen, Schweigen, Verweigern, Agieren, Therapieabbrüchen; Kunst als therapeutisches Medium, Symbolisierung und Kreativität, Umgang mit Grenzen.

–Arbeitsfelder jenseits klassischer Settings wie zum Beispiel Supervision, psychodynamische Beratung, Arbeit mit Geflüchteten und Migranten, Psychotherapie im Alter, die Arbeit mit Angehörigen, Eltern, Gruppen, Eltern-Säuglings-Kleinkind-Psychotherapie.

–Berufsbild, Effektivität, Evaluation wie zum Beispiel zentrale Wirkprinzipien psychodynamischer Therapie, psychotherapeutische Identität, Psychotherapieforschung.

Alle Themen werden von ausgewiesenen Expertinnen und Experten bearbeitet. Die Bände enthalten Fallbeispiele und konkrete Umsetzungen für psychodynamisches Arbeiten. Ziel ist es, auch jenseits des therapeutischen Schulendenkens psychodynamische Konzepte verstehbar zu machen, deren Wirkprinzipien und Praxisfelder aufzuzeigen und damit für alle Therapeutinnen und Therapeuten eine gemeinsame Verständnisgrundlage zu schaffen, die den Dialog befördern kann.

Franz Resch und Inge Seiffge-Krenke

Vorwort zum Band

Träume sind Alltagserfahrungen. Jeder Mensch träumt, auch wenn er sich morgens nicht mehr an seine Trauminhalte erinnern kann. Die Auseinandersetzung mit Träumen stellt eine Erinnerungsarbeit dar, die in einer rationalistischen, zukunftsorientierten Gesellschaft auch auf Widerstände trifft. So bieten die irrationalen, bruchstückhaften, sich der Alltagslogik widersetzenden Szenenabläufe, Erlebnisbausteine und Erzählreste eine große Angriffsfläche für den »Wirklichkeitssinn«. Die Alltagssprache spielt die Bedeutung des Traums eher herunter. In der Auseinandersetzung mit kreativen Prozessen und künstlerischen Erzeugnissen jedoch stößt man auf erstaunliche Parallelen zwischen Traumtätigkeit und künstlerischer Produktion.

Helmwart Hierdeis gibt in seinem Buch eine bemerkenswerte Übersicht über Traumdeutung und Traumverständnis in der psychotherapeutischen Arbeit. Die Traumdeutung Freuds um 1900 steht im Mittelpunkt der Darstellung. Feinsinnig werden die Quellströme sichtbar gemacht, aus denen Freud sein damaliges Opus schuf. Denn so sehr die freudsche Traumdeutung eine revolutionierende Theorie darstellte, baute diese doch auf vielen Überlegungen und Forschungsergebnissen aus der Zeit vor Freud auf. Anhand des Traums von »Irmas Injektion« werden die Bausteine der Traumanalyse erkennbar. Die Schritte der Traumarbeit werden verständlich. Wichtige Begriffe (z. B. Entstellung der Traumgedanken, Verdichtung und Verschiebung) sind klar definiert. Mithilfe des Instrumentariums kann danach eine Kritik an Freuds eigener Deutung gewagt werden. Der Traum als Text ist auch von wichtigen Autoren nach Freud aufgegriffen worden.

Ein Kapitel über empirische Traumforschung ergänzt die Abhandlung und stellt Bezüge zur Gegenwart her. Beispiele für die psychoanalytische Arbeit an und mit Träumen umfassen Angst- und Strafträume, Übertragungsphänomene im Traum, aber auch die Gegenübertragung im Traum des Analytikers. Zeigt der Traum in der Therapie Veränderungen an? Gibt es Wahrträume mit fast hellseherischen Komponenten? Viele interessante Fakten, historische Herleitungen, Praxiserfahrungen und Anregungen führen zu neuen Fragen und neuen Themen, die den Leser und die Leserin zu eigenen Stellungnahmen herausfordern. Besonders berührend sind die eigenen Traumerzählungen und die von Helmwart Hierdeis’ Patientinnen und Patienten, die zeigen, wie empathisch und kreativ beide Parteien mit dem Traumprodukt umgehen.

Inge Seiffge-Krenke und Franz Resch

»Wenn ich nur deiner Frau wie auch der Frau von Stein die verwünschte Aufmerksamkeit auf Träume wegnehmen könnte! Es ist doch immer das Traumreich wie ein falscher Lostopf, wo unzählige Nieten und höchstens kleine Gewinstchen untereinander gemischt sind.«(J. W. von Goethe an Joh. Gottfried Herder am 17.12.1788)

1 Annäherungen

1.1 Episode

Der sechsjährige Johannes im Gespräch mit seiner Mutter:

J: Was sind eigentlich Atome?

M: Das sind ganz kleine Teilchen, aus denen alles auf der Welt besteht.

J: Ich auch?

M: Ja.

J: Der Tisch?

M: Ja.

J: Mein Brot?

M: Ja.

J: Aber Träume nicht!

Gleichgültig, was der kindliche Beobachter und Denker von Atomen weiß: Für ihn sind sie Elemente der materiellen Welt, einer Welt, die er anschauen und anfassen kann, die, wenn er die Augen schließt und sie wieder öffnet, noch genauso da zu sein scheint wie vorher, die er verändern und deren früheren Zustand er wiederherstellen kann, die ihm mit ihrer Ordnung und Vorhersehbarkeit Sicherheit gibt. Gleichgültig auch, wie vielfältig und bunt die Traumerfahrung des Jungen schon ist: Er weiß offenbar, dass das alles auf seine Träume nicht zutrifft. Sie lassen sich weder angreifen noch umorganisieren noch wiederholen. Sie tauchen auf, irritieren oder erregen ihn kurz und verschwinden wieder, die meisten auf immer. Es sieht nicht so aus, als ob sie ihn im Augenblick beunruhigten. Aber wenn er sich selbst und seinen Träumen gegenüber wach bleibt, werden ihn immer mehr die Fragen beschäftigen: Wer oder was spielt mir im Schlaf so merkwürdige Bilder und Szenen vor? Wo bin ich denn da? Wo kommen sie her? Was haben sie mit mir zu tun? Was hat das alles für einen Sinn? Und wie soll ich darauf antworten?

1.2 Der Traum in der Alltagserfahrung

Jeder Mensch träumt, aber nicht jeder erinnert sich daran. Vielleicht sagt er dann, er träume nie. Andere erinnern sich selten an ihre Träume, wissen mit ihnen aber entweder nichts anzufangen oder fühlen sich zwar kurz irritiert, gehen ihnen jedoch nicht weiter nach. Damit ignorieren sie die Tatsache, dass im Traum unser mehr oder weniger bewusstes Leben am Tage und unser nicht bewusstes Leben in der Nacht in Beziehung zueinander treten – nur eben wie in raschen Filmschnitten und auf eine schwer durchschaubare Weise. Bei Wolfgang Mertens (2009, S. 8) könnte der oben zitierte junge Träumer später einmal nachlesen, was er für sich gewinnen kann, wenn er sich seinen Träumen zuwendet:

»Wenn wir uns an einen Traum erinnern,

nehmen wir Kontakt zu unserer unbewußten Phantasiewelt auf,

erfahren wir einen Zugang zu früheren Erinnerungen, in denen die möglichen Wege zur Erfüllung unserer Kindheitswünsche aufbewahrt sind,

erfahren wir aber auch, welche unbewältigten Ängste immer noch auf unser Tageserleben Einfluß ausüben können, und lernen, daß wir uns viele Aufgaben in der Gegenwart nicht zutrauen, weil sie immer noch mit alten Ängsten verbunden sind,

können wir uns vergegenwärtigen, welche Mittel unsere unbewußte Abwehr einsetzt, um die anstößigen und angsterregenden Teile unserer Tageserlebnisse vor uns selbst verborgen zu halten.

Wenn in unseren Träumen ungelöste Konflikte aus der Vergangenheit angesprochen werden, können zuvor unbewußte Wünsche, Emotionen und Handlungen vorbewußt werden.

Wir lernen dadurch auch unsere Abwehrformationen kennen, die wir einsetzen, um mit den durch die Tagesereignisse provozierten konflikthaften Wünschen und Emotionen umgehen zu können.

Dadurch kommen wir in Kontakt mit der Kreativität unseres Ichbewußtseins im Traum, aber auch im Wachzustand.

Dadurch erfahren wir, welch Glücksgefühl und Befriedigung sich einstellen können, wenn wir unsere Wünsche mit weniger Abwehr erleben könnten, was auch einen Ansporn dafür darstellt, uns mit unseren Einschränkungen auseinanderzusetzen. Dabei können wir auch lernen, unerfüllbare Kinderwünsche von solchen zu unterscheiden, die in Gegenwart und Zukunft in einer dem Erwachsenenleben angepassten Form noch realisierbar wären.

So können wir daran arbeiten, geeignetere Möglichkeiten der Konfliktlösung und der Wunschbefriedigung in der Realität zu finden.

Manchmal erfahren wir aber auch, welche traumatischen Erinnerungen sich immer wieder im Traum Ausdruck verschaffen und Angst hervorrufen, um damit endlich einer Integration und Lösung zugeführt werden zu können.

Und schließlich lernen wir noch, daß unsere Träume häufig auch einen kommunikativen Aspekt aufweisen: Sie beziehen sich zum Beispiel auf unsere Partner oder – wenn wir uns in Therapie befinden – häufig auch auf unseren Therapeuten und machen uns auf bislang nicht bewußte Erlebnisinhalte aufmerksam.«

Das Zitat ist erkennbar ein Plädoyer dafür, sich mit seinen Träumen auseinanderzusetzen. Der Gewinn, so lautet das Versprechen, besteht in einem Leben, das weniger vergangenheits- und konfliktbelastet und weniger angstbesetzt ist, dafür aber getragen vom Vertrauen in die eigene psychische Stabilität: Was auch immer in meiner Vergangenheit geschehen ist, wie konflikthaft auch immer meine Gegenwart ist und was die Zukunft auch bringen mag: Ich traue mir zu, damit fertig zu werden.