Träumerin sucht Mann fürs Leben - Hailey North - E-Book
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Träumerin sucht Mann fürs Leben E-Book

Hailey North

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Beschreibung

Liebeschaos vorprogrammiert: Die romantische Komödie »Träumerin sucht Mann fürs Leben« von Hailey North jetzt als eBook bei dotbooks. Das große Glück kommt, wenn man es am wenigsten erwartet … Die junge Künstlerin Lauren ist eine Träumerin – aber weil sie schon viel zu lange Luftschlösser baut, stolpert sie von einem Fettnäpfchen ins andere … ganz besonders in Sachen Liebe! Da kommt der Banker Oliver gerade recht, der mit seiner treuen und gefühlvollen Art wie für sie gemacht zu sein scheint. Na gut, er ist vielleicht nicht der aufregendste Mann der Welt, aber wer ist das schon? Möglicherweise sein verboten gutaussehender, allerdings auch sehr unkonventioneller Bruder Alistair, der lieber als Zauberkünstler auftritt, als Verantwortung für das Familienerbe zu übernehmen – aber sind eine Träumerin wie sie und ein Chaot wie er wirklich füreinander geschaffen? »Eine absolut hinreißende Liebesgeschichte!« Bestseller-Autorin Susan Andersen Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der warmherzige Liebesroman »Träumerin sucht Mann fürs Leben« von Hailey North – der erste Band ihrer locker zusammenhängenden New-Orleans-Reihe über die Fallstricke der Liebe. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 437

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Über dieses Buch:

Das große Glück kommt, wenn man es am wenigsten erwartet … Die junge Künstlerin Lauren ist eine Träumerin – aber weil sie schon viel zu lange Luftschlösser baut, stolpert sie von einem Fettnäpfchen ins andere … ganz besonders in Sachen Liebe! Da kommt der Banker Oliver gerade recht, der mit seiner treuen und gefühlvollen Art wie für sie gemacht zu sein scheint. Na gut, er ist vielleicht nicht der aufregendste Mann der Welt, aber wer ist das schon? Möglicherweise sein verboten gutaussehender, allerdings auch sehr unkonventioneller Bruder Alistair, der lieber als Zauberkünstler auftritt, als Verantwortung für das Familienerbe zu übernehmen – aber sind eine Träumerin wie sie und ein Chaot wie er wirklich füreinander geschaffen?

»Eine absolut hinreißende Liebesgeschichte!« Bestseller-Autorin Susan Andersen

Über die Autorin:

Hailey North arbeitete als Anwältin, bis sie schließlich ihre wahre Leidenschaft entdeckte und als Autorin heiterer Liebesromane große Erfolge feiern konnte. Sie lebt gemeinsam mit ihrem Mann, ihrem Hund und ihren drei Katzen in Louisiana.

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin ihre locker zusammenhängende »New Orleans Love«-Reihe mit den Bänden »Ein Mann gegen alle Sorgen«, »Träumerin sucht Mann fürs Leben« und »Wo ein Traummann ist, ist auch ein Weg«. Außerdem erscheint bei dotbooks ihr romantischer Kleinstadtroman »Arkansas Dreams – Ein Tierarzt zum Verlieben«.

Die Website der Autorin: www.haileynorth.com/

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eBook-Neuausgabe November 2022

Die amerikanische Originalausgabe erschien erstmals 2000 unter dem Originaltitel »Perfect Match« bei Avon Books (Harper Collins), New York. Die deutsche Erstausgabe erschien 2004 unter dem Titel »Das Lippenstift-Duell« bei Goldmann, München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 2000 by Nancy Wagner

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2004 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2022 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Kristin Pang, unter Verwendung von Motiven von Marish / shutterstock.com und Artnizu / shutterstock.com

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ah)

ISBN 978-3-98690-397-8

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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In diesem eBook begegnen Sie möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. Diese Fiktion spiegelt nicht unbedingt die Überzeugungen des Verlags wider.

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Hailey North

Träumerin sucht Mann fürs Leben

Roman

Aus dem Amerikanischen von Dinka Mrkowatschki

dotbooks.

Für mein perfektes Gegenstück

Dank für Deine unermüdliche Inspiration

Und im Andenken an Nancy Richards-Akers,

deren großzügiger Geist weiterlebt,

trotz ihres Todes, der viel zu früh kam.

Kapitel 1

»Heute hast du einen neuen Tiefstand erreicht, Lauren Grace Stevens.«

»Arck! Arck!«, kreischte der Papagei auf Laurens Schulter und nickte mit seinem gefiederten Schopf. Offensichtlich war er derselben Meinung wie die Frau, auf deren Schulter er balancierte.

»Das Letzte, was ich momentan brauche«, fuhr Lauren fort, »ist Kritik von einem gefiederten Teufel.«

Der Papagei senkte den Kopf. Lauren seufzte und kraulte dem einzigen Verbündeten, den sie in New Orleans hatte, den Schnabel. »Schon gut. Verzeih, dass ich dich Teufel genannt habe. Du bist ja nicht schuld daran, dass es mir so mies geht.«

»Arck! Billig kaufen. Teuer verkaufen!«

Lauren musste trotz allem grinsen. Die frühere Besitzerin des Vogels hatte ein glückliches Händchen für den Aktienmarkt gehabt. Aber leider hätte auch das dickste Aktienpaket der Welt Mrs Plaisance nicht vor der Lungenentzündung retten können, der sie zum Opfer gefallen war. Und dieses Ereignis war der Anlass für Laurens eigenen Absturz von einer bezahlten Gesellschafterin zu ihrem augenblicklichen Status als Straßenkünstlerin gewesen, die sich Trinkgelder für Fotos mit ihrem exotischen Papagei verdiente. Obwohl ihr jeder davon abgeraten hatte, hatte sich Lauren vor zwei Monaten noch einmal Urlaub von ihrer Doktorarbeit genommen, um Mrs Plaisance nach New Orleans zu begleiten. Wenn sie ihr Doktorvater jetzt nur sehen könnte.

»Mom, darf ich den Vogel streicheln?«

Lauren lächelte den Jungen an, der sich dem Platz näherte, den sie unter den Tarotkartenlesern, Jongleuren, Künstlern, Musikern und Pantomimen, die hier Geschäfte mit den Touristen machten, für sich ergattert hatte. Die Besucher der Stadt wurden vom Jackson Square im French Quarter genauso angezogen wie Lemminge von einer norwegischen Klippe.

»Nur wenn die Dame es erlaubt«, erwiderte die Frau, die im Kielwasser ihres Sohnes auf sie zuhechelte. Sie trug mehrere Einkaufstüten, aber eine grellviolette Tüte mit Goldlettern, die geradezu tanzten, während die Tüte gegen den Schenkel der Frau schlug, weckte Laurens Aufmerksamkeit. Sie las »Bayou Magick Shop.« Die Künstlerin in ihr wurde von der Schönheit des Designs angesprochen, und sie nahm sich vor, sich demnächst einen Besuch in diesem Laden zu gönnen, nur um zu sehen, was für ein Etablissement sich so viel Mühe mit seinen Einkaufstüten gab. Sie konnte natürlich nichts kaufen, aber das war auch nicht Ziel dieses Unterfangens.

»Wenn Buster damit einverstanden ist«, sagte Lauren zu dem Jungen. »Ich hab nichts dagegen.«

»Was ist denn das für ein Name für einen Vogel?«

»Seiner«, erwiderte Lauren.

Der Junge drehte sich zu der Frau um. »Das ist doof. Warum sind wir hierher gekommen? Du weißt doch, dass ich nach Disney World will.«

Die Frau richtete einen grimmigen Blick auf Lauren.

Eingedenk ihrer leeren Taschen interpretierte Lauren den Blick richtig. Sie fühlte sich sehr mies wegen ihrer Falschheit, aber sie sagte: »War nur ein Scherz.«

»Ja?«

»Wie würdest du denn einen Papagei nennen?«

Die Augen des Jungen strahlten. Er musterte den Vogel, dann streckte er eine Hand nach Busters grellbunten Flügeln aus. »Tweety. ›Buster‹ ist ein Hundename.«

So berechenbar. Zwei Stunden Arbeit für Trinkgelder, und sie hatte mehr darüber gelernt, wann es wichtig ist, den Mund zu halten, als in den achtundzwanzig Jahren ihres Lebens davor. »Gut, dann nennen wir ihn Tweety.«

Der Junge nickte und hielt dem Vogel seine Hand hin.

»Billig kaufen. Teuer verkaufen!« Buster spreizte die Flügel und hopste von Laurens Schulter auf die des Jungen. Das Kind lächelte und Lauren ebenfalls. In ein paar Minuten sollte sie von den beiden genug kriegen, um ihre Kosten für diesen Tag zu bestreiten.

»Wow, Mom«, sagte der Junge. »Er mag mich. Krieg ich einen Vogel, wenn wir wieder daheim sind?«

Die Frau, die gerade eine Schokoladentafel ausgepackt hatte, stutzte mit einem Riegel auf dem Weg in ihren Mund. »Nein.« Die Frau warf Lauren wieder einen grimmigen Blick zu. »Gib ihn zurück. Sofort.«

Lauren griff nach dem Vogel und setzte ihn wieder auf ihre Schulter. Der Junge kramte in seiner Tasche und warf etwas Kleingeld in die ausrangierte Popcornschachtel, die Lauren zu ihren Füßen aufgestellt hatte. Lauren wartete darauf, dass die Mutter den echten Beitrag lieferte, und rang sich noch ein Lächeln für den Jungen ab.

Die Frau steckte sich noch ein Stück Schokolade in den Mund und zerrte dann den Jungen ohne ein weiteres Wort weg.

Zwei Vierteldollar funkelten in der Sonne.

Zwei Vierteldollar reichten nicht einmal für eine Trambahnfahrt, ganz zu schweigen von den Künstlerutensilien, die sie brauchte, wenn sie wirklich Geld verdienen wollte, um sich aus ihrer misslichen Lage zu befreien.

»Guten Morgen«, sagte eine tiefe Stimme direkt neben ihr.

Lauren machte einen Satz. Sie hatte den Mann nicht kommen hören, und jetzt stand da, kaum dreißig Zentimeter entfernt, das tollste Exemplar von Mann, das sie je gesehen hatte. Blond, mit kurz geschorenen Haaren, gute eins achtzig groß. Er hatte volle, sanft nach oben geschwungene Lippen, und sie wusste instinktiv, dass sie warm und fest sein würden, wenn man sie berührte. Über der perfekt geformten Nase Augen so dunkelblau wie der Anzug, der, das könnte sie beschwören, aus Kaschmir war. Sie musste sich mit Gewalt zurückhalten, sonst hätte sie die Hand ausgestreckt und den Stoff gestreichelt.

»Hallo«, sagte sie.

Dieses eine Mal hatte Buster nichts zu sagen, fixierte aber den Mann mit starrem Blick.

»Ich muss mir Ihren Papagei aus der Nähe ansehen«, sagte der Mann. »Ein African Grey?«

Lauren überlegte sich die Antwort und war sich nicht sicher, ob sie die Wahrheit sagen sollte. Ob sich dieser gut angezogene Mann fragte, wieso eine Straßenkünstlerin einen so wertvollen Vogel besaß? Lauren würde das.

»Ein echter Schnuckel«, sagte sie und kraulte Busters Schopf.

»Ja, das seh ich«, sagte der Mann, sah aber dabei seltsamerweise Lauren an und nicht Buster.

Der Saxophonist, der hinter Lauren am Zaun lehnte, wählte ausgerechnet diesen Moment, um eine Note zu blasen, die jede Antwort überflüssig machte.

Der Mann kam näher und sagte durch eine geträllerte Version von »Summertime«: »Sie kommen also regelmäßig hierher?«

Laurens Blick wanderte von dem Mann zu der Wahrsagerin, die neben ihr saß, dann hinunter zu ihren Füßen. Hoffentlich nicht, dachte sie, aber was war das für eine Antwort. Du arbeitest für Trinkgeld, erinnerte sie sich und lächelte ihn an. »Oh, ja, Sie können die Uhr danach stellen, jeden Tag, obs regnet oder die Sonne scheint.«

»Billig kaufen, teuer verkaufen!«

»Und wie ich sehe, haben Sie Ihren Finanzberater immer dabei.«

Lauren kicherte. Sie wusste trockenen Humor zu schätzen.

»Wie wärs mit einem Blick in die Zukunft?«, mischte sich jetzt Sister Griswold, die Hand- und Kartenleserin, die neben Lauren arbeitete, ein. Sie war eine Veteranin des Gewerbes Touristen aufreißen und erkannte sofort jede potenzielle Geldquelle.

Lauren seufzte und fügte sich in den unvermeidlichen Verlust ihres Kunden. Die alte Frau war so nett gewesen, sie in die ungeschriebenen Gesetze von Jackson Square einzuführen, hatte sie aber auch gewarnt, hier war sich jeder selbst der Nächste.

Na ja, es sah sowieso nicht danach aus, als ob Lauren mit diesem Mann etwas verdienen würde. Er hatte weder eine Kamera noch einen Stadtplan bei sich. Wahrscheinlich ein Einheimischer, der irgendwelche Geschäfte im French Quarter zu erledigen hatte.

»Kostet nur zwanzig Dollar«, sagte Sister Griswold.

»Zwanzig ‒« Lauren holte erschrocken Luft und kniff dann rasch den Mund zusammen. Ihren letzten drei Kunden hatte die Frau erzählt, sie würde nur für Trinkgeld arbeiten, und keiner hatte ihr mehr als fünf Dollar gegeben.

Der Mann hatte die Augen weit aufgerissen, aber nicht wegen des Wucherpreises, er sah Lauren unverwandt an. »Ist es das wert?«

Sein eindringlicher Blick verwirrte sie. Aber wenn Sister Griswold diesen gut angezogenen Kunden verlöre, würde sie das büßen müssen. Lauren nickte und sagte locker: »Wer kann schon einem Blick in die Zukunft widerstehen?«

Der Mann zog einen Zwanzigdollarschein aus seiner eleganten Brieftasche, dann setzte er sich auf den Gartenstuhl, der vor dem mit einem violetten Tuch drapierten Kartentisch stand. Sister Griswold mischte das Tarotspiel mit der Eleganz eines erfahrenen Croupiers in Las Vegas, dann ließ sie die Karten abrupt auf einen Stapel vor sich fallen.

Lauren versuchte, nicht zu neugierig hinzustarren.

»Nicht die Karten«, sagte Sister Griswold. »Geben Sie mir Ihre Hand.«

Der Mann zögerte, dann fügte er sich.

Es war wirklich ein schräger Anblick, wie dieser Mann im Kaschmiranzug auf dem Klappstuhl saß, der schon bessere Tage gesehen hatte und mit Sicherheit weit weniger elegante Kunden. Sie fragte sich, wieso er sich bereit erklärt hatte, sich wahrsagen zu lassen. Er war wie ein Geschäftsmann gekleidet, und auf sie machte er nicht den Eindruck eines Mannes mit großer Fantasie. Vielleicht hatte Sister Griswold das auch gespürt und hatte beschlossen, für ihr Geld alle Register zu ziehen.

Lauren hielt nicht viel vom Karten- oder Handlesen. Wohl wissend, dass ihr eigenes Pech sie zum Jackson Square verschlagen hatte, um irgendwie Geld von dem steten Fußgängerstrom und den Touristen, die es locker ausgaben, zu erheischen, ging sie davon aus, dass die anderen Straßengaukler sich ebenfalls einfach durchschlugen, egal mit welchen Mitteln. Die Künstler stufte Lauren in eine andere Kategorie ein. Künstler arbeiteten, wo immer sie konnten, und hatten es immer schwer, sich in einer Welt zu behaupten, in der Funktionalität weit mehr galt als Schönheit.

Lauren seufzte und wünschte, neugierig wie sie war, sie könnte hören, was ihre Nachbarin sagte. Aber die Wahrsagerin hatte ihre Stimme gesenkt und starrte mit gerunzelter Stirn auf die schöne gepflegte Hand des Mannes, der vor ihr saß. Lauren sagte sich, es sei schlichte Neugier, wusste aber, dass mehr dahinter steckte. Der blonde Mann war sowohl intelligent als auch liebenswürdig, Eigenschaften, die sie bei einem Mann bewunderte, Eigenschaften, die sie stark an ihren Vater erinnerten.

Genau diesen Moment wählte Buster, um an ihrem Arm hinunterzuklettern und auf den Boden zu hopsen. Seine Flügel waren gestutzt, damit er nicht weit fliegen konnte, aber er war recht flink unterwegs mit einer Mischung aus Hopsen, Flattern und den Boden Entlangrutschen. Zu ihrer Überraschung kletterte er am Arm des sitzenden Mannes hoch und machte es sich auf seiner Schulter bequem.

Der Mann schien nichts gegen diese Invasion zu haben, im Gegenteil; er murmelte dem Papagei etwas zu, der untersuchte seinen neuen Kumpel, steckte den Kopf in die Jacketttasche und watschelte von einer Schulter zur anderen. Was immer Sister Griswold dem Mann erzählte, sie hatte seine Aufmerksamkeit gefesselt, denn er starrte jetzt der Wahrsagerin direkt in die Augen, als wäre er bereits in der Zukunft, die sie schilderte, und würde gar nicht mehr hier sitzen.

Drei Kinder rannten auf sie zu, deuteten auf Buster.

Lauren stand auf, holte sich ihren Papagei zurück und posierte mit ihm für die Kinder, was ihr ein dankbares Lächeln und fünf Dollar von der ziemlich gestressten Frau einbrachte, die ihre sehr lebhaften Schutzbefohlenen vor sich hertrieb.

Der Klappstuhl fiel mit Getöse um. Der Mann war aschfahl geworden. Während er hastig den Stuhl wieder aufstellte, sagte er: »Das war ein Erlebnis, das ich nicht wiederholen möchte.«

»Schlechte Neuigkeiten?«, fragte Lauren.

»Ein paar gute, ein paar schlechte«, erwiderte er.

Sister Griswold mischte ihre Karten neu und breitete sie mit einer eleganten Handbewegung vor sich zu einem Fächer aus. »So ist eben das Leben«, sagte sie. »Für weitere zwanzig Dollar können wir sehen, was von beiden gewinnt.«

Der Mann schüttelte den Kopf. »Ich glaube, damit befasse ich mich lieber selbst.«

Das gefiel Lauren. Genauer gesagt, dieser Mann gefiel ihr, obwohl er sie genauso dämlich anstarrte, wie die meisten Männer sie anstarrten. Es wäre so schön, wenn ihr nur ein einziges Mal ein Mann begegnen würde, der sie behandelte, als wäre sie völlig unattraktiv, und der versuchen würde herauszufinden, was hinter diesem Gesicht und der Figur steckte.

»Werden Sie morgen hier sein?«

»Billig kaufen. Teuer verkaufen.«

Lauren nickte. Noch einen Tag, maximal zwei. Sie durfte nicht zu lange in New Orleans bleiben. Nachdem ihr Job als Gesellschafterin für Mrs P. beendet war, seit habgierige Verwandte angetreten waren, um sich um die Beute zu rangeln, hatte sie keinen Platz zum Wohnen. Wenn sie doch nur nicht den Großteil ihrer Malsachen zurückgelassen hätte, als sie Buster in Windeseile retten musste, dann könnte sie sich als Malerin etablieren. Ihre Arbeiten waren genauso gut wie die der anderen Künstler, die ihre Ware auf dem Jackson Square ausstellten. Aber die Familie Plaisance hatte sich ans Telefon gehängt und den Tierschutzverein gebeten, den Papagei abzuholen, und Lauren hatte nicht gezögert und gehandelt. Sie hatte Mrs P. versprochen, sie würde sich um ihren Vogel kümmern, und sie dachte sich, dass Mrs P. sogar im Himmel oder gerade speziell da auf sie zählte.

Aber jetzt hatte sie ein doppeltes Dilemma. Wenn die Familie Plaisance dahinterkam, dass sie Buster verkaufen könnten, anstatt ihn einfach im Tierheim abzuladen, könnten sie sie suchen, mit der Polizei im Schlepptau. So war es vielleicht das Beste, wenn sie nicht zu lange am Jackson Square blieb.

Ihre Finanzen waren erschöpft, und wieder einmal musste sie auf ihren Vater zurückgreifen. Und sie würde noch einmal beichten müssen, dass sie mit ihrer Doktorarbeit noch nicht fertig war. Wenn er doch nur akzeptieren würde, dass akademische Würden nichts für sie waren, dann würde das sein Konto sehr entlasten.

Der Mann warf einen Blick auf die Uhr. Lauren erkannte die teure Rolex. Ihr Vater, dachte sie, versuchte aber diese Einsicht zu ignorieren, würde diese Person gut finden.

»Morgen?«, sagte er. Seine Miene war immer noch ernster als vor seiner Sitzung mit Sister Griswold, aber zumindest schien er sich beruhigt zu haben.

»Morgen?«, sagte Lauren, und ihre Hände wurden feucht, als eine Idee in ihr Gestalt annahm. Außerdem machte sie das Wort morgen immer nervös. Nicht weiter verwunderlich, nachdem ihre Morgen meist Ärger brachten.

Der Mann wich zurück, ohne sie aus den Augen zu lassen. Sie hob die Hand zum Winken, dann rief sie: »He, ich weiß nicht mal Ihren Namen.«

Er lächelte, dann rief er, immer noch rückwärts gehend: »Oliver« und rammte eine Leinwand, die auf einer Staffelei stand. Die Leinwand und eine Flasche Wasser und Malfarbe platterten aufs Pflaster. Der erboste Künstler sprang schreiend auf.

Das Gejaule des Saxophons wurde lauter, steigerte die Aufruhr noch. Sister Griswold sprang auf, überraschend behende für jemanden, der so alt war wie sie. Sie holte Oliver ein, schnalzte mitfühlend mit der Zunge und strich sein Jackett glatt. Sogar Buster kam angeschlittert, um sich den Schaden anzusehen.

Nur Lauren blieb wie angewurzelt stehen. »O nein«, murmelte sie. So war es immer. Wo sie auftauchte, folgte das Chaos.

Alistair Gotho schob die massiven Zypressenholztüren auf, die das Hauptbüro der First Parish Bank and Trust bewachten. Als er den Sonnenschein und die Brise des herrlichen Frühlingstages hinter sich ließ und gegen die Stille und das dämmrig erleuchtete Innere dieser Bastion des Geldes eintauschte, erschauderte er kurz. Aber er hatte seine Entscheidung getroffen.

Er blieb am Schalter für neue Konten stehen und fragte nach seinem Bruder. Die Frau dahinter lächelte nervös und sagte: »Er ist noch nicht hier.«

Diese Information ließ Alistair innehalten. Sein Bruder leitete die Bank der Familie seit dem Tod ihres Vaters vor einem Jahr. Alistair hatte den Eindruck, dass seinen jüngeren Bruder nichts davon abhalten konnte, zehn bis zwölf Stunden am Tag zu schuften. Laut ihrer Mutter, die im Augenblick einen Monat auf Kreuzfahrt zu den Galapagosinseln unterwegs war, arbeitete sich sein Bruder in ein frühes Grab, während Alistair seinen eigenen exzentrischen Vorlieben nachging und keinen Finger rührte, um ihm zu helfen.

Na ja, jetzt war er ja hier, um ihm zu helfen.

Aber wo war sein Bruder?

Die Frau blätterte in einem Stapel von Papieren auf ihrem Schreibtisch. Sie sagte, ohne ihn direkt anzusehen: »Sie sind Mr Alistair, nicht wahr?«

»Ja.«

»Sie erinnern mich an Ihren Vater.«

»Danke«, sagte er überrascht. »Arbeiten Sie schon lange hier?«

»Neun Jahre«, sagte sie und hob ihr Kinn. »Sie sind nicht das, was ich erwartet habe.«

Alistair grinste reumütig bei diesem Kommentar und über die Tatsache, dass er es in den letzten zehn Jahren geschafft hatte, keinen Fuß in die First Parish Bank and Trust zu setzen. Und er war überzeugt, sein enttäuschter Dad hatte ihn während dieser Zeit sicher nicht gerade gelobt. »Keine Hörner?«

Sie wurde rot. »Keine Hörner.«

Für diesen Anlass hatte er seine dicken, schulterlangen, silbrigen Haare zu einem Pferdeschwanz gebunden. Außerdem hatte er einen marineblauen Blazer, graue Hosen und eine einigermaßen respektable Krawatte gekauft. Aber bei dem Gedanken daran, seine Füße Größe zwölf in elegante Schuhe zu quetschen, hatte er sich verweigert. Es war gut, dass Miss neue Konten keinen Blick auf seine Birkenstocksandalen erhascht hatte. Selbst Alistair wusste, dass lässiges Schuhwerk nicht gerade Standardausrüstung für Banker war.

»Ich kann Mrs Walling sagen, dass Sie hier sind«, sagte die Bankangestellte. »Vielleicht können Sie im Büro Ihres Bruders warten.«

Alistair nickte. Er hatte das Gefühl, wenn er jetzt ginge, würde er vielleicht nie wiederkommen. Das Bankgebäude ragte massig aus den Grenzen des New Orleans Centre Business District, keine zehn Straßen entfernt von seinem eigenen, erfolgreichen, wenn auch ungewöhnlichen Laden. Aber zwischen den beiden Standorten verlief die Canal, die Straße, die historisch die Grenzlinie bildete, zwischen dem French Quarter und dem Teil der Stadt, den die Amerikaner besiedelt hatten, die nach dem Kauf von Louisiana 1803 in Scharen gekommen waren.

Für die meisten mochte das wie uralte Geschichte klingen, aber für Alistair, der bis auf vier Jahre sein gesamtes vierunddreißigjähriges Leben in dieser einmaligen europäisch-afrikanischen Stadt der Neuen Welt verbracht hatte, gingen hier Geschichte und Gegenwart Hand in Hand. Und in der Gegenwart war die Grenzlinie, die die Canal Street bildete, noch markanter. Er konnte die Unterschiede ganz genau präzisieren.

Im Quarter ist alles erlaubt.

Im CDB regiert das Geschäft.

»Mr Alistair?« Die Dame von neue Konten legte den Hörer auf. »Mrs Walling sagt, Sie sollen nach hinten durchgehen. Soll ich Ihnen den Weg zeigen?«

»Nein, danke, das wird nicht nötig sein.« Alistair dankte ihr mit einem Lächeln und wurde mit einer zögerlichen Erwiderung seiner Geste belohnt. Er fragte sich, was für Geschichten man in diesen Wänden über ihn erzählt hatte. Zweifellos hatte sie gehört, was passiert war, als er das letzte Mal durch die Türen der Bank seines Vaters getreten war.

Es war ein Segen, dass es ihm egal war, was andere Leute, abgesehen von seiner Mutter, über ihn dachten. Als Alistair über den weitläufigen Marmorboden der Lobby schritt, hörte er das Gemurmel, das in seinem Kielwasser aufbrandete. Er passierte die Mahagonifassade der Kassenschalter. Sein Urgroßvater hatte die Bank gegründet, und Alistair konnte sich aus frühester Kindheit erinnern, wie liebevoll sein Vater über die Traditionen und das Erbe der First Parish Bank and Trust gesprochen hatte.

Kein Wunder, dass es seinem Vater das Herz gebrochen hatte, als sich Alistair, im reifen Alter von vierundzwanzig, geweigert hatte, seinen Platz in der Bank einzunehmen. Diese Entscheidung hatte er nie bereut, nur den Streit, den er mit seinem Vater gehabt hatte.

Zehn Jahre. Er hatte damit gerechnet, das Innere würde schummrig und muffig und noch älter aussehen als in seiner Jugend. Aber heute sah das dunkle Mahagoni gar nicht so beerdigungsmäßig aus, wie er es in Erinnerung hatte. Fast glänzte es, als wäre es erst vor kurzem poliert worden. Die beiden gewaltigen Lüster, die in der drei Stockwerke hohen Lobby hingen, funkelten in den Lichtstrahlen der Sonne, die durch die Oberlichte hereinströmte und die Prismen spaltete und vervielfältigte. Im Großen und Ganzen, dachte Alistair überrascht, war die Bank schön.

Er blieb vor der Tür stehen, die zu den Büros seines Vaters führte. Bevor er den Knopf drehen konnte, öffnete sich die Tür.

»Das ist aber wirklich eine Überraschung.« Mrs Walling, verwitwet, war fast so lange Jahre die Sekretärin seines Vaters gewesen wie Alistairs Mutter dessen Frau. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, und Alistair bückte sich, um sich auf die Wange küssen zu lassen. »Eine sehr angenehme«, fügte sie leise hinzu.

»Sie sehen fantastisch aus«, sagte Alistair. Er hatte sie das letzte Mal bei der Beerdigungsfeier seines Vaters gesehen, wo ihr herzzerreißendes Schluchzen alle Beschützerinstinkte Alistairs geweckt hatte. Damals hatte er deutlich gesehen, was der Großteil seiner Familie lieber ignorierte. Mrs Walling war seit langer, langer Zeit in ihren Boss verliebt, egal ob das nun auf Gegenseitigkeit beruhte oder nicht.

»Danke«, sagte sie. »Und Sie sehen genau wie Ihr Vater aus.« Sie wandte sich ab, aber er hatte den Ausdruck von Verlust in ihren Augen gesehen.

»Das sagen mir viele Leute«, sagte er. »Aber wir beide wissen doch, dass Dad kein Pferdeschwanztyp war.«

Mrs Walling lächelte. »Oh, da könnten Sie überrascht sein.«

Alistair nickte und erwiderte ihr Lächeln. Sein alter Herr hatte also Mrs Walling eine Seite von sich enthüllt, die er nicht mit seiner Familie geteilt hatte. Ein seltsamer Gedanke, der sowohl ein warmes Gefühl für diese gutherzige Frau als auch für seine Mutter in ihm erzeugte. Er fragte sich, ob sein Bruder etwas vermutet hatte, und kam zu dem Schluss, dass dies ziemlich unwahrscheinlich war. Alistair war derjenige, der Dinge sah. Sein Bruder hielt sich an Fakten und Zahlen und Bilanzen. Alistair hatte oft versucht, ihn aufzulockern und ihn sanft dazu zu bringen, die Einschränkungen, die er sich selbst auferlegt hatte, aufzugeben, leider vergeblich. Doch trotz ihrer unterschiedlichen Lebensweise kamen die beiden gut miteinander aus.

Aber könnten sie zusammen arbeiten?

»Normalerweise ist Ihr Bruder um diese Zeit immer schon da. Ich hoffe, ihm ist nichts passiert.«

»Täte ihm gut, wenn dem so wäre«, sagte Alistair.

Seine Bemerkung schockierte Mrs Walling nicht. Sie sah nachdenklich aus. »Es überrascht mich, dass er noch nicht hier ist, er hatte nämlich um zehn Uhr einen Termin mit einem Consultant. Und sie wartet schon seit einer halben Stunde.«

»Möchten Sie, dass ich mit ihr rede?«

»Sie?« Mrs Wallings Stimme wurde etwas schrill, dann fing sie sich. »Nun, wenn Sie ihr Gesellschaft leisten wollen, sie ist im kleinen Konferenzraum. Ich hab sie mit einer Tasse Tee dorthin gesetzt.«

Alistair streckte die Arme aus. »Wenn ich das Bankgeschäft lernen will, warum nicht gleich damit anfangen.«

Der Sekretärin klappte die Kinnlade nach unten. »Aber … aber, Sie haben nie …«

Er lächelte grimmig. »Sag niemals nie, Mrs Walling.« Dann schritt er quer durchs Büro und packte mit seiner großen Hand den Türknopf.

Das Zimmer war leer. Er drehte sich um und sah Mrs Walling fragend an. Sie zeigte auf die Tür auf der anderen Seite des Ganges.

»Genau«, sagte Alistair und riss diese Tür auf.

Kapitel 2

»Hallo …« Alistair blieb abrupt stehen. Die zierliche, blonde Frau mit dem leicht gelockten Pagenkopf sah völlig anders aus als die Banker, die sein Vater nach Hause gebracht hatte. Mit einem Mal waren da gute Aussichten, vielleicht war Banking im einundzwanzigsten Jahrhundert gar kein so schlechtes Geschäft.

»Mr Gotho?« Ihre Stimme marschierte quer über den Tisch und zu seinen Ohren hoch, ihr brüsker Tonfall war ein krasser Kontrast zu dem ersten Eindruck von einer Frau, die nur aus Kurven und Weichheit bestand.

Alistair nickte und überlegte dabei, was für ein Akzent das sein könnte. Ein Hauch von britisch? Oder nur ein Yankee, der sich hinter die Mason-Dixon-Linie verirrt hatte? »Und Sie sind?«

»Miss Warren.« Sie klopfte auf das Notebook, das sie vor sich platziert hatte. »Wie Sie wissen würden, wenn Sie in Ihrem Terminkalender nachgeschaut hätten. Apropos, wir liegen dreißig Minuten hinter dem Zeitplan.«

Definitiv kein Fragezeichen am Ende dieses Satzes, dachte Alistair und hielt den Atem an.

Sie griff sich eine Halbbrille und balancierte sie auf dem Ende ihrer kessen Stupsnase. »Oder ist Ihnen gleichgültig, dass Warren and Associates per Stunde abrechnet?«

Alistair runzelte die Stirn. Oliver verschwendete nie Geld. Ja, die Finanzen der Bank behielt er sogar schärfer im Auge als sein eigenes erhebliches Vermögen. Es musste etwas Ernsthaftes passiert sein, sonst hätte er seinen Termin wahrgenommen. Alistair konzentrierte sich auf sein Inneres, stellte sich seinen Bruder bildlich vor und überließ sich dem Unsichtbaren, auf das er so gut eingestimmt war. Da war kein Anzeichen von Gefahr. Was bedeutete: Wehe, wenn Oliver keine gute Entschuldigung für seine Abwesenheit hatte.

Miss Warren raschelte mit ein paar Papieren. »Wie verlangt, habe ich eine vorläufige Studie des DDA-Systems Ihrer Bank erstellt.«

»DDA?« Er zog sich einen Stuhl heraus und setzte sich der Beraterin gegenüber. Natürlich hätte er gestehen müssen, dass er der falsche Mr Gotho war, aber etwas an ihrem kompetenten Getue hinderte ihn daran.

Sie zog kaum merklich die Augenbrauen hoch. Er bemerkte, dass sie genau den richtigen Braunton für ihren Teint hatten. Nur allzu oft waren die Brauen von blonden Frauen von Natur aus zu blass oder zu dunkel gefärbt.

»Demand Deposit Accounting.« Sie hob einen Computerausdruck mit der Analyse des Rechnungswesens für Sichteinlagen hoch. »Ich musste dabei aber sofort feststellen, dass die Architektur des Systems auf etwas basiert, was wir heutzutage als ein archaisches …«

»Gefällt Ihnen Banking?«

Sie sah ihn erstaunt an. »Diese Frage wurde mir bis jetzt noch nie gestellt.«

Er grinste. Jetzt war er auf vertrautem Terrain. Er hatte immer schon ein Händchen für das Unerwartete gehabt.

Sie lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, und ein Hauch von Falte zog über ihre Stirn. Das Jackett ihres properen blauen Kostüms klaffte ein Stück auseinander und enthüllte eine seidige cremefarbene Bluse. »Es ist logisch, hält sich an Strukturen, dient den Bedürfnissen des Konsumenten, der Geschäfte und des Finanzmarkts.« Sie nickte, und Alistair konnte sich vorstellen, wie sie im Geiste die Summe ihrer Worte addierte. »Also, ja, man könnte wohl sagen, es gefällt mir.« Sie spielte mit einer dünnen Goldkette, die sie um den Hals trug; die erste persönliche Geste, die Alistair bei ihr beobachtete. »Und mir wurde immer gesagt, ich beherrsche es gut.«

Er streckte die Hand aus und nahm ihr den Computerausdruck ab. »Danke für die Antwort auf meine Frage«, sagte er und starrte dabei die Zahlenreihen an, die genauso gut Griechisch hätten sein können. Ehrlich gesagt, wenn dem so wäre, dann hätte er zumindest einen Versuch wagen können, sie zu übersetzen.

»Kein Problem. Die Uhr läuft.«

»Also ist jede Frage, die ich Ihnen stelle, erlaubt, solange Sie bezahlt werden?«

Sie ließ ihre Hände in den Schoß fallen und korrigierte ihre bereits perfekte Haltung noch ein Stück. »Jede Frage über Banking.«

»Wie lange machen Sie diese Art von Arbeit schon?« Wenn es ihm gelingen würde, sie immer wieder abzulenken, könnte Oliver noch auftauchen. Dann würde Miss Warren nie erfahren, dass er keine Ahnung hatte, was DDA war. Dieser verfluchte Oliver ‒ warum musste er ausgerechnet heute zum ersten Mal in seinem pünktlichen, wohlgeordneten Dasein zu spät kommen?

»Mr Gotho, haben Sie die Vita gelesen, die ich Ihnen geschickt habe, bevor wir unseren Vertrag aushandelten?«

Er grinste sie an, mit seinem wirklich guten Grinsen, das immer funktionierte und ihn meist tiefer involvierte als er vorgehabt hatte. »War nur ein Versuch.«

Alles, was er für seine Mühe bekam, war ein Hauch von einem Lächeln. »Wie ich schon sagte, wir müssen beim Revamping mit der Systemarchitektur beginnen.«

»New Orleans hat einige Beispiele für gute Architektur.«

Sie sah ihn an, als hätte sie allmählich den Verdacht, er wäre nicht ganz dicht. Sie nahm langsam die Brille ab und ihre Miene wurde etwas sanfter. Alistair bewunderte gerade, was für einen Unterschied das machte, als die Tür zum Konferenzraum aufgerissen wurde.

»Dass ich ausgerechnet dich hier finde.« Sein Bruder stand in der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt, und keuchte, als wäre er gerade beim traditionellen New-Orleans-Fitnesslauf Crescent Classic 5K mitgelaufen.

Alistair lächelte und hob die Handflächen, als wollte er sagen: »Was ist so überraschend daran?«

»Ich hab dich überall gesucht.«

»Und jetzt hast du mich gefunden.« Alistair wandte sich der Beraterin zu. »Außerdem hast du Miss …« Er verstummte mitten im Satz und starrte wie gebannt auf die Anzughose seines Bruders. Streifen von Rot, Gelb und Violett verunstalteten die gesamte Vorderseite des Anzugs, der sicher tausend Dollar gekostet hatte. Obwohl sein Bruder, diese sparsame Seele, ihn sicher in einem Ausverkauf erworben hatte. »Oliver, was ist denn mit dir passiert?«

Oliver trat mit benommener Miene ins Zimmer. Nein, nicht benommen, liebeskrank, traf es Alistair wie der Blitz.

»Warren«, sagte der Consultant. Sie streckte die Hand aus, und Oliver reagierte automatisch. Er hatte nur einen kurzen Blick für sie übrig, was Alistair überraschte. Noch vor fünf Minuten hätte er prophezeit, dass sich Oliver auch gerne nach der Geschäftszeit mit Miss Warren beschäftigt hätte. Schließlich kamen sie ja aus demselben Topf.

Sein Bruder ließ sich in einen Stuhl sinken und stützte den Kopf in beide Hände. Alistair warf einen Blick auf die Frau und fragte sich, was sie wohl denken musste. Doch anstatt sie beide anzugaffen, beschäftigte sie sich mit ihrem Laptop.

Oliver hob langsam den Kopf. »Mir ist heute früh die erstaunlichste Frau begegnet.«

»Vielleicht sollten wir einen neuen Termin für dieses Meeting festlegen.« Miss Warrens Stimme war noch nicht ganz auf Frost gefallen, aber da war keine Spur mehr von der Wärme von vorhin. Sie griff nach dem Computerausdruck, der vor Alistair lag.

Oliver kam zu sich. »Miss Warren. Von Warren und Associates?«

Sie neigte den Kopf.

»Das hab ich total vergessen.«

»Ja«, sagte sie. »Das seh ich.«

»Bitte verzeihen Sie.« Oliver hob eine Hand und strich über seinen Bürstenhaarschnitt, als würde ihn diese Geste beruhigen.

Alistair beobachtete, wie eine grellgrüne Feder von der Schulter des normalerweise makellosen Jacketts seines Bruders flatterte. Er hatte sich vorgenommen, keine Auren innerhalb der Grenzen der First Parish Bank and Trust zu lesen, aber seine Sinne wurden entfacht durch die Kraft des Farbenfeldes, das jetzt um seinen Bruder wirbelte. Wellen von Orange blitzten, und Alistair zwang sich, diese Vision auszuschalten. Die Frau, der es gelungen war, Olivers normalerweise träge, orangefarbene Aura so zum Leuchten zu bringen, musste sensationell sein.

»Sie werden natürlich« ‒ Oliver verzog das Gesicht, doch dann kamen, wie von Alistair erwartet, die Worte ‒»der Bank Ihren vollen Zeitaufwand in Rechnung stellen.«

»Gewiss. Aber Mr Gotho und ich haben bereits angefangen zu reden, also ist es keine totale Zeitverschwendung.«

Olivers Antwort kam als Mischung von gequältem Lachen und einem Husten. »Nun, es war nett von ihm, Sie zu unterhalten, aber mein Bruder arbeitet nicht einmal für die First Parish Bank and Trust.«

Zu Alistairs Überraschung umspielte ein Lächeln ihre Lippen. »Für einen Außenseiter ist er ziemlich bewandert.«

»Sie sind sicher, dass Sie Miss Warren von der berühmten Firma Warren and Associates sind? Die Firma, die wir angeheuert haben, unser DDA-Computersystem neu zu entwerfen?«

Sie nickte gelassen.

»Dann sind Sie zu nett. Ich wäre bereit, zehn Dollar darauf zu setzen, dass mein Bruder nicht einmal weiß, was DDA ist.«

Sie wandte sich zu Alistair.

Er lächelte sie an, und diesmal war die Reaktion viel herzlicher. Komisch, diese Frau, die überhaupt nicht sein Typ war, gefiel ihm immer besser. »Demand Deposit Accounting. Und jetzt bezahl die Dame.«

Oliver fasste sich an den Kopf. Dann griff er in seine Hosentasche. Er zog die Hand leer heraus. Er durchsuchte rasch seine anderen Taschen, aber es kam keine Brieftasche zum Vorschein. »Leihst du mir zehn?«

Alistair verkniff sich ein Grinsen und reichte seinem Bruder den Schein, dieser gab ihn an Miss Warren weiter. Sie drehte ihn, so dass er direkt auf ihrem Papierstapel lag, mit Hamiltons Konterfei nach oben.

Dann schob sein Bruder seinen Stuhl zurück und stand auf. »Ich glaube …«, sagte Oliver langsam und tastete immer noch seine leeren Taschen ab, »dass sich die Welt heute auf den Kopf gestellt hat.«

»Wenn ich meine Brieftasche verloren hätte, würde ich das auch denken.« Besorgnis schwang in der Stimme der Beraterin, während sie weiter in den Papieren vor ihr herumblätterte.

»Es sieht wirklich so aus, als hätte ich sie verloren.«

»Wo warst du?« Alistair hatte Schwierigkeiten, den Mann, der da seine Taschen durchwühlte, mit dem jüngeren Bruder in Einklang zu bringen, der sich selbst mit achtzehn Monaten beigebracht hatte, auf die Toilette zu gehen. »Und was ist mit deiner Hose passiert?«

»Ich war im Quarter. Hab dich gesucht.«

Oliver betrat genauso selten Alistairs Welt wie der die seine. »Ist irgendetwas passiert?« Er ließ »mit Mutter« weg, das verstand sich von selbst.

Oliver schüttelte den Kopf. Nachdem er seine Taschen ein letztes Mal durchsucht hatte, setzte er sich wieder auf seinen Stuhl. »Nein, aber der 15. April naht, und ich brauch deine Unterschrift auf Vaters Vermögenssteuerformular.« Ein Schatten zog über Olivers Gesicht.

Die Trauer fand ihr Echo in Alistairs Herz. Sie hatten ihren Vater beide geliebt, und trotz Alistairs unerschütterlicher Weigerung, in das Bankgeschäft der Familie einzusteigen, hatte sein Vater eine liebevolle Beziehung zu seinem älteren Sohn gehabt.

Zu Miss Warren gewandt, sagte Oliver: »Ich mag Terminüberschreitungen nicht gern.«

Alistair verkniff sich ein Lächeln. Miss Warren könnte genau das sein, was sein Bruder brauchte, und das nicht nur, um das Computersystem der Bank neu zu konfigurieren. Er war fast sechs Jahre lang mit einer Frau verlobt gewesen, hatte es aber nie geschafft, ein Hochzeitsdatum festzulegen. Sie hatten sich vor etwa sechs Monaten getrennt, und Oliver hatte sich nicht so verhalten, als litte er darunter.

Aber Miss Warren war möglicherweise einen Tag zu spät in sein Leben getreten. Diese »erstaunliche« Frau hatte Oliver, wie es schien, völlig gefangen.

»Was ist denn so erstaunlich an dieser Frau, die dir begegnet ist?«

Oliver schloss kurz die Augen.

Alistair tauschte einen kurzen Blick mit der Beraterin. Zu seiner Überraschung starrte sie unverwandt seinen Bruder an, mit strahlenden Augen, leicht geöffnetem Mund und reglosen Händen. Wieder hatte sich ihr Aussehen völlig verändert, als hätte ein eineiiger Zwilling mit fröhlicherem Naturell den Platz mit ihr getauscht. Äußerst interessant.

Oliver öffnete die Augen, und Miss Warren konzentrierte sich schlagartig wieder auf was immer sie da in ihren Dokumenten suchte.

»Ich bin mir nicht sicher, ob ihr Worte gerecht werden können. Ihr Körper war vollkommen, ihr rotes Haar wie ein Wasserfall aus Feuer. Aber dazu strahlte sie noch eine Energie aus ‒ einfach aufregend. Alistair, sie gab mir das Gefühl, ich wäre nie richtig lebendig gewesen, bevor ich ihr in die Augen schaute.«

Nicht gefangen.

Verhext.

»Du weißt, dass ich nie an Zufälle geglaubt habe. Ich habe nie an deine Zaubersprüche geglaubt. Mein Leben basiert auf Fakten und Zahlen. Und doch hat mich heute etwas ins Quarter geführt. Es war fast, als ob …« Oliver verstummte.

Alistair nahm an, sein realistischer Bruder hatte Probleme, die Worte als wäre es Bestimmung über die Lippen zu bringen. Er streckte die Hand aus, ergriff die seines Bruders und schüttelte sie. »Kämpf nicht gegen etwas Schönes an.«

Oliver lächelte. »Danke, und es ist schön. Aber diese Frau hat mich einen Termin vergessen lassen. Und das Erste, was ich gemacht habe, nachdem ich ihr begegnet war, war, mir aus der Hand lesen zu lassen. Ich, Alistair, ich! Und ich weiß nicht einmal ihren Namen.«

»Hat sie Ihnen die Farbe auf den Anzug gekippt?«, fragte Miss Warren.

»O nein, das war ich selbst«, sagte er fröhlich. »Ich war so durcheinander, dass ich rückwärts in einen Maler bei der Arbeit gefallen bin.«

»Wenn du mich besuchen wolltest«, sagte Alistair langsam, »Was hast du dann am Jackson Square gemacht?«

»Woher weißt du, dass ich dort war? Oh, wahrscheinlich, weil da Künstler arbeiten.« Oliver strich sich mit der Hand über sein kurz geschorenes Haar. »Siehst du jetzt, was ich meine? Ich hab ohne jeden Grund einen Umweg gemacht.«

»Es braucht nicht immer einen Grund«, sagte Alistair, der Miss Warren in die Augen sah, während er überlegte, was ihn an dieser Beraterin so anzog, eine Frau, die völlig anders war als jede andere, mit der er bis jetzt etwas gehabt hatte.

Miss Warren stellte sich etwas verwirrt seinem Blick. Sie hörte auf, in ihren Papieren zu kramen, hob ein Blatt hoch und sagte: »Darf ich Sie bitten klarzustellen, wer von Ihnen Oliver ist und wer Alistair?«

Alistair tauschte einen Blick mit seinem Bruder, der dann sagte: »Klar, ich bin Oliver.«

»Und Sie sind der Präsident der First Parish Bank and Trust?«

»Ja.«

»Der Mann, der mich für diese Beratung engagiert hat?«

»Ja.«

»Ich verstehe.«

»Und was genau verstehen Sie?« Alistair hatte sich nie davor gescheut, neugierig zu sein.

Sie rückte ihre Brille zurecht und las von dem Papier in ihrer Hand ab. »First Parish Bank and Trust wird seit vier Generationen von der Familie geleitet. Im Augenblick, muss ich zu meinem Leidwesen gestehen, bin ich das einzige Mitglied der Familie, das im Management involviert ist, nachdem mein älterer Bruder seine Zeit lieber mit Fantasie als Fakten verbringt.«

Oliver besaß den Anstand, rot zu werden.

Miss Warren legte den Brief und ihre Brille ab. »Nach heute Morgen habe ich mich nur gefragt, ob ich Sie beide nicht durcheinandergebracht habe.«

Alistair musste laut lachen. »Sie hat dich ertappt, Oliver.«

»Ich versichere Ihnen, Miss Warren«, sagte sein Bruder mit beherrschterer Stimme als bisher, »dass mein Verhalten keineswegs nach dem, was heute Morgen passiert ist, beurteilt werden sollte. Ein wirklich ungewöhnlicher Tag.«

»Ich bin nur hier, um das DDA-System zu analysieren«, sagte sie, »also müssen Sie mir nichts erklären. Ich wollte nur sichergehen, dass ich dem richtigen Mr Gotho Rede und Antwort stehe.«

Alistair stand auf. »Ich werde die Sache vereinfachen. Ich hab für heute genug vom Banking, also werde ich euch beide mit der Welt der Fakten und Zahlen allein lassen.«

»Um in die der Fantasie zurückzukehren?« Sie murmelte die Frage, aber nicht so leise, dass sie Alistair entging.

Er überging die Bemerkung. Die meisten Leute akzeptierten das Unerkennbare oder sie lehnten es ab. Alistair wusste die Wenigen zu schätzen, die bereit waren, Möglichkeiten zu erforschen, ohne zu verurteilen.

»Du hast mir noch nicht gesagt, warum du hier bist, Alistair.«

»Das kann warten.« Er hatte keine Lust, seinem Bruder zu erzählen, dass er gekommen war, um in die Welt einzutreten, die er hinter sich gelassen hatte. Es ärgerte ihn, dass er in dem Brief als ziemlicher Versager geschildert worden war. Familie war Familie, und er wusste, er würde wiederkommen und sein Möglichstes tun, aber im Augenblick brauchte er etwas Abstand zu seinem Bruder.

»Bist du wegen eines Jobs hier?« Er stellte die Frage ganz locker, so als wüsste er die Antwort. Gleichzeitig drehte er seine Handfläche nach oben und starrte sie mit gerunzelter Stirn an.

»Wer hat dir aus der Hand gelesen?«

Oliver hob den Kopf. »Manchmal vergesse ich, dass dir nichts entgeht. Eine alte Frau, die sich Sister Griswold nannte.« Er zog die Karte aus seiner Tasche und überreichte sie ihm. »Weißt du irgendetwas über sie.«

»Wenn sie dir gesagt hat, dass ich komme, um für die Bank zu arbeiten, dann hat sie zumindest eine Sache richtig erraten.«

Oliver schüttelte den Kopf. »Du weißt doch, dass du willkommen bist. Familie bleibt Familie. Außerdem kann ich die Hilfe brauchen, ich hätte dann mehr Zeit, andere Dinge zu tun.« Er sah nachdenklich aus und fügte dann hinzu, »aber was in aller Welt willst du denn tun?«

Alistair zuckte mit den Achseln. »Ich bin ziemlich gut in Erfindungen. Und vielleicht hat ja Miss Warren ein paar Vorschläge.«

Die Beraterin sah von einem Bruder zum anderen, mit faszinierter Miene. Doch dann sagte sie mit ihrer Geschäftsstimme: »Die Uhr läuft. Und solange es ‒«

»… bezahlt wird, helfen Sie gerne«, beendete Oliver den Satz für sie und schenkte ihr dann seine Version des Gotho-Frauenanmach-Lächelns.

Zu Alistairs ungeheurer Befriedigung erntete sein Bruder nur ein höfliches Nicken für seine Mühe.

Zehn Minuten später, nachdem er die Steuerformulare unterschrieben hatte, überquerte Alistair die Canal Street und betrat auf der Royal das Quarter, einen Block von der Dauerparty in der Bourbon Street entfernt. Er begann zu pfeifen und streifte seinen marineblauen Blazer ab. Er zog seine Krawatte über den Kopf und löste seinen Pferdeschwanz. Die Krawatte wurde zum Stirnband umfunktioniert, er wand sie sich um den Kopf. Dann schlenderte er locker weiter durch die Ansammlungen von Touristen, die an diesem frischen Frühlingstag spazieren gingen.

Er sagte sich, ich gehe jetzt über den Jackson Square zum French Market, um etwas Obst zu kaufen, bevor ich zurück in meinen Laden gehe. Schon während er daran dachte, wusste er, dass es nur eine Ausrede war. Er war auf dem Weg zum Square, um zu sehen ob er Olivers »erstaunliche Frau« identifizieren könnte.

Das hat nichts mit Rivalität unter Geschwistern zu tun, dachte er voller Reue. Er war einfach gegangen und hatte Oliver mit einer Frau allein gelassen, die seine Aufmerksamkeit in einer Art und Weise gefesselt hatte, die ihn überraschte. Alistair hatte sich noch nie mit einer Frau verabredet, die so kühl und kompetent wie Miss Warren war. Und jetzt dachte er, es wäre höchste Zeit, das einmal zu versuchen.

Frauen liebten ihn, und er liebte sie, aber er hatte auch beachtliche Ergebnisse erzielt als Retter von in Not geratenen Seelen, denen er geholfen hatte, ihr Leben wieder aufzubauen, und von denen ihm nach der Trennung nichts weiter geblieben war als ein paar schöne Erinnerungen und ein lädiertes Herz. Eines musste man seinen Exfreundinnen lassen, sie waren alle noch mit ihm befreundet. Er hatte mehr Hochzeiten hinter sich als der einzige Florist einer Kleinstadt.

The times they are achanging, sang Alistair im Geiste, als er am Rand des Jackson Square angekommen war.

Heute balancierte die Stadt am Rand des Sommers, klammerte sich aber noch an die ideale Mischung von Sonnenschein, blauem Himmel und Temperaturen, die auf der schönen Seite von zwanzig Grad blieben. Eine besonders fröhliche Brise wehte vom Mississippi herüber, es war ein Tag, der jeden anderen, an den sich Alistair erinnern konnte, überstrahlte.

Er blieb am Anfang der großen Steinplatten stehen, die den Beginn des Jackson Square ankündigten, des Freiluftversammlungsplatzes des French Quarter. In einer Stadt, die bald unter einer dichten, feuchten Maske schwitzen würde, musste man einen solchen Tag besonders genießen.

Selbst der normalerweise mürrische Aquarellmaler, der seinen Platz am Ende der Reihe der Maler hatte, die dort ihre Werke ausstellten und produzierten, fand ein Lächeln für Alistair.

»Schöner Tag«, erwiderte Alistair. Das war für den Mann denn aber doch zu viel des Guten, er zog den Kopf zwischen die Schultern und wandte sich wieder seiner Staffelei zu. Auf der Leinwand erwachte ein Bild der St.-Louis-Kathedrale zum Leben, des Gebäudes, das an einer Grenze des Square stand und über die Künstler und viele der Gläubigen der Stadt wachte. Alistair wunderte es immer wieder, dass trotz aller Finsternis in der Persönlichkeit des Malers seine Arbeiten von einem Strahlen durchdrungen waren, das das, was als ein rein mechanisches Produkt für den Cash-and-Carry-Touristenmarkt entstanden war, in etwas anderes verwandelte.

»He, Mr Alistair,« sagt der nächste Künstler, ein älterer schwarzer Mann, der auf Jazzbegräbnisszenen in leuchtenden Acrylfarben spezialisiert war. Er hatte schon vor zehn Jahren am Square gearbeitet, als Alistair in die Wohnung über dem Bayou Magick Shop in der Bourbon Street eingezogen war.

»Hallo, Saul. Herrlicher Tag.«

»Ja, das ist er.« Der alte Mann hob sein Gesicht in die frische Brise. »Ich würde sagen, der Frühling wird’s noch zwei Wochen machen.«

»Wir sollten ihn also genießen, solange wir ihn haben?«

»Yessir, genau das sag ich immer. Und das mach ich auch immer.« Er tauchte seinen Pinsel in einen Topf mit grellroter Farbe.

Die Farbe erinnerte Alistair an die befleckte Hose seines Bruders. »Irgendjemand Neues oder Interessantes am Square, Saul?«

Der Künstler musterte sein Gemälde, dann zog er einen raschen roten Strich quer über die Klarinette der Gestalt, die den Beerdigungszug über die Leinwand anführte. »Kann nicht behaupten, dass mir jemand Neues begegnet ist.«

»Kennst du eine Sister Griswold?«

Der Mann schnaubte verächtlich. »Sister? Du meinst eine von diesen Kartenleserinnen?« Er klatschte sich mit der freien Hand auf den Schenkel. »Ich hab nichts am Hut mit diesen Betrügern, die uns den Platz wegnehmen. Wir Künstler waren zuerst hier, und dieses Gesindel verdirbt nur das Viertel. Yessir, das sag ich, und das mein ich auch.«

Alistair seufzte. Die Spannung zwischen den Wahrsagern und den Künstlern war zur Dauerschlacht geworden, ganz ähnlich dem gespannten Waffenstillstand zwischen Anwohnern und Touristen in dem historischen Viertel, das von Feriengästen und lärmenden Bars und Musikclubs überfüllt war. Sein eigenes Geschäft, der Bayou Magick Shop, profitierte ungeheuer von den Kreditkarten schwingenden Besuchern, aber sein Schlaf war schon oft von denselben Leuten gestört worden, sobald die Feierlaune die Vernunft überholt hatte.

»Was hast du denn mit einem von diesen Typen zu schaffen?« Der Künstler musterte Alistair mit zusammengekniffenen Augen, dann sagte er: »Dir fehlt nichts im Leben, was die richtige Frau nicht kurieren könnte.« Er kicherte und wusch das Rot aus seinem Pinsel.«

»Yessir …«

»Schön, dich zu sehen. Bis später.«

Saul murmelte seinen Lieblingsrefrain vor sich hin, dann wandte er sich wieder seinem Bild zu.

Alistair beschloss, quer durch den Park zu gehen, der die Mitte des Platzes zierte, und es auf der anderen Seite zu versuchen, wo eine Ansammlung von Tarotkartenlesern und Wahrsagern sich eine Art Bastion geschaffen hatten. Er war gerade in der Mitte des Parks angelangt, neben der gewaltigen Statue von Andrew Jackson auf einem aufgerichteten Pferd, als ein markerschütternder Schrei den Frieden zerriss. Er kam aus der Richtung, in die er unterwegs war.

Er steigerte sein Tempo und rannte aus der Umzäunung der zentralen Grünfläche direkt auf den Unruheherd zu. Wer immer es war ‒ und die schrille Stimme musste weiblich sein ‒, derjenige brauchte Hilfe.

Er sprintete auf das Pflaster. Direkt vor ihm führten zwei Polizeibeamte eine hitzige Debatte mit einer schlanken Rothaarigen.

Und was für einer Rothaarigen.

Sie hatte die cremig weiße Haut, die man bei ihrem Typ erwartet, und auch die strahlend grünen Augen. Selbst eine Nonnenkutte hätte ihre üppigen Kurven nicht kaschieren können, ihr fließendes, gerüschtes, ärmelloses Kleid betonte sie allerdings wie ein Ausrufezeichen.

Alistair vergaß kurzzeitig den Schrei und widmete sich begeistert der Betrachtung dieser rothaarigen Schönheit.

Sie setzte ihre Debatte mit den Polizisten fort, ohne Luft zu holen, und er stellte fest, dass die Schreie irgendwo aus der Nähe kamen. Alistair ließ den Blick durch die Umgebung schweifen und entdeckte einen bunten Vogel, der auf einem Kartentisch saß und quäkte, dass er Tote hätte wecken können.

Alistair warf einen Blick zurück auf die Triade und ordnete den Gesichtern der Polizeibeamten Namen zu. Sie gehörten zum Stammpersonal des Eighth District und würden sich sicher an die großzügigen Spenden Alistairs erinnern, die er bei den jährlichen Spendenaktionen für das Revier gab, das dem Quarter diente und es beschützte.

Das spielte natürlich nur eine Rolle, falls Alistair sich entschloss, sich in das Leben dieser Frau einzumischen. Er rückte langsam näher.

»Sie können mich nicht ins Gefängnis stecken wegen einer fehlenden Genehmigung, wenn ich gar keine Ahnung hatte, dass man eine Genehmigung braucht.«

Bernie, der ältere der beiden Polizisten, schüttelte den Kopf. »Wenn Sie wissen, was gut für Sie ist, dann hören Sie jetzt auf, so naseweis zu tun.«

»Ach ja?« Alistair hörte den Jähzorn in ihrer Stimme. Die Frau konnte nicht aus New Orleans sein. Jeder wusste, dass ein Streit mit einem Polizisten nur zu einem Ausflug ins Gefängnis führen konnte.

»Und bringen Sie den Vogel zum Schweigen.« Das war Curt, der Neuling. »Bevor ich ihm den Hals umdrehe.«

Das war offenbar ein Reizthema für die Rothaarige. Sie ging auf Curt zu und bohrte ihren Finger in seinen Bauch. »Wagen Sie ja nicht, damit zu drohen, dass Sie ein unschuldiges Tier verletzen wollen.«

»Das war’s«, sagte Curt. »Ich verhafte Sie wegen Widerstands gegen die Verhaftung.«

Die Frau lachte, ein leises glucksendes Geräusch, das besser auf eine Cocktailparty gepasst hätte als zu diesem Streit. »Wie können Sie das tun, wenn Sie mich noch nicht einmal verhaftet haben?«

Mit einem Mal hörte der Vogel auf zu schreien. Er legte den Kopf zur Seite, nagte an seiner knorrigen Kralle und sagte leise: »Billig kaufen. Teuer verkaufen.« Eine grellbunte Feder flatterte auf die Steinplatten unter dem Kartentisch, und Alistair sah ein schwindelerregendes Bild einer ähnlichen Feder vor sich, die vom Jackett seines Bruders geflattert war. Haare wie ein Wasserfall aus Feuer. Olivers Beschreibung seiner erstaunlichen Frau hallte noch in seinen Ohren.

»Ihr Rüpel macht meinem Papagei Angst«, sagte die Frau und senkte dabei ihre eigene Stimme. Jetzt hob sie den Kopf, und ihr Blick fand über die wenigen Meter, die sie trennten, Alistair.

Etwas an der Unverwandtheit und der Intensität dieses Blickes erzeugte in ihm das Gefühl, dass sie seidene Fäden spann, um ihn zu sich zu locken. Er wehrte sich gegen diese Vorstellung und erinnerte sich daran, dass er erst vor einer Stunde die Vorteile einer Normalisierung seines Lebens in Betracht gezogen hatte.

Nichts, aber auch gar nichts an dieser Rothaarigen passte in die Rubrik »normal«.

Die Polizisten berieten sich.

Sie öffnete die Lippen und lächelte ihn an. Er war sich nie ganz sicher, ob sie ihm die Worte Helfen Sie mir tatsächlich zugeraunt oder er sich das eingebildet hatte.

Curt nahm die Handschellen von seinem ledernen Pistolengurt.

Alistair machte einen Satz nach vorn und verfluchte sich selbst, als er sich in dem Netz verfing.

Kapitel 3

Wenn Barbara in dem Hotel gegenüber der First Parish Bank and Trust übernachtet hätte, wie es Mr Gothos Sekretärin arrangiert hatte, dann wäre ihr Besuch in New Orleans so verlaufen wie jeder andere Beratungsjob, den sie übernommen hatte. Sie hätte jeden Morgen in ihrem Zimmer ihr übliches Frühstück eingenommen, das aus einem trockenen englischen Muffin, einer halben Grapefruit und einer Tasse Tee bestand, während sie sich die Arbeit des vor ihr liegenden Tages noch einmal vornahm. Dann hätte sie die Straße überquert, den Tag in der Bank verbracht und den Abend im Hotel.

Praktisch und funktional.