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Märchenhafte Nächte in der Toskana Wie ein Märchenprinz erscheint Sarahs neuer Nachbar genau zum richtigen Zeitpunkt. Lorenzo rettet sie vor dem Unwetter, das die toskanische Finca, in der sie Unterschlupf gesucht hat, zu zerstören droht. In seinem prunkvollen Palazzo kommt Sarah zur Ruhe und findet in Lorenzos Armen die Hoffnung auf die wahre Liebe: Zögernd genießt sie die liebevollen Aufmerksamkeiten des vermögenden Regisseurs, bis eine bittere Erkenntnis ihr Märchen zerstört … Die Nacht auf der Jacht Ein verführerischer Auftrag in der Toskana! Die Innenarchitektin Katie Carter soll das Castello von Conte Giovanni Amato neu einrichten. Er ist ein faszinierender Mann, aber Katie traut der Liebe überhaupt nicht! Vorsichtig geht sie dem Conte aus dem Weg - bis er sie zu einer Party auf seiner Luxusjacht einlädt. In einem atemberaubenden Abendkleid erscheint sie an Deck: der erste Fehler! Denn das Funkeln in Giovannis dunklen Augen verrät ihr: Sie hat den Jagdinstinkt des adligen Multimillionärs geweckt! Jetzt darf sie keinen zweiten Fehler machen ... Verführt in aller Unschuld? Die Kameras laufen heiß, als Savannah zum Auftakt des Rugbyspiels die Nationalhymne singt! Was nicht an ihrer Stimme liegt - sondern an der Tatsache, dass ihre üppigen Kurven gerade ihr Kleid sprengen. Durch einen Tränenschleier sieht sie einen attraktiven Mann auf sich zukommen. Die Sensation ist perfekt! Denn Ethan Alexander, steinreicher Sponsor, scheut sonst das Licht der Öffentlichkeit. Aus einem Grund, den niemand kennt ... Zur Leidenschaft verführt Begehrenswert, sinnlich, erotisch: Die schüchterne Charlotte fühlt sich wie verwandelt, als sie dem attraktiven Conte Raphael Della Striozzi begegnet. Seinen Garten in der Toskana sollte sie gestalten mehr nicht! Doch dann überrascht dieser faszinierende Mann sie mit kostbaren Geschenken, lädt sie ein nach Florenz und verführt sie in seinem Luxusapartment zu ungeahnter Leidenschaft. Verzückt genießt Charlotte ihren italienischen Liebestraum, bis sie sich fragen muss: Will Raphael nicht mehr als pure Lust? Ist sie für ihren Traummann nur eine Geliebte auf Zeit? (K)ein Mann für die Ewigkeit? Ist es nur der Duft von Zitronenblüten, der ihre Sinne verzaubert? Wie gern würde die schöne Issy das glauben! Doch sie kann nicht leugnen: Es ist viel mehr Giovannis Nähe, die sie gegen ihren Willen so sehr erregt. Dabei möchte sie den aufregenden italienischen Herzog, der ihr schon einmal das Herz gebrochen hat, endlich vergessen! Doch wie? Gio kann als Einziger ihr geliebtes kleines Theater vor der Schließung retten. Doch dafür verlangt er, dass sie mit ihm in die Toskana fliegt - für eine letzte Liebeswoche auf seinem luxuriösen Anwesen bei Florenz ... Sag nichts, küss mich! Nicolo Orsini ist ein echt sizilianischer Macho: charmant, sexy, und er liebt schöne Frauen - in seinem Bett. Wahre Gefühle kommen für ihn nicht infrage. Bis er für seinen Vater ein Weingut in der Toskana kaufen soll und auf die unwillige Tochter des Hauses trifft. Kratzbürstig stellt sich Principessa Alessia ihm jeden Tag neu entgegen. Nicolo weiß bald kaum noch, was er mit der aufreizenden Adligen machen soll. Sie durchschütteln? Keine schlechte Idee. Sie küssen, bis sie endlich ihren eigensinnigen Mund hält? Überraschend ist es diese Idee, die sein Herz am meisten lockt ... War alles nur ein heißes Spiel? So traumhaft hat sich Tess ihre Reise in die Toskana wirklich nicht vorgestellt: Sie begegnet der großen Liebe ihres Lebens! Doch Raphael di Castelli scheint nur mit ihren Gefühlen zu spielen. Nach seinen heißen Küssen am Strand von Porto San Michele glaubt Tess anfangs, dass der faszinierende Weingutbesitzer ihre stürmische Leidenschaft erwidert, aber seine kühlen Worte treffen sie mitten ins Herz. Raphael erklärt Tess, dass sie nur ein kleiner Urlaubsflirt für ihn sei...
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Seitenzahl: 1413
India Grey, Christina Hollis, Susan Stephens, Penny Jordan, Heidi Rice, Sandra Marton, Anne Mather
Traummänner & Traumziele: Toskana
Märchenhafte Nächte in der Toskana
Die Nacht auf der Jacht
Verführt in aller Unschuld?
Zur Leidenschaft verführt
(K)ein Mann für die Ewigkeit?
Sag nichts, küss mich!
War alles nur ein heißes Spiel?
IMPRESSUM
JULIA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
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© 2009 by India Grey
Originaltitel: „Powerful Italian, Penniless Housekeeper“
erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London
in der Reihe: MODERN ROMANCE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: JULIA
Band 1937 (19/2) 2010 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Kara Wiendieck
Fotos: RJB Photo Library
Veröffentlicht im ePub Format im 09/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
ISBN-13: 978-3-86295-012-6
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Märchenhafte Nächte in der Toskana
1. KAPITEL
Begehrenswerter Junggeselle.
Mitten auf dem Parkplatz blieb Sarah stehen und zerknüllte den Briefumschlag, den sie in der Hand hielt. Sie musste einen begehrenswerten Junggesellen finden – so lautete ihre Aufgabe bei dieser dämlichen Schnitzeljagd.
Im wirklichen Leben war sie an dieser Aufgabe schon grandios gescheitert – sie würde eine Menge Glück brauchen, um heute Abend erfolgreicher zu sein.
Auf dem Parkplatz standen ausschließlich BMWs und Porsches. Sie hatte keine Lust in Oxfordshires trendigsten Pub zu gehen und schon gar nicht bei der Schnitzeljagd mitzumachen, mit der ihre Schwester ihren Junggesellinnenabschied feierte. Sie wollte nicht wieder diejenige sein, die ständig die Späße der anderen über sich ergehen lassen musste … Sarah, die alte Jungfer.
Seufzend fuhr sie sich mit der Hand durch die widerspenstigen Locken. Sich auf einem Baum zu verstecken, mochte ihr weit verlockender vorkommen, als in diesen Pub zu marschieren und einen begehrenswerten Junggesellen aufzutreiben, aber für eine Neunundzwanzigjährige gehörte sich so etwas eben nicht. Außerdem konnte sie sich nicht für den Rest ihres Lebens verstecken. Alle sagten, sie müsse mehr ausgehen und sich, um Lotties willen, endlich dem Leben stellen. Kinder brauchten Mutter und Vater, oder? Mädchen brauchten Väter. Früher oder später sollte sie wirklich jemanden finden, der die Lücke ausfüllte, die Rupert hinterlassen hatte.
Allein bei dem Gedanken wurde ihr eiskalt.
Die Tür zum Pub wurde geöffnet und eine Gruppe Städter schlenderte lachend und sich gegenseitig in bierseliger Laune auf die Schulter klopfend hinaus. Die jungen Männer bemerkten sie kaum, nur der Letzte schien sich gerade noch an seine Pflichten als Gentleman zu erinnern und hielt Sarah die Tür auf.
Verdammt! Jetzt musste sie wohl oder übel hineingehen. Sonst würden alle sie für eine Verrückte halten, deren Vorstellung von einer tollen Nacht darin bestand, auf dem Parkplatz vor einer Bar herumzuhängen. Sie murmelte ein Dankeschön, schob den Briefumschlag in die Tasche ihrer Jeans und schlüpfte hinein.
Seit sie vor einigen Jahren aus Oxfordshire weggezogen war, hatte das alte Rose and Crown sich von einer winzigen Dorfkneipe mit dunklen Teppichen und verblassten Drucken an den nikotingelben Wänden zu einem Tempel des guten Geschmacks gemausert. Der Boden bestand jetzt aus abgeschliffenen Eichendielen, an den Wänden war das alte Mauerwerk aus roten Ziegelsteinen freigelegt worden und dezente Hintergrundmusik half den zahlreichen Börsenmaklern und Anwälten beim abendlichen Chillen.
Am liebsten wäre Sarah sofort wieder gegangen, doch ein letzter Funken Stolz hielt sie zurück. Das ist ja lächerlich, dachte sie. Sie wusste, wie man Regale aufbaute. Sie füllte ihre Einkommensteuererklärung ohne Hilfe aus. Sie zog ihre Tochter ganz alleine groß. Ganz sicher würde sie es da auch noch schaffen, in einer Bar einen Drink zu bestellen.
Sarah schob sich an Menschen in Anzügen vorbei in Richtung Theke und schaute sich um. Die Terrassentüren standen offen. Angelica und ihre Freunde hatten sich um einen großen Tisch in der Mitte versammelt. Alle trugen dieselben Shirts, auf denen in riesigen Buchstaben „Angelicas letzter Flirt“ zu lesen war. Entworfen hatte die T-Shirts Angelicas erste Brautjungfer, ein gazellenhaftes Wesen namens Fenella. Fenella arbeitete in einer PR-Agentur. Die Idee zu der Schnitzeljagd stammte natürlich von ihr … und die T-Shirts gab es – auch klar! – nur in Größe S.
Verstohlen zupfte Sarah an ihrem Shirt, um den Streifen nackter Haut oberhalb ihrer Jeans zu verbergen. Wenn sie sich an ihren Diätplan gehalten hätte, hätten die Sachen heute vielleicht gepasst … dann würde sie jetzt bei den anderen stehen, die glänzenden Haare zurückwerfen, lachend an einem bunten Cocktail nippen und sich problemlos einen begehrenswerten Junggesellen angeln. Verdammt, wenn sie fünf Kilo leichter wäre, bräuchte sie gar keinen neuen Typen, weil Rupert nicht den brennenden Wunsch verspürt hätte, sich mit einer blonden Systemanalytikerin namens Julia zu verloben. Aber zu viele einsame Nächte auf dem Sofa mit nur einer Schachtel Pralinen als Gesellschaft, bedeuteten, dass sie es nicht einmal geschafft hatte, ein paar Pfund abzunehmen.
Insgeheim schwor Sarah, ihre Anstrengungen bis zur Hochzeit zu verdoppeln. Die sollte in einem Landhaus in der Toskana stattfinden, die Angelica und Hugh kürzlich gekauft hatten und jetzt ausbauen ließen. Vor ihrem inneren Auge erschienen Bilder, wie Angelicas Freundinnen in ihren exquisiten Seidenkleidchen durch die neu gestalteten Gärten stolzierten, während sie sich in der Küche versteckte.
Fenella kam gerade von der Bar, hielt einige bunte Cocktails, mit Schirmchen und anderem Firlefanz verziert, in Händen und trat auf sie zu. „Da bist du ja! Wir haben die Hoffnung schon fast aufgegeben. Was willst du trinken?“
„Oh, ich nehme einen trockenen Weißwein“, erwiderte Sarah. Eingedenk ihres Schwur hätte sie ein Wasser nehmen sollen, aber sie brauchte unbedingt etwas Stärkeres, um den Abend zu überleben!
Fenella lachte. „Netter Versuch, aber das glaube ich nicht. Schau in deinen Umschlag … es ist deine nächste Aufgabe.“ Grinsend bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge.
Mit pochendem Herzen zog Sarah den Umschlag aus der Tasche. Ein leiser Aufschrei entrang sich ihrer Kehle.
Der junge Barkeeper warf einen Blick in ihre Richtung und deutete ein Nicken an, was Sarah als Aufforderung verstand, ihren Drink zu bestellen. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, das Blut schoss ihr in die Wangen, als sie den Mund öffnete.
„Einen Screaming Orgasm, bitte.“
Ihre Stimme klang tief und brüchig, aber leider nicht auf eine sexy Art und Weise. Irritiert zog der Barkeeper eine Augenbraue hoch.
„Einen was?“
„Einen Screaming Orgasm“, wiederholte sie unglücklich. Ihre Wangen brannten vor Scham. Und die feinen Härchen im Nacken hatten sich aufgerichtet, als würde sie jemand beobachten. Was natürlich der Fall war. Sämtliche von Angelicas Freunden spähten neugierig durch die Terrassentür zu ihr hinüber.
Gut, zumindest die hatten ihren Spaß. Der Barkeeper strich sich den blonden Pony zurück. „Was ist das?“, fragte er tonlos.
„Ich weiß es nicht.“ Sarah hob das Kinn und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln, um ihre wachsende Verzweiflung zu verbergen. „Ich hatte noch nie einen.“
„Sie hatten noch nie einen Screaming Orgasm? Dann erlauben Sie bitte …“
Die leise Stimme unterschied sich völlig von dem üblichen, eher an Schulhofgekreisch erinnernden Lärm der übrigen Rose and Crown-Besucher. Tief und samtig, wie im Eichenfass gereifter Cognac. Mit einem fremdartigen Akzent, den Sarah nicht sofort einzuordnen vermochte.
Sie wandte den Kopf. In dem Gedränge vor der Theke konnte sie den Sprecher kaum ausmachen, obwohl er genau hinter ihr stand. Nur das Dreieck olivenfarbener Haut unter seinem am Kragen offenen Hemd nahm sie bewusst wahr.
Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihrem Magen aus, als er sich plötzlich vorbeugte. „Jeweils zu gleichen Teilen Wodka, Kahlua, Amaretto …“
Seine Stimme, dieser Akzent … Italienisch! Die Art, wie er „Amaretto“ sagte … als mache er ein intimes Versprechen. Unvermittelt richteten sich ihre Brustknospen auf.
Gott, was tat sie da nur? Sarah Halliday ließ sich doch nicht von irgendwelchen Fremden aushalten! Sie war eine erwachsene Frau, hatte eine fünfjährige Tochter und kleine, feine Dehnungsstreifen am Bauch, um es zu beweisen! Seit sieben Jahren war sie in denselben Mann verliebt. Abenteuer mit Barbekanntschaften entsprachen nun wirklich nicht ihrem Stil.
„Danke für Ihre Hilfe“, murmelte sie, „aber ich komme schon allein zurecht.“
Sarah blinzelte zu ihm hinauf. Die Abendsonne blendete sie, dennoch bekam sie einen vagen Eindruck von dunklem Haar, einem kantigen Gesicht und einem markanten Kinn, auf dem erste Bartstoppeln bläulich schimmerten. Er ist das genaue Gegenteil vom britischen Goldjungen Rupert, dachte sie unvermittelt.
Und dann erwiderte er ihren Blick.
Es fühlte sich an, als würde er die Hände ausstrecken und sie an seinen muskulösen Körper ziehen. Seine Augen schimmerten so dunkel, dass Sarah Pupille und Iris nicht voneinander zu unterscheiden vermochte. Einen Moment betrachtete er ihr Gesicht, dann ließ er seinen Blick tiefer wandern.
„Ich möchte Sie gerne einladen.“
Die Worte klangen einfach, fast banal. Trotzdem lag etwas in seiner Stimme, dass sie das Rauschen ihres Blutes in den Ohren hörte. Eine unbekannte Hitze breitete sich zwischen ihren Schenkeln aus.
„Nein, wirklich, ich kann …“
Mit zitternden Händen zog Sarah ihr Portemonnaie aus der Tasche und sah hinein. Abgesehen von ein paar Münzen war es praktisch leer. Bestürzt erinnerte sie sich daran, wie sie ihre letzte Fünfpfundnote Lottie für ihr sogenanntes Fluchglas hatte übergeben müssen. Lotties Umgang mit Flüchen war drakonisch und – seit sie das Glas eingeführt hatte – äußerst lukrativ. Sarahs Ärger über die dumme Schnitzeljagd war sie heute Nachmittag teuer zu stehen gekommen.
Von Panik ergriffen schaute sie auf und in die ausdruckslosen Augen des Barkeepers.
„Neun Pfund fünfzig“, sagte er.
Neun Pfund und fünfzig? Sie hatte einen Drink bestellt, kein Drei-Gänge-Menü! Von dem Geld konnten Lottie und sie eine Woche leben! Wie betäubt sah sie in ihr leeres Portemonnaie. Als sie den Kopf wieder hob, sah sie gerade noch, wie der Fremde dem Barkeeper einen Schein reichte und den lächerlichen Drink entgegennahm.
Er drehte sich um und schritt durch die Menge der Barbesucher, die vor ihm zurückwich, wie die Wellen des Roten Meeres vor Moses. Ohne nachzudenken folgte Sarah ihm … und konnte den Blick nicht von den breiten Schultern unter dem blauen Hemd abwenden. Neben ihm wirkten die anderen Männer im Raum wie Zwerge.
Auf der Schwelle zur Terrasse blieb er stehen und hielt ihr den Drink hin. „Ihr erster Screaming Orgasm. Ich hoffe doch, Sie genießen ihn …“
Seine Miene blieb neutral, sein Tonfall höflich. Aber als sie das Glas nahm, und ihre Finger sich berührten, glaubte Sarah, einen elektrischen Schlag erhalten zu haben.
Sie entriss ihm das Glas so heftig, dass einige Tropfen auf ihrem Handgelenk landeten. „Wohl kaum.“
Fragend und spöttisch zugleich zog der Fremde eine Augenbraue hoch.
„Oh Gott, tut mir leid“, sagte Sarah, entsetzt über ihre Grobheit. „Ich wollte nicht undankbar klingen … immerhin haben Sie den Drink bezahlt. Es ist nur so, dass ich normalerweise etwas anderes bestellt hätte, aber ich bin sicher, er schmeckt köstlich.“ Und beinhaltet die erlaubte Kalorienmenge für drei Tage, dachte sie, trank einen Schluck und bemühte sich um einen erfreuten Gesichtsausdruck. „Mmm … lecker.“
Der Fremde schaute ihr unverwandt in die Augen. „Warum haben Sie ihn dann bestellt?“
Sarah lächelte verkrampft. „Gegen Screaming Orgasms habe ich theoretisch nichts einzuwenden, aber“, sie hielt den Umschlag hoch, „hier geht es um eine Schnitzeljagd. Ich muss die Gegenstände sammeln, die auf der Liste stehen. Meine Schwester feiert heute ihren Junggesellinnenabschied.“
Halbschwester, hätte sie vielleicht erklären sollen. Im Moment fragte er sich bestimmt, welche der äußerst hübschen Ladies am Tisch gegenüber dieselben Gene wie sie besaß.
„Das dachte ich mir bereits.“ Er sah auf ihr T-Shirt und schaute dann zu Angelica und ihren Freundinnen hinüber, die bereits eine erkleckliche Anzahl begehrenswerter Junggesellen um sich versammelt hatten. „Ihnen scheint die Sache nicht so viel Spaß zu machen, wie den anderen.“
„Oh, nein, ich habe eine tolle Zeit.“ Sie gab ihr Bestes, um überzeugend zu klingen und nahm noch einen Schluck von dem scheußlichen Cocktail.
Vorsichtig nahm der Mann ihr das Glas aus den Händen und stellte es auf einen benachbarten Tisch. „Sie sind eine der schlechtesten Schauspielerinnen, der ich seit Langem begegnet bin.“
„Danke“, murmelte sie. „Das war’s dann wohl mit meiner Karriere als Leinwandgöttin.“
„Glauben Sie mir, das war ein Kompliment.“
Rasch schaute sie auf. Bestimmt machte er sich über sie lustig, aber seine Miene wirkte absolut ernst. Einen Moment trafen sich ihre Blicke. Heißes Verlangen flammte in Sarah auf.
„Was steht noch auf Ihrer Liste?“, fragte er.
„Das weiß ich nicht.“ Sie zwang sich, den Kopf zu senken und auf den Umschlag in ihrer Hand zu sehen. „Erst wenn eine Aufgabe erledigt ist, darf man die nächste lesen.“
„Wie viele haben Sie geschafft?“
„Eine.“
Ein amüsiertes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, aber Sarah fiel auf, dass es nicht die Schatten aus seinen Augen vertrieb. „Der Drink war die erste Aufgabe?“
„Eigentlich die zweite. Die erste habe ich aufgegeben.“
„Und die war?“
Sie schüttelte den Kopf. „Das ist nicht wichtig.“
Fast zärtlich nahm er ihr den Umschlag aus der Hand. Eine Sekunde war sie versucht, ihm das Papier wieder zu entreißen, doch ihr war klar, dass er viel mehr Kraft als sie besaß. Deshalb drehte sie nur verlegen den Kopf zur Seite.
Fenella beobachtete sie. Sarah sah, wie sie Angelica vielsagend lächelnd anstupste und dann in ihre Richtung deutete.
„Dio mio“, sagte der Fremde neben ihr angewidert. „Sie müssen einen begehrenswerten Junggesellen finden?“
„Ja. Nicht gerade meine Stärke.“ Wütend wandte Sarah sich von der Gruppe ab und lachte verbittert auf. „Ich nehme nicht an, dass Sie einer sind?“
Kaum hatte Sarah die Worte ausgesprochen, erstarrte sie förmlich vor Verlegenheit. Herrje, wie musste sie sich anhören? Als sei sie völlig verzweifelt! Als wolle sie ihn anmachen! „Tut mir leid“, murmelte sie. „Können wir so tun, als hätte ich das nie gefragt …?“
„Nein“, erwiderte er knapp.
„Bitte …“ Sie senkte den Kopf und blickte verschämt zu Boden. „Vergessen Sie es. Sie brauchen nicht zu antworten.“
„Das habe ich gerade getan. Die Antwort lautet Nein. Ich bin weder ein Junggeselle, noch sonderlich begehrenswert“, fuhr er fort und legte einen Finger unter ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. Seine Augen schimmerten schwarz und unlesbar. „Aber das wissen die nicht“, flüsterte er und neigte den Kopf.
Wie es sich mit spontanen Ideen nun mal so verhält, ist dies hier wahrscheinlich keine gute, dachte Lorenzo, während er die Frau mit dem unsicheren Blick musterte. Aber er langweilte sich. Und fühlte sich desillusioniert und frustriert. Und diese Unbekannte zu küssen, war ein guter Weg, diesen Gefühlen zumindest eine gewisse Zeit zu entkommen. Ihre Lippen schmeckten genauso süß, wie er sie sich vorgestellt hatte.
Noch schien sie widerspenstig. Ihren Mund hielt sie fest verschlossen. Wut auf die Gruppe lautstarker Frauen in der Mitte der Terrasse, die dieser unschuldigen Blume das Leben schwer machten, durchströmte ihn. Instinktiv umfasste er mit einer Hand ihr Gesicht, mit der anderen zog er sie enger an sich.
Lorenzo triumphierte innerlich, als sich ein leiser Seufzer ihrer Kehle entrang. Ihr Widerstand ließ spürbar nach. Sie öffnete die Lippen und bog sich ihm entgegen. Dann endlich erwiderte sie den Kuss mit einer unbeholfenen Leidenschaft, die er überraschend erfrischend fand.
Unvermittelt stellte Lorenzo fest, dass er lächelte. Zum ersten Mal seit Tagen … Dio, seit Monaten lag ein wirkliches Lächeln auf seinen Lippen.
Nach Oxfordshire zu kommen, glich einer verzweifelten Pilgerfahrt: Eine Suche nach Orten, die seit langer Zeit, dank eines kleinen Büchleins eines unbekannten Autors, das ihm durch Zufall in die Hände geraten war, in seinem Kopf existierten. Jahrelang verfolgten ihn Francis Tates wunderschöne lyrische Landschaftsbeschreibungen nun schon. Hergefahren war er letztendlich in der Hoffnung, hier seine Kreativität wieder zum Leben zu erwecken, die zusammen mit dem Rest seines Gefühlslebens nach und nach gestorben war. Aber er hatte enttäuscht feststellen müssen, dass hier nichts mehr dem ländlichen Paradies aus Eichen und Zypressen entsprach. Stattdessen hatte er nur die Parodie eines ursprünglichen Englands vorgefunden, nichtssagend und seelenlos.
Diese Frau in seinen Armen verkörperte das Lebendigste und Authentischste, was ihm seit seiner Ankunft begegnet war. Gefühle huschten über ihr Gesicht wie Schatten an einem Sommertag. Sie verbarg nichts. Spielte nichts vor.
Nach Tias Betrug empfand Lorenzo das als äußerst attraktiv.
Und außerdem war diese Frau sexy wie die Hölle. Hinter der offensichtlichen Unsicherheit verbargen sich Glut und Leidenschaft. Er küsste sie im Grunde nur, weil sie ihm leidtat; weil sie so traurig aussah; weil es nichts kostete und nichts bedeutete …
Aber er hatte nicht erwartet, dass er den Kuss so sehr genießen würde.
Lorenzos Lächeln wurde intensiver, während er eine Hand über ihren Rücken gleiten ließ, ihre Taille umfasste und die Unbekannte enger an sich zog. Flammende Sehnsucht durchströmte ihn, als seine Finger den warmen Streifen nackter Haut oberhalb ihrer Jeans berührten.
Die Frau erstarrte. Sie schlug die Augen auf und stemmte plötzlich die Fäuste gegen seine Brust. Gleichzeitig stolperte sie rückwärts. Ihre Lippen waren von dem Kuss leicht gerötet, und in ihren Augen schimmerten Qual und Schmerz, während sie hektische Blicke in Richtung ihrer nun johlenden und klatschenden Gruppe warf.
Einen Moment schaute sie ihn noch erschrocken an, dann wirbelte sie herum und bahnte sich einen Weg durch die Pubbesucher auf die Tür zu.
Natürlich war es nur ein Spaß. Genau darum ging es ja bei diesen Partys. Lachen. Flirten. Ein letztes Mal Spaß haben.
Sarah zwängte sich durch die Hecke am Rand des Parkplatzes. Einzelne Dornen verletzten ihre Haut. Wütend wischte sie mit dem Handrücken die Tränen beiseite. Autsch. Das tat weh. Und nur deshalb weinte sie … nicht, weil sie keinen Spaß verstand!
Auch wenn es demütigend war, einen völlig Fremden in einem Pub zu küssen, der sich sogar währenddessen ein Lachen nicht verkneifen konnte. Gott, nein! Sie würde sich doch über eine so harmlose lächerliche Sache nicht aufregen!
Sie war die Frau, die erst vor einer Woche das Catering bei einer Verlobungsfeier in den Sand gesetzt hatte, indem sie vor den Augen aller Gäste und des glücklichen Paars die Torte hatte fallen lassen – inklusive brennender Wunderkerzen. Der eine Teil des Paares bestand nämlich aus ihrem langjährigen Freund und Vater ihrer Tochter.
Schlimm war nicht, dass sie in eine offensichtlich von Angelica und ihren Freundinnen ausgeheckte Falle getappt war, sondern dass es sich so wunderbar angefühlt hatte. Sie kam sich so einsam und verlassen vor. Sogar durch den unbedeutenden Kuss eines Fremden hatte sie sich schön und begehrenswert gefühlt …
Und genau in dem Moment war ihr klar geworden, dass er sich nur über sie lustig machte.
Sarah erreichte die Spitze des Hügels. Sie legte den Kopf in den Nacken und atmete tief ein und aus. Hoch über ihr, am fast abendlichen Himmel, leuchtete silbrig der aufgehende Mond. Unwillkürlich musste sie an Lottie denken. Lächelnd setzte sie sich wieder in Bewegung. Mit schneller werdenden Schritten eilte sie den Hügel hinunter.
Lorenzo hob den Umschlag vom Boden auf, den die Unbekannte auf ihrer Flucht hatte fallen lassen.
Witzig, dachte er. In den Märchen ließ Aschenputtel immer einen Schuh zurück. Er drehte den Umschlag um. Ihr Name lautete nicht Aschenputtel, sondern …
Sarah.
Sarah. Der Name passte zu ihr.
Rasch trat er auf die dunkle Gasse vor dem Rose and Crown hinaus. Rechts von ihm befand sich der Parkplatz. Er rechnete fest damit, dass gleich ein BMW angeschossen käme, aber kein Motorengeräusch zerriss die Stille des Abends.
Nirgendwo war eine Spur von Sarah zu entdecken.
Er schirmte die Augen vor den letzten Strahlen der tiefstehenden Sonne ab, drehte sich langsam um und ließ den Blick über die Weizenfelder vor ihm wandern. Es war heiß und stickig und, abgesehen von den gedämpften Stimmen aus dem Pub hinter ihm, absolut still.
Gerade wollte er sich umdrehen und zurückgehen, da bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Bewegung. Jemand ging mit großen Schritten durch das Weizenfeld. Es war Sarah. Die untergehende Sonne schien ihr Haar in Brand zu setzen, es leuchtete in unglaublich warmen Rottönen – jeder Lichttechniker hätte damit den Oscar so gut wie in der Tasche.
Lorenzo verspürte eine innere Unruhe, die ihn stets befiel, wenn er arbeitete. Wie von selbst griffen seine Finger nach einer imaginären Kamera. Genau deshalb war er hergekommen. Hier, unmittelbar vor ihm, lag die Essenz von Francis Tates England, das Herz und die Seele eines Buches, in das Lorenzo sich schon vor langer Zeit verliebt hatte … eingefangen in dem Bild einer jungen Frau mit in der Sonne leuchtenden Haaren inmitten eines goldgelben Weizenfeldes.
Oben auf dem Hügel blieb sie stehen und legte den Kopf in den Nacken, sodass die lockigen Haare ihr über die Schultern fielen. Dann ging sie weiter und verschwand aus seinem Blickfeld.
Wer diese Sarah war oder weshalb sie so plötzlich die Flucht ergriffen hatte, wusste er nicht. Und es interessierte ihn auch nicht. Doch er empfand ihr gegenüber große Dankbarkeit, weil sie ihm unwissentlich etwas zurückgegeben hatte, was er endgültig verloren geglaubt hatte. Den Hunger, wieder zu arbeiten.
Jetzt, dachte er düster, während er zurück zum Pub schlenderte, bleibt nur noch die wenig poetische Frage nach den Filmrechten offen.
2. KAPITEL
Drei Wochen später.
Sarahs Kopfschmerzen wurden immer schlimmer, Müdigkeit zerrte an ihren Gliedern. Sie schloss die Augen und atmete die warme Nachtluft ein. Fast augenblicklich besserte sich ihre Stimmung.
Toskana.
Dieser wunderbare Duft. Eine unverwechselbare Mischung aus Rosmarin, Zedern und von der Sonne gewärmter Erde erfüllte die Luft. Nichts erinnerte an den Londoner Smog, der in diesem Sommer besonders schlimm war. Seit Wochen wurde England von einer Hitzewelle heimgesucht, die Zeitungen kannten kein anderes Thema mehr. Hier in der Toskana fühlte die Hitze sich anders an. Sarah kam es vor, als erfüllte die Wärme ihren ganzen Körper und zwang sie, sich zu entspannen.
„Du siehst erschöpft aus, mein Liebling.“
Am anderen Ende des Tisches saß ihre Mutter, ein Glas Chianti in der Hand. Rasch unterdrückte Sarah ein Gähnen und setzte ein heiteres Lächeln auf.
„Das liegt an der Reise. Ich bin nicht daran gewöhnt. Aber es ist wunderschön hier.“
Und das stimmte sogar. In den vergangenen Monaten war sie so damit beschäftigt gewesen, sich vor Angelicas Hochzeit zu fürchten, weil die Feier sie unablässig an ihr eigenes Versagen in so vielen Bereichen erinnern würde, dass sie ganz vergessen hatte, wie schön es sein würde, nach Italien zu kommen. Es war die Erfüllung eines Lebenstraums … und stammte aus einer Zeit, als sie sich Träume leisten konnte.
„Es ist gut, dass du hier bist. Du brauchtest dringend ein bisschen Abstand, mein Schatz.“
„Ich weiß, ich weiß …“ Unbehaglich rutschte Sarah auf dem Stuhl hin und her. Der Hosenbund schnitt in der Tat ganz schön ein. Das einzig Gute an einem gebrochenen Herzen war, dass man seinen Appetit und Gewicht verlor, aber sie wartete immer noch darauf, dass diese Phase anfing. Im Augenblick befand sie sich nämlich noch in der „Trost-im-Essen-finden-Phase“. „Ich mache ja eine Diät, aber in letzter Zeit hatte ich an so vielen Fronten zu kämpfen … Rupert, die Geldsorgen, weil ich meinen Job verloren habe …“
„Das habe ich nicht gemeint“, unterbrach ihre Mutter sie sanft. „Ich meinte, du musst geistig mal abschalten. Aber wenn Geld ein Problem ist … Guy und ich helfen dir jederzeit.“
„Nein!“, erwiderte Sarah sofort. „Mir geht es gut. Bestimmt ergibt sich schon bald etwas.“ Ihre Gedanken wanderten zu dem Brief des Verlegers ihres Vaters zurück. Es war der Letzte in einer langen Reihe, seit sie die Rechte am Buch ihres Vaters geerbt hatte. Anfangs hatte sie die Anfragen ernst genommen, doch die Erfahrung hatte sie gelehrt, dass Francis Tates Roman vor allem mittellose Filmstudenten mit bizarren Vorstellungen anzuziehen schien. Seither verweigerte sie jedes Nutzungsrecht, ohne lange zu fragen.
„Wie geht es Lottie?“, fragte Martha.
Ein wenig ängstlich blickte Sarah zu ihrer Tochter hinüber, die auf Angelicas Knien saß. „Gut“, entgegnete sie. „Ihr ist noch gar nicht aufgefallen, dass Rupert nicht mehr kommt – was mir wiederum verdeutlicht, was für ein schlechter Vater er ist. Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal wirklich Zeit mit ihr verbracht hat.“ Bei Ruperts letzten Besuchen in ihrer kleinen Wohnung hatten sie hastigen unbefriedigenden Sex während seiner Mittagspause gehabt. Der Gedanke an seine unbeholfenen gleichgültigen Berührungen ließ Sarah jetzt erschauern. Dass er keine Zeit hatte, die Abende oder die Wochenenden mit ihr zu verbringen, hatte er auf Probleme bei der Arbeit geschoben. Wie lange, fragte sie sich, hätte er sie eigentlich noch betrogen, wenn sie ihm nicht auf die Schliche gekommen wäre?
„Ohne ihn bist du besser dran“, erwiderte Martha, als wüsste sie genau, was in Sarah vorging.
„Ich weiß.“ Seufzend stand sie auf und räumte die Teller zusammen. „Ich brauche keinen Mann.“
„Das habe ich nicht gesagt. Ich meinte, ohne ihn, nicht ohne Mann im Allgemeinen.“
„Ich bin glücklich allein“, bekräftigte Sarah stur. Das war zumindest nicht ganz gelogen … völlig unglücklich war sie nicht. Allerdings brauchte sie nur an den dunklen gut aussehenden Italiener zurückzudenken, der sie auf Angelicas Party im Rose and Crown geküsst hatte, um zu wissen, dass ihrem Leben etwas fehlte. Eilig sammelte sie das Besteck ein, um ihre Hände beschäftigt zu halten. „Du vermisst nur Guy. Immer wenn er nicht da ist, wirst du sentimental.“
Guy und Hugh würden mit den anderen Gästen morgen eintreffen. Heute war also Mädelabend, wie Angelica es ausdrückte. Martha zuckte die Schultern. „Vielleicht. Ich bin halt eine alte Romantikerin. Ich will nur nicht, dass du deine Chance auf die Liebe verpasst, nur weil du nicht richtig hinschaust.“
Klar, dachte Sarah, wie groß sind wohl meine Chancen, dass das passiert? Sie trug die Teller hinaus. Ihr Liebesleben glich einer lebensfeindlichen Wüste. Wenn sich tatsächlich irgendetwas am Horizont zeigte, dann würde sie es unmöglich übersehen können.
Vor ihr lag das alte Bauernhaus, das Angelica und Hugh gekauft hatten. Eigentlich war es mehr eine Ansammlung aus kleineren Gebäuden mit sanft geschwungenen Dächern. Sarah ging in die Küche, die ehemalige Milchkammer, schaltete das Licht ein und stellte die Teller auf der brandneuen Arbeitsfläche aus Marmor ab. Obwohl Angelica und Hugh sich überhaupt nicht fürs Kochen interessierten, hatten sie keine Kosten gescheut, die Küche überaus luxuriös auszubauen. Ein kleiner Funken Neid flackerte in Sarah auf, während sie sich umschaute und die Einrichtung mit ihrer kleinen Einbauküche in ihrer Wohnung in London verglich.
Missmutig drehte sie den Wasserhahn auf und ließ eiskaltes Wasser über ihre Handgelenke laufen. Hitze, Müdigkeit und ein Glas Chianti hatten sie dünnhäutig gemacht. Deshalb fiel es ihr schwerer als sonst, die düsteren Gedanken zurückzuhalten. Sie drehte den Hahn zu und trat wieder hinaus. Die kühlen Handgelenke auf den Nacken gepresst, gesellte sie sich wieder zu den anderen. Angelica berichtete gerade von den Katastrophen, die sich beim Umbau des Landhauses ereignet hatten.
„… in dieser Hinsicht ist er ein absoluter Fanatiker. Er besteht darauf, dass alles so authentisch wie möglich saniert wird. Unserem Architekten hat er irgend so einen obskuren Wisch unter die Nase gehalten. Anscheinend gibt es in der Toskana ein Gesetz, das uns verbietet, ein Glasdach auf die Küche zu setzen. Nein, wir müssen die alten Ziegel recyceln, damit der Originalcharakter des Hauses erhalten bleibt.“
Fenella verdrehte die Augen. „Der Mann hat ja leicht reden, schließlich lebt er in einem Palazzo aus dem sechzehnten Jahrhundert. Erwartet er etwa von euch, wie arme Schlucker zu leben, nur weil ihr ein Bauernhaus gekauft habt?“
Lächelnd schaute Martha auf, als Sarah sich wieder zu ihnen setzte. „Angelica und Hugh sind mit dem hiesigen Adel aneinandergeraten“, erklärte sie.
„Adel?“, stieß Angelica verächtlich aus. „Schön wär’s! Aber der Mann ist definitiv ein Neureicher. Ein Regisseur. Er heißt Lorenzo Cavalleri und ist mit dieser italienischen Schauspielerin Tia de Luca verheiratet.“
Sofort ging eine sichtbare Veränderung in Fenella vor. Den Namen eines Prominenten in ihrer Hörweite fallen zu lassen, hatte in etwa denselben Effekt, wie einem Hund einen Knochen hinzuwerfen. „Tia de Luca? Gerade habe ich ein Interview mit ihr gelesen. Sie hat ihren Ehemann für Ricardo Marcello verlassen. Und schwanger ist sie auch!“
„Oh, wie aufregend“, ging Angelica darauf ein. „Ricardo Marcello ist hinreißend. Ist das Baby von ihm?“
Man könnte meinen, sie reden über gute Bekannte, dachte Sarah und unterdrückte ein Gähnen. Natürlich wusste auch sie, wer Tia de Luca war – jeder wusste das! –, aber das komplizierte Liebesleben einer Frau, die sie niemals kennenlernen und mit der sie nichts gemein hatte, interessierte sie nicht. Fenella hingegen störte sich an solchen Details nicht.
„Ich bin mir nicht sicher. Sie hat angedeutet, dass das Baby auch von diesem Lorenzo sein könnte.“ Sie senkte die Stimme. „Hast du ihn schon getroffen?“
„Nein“, sagte Angelica. „Hugh allerdings schon. Er meinte, es sei schwierig, mit ihm zurechtzukommen. Typisch italienischer Macho, arrogant und von oben herab. Wir dürfen es uns mit ihm nicht verderben, weil die Kirche, in der wir heiraten wollen, auf seinem Land steht.“
„Mmm …“ Fenellas Stimme klang warm und samtig. „Klingt himmlisch. Ich hätte nichts dagegen, seine verderbte Seite zu sehen …“
Sofort war Sarah hellwach. „Okay, Lottie, Schlafenszeit.“
Als sie ihren Namen hörte, setzte Lottie sich, die es sich auf dem Schoß ihrer Großmutter bequem gemacht hatte, schläfrig auf. „Ich bin gar nicht müde, Mummy“, protestierte sie. „Wirklich nicht …“
„Oh, doch.“ Lottie besaß die Überzeugungskraft eines Politikers. Aber heute Abend kam sie damit nicht durch. Eine Mischung aus Erschöpfung und dem seltsamen Gefühl von Ruhelosigkeit ließ ihren Tonfall schärfer werden. „Bett. Sofort.“
Lottie schaute über Sarahs Schulter in den Himmel. Sorgenfalten zeichneten sich auf ihrer Stirn ab. „Da ist kein Mond“, flüsterte sie. „Gibt es keinen Mond in Italien?“
Augenblicklich verflog Sarahs Ärger. Der Mond war Lotties Halt, ihre Kuscheldecke. „Doch, gibt es“, beruhigte sie das kleine Mädchen. „Nur ist er heute hinter den Wolken verborgen. Schau, man kann auch keine Sterne sehen.“
Die Sorgenfalten verschwanden. „Wenn der Himmel bewölkt ist, heißt das, es regnet heute Nacht?“
„Oh, nein, das darfst du nicht sagen!“, mischte Angelica sich lachend ein. Sie stand auf und gab Lottie einen Gutenachtkuss. „Der einzige Grund, weshalb wir die Hochzeit hierher verlegt haben, ist das Wetter. Es regnet nie in der Toskana!“
Bald würde es anfangen zu regnen.
Am offenen Fenster seines Arbeitszimmers stehend, atmete Lorenzo den Duft der trockenen Erde ein. Er schaute in das sternenlose Schwarz des Himmels hinauf. Seit Monaten herrschte Trockenheit, der Boden war völlig ausgedörrt und brauchte dringend Wasser.
Plötzlich hörte er lustvolle Laute hinter sich. Gerade noch rechtzeitig drehte er sich um, um zu sehen, wie der Liebhaber seiner Exfrau sich über ihren nackten Körper beugte und mit der Zunge ihre aufgerichtete Brustspitze umkreiste.
Perfekte Ausführung, dachte er, als auf dem übergroßen Flachbildschirm über dem Kamin eine Nahaufnahme von Tias leicht geöffneten Lippen erschien. Ricardo Marcello besaß das schauspielerische Talent eines Holzblocks, aber Liebesszenen spielte er sehr überzeugend. Resultat war leider, dass der gesamte Film, eine große Produktion über das Leben von Galileo Galilei, wesentlich mehr davon enthielt, als das Drehbuch ursprünglich vorgesehen hatte. Die Zuschauer würden aus dem Kino kommen, ohne viel über Galileos wissenschaftliche Leistungen erfahren zu haben. Dafür würden sie ihn als den Mann erinnern, der über außerordentliche Kenntnisse des Kamasutra verfügte.
Resigniert drückte Lorenzo die Pausentaste der Fernbedienung. Die Sonne umkreisend würde sich als großer Kassenerfolg erweisen, für ihn jedoch markierte der Film den kreativen Tiefpunkt seiner Karriere. Er hatte seine Integrität und seine Visionen gegen Geld eingetauscht, das er nicht brauchte, und gegen Ruhm, den er nicht wollte.
Getan hatte er es für Tia. Weil sie ihn darum gebeten hatte. Und weil er wiedergutmachen wollte, was er ihr nicht geben konnte.
Letzten Endes, dachte er bitter, habe ich alles verloren.
Als ob er die Stimmung seines Herrchens gespürt hätte, hob der Hund, der bislang auf dem Sofa gedöst hatte, den Kopf, sprang von den Polstern und presste seine feuchte Nase gegen Lorenzos Hand. Lupo war halb Collie, halb Windhund, halb irgendetwas. Doch so zweifelhaft sein Stammbaum auch sein mochte, an seiner Loyalität gegenüber Lorenzo bestand kein Zweifel. Während er die seidigen Ohren des Hundes kraulte, verflüchtigte sich seine Wut. Dieser Film hatte ihn zwar seine Frau, seinen Selbstrespekt und fast seine gesamte Kreativität gekostet, aber er war zugleich auch die Ziegelwand, gegen die er hatte laufen müssen, um aufzuwachen.
Auf dem Schreibtisch lag der Roman von Francis Tate. Er hob ihn hoch. Das Buch fühlte sich abgewetzt und weich an. Wie oft hatte er es in seine Tasche gesteckt, um in den kurzen Pausen während eines Drehs oder im Flugzeug darin zu lesen? Auf seiner ersten Reise nach England hatte er es zufällig in einem Antiquariat entdeckt. Damals war er neunzehn und hatte als Laufbursche für eine Produktion in London gearbeitet. Pleite und von Heimweh geplagt, hatte das Wort Zypressen auf dem Einband ihn wie ein nach Thymian duftendes Flüstern angesprochen.
Bedächtig blätterte er nun in den vergilbten Seiten. Hin und wieder las er einen Abschnitt und sofort entstanden vor seinem geistigen Auge dieselben Bilder wie vor zwanzig Jahren. Eine unbestimmte Sehnsucht stieg in ihm auf. Eine Verfilmung würde ihm wahrscheinlich kein Geld einbringen, vermutlich würde er noch draufzahlen, aber – verdammt! – er wollte diesen Film machen!
Unwillkürlich musste er wieder an die junge Frau aus dem Rose and Crown denken, wie sie durch das Weizenfeld geeilt war. An das Licht auf ihren nackten Armen, an ihr in der Abendsonne glänzendes lockiges Haar. Das Bild war für ihn zu einer Art Leuchtfeuer geworden. Für ihn verkörperte sie die Essenz seines Filmes: Ruhe und Aufrichtigkeit.
Ein Blatt Papier flatterte aus dem Buch und segelte zu Boden. Es war der Brief von Tates Verleger.
Vielen Dank für Ihr Interesse, aber Miss Hallidays Meinung hinsichtlich der Filmrechte an ‚Eichen und Zypressen‘ bleibt unverändert. Natürlich werden wir Sie, sobald Miss Halliday eine andere Entscheidung trifft, diesbezüglich informieren.
Frustriert ließ er das Buch wieder auf den Tisch fallen und wandte sich dem offenen Fenster zu. Eine leise Brise war aufgekommen, stark genug, um die Papiere auf seinem Schreibtisch rascheln zu lassen. Die Planeten eines kleinen Modells des Sonnensystems auf der Fensterbank drehten sich um ihre Achsen.
Eine Veränderung lag in der Luft.
Er hoffte nur, dass diese Miss Halliday, wer auch immer sie war, es auch spürte.
Jäh wachte Sarah auf, das Herz klopfte ihr bis zum Hals.
In den vergangenen Wochen hatte sie sich daran gewöhnt, auf einem tränenfeuchten Kissen aufzuwachen. Aber dieses Kissen war nicht feucht, es war nass. Ebenso die Bettdecke und ihr übergroßes T-Shirt aus Baumwolle, in dem sie schlief, seit Rupert sie verlassen hatte. Außerdem war es dunkel. Zu dunkel. Das Flurlicht schien nicht mehr durch den Türspalt. Sarah hörte das Geräusch von fließendem Wasser. Es regnete.
Im Haus.
Ein dicker Tropfen landete auf ihrer Schulter und versickerte im T-Shirt. Hastig sprang sie aus dem Bett und drückte den Lichtschalter. Nichts passierte. Instinktiv blickte sie zur Decke hinauf. Ein weiterer Tropfen traf sie genau zwischen die Augen. Sie stieß einen knappen Fluch aus.
„Mummy“, murmelte Lottie. „Das habe ich gehört. Du musst zehn Pence ins Fluchglas werfen.“ Dann das Rascheln von Laken, als Lottie sich aufsetzte. „Mein Bett ist nass.“
Sarah bemühte sich um einen gelassenen Tonfall, als sei von der Decke tropfender Regen etwas völlig Normales. „Das Dach scheint undicht zu sein. Schauen wir, ob wir einen trockenen Pyjama für dich finden, und sehen nach, was eigentlich los ist.“
Lotties Hand haltend, tastete sie sich die Wand entlang in Richtung Treppe – hoffentlich erinnerte sie den Weg richtig.
„Warum schalten wir nicht das Licht ein?“, flüsterte Lottie.
„Das Wasser muss einen Kurzschluss verursacht haben. Mach dir keine Sorgen, mein Engel, es gibt keinen Grund, Angst zu haben. Ich bin sicher …“
In diesem Moment ertönte ein lautes Kreischen aus Angelicas Zimmer. Offensichtlich hatte sie die Katastrophe gerade bemerkt. „Oh, Gott“, schrie ihre Schwester panisch und riss die Tür auf. „Alle aufwachen! Wasser! Es regnet durchs Dach!“
Lotties Griff um ihre Hand wurde fester, als sie die Hysterie in Angelicas Stimme hörte. „Wissen wir längst.“ Sarah bemühte sich, sich ihren Ärger nicht anmerken zu lassen. „Am besten ist es, wir bleiben alle ruhig und finden heraus, was passiert ist.“
Aber das Einzige, was Angelica normalerweise beruhigen konnte, war eine Entspannungsmassage in einem Luxus-Spa. Fenella gesellte sich zu ihnen. Jammernd fielen die Freundinnen sich in die Arme.
„Liebling, was, um alles in der Welt, ist hier los?“, meldete Martha sich zu Wort. „Ich dachte schon, ich sei aus Versehen im Bad eingeschlafen. Alles ist nass!“
„Muss ein Problem mit dem Dach sein“, erwiderte Sarah müde. „Mum, du passt auf Lottie auf. Angelica, wo finde ich eine Taschenlampe?“
„Woher soll ich das wissen?“, jammerte Angelica. „Für Werkzeug ist Hugh zuständig. Oh, Gott, warum ist er nicht hier? Oder Daddy? Er würde wissen, was zu tun ist.“
„Ich weiß, was zu tun ist“, sagte Sarah genervt und tastete sich die Treppe nach unten. Denn genau das geschah, wenn man nicht ständig einen Mann um sich hatte, der sich um alles kümmerte … man entwickelte etwas, das man Unabhängigkeit nannte. „Ich suche eine Taschenlampe, dann gehe ich hinaus und sehe nach, was mit dem Dach los ist.“
„Du kannst doch nicht bei dem Wetter aufs Dach klettern“, fuhr Angelica sie an.
„Sie hat recht, mein Liebling“, sagte Martha. „Das ist wirklich keine gute Idee.“
„Gut, dann sagt Bescheid, sobald euch eine bessere einfällt“, rief Sarah wütend zurück. Als einzige Antwort war das Geräusch tropfenden Wassers zu hören.
Der Küchenboden war schon zentimeterhoch mit Wasser bedeckt. In einem der Schränke fand Sarah schließlich eine kleine Taschenlampe. Sie schaltete sie ein, öffnete die Tür und trat in den strömenden Regen hinaus.
Es war, als würde man sich angezogen unter die Dusche stellen. Nun, vielleicht nicht ganz angezogen, schoss es Sarah durch den Kopf, als sie an ihrem gestreiften Shirt hinunterblickte. Binnen Sekunden war sie völlig durchnässt. Sie warf die nassen Haare zurück und marschierte tapfer weiter.
Sie richtete die Taschenlampe auf das Dach. Nichts deutete auf das Desaster hin, das sich im Inneren des Hauses abspielte.
„Sarah … du bist ja ganz nass! Liebling, komm wieder herein.“ Ihre Mutter erschien auf der Schwelle. Sie trug einen Regenmantel über ihrem eleganten Nachthemd. Zusätzlich hielt sie einen Schirm in der Hand. „Wir können hier nichts ausrichten. Angelica und Fenella sind mit Lottie zu dem Regisseur gefahren, um ihn um Hilfe zu bitten.“
Sarah ließ den Lichtstrahl das geschwungene Dach entlanggleiten. „Aber es ist mitten in der Nacht. Sie können doch nicht bei einem Wildfremden um diese Zeit klingeln.“
„Liebling, wir sind arme Frauen in Bedrängnis. Es handelt sich um einen Notfall. Wir können nicht bis zum Morgen warten … wir müssen jetzt gerettet werden!“
„Ich nicht“, murmelte Sarah, während sie einen der Verandastühle zur Wand zog. Die Regenrinne als Behelfsleiter benutzend, zog sie sich aufs Dach. Die Ziegel fühlten sich rau unter ihren nackten Knien an, machten jedoch einen stabilen Eindruck. Langsam stand sie auf und machte einige vorsichtige Schritte auf dem geschwungenen Dach. Die Fläche sah ungleichmäßig und uneben aus, doch schien keiner der Ziegel zu fehlen. Sarah richtete die Taschenlampe auf den Punkt, wo das Küchendach an die Wand des Nebengebäudes stieß. War dort nicht eine Lücke?
In diesem Moment ertönten laute Stimmen unter ihr. Plötzlich war sie in helles Licht getaucht. Erschrocken fuhr sie zusammen und hob die Hände vor die Augen, um sich vor dem gleißenden Licht zu schützen, wobei sie versehentlich die Taschenlampe fallen ließ.
„Verdammt noch mal!“
„Bleiben Sie, wo Sie sind. Nicht bewegen!“
In dem hellen Lichtschein war es unmöglich, irgendetwas zu sehen. Instinktiv stolperte sie rückwärts, um den Eigentümer jener tiefen italienischen Stimme auszumachen. Gleichzeitig versuchte sie, das durchnässte Baumwollshirt weiter nach unten zu ziehen, um ihre nackten Beine ein bisschen mehr zu bedecken.
„Ich sagte, Sie sollen stehen bleiben. Wollen Sie sich umbringen?“
„Im Moment bin ich durchaus versucht“, erwiderte Sarah finster. „In Anbetracht der Tatsache, dass ich halb nackt bin, und Sie einen Scheinwerfer auf mich gerichtet haben. Könnten Sie vielleicht endlich dieses Licht ausschalten?“
„Und wenn ich das tue, wie wollen Sie dann wieder herunterkommen?“
„Bevor Sie mich geblendet haben, bin ich sehr gut alleine zurechtgekommen.“
„Dass Sie sich noch nicht den Hals gebrochen haben, ist reines Glück. Was, zur Hölle, haben Sie sich dabei gedacht, bei diesem Wetter aufs Dach zu klettern?“
Sarah stieß ein verärgertes Schnauben aus. „Sie klingen genau wie meine Mutter. Darf ich vielleicht darauf hinweisen, dass ich selbstverständlich nicht hier oben wäre, würde es nicht ins Haus regnen. Ich versuche herauszufinden, woher das Wasser kommt. Ich glaube, dort drüben kann ich ein …“
„Wenn ich darüber nachdenke, will ich es doch nicht wissen“, unterbrach er sie unüberhörbar genervt. „Und jetzt kommen Sie bitte langsam zum Rand.“
„Sind Sie verrückt geworden?“ Sie strich sich die nassen Haare aus der Stirn. „Warum?“
„Weil ich weiß, dass sich dort ein Balken befindet, der Ihr Gewicht tragen kann.“
„Oh, vielen Dank auch! Das ist wohl ein stahlverstärkter …“
„Sarah, tun Sie es einfach!“
Ihren Namen aus seinem Mund zu hören, ließ sie erschrocken zusammenfahren. Es dauerte einige Sekunden, bis sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
„Woher weiß ich, dass ich Ihnen vertrauen kann?“, fragte sie missmutig. „Sie könnten sonst wer sein.“
„Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt für langwierige Vorstellungen. Sagen wir einfach, ich heiße Lorenzo, und im Moment bin ich der Einzige, der zwischen Ihnen und einem hässlichen Absturz steht.“
Seine Stimme stellte seltsame Dinge mit ihr an. Unangemessene Dinge. „Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, Lorenzo, aber ich finde, Sie nutzen Ihre Position schamlos aus. Ich bin nicht dumm, wissen Sie … bevor ich aufs Dach geklettert bin, habe ich mich vergewissert, dass es stabil ist. Es ist nicht sonderlich steil, und die Ziegel sind alle gut befestigt …“
Sarah machte einen Schritt in Richtung Kante. Plötzlich knirschte der Ziegel unter ihrem Fuß bedrohlich und brach dann auseinander. Erschrocken schrie sie auf und ruderte wild mit den Armen, um das Gleichgewicht zu halten. Auf einmal hatte sie Angst.
„Alles in Ordnung. Ich bin ja da.“
„Sie haben gut reden“, rief Sarah mit einem leicht hysterischen Lachen. „Sie sind ja nicht derjenige, der durchs Dach krachen und auf dem Küchentisch landen wird.“
„Das wird nicht passieren.“
„Woher wollen Sie das wissen?“
„Weil ich es nicht zulasse.“
Der Lichtstrahl wurde zur Seite geschwenkt. Die plötzliche Dunkelheit ließ Sarah frösteln. Doch einen Moment später sprach der Fremde wieder. Seine Stimme klang warm und samtig und schien viel näher zu sein.
„Ich kann nicht gleichzeitig die Lampe halten und Sie retten. Hören Sie also bitte genau auf meine Anweisungen. Okay?“
„Okay.“
„Kommen Sie langsam zum Rand des Daches. Bleiben Sie stehen, sobald ich es Ihnen sage.“
Sarah tat wie geheißen. Ein kläglicher Laut entrang sich ihrer Kehle, als abermals ein Ziegel unter ihr brach.
„Bleiben Sie stehen“, befahl er. Und obwohl sein Tonfall durchaus herrisch wirkte, lag eine sinnliche, fast intime Note darin. „Strecken Sie die Arme aus, ich hebe Sie herunter.“
„Nein! Das geht nicht! Ich bin viel zu schwer, ich …“
Ihr restlicher Protest blieb ungesagt, weil sich in diesem Moment starke Arme um ihre Hüften legten und sie gegen einen sehr männlichen Körper gepresst wurde. Durch die nassen Kleider hindurch spürte sie die Wärme, die von seiner muskulösen Brust ausging. Wie von selbst legten sich ihre Hände auf seine Schultern. Und trotz ihrer Furcht fühlte sie seine Stärke. Unvermittelt breitete sich Hitze in ihrem frierenden Körper aus.
„Danke“, murmelte sie und versuchte, sich ihm zu entziehen, sobald ihre Füße etwas Festes berührten. Sofort schien die Welt auf dem Kopf zu stehen. Taumelnd wurde ihr klar, dass sie nur auf einem wackligen Tisch stand, den der Fremde seinerseits als Leiter benutzte. Er zog sie wieder in die Sicherheit seiner Arme.
„Allmählich glaube ich, Sie hegen doch Selbstmordgedanken“, meinte er, hob ihre Beine auf den einen Arm und sprang leichtfüßig vom Tisch.
„Wenn dem so wäre, könnte ich mir elegantere Arten vorstellen, diese Welt hinter mir zu lassen, als in einem alten T-Shirt vom Dach zu fallen. Und jetzt lassen Sie mich, bitte, runter.“
„Der Kies ist scharfkantig, und Sie haben keine Schuhe an.“
„Ich komme schon zurecht. Bitte …“ Sarah war das alles sehr unangenehm. Mittlerweile musste er dank ihres Gewichts unter höllischen Rückenschmerzen leiden. Allerdings ließ er sich nicht anmerken, dass sie geringfügig mehr als eine Feder wog. Trotz ihrer Worte hielt er keine Sekunde inne, sondern trug sie mit gleichmäßigen Schritten zu einem großen Jeep, der undeutlich in der Dunkelheit zu erkennen war. „Wohin fahren wir überhaupt?“
„Nach Hause.“
„Nein, auf keinen Fall. Lassen Sie mich sofort runter!“
Er seufzte. „Wenn Sie das wirklich wollen.“
Ein irrationales Gefühl von Enttäuschung breitete sich in ihr aus, als er sie zu Boden gleiten ließ und einen Schritt zurücktrat. Sie schwankte ein wenig, als die Kieselsteine sich schmerzhaft in ihre Fußsohlen bohrten.
„Ja“, erwiderte sie und hoffte, er bekam von ihrer Verunsicherung nichts mit. „Es ist sehr freundlich von Ihnen, uns zu helfen, aber wir halten schon bis morgen früh durch. Außerdem kennen wir uns gar nicht. Und wir sind zu fünft, also …“
„Damit liegen Sie falsch.“
„Wie meinen Sie das?“
„Nun, zum einen befindet Ihre Familie sich bereits im Palazzo.“
„Was? Aber sie können doch nicht einfach … Das kommt überhaupt nicht infrage.“
„Witzig. Ihre Schwester hat genau das Gegenteil gesagt. Und ihre Freundin ebenso. Fenella, richtig?“
Wieder diese verfluchte Fenella. Unvermittelt musste Sarah an ihre Worte beim Abendessen denken. Klingt himmlisch. Ich hätte nichts dagegen, seine verderbte Seite zu sehen … Nicht in einer Million Jahre würde sie sich die Gelegenheit entgehen lassen, einen Fuß in den Palazzo eines berühmten Regisseurs zu setzen.
Als er die Wagentür öffnete und einen Moment die Innenbeleuchtung aufflammte, glaubte Sarah, ihr Herz müsse stehen bleiben. Sie erhaschte einen kurzen Blick auf markante Wangenknochen und einen dunklen Bartschatten, dann verschmolz der Fremde wieder mit der Dunkelheit.
Einen Augenblick hatte er sie an den Mann erinnert, der sie damals im Rose and Crown geküsst hatte. Aber das war natürlich lächerlich. Es gab solche Zufälle einfach nicht. Hastig ließ sie sich auf den Beifahrersitz gleiten, legte den Sicherheitsgurt an und blickte starr aus dem Fenster.
„Gleich morgen früh rufe ich einen guten ortsansässigen Handwerker an, der sich um das Dach kümmert“, sagte sie steif, als er den Motor anließ.
„Kennen Sie denn viele gute Handwerker in der Gegend?“
„Nein, aber ich vermute, jeder ist besser als der Idiot, den Angelica und Hugh aus London eingeflogen haben. Keine Ahnung, was der mit dem Dach angestellt hat.“
„Wahrscheinlich hat er die Ziegel verkehrt herum eingebaut. Toskanische Ziegel sind leicht gewölbt. Legt man sie falsch aus, kann Wasser in die Zwischenräume eindringen. Sollte ich recht haben, muss das gesamte Dach neu gedeckt werden.“
Sarah seufzte auf. „Oh, nein. Übermorgen findet doch die Hochzeit statt. Ich muss mir sofort etwas einfallen lassen.“
Es entstand eine kurze Pause, dann fragte er leise: „Weshalb sind Sie dafür verantwortlich?“
„Sie haben doch Angelica und meine Mutter kennengelernt. Mit einem vernünftigen Vorschlag von ihrer Seite ist nicht zu rechnen, und wir können nicht warten, bis Hugh und Guy eintreffen.“
„Hugh habe ich getroffen, aber wer ist Guy?“
Die Scheibenwischer bewegten sich in einem gleichmäßigen Rhythmus, der warme Luftstrom der Heizung ließ ihre Haut prickeln. Plötzlich fühlte Sarah sich sehr, sehr müde. Sie lehnte den Kopf zurück und schloss die Augen. „Guy ist mein Stiefvater, Angelicas Vater. Er ist derjenige, der dafür sorgt, dass alles glattgeht … vor allem, wenn es um Angelica geht. Aber ich fürchte, ein gesamtes Dach in unter vierundzwanzig Stunden neu decken zu lassen, übersteigt auch seine Fähigkeiten.“
„Sie kommen nicht gut mit ihm aus?“
„Oh, doch. Jeder tut das. Er ist charmant, geistreich, sehr großzügig …“
„Aber?“
Ohne es bewusst wahrgenommen zu haben, hatte der Wagen gehalten. Immer noch prasselte Regen aufs Dach. Zusammen mit dem schnurrenden Motor fühlte sie sich auf einmal seltsam sicher und beschützt. Vielleicht rührte das Gefühl auch von dem Mann neben ihr her … diesem Fremden namens Lorenzo Cavalleri. Einen Moment dachte sie daran zurück, wie es sich angefühlt hatte, in seinen Armen zu liegen und sich retten zu lassen.
Abrupt setzte Sarah sich auf und öffnete die Augen. Sie tastete nach dem Türgriff.
Sich von ihm retten zu lassen.
Oh, nein! Sie brauchte nicht gerettet zu werden! Sie hatte nicht darum gebeten und konnte gut darauf verzichten! Sie kam hervorragend ohne Mann zurecht. Noch einmal würde sie nicht den Fehler begehen und ihre Hormone ihre Vernunft übertölpeln lassen. Nicht nach dem, was Rupert ihr angetan hatte. Nicht nach dem Kuss im Rose and Crown.
„Er ist nicht mein Vater, das ist alles“, erklärte sie knapp, stieß die Tür auf und stieg aus.
Wie klein die Welt doch ist, dachte Lorenzo, während er zur Eingangstür des Palazzo schlenderte. Unwillkürlich umspielte ein Lächeln seine Lippen, als er zu der Frau hinüberschaute. Sie verharrte absolut still, als könne der Regen ihr überhaupt nichts anhaben.
„Bitte, treten Sie ein.“
Sie rührte sich nicht. „Es tut mir wirklich leid“, murmelte sie. „Es ist nicht richtig. Wir kennen Sie doch gar nicht. Vielleicht sollten wir einfach wieder gehen und …“
Kommentarlos stieß Lorenzo die Tür auf. Warmes Licht ergoss sich vom Flur in den dunklen Innenhof. Er trat einen Schritt zur Seite, um ihr den Vortritt zu gewähren. Und da sah er in ihren Augen, dass sie ihn jetzt im Moment wiedererkannt hatte.
Hastig hob sie eine Hand vor den Mund. Hinreißende Röte breitete sich auf ihren Wangen aus, dann stolperte sie rückwärts in die Dunkelheit. Lorenzo streckte die Hand aus und zog sie mit sich in den Flur.
„Du gehst nirgendwohin“, sagte er sanft. „Diesmal nicht.“
3. KAPITEL
„Diesmal.“
Sarah lehnte mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür. Von der luxuriösen Pracht des Raumes, in dem sie sich befand, bekam sie überhaupt nichts mit. „Diesmal? Dann wusstest du es? Die ganze Zeit über, in der ich mich zum Idioten gemacht habe, wusstest du, dass ich es bin?“ Mit Entsetzen ließ sie die Ereignisse der vergangenen Stunde Revue passieren. „Du hättest etwas sagen können.“
„Und wenn ich das getan hätte?“
Peinlich berührt schloss sie die Augen. Welch lächerlichen Anblick sie in dem nassen T-Shirt geboten haben musste!
In diesem Moment ertönte eine bekannte Stimme. „Da bist du ja, mein Liebling! Du siehst wie ein begossener Pudel aus.“ Sarah spürte, wie noch mehr Blut in ihre Wangen schoss, als sie ihre Mutter auf sich zukommen sah. Martha trug noch immer ihr Nachthemd und den Mantel, hielt darüber hinaus nun aber auch einen großen Drink in der Hand, als befinde sie sich auf einer etwas unkonventionellen Cocktailparty. „Komm mit in den Salon und nimm dir ein Handtuch, Sarah. Wir sind alle dort versammelt, trocknen uns vor dem offenen Kamin und wärmen uns an Signor Cavalleris ausgezeichnetem Brandy.“ Kokett schlug sie die Lider in Lorenzos Richtung nieder. „Er ist ein wahrer Gentleman.“
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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