Trennungskinder begleiten - Ute Steffens - E-Book

Trennungskinder begleiten E-Book

Ute Steffens

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Beschreibung

Die Autorin zeigt in diesem Buch, wie pädagogische Fachkräfte Kinder in der konflikthaften Zeit einer Elterntrennung wirkungsvoll unterstützen zu können. Hierzu liefert sie neben entwicklungspsychologischen Informationen über die besonderen Bedürfnisse und Konflikte von Trennungskindern konkrete Anregungen für die fachliche Intervention in Krippe, Kita, Hort und Grundschule.

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Ute Steffens

Trennungskinder begleitenin den ersten 10 Lebensjahren

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2023

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlagkonzeption und -gestaltung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG, Karlsruhe

Umschlagmotiv: © Vincent Martinet

Fotos im Innenteil auf den Seiten 6: © PeopleImages – GettyImages, 10: © Imagesbybarbara – GettyImages, 18: © middelveld – GettyImages, 24: © Juanmonino − GettyImages, 32: © Halfpoint – GettyImages, 38: © Juanmonino – GettyImages, 47: © FatCamera – GettyImages, 60: © SeventyFour – GettyImages, 75: © photostorm – GettyImages, 84: © Courtney Hale – GettyImages

E-Book-Konvertierung: Röser MEDIA GmbH & Co. KG

ISBN Print 978-3-451-39474-4

ISBN EBook (EPUB) 978-3-451-83034-1

ISBN EBook (PDF) 978-3-451-83032-7

Inhalt

Einleitung

1. Die besondere Bedeutung von Kita und Grundschule für Trennungskinder

1.1 Erziehung geschieht immer in Beziehung

1.2 Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit geben Sicherheit

2. Psychische Auswirkungen einer Elterntrennung: Die Seite der Kinder

2.1 Kindliche Symptome bei der Trennung der Eltern

2.2 Hintergründe zur Entwicklung, um Trennungskinder besser zu verstehen

3. Psychische Auswirkungen einer Trennung: Die Seite der Eltern

3.1 Die fünf Säulen der Identität

3.2 Phasen einer Elterntrennung

3.3 Die Dauer der Trennungskrise

4. Die besonderen Bedürfnisse von Trennungskindern

4.1 Kinder brauchen beide Eltern

4.2 Korrektur des spontanen Schuldimpulses

4.3 Kinder müssen sich selbst als im Wachsen und Werden begreifen

4.4 Kinder dürfen nicht in Loyalitätskonflikte geraten

4.5 Schutz vor Parentifizierung

4.6 Kinder brauchen authentische und verantwortungsvolle Kommunikation

5. Mit Trennungskindern achtsam sprechen

5.1 Niemals bohren!

5.2 Die vier Seiten einer Nachricht

5.3 Ich-Botschaften

5.4 Das aktive Zuhören

6. Trennungskinder im Krippenalter unterstützen

6.1 Das erste Lebensjahr

6.2 Pädagogische Angebote während des ersten Lebensjahres

6.3 Das zweite und dritte Lebensjahr

6.4 Pädagogische Angebote während des zweiten und dritten Lebensjahres

6.5 Wenn ein Elternteil fehlt

7. Der Umgang mit Trennungskindern im Kindergartenalter

7.1 Kinder von drei bis sechs Jahren

7.2 Die besondere Bedeutung einer Elterntrennung für Kindergartenkinder

7.3 Pädagogische Angebote für drei- bis sechsjährige Trennungskinder

7.4 Wenn ein Elternteil fehlt

8. Trennungskinder im Grundschulalter stärken

8.1 Kinder von sechs bis zehn Jahren

8.2 Trennungskinder in Hort und Grundschule

8.3 Pädagogische Intervention in Schule und Hort

8.4 Wenn ein Elternteil fehlt

9. Vertrauensvolle Erziehungspartnerschaft mit Trennungseltern

9.1 Elterntrennung – ein sensibles Thema für alle Beteiligten

9.2 Die besondere Erziehungspartnerschaft in der Krippe

9.3 Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit im Elternkontakt

9.4 Eine Infothek für Eltern einrichten

9.5 Themen-Elternabende gestalten

9.6 Vernetzungsangebote für (Trennungs-)Eltern

10. Im Blickpunkt: Das Elterngespräch

10.1 Verschiedene Arten von Gesprächen mit Trennungseltern

10.2 Ziele der Elterngespräche im Trennungsfall

10.3 Das Setting des Elterngesprächs

10.4 Geeignetes Handwerkszeug für das Gespräch

Schlusswort

Literatur

Über die Autorin

Einleitung

Die Fähigkeit von Kindern, sich selbst und ihre Umgebung

realistisch wahrzunehmen, ist der Gradmesser

für ihre seelische Gesundheit.

Inzwischen können wir davon ausgehen, dass nahezu jede zweite Familie einmal eine Trennung erlebt. Die Anzahl der Trennungskinder steigt, und das spüren auch pädagogische Fachkräfte in Krippe, Kita, Hort und Grundschule.

Um Kinder in dieser konflikthaften Zeit der Veränderung wirkungsvoll unterstützen zu können, benötigen Fachkräfte nicht nur entwicklungspsychologische Informationen über die besonderen Bedürfnisse und Konflikte von Trennungskindern, sie brauchen auch Kenntnisse über Gesetzmäßigkeiten der elterlichen Krise. Denn Erziehung geschieht immer in Beziehung. Das bedeutet, dass die familiäre Atmosphäre sowie der Umgang mit den Kindern durch die Trennung stark geprägt sind.

Aus diesem Grund widmen sich die ersten Kapitel dieses Buches nicht nur den besonderen entwicklungsbedingten Bedürfnissen und Konflikten von Trennungskindern, sondern auch der psychischen Ausnahmesituation der Eltern. Wir betrachten damit beide Seiten einer Medaille. Es braucht sowohl entwicklungspsychologische Kenntnisse über die altersabhängigen Bedürfnisse und entwicklungsbedingten Konflikte von Kindern als auch Informationen über typische Effekte einer Elterntrennung bei den Erwachsenen, denn die sind es, die sich auf die Beziehung und damit auf die Entwicklung von Kindern auswirken. Beides zusammen bildet die Grundlage für die fachliche Intervention im pädagogischen Alltag in Krippe, Kita, Hort und Grundschule, für die in den folgenden Kapiteln praxisnahe, fundierte Anregungen gegeben werden..

Nicht zuletzt beschäftigt sich das Buch dann mit Bedingungen und Anregungen für eine Erziehungspartnerschaft zum Wohle der Kinder im schwierigen Spannungsfeld einer Elterntrennung. Hier liegt der Schwerpunkt auf der Vorbereitung und Gestaltung von Gesprächen mit betroffenen Eltern.

1.

Die besondere Bedeutung von Kita und Grundschule für Trennungskinder

Krippen, Kitas, Horte und Grundschulen bieten Trennungskindern eine unschätzbare Ressource zur psychischen Stabilisierung. Eine Elterntrennung ist eine familiäre Veränderung mit dem Potenzial, Kinder zu verunsichern und zu überfordern. Wenn es uns gelingt, Trennungskinder bedürfnisorientiert durch diese akute, zeitlich begrenzte Verunsicherung zu begleiten, können wir die davon ausgehenden Gefahren abwenden und gleichzeitig die ihr innewohnenden Chancen für eine gesunde kindliche Entwicklung nutzen.

In Deutschland erlebt inzwischen nahezu jede zweite Familie einmal eine Trennung. Betroffen ist also auch die Hälfte aller Kinder unterschiedlichen Alters – Kinder, die keinerlei Verantwortung für die Situation tragen und dennoch von deren Auswirkungen existenziell betroffen sind. Schließlich verändert die Trennung der Eltern ihre Familie. Aus der Zwei-Eltern-Familie wird in den allermeisten Fällen eine Ein-Eltern-Familie. Ein Elternteil verlässt den bis dahin gemeinsamen Familienalltag. Die Beziehung zu beiden Eltern, die Kinder bis dahin als konstante Größe und als zusammengehörend in ihrem Familienalltag erlebt haben, verändert sich. Die Loyalität der Eltern untereinander kann zeitweise sogar in ein offenes Zerwürfnis umschlagen.

Nicht die Tatsache der Trennung selbst belastet Kinder und beeinträchtigt unter bestimmten Voraussetzungen ihre gesunde Entwicklung. Es ist die temporäre Lebenskrise der Eltern, die sich auf ihre emotionale Verfügbarkeit und ihr Verhalten ihren Kindern gegenüber auswirkt. Je nachdem, wann eine Trennung stattfindet, trifft dieses Ereignis auf entwicklungsbedingte Glaubenssätze, Möglichkeiten und Konflikte, die dafür verantwortlich sind, wie Kinder spontan mit dieser Krise umgehen. Je nach Alter des Kindes bekommt eine Elterntrennung eine etwas andere Bedeutung. Ein Jugendlicher in der Pubertät verarbeitet dieses Ereignis anders als ein Kindergartenkind.

1.1 Erziehung geschieht immer in Beziehung

Erziehung geschieht immer in Beziehung – das gilt sowohl für die Eltern und die Familie als auch für die Kita oder die Schule. Die Erwachsenen sind es, die Kinder in ihrer Entwicklung begleiten, sie fördern, fordern und ihnen Grenzen setzen. Sie geben den kindlichen Bedürfnissen Raum und sind Modelle, bieten Anreize, die in ihnen den Wunsch entfachen, selbst einmal groß und erwachsen zu sein.

Die 18. Shell-Studie kommt 2019 zu dem seit dem Jahr 2002 unveränderten Ergebnis, dass die Gründung einer Familie das wichtigste Ziel der befragten Jugendlichen ist. Kein Wunder also, dass eine Trennung eine massive Lebenskrise für die Betroffenen darstellt und von Gefühlen der Scham und des Scheiterns begleitet ist. Das ist das Paradoxe an Elterntrennungen: Obwohl beinahe jede zweite Familie einmal davon betroffen ist, fühlen sich die Erwachsenen als Außenseiter, als die, die es „nicht geschafft haben“.

Zudem stellt eine Elterntrennung, also das Zerplatzen eines so wichtigen Lebensziels, aus psychologischer Sicht für die Einzelnen eine massive Lebenskrise dar. Obwohl angesichts der Häufigkeit von Elterntrennungen jeder und jede Betroffene mit Sicherheit andere Eltern kennt, die sich ebenfalls getrennt haben, fühlen sie sich als die Einzigen, die sich so schwer damit tun. Alle anderen scheinen diese gewaltige Veränderung quasi nebenbei, wie selbstverständlich zu bewältigen.

Betroffene Eltern fühlen sich dementsprechend häufig isoliert – und das in einer Zeit, in der sie stark gefordert, manchmal vielleicht sogar überfordert sind. In der Regel lieben Eltern ihre Kinder. Sie wollen gute Eltern sein. Der Soziologe Thomas Ziehe spricht schon 1980 von Kindern als dem sinngebenden Element für Eltern. Kinder sind ein wesentlicher Teil der elterlichen Identität. Und nun müssen sie ihre neue Identität als getrenntes Elternpaar schaffen. Anders als zum Beispiel bei jungen Erwachsenen ist es während der ersten zehn Lebensjahre der Kinder dazu unerlässlich, sich mit dem Ex-Partner bzw. der Ex-Partnerin zu verständigen. Die Erkenntnis, über die Kinder miteinander verbunden zu bleiben, ist eine ungeheure Herausforderung in einer Zeit, in der sich die Ex-Partner und Ex-Partnerinnen zeitweise kaum etwas mehr wünschen, als die jeweils anderen aus ihrem Leben zu verbannen.

All das wirkt sich zwangsläufig auf den Umgang mit den Kindern aus. Kinder fragen sich, was diese Veränderung für sie bedeutet. Häufig fühlen sie sich spontan schuldig. Sie sind ratlos, weil sie ihre Eltern emotional als weniger verfügbar und verunsichert in der Kommunikation erleben.

Für Krippe, Kita, Hort und Schule ist eine Elterntrennung häufig eine große Herausforderung. Sie ist jedoch auch eine Riesenchance für die Erziehungspartnerschaft. Je besser diese Partnerschaft gelingt, umso größer ist auch die Chance für betroffene Kinder, die Trennung ihrer Eltern unbeschadet zu überstehen.

Pädagogische Fachkräfte können die Kinder stärken, mit den Eltern im Sinne der gesunden Entwicklung ihrer Kinder zusammenarbeiten und gegebenenfalls weiterführende, professionelle Hilfen empfehlen, wenn sie die Notwendigkeit dazu erkennen.

1.2 Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit geben Sicherheit

Mit ihrem bindungsorientierten Arbeiten, der systematischen Beobachtung, Elternarbeit und altersangemessenen Methoden der Entwicklungsförderung verfügen Fachkräfte über wertvolle Instrumente der pädagogischen Arbeit. Sie sind damit in der Lage, der phasenweise unvermeidlichen Verunsicherung von Trennungskindern die so dringend erforderliche Erfahrung von Sicherheit und Stabilität entgegenzusetzen. Damit verfügen pädagogische Einrichtungen nicht nur über Mittel zur Entwicklungsförderung, sondern auch zur Förderung der Resilienz betroffener Kinder.

Resilienz ist die Fähigkeit, sich selbst in schwierigen und belastenden Situationen zu schützen.

Die Bedeutung der Kindertageseinrichtungen kann für Trennungskinder im Hinblick auf deren psychische Stabilisierung gar nicht hoch genug eingeschätzt werden! Schließlich sorgen sie in einer Phase tiefster Verunsicherung aufgrund von häuslichen Veränderungen durch gleichbleibende Strukturen, transparente Regeln und Grenzen für Sicherheit und bieten Kindern eine Orientierung.

Auch wenn die Ursachen der kindlichen Verunsicherung in der Familie liegen und die Zusammenarbeit mit den Eltern unerlässlich ist, muss jedoch grundsätzlich klar sein, dass die Aufgabe der pädagogischen Fachkraft deutlich begrenzt auf das Wohl des Kindes ist. Eine Erziehungspartnerschaft ist in diesem Zusammenhang natürlich besonders wichtig und wünschenswert, und doch sind pädagogische Fachkräfte weder Psychotherapeuten und -therapeutinnen, noch können sie es sich leisten, als moralische Instanz missverstanden zu werden, die Eltern in ihrer Kompetenz infrage stellen oder ihr Handeln verurteilen.

2.

Psychische Auswirkungen einer Elterntrennung: Die Seite der Kinder

Ich weiß nicht, wie oft ich in Beratungsgesprächen Trennungseltern begegnet bin, die fest davon überzeugt waren, dass ihre Kinder nichts von ihren elterlichen Problemen, Konflikten und Auseinandersetzungen mitbekommen – und wie erstaunt sie waren, wenn ich sie damit konfrontiert habe, dass selbst kleine Kinder es sehr wohl merken, wenn die Atmosphäre zwischen den Eltern angespannt ist. Kinder können vielleicht inhaltlich nicht genau folgen, aber sie haben sehr feine Antennen für die Stimmung in der Familie. Ich vergleiche das häufig mit der Situation in einer Familie, in der ein Elternteil lebensbedrohlich erkrankt ist. Selbst, wenn der gesunde Elternteil sich dann um einen besänftigenden und zuversichtlichen Ton im Umgang mit dem Kind bemüht, merkt es natürlich, dass etwas nicht stimmt. Es nimmt die unausgesprochene Angst und Sorge der Erwachsenen wahr und versucht, sich die Situation dann mit seinen alterstypischen Bordmitteln und Möglichkeiten zu erklären.

Besonders brisant wird das dann, wenn Eltern in bester Absicht versuchen, die Kinder von den Problemen fernzuhalten. Dies führt häufig zu fatalen Missverständnissen, denn Kinder, ja, selbst Jugendliche sind entwicklungsbedingt noch sehr egozentrisch, und das führt dann dazu, dass sie das Verhalten und die Geschehnisse auf sich beziehen. Wie wir noch sehen werden, geht das sogar so weit, dass sie sich spontan die Schuld an der Trennung geben. Sie vermuten, sie seien nicht brav genug oder zu anstrengend gewesen, sie hätten nicht aufgepasst, nicht vermittelt, und so die Konflikte zwischen den Eltern verstärkt, zur Trennung beigetragen.

Zum einen bestimmen entwicklungsbedingte Möglichkeiten, wie zum Beispiel der sich durch alle Altersstufen ziehende kindliche Egozentrismus, die kognitiven sowie die emotionalen Fähigkeiten, zum anderen die für die jeweilige Entwicklungsphase typischen Herausforderungen, die Themen und inneren Konflikte von Kindern.

Trennungskinder müssen sich mit der Veränderung ihrer Eltern und der gewohnten familiären Situation auseinandersetzen. Sie erleben ihre Eltern erschöpft, mit extremen Gefühlen, Ängsten und Konflikten. Das bis dahin gewohnte Familienklima verändert sich. Damit einher gehen räumliche Veränderungen, aus einer Zwei-Eltern-Familie wird eine Ein-Eltern-Familie und die Beziehungen zu beiden Eltern müssen neu definiert und gefestigt werden. Das, was vordem Kindern einen vertrauten, berechenbaren, stabilen Rahmen gab, bricht auseinander und formiert sich neu. Das verunsichert natürlich. Es fordert Kinder in ihrer Entwicklung, und der Schritt von einer erhöhten Anforderung hin zu einer Überforderung ist oft klein. Hält eine kindliche Überforderung über eine längere Zeit an, so ist es wieder nur ein kleiner Schritt, bis daraus möglicherweise ein Entwicklungstrauma erwächst.

Die vorübergehende Erschütterung der elterlichen Integrität äußert sich für die betroffenen Kinder darin, dass Eltern für sie zeitweise emotional nicht oder nicht im gewohnten Maße verfügbar sind. In der Kommunikation erleben sie ihre Eltern stark verunsichert, wenn es um ihre Verfassung oder ihre Gefühle dem anderen Elternteil gegenüber geht. Kinder beziehen diese Veränderung der häuslichen Atmosphäre auf sich. Sie fragen sich, wie sich die Beziehung zu den strittigen oder getrennten Eltern gestalten wird. „Was wird aus mir?“, „Muss ich mich zwischen Mama und Papa entscheiden?“, „Muss ich mich auf die ein oder andere Seite stellen und Partei ergreifen?“, „Habe ich diese Konflikte ausgelöst, habe ich Schuld an der Situation?“ sind typische Ängste und Fragen von Trennungskindern. Das alles zeugt von einer großen Verunsicherung.

Im Laufe seiner Entwicklung verändert sich die Bedeutung der Eltern in dem Maße, wie ein Kind an Selbstständigkeit hinzugewinnt. Jedes Kind wächst von einem hilflosen, völlig abhängigen Säugling zu einem jungen Erwachsenen heran, der zunehmend selbstständig und eigenverantwortlich handeln kann. Entsprechend verändern sich mit zunehmendem Alter eines Kindes auch die Auswirkungen einer Elterntrennung.

Kinder entwickeln sich im Kontext ihrer familiären Umgebung. Ihre wichtigsten Bezugspersonen sind in heterosexuellen Partnerschaften Mutter und Vater. Doch auch für alle anderen sexuellen Orientierungen gilt tendenziell die Wahrnehmung traditionell eher mütterlicher bzw. väterlicher Verhaltensweisen, die man vielleicht auch als „eher mütterliches“ oder „väterliches Prinzip“ bezeichnen könnte. Wenn ich im Folgenden von Mutter oder Vater spreche, meine ich daher alle Eltern, gleich welcher sexuellen Orientierung.

Eine Trennung liegt in der Verantwortung der Eltern, und beide haben gute Gründe für ihre Entscheidung. Oft ist es verantwortungsvoller, sich zu trennen, als des Kindes wegen als Paar zusammenzubleiben.

2.1 Kindliche Symptome bei der Trennung der Eltern

Die kindlichen Symptome, die auf eine Überforderung durch die Elterntrennung hinweisen, stehen im Zusammenhang mit den entwicklungsbedingten Möglichkeiten und Glaubenssätzen von Kindern, mit Loyalitätskonflikten und dem Bedürfnis nach einer Beziehung zu beiden Eltern. Wie wir noch sehen werden, sind kindliche Auffälligkeiten nicht nur vom Alter des Kindes, sondern auch von der Phase im Trennungsprozess abhängig. Wenn sich Kinder zum Beispiel von einem bis dahin beliebten Spielpartner zurückziehen, weil der häufiger „doofe Sachen“ über andere sagt, dann könnte das auf einen Loyalitätskonflikt des Kindes hindeuten. Wenn ein Kind, das sich bislang unauffällig in das Zusammenspiel mit anderen Kindern eingefügt hat, plötzlich das Spiel dominieren, „bestimmen“ will, dann kann das auf seine Auseinandersetzung mit dem „magischen Denken“ und damit auf Schuldgefühle im Zusammenhang mit einer Elterntrennung hinweisen. Für pädagogische Fachkräfte bedeutsam sind zuallererst auffällige Verhaltensänderungen eines Kindes. In diesen Fällen sollten sie immer auch eine Elterntrennung als Erklärung in Erwägung ziehen. Konkretere Informationen dazu finden Sie in den Kapiteln über die Vorbereitung und Durchführung von Elterngesprächen.

Es gibt also nicht die Symptome im kindlichen Verhalten, unabhängig vom Alter, die sich eindeutig auf eine Elterntrennung zurückführen lassen. Wenn Kinder im Zusammenhang mit einer Elterntrennung auffällig werden, dann ist das Ausdruck dessen, dass sie überfordert sind.

Die psychische Überforderung eines Kindes kann sich auf vielfältige Weise ausdrücken. Es kann auf Verhaltensweisen früherer Entwicklungsstufen zurückfallen oder Wesensveränderungen zeigen. So kann ein Kind, das schon gut dazu in der Lage war, soziale Anpassungsleistungen zu erbringen, neuerdings dadurch auffallen, dass es sich über Regeln hinwegsetzt; und ein Kind, das sich bislang durch seine Lebhaftigkeit und seinen großen Bewegungsdrang ausgezeichnet hat, dadurch, dass es sich zurückzieht und wenig spricht.

In der Psychologie hat der Begriff der Anpassung eine andere Bedeutung als umgangssprachlich, wo oft auch der Aspekt der Unterordnung mitschwingt. Hier ist damit die Fähigkeit gemeint, seine Bedürfnisse und Gefühlsimpulse zugunsten des Zusammenlebens in der Gruppe zurückzustellen.

In der Regel sind es verschiedene Faktoren, deren Zusammenwirken zu einer kindlichen Verhaltensänderung beiträgt. Wenngleich bei einer Trennung die Ursachen im Zusammenspiel zwischen Eltern und kindlichen Entwicklungsthemen zu finden sind, dürfen wir den ausgleichenden und stabilisierenden Einfluss pädagogischer Fachkräfte hier nicht unterschätzen!

Vergleichen wir eine Elterntrennung mit der Entwicklungskrise, die besonders Erstgeborene bei der Geburt eines Geschwisterkindes durchmachen, so ist eine Elterntrennung ein wesentlich komplexeres Ereignis – sowohl aufseiten der Erwachsenen als auch aufseiten der Kinder. Hier hat die Kita einen ganz wichtigen Platz. Einen Platz, der Alltag, Stabilität und Sicherheit repräsentiert. Einen Platz, wo pädagogische Fachkräfte kompetent auf unterschiedliche, entwicklungsbedingte Voraussetzungen beim Kind eingehen und entwicklungsbedingte Missverständnisse aufklären können. Dazu ist es nötig, systematisch zu beobachten und zu dokumentieren. So können kindgerechte Strategien und Maßnahmen gefunden werden, die dem Kind in dieser Krise Halt geben. Pädagogische Einrichtungen können der temporären häuslichen Verunsicherung damit eine Sicherheit entgegensetzen, die von unschätzbarem Wert für die gesunde kindliche Entwicklung ist.

Wichtig für den pädagogischen Alltag ist es, Verhaltensänderungen bei Kindern mitzubekommen und zu hinterfragen, um gegebenenfalls auch eine Elterntrennung als mögliche Ursache in Betracht zu ziehen.

Im folgenden Beispiel stechen der pädagogischen Fachkraft die Parallelen in den Verhaltensweisen eines Kindes zu einer vorausgegangenen Krise direkt ins Auge:

Jonas, Erzieher im Kindergarten des fünfjährigen Yannik, berichtet:

„Yannik verhält sich wirklich haargenau so wie in den ersten Wochen nach der Geburt seines Brüderchens vor knapp zwei Jahren. Anstatt, wie wir ihn hier kennen, so oft und so lange es geht mit seinem Freund Fredy im Außengelände herumzustromern, mit Wasser, Matsch und Werkzeugen zu experimentieren, lungert er lustlos in der Vorlese-Ecke herum. Frage ich ihn, ob ich ihm etwas vorlesen soll oder ob er sich ein Buch anschauen möchte, so schüttelt er stumm den Kopf. Er hat den Daumen im Mund, die andere Hand am Ohr und hört unbeteiligt zu, wenn andere sich Bücher anschauen oder vorgelesen bekommen. Wenn Fredy sich zu ihm setzt und Spielvorschläge macht, schüttelt er nur den Kopf und wendet sich ab. Als ich Fredy letztens vorschlug, Yannik zu fragen, ob er nicht mit ihm rausgehen will, da schüttelte der missmutig den Kopf und sagte: ’Och nö, Yannik hat ja nie mehr Lust – bloß, weil sein doofer Papa ausgezogen ist.`“

Offensichtlich hat Yannik ein bestimmtes Verhalten, mit dem er auf Krisen reagiert. Er zieht sich zurück, ist in sich gekehrt und wehrt alles ab, was ihn auf andere Gedanken bringen könnte.

Ähnliches berichtet Nicole, eine Erzieherin in der Krippe, über die zweieinhalbjährige Anni:

„Anni ist mit einem guten Jahr zu uns in die Gruppe gekommen. Sie tat sich am Anfang etwas schwer, sich von ihren Eltern zu trennen. Wir haben das Eingewöhnungsprogramm wirklich über Wochen durchgezogen. Dann, eines Tages, kam sie ganz vergnügt an und sagte: ‚Tschüss Mama.‘ Sie wollte nicht einmal mehr am Fenster winken. Sie hatte es eilig, ein Rutsche-Auto zu ergattern, um dann damit unseren langen Flur entlangzurasen. Jetzt, kurz vor ihrem Wechsel in die Kindergartengruppe, hat sie wieder angefangen zu klammern. Sie lässt ihre Mutter nicht los, will zu uns Erzieherinnen auf den Arm, fragt, wann ihre Mama kommt, und sitzt manchmal schon lange Zeit vor der Eingangstür, um auf ihre Mutter zu warten. Ihren Vater, der sonst immer regelmäßig kam, haben wir schon ein paar Wochen nicht mehr gesehen.“

Auch Anni fällt in Verhaltensweisen zurück, die sie längst überwunden zu haben schien. Möglicherweise gibt es häusliche Probleme. Vielleicht haben sich die Eltern getrennt, vielleicht ist der Vater beruflich unterwegs oder erkrankt. Wenn in der Krippe selbst nichts Außergewöhnliches vorgefallen ist, geben die Parallelen in ihrer Verhaltensänderung einen Hinweis darauf, dass Anni in der Beziehung zu ihren Eltern stark verunsichert ist.

2.2 Hintergründe zur Entwicklung, um Trennungskinder besser zu verstehen

Die menschliche Entwicklung vollzieht sich im Wechselspiel zwischen genetisch vorgesehenen Reifungsprozessen, der persönlichen Motivation und der Interaktion mit der sozialen Umwelt, also zuallererst mit der Herkunftsfamilie. Später dann kommen pädagogische Fachkräfte, Lehrkräfte, Gleichaltrige und andere Bezugspersonen hinzu.

Die Abfolge der Reifungsprozesse folgt einem genetischen Programm. So wird ein Kleinkind zunächst sitzen, dann krabbeln und schließlich laufen. Unter der persönlichen Motivation – in der Fachliteratur häufig als „Selbststeuerung“ bezeichnet – versteht man, dass jedes Kind auch etwas Individuelles, Eigenes mit auf die Welt bringt, so etwas wie Charakterzüge, Eigenarten oder sein Temperament. Dies ist zum Beispiel dafür verantwortlich, dass ein Kind vielleicht eher laufen lernt als ein Gleichaltriges. Von der Geburt bis zum Tod lassen sich so typische, mit Reifungsprozessen einhergehende und von Bezugs- bzw. Bindungspersonen beeinflusste Fähigkeiten und Herausforderungen beschreiben, die für bestimmte Altersgruppen typisch sind.

Wenn man die Aussagen verschiedener entwicklungspsychologischer Theorien daraufhin untersucht, welche Bedeutung Eltern für ihre Kinder in den unterschiedlichen Entwicklungsphasen haben und wie Kinder sich in der Beziehung zu ihren Eltern entwickeln, dann bekommt man einen Einblick in die besonderen Bedürfnisse von Trennungskindern.