Treue und Vertrauen -  - E-Book

Treue und Vertrauen E-Book

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Beschreibung

Treue und Vertrauen sind Tugenden oder Ressourcen, ohne die zwischenmenschliches Leben und eine bedürfnisgerechte Behandlung und Pflege nicht möglich sind. Die Haltung der Treue ist zentral für das Verhältnis eines Menschen zu sich selbst und der Wahrheit. Treue ist lebenswichtig für die Gesellschaft im Sinne von Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Vertrauen ist eine Erfahrung, die es Menschen erlaubt, sich auf Unsicherheit und Ungewissheit einzulassen. Wenn auch Vertrauen ein riskantes Gefühl ist, so ist es auch ein sozialer Kitt und Klebstoff, der uns zu sozialen Wesen macht und verbindet und zur 'Software ethischen Verhaltens' gehört. Obwohl es sich um zentrale Kategorien handelt, sind Treue und Vertrauen bislang in ihrer Bedeutung noch nicht ausreichend beschrieben, begriffen und mit Blick auf die Praxis reflektiert worden. Erörtert man dabei auch Synonyme wie Liebe, Loyalität, Solidarität und Verbundenheit, dann ergeben sich daraus viele für das Gesundheitswesen essenzielle Handlungsfelder. In seinen drei Teilen bietet das interdisziplinäre Handbuch Menschen, die Gesundheitsberufen tätig sind, grundlegende Informationen, Konzepte sowie Empfehlungen und bezieht dabei aktuelle gesellschaftliche Diskussionen sowie Fragen der persönlichen Lebensgestaltung mit ein. Somit passt es in eine komplizierte Zeit, die vielfach von Verunsicherung und Ungewissheit geprägt ist, da es angemessen provoziert, mahnt, aber auch Mut macht, anregt und Lösungen beschreibt. Treue und Vertrauen zwischen Einzelnen, Gruppen und innerhalb von Gesellschaften sind wie Wasser: im Idealfall überall, alles durchdringend, Leben nährend. Wie eine Landschaft ohne Wasser zur Wüste wird, vertrocknet auch Zwischenmenschliches und verdorren Lebensgemeinschaften aller Art. Treue und Vertrauen sind der Kitt, der Kontinente, Länder, Gesellschaften und Gemeinschaften jeder Art -zusammenhalten könnte - würde man sich die Mühe machen, sie auch wirklich breitbandig zu leben. Was geschieht, wenn diese beiden Essenzen vernachlässigt werden, wird an den verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerfallserscheinungen der letzten Jahre und Jahrzehnte mehr als deutlich.

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Mit finanzieller Unterstützung der St. Leonhards Akademie gGmbH

Treue und VertrauenThomas Hax-Schoppenhorst Michael Herrmann (Hrsg.)

Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Pflege:

Jürgen Osterbrink, Salzburg; Doris Schaeffer, Bielefeld; Christine Sowinski, Köln; Franz Wagner, Berlin; Angelika Zegelin, Dortmund

Thomas Hax-SchoppenhorstMichael Herrmann(Hrsg.)

Treue und Vertrauen

Handbuch für Pflege-, Gesundheits- und Sozialberufe

Mit Beiträgen von

Rüdiger Becker

Daniela Bernhardsgrütter

Gerhard Bliersbach

Michael Bossle

Franzisca Domeisen Benedetti

Sonja Ehret

Klaus-Dieter Eichler

Astrid Elsbernd

Martin Endreß

Ulrike Farin

Hartmut Fillhardt

André Fringer

Alexis Fritz

Jenny Grünberg

Sven-Joachim Haack

Lydia Hasenbichler

Mareike Hechinger

Jakob Hax

Peter-Michael Hax

Martin Hecht

Ekkehard Höhl

Thomas Holtbernd

Detlef Horster

Ellis Huber

Reto A. Wernli Kaufmann

Frank Klammer

Ursula Maria Lang

Dietmar Meier

Giovanni Maio

Dietmar Mieth

Bodo Müller

Christoph Müller

André Nienaber

Ina Schmidt

Anke Schmietainski

Diana Staudacher

Lia Steinicke

Ludger Ägidius Schulte

Wilhelm Tolksdorf

Peter Walschburger

Andreas Weingartz

Niels Weise

Jean-Pierre Wils

Alexandra Wimmer

Christiane Wirtz

Elisabeth Wüthrich-Güdel

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Rita Süssmuth, Bundestagspräsidentin a.D.

Thomas Hax-Schoppenhorst (Hrsg.), Lehrer, Düren

Am Hinzenbusch 17

DE-52355 Düren

E-Mail: [email protected]

 

Michael Herrmann (Hrsg.), Lektor und Übersetzer, Puerto del Rosario

Apto. 39

ES-35600 Puerto del Rosario

Spanien/Prov. Las Palmas

E-Mail: [email protected]

 

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren beziehungsweise den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren beziehungsweise Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.dnb.de abrufbar.

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Kopien und Vervielfältigungen zu Lehr- und Unterrichtszwecken, Übersetzungen, Mikroverfilmungen sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Anregungen und Zuschriften bitte an:

Hogrefe AG

Lektorat Pflege

z. Hd.: Jürgen Georg

Länggass-Strasse 76

3012 Bern

Schweiz

Tel. +41 31 300 45 00

[email protected]

www.hogrefe.ch

 

Lektorat: Jürgen Georg, Martina Kasper, Lena-Marie Klose, Julien Lehmann

Bearbeitung: Michael Herrmann

Herstellung: Daniel Berger

Umschlagabbildung: Jürgen Georg, Schüpfen

Umschlag: Claude Borer, Riehen

Illustration/Fotos (Innenteil): Tina Brenneisen, Browne/Distr. King Features Syndicate, Inc./Distr. Bulls, Bettina vom Eyser, Ulrike Farin, Jürgen Georg, Thomas Hax-Schoppenhorst, Michael Herrmann, Mikael Ross/Avant Verlag, Heiko Sakurai, Dorothee Schoppenhorst, St. Leonhards Akademie gGmbH, Andreas Weingartz, Eusebius Wirdeier

Satz: Claudia Wild, Konstanz

Druck und buchbinderische Verarbeitung: Finidr s.r.o., Český Těšín

Printed in Czech Republic

 

1. Auflage 2020

© 2020 Hogrefe Verlag, Bern

 

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96009-8)

(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76009-4)

ISBN 978-3-456-86009-1

http://doi.org/10.1024/86009-000

Nutzungsbedingungen

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Anmerkung

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Inhalt
Geleitwort von Prof. Dr. Rita Süssmuth
Assoziationen – Statt eines Vorworts der Herausgeber
Teil I: Treue
1 Everlasting Love? Treue – Auslaufmodell oder Relaunch?
1.1 Einleitung
1.2 Treue als Tugend
1.3 Einmal Freunde, immer Freunde? Treue als Beziehungskitt
1.4 Treue zwischen Pflicht und Zwang
1.5 Beziehungskrise – Nagelprobe für die Treue
1.6 Treue heute: schöner als früher
1.7 Geschenk der Treue, Lohn der Treue
1.8 Tücken der Treue
1.9 Sich selber treu sein
1.10 Literatur
2 Treu – Doof? – Lohn der Beharrlichkeit
2.1 Einleitung
2.2 Öffentliche Engführung
2.3 Was gibt unserem Leben Stabilität?
2.4 Irritationen der Treue
2.5 Ideal oder Überforderung?
2.6 Versprechen und Verzeihen
2.7 Schöpferische Treue
2.8 Treue Gottes – Treue des Menschen
2.9 Der Weg der Treue: Beginn – Rhythmus – Ziel
2.10 Die Gnade des guten Beginns – Faszination
2.11 Die Gnade, auf dem Weg zu bleiben
2.12 Die Gnade, das Ziel zu sehen
2.13 Der treue Zeuge – Jesus
2.14 Literatur
3 Gesellschaftsexperiment Treue – So machen es alle?
3.1 Einleitung
3.2 Eine Wette mit Folgen
3.3 Missverstanden – und inspirierend
3.4 „Cosi fan tutte“ in der Relecture
3.5 Treue – biografisch
3.6 Projekt Anerkennung
3.7 Finale
3.8 Literatur
4 Der Heilberuf als Versprechen
4.1 Einleitung
4.2 Das Versprechen als Sich-Zusprechen
4.3 Das Versprechen als das Strikte
4.4 Das Versprechen als das Nicht-Widerrufbare
4.5 Das Versprechen als das Verbindende
4.6 Versprechen als Vertrauenseinladung
4.7 Versprechen als Sich-verletzlich-Machen
4.8 Das Versprechen als Antwort auf die Verantwortung
4.9 Versprechen als implizites Treuebekenntnis
4.10 Treue als Wert und Haltung
4.11 Treue in der Medizin als Herausforderung
4.12 Literatur
5 Solidarität und Pflege
5.1 Einleitung: Solidarität verstehen
5.2 Ist Solidarität eine moralische Forderung?
5.3 Die Würde der Pflegebedürftigen
5.4 Gewährleistung der Würde und moralische Grenzen
5.5 Pflege als Tugendkonzept
5.6 Solidarität braucht menschengerechte Institutionen
5.7 Bedürfnisse abhängiger Pflegebedürftiger
5.8 Eine an Würde orientierte Pflege
5.9 Selbsthilfe der alternden Zivilgesellschaft unterstützen
5.10 Literatur
6 Vertrauensvolle Führung in der Pflege
6.1 Einleitung
6.2 Demografischer Wandel – eine mehrfache Herausforderung
6.3 Rolle der Führungskraft in Zeiten der Veränderung
6.3.1 Führung und Vertrauen
6.3.2 Transformationale Führung
6.4 Wege zur Bindung von Mitarbeitenden
6.4.1 Kliniken als Magnet
6.4.2 Individuelle Einarbeitung
6.4.3 Gezielte Karriereentwicklung
6.4.4 Mitarbeiter*innenbindung durch Praxisentwicklung
6.5 Ausblick
6.6 Literatur
7 Freiwillige als Brücke der Gesellschaft zum Sterben
7.1 Einleitung
7.2 Freiwillige in der Palliativversorgung
7.3 Die soziale Unterstützung Freiwilliger
7.4 Tragweite des Erlebens der Freiwilligen
7.5 Diskussion
7.6 Literatur
8 Treue: Beziehungen zwischen Verpflichtung und Vertrauen
8.1 Einleitung
8.2 Vier Aspekte der Treue
8.3 Treue als Verbindung zur gesellschaftlichen Dynamik
8.4 Treue als vereinbarte Selbsttäuschung
8.5 Die Macht der Wiederholung
8.6 Vom Vertikalen zum Horizontalen
8.7 Das Problem Vertrauen
8.8 Vertrauen als Praxis
8.9 Der Nutzen des Misstrauens
8.10 Ritterlichkeit
8.11 Treue und Vertrauen in helfenden Berufen
8.12 Literatur
9 In ewiger Treue – Vom Beharrungsvermögen der Freundschaft
9.1 Einleitung
9.2 Was ist ein treuer Freund?
9.3 Treue im Kontext von Freundschaft
9.4 Freiwilliges und doch verbindliches Treuegebot?
9.5 Literatur
10 Treue und Vertrauen aus der Sicht Hochbetagter
10.1 Einleitung
10.2 Die Weisheit der Alten
10.3 Psychosoziale Entwicklung nach Erikson
10.4 Philosophie von Treue und Vertrauen
10.5 Hohes Alter, Seinsvertrauen und Glück
10.6 Literatur
11 Schlaglichter der Treue
11.1 Einleitung
11.2 Immer zur Stelle
11.3 Gemeinsame Wege
11.4 Geduldige Stütze zur rechten Zeit
11.5 Massiver Treuekonflikt
11.6 Ohne Kompromisse
11.7 Weiterführende Literatur
12 Wie viel Verbindlichkeit braucht die Liebe?
12.1 Einleitung
12.2 Biochemie der Bindung
12.3 Beziehung als Konsumgut
12.4 Was bedeutet Treusein?
12.5 Dem anderen und sich selbst treu
12.6 Bindungsmuster prägt Beziehung
12.7 Keine emotionale Sprache
12.8 Kommunikationsdefizite ausgleichen
12.9 Heimlich auf Abwegen
12.10 Langeweile und Narzissmus
12.11 Kind-Modus und Konfliktscheue
12.12 Spannungsfeld von Nähe und Autonomie
12.13 Untreue zerstört Bindung
12.14 Beziehung durch „Beichte“ kitten?
12.15 Engagiert oder arrangiert?
12.16 Balance von Nähe und Distanz
12.17 Lohn der Treue
12.18 Lust versus Liebe
12.19 Alltägliche Lustkiller eliminieren
12.20 Berührung macht glücklich
12.21 Bedürfnis nach Bindung
12.22 Literatur
13 Die Matrix der Treue – 60 Jahre Doppelkopf
13.1 Einleitung
13.2 Die formativen Jahre – Eine Spielkultur entsteht
13.3 Spielkultur und Lebensform
13.4 Was hat die Doppelkopfgruppe zusammengehalten?
13.5 Was Treue ausmacht
13.6 Literatur
14 Treue in der spirituellen Praxis
14.1 Einleitung
14.2 Kontemplation – Was ist das?
14.2.1 Kontemplation als Gebetsweg
14.2.2 Kontemplation als Verfassung und Bewusstseinszustand
14.2.3 Kontemplation als Verwandlungs-, Wandlungs- und Heilungsweg
14.2.4 Kontemplation als alltägliche Lebenshaltung
14.2.5 Spiritualität und Lebenskunst aus der Stille
14.3 Erträge der Kontemplation
14.3.1 Die spirituelle Grundfrage
14.3.2 Kontemplation lädt zu Gegensätzlichem ein
14.3.3 Nicht das Tun, sondern das Lassen als Weg
14.3.4 Konfrontativ und heilsam
14.4 Treue in der spirituellen Praxis
14.5 Treue auf dem spirituellen Pfad
14.5.1 Wirkungsfeld personale Entwicklung
14.5.2 Wirkungsfeld transpersonale Entwicklung
14.6 Literatur
Teil II: Vertrauen, Selbstvertrauen
15 Vertrauen – Eine soziologische Perspektive
15.1 Einleitung
15.2 Alltagssprache und Vertrauensphänomene
15.3 Bezugshorizonte des Vertrauens
15.3.1 Persönliche Kontexte
15.3.2 Professionelle Kontexte
15.3.3 Politische Kontexte
15.4 Bausteine einer Vertrauenstheorie
15.5 Ambivalenz des Vertrauens
15.6 Modalitäten des Vertrauens
15.6.1 Reflexiver Modus
15.6.2 Habitueller Modus
15.6.3 Fungierender Modus
15.7 Resümee
15.8 Literatur
16 Neurobiologische Grundlagen des Vertrauens
16.1 Einleitung
16.2 Das frühe „Drama“ des Vertrauens
16.3 Synchronie als biologische Vertrauensbasis
16.4 Vertrauensbildendes Berühren
16.5 Security Priming: Das „Gedächtnis“ des Vertrauens
16.6 Predictive Coding: Vertrauensbasierte Wahrnehmung
16.7 Furcht vor dem Unbekannten
16.8 Biologie der Adversität
16.9 Das vertrauenserfüllte Selbst
16.10 Vertrauen als prosoziale Energie
16.11 Fazit
16.12 Literatur
17 Treue und Vertrauen in der psychiatrischen Pflegepraxis
17.1 Einleitung
17.2 Treue in der Gesundheitsversorgung
17.3 Treue und Vertrauen in der psychiatrischen Pflege
17.4 Literatur
18 Die heilende Kraft des Vertrauens
18.1 Einleitung
18.2 Der Wert des Vertrauens
18.3 Das soziale Gesundheitswesen
18.4 Mediziner*innen und Pflegende in sozialer Verantwortung
18.5 Kranke Welten und individuelle Hoffnung
18.6 Schlechte und gute Medizin und Pflege
18.7 Das Gesundheitswesen als sozialer Organismus
18.8 Bürgerschaftliche Selbstorganisation und Vertrauen in das Gemeinwesen
18.9 Pflegenotstand muss es nicht geben!
18.10 Ökonomie vertrauenswürdiger Medizin und Pflege
18.11 Leistungsversprechen und patientenorientiertes Controlling
18.12 Soziale Gesundheitswirtschaft
18.13 Literatur
19 Treue und Vertrauen in der Chirurgie
19.1 Einleitung
19.2 Treue
19.3 Vertrauen
19.4 Vertrauensaufbau in Notfallsituationen
19.5 Vertrauensaufbau in Elektivsituationen
19.6 Pflege und Festigung von Vertrauen
19.7 Treue des Patienten zum Arzt
19.8 Treue des Chirurgen
19.9 Literatur
20 Vertrauen(-Müssen) in einem Dreieck
20.1 Einleitung
20.2 Vertrauen als relationaler Prozess
20.3 Vertrauen beginnt im Individuum
20.4 Vertrauen für eine erfolgreiche Zusammenarbeit
20.5 Macht, Vertrauen und Vertrauensbruch
20.6 Kontrolle und Veränderbarkeit der Haltung
20.7 Fazit
20.8 Literatur
21 Offene Kommunikation am Lebensende
21.1 Einleitung
21.2 Vertrauensvolle Beziehung
21.3 Gesellschaftlicher Umgang mit Sterben und Tod
21.4 Sterben und Tod – schwere Gespräche
21.5 Ethnografie der institutionalisierten Palliative Care
21.6 Kommunikation braucht und gibt Vertrauen
21.7 Schlussfolgerung
21.8 Literatur
22 Vertrauensvolle Kommunikation in der psychiatrischen Pflege
22.1 Einleitung
22.2 Begegnungsräume
22.3 Herausforderndes Verhalten
22.4 Warum wir uns so verhalten
22.5 Das Gezeitenmodell
22.6 Literatur
23 Vertrauenswürdige Beziehungsgestaltung in der Pflege
23.1 Einleitung
23.2 Vertrauen in der Pflegebeziehung
23.2.1 Erwartung von Kompetenz
23.2.2 Wohlwollen der anderen
23.2.3 Zerbrechlichkeit/Vulnerabilität
23.2.4 Das Element des Risikos
23.2.5 Vertrauenswürdigkeit als Gewinn
23.3 Vertrauen messbar machen
23.3.1 Trust in Nurses Scale (TNS)
23.3.2 Items der TNS
23.3.3 Organisation und Struktur der TNS
23.3.4 Pflegerische Kommunikation in der TNS
23.3.5 Pflegefachliches Handeln in der TNS
23.3.6 Transfer
23.4 Vertrauenswürdig pflegen
23.4.1 Organisatorische & strukturelle Maßnahmen
23.4.2 Kommunikation
23.4.3 Pflegefachliches Handeln
23.4.4 Übergreifende Elemente
23.5 Schlussbetrachtung
23.6 Literatur
24 Vertrauen und Nachhaltigkeit in der Pflege
24.1 Einleitung
24.2 Vertrauen und das pflegerische Versprechen
24.3 Pflege und ein nachhaltiges Versprechen
24.3.1 Ziele für nachhaltige Entwicklung
24.4 Nachhaltige Spuren durch Pflegende
24.5 Literatur
25 Vertrauen in der Freundschaft – Bemerkungen zu Aristoteles
25.1 Einleitung
25.2 Freundschaft und Beständigkeit
25.3 Die „Wohlgesinntheit“ als „Anfang“ der Freundschaft
25.4 Die Zeit der Prüfung
25.5 Sicherheit des Wissens über Vertrauenswürdigkeit
25.6 Literatur
26 Selbstvertrauen finden
26.1 Einleitung
26.2 Selbstvertrauen, Selbstbewusstsein, Selbstwert und Eigensinn
26.3 Meine eigene Geschichte
26.4 Fazit
26.5 Literatur
27 Sich getraut haben, sich vertraut haben
27.1 Einleitung
27.2 Wer wagt, gewinnt
27.3 Was bleibt?
27.4 Wer A sagt, muss auch B sagen
27.5 Auf geht’s!
27.6 Die Hoffnung stirbt zuletzt
27.7 Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste
27.8 Jeder ist ersetzbar
27.9 Aller Anfang ist schwer
27.10 Glücksschmiede und Wanderer
27.11 Watt mutt, dat mutt
27.12 Epilog
27.13 Literatur
28 Wege zu mir selbst
28.1 Einleitung
28.2 Wer bin ich und was ist mein Weg?
28.2.1 Die eigene Berufung
28.2.2 Deine Werte
28.2.3 Alles beginnt mit einem Traum
28.3 Selbsttreue – sich selbst treu sein
28.3.1 Edelsteine im Keller – Die eigene Fülle erkennen
28.3.2 Deine Präsenz ist dein Geschenk an die Welt
28.3.3 Dein Körper – Antenne für deine Selbsttreue
28.3.4 Die Sprache deines Herzens verstehen
28.3.5 Ist Selbsttreue egoistisch?
28.3.6 Die eigenen Grenzen achten
28.4 Selbstvertrauen
28.4.1 Ein kleiner Ausflug in dein Gehirn
28.4.2 Wenn andere dich aufregen
28.4.3 Auflösen von Glaubensmustern – Übung
28.4.4 Entwicklung findet außerhalb deiner Komfortzone statt
28.5 Selbsttreue und Selbstvertrauen im Alltag leben
28.6 Literatur
29 Vertrau auf dich!
29.1 Einleitung
29.2 Die Anfänge
29.3 Auf dem Weg zu Visionen
29.4 Erleben und umsorgen
29.5 Weiterführende Literatur
30 Mehr Romantik in der psychiatrischen Pflege
30.1 Einleitung
30.2 Mentalisieren als Theorie der Verbundenheit
30.3 Die Pflegenden vom Fach
30.4 Literatur
31 Kampagne „Jahr des Vertrauens 2018“
31.1 Einleitung
31.2 Das „Jahr des Vertrauens“ im Überblick
31.3 Vertrauensschwund in Gesellschaft und Medizin
31.4 Vertrauen stärken – Misstrauen abbauen
31.5 „WerteWelten“ und „Weltethos praktisch“
31.6 Jürgen Wertheimer – Die „Anatomie des Vertrauens“
31.7 Vertrauen stabilisiert das soziale Bindegewebe
31.8 Straßentheaterprojekt „Vertrauen zu Migranten“
31.9 Der „Medizinische Aschermittwoch“
31.10 Für eine Medizin der Menschlichkeit und Hinwendung
31.11 Vertrauensdialog: Menschen schenken uns ihr Vertrauen
31.12 Karl Schlecht: Vertrauensbildung im Fokus
31.13 Vertrauen heißt: „Gemeinsam sehen …“
31.14 Abschlussplädoyer für Menschlichkeit von Konstantin Wecker
31.15 Literatur
Teil III: Treue und Vertrauen in Spannungsfeldern
32 Gründe für Werteverlust und Werteverfall
32.1 Einleitung
32.2 Glaube an einen Werteverfall
32.2.1 Die Struktur der Presseberichterstattung
32.2.2 Gemeinschaftswerte versus Moral
32.2.3 Viele unbekannte neue moralische Probleme
32.3 Ein Katalog moralischer Pflichten
32.4 Die Nichtbeachtung moralischer Pflichten
32.5 Literatur
33 Humanität der Treue nach Zygmunt Bauman
33.1 Einleitung
33.2 Treue im Schatten der Menschheitskatastrophen
33.3 Die Fragilität des Humanen
33.4 Dem „Antlitz des anderen“ treu sein
33.5 Gewaltlose Treue
33.6 Treue als Sensibilität in der Nähe zum anderen
33.7 Treulosigkeit als „seelenlose Indifferenz“
33.8 Die „veruntreute“ Gesellschaft
33.9 „Verworfenes Leben“ – Treulosigkeit im globalen Maßstab
33.10 Treue als universale Solidarität
33.11 Fazit: Treue angesichts „unheilbarer Zerbrechlichkeit“
33.12 Konsequenzen für die gesellschaftliche Praxis
33.13 Literatur
34 Ein Ethos des Vertrauens – eine Skizze
34.1 Einleitung
34.2 Über die Moralisierung hinaus
34.3 Intermezzo mit Niklas Luhmann
34.4 Wohin mit Vertrauen?
34.5 Ein Vorschlag zum Widerstand
34.6 Der Schweizer Eid – Zurück zum ärztlichen Ethos
34.7 Literatur
35 Plastikwort Solidarität? Ein kritisches Essay
35.1 Einleitung
35.2 Bestandsaufnahme
35.3 Solidarität oder Entsolidarisierungssystem?
35.4 Ursachenforschung
35.5 Der Blick zurück
35.6 Gegenwart 1: Berufssoziologische Betrachtung
35.7 Gegenwart 2 und Zukunft (?): Pädagogische Betrachtung
35.8 Synthese
35.9 Literatur
36 Üb’ immer Treu und Redlichkeit – Schlaglichter
36.1 Einleitung
36.2 Was macht Vertrauen unabdingbar?
36.3 Ärztin-/Arztsein im wirtschaftlichen Kontext und Umfeld
36.4 Regularien und Alternativen
36.5 Literatur
37 Die Instrumentalisierung des Treuebegriffs in der SS
37.1 Einleitung
37.2 Treue beim Militär
37.3 Stellenwert der Treuesemantik
37.4 Der Treuebegriff in der SS
37.5 Literatur
38 Politische Stabilisierung durch Bindung und Vertrauen?
38.1 Einleitung
38.2 Freundschaft und Gesellschaft heute
38.3 Wie entstehen Freundschaften?
38.4 Entwicklungspsychologische Aspekte der sozialen Motivation
38.5 Biopsychologisch-evolutionäre Entwicklungsbedingungen menschlicher Kooperation
38.6 Von Natur aus sozial – an Gruppen gebunden?
38.7 Literatur
39 Inklusion ist nicht nett, sondern ehrlich
39.1 Einleitung
39.2 Inklusion ist nicht nett
39.3 Inklusion als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
39.4 Jeder nickt und keiner fühlt sich angesprochen
39.5 Inklusion braucht Strukturen und Beziehung
39.6 Ausblick: Exklusionstendenzen begegnen
39.7 Literatur
40 Treue-Pröbchen
41 Vertrauen in Beziehung und Organisationen
41.1 Einleitung
41.2 Vertrauen und seine praktisch-normative Bedeutung für den Gesundheitsbereich
41.2.1 Wortbedeutungen
41.2.2 Die affektive und moralisch-normative Vertrauensdimension
41.2.3 Vertrauensverhältnisse im Gesundheitsbereich als soziale Praxis
41.3 Vertrauen zwischen Fürsorge und Autonomie
41.4 Vertrauen und vertrauenswürdige Organisationen
41.5 Literatur
Anhang
Nachwort der Herausgeber
Verzeichnis der Herausgeber
Autorinnen und Autoren
Sachwortverzeichnis
Anmerkungen

„Einander wortverwandt: Treue und trauen/vertrauen. Auch ‚Trauer‘ vielleicht?“

Kurt Marti

(geb. am 31.01.1921 in Bern, gest. am 11.02.2017 ebenda)

Allen im Gesundheitswesen Tätigen gewidmet

Geleitwort von Prof. Dr. Rita Süssmuth

Ein Buch, das sich sehr umfangreich den Begriffen Treue und Vertrauen widmet, mag auf den ersten Blick Erstaunen auslösen, ist es doch gerade ein in verschiedenen gesellschaftlichen Kontexten beklagter Mangel an Loyalität und Zuverlässigkeit, auch eine Dimension von Treue, der Gefühle von Orientierungslosigkeit, Unsicherheit und auch Verzweiflung nährt. In Zeiten wachsenden Misstrauens scheinen die Ressourcen des Vertrauens gefährdet bzw. immer mehr zu schwinden.

Eben diese Entwicklung war ausschlaggebend bei der Entscheidung, eine Veröffentlichung anzubieten, die sich mit diesen gesellschaftlichen und individuellen Problemen auseinandersetzt und notwendige Neuausrichtungen aufzeigt.

Treue zählt unter anderem zu den Tugenden, mit der die Verlässlichkeit eines Menschen gegenüber einem anderen, einem Kollektiv oder einer Sache ihren Ausdruck findet. Sie ist im Zusammenleben der Menschen unverzichtbar und muss thematisiert und praktiziert werden.

Vertrauen – die Erfahrung, dass man sich auf jemanden oder auf sich selbst verlassen kann – bildet das Fundament unserer Psyche. Es macht soziales Miteinander überhaupt erst möglich. Menschen, die vertrauen können, haben mehr Kraft, mit Unsicherheit umzugehen.

Tagtäglich sind Patientinnen und Patienten in nachvollziehbarer Sorge um die Wiedererlangung ihrer körperlich-seelischen Gesundheit auf die Menschen angewiesen, denen sie vertrauen können und in dieser Erwartung nicht enttäuscht werden; sie legen ihr Schicksal vertrauensvoll in die Hände professioneller Akteure, die ihnen – ethischen Prinzipien treu – vollends zur Seite stehen. Gerade angesichts der in unserem Gesundheitswesen derzeit stattfindenden großen Umwälzungsprozesse ist hiermit erneut ein Höchstmaß an Verantwortung verbunden.

Zahlreiche der an diesem Buch beteiligten Autorinnen und Autoren erläutern, diskutieren und hinterfragen aus ihrer jeweiligen fachlichen Perspektive und beruflichen Praxis die Bedeutung von Treue und Vertrauen für die in Gesundheitsberufen Beschäftigten. Weitere Texte rücken darüber hinaus das Thema in den gesamtgesellschaftlichen Fokus; diese Erweiterung ist sinnvoll und konsequent, da der Umgang mit Menschen, die mehr und mehr der Hilfe bedürfen, auch ein Spiegelbild unserer Gesellschaft ist.

Das Buch „Treue und Vertrauen“ tritt mit wissenschaftlichen Beiträgen, Essays, Projektbeschreibungen, Erfahrungsberichten und persönlichen Statements facettenreich, dabei durchaus auch zu kontroverser Diskussion Anlass gebend, an Interessierte heran. Dabei ist der Praxisbezug wichtig, gerade auch für die Empfehlungen im beruflichen Alltag.

Diese Beiträge orientieren sich ausdrücklich an den Bedürfnissen kranker, beeinträchtigter und benachteiligter Menschen, plädieren aber gleichzeitig für ein gesellschaftliches Miteinander, bei dem Treue und Vertrauen nicht marginal, sondern zentral sind.

In diesem Sinne wünsche ich dem Buch zahlreiche Leserinnen und Leser sowie eine lebendige Debatte.

Unterschrift

Bundestagspräsidentin a.D.

Assoziationen – Statt eines Vorworts der Herausgeber

Titelbilder sollen möglichst in Bruchteilen von Sekunden Neugier und Interesse wecken. Im Idealfall präsentieren sie die Essenz eines Buches noch bevor das erste Wort gefallen ist. Diesbezüglich Zeit, Kreativität und Energie zu investieren, erweist sich als sinnvoll, denn schon für so manches Werk war eine gekonnte Covergestaltung das Nadelöhr auf dem Weg zur aufmerksamen, nicht flüchtigen Wahrnehmung durch potenzielle Leserinnen und Leser.

Zwei Hände als (Leit-)Motiv? Die erste Reaktion auf diese Wahl könnte verhalten ausfallen, schließlich bedient man sich oft genug dieser recht vertrauten und treffenden Symbolik, vor allem im Gesundheitswesen. Wie viele Kliniken signalisieren damit, dass Patientinnen und Patienten bei ihnen in guten Händen sind?

Handelt es sich folglich um eine pragmatische, gar schnelle Lösung der Wahl eines Bildes, mit dem man sich auf jeden Fall auf der sicheren Seite weiß? Keineswegs!

Um das zu begründen, bietet es sich an, mit unserer Leserschaft eine kurze Gedankenreise anzutreten, die von dem ausgeht, was zu sehen ist, zugleich aber die Frage aufwirft, wie es weitergehen könnte.

Die unmittelbare Situation ist relativ eindeutig, das Vorausgegangene und Folgende Gegenstand von Vermutungen …

Eine starke männliche Hand hält die einer Person fest, die sich in einer bedrängenden Situation, einer Notlage befindet. Schon bei dem Versuch, Aussagen über ihr Geschlecht und ihr Alter zu tätigen, kommt Unsicherheit auf. Erkennbar ist, dass die Halt gebende Person der Gruppe der professionellen oder der ehrenamtlichen Helfenden angehört. Sie führt die Hand der hilfebedürftigen Person nah an sich heran, sie ruht gewissermaßen in deren Schoß: Sicherheit gebende Impulse, derer das Gegenüber bedarf. Dabei geht es um den Augenblick, um die Botschaft, dass jemand, der weiß, was es in solchen Situationen zu tun gilt, sich kümmert und nötige Schritte kenntnisreich und souverän einleitet, um weiteren Schaden, größere Gefahren abzuwenden. Es geht um das Signal: „Ich bin da, vertraue mir!“

Der Helfer, aufgrund der Optik seiner Jacke der Feuerwehr, dem Rettungsdienst oder der Notfallseelsorge zuzuordnen, leistet einen entscheidenden Beitrag im Rahmen dessen, was in diesem kurzen Moment möglich ist. Für dieses innere Stabilität, Fachwissen und Mut erfordernde, sicher auch kräftezehrende Amt dürfte ihm der Dank aller gewiss sein, denen er zur Hilfe kam. Zu wünschen wäre ihm auch, dass er seine Tätigkeit unter stabilen Rahmenbedingungen ausübt: Eine gebührende Bezahlung, ein ihn tragendes und stützendes familiäres und privates Umfeld, gute Kolleginnen und Kollegen sowie ein wertschätzendes gesamtgesellschaftliches Klima könnten dazu beitragen, dass er seiner Aufgabe auch in Zukunft mit Herzblut nachkommt, ohne emotional auszubrennen.

Ähnlich gute Wünsche, Hoffnungen und Erwartungen verbinden wir mit der in eine Notlage geratenen Person. Das Bild legt die Schlussfolgerung nahe, dass es sich hier um eine Grenzerfahrung, den Beginn eines längeren, schmerzlichen Leidensweges handelt. Ist diese Person (schwer) erkrankt, verletzt oder in ein dramatisches Geschehen verwickelt, das große Sorge um ihr nahestehende Menschen zur Folge hat? Der Zusammenhang bleibt unklar. Dennoch ermöglicht das Bild eine Fortsetzung der gedanklichen Reise …

Geht man hierzu davon aus, dass sich eine weitere Behandlung, zum Beispiel eine umfangreiche internistische Therapie oder gar eine Operation mit längerem Krankenhausaufenthalt anschließt, kommen umgehend Phantasien auf, was sich nun besten- oder schlimmstenfalls abspielen könnte. Natürlich ist auch hier die bestmögliche Wendung als „heilige“ Pflicht des Gesundheitssystems eines der wohlhabendsten Länder der Erde wünschenswert.

Moderne medizinische Behandlung, professionelle und fürsorgliche Pflege, eine generell gute Betreuung durch alle weiteren Berufsgruppen (z.B. Sozialarbeit, Seelsorge, Physio- und Ergotherapie) sowie ein positives Gesamtklima gehören zu den maßgeblichen Faktoren, die bei Patientinnen und Patienten das Gefühl entstehen lassen, sich gut aufgehoben zu fühlen und vertrauen zu können. Wird im täglichen Kontakt mit den professionell Tätigen deutlich, dass diese ihren Beruf mit Überzeugung, unter Wahrung von Werten, ausgeglichen, zuversichtlich und in ökonomischer Sicherheit ausüben, findet der Heilungs- und Genesungsprozess beste Rahmenbedingungen. Diese können noch stabilisiert werden, indem das soziale Umfeld verständnisvoll-entlastend reagiert und die erzwungene Auszeit keine weiteren beruflichen, finanziellen und sozialen Probleme mit sich bringt.

Versuchen wir das zuvor Beschriebene auf einen Nenner zu bringen: In einem dem Menschen dienenden Gesundheitswesen sind Treue und Vertrauen zentrale Kategorien, erstrebenswerte Tugenden. Derzeit offenbaren sich jedoch zahlreiche Gefährdungen, die es zu benennen gilt. Zugleich gibt es viele Konzepte, die Hoffnung machen. Letztlich aber ist jedes Gesundheitswesen nur so gut, wie es eine Gesellschaft zulässt. Und jede Gesellschaft wird langfristig nur bestehen können, wenn sie bestimmte Rechte und Prinzipien wahrt und so den Nährboden für Vertrauen schafft, statt sie sukzessive in Frage zu stellen und auszuhöhlen.

Treue und Vertrauen zwischen Einzelnen, Gruppen und innerhalb von Gesellschaften sind wie Wasser: im Idealfall überall, alles durchdringend, Leben nährend. Wie eine Landschaft ohne Wasser zur Wüste wird, vertrocknet auch Zwischenmenschliches und verdorren Lebensgemeinschaften aller Art. Treue und Vertrauen sind der Kitt, der Kontinente, Länder, Gesellschaften und Gemeinschaften jeder Art zusammenhalten könnte – würde man sich die Mühe machen, sie auch wirklich breitbandig zu leben. Was geschieht, wenn diese beiden Essenzen vernachlässigt werden, wird an den verschiedenen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Zerfallserscheinungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte mehr als deutlich.

 

Somit ist das Titelbild ein Ausschnitt eines großen Bildes, welches das Miteinander der Menschen im Gesundheitswesen und im gesellschaftlichen Raum zum Thema macht. Die Autorinnen und Autoren dieses Werkes betrachten Treue und Vertrauen aus verschiedenen Winkeln, aus der Sicht ihrer jeweiligen Disziplin und ermöglichen damit eine fundierte Diskussion, der sich Veränderungsprozesse anschließen könnten und sollten. Ihnen und der St. Leonhards Akademie gilt unser besonderer Dank für die Unterstützung dieses Projektes!

Gemeinsam mit ihnen wünschen wir eine erkenntnisreiche und gewinnbringende Lektüre!

 

Düren (DE)/Puerto del Rosario (ES), im März 2020

 

Thomas Hax-Schoppenhorst

Michael Herrmann

Teil I: Treue

1 Everlasting Love? Treue – Auslaufmodell oder Relaunch?

Martin Hecht

1.1 Einleitung

InZeiteneinersichimmerhektischerwandelndenMultioptionsgesellschaft gerät die Treue ins Hintertreffen. Egal, ob zum Ehepartner, zu den Freunden oder zum Fußballverein. Switchen, hoppen, weiterziehen. Wir alle sind, im Vergleich zu unseren Vorfahren, ziemlich treulose Tomaten geworden. Treue ist eine alte, manche sagen veraltete und scheinbar aussterbende Tugend. Aber hat sie in Zeiten von Unsicherheit und Überforderung nicht auch ihre geheimen Vorzüge? Worin bestehen sie? Nimmt sie uns alle am Ende vor uns selbst in Schutz – und ist vielleicht nicht schon bald die Tradition der neue Fortschritt? Treue – worin liegen ihre Chancen und Risiken, und was ist sie uns noch wert?

 

Wer in Frankfurt am Main den „Eisernen Steg“ oder in Köln die Deutzer Brücke (Abb. 1-1) überqueren möchte, begegnet dort einem Phänomen, das es seit Jahren auch auf vielen anderen Brücken dieser Welt gibt: Tausende Vorhängeschlösser am Geländer, in das Metall eingraviert die Namen zweier Liebenden. So viele hängen am „Eisernen Steg“, dass die Stadt Frankfurt 2016 schon mit der Flex anrücken musste. Durch die Verwitterung war es zur Korrosion der Stützstangen gekommen. In Paris kennt man dasselbe Problem, hier ist das Geländer des Pont des Arts vor ein paar Jahren unter der Last der Liebesschlösser buchstäblich in die Knie gegangen – und zusammengebrochen.

Abbildung 1-1: Treueversprechen an der Deutzer Brücke, Köln (© Foto: Thomas Hax-Schoppenhorst)

Auf dem Grund der Seine, des Mains oder des Rheins, die unter diesen Brücken fließen, dürften genauso viele Schlüssel liegen, wie oben an der Brücke Schlösser festgemacht sind. Denn das Ritual sieht vor, dass man nach dem Treueschwur das Schloss feierlich verschließt und den Schlüssel, womöglich rückwärts über die Schulter, ins Wasser wirft, auf dass ihn niemand je wiederfinden kann. Und damit ist eines so sicher wie das Amen in der Kirche: Das Schloss bleibt verschlossen. Es sei denn, die Stadtverwaltung rückt an. In alle Ewigkeit. Und genauso lange soll auch die Liebe halten.

Wenn man über solch eine Brücke geht, kann man sich fragen: Wie viele dieser Beziehungen, die da beschworen wurden, sind wohl heute noch lebendig? Wie viele sind trotz Vorhängeschloss längst Vergangenheit, aufgelöst in Schmerzen der Trauer und Wut oder vielleicht auch ausnahmsweise einmal in beiderseitigem Einvernehmen? Wie viele dieser „auf ewig geschlossenen“ Beziehungen halten bis heute? Und wie viele davon halten gar länger, egal, wie lange, einen Tag oder zehn Jahre, weil es diese Schlösser gibt? Wie viel mehr an Bindekraft vermag ein Ritual, ein Schwur verleihen, wie sehr vermag er die normale Haltbarkeit menschlicher Liebesbeziehungen verlängern? Ganz ähnlich sieht es aus, wenn man die Praxis von immer mehr eher jüngeren Menschen in den Blick nimmt, die sich den Namen ihrer Liebsten als Treue-Tattoo unter Schmerzen irgendwo auf die Haut stechen lassen. Unauslöschlich und in alle Ewigkeit. Es ist genauso der Wunsch nach Unverbrüchlichkeit, Beständigkeit und Dauer, der diese Praktik regiert.

1.2 Treue als Tugend

Was ist also Treue? Ein Impuls? Eine Haltung? Eine Sehnsucht? Eine Weltanschauung gar? Treue klingt nach bedingungslosem Zusammenhalt, auf Biegen und Brechen, auf Leben und Tod. Nach Gehorsam, Militär oder wahlweise Fußballverein. Aber auch nach Größe und Edelmut. Wir alle haben mit ihr unsere Erfahrungen gemacht. Erfahrungen, in denen wir treu waren oder untreu, Erfahrungen, in denen andere uns treu waren – oder eben nicht.Das Konzept der Treue folgt der Idee, einen gefühlten Idealzustand in einer Beziehung verewigen zu wollen.

In der Treue liegt der Wunsch nach emotionaler unbedingter Verlässlichkeit, Verbindlichkeit in einer Beziehung. Irgendwie etwas sehr Altes. Aber auch Unscharfes, Schillerndes, Ambivalentes, etwas Faszinierendes und gleichzeitig, zumindest ab einem gewissen Punkt, Unfreies, Befremdliches.

Treue ist eine Tugend. Philosophisch gesehen gehört sie nicht zu den sogenannten Kardinaltugenden – Weisheit, Gerechtigkeit, Tapferkeit und Mäßigung. Auch nicht zu den christlichen Tugenden, nämlich Glaube, Liebe, Hoffnung. Sie taucht erst bei den sogenannten Rittertugenden auf. Ist sie ein Wert an sich? Oder nur eine „Sekundärtugend“? Man kann sagen, Treue ist eine Art Ableitung der Liebe. Andererseits, wenn man wirklich liebt, muss man eigentlich gar nicht treu sein, oder? Denn wo echte Liebe waltet, braucht es keine Treue mehr. Sie ergibt sich von selbst, könnte man einwenden. Oder doch nicht?

Die Liebe, zu jeder Zeit, sie soll immer währen. Aber heute scheint der Wunsch nach dieser Ewigkeit größer zu sein denn je. Wohl weil uns auch schon in ihrem Anfangszauber klar ist, wie zerbrechlich menschliche Beziehungen in einer Zeit geworden sind, in der Flexibilität, Mobilität unsere Welt und auch unser Beziehungsleben prägen, ja generell „Veränderungsakzeptanz“ zu einem unumstößlichen Wert geworden ist – und gleichzeitig Abschied, Trennung und Beziehungsbruch, neue Isolation und Einsamkeit zu immer häufiger wiederkehrenden Realerfahrungen zählen. Nie war das Leben so ungewiss wie heute – und nie die Liebe. Aber es sträubt sich da scheinbar etwas in uns – und wir wollen dem Vorschub leisten, den „Bestand sichern“ und wappnen uns mit Symbolen, Ritualen und Treueschwüren gegen den immer schnelleren Wandel, der alles mitzureißen droht.

Die Liebesschlösser am Brückengeländer sind gewissermaßen wie eine Gegenbewegung zu all den Shorttime-Dating-Beziehungen aus dem Internet, wo man sich einfach wegwischt und zum nächsten Partner wechselt, wenn man den alten satthat. Man will der Bewegung etwas entgegensetzen, was bleibt. Der Journalist Markus Spieker hat zur Treue ein Buch geschrieben, „Mono. Die Lust auf Treue“ (2011). „Es gibt Zeiten“, so behauptet er, „wo durch Wohlstand, durch eine bestimmte Bildung vielleicht das Expressive, das Gefühlige ganz wichtig ist und jeder dann sein Ding macht, gerne experimentiert. Und es gibt wieder Zeiten, wo man enger zusammendrückt, mehr kuscheln will. Und ich glaube, in so eine Zeit gehen wir jetzt“ (Spieker, zit. in Hecht, 2019, S. 5). Ist das wirklich so?

1.3 Einmal Freunde, immer Freunde? Treue als Beziehungskitt

Bei der Treue denkt man vor allem an die Ehe. Treue zwischen Ehepartnern, Vorhängeschlösser, die zwei dicke platonische Freunde an einem Brückengeländer anbringen – sie gibt es so gut wie nicht. Dennoch ist die Treue als psychologischer Beziehungsverstärker nur auf den ersten Blick den Liebespaaren dieser Welt vorbehalten. Im Grunde waltet sie in allen menschlichen Beziehungen, die eine gewisse Nähe und Intensität aufweisen – auch in der Freundschaft. Was es dort allerdings kaum gibt, ist das Äquivalent eines Treueversprechens, das da lautet, „bis dass der Tod euch scheidet“. Mag sein, dass es in alten Western die Blutsbrüderschaft – etwa zwischen Old Shatterhand und Winnetou – gibt, die da ganz ähnlich beschworen wird. Und im Kindesalter gibt es Banden, in denen man erst per Ritual aufgenommen wird und dann schwören muss, die „Schwarze Hand“ nie zu verlassen – oder gar zur Konkurrenz aus der Nachbarstraße überzulaufen. Dennoch, unter Freunden thematisiert man so gut wie nie die Treue – oder drückt sie gar durch ein feierliches Ritual aus. Sie verbindet zwei meist unausgesprochen – ohne Gelöbnis.

Bemerkbar macht sie sich aber dennoch. Und zwar jedes Mal, wenn wir einem Freund die Stange auch dann noch halten, wenn er etwas getan hat, was wir eigentlich missbilligen. Wir tun das, weil das alte Wohlwollen ihr oder ihm gegenüber die Entgleisung, die sie oder er sich da geleistet hat, aufwiegt: Wir nehmen sie ihr/ihm nicht übel (oder zumindest nicht so sehr), weil viel mehr Grund und Boden da ist, auf dem diese Freundschaft steht, als dass sie von einer Irritation weggespült werden könnte: Treue ist ein Bestandteil der Beziehungskonstruktion, die gewährleistet, dass eine Freundschaft über eine Meinungsverschiedenheit oder einen handfesten Konflikt hinaus Bestand hat – als solche ist sie immer schon in eine Freundschaft eingebaut. Wer genau hinsieht, erkennt Treue aber auch schon in der Routine. Ich muss nicht mehr jedes Mal prüfen, ob ich jemandem, der mein Freund ist, vertraue, ob ich die Zeit mit ihm gerne verbringe – das ist alles geklärt, aufgehoben im Treuegefühl. Treue spart Zeit und lässt Freunde schneller zum Wesentlichen kommen: dem Spaß am Zusammensein, der Freude am gegenseitigen Verständnis und Teilnehmen am Leben des anderen.

1.4 Treue zwischen Pflicht und Zwang

Eines der ersten Merkmale moderner Beziehungen, egal, ob Partnerschaft oder Freundschaft, ist die Freiwilligkeit, auf der sie gründen. Im Unterschied zu Blutsverwandtschaften gehen wir sie freiwillig ein – Goethes Begriff der Wahlverwandtschaft trifft dies gut. Die Psychologin Monika Keller (1996) hat in ihren Untersuchungen zur Freundschaft jedoch immer wieder den Gedanken umkreist, dass auch in Freundschaften über kurz oder lang Pflichten einziehen – man „sollte“ mal wieder. Wie in der Verwandtschaft, wo man auch nicht unbedingt „will“, sondern sich aus purer Konvention einmal wieder bei Tante Erna „blicken lassen sollte“, so regen sich im Verlauf einer Freundschaft ganz ähnliche Pflichtgefühle unter Freunden.

Die „reine“ Freiwilligkeit ist also eher nur eine Art Anfangsmoment in der Beziehungswahl. Sobald wir Beziehungen eingehen, regieren bald auch andere moralisch gesteuerte Reaktionsweisen unsere Freundschaften. Daraus lässt sich ableiten: Die Treue selbst wird nicht immer nur von der „Selbstaufgabe in der Hingabe“ getragen, die dem reinen Gefühl und Willen entspringt, sondern auch von unserem Moralempfinden, das sich über unser Gewissen regt. Und wenn es sich dann regt, dann können wir das Treuegefühl erleben. Ganz konkret.

1.5 Beziehungskrise – Nagelprobe für die Treue

Dennoch, das, was bei allen Tugenden zutreffen dürfte, ist wohl auch bei der Treue so: Interessant wird es erst, wenn man prüft, was sie in der Belastung auszuhalten vermag, wenn eine Beziehung auf die Probe gestellt wird, dann etwa, wenn die Gefühle allein nicht mehr ausreichen, sie wie von selbst in Gang zu halten. Treue ist also eher etwas für die grauen oder stürmischen Tage einer Beziehung. Eine Art Reserverad für die Krisenzeit. Es gibt genügend Paare oder Gruppen, die sich einst voller Leidenschaft, Aufrichtigkeit und in tiefem Glauben Treue geschworen haben, und diese dennoch irgendwann wieder aufgekündigt haben. Das Entscheidende ist also nicht das Vorhängeschloss am Anfang, sondern ob man es nach fünf oder zehn Jahren noch gemeinsam aufsucht. Treue bewährt sich erst lange nach dem anfänglichen Sturm des Begehrens, in der Not, in der Krise. Treue ist ihrem Wesen nach immer indifferent gegen die Zeit, den sich ändernden Willen oder ein sich änderndes Gefühl einer Person gegenüber. Man könnte also fragen: Fängt die Treue nicht erst da an, wo die Liebe aufhört?

1.6 Treue heute: schöner als früher

Wie stark kann die Treue dann sein? Was kann sie richten? Kann man eine Beziehung, die aus eigener Gefühlskraft nicht mehr halten würde, aufgrund einer Idee von Treue aufrechterhalten? Man kann – wenn man sich für sie entscheidet. Wir können, denn wir haben die Wahl.

Wir leben heute in einer Zeit der Wahlfreiheit unserer Beziehungen. Diese Freiheit kann unser Beziehungsleben anfälliger für das Auseinanderstreben, für den Bruch, die Vereinzelung machen. Das ist oft beklagt worden. Sie kann sie aber gleichermaßen viel erfüllender machen, denn in ihr liegen ganz neue Chancen: Erst in der Wahlfreiheit kann Treue zu einem ganz besonderen Wert werden, der viel mehr Schönheit hat als noch jene traditionelle Form, die unsere Vorfahren zwangsweise zu einem Leben mit mehr oder weniger Ungeliebten verpflichtet hat. Die Philosophin Barbara Bleisch, die in ihrem Buch „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“ (2018) über die Beziehungsethik zwischen Kindern und Eltern geschrieben hat, erkennt diesen neuen spezifischen Wert der Treue, der erst durch die Wahlfreiheit entsteht:

„Früher waren Beziehungen einfach entweder sowieso schon vermittelt, das heißt, man hat den Eintritt in die Beziehung gar nicht gewählt, oder es waren Beziehungen, Ehe-Beziehungen zum Beispiel, die man auch gar nicht mehr verlassen konnte. Die Treue war sozusagen einfach mitgeliefert. Und weil wir uns heute entscheiden können, den Partner oder die Freunde zu wechseln und sehr viele Optionen haben, wird die Treue selbst zu einer Option. Und deswegen erscheint sie uns vielleicht auch wieder wichtiger, weil wir sie aktiv wählen müssen.“ (Bleisch, zit. in Hecht, 2019, S. 5f.)

Auch Markus Spieker betont diesen Aspekt, dass Treue heute eine Option ist, wir heute darüber bestimmen können, wenn und wem wir treu sein wollen. Das Treue-Organ ist für ihn wie eine innere Hemmung. Und wir sind frei, diese zu aktivieren:

„Tatsächlich greift das dann, wie die Bremsen bei einem Auto, solange ich auf einer Geraden unterwegs bin, vor mir keiner fährt, ich nicht abbiegen muss, brauche ich die Bremse nicht. Aber irgendwann brauche ich sie vielleicht doch. Das ist das Schöne am Menschen, dass wir eben nicht rein triebhaft sind oder einem Automatismus folgen, sondern dass es die Möglichkeit gibt, durch Gefühlstäler, durch Höhen zu gehen, oben wieder Kraft schöpfen, um in einer schwierigen Situation trotzdem beim Partner zu bleiben.“ (Spieker, zit. in Hecht, 2019, S. 7f.)

1.7 Geschenk der Treue, Lohn der Treue

Es wäre dennoch zu kurz gegriffen, Treue nur als Notfallkoffer zu sehen, wenn die Liebe ins Schlingern kommt. Treue ist genau besehen doch mehr als nur eine Art selbstauferlegte Disziplin oder Durchhaltevermögen in Krisenzeiten. Sie hat ihre Qualitäten auch in Zeiten der Harmonie, auch wenn diese dann vielleicht nur im Verborgenen schlummern. „Treue ist auch etwas Inneres und in gewisser Weise vorhanden, wenn sie nicht geprüft wird, auch am Anfang der Liebe“, behauptet Nils Spitzer (zit. in Hecht, 2019, S. 8), Psychologe und Autor des Buches „Ungewissheitsintoleranz und die psychischen Folgen“ (2019). Es gebe so etwas wie ein Wissen darüber, dass einem Menschen eine Beziehung besonders wertvoll ist, „auch wenn man sie gerade nicht gegen etwas anderes, äußeres, verteidigt“, eine stille Treue gewissermaßen: „Eine Treue, die man auch hat, wenn man gerade nicht herausgefordert ist“ (Spitzer, zit. in Hecht, 2019, S. 8).

Damit ist letztlich die Tiefendimension der Treue angesprochen, die in jeder Form der Treue angelegt ist. Denn zum Wesen der Treue gehört das Vertrauen in den anderen, das auch noch in der Krise lebendig ist. Barbara Bleisch stellt fest:

„Ich glaube, in der Treue steckt auch das Zugeständnis, dass man Fehler machen darf, dass man weiß, man kann sich einen Fehltritt erlauben und der Andere ist nicht gleich weg. Dieser Vertrauensvorschuss, den man gewährt, das ist ganz wesentlich für die Treue. Er gehört zur Liebe dazu. Deswegen finde ich, es braucht ziemlich viele Fehler, bevor man einen wirklich guten Freund oder bevor man einen Liebespartner, den man wirklich auch für den Partner des Lebens hält, wirklich vor die Tür setzt.“ (Bleisch, zit. in Hecht, S. 9)

So gesehen ist Treue dann doch mehr als nur Notnagel für harte Zeiten. In ihr steckt auch die Liebe, die dann noch trägt, wenn viel gegen sie spricht, wenn es konfliktreich wird, wenn es nicht mehr rund läuft. Und sie hat eine weitere Qualität, die sie all jenen offenbart, die sie unter sich bewahren: durch ihre Langfristigkeit schafft sie eine tiefere Form der Begegnung. „Wenn ich mit jemandem sehr, sehr lange zusammen bin, dann lerne ich jemanden so gut kennen, wie es sonst gar nicht geht“, stellt Nils Spitzer fest, „und zwar in all seinen Zügen, in all seinen Gefühlen und Alltäglichkeiten. In der Interaktion, dem Hin und Her von Beziehungen, lerne ich mich am Ende selbst auch differenzierter kennen, als das in einer anderen Weise möglich wäre. Denn im schnellen Wechsel verpasse ich diese Selbsterkenntnis“ (Spitzer, zit. in Hecht, 2019, S. 9).

1.8 Tücken der Treue

Treue, so edel sie sein kann, sie bleibt ein ambivalentes Wertgebilde. Sie hat ihre problematischen Seiten. Das wird schon deutlich, wenn man ihre Kulturgeschichte nachvollzieht. Historisch-psychologisch gesehen ist Treue vor allem eine Art eingeimpftes schlechtes Gewissen, eine subtile Form von Fremdbestimmung und manipulativer Herrschaftsausübung dessen, der sie einfordert. Treue ist, was herauskommt, wenn bestehende Herrschaftsverhältnisse ethisch überhöht werden. Sie dient dann letztendlich nicht so sehr den Menschen, sondern in erster Linie der Stabilisierung eines Systems. Treue bewahrt den Untertan vor dem Ausscheren und garantiert den Machterhalt, indem sie die Gefolgschaftspflicht verinnerlicht. Nichts besonders Schönes. Immer lauert in der Treue die Gefahr der Unfreiheit und des Zwangs.

Man kann sogar noch weitergehen und einwenden, selbst die nicht manipulative, sondern ganz und gar frei gewählte Treue habe ihre Tücken. Etwa, wenn man sie mit Feigheit oder Bequemlichkeit verwechselt. „Tugend war zu jeder Zeit, nur Mangel an Gelegenheit“, hat Wilhelm Busch einmal gedichtet. Ist es vielleicht mit der Treue auch so? Viel spricht dafür. Ist sie vielleicht nur ein Reflex der Gescheiterten, die aus der Not eine Tugend machen, wenn Hans neben Suse und Suse neben Hans sitzt, nur weil beide keinen anderen abgekriegt haben? Es wird klar: Treue ist nie ein Selbstwert, sondern immer eine individuelle relationale Größe, deren Legitimität sich immer wieder neu entscheiden muss.

Wer würde leugnen, dass es unzählige Beziehungen gibt, in denen es der mutigere und richtige Schritt wäre, sie zu beenden, als sie künstlich am Leben zu erhalten? Formen etwa der „hündischen Treue“, die es auch dann noch gibt, wenn die Beziehung schlecht, ausbeutend und so ist, dass es besser wäre zu gehen?

1.9 Sich selber treu sein

Wenn die Treue zu anderen so sehr mit dem eigenen Selbstbild kollidiert, wenn ich un-authentisch werde und meine eigenen Werte verrate, dann ist es wichtig, sich daran zu erinnern, dass es auch eine Treuepflicht sich selbst gegenüber gibt, dann wird es Zeit, über eine ganz andere Treue nachzudenken: die Treue zu sich selbst. Das sind die Momente im Leben, in denen man vor einer weittragenden Entscheidung steht: Welche Treue ist mir mehr wert?

Natürlich ist das „Sich-selber-treu-Bleiben“ oft eine hohle Formel, die man vor allem von jenen zu hören bekommt, die nur egoistisch sind und nur ihre Wünsche und Interessen durchsetzen. Aber im Kern bedeutet sich selbst treu zu bleiben, tatsächlich im Einklang mit sich und den Werten zu bleiben, für die man einst eingetreten ist und von denen man sich entfernt und entfremdet hat. Dazu kann es auch gehören, anderen die Treue kündigen zu müssen. Christian Morgenstern hat einmal gesagt: „Wer sich selbst treu bleiben will, der kann nicht immer anderen treu bleiben“ (Morgenstern, zit. in Hecht, 2019, S. 10). Die Gretchenfrage lautet: Wie kann ich mir selbst treu sein – und anderen zugleich? Wie kann ich anderen gegenüber treu sein, ohne gleichzeitig im Gefängnis eines selbst auferlegten Zwanges zu sein? Wie kann ich gleichzeitig meinem Willen folgen oder meinen Wünschen, meinen Gefühlen und trotzdem nicht automatisch anderen gegenüber untreu werden? Gibt es einen Einklang zwischen sich und anderen treu zu sein – oder ist es ein ewiger Widerspruch?

Worauf es heute mehr denn je ankommt, ist, eine Entscheidungskompetenz auszubilden. Für die wiederkehrenden Situationen, in denen wir modernen Individualisten wissen müssen, ob wir treu bleiben möchten oder nicht mehr, und ob wir uns selber noch treu bleiben, wenn wir eine Beziehung weiterführen oder nur dann, wenn wir sie kündigen. Es geht um unsere Verantwortung. Was wir heute also brauchen, ist nicht so sehr eine Neubeschwörung oder Stärkung der guten, alten Treue, sondern eher eine Stärkung unseres Treue-Organs, das in der heutigen Zeit immer wieder neu organisieren muss, wem wir unsere Treue schenken und wem nicht. Das ist eine große Aufgabe, denn die Entscheidungen, jemandem die Treue zu halten oder sie zu kündigen, gehören wohl zu den wichtigsten im Leben.

1.10 Literatur

Bleisch, B. (2018). Warum wir unseren Eltern nichts schulden. München: Hanser.

Hecht, M. (2019). Die nie vergehende Liebe. Wie treu wollen wir heute noch sein? Radio-Feature (SWR 2, gesendet am 2. Mai 2019). Zugriff am 28.01.2020 unter https://www.swr.de/-/id=23715568/property=download/nid=660174/6lckz8/swr2-leben-20190502.pdf

Keller, M. (1996). Moralische Sensibilität: Entwicklung in Freundschaft und Familie. Weinheim: Beltz/Psychologie Verlags Union.

Spieker, M. (2011). Mono.Die Lust auf Treue. München: Pattloch.

Spitzer, N. (2019). Ungewissheits-Intoleranz und die psychischen Folgen. Berlin: Springer.

2 Treu – Doof? – Lohn der Beharrlichkeit

P. Ludger Ägidius Schulte OFMCap

2.1 Einleitung

Es ist nicht zu fassen: Liegt „Treue“ im Trend? Mehr als 90%, so eine Studie aus Hamburg und Leipzig, wünschen sich Treue. Allerdings, 50% der Befragten geben zu, in ihrem Leben schon einmal fremdgegangen zu sein. Das heißt: „Fast alle wollen es, doch nur die Hälfte tut es: treu sein, lebenslang. Wunsch und Wirklichkeit klaffen drastisch auseinander.“ Mit diesem Satz und den aufgezählten Fakten beginnt ein Beitrag in der „Zeit“ aus dem Jahr 2011 mit dem Titel „Das ewige Ideal. Wie wollen wir es mit der Treue halten?“ (St.Kara, 2011).

Es ist nicht zu fassen: Der Journalist Markus Spieker meint in seinem Buch „Mono. Die Lust auf Treue“ (Spieker, 2011): „Es ist verblüffend, aber das Ideal der Treue übersteht mühelos alle Varianten des Zeitgeistes – bürgerliche, unbürgerliche, antibürgerliche, konservative, liberale, rechte, linke“ (ebd., Cover). Er hält es für die Nachricht des Jahrzehnts: „Die Treue kommt zurück“ (ebd., S. 15ff.). Unglaublich?

2.2 Öffentliche Engführung

Der gegenwärtige Sprachgebrauch verrät diesen Trend nicht. „Treue“ ist kein Modewort. Nachhaltig sein, authentisch sein, ganzheitlich sein, auf Augenhöhe sein, spontan und kreativ sein – das sind Leitworte der Gegenwart. Aber treu sein? Das Wort „treu“ klingt altbacken, nicht mobil und flexibel, wenig weltoffen, etwas tuttelig und rückständig. Ein treuer Hund, das mag angehen. Ein treuer Mensch – da fürchtet man schon den treuen Dackelblick. Wenn einer sagt: „Das ist ein treuer Geselle!“, dann ist fast schon das „treudoof“ mitzuhören.

In der Öffentlichkeit steht Treue nicht im Vordergrund – eher das Gegenteil: Untreue. Breitgetretene Promiaffären, Seitensprungdramen im nahen Umfeld, Scheidungs- und Familiendramen. Ist das prickelnder, aufregender, dramatischer und eben auch für die mediale Öffentlichkeit verkaufsfördernder?

Mit der Treue scheint es sich so zu verhalten wie mit dem ICE. Kommt er pünktlich an, so redet keiner davon. Gibt es Oberleitungsstörungen oder entgleist er gar, so ist es eine Nachricht, die jeden beschäftigt und die sich einprägt. Seitensprünge königlicher Hoheiten und prominenter Politiker*innen füllen die Blätter. So bleibt der Eindruck, Treue ist etwas Seltenes, eine aussterbende Haltung. Tatsächlich aber sind Paare einander häufiger treu als untreu. Statistisch leben (die Untersuchung begrenzt sich auf Großstädte) im Jahr 10% der Menschen in Partnerschaften in Untreue zu ihrem Partner (St.Kara, a.a.O.), aber 90% nicht!

Fatal scheint bei diesen ersten thematischen Schlaglichtern, dass der Begriff der Treue heute nicht nur aus der Mode gekommen, sondern auch besonders inhaltsleer geworden ist. „Im allgemeinen Bewusstsein wird er schnell mit dem Gegenbegriff der Untreue, also mit Fremdgehen, assoziiert und damit nicht nur negativ bestimmt, sondern auf den Bereich sexueller Beziehung eingegrenzt“ (Knieps-Port le Roi, 2008, S. 51). Das aber ist eine Engführung und eine bedauerliche inhaltliche Fixierung.

2.3 Was gibt unserem Leben Stabilität?

Die Haltung der Treue hat viel größere Bedeutung für unser Leben als uns vordergründig bewusst ist. Selbst unser Denken braucht Treue. Es darf und sollte sich nicht kurzfristig Moden verschreiben, wenn es Bestand haben soll. Will es sich einer Oberflächlichkeit und Beliebigkeit widersetzen, steht Treue hier für eine gewisse Besonnenheit. Nur so widersteht das Denken der Verführung der Quote, der Mehrheitsmeinung und der Popularität. Treue im Denken bedeutet dann, die „Weigerung, sein Denken ohne gute und stichhaltige Gründe zu ändern, und – weil permanentes Überprüfen unmöglich ist – für wahr zu halten, was einmal klar und eindeutig befunden worden ist, bis eine Überprüfung etwas anderes ergibt. Also weder Dogmatismus noch Unbeständigkeit. Man hat das Recht, seine Ansichten zu ändern, doch nur dann, wenn es Pflicht ist“ (Comte-Sponville, 1996, S. 37).

Treue ist für mein Verhältnis zu mir selbst von ebenso zentraler Bedeutung wie Treue zu mir und der Wahrheit, die mich über meine täglichen Gefühle und Stimmungen hinaus beansprucht, dem Gewissensspruch (Guardini, 1987). Nur so kann ich durch die Zeit, bei aller Entfaltung, mit mir identisch bleiben und in den Frieden mit mir gelangen.

Treue ist ebenso lebenswichtig für Gemeinschaft und Gesellschaft im Sinne von Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. Und nicht zuletzt ist sie das Lebenselixier jeder Freundschaft, die ohne Treue keine Freundschaft ist.

In der ethischen Tradition begegnet Treue einem daher gewöhnlich als Tugend, also als Lebenshaltung, die in der Bereitschaft des Menschen besteht, seine Taten seinen Versprechungen anzupassen:

„Ich mache mich unabhängig von meinen wandelnden Gefühlen morgen und übermorgen. Nietzsche sagt einmal: ‚Versprechen können ist das Höchste im Menschen.‘ Das heißt, sich unabhängig machen von den verschiedenen Zuständen, die ich durchlaufe, das heißt, ich bürge für mich. Versprechen heißt, dem anderen einen Anspruch einräumen, sich auf mich zu verlassen“ (Spaemann, 2010, o. S.).

Verträge, Eide, Gelöbnisse sind institutionelle Formen von Treue in unserer Gesellschaft.

Das Treueversprechen verhindert nicht, dass unsere Gedanken und Gefühle sich irgendwann einmal ändern können, aber es verbietet, daraus die Legitimation abzuleiten, uns nicht mehr an unser Versprechen halten zu müssen. Der Sinn dieser Selbstverpflichtung liegt gerade darin, unsere Treue nicht abhängig zu machen von glücklichen Umständen oder der Gunst des Schicksals (Knieps-Port le Roi, 2008, S. 232).

Daher ist die Treue eine Kraft, die es mit der Zeit aufnimmt. „Sie überwindet Wandel und Vergehen und gibt unserer Vergänglichkeit einen Hauch von Ewigkeit“ (Kaemper, 2014, S. 26). Sie macht es erst möglich, „dass Menschen und Gruppen trotz aller Veränderungen miteinander verbunden bleiben“ (ebd.). Sie erfüllt somit eine wichtige soziale Funktion. Sie bringt dauerhafte Verbindungen von Einzelnen und Gruppen hervor. Ohne sie ist Gemeinschaft nicht möglich.

Treue steht für Stetigkeit, Beständigkeit, Beharrlichkeit, Zuverlässigkeit, Verbindlichkeit, Loyalität, eben für dauerhaftes, übergreifendes Verbundensein. Das Gegenteil wäre: Nachlässigkeit, Wortbrüchigkeit, Veruntreuung, Schlampigkeit, Trägheit, Willkür und die Neigung, nur das zu tun, wozu man gerade Laune hat. Treue „ist nicht ein Wert unter anderen, eine Tugend unter anderen; sie ist das, wodurch und weswegen es Werte und Tugenden gibt. Was wäre die Gerechtigkeit ohne die Treue der Gerechten? Der Friede ohne die Treue der Friedfertigen?“ (Comte-Sponville, 1996, S. 31).

Ein Mensch der Treue hält an seiner Verantwortung fest, auch wenn ihm selbst Schaden oder Gefahr droht. Er steht zu seinem gegebenen Wort auch dann, wenn es für ihn ungünstig ist. „Treue geht damit weit über eine innere Haltung hinaus. Es geht um die Tat“ (Kaemper, 2014, S. 26).

Beziehungen (Nation, Gemeinschaft, Freundschaft, Partnerschaft, Familie…) schaffen nicht nur Bindungen, sie fordern auch Bindung und damit Treue. Denn Bindung will nicht nur entdeckt und eingestanden sein, sie will auch bestätigt und bewahrt werden. In der Liebesbeziehung bekommt dies eine besondere Note.

Es liegt in der Logik der Liebe selbst, dass Liebende sich bewusst und aktiv aneinander binden wollen. „Dies heißt ja zunächst nichts anderes, als dass beide wollen, dass es so bleibt, wie es jetzt ist, und dass jeder das Seinige dazu tun will, dass es auch so bleiben kann“ (Knieps-Port le Roi, 2013, S. 48f.). Die beiderseitige Absichtserklärung, sich aneinander zu binden, beinhaltet, das eigene Verhalten in Zukunft so auszurichten, „dass die Liebe einen geeigneten Lebensraum erhält, in dem sie erhalten bleibt und gedeihen kann“ (Knieps-Port le Roi, zit. in Röser, 2011, o.S.). Die Partner sichern sich Verlässlichkeit zu und erlegen sich die nötige Entschlossenheit auf, sich auch tatsächlich so zu verhalten. Kurz gesagt: „Die Frage nach der Liebe ist mit innerer Notwendigkeit eine Frage nach der Treue: ‚Liebst du mich?‘ heißt im letzten: ‚Bleibst du bei mir?‘“ (Schaller, 1994, S. 69).

Dass dies eine gewisse Reife der Person voraussetzt, Lernfähigkeit in Krisen erfordert und Wandlungsfähigkeit im Ablegen „egozentrischer Anteile“ sowie Standhaftigkeit gegenüber Schicksalsschlägen, ist mit Händen zu greifen und wird noch eigens zu thematisieren sein.

2.4 Irritationen der Treue

Natürlich gibt es auch den Missbrauch der Treue. Ein echter Missbrauch durch die Beschwörung von „Hingabe und Treue“ für Staat und Vaterland wurde in der Zeit des Nationalsozialismus erschreckend sichtbar. „Räuberbanden“ können zu nichts Gutem in großer Treue miteinander verbunden sein, dazu braucht man nicht nur an die Mafia, den „Islamischen Staat“ oder andere verbrecherische Gruppierungen denken. Das heißt, Treue ist nicht gleich Treue. Treue ist danach zu bewerten, welchen Werten man Treue erweist. Treue zum Bösen ist schlechte Treue.

Auch in der psychotherapeutischen Praxis ist zu beobachten, dass Partner, die sich in einer Beziehung in falscher Selbstverleugnung stets treu den Bedürfnissen des Partners unterordnen, depressiv werden. Es gibt krankmachende Treue, aus Ich-schwacher Anhänglichkeit und bewusst ausgenutzte Abhängigkeit. Eine gesunde Treue setzt eine vorangeschrittene Entfaltung der Ich-Identität voraus (Krüger, 2010). Ich-Identität bedeutet: Ich weiß, wer ich bin. Ich kenne (mehr und mehr) meine Grenzen, Stärken und Wachstumsfelder. Ich weiß, inwiefern ich mich von anderen unterscheide und kann dies und meine Bedürfnisse angemessen zum Ausdruck bringen. Offenbar setzt die Fähigkeit zur Treue eine große innere Stabilität voraus. Wirklich treue Menschen sind emotional starke Persönlichkeiten, die sowohl mit sich selbst als auch mit der Umwelt intensiv in Kontakt stehen. Sie sind im psychologischen Sinne bindungsstark, das heißt, sie finden in sich die Kraft und das Engagement, auch dann noch zu einer Gruppe oder einer Person zu stehen, wenn sie nicht dem gewünschten Idealbild entspricht.

2.5 Ideal oder Überforderung?

Wenn es nicht wenig Missbrauch der Treue gibt und psychologische Deformationen, die gesunde Treue verunmöglichen, dann stellt sich umso mehr die Frage: Ist Treue ein Ideal oder, an den Realitäten gemessen, doch eine Überforderung? Wie „geht“ Treue? Und darüber hinaus, wie kann der Mensch in einem Treueversprechen überhaupt in der Lage sein, die (eigene) Zukunft in einem Moment zu überblicken und ihr vorzugreifen, in dem er eine solche Lebensentscheidung trifft?

Eine erste Antwort müsste lauten: Verantwortlich treu kann ich nur sein, wenn ich „genügend“ innere Freiheit von Verletzungen, falschen Selbstbildern und besetzenden Lebensmustern beziehungsweise Lebensstrategien habe. Wer im ständigen Unfrieden mit sich selbst lebt, wer Realitäten der Lebensführung aus seiner Wahrnehmung ausschließt und wer keine freilassende Nähe aufbauen kann, ist auch ethisch nicht in der Lage, treu zu sein. Er benötigt Heilung zur Treue.

In einem zweiten Antwortversuch ließe sich zum Risiko der Treue sagen: „So ist es: Leben ist lebensgefährlich und Treue ist gefährdete Treue.“ Das Wagnis gehört zur menschlichen Existenz. Auch für die Treue gilt: Es gibt nichts Großes ohne Risiko, Mut, Widerstreit und Demut, also ohne das Wissen, dass es nicht einfach „nur“ in unserer Hand liegt.

In einem dritten Antwortversuch wäre zu sagen: Wenn wir es zulassen, wenn wir tief genug in uns hineinhören – dann gibt es in uns eine „‚tiefe Bitte unserer Existenz‘, wir möchten doch dem, was wir im Grunde unseres Herzens wollen, treu bleiben können; wir möchten, nach dem bekannten Wort von Saint-Exupéry, fähig werden, ‚zeitlebens verantwortlich zu bleiben für das, was wir uns anvertraut haben‘ (Schaller, 1994, S. 12).

Zugespitzt: Die Treue zu unserem Weg entscheidet über den Sinn und Unsinn unseres Lebens.

Treue ist nicht einfach der Ausdruck für eine biedere Verlässlichkeit, eine uneinlösbare Sehnsucht nach Halt oder eine überforderte Hoffnung auf Kontinuität von Beziehungen. All das wäre ja schon aus gesundheits-, sozial- und finanzpolitischen, also pragmatischen Gründen höchst erstrebenswert und sinnvoll für den Einzelnen und die Gesellschaft. Die Frage nach der Treue ist fundamentaler. Ohne Treue ist der Mensch im Selbstwiderspruch, kann er weder wahrhaft „Ich“ sagen noch weniger ernsthaft ein „Du“ meinen oder ein tragendes „Wir“ finden. Ohne Treue kann man sein Leben mit zahlreichen Optionen erweitern, niemals vertiefen, auf den Punkt bringen, Richtung und Sinn empfinden. Treue mag in manchen Lebensphasen ein leuchtendes Ideal sein. Sie mag in anderen Phasen zu einer Überforderung heranwachsen und doch ist sie uns zum vollen Menschsein aufgegeben. Von Mutter Teresa stammt das wichtige Wort: „Gott hat uns nicht zum Erfolg berufen, nur zur Treue.“

2.6 Versprechen und Verzeihen

Natürlich weiß ich, dass ich ins Rutschen und Fallen kommen kann und nicht immer treu bin. Ich benötige Vergebung. Mein Handeln ist nicht immer identisch mit meinem Versprechen, eben untreu. Menschliches Leben braucht deshalb immer wieder Umkehr und Neuausrichtung. Reue ist der schmerzhafte Weg zum Wiederauffinden der Treue zu uns selbst, zum anderen, zu Gott.

Jedoch, konkretes, sich immer wieder verstrickendes menschliches Leben benötigt mehr als nur Reue, es braucht den Raum des Verzeihens und der Vergebung. Verzeihen heißt aber nicht: Du bist eben so. Das wäre der Tod, die Vernichtung meiner besseren Zukunft. Vergebung gibt mir die Möglichkeit, mich von meinen eigenen Handlungen zu distanzieren und wieder treu zu werden.

Versprechen und Verzeihen sind die wichtigsten menschlichen Akte, meint der Philosoph Robert Spaemann (2010). Nur im Versprechen können wir der Zukunft des uns Anvertrauten verantwortlich begegnen und im Verzeihen neue Zukunft eröffnen. Erst durch Versprechen und Verzeihen können wir als Menschen in der Zeit bestehen. Versprechen und Verzeihen sind Formen der Treue. Dies mag für das Versprechen schneller einleuchten als für das Verzeihen. Doch treue Beziehungen benötigen eine liebende und verzeihende Grundhaltung aller Beteiligten. Treue öffnet einen weiten Raum. Partner, Freunde können atmen und haben das Gefühl, trotz Mängel und Fehler sein zu dürfen. Ich darf vertrauen, der andere wird zu mir stehen. Die Treue hat aber auch das Recht, die Hoffnungen, mit denen man angetreten ist und die sich immer auch ändern, einzubringen, „Hoffnungen, die in sich auch Ansprüche enthalten, die nicht überfordern, aber doch in einem guten Sinn einen Anreiz zum Wachsen, etwas Salz zur Verlebendigung enthalten“ (Schaller, 1994, S. 49). Die Treue wird verzeihend an das Versprechen erinnern.

Vergebung ermöglicht, mich von meinen eigenen Handlungen zu distanzieren und wieder treu zu werden.

2.7 Schöpferische Treue

All das Gesagte macht überdeutlich: Mögliche Unmöglichkeit und zutiefst menschliche Notwendigkeit sehen sich auf dem Weg der Treue ins Auge. Ein Leben im Wagnis. Gerade dies aber zeigt uns: Treue ist nicht starres Festhalten am Gewohnten oder eine fossilienhafte Verhärtung, sondern Offenheit für Wandlungen. Das betrifft nicht nur unsere eigene Geschichte, die Entwicklung unserer Person. Auch unsere vielseitigen Beziehungen und Kontakte müssen je nach Zeit und Alter neu gestaltet werden, um lebendig zu bleiben. Sie müssen sich wandeln, damit Treue möglich ist. Gewohnheiten, Absprachen, Haltungen können helfen und sind nötig auf dem Weg der Treue. Aber auch sie benötigen Veränderungen:

„Eines ist es, ein Jawort zu geben, ein anderes, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass es gehalten werden kann. […] Wir müssen Sorge tragen, darauf zu achten, was uns in der Treue zu uns selbst wie zu anderen wachsen lässt, und was uns hilft und was uns schadet.“ (Schaller, 1994, S. 54)

Zwei Leitfragen können hilfreich sein:

Was hilft, damit Vertrauen lebendig bleibt?Was hilft zu immer neuen, präsenten Begegnungen und nicht nur zu Beziehungen, die funktionieren?

Nicht die Asche der starren Treue, sondern die Glut der schöpferischen Treue ist die Herausforderung. Es ist die Kunst und das Abenteuer des Lebens: Neue Situationen sind ein Anfang und enthalten die Möglichkeit, unserer Sehnsucht treu zu werden, eine Grundentscheidung persönlich zu vertiefen und zu verlebendigen. Treue ist eine Kraft, „welche die Zeit, das heißt Wandel und Vergehen, überwindet – aber nicht, wie die Härte des Steins, in starrer Festgelegtheit, sondern lebendig wachsend und schaffend“ (Guardini, 1987, S. 68). Wir sind schöpferisch in der Treue, wenn wir Grundentscheidungen unter veränderten Bedingungen immer wieder neu konkretisieren.

Das deutsche Wort Treue hat dieselben sprachlichen Wurzeln wie das Wort Baum (gotisch: triu, altengl.: trow, neuengl.: tree. Man hört hier noch das Wort treu heraus. Treue wächst wie ein Baum – langsam. Fast unmerklich in den vielen Entscheidungen des Lebens. Die Dichterin Hilde Domin umschreibt die schöpferische Treue mit einer bemerkenswerten Zeile: „Man muss weggehen können und doch sein wie ein Baum“ (Domin, 2018, o.S.). Kurz gesagt: Treue ist Lebendigkeit mit Wurzeln.

2.8 Treue Gottes – Treue des Menschen

Die Liebe nimmt es in der Treue mit der Zeit auf. „Treue ist das, was die fließende Zeit überdauert. Sie hat etwas von Ewigkeit in sich“, schreibt der große Theologe und Religionsphilosoph Romano Guardini (1963, S. 85). Damit leitet er die menschliche Treue von Gottes großer Treue ab. Er betont: Gott „hält die Welt im Sein. Jeden Augenblick besteht sie aus seiner Treue […] Von Gott her kommt die Treue in die Welt. Wir können nur treu sein, weil Er es ist, und weil Er uns, seine Ebenbilder, ihr zugeordnet hat“ (Guardini, 1987, S. 73f.). Damit sagt er, Gottes Treue trägt uns und macht uns fähig, treu zu bleiben. Sie ist Gabe seines Geistes (vgl. Gal 5,22). Die Treue macht uns Gott ähnlich.

Unzählige Male bezeugt die Heilige Schrift die Treue Gottes. Der Beter der Psalmen wird nicht müde zu singen: „Alle Pfade des Herrn sind Huld und Treue“ (Ps 25,10). Die Dauer seiner Treue währt „von Geschlecht zu Geschlecht“ (Ps 119,90). Sie wird nie aufhören. Der Umfang seiner Treue reicht „bis zu den Wolken“ (Ps 36,6). Sie kennt keine Grenzen. „Wie schön ist es am Morgen deine Huld zu verkünden und in den Nächten deine Treue“ (Ps 92,3). Gott macht seine Treue zum Menschengeschlecht besonders erfahrbar in der Geschichte des Bundes, den er mit seinem auserwählten Volk geschlossen hat.

Auch wenn die menschliche Treue häufig „wie der Tau ist, der früh verschwindet“ (Hosea 6,4). Gottes Treue ist zuverlässig (Deuteronomium 7,9; Römer 3,3f.; 2 Timotheus 2,13). Sie ist die Grundlage der menschlichen Treue. Gerade wenn das Vertrauen in Gott angefochten ist, ist die Hoffnung auf die Treue Gottes letzter Halt:

„Ich sprach: Dahin ist mein Glanz und mein Vertrauen auf den Herrn. An meine Not und Unrast denken ist Wermut und Gift. Immer denkt meine Seele daran und ist betrübt in mir. Das will ich mir zu Herzen nehmen, darauf darf ich harren: Die Huld des Herrn ist nicht erschöpft, sein Erbarmen ist nicht zu Ende. Neu ist es an jedem Morgen; groß ist deine Treue“ (Klagelieder 3, 18-23).