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Der Schein trügt, aber die Wahrheit kennt keine Gnade Athen, 1957: Bernie Gunther untersucht im Auftrag einer Münchner Versicherung den Untergang eines Schiffes, dessen Eigner Witzel ein Deutscher ist. Schnell stellt sich heraus, dass die «Doris» einst einem griechischen Juden gehörte, der in Auschwitz ums Leben kam, und Bernie ist sich sicher, dass das Schiff versenkt wurde – ein Racheakt. Kurz darauf findet er Witzel tot auf, hingerichtet mit zwei Schüssen durch die Augen. Bernie gerät selber in das Visier der griechischen Polizei – um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, hilft er bei den Ermittlungen und wird unaufhaltsam in die dunkle Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges und der Deportation der Juden von Saloniki, dem heutigen Thessaloniki, gezogen. Schon bald ist ihm klar: Jemand hat noch längst nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen ...
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Seitenzahl: 677
Philip Kerr
Roman
Aus dem Englischen von Axel Merz
Der Schein trügt, aber die Wahrheit kennt keine Gnade
Athen, 1957: Bernie Gunther untersucht im Auftrag einer Münchner Versicherung den Untergang eines Schiffes, dessen Eigner Witzel ein Deutscher ist. Schnell stellt sich heraus, dass die «Doris» einst einem griechischen Juden gehörte, der in Auschwitz ums Leben kam, und Bernie ist sich sicher, dass das Schiff versenkt wurde – ein Racheakt. Kurz darauf findet er Witzel tot auf, hingerichtet mit zwei Schüssen durch die Augen. Bernie gerät selber in das Visier der griechischen Polizei – um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, hilft er bei den Ermittlungen und wird unaufhaltsam in die dunkle Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges und der Deportation der Juden von Saloniki, dem heutigen Thessaloniki, gezogen. Schon bald ist ihm klar: Jemand hat noch längst nicht mit der Vergangenheit abgeschlossen ...
Bernie Gunther ist ein Ermittler ohnegleichen… «Trojanische Pferde» zeigt eindeutig, was für ein wunderbarer Schriftsteller Philip Kerr war. (The Times)
Philip Kerr wurde 1956 in Edinburgh geboren. 1989 erschien sein erster Roman «Feuer in Berlin». Aus dem Debüt entwickelte sich die Serie um den Privatdetektiv Bernhard Gunther. Für Band 6, «Die Adlon Verschwörung», gewann Philip Kerr den weltweit höchstdotierten Krimipreis der spanischen Mediengruppe RBA und den renommierten Ellis-Peters-Award. Kerr lebte in London, wo er 2018 verstarb.
Axel Merz, geboren 1957, Studium der Archäologie und der Naturwissenschaften, Übersetzer von u.a. Dan Brown, Lincoln Child sowie Philip Kerr. Lebt mit seiner Frau zurückgezogen bei Bonn und Heidelberg.
Dieses Buch ist für Chris Anderson und Lisa Pickering,
denen ich sehr dankbar bin.
Sie haben die Welt geplündert und das Land nackt entblößt in ihrem Hunger … sie sind getrieben von Gier, wenn ihre Feinde reich, und von Ehrgeiz, wenn sie arm … Sie verwüsten, sie metzeln, sie erobern unter falschen Vorwänden, und all dies bejubeln sie als die Erschaffung eines Imperiums. Und wenn in ihrer Spur nichts mehr ist als Wüste, dann nennen sie dies Frieden.
Tacitus, Agricola, Kapitel 30
Januar 1957
Es klingt wie die schlimmste je erzählte Geschichte, hätte sie sich nicht in ihrer Gänze, in jedem einzelnen Detail, genau so zugetragen, wie ich sie aufgeschrieben habe.
So ist das mit dem wirklichen Leben: Alles kommt einem unwahrscheinlich vor – bis genau zu dem Augenblick, in dem es passiert. Meine Erfahrungen als Kriminalbeamter und die Ereignisse in meinem persönlichen Leben bestätigen diese These, und ich habe das starke Gefühl, dass dies für jeden anderen gleichermaßen gilt. Die Sammlung von Geschichten, die uns alle zu dem macht, was wir sind, sieht nur so lange übertrieben und erfunden aus, bis wir uns selbst auf ihren fleckigen und eselsohrigen Seiten wiederfinden. Selbstredend haben die Griechen ein Wort dafür: Mythologie. Die Mythologie erklärt alles, angefangen von natürlichen Phänomenen bis zu dem Punkt, an dem man stirbt und nach unten wandert oder – unklugerweise – Zeus eine Schachtel Streichhölzer klaut. Rein zufällig haben die Griechen eine Menge zu tun mit ebendieser Geschichte. Vielleicht mit jeder Geschichte, wenn man genau darüber nachdenkt. Immerhin war es ein Grieche namens Homer, der das moderne Geschichtenerzählen erfand, irgendwann das Augenlicht verlor und wahrscheinlich überhaupt nicht existierte.
Wie viele Geschichten liest sich auch diese vermutlich besser, wenn man vorher einen Drink genommen hat oder zwei. Also nur zu, trinken Sie auf mich. Ich trinke auch gerne mal einen, aber ich bin kein hoffnungsloser Fall. Absolut nicht. Ich hoffe nur aufrichtig, dass ich eines Abends in die Kneipe gehe und am nächsten Tag mit Gedächtnisverlust auf einem Dampfer aufwache, mit Kurs auf eine Gegend, von der ich noch nie gehört habe.
Ich schätze, das ist der Romantiker in mir. Ich bin schon immer gerne gereist, auch wenn ich zu Hause ganz zufrieden war. Man könnte sagen, dass ich einfach wegwollte. Weg von den Obrigkeiten, den Machthabern vor allem. Immer noch wegwill, um ehrlich zu sein, was selten genug der Fall ist. Zumindest in Deutschland und was mich persönlich betrifft – oder eine ganze Menge anderer Leute wie mich. Für uns ist die Vergangenheit wie die Außenmauern eines Gefängnishofes: Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass wir sie niemals überwinden. Und natürlich darf man uns nicht erlauben, dass wir sie überwinden, angesichts dessen, wer wir waren und was wir getan haben.
Doch wie soll man jemals erklären, was passiert ist? Das war die Frage, die ich regelmäßig in den Augen einiger der amerikanischen Gäste im Grand Hotel Cap Ferrat sehen konnte (wo ich bis vor kurzem als Concierge gearbeitet habe), wenn sie merkten, dass ich Deutscher war. Wie ist es möglich, dass ein Volk so viele Menschen ermordet? Nun, es ist so: Wenn man über einen großen Fischmarkt läuft, begreift man, wie vielfältig und fremdartig das Leben sein kann – schwer vorstellbar, dass zahlreiche der phantastischen, unheimlichen und glitschig aussehenden Kreaturen in den Auslagen überhaupt jemals existiert haben. Manchmal, wenn ich meinen Nebenmann betrachte, überkommt mich das gleiche Gefühl.
Ich selbst bin ein wenig wie eine Auster. Vor vielen Jahren – im Januar 1933, um genau zu sein – geriet ein Stück Dreck in meine Schale und fing an, in die falsche Richtung zu rutschen. Wenn es eine Perle in mir gibt, dann ist es vermutlich eine schwarze. Offen gestanden, ich habe während des Krieges ein paar Dinge getan, auf die ich alles andere als stolz bin. Das ist nichts Ungewöhnliches. Es gehört zum Wesen des Krieges. Er gibt allen, die daran teilnehmen, das Gefühl, ein Verbrecher zu sein und etwas Böses getan zu haben. Abgesehen von den wirklich Kriminellen natürlich – bis heute wurde nichts erfunden, das in ihnen ein schlechtes Gefühl hervorrufen könnte. Mit einer Ausnahme vielleicht: dem Henker von Landsberg. Wenn man ihm nur die Gelegenheit gibt, kann er in fast jedem eine Gewissenskrise auslösen.
Offiziell liegt das alles inzwischen hinter uns. Unsere Nationalsozialistische Revolution ist vorbei, genau wie der verheerende Krieg, den sie über die Welt brachte; und der Frieden, den wir seither genießen, ist wenigstens dank der Amerikaner alles andere als ein Karthagischer. Wir haben vor langer Zeit aufgehört, Leute zu hängen, und bis auf vier wurden inzwischen sämtliche der vielen hundert Kriegsverbrecher wieder freigelassen, die lebenslänglich in Landsberg eingesperrt worden waren.
Ich glaube, dass diese neue Bundesrepublik Deutschland ein wunderbarer Staat werden kann, wenn wir mit dem Wiederaufbau fertig sind. Ganz Westdeutschland riecht nach frischer Farbe, und sämtliche öffentlichen Gebäude befinden sich in einem Zustand des Neuaufbaus. Die Adler und Hakenkreuze sind längst verschwunden, und inzwischen werden selbst die letzten Spuren ausradiert wie Leo Trotzki auf einer alten Fotografie der Kommunistischen Partei. Im berühmt-berüchtigten Münchner Hofbräuhaus – vielleicht dort am allermeisten – haben sie sich die größte Mühe gegeben, die Hakenkreuze von der altweißen Gewölbedecke zu kratzen, obwohl man noch ganz genau erkennen kann, wo sie einst waren. Wären nicht diese wenigen Überbleibsel – die Fingerabdrücke des Faschismus –, man wäre versucht zu glauben, die Nazis hätten niemals existiert und dreizehn Jahre Leben unter Adolf Hitler seien nichts weiter als ein schauerlicher Albtraum gewesen.
Wenn doch nur die Narben und Male des Nationalsozialismus auf der vergifteten, muschelartigen Seele von Bernie Gunther mit solcher Leichtigkeit hätten ausradiert werden können. Aus diesen und anderen komplizierten Gründen (auf die ich hier nicht eingehe) bin ich dieser Tage nur dann wirklich ich selbst, wenn ich mit mir allein bin. Die restliche Zeit bin ich gezwungen, jemand anderes zu sein.
Nun denn. Guten Tag. Grüß Gott, wie wir hier in Bayern sagen. Mein Name ist Christof Ganz.
Ein mörderischer Wind fegte durch die Straßen von München, als ich an jenem Abend zur Arbeit ging. Es war einer dieser trockenen, kalten bayrischen Winde, die mit der Schärfe einer neuen Rasierklinge von den Alpen herunterwehen und einen wünschen lassen, man würde an einem wärmeren Ort leben oder wenigstens einen besseren Mantel besitzen oder eine Arbeitsstelle haben, bei der man nicht Punkt sechs Uhr abends die Stechuhr drücken muss. Ich hatte genügend Spätschichten geschoben in meiner Zeit als Ermittler bei der Berliner Mordkommission, also hätte ich eigentlich an blau gefrorene Finger und eisig kalte Füße gewöhnt sein müssen, ganz zu schweigen von Schlafmangel und beschissener Bezahlung. In solchen Nächten ist ein geschäftiges Stadtkrankenhaus kein schöner Ort für einen Mann, der als Pförtner dazu verdammt ist, bis zum Morgen durchzuarbeiten. Stattdessen sollte er in einem gemütlichen Braukeller am Feuer sitzen, eine Maß Bier mit weißem Schaum vor sich, während seine Frau zu Hause wartet, ein Bild ehelicher Treue, einen Schleier häkelt und überlegt, ob sie seinen Kaffee mit etwas Tödlicherem versüßen soll als einem Extralöffel Zucker.
Wenn ich schreibe, ich sei Nachtpförtner gewesen, dann wäre die genauere Bezeichnung eigentlich «Leichenhauswärter». Aber «Nachtpförtner» klingt besser, wenn man sich gerade so nett unterhält. «Leichenwärter» erweckt bei vielen Leuten Unbehagen. Hauptsächlich bei den Lebenden. Andererseits – wenn man so viele Leichen gesehen hat wie ich, dann neigt man dazu, in Gegenwart des Todes mit keiner Wimper zu zucken. Nach vier Jahren im Schlachthaus von Flandern kann man jede nur vorstellbare Menge Tod ertragen. Abgesehen davon war es eine Arbeit, ein rares Gut dieser Tage, und einem geschenkten Gaul sieht man nicht ins Maul, nicht einmal der alten Mähre draußen vor der Tür, die mir die alten Kameraden – unbesehen – vor den Toren der Leimfabrik in Paderborn gekauft hatten; sie hatten mir eine neue Identität und den Job im Krankenhaus besorgt und mir fünfzig Deutsche Mark in die Hand gedrückt. Also steckte ich hier fest, bis ich etwas Besseres fand, und meine Kundschaft mit mir. Wenigstens beschwerte sich keiner von ihnen über meine Umgangsformen.
Man sollte meinen, die Toten könnten sich um sich selbst kümmern, doch im Krankenhaus starben ständig irgendwelche Leute, und wenn es so weit war, benötigten sie üblicherweise ein wenig Hilfe, um sich zu orientieren. Die Tage, als man Patienten noch einer Defenestration unterzog, waren anscheinend vorüber.
Meine Aufgabe bestand darin, die Toten von den Stationen abzuholen, sie nach unten ins Totenhaus zu schaffen und zu waschen, bevor sie von den Bestattern eingesammelt wurden. Im Winter mussten wir uns nicht darum kümmern, die Leichen zu kühlen oder die Räume mit Insektenmittel einzunebeln – das war nicht nötig, weil es in der Leichenhalle nur ein paar Grad über dem Gefrierpunkt hatte.
Die meiste Zeit arbeitete ich allein, und nach einem Monat im Schwabinger Krankenhaus hatte ich mich fast daran gewöhnt, schätze ich – an die Kälte, an den Gestank und an das Gefühl, allein zu sein und doch nicht wirklich allein, wenn Sie verstehen, was ich meine. Ein- oder zweimal bewegte sich eine Leiche von ganz allein – das tun sie gelegentlich, Gase in der Regel, was mir, wie ich einräumen muss, an die Substanz ging. Andererseits ist das vielleicht auch nicht überraschend. Ich war so lange allein gewesen, dass ich angefangen hatte, mit dem Radio zu reden. Zumindest nahm ich an, dass es das Radio war, aus dem die Stimmen kamen. In einem Land, das Luther, Nietzsche und Adolf Hitler hervorgebracht hat, kann man sich bei derlei Dingen nie absolut sicher sein.
In besagter Nacht musste ich nach oben in die Notaufnahme und eine Leiche abholen, die selbst Dante hätte stocken lassen. Ein Blindgänger – man schätzt, dass in München noch Zehntausende davon vergraben liegen, was Bauarbeiten zu einer recht gefährlichen Angelegenheit macht – war im nahegelegenen Moosach hochgegangen und hatte in einer Bierhalle, die den größten Teil der Explosion abbekommen hatte, mindestens einen Mann getötet und mehrere andere schwer verletzt. Ich hatte die Detonation gehört, unmittelbar vor Antritt meiner Schicht – es hatte geklungen wie donnernder Applaus in Asgard. Wären die Scheiben der Leichenhalle nicht bereits wegen der Zugluft mit Tesafilm verklebt worden, sie wären vermutlich zersprungen. So jedoch war kein wirklicher Schaden entstanden – was war nach all den Jahren schon ein Deutscher mehr, getötet durch die Bombe einer amerikanischen Fliegenden Festung?
Der Leichnam sah aus, als hätte er in einem besonderen Kreis der Hölle in der ersten Reihe gesessen, um von einem sehr wütenden Minotaurus zerkaut und dann in Stücke gerissen zu werden. Hatte er je Freude beim Tanzen gefunden, war es damit jedenfalls vorbei, angesichts der Tatsache, dass seine Unterschenkel nur noch lose an den Knien baumelten; außerdem war er schlimm verbrannt und roch nach gegrilltem Fleisch, was ziemlich grausig war, weil es zugleich auf eine vage und unerklärliche Art den Appetit anregte. Allein die Schuhe waren unversehrt geblieben, alles andere – Kleidung, Haut, Haare – bot einen schlimmen Anblick.
Ich wusch den Toten sorgfältig – sein ganzer Rumpf war eine Piñata aus Glas- und Metallsplittern – und gab mir die größte Mühe, ihn ein wenig herzurichten. Ich steckte seine immer noch glänzenden Salamander in einen Schuhkarton, für den Fall, dass jemand aus der Familie des Verstorbenen vorbeikam, um den armen Teufel zu identifizieren. Man kann an einem Paar Schuhe eine Menge erkennen, aber dies hier hätte keine hoffnungslosere Aufgabe sein können, wenn er die letzten vierzehn Tage hinter einem Streitwagen durch den Staub gezogen worden wäre. Sein Gesicht erinnerte an ein halbes Kilo frisch durch den Wolf gedrehtes Hundefutter, und der schnelle Tod hatte dem armen Kerl vermutlich einen Gefallen getan, auch wenn ich das niemals laut gesagt hätte. Sterbehilfe ist immer noch ein sensibles Thema auf einer langen Liste von sensiblen Themen im modernen Deutschland.
Kein Wunder, dass es so viele Geister in dieser Stadt gibt. Manche Leute leben ein ganzes Leben, ohne je einen zu sehen; ich für meinen Teil sah sie ständig. Auch Geister, die ich schon kannte. Der Krieg war zwölf Jahre her, und ich fühlte mich, als lebte ich auf Schloss Frankenstein. Jedes Mal, wenn ich mich umsah und in ernste, nachdenkliche Gesichter blickte, glaubte ich mich an jemanden von früher zu erinnern. Oft sahen sie aus wie alte Kameraden, aber gelegentlich erinnerte mich auch eines an meine arme Mutter. Ich vermisse sie sehr. Manchmal verwechselten die Geister mich selbst mit einem Geist, was eigentlich nicht weiter überraschend ist, schließlich habe ich – leider – nur meinen Namen geändert, nicht mein Gesicht. Abgesehen davon machte mein Herz Ärger wie ein bockiges Kind, nur dass es nicht so jung war. Immer wieder sprang es wild in meiner Brust umher, als wollte es mir zeigen, dass es das konnte und was passieren würde, sollte es je beschließen, keine Lust mehr auf einen leidigen alten Kerl wie mich zu haben.
Als ich von der Schicht nach Hause kam, achtete ich besonders sorgfältig darauf, das Gas an meinem kleinen zweiflammigen Kocher richtig abzudrehen, nachdem ich das Wasser für den Kaffee gekocht hatte, den ich üblicherweise zusammen mit meinem Morgenschnaps trank. Gas ist genauso explosiv wie TNT, selbst das dünne Zeugs, das fauchend aus den deutschen Leitungen kam. Draußen vor meinem trüben, vergilbten Fenster lag ein fünfundzwanzig Meter hoher überwucherter Schutthaufen – ein weiteres Überbleibsel der Bombardierungen während des Krieges. Siebzig Prozent der Gebäude in Schwabing waren zerstört worden, was mir nur recht sein konnte – die Zimmer in den noch stehenden Häusern waren billig zu mieten. Meines lag in einem Mietshaus, das für den Abriss freigegeben war – es hatte einen Riss in der Seitenmauer, so breit, dass man eine antike Wüstenstadt darin hätte verstecken können. Aber ich mochte den Schutthaufen. Er erinnerte mich immer wieder daran, woraus mein Leben bis vor kurzem bestanden hatte. Ich mochte sogar die Tatsache, dass es einen Einheimischen gab, der seine Fremdenführung durch München damit bewarb, dass er Besucher auf die Spitze des Haufens führte. Oben auf dem Haufen stand ein Gedächtniskreuz, und man hatte eine hübsche Aussicht auf die Stadt. Man musste den Burschen wegen seines Einfallsreichtums bewundern.
Als Junge pflegte ich auf die Berliner Kathedrale zu steigen – alle 264 Stufen – und entlang der Brüstung zu spazieren, mit nichts als den Tauben zur Gesellschaft, doch mir war nie der Gedanke gekommen, daraus ein Geschäft zu machen.
Ich hatte München nie sonderlich gemocht mit seinen Trachtenkleidern und den Blaskapellen, dem strengen Katholizismus und den Nazis. Berlin gefiel mir besser, und das nicht nur, weil es meine Heimatstadt war. München war schon immer eine besser regierbare, willfährigere und konservativere Stadt gewesen als die alte preußische Hauptstadt. Ich hatte es am besten in den frühen Jahren nach dem Krieg gekannt, als meine zweite Frau Kirsten und ich versucht hatten, ein Hotel in einer unmöglichen Lage in einem Vorort von München namens Dachau zu führen, heutzutage berüchtigt wegen des Konzentrationslagers, das dort von den Nazis errichtet worden war. Ich hatte die Stadt schon damals nicht gemocht. Kirsten starb, was die Sache nicht besser machte, und kurze Zeit später ging ich fort im Glauben, nie wieder hierher zurückzukehren – und was soll ich sagen? Da bin ich, ohne Pläne für die Zukunft, wenigstens keine, über die ich jemals reden würde, für den Fall, dass Gott gerade lauscht. Ich finde ihn nicht annähernd so barmherzig, wie viele Bayern behaupten. Insbesondere Sonntagabends. Und erst recht nicht nach Dachau. Doch hier war ich und versuchte, optimistisch zu sein, obwohl Optimismus absolut fehl am Platz war – zumal in meinem beengten kleinen Zimmer –, und mein Bestes zu geben, die freundlichen Seiten des Lebens zu betrachten, auch wenn es sich anfühlte, als lägen diese ausnahmslos hinter einem sehr hohen Stacheldrahtzaun.
Trotz alledem empfand ich eine gewisse Befriedigung in dem, womit ich meinen Lebensunterhalt verdiente. Scheiße wegzuräumen und Leichen zu waschen erschien mir als eine angemessene Buße für meine frühere Tätigkeit: Ich war ein Polizeibeamter gewesen. Kein richtiger Polizeibeamter, sondern ein nützlicher Handlanger beim Sicherheitsdienst, ein Fußabtreter für Typen wie Heydrich, Nebe und Goebbels. Es war zwar keine richtige Buße wie die des alten deutschen Königs Heinrich, der auf den Knien nach Canossa gerutscht war, um die Vergebung des Papstes zu erlangen, aber vielleicht reichte es auch so. Immerhin sind meine Knie, genau wie mein Herz, nicht mehr das, was sie mal waren. Schritt für Schritt bemühte ich mich, wie ganz Deutschland auch, meine moralische Ehrbarkeit zurückzuerlangen. Niemand wird abstreiten, dass man selbst mit winzigen Schritten ganz schön weit kommen kann, selbst auf Knien.
Tatsächlich machte Deutschland damit weitaus bessere Fortschritte als ich selbst, und alles dank dem Alten. So nannten wir Konrad Adenauer, weil er schon dreiundsiebzig war, als er der erste Kanzler von Nachkriegsdeutschland wurde. Mit einundachtzig war er immer noch im Amt und führte außerdem die Partei der Christdemokraten – und wenn man nicht gerade einer der radikalen jüdischen Gruppierungen wie Etzel angehört hatte, die bei mehr als einer Gelegenheit versucht hatten, den Alten zu ermorden, musste man zugeben, dass er verdammt gute Arbeit geleistet hatte. Die Leute redeten bereits vom «Wirtschaftswunder». Dank einer Kombination aus Marshallplan, niedriger Inflation und schnellem industriellem Wachstum gepaart mit harter Arbeit ging es Deutschland wirtschaftlich inzwischen besser als England. Was mich nicht sonderlich überraschte – die Briten waren schon immer hochnäsiger gewesen, als ihnen guttat. Nachdem sie zwei Weltkriege gewonnen hatten, begingen sie den Fehler anzunehmen, dass die Welt ihnen ihren Lebensunterhalt schuldete.
Vielleicht bestand das eigentliche Wunder ja darin, dass die restliche Welt Deutschland vergeben zu haben schien, einen Krieg angefangen zu haben, in dessen Verlauf vierzig Millionen Menschen ums Leben gekommen waren. Und das, obwohl der Alte den gesamten Entnazifizierungsprozess aufgekündigt und ein Amnestiegesetz für unsere Kriegsverbrecher durchgebracht hatte, was sicherlich der Grund für den unterschwelligen und allgemeinen Verdacht war, viele alte Nazis seien zurück in der Regierung. Der Alte hatte auch dafür eine gewiefte Erklärung parat: Er sagte, man müsse sicher sein, genügend frisches Wasser zu haben, bevor man das schmutzige Wasser aus dem Fenster kippte.
Als jemand, der seine Brötchen damit verdiente, tote Deutsche zu waschen, konnte ich ihm nur zustimmen.
Aber natürlich hatte ich auch mehr dreckiges Wasser in meinem Eimer als die meisten, und so schätzte ich die Versenkung, in der ich neuerdings lebte, mehr als alles andere. Wie die Garbo in Grand Hotel wollte ich nichts weiter, als in Ruhe gelassen zu werden, und die Vorstellung, anonym zu sein, gefiel mir sehr viel besser als der kurze Bart, den ich mir hatte wachsen lassen, damit das auch funktionierte. Der Bart war gelblich-grau und ein wenig metallisch und ließ mich klüger aussehen, als ich war. Unser Leben ist das Resultat der Entscheidungen, die wir treffen, umso mehr, wenn diese Entscheidungen falsch waren. Doch die Vorstellung, dass die Bullen mich vergessen hatten, ganz zu schweigen von sämtlichen größeren Geheim- und Sicherheitsdiensten dieser Welt, war gelinde gesagt sehr angenehm. Auf dem Papier sah mein Leben gut aus; tatsächlich war Papier das Einzige, auf dem es wie ein gut gelebtes erschien, was in den Augen von jemandem, der wie ich viele Jahre selbst als Polizist gearbeitet hat, schon wieder verdächtig war.
Aus diesem Grund, und um mein Leben als Christof Ganz glaubhaft zu vermitteln, ging ich in meiner Freizeit oft die nackten Tatsachen von Christofs Leben durch und ersann einige Dinge, die er getan und erreicht hatte. Orte, an denen er gewesen war, Tätigkeiten, die er ausgeübt hatte, und – am wichtigsten von allen – den Kriegsdienst für das Dritte Reich. Mehr oder weniger genauso, wie es jeder andere im neuen Deutschland getan hatte. Ja, wir alle waren sehr kreativ geworden mit unseren Lebensläufen. Einschließlich, wie es schien, mancher Mitglieder der Christdemokraten.
Ich nahm einen weiteren Drink zum Frühstück, natürlich nur als Einschlafhilfe, und ging zu Bett, wo ich von glücklicheren Zeiten träumte oder vielleicht auch nur ein Gebet an den Gott der großen schwarzen Wolke sandte, die über mir am Himmel trieb. Und weil Gebete niemals beantwortet werden, ist es nicht leicht, den Unterschied zu erkennen.
Als ich am folgenden Abend zur Arbeit ging, war das Opfer der Moosacher Bombenexplosion immer noch da, ausgestreckt auf einem Tisch wie das liegengelassene Bankett eines Geiers. Jemand hatte ein Namensschild an seinen Zeh gebunden, was mir angesichts der Tatsache, dass das Bein nicht länger richtig mit dem Körper verbunden war, zumindest unbedacht vorkam. Der Name des Toten war Johann Bernbach, und der Mann war erst fünfundzwanzig Jahre alt gewesen.
Inzwischen wusste ich aus der Süddeutschen Zeitung ein wenig mehr über die Bombe. Es war eine Zweihundertfünfzig-Kilo-Bombe gewesen, die auf der Baustelle gleich neben einer Bierhalle in der Dachauer Straße hochgegangen war, keine fünfzig Meter entfernt von den städtischen Gaswerken. Im Gasometer lagerten mehr als zweihunderttausend Kubikmeter Gas, und so war der allgemeine Tenor in der Zeitung, dass die Stadt großes Glück gehabt habe mit lediglich zwei Toten und sechs Verletzten, und das sagte ich auch zu Bernbach, als ich ihn sah.
«Ich hoffe, du hattest wenigstens ein paar Bier intus, als du deine Fahrkarte gelocht hast, mein Freund. Genug, um den Schrapnellen die Schärfe zu nehmen. Hör zu, ich weiß, dass es für dich keine Bedeutung mehr hat, aber dein unerwarteter Tod wird nicht mit dem gebührenden Respekt behandelt. Um ganz offen zu sprechen, Johann, es scheint, als wären alle froh, dass es nur dich erwischt hat. Es gibt nämlich ein Gasometer in der Nachbarschaft, wo der Riesenkürbis hochgegangen ist. Und es war voll bis an den Rand. Mehr als genug, um meine kleine Abteilung hier im Krankenhaus für Wochen mit Arbeit zu versorgen. Irgendwie passend, dass du hier gelandet bist, nachdem dich eine Ami-Bombe erledigt hat. Bis vor einem Jahr war das hier nämlich ein amerikanisches Hospital. Wie dem auch sei, ich hab mein Bestes für dich getan. Den größten Teil der Glassplitter hab ich aus dir rausgezogen und deine Beine ein bisschen festgebunden. Jetzt ist der Bestatter an der Reihe.»
«Reden Sie immer so mit Ihren Kunden?»
Ich drehte mich um und erblickte Herrn Schumacher, einen der Krankenhausdirektoren. Er stand in der Tür und sah mich fragend an. Schumacher stammte aus Österreich, aus Braunau am Inn, einer kleinen Stadt an der deutschen Grenze, und obwohl er kein Arzt war, trug er einen weißen Kittel, vermutlich, um wichtiger auszusehen.
«Warum nicht? Sie geben selten Widerreden. Abgesehen davon muss ich gelegentlich mit jemand anderem reden als mir selbst, sonst werde ich verrückt.»
«Meine Güte … Du lieber Gott, ich hatte keine Ahnung, dass er so übel aussieht.»
«Sagen Sie das nicht, das verletzt seine Gefühle.»
«Es ist nur, oben auf Station 10 wartet ein Patient, der bereit ist, den armen Teufel offiziell zu identifizieren, bevor er heute Abend selbst aus dem Krankenhaus entlassen wird. Einer der anderen Verletzten von gestern. Er sitzt im Rollstuhl, aber mit seinen Augen ist alles in Ordnung. Ich hatte gehofft, Sie könnten ihn hierherrollen und die Sache wäre erledigt, aber jetzt, wo ich die Leiche gesehen habe, bin ich nicht mehr sicher, ob er nicht vielleicht ohnmächtig wird. Himmel, ich wäre selbst beinahe umgekippt.»
«Wenn er im Rollstuhl sitzt, macht das wohl nicht so viel aus. Ich kann ihn ja hinterher an die frische Luft schieben, bis er sich erholt hat. Oder in ein anderes Krankenhaus.» Ich steckte mir eine Zigarette an und ließ den Rauch durch meine dankbaren Nüstern entweichen. «Oder wenigstens irgendwohin, wo es saubere Wäsche gibt.»
«Sie wissen schon, dass Sie hier drin nicht rauchen dürfen?»
«Das weiß ich. Und ich habe auch schon Beschwerden deswegen gehört. Aber Fakt ist, ich rauche aus medizinischen Gründen.»
«Die da wären?»
«Der Gestank.»
«Oh. Der. Ja, ich verstehe, was Sie meinen.» Schumacher nahm eine aus der Packung, die ich ihm hinhielt, und ließ sich von mir Feuer geben. «Decken Sie die Toten nicht normalerweise mit irgendwas zu? Einem Laken oder so?»
«Wir hatten keinen Besuch erwartet. Aber während die Jungs von der Wäscherei streiken, sind die sauberen Laken für die Lebenden reserviert. Jedenfalls hat man mir das so gesagt.»
«Ja, gut. Aber können Sie vielleicht etwas mit seinem Gesicht machen?»
«Was würden Sie vorschlagen? Eine eiserne Maske vielleicht? Allerdings hilft die bei der formellen Identifizierung nicht wirklich weiter. Ich bezweifle, dass seine eigene Mutter ihn erkennen würde. Hoffen wir, dass sie es nicht versuchen muss. Aber angesichts seiner offenkundigen Ähnlichkeit mit nichts, was man in den Mund nehmen könnte, ohne den Namen des Herrn zu bemühen, wie Sie es eben getan haben, denke ich, wir sollten uns vielleicht auf andere unveränderliche Merkmale beschränken, meinen Sie nicht?»
«Hat er welche?»
«Genau eins. Eine Tätowierung auf dem Unterarm.»
«Nun, das sollte helfen.»
«Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Es ist eine Nummer.»
«Wer lässt sich denn eine Nummer tätowieren?»
«Juden beispielsweise. In Konzentrationslagern. Zur Identifikation.»
«Das haben die gemacht?»
«Nein, eigentlich waren wir das. Wir Deutschen. Die Landsleute von Beethoven und Goethe. Es war wie ein Lotterieschein, aber keiner, der einen Gewinn bedeutete. Dieser Kamerad hier muss als Kind in Auschwitz gewesen sein.»
«Wo ist das denn?»
Schumacher gehörte zu der Sorte von dummen Österreichern, die immer noch glaubten, ihr Land wäre die erste freie Nation gewesen, die die Nazis sich einverleibt hatten, und sei deswegen nicht verantwortlich für die darauffolgenden Geschehnisse. Was doppelt schwierig war, wenn man aus Braunau am Inn stammte, der Geburtsstadt von Adolf Hitler. Gut möglich, dass Schumacher deswegen von dort weggegangen war, was ich ihm nicht verübeln konnte. Aber ich verspürte ohnehin nicht den Drang, mit ihm über irgendetwas zu diskutieren, was er glaubte. Er war schließlich mein Chef.
«Polen, glaube ich. Aber das spielt keine Rolle. Nicht mehr.»
«Hören Sie, Herr Ganz, sehen Sie zu, was Sie mit seinem Gesicht machen können, ja? Und dann holen Sie den Zeugen her.»
Als Schumacher gegangen war, suchte ich den Raum nach einem sauberen Handtuch ab und fand schließlich in einem Schrank eins, das die Amis zurückgelassen haben mussten. Es war ein «Mickey Mouse Club»-Handtuch, nicht gerade ideal für meine Zwecke, doch es sah viel besser aus als der Mann auf dem Tisch. Also legte ich es über sein Gesicht und ging nach oben, um den Patienten zu holen.
Er war bereits angezogen und erwartete mich, doch ich hatte nicht mit den beiden Bullen gerechnet, die neben ihm standen, obwohl ich mir das hätte denken können, weil er sich einverstanden erklärt hatte, beim Identifizieren eines Toten zu helfen, und so was tun Bullen eben, wenn sie nicht den Verkehr regeln oder Uhren klauen. Der kleinere der beiden trug Uniform, der andere war in Zivil. Das Schlimme war: Ich glaubte, den Typen in Zivil zu kennen, und ich schätze, er glaubte, auch mich zu kennen. Ungünstig, weil ich gehofft hatte, den Münchner Bullen aus dem Weg zu gehen, bis mein Bart ein wenig länger gewachsen war. Dafür war es nun zu spät. Also brummte ich ein mürrisches «Guten Abend» in die Runde, packte den Rollstuhl an den Griffen und schob den Patienten mit den beiden Bullen im Schlepptau in Richtung Aufzug. Ich machte mir keine Gedanken, sie könnten an meinem Benehmen Anstoß nehmen, schließlich war ich nur ein Nachtwächter, und sie mussten mich nicht mögen, sie mussten mir lediglich nach unten in die Leichenhalle folgen.
Es war kein guter Rollstuhl, weil er deutlich nach links zog, was angesichts der Masse des verwundeten Patienten allerdings nicht weiter überraschte. Viel überraschender war, dass der Stuhl überhaupt rollte. Der Patient war ein verfetteter Kerl Ende dreißig, und sein Bierbauch lag in seinem Schoß wie eine Tasche mit all seinen weltlichen Besitztümern. Ich wusste, dass es ein Bierbauch war, weil ich daran arbeitete, mir selbst einen zuzulegen, sobald ich nur erst eine Lohnerhöhung bekam. Abgesehen davon stanken seine Sachen nach Bier, als hätte er im Moment der Explosion einen steinernen Maßkrug Pschorr im Schoß gehalten.
«Wie gut kannten Sie den Verstorbenen, Herr Dorpmüller?», wollte der Bulle in Zivil wissen, als er uns durch den Korridor folgte.
«Ziemlich gut», antwortete der Mann im Rollstuhl. «Er war die letzten drei Jahre mein Klavierspieler im Apollo. Das ist das Kabarett, das ich im Hotel München betreibe, von der Bierhalle gleich die Straße hoch. Johann konnte alles spielen. Von Jazz bis Klassik. Meine Frau und ich waren mehr oder weniger alles, was er an Familie hatte, nach allem, was ihm zugestoßen war. Wirklich schlimm, dass es ausgerechnet Johann erwischt hat. Ich meine, nachdem er als Kind in den Lagern war und so und überlebt hat.»
«Erinnern Sie sich an die Explosion?»
«Nein, eigentlich nicht. Wir wollten gerade aufbrechen, um für den Abend zu öffnen, als es passiert ist. Wissen Sie eigentlich inzwischen, wie es dazu kommen konnte? Die Bombe, meine ich?»
«Es sieht danach aus, als hätte einer der Arbeiter auf der Baustelle neben der Bierhalle mit seiner Spitzhacke den Zünder getroffen. Wir haben noch nicht einmal Überreste von ihm gefunden, was die Befragung schwierig macht. Vermutlich bleibt es dabei. Ich nehme an, die Anwohner werden seine Atome noch für ein paar Tage inhalieren. Sie hatten großes Glück, wissen Sie das? Einen Meter näher an der Tür, und Sie wären ebenfalls tot gewesen.»
Ich musste dem Bullen insgeheim recht geben. Ich blickte hinab auf zwei versengte Ohren, die aussahen wie die Blütenblätter eines Weihnachtssterns, und eine lange Naht am Hals des Mannes erinnerte mich an die Schienen der Transsibirischen Eisenbahn. Sein Arm steckte im Gips, und überall hatte er winzige Schnittwunden auf der Haut. Offensichtlich war Herr Dorpmüller nur um Haaresbreite davongekommen.
Wir nahmen den Aufzug hinunter ins Kellergeschoss, wo ich mir vor der Tür zur Leichenhalle eine weitere Eckstein anzündete und wie Orson Welles ein paar mahnende Worte von mir gab, bevor ich die drei einließ. Wenn ich mir Gedanken um ihre Mägen machte, dann nur, weil ich derjenige war, der hinterher den Inhalt vom Boden aufwischen musste.
«Also schön, meine Herren. Wir sind da. Aber bevor wir hineingehen, möchte ich Sie warnen. Der Verstorbene bietet keinen sehr appetitlichen Anblick. Zum einen sind wir in diesem Krankenhaus zurzeit knapp an sauberer Wäsche. Demzufolge ist er nicht mit einem Laken zugedeckt. Zum anderen sind die Beine nicht mehr an seinem Leib, der sehr schlimm verbrannt ist. Ich habe getan, was ich konnte, um ihn ein wenig sauber zu machen, aber Fakt ist: Sie können den Mann dort drin nicht auf die übliche Weise identifizieren, womit ich sein Gesicht meine. Er hat nämlich keines mehr. Wie es aussieht, wurde es von umherfliegenden Glassplittern zerfetzt, und es besitzt nicht mehr Ähnlichkeit mit der Fotografie in seinem Pass als ein Teller Rotkohl. Weswegen ein Handtuch über seinem Kopf liegt.»
«Sagen Sie bloß», sagte der Bulle in Zivil.
Ich lächelte geduldig. «Es gibt andere Möglichkeiten, den Toten zu identifizieren, denke ich. Unveränderliche Merkmale. Alte Narben. Ich habe gehört, dass man inzwischen mit etwas operiert, das man Fingerabdrücke nennt.»
«Johann hatte eine Tätowierung am Handgelenk», sagte der Mann im Rollstuhl. «Eine sechsstellige Zahl aus dem Konzentrationslager, in dem er als Kind war. Birkenau, glaube ich. Er hat sie mir nur ein- oder zweimal gezeigt, aber ich glaube, die ersten drei Ziffern waren eins vier null. Und er hatte sich gerade erst neue Schuhe gekauft, von Salamander.»
Während Dorpmüller die Tätowierung inspizierte, ging ich die Schuhe holen und ließ sie ihn ebenfalls in Augenschein nehmen. Dann stellte ich mich neben den uniformierten Bullen und nickte, als er fragte, ob er ebenfalls rauchen dürfe.
«Es ist der Gestank, wissen Sie?», gestand er. «Formaldehyd, oder?»
Ich nickte erneut.
«Mir wird immer schlecht davon.»
«Also, ist er es?», fragte der Zivilbulle.
«Sieht so aus», antwortete Dorpmüller.
«Sind Sie sicher?»
«So sicher, wie ich sein kann, ohne sein Gesicht zu sehen, schätze ich.»
Der Kriminaler sah auf das Micky-Maus-Handtuch über dem Kopf des Toten und dann anklagend zu mir. «Wie schlimm ist es wirklich?», fragte er. «Sein Gesicht?»
«Schlimm», antwortete ich. «Daneben sieht der Wolfsmensch aus wie der nette Nachbar von nebenan.»
«Sie übertreiben.»
«Kein Stück. Aber Sie können meinen Ratschlag natürlich ignorieren, wenn Sie wollen. Niemand hört auf mich hier unten, warum sollten Sie eine Ausnahme machen?»
«Gottverdammt!», schnarrte er. «Wie soll ich einen Leichnam identifizieren, wenn er kein Gesicht mehr hat?»
«Das ist ein Problem, zugegeben», räumte ich ein. «Es geht nichts über ein Leichenschauhaus, um an die Vergänglichkeit menschlichen Fleisches zu erinnern.»
Aus irgendeinem Grund schien der Kriminaler mich für diese Unbequemlichkeit verantwortlich zu machen, als würde ich versuchen, seine Ermittlung zu behindern.
«Was zum Teufel ist überhaupt los mit euch Typen hier drin? Hätten Sie nicht was anderes nehmen können, um sein Gesicht zuzudecken? Ganz zu schweigen vom Rest der Leiche? Ich habe von der FKK-Kultur in diesem Land gehört, aber das ist absurd!»
Ich zuckte zur Antwort mit den Schultern, was ihn nicht zufriedenzustellen schien, was wiederum nicht mein Problem war. Ich hatte noch nie ein Problem damit, Bullen zu enttäuschen, nicht einmal, als ich selbst noch einer war.
«Dieses dämliche Handtuch ist respektlos!», beharrte der Beamte. «Und was noch schlimmer ist, Sie wissen das genau!»
«Das hier war früher ein amerikanisches Krankenhaus», sagte ich erklärend. «Und das Handtuch war alles, was es hier unten gab.»
«Micky Maus! Ich hätte gute Lust, Sie zu melden, Kollege!»
«Sie haben recht», räumte ich ein. «Es ist respektlos. Entschuldigung.»
Ich riss das Handtuch vom Kopf des Toten und warf es in den Wäscheeimer in der Hoffnung, den Kerl zum Schweigen zu bringen. Es gelang beinahe, nur dass alle drei Männer ächzten und schnauften. Der Bulle in Uniform drehte sich zur Wand, und sein Kollege in Zivil schlug sich eine große Hand über das noch größere Maul. Lediglich der verletzte Patient im Rollstuhl saß da und starrte in grausiger Faszination auf den Toten, wie ein Kaninchen vor der Schlange, die im Begriff steht, es zu fressen, und vielleicht begriff er zum ersten Mal wirklich, wie haarscharf er dem gleichen Schicksal entgangen war.
«Das machen Bomben mit einem», sagte ich. «Man kann so viele Monumente und Statuen errichten, wie man will, aber es sind Anblicke wie dieser hier, die sich wirklich ins Gedächtnis brennen und einem die Sinnlosigkeit des Krieges vor Augen führen.»
«Ich rufe einen Bestatter», flüsterte der Mann im Rollstuhl, als hätte er bis zu diesem Moment nicht wirklich geglaubt, dass Johann Bernbach tot war. «Sobald ich zu Hause bin.» Um dann hinzuzufügen: «Kennen Sie vielleicht einen Bestatter?»
«Ich hatte gehofft, dass Sie mich danach fragen.» Ich reichte ihm eine Visitenkarte. «Wenn Sie Herrn Urban sagen, dass Christof Ganz Sie geschickt hat, erhalten Sie einen Rabatt von ihm.»
Es war kein großer Rabatt, aber Urban würde mir ein kleines Trinkgeld zahlen, wenn er den Auftrag bekam. Ich schätzte, wenn ich jemals aus dieser Leichenhalle herauswollte, musste ich mich selbst um meine Zukunft kümmern.
Es war zehn Uhr, als Adolf Urban vorbeikam, um Johann Bernbach in sein neues und dauerhafteres Heim zu bringen. Der Bestatter redete normalerweise nicht viel, doch an jenem Abend – angerührt vom Anblick des Gesichts des Toten, vielleicht einem neuen Geschäft und ein paar Maß Bier, die er vor seinem Besuch im Schwabinger Krankenhaus genossen hatte – war er geradezu geschwätzig.
«Danke für den Tipp», sagte er und gab mir ein paar Mark.
«Ich weiß nicht, ob es ein so guter war», erwiderte ich. «Sie werden eine Menge Arbeit haben mit dem.»
«Nein, keine Sorge. Der Sarg wird geschlossen sein, denke ich. Der Versuch, diesen armen Teufel aussehen zu lassen wie Cary Grant, wäre reine Zeitverschwendung. Ihr Gesicht hingegen interessiert mich viel mehr, Herr Ganz.»
Ich zuckte innerlich zusammen und hoffte, dass ich nicht erkannt worden war. Aus früheren Unterhaltungen mit Urban wusste ich, dass er einige der weniger wichtigen Nazis verbrannt hatte, die 1949 in Landsberg von den Amis aufgeknüpft worden waren. Sie mussten nicht unbedingt Geschichten erzählt haben, aber meiner Erfahrung nach konnte man nicht vorsichtig genug sein, wenn es um eine Vergangenheit ging, die man abzuschütteln versuchte wie eine schlimme Erkältung.
«Mir fehlt nämlich ein Sargträger. Ich dachte mir, wo Sie doch immer nachts hier sind und so, könnten Sie vielleicht vorbeikommen und sich ein wenig dazuverdienen, wenn Sie tagsüber für mich arbeiten. Kommen Sie schon, was machen Sie sonst am Tag? Schlafen? Das bringt kein Geld. Abgesehen davon haben Sie das richtige Gesicht dafür, Herr Ganz. Ich führe ein Geschäft, bei dem man ein Pokerface braucht, und Ihres sieht aus, als wäre es unter dem Filz eines Kartentischs entstanden. Es verrät absolut nichts. Genau wie Ihr Mund. In meinem Geschäft ist es wichtig zu wissen, wann man die Klappe halten muss. Was so gut wie immer der Fall ist. Immer.»
Er selbst hatte eine schiefe, beinahe obszöne Visage, wie ein Stück geschmolzenes Plastik, mit einer ununterbrochen laufenden Nase, die an einen sehr kurzen Pimmel samt Eiern erinnerte, und Augen, die beinahe so tot waren wie seine Kundschaft.
«Ich nehme das als ein Kompliment.»
«Das ist es – in Deutschland.»
«Aber wenn mein Gesicht auch Ihren Erfordernissen genügt – ich besitze nicht die entsprechende Garderobe. Nicht mal eine Krawatte.»
«Das ist kein Problem. Ich kann Sie ausstatten, Anzug, Mantel, Schlips – solange Sie nichts gegen Schwarz haben. Möglicherweise müssen Sie diesen dünnen Bart abrasieren. Sie sehen damit aus wie Dürer. Andererseits, wenn ich darüber nachdenke, behalten Sie ihn. Ohne wären Sie zu blass. Das ist nicht gut bei einer Trauerfeier. Sie sollen ja nicht aussehen wie jemand, der nach Einbruch der Dunkelheit zurückkehrt und sich an den Leichen vergeht. Davon haben wir schon zu viele in Deutschland. Also. Was sagen Sie?»
Ich sagte Ja. Er hatte natürlich recht. Abgesehen davon, dass ich fast nur noch nachts unterwegs war, konnte ich das Geld gebrauchen, und wenn man den ganzen Tag im Bett lag, gab es keins zu verdienen. Nicht mit meinem Erscheinungsbild. Also trug ich eine oder zwei Wochen später einen schwarzen Frack mit Schlips und einen glänzenden Zylinder auf dem Kopf sowie einen Ausdruck in meinem ordentlich gestutzten Gesicht, der Nüchternheit und Würde vermitteln sollte. Die Nüchternheit stand zur Debatte – der frühmorgendliche Schnaps war eine Angewohnheit, die ich zunehmend schwierig zu kontrollieren fand. Glücklicherweise war es jedoch der gleiche Gesichtsausdruck, der auch meine stupide Unverschämtheit, meinen Skeptizismus und all meine anderen gewinnenden Eigenschaften begleitete, also musste ich kein Lionel Barrymore sein, um ihn zustande zu bringen. Nicht dass ich viel Wert auf meine Eigenschaften gelegt hätte – Männer bestehen mehr oder weniger aus nichts weiter als den paar Merkmalen, die die schweigende Billigung einer sehr kleinen Anzahl von Frauen gefunden haben.
Es schneite stark, als ich – einer von vier Sargträgern – auf dem Ostfriedhof aus dem Wagen stieg, um Bernbachs sterbliche Überreste in das Krematorium zu tragen, wo die Amis Urbans Worten zufolge heimlich die zwölf ranghöchsten Nazis eingeäschert hatten, nachdem sie 1946 in Nürnberg gehängt worden waren.
Weniger bekannt war die Tatsache, dass auch die Asche meiner zweiten Frau Kirsten auf dem Ostfriedhof begraben lag. Als alles vorbei war und Urban zu mir kam, um mir meinen Lohn und mein Trinkgeld zu geben, erzählte ich nichts davon, hauptsächlich aus Scham, dass ich die Stelle in der Friedhofsmauer, wo die Urne mit ihren Überresten ruhte, seit Kirstens Beisetzung nicht ein einziges Mal aufgesucht hatte. Nicht ein einziges Mal. Doch jetzt, wo ich hier war, beabsichtigte ich, dies zu ändern. Mit einem Mal fühlte ich mich wie ein richtiger treuliebender Ehemann.
«Ich dachte, der Tote wäre Jude», sagte ich zu Urban, als wir zusahen, wie die Trauergäste aus der neugotischen Heiligkreuzkapelle strömten, wo wir den Leichnam soeben den Flammen übergeben hatten. Unter den Gästen war fast das gesamte Ensemble des Apollo-Kabaretts sowie der große missmutige Kriminaler, den ich aus der Leichenhalle im Krankenhaus kannte.
«Nicht praktizierend.»
«Macht das einen Unterschied? Wenn man Jude ist?»
«Woher soll ich das wissen? Aber heutzutage ist es nicht so einfach, in dieser Stadt jemanden zu finden, der eine ordentliche jüdische Beisetzung durchführen könnte. Das letzte Mal musste die Familie des Verstorbenen einen Rabbi aus Augsburg bestellen. Außerdem ziehen Juden eine Erdbestattung vor und lassen sich nicht verbrennen. Was die Sache doppelt schwierig macht bei dem hartgefrorenen Boden dieser Tage. Ganz zu schweigen davon, dass auf dem alten jüdischen Friedhof in Pfersee immer noch eine Menge Blindgänger herumliegen. Niemand weiß, was dort unter dem Schnee alles lauert. Glücklicherweise konnte ich die Freunde des Verstorbenen, die großzügig für alle Kosten der Bestattung aufkommen, davon überzeugen, ihn auf christliche Weise beizusetzen. Schließlich wäre es eine Schande, wenn noch jemand durch eine alte amerikanische Bombe in die Luft fliegen würde, meinen Sie nicht?» Er zuckte die Schultern. «Abgesehen davon, welche Rolle spielt es noch für einen, wenn man tot ist?»
«Da spricht der Bestatter.»
«Es ist ein Geschäft, keine Berufung.»
«Ich bin sicher, dass mir egal ist, was mit meiner Leiche passiert.»
Urban sah sich um. «Außerdem liegen eh schon reichlich Juden hier auf dem Ostfriedhof. Viele Gefangene aus Dachau wurden eingeäschert, und ihre Asche hat man hier verstreut.»
«Zusammen mit den hohen Nazi-Tieren, die Sie erwähnten?»
«Zusammen mit den hohen Nazi-Tieren.» Er zuckte die Schultern. «Ich nehme an, wir müssen darauf vertrauen, dass Gott weiß, wer wer ist.» Er reichte mir einen Umschlag. «Kann ich morgen wieder auf Sie zählen? Gleiche Zeit, gleicher Ort?»
«Wenn ich morgen noch lebe, bin ich da.»
«Sie leben morgen noch. Ganz bestimmt. Wenn man so lange in dem Geschäft ist wie ich, kriegt man einen Blick dafür. Sie werden es vielleicht nicht glauben, mein Freund, aber Sie haben noch ein paar Jahre vor sich.»
«Sie sollten eine Klinik in der Schweiz aufmachen. Dort gibt es eine Menge Leute, die viel Geld für eine positive Diagnose wie diese zahlen würden.» Ich steckte mir eine Zigarette an und sah zum Himmel hinauf. «Ich mag diesen Ort. Vielleicht ziehe ich eines Tages für immer hierher.»
«Daran zweifle ich nicht.»
«Brauchen Sie mich noch?»
«Nein. Sie sind hier fertig für heute. Gehen Sie nach Hause, legen Sie sich in die Kiste, und schlafen Sie sich aus.»
«Mach ich. Aber zuerst muss ich jemanden besuchen. Auch Dracula hatte mal eine Braut, wissen Sie?»
Mit meinem Umschlag in der Tasche ging ich davon, und nach vielem Suchen – auch in meiner eigenen schwarzen Seele – fand ich Kirstens stoische Überreste. Ich stand für eine Weile dort, während ich mich wortreich dafür entschuldigte, dass ich nicht früher gekommen war – sowie für einen ganzen Schwung anderer Dinge –, und unternahm ganz allgemein einen Spaziergang ans andere Ende meiner brüchigen und vermutlich wenig verlässlichen Erinnerungen. Ich wäre noch länger geblieben, doch auf dem Steinpaneel stand GELIEBTE FRAU VON BERNHARD GUNTHER eingemeißelt, und aus den Augenwinkeln bemerkte ich den großen Zivilbullen aus dem Hospital, der in meine Richtung kam. Inzwischen war mir auch sein Name wieder eingefallen, doch ich hoffte immer noch, dass ihm umgekehrt meiner nicht einfallen würde. Also ging ich davon, verweilte kurz vor einem anderen Gedenkstein in dem erbärmlichen Bemühen, ihn von meiner Spur abzubringen, und schlug dann den Weg zum Haupttor ein – nur um ihm hinter dem Grabmal des Herzogs Ludwig Wilhelm in Bayern in die Arme zu laufen, wo er mir aufgelauert hatte. Es war gerade groß genug dafür – der riesige Bulle war noch riesiger, als ich ihn in Erinnerung hatte.
«Hey, Sie! Ich will mit Ihnen reden!»
«Wie Sie sehen, bin ich in Trauer.»
«Unsinn. Sie waren einer der Sargträger, das ist alles. Ich habe mich nach Ihnen erkundigt. Im Krankenhaus.»
«Wie nett von Ihnen, aber ich erhole mich gut, danke sehr.»
«Dort hat man mir gesagt, Ihr Name wäre Ganz.»
«Das ist richtig.»
«Nein, ist es nicht. Der Mädchenname meiner Frau ist Ganz. Und daran hätte ich mich erinnert, als wir uns das erste Mal begegnet sind. Vor langer Zeit, noch bevor Hitler an die Macht gekommen ist, denke ich. Bevor Sie sich diesen Bart haben stehen lassen.»
Ich war versucht, eine Bemerkung über seine Frau zu machen, doch ich besann mich eines Besseren – es ist nicht nur das Gewissen, das uns alle zu Feiglingen macht, sondern unsere falschen Namen und heimlichen Geschichten. «Vielleicht ist Ihr Gedächtnis ja besser als meines, Herr …?», sagte ich.
«Ist es nicht. Noch nicht jedenfalls. Weil ich mich nämlich immer noch nicht an Ihren richtigen Namen erinnere. Aber ich bin mir mehr oder weniger sicher, dass Sie damals bei der Polizei waren.»
«Ich bei der Polizei? Guter Witz!»
«Ja, ich erinnere mich, dass ich das damals auch gedacht habe. Sie waren nämlich ein judenfreundlicher Berliner Polizist und auf der Suche nach diesem anderen Ermittler, den ich vom Präsidium kannte. Meinem alten Chef.»
«Wie war sein Name? Charlie Chan?»
«Nein, Herzefelde. Paul Herzefelde. Er wurde ermordet. Soweit ich mich erinnere, musste man Sie sogar für eine Nacht einsperren, weil Sie dachten, wir würden nicht genug unternehmen, um seinen Mörder zu finden.»
Das stimmte, keine Frage. Jedes einzelne Wort war wahr. Ich vergesse niemals ein Gesicht, ganz besonders kein Gesicht wie seins, das wie geschaffen war, um Bücher zu verbrennen und Ketzer zu denunzieren, vermutlich sogar beides gleichzeitig. Lachfalten, so hart und humorlos wie ein Drahtkleiderbügel, waren zu beiden Seiten einer Nase eingemeißelt, die aussah wie der Dorn an einer Hellebarde. Über der Hakennase saßen die kleinen, ausdruckslosen blauen Augen einer Riesenmuräne. Der Unterkiefer war unpassend breit, und seine Gesichtsfarbe hatte beinahe einen Purpurton, obwohl das vielleicht auch an der Kälte lag; Statur, Größe und die weißen Haare erinnerten hingegen an einen Schwergewichtsboxer im Ruhestand. Ich hatte das Gefühl, als könne er mich jeden Moment mit seinem Jab abtasten oder seine massige rechte Faust tief in das rammen, was noch vom solaren Teil meines Plexus übrig war. Ich erinnerte mich, dass er Schramma hieß und damals Kriminalsekretär beim Münchner Polizeipräsidium gewesen war, und während mir sonst nicht viel im Gedächtnis haftengeblieben war, erinnerte ich mich noch genau an die Nacht, die ich dort in der Zelle verbracht hatte.
«Und das war merkwürdig, verstehen Sie? Niemand mochte Paul Herzefelde. Und nicht nur, weil er ein Jude war, wie er im Buche steht. Man hielt ihn außerdem für einen Gauner. Einen korrupten Gauner. Das konnte man auf einen Blick an seiner Garderobe erkennen. Er stand im Verdacht, von einem der größten Betrüger Münchens, einem Kerl namens Kohl, bestochen worden zu sein, um wegzusehen. Die Leute glaubten, die Nazis hätten Herzefelde umgebracht, aber die waren es vermutlich gar nicht. Ich schätze, er war nicht zufrieden mit seinem Bestechungsgeld und wollte Kohl erpressen, damit der mehr springen lässt, aber Kohl wollte nicht.»
«Sie verwechseln mich mit jemandem. Ich bin nie einem Mann mit diesem Namen begegnet. Und ich war auch nie Polizist in Berlin. Ich hasse die Bullen.» Ich dachte an meinen selbstgeschriebenen Lebenslauf und schalt mich innerlich dafür, dass ich die Weimarer Jahre vernachlässigt hatte. «Ich habe eine Zeitlang in Berlin gearbeitet, das stimmt, aber als Türsteher im Hotel Adlon. Vielleicht haben Sie mich dort gesehen, Herr …?»
«Schramma. Kriminalsekretär Schramma. Wissen Sie, Freundchen, es ist mir egal, ob Sie sich einen neuen Namen zugelegt haben oder nicht. Jede Menge Leute laufen dieser Tage mit falschen Namen durch die Gegend, und das aus allen möglichen klugen Gründen. Glauben Sie mir, wenn man als Polizist in dieser Stadt arbeitet, braucht man zwei Telefonbücher, nur um zu wissen, mit wem zum Teufel man eigentlich gerade redet. Aber falls Sie Arbeit suchen, dann kann ich Ihnen vielleicht weiterhelfen. Um der alten Zeiten willen.»
«Ich glaube nicht, dass Sie mir wirklich weiterhelfen wollen, oder? Mein Eindruck ist eher, dass Sie versuchen, mich durchzuschütteln, in der Hoffnung, dass mir vielleicht irgendwas aus den Taschen fällt. Aber ich bin ein Mann mit zwei Arbeitsstellen, was bedeutet, dass ich pleite bin, verstehen Sie? So viel sollte offensichtlich sein. Und wenn noch Äpfel an meinen Zweigen hängen, dann sind sie entweder angefressen oder verrottet.»
Schramma grinste dümmlich. «Wissen ist Macht, richtig? Ich weiß nicht, wer das gesagt hat, aber ich wette, es war ein Deutscher.»
Ich widersprach ihm nicht, und er bemerkte die Ironie in seinen Worten nicht. «Hören Sie, was zur Hölle interessiert es Sie überhaupt, wer ich bin? Ich bin so vom Pech verfolgt, dass Casinos bei mir anfragen, ob ich nicht vorbeikommen und den schlimmsten Glückspilzen eine Pechsträhne verpassen will. Ich sag’s Ihnen noch mal: Ich bin ein Niemand, Sie großer Affe. Sie verschwenden Ihre Zeit. Es gibt Tafeln in Klassenzimmern, die sind wichtiger als ich.»
«Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Aber ich kann Ihnen eins versprechen: Sobald ich herausfinde, wer Sie wirklich sind, Ganz, gehören Sie mir. Ich hab genau wie Sie die eine oder andere zusätzliche Arbeit angenommen, um mich über Wasser zu halten. Sicherheitsdienste. Private Ermittlungen. Meistens ist es langweilig und zeitraubend, aber manchmal ist es auch gefährlich. Was bedeutet, dass ich einen Ex-Polizisten wie Sie gut gebrauchen könnte. Für alle möglichen Dinge, wie Sie sich bestimmt denken können.»
Da hatte er womöglich recht. Ich war nicht sicher, an was genau er dachte, doch ich hatte in meiner Zeit als Polizeibeamter in Berlin selbst genügend Abschaum unter Druck gesetzt, um zu wissen, dass nichts von alledem, was er sagte, zu meinem Vorteil war.
«Denken Sie nicht mal dran, einfach zu verschwinden, Ganz. Wenn Sie das tun, muss ich den Namen Christof Ganz als Verdächtigen in einem alten Fall nennen, auf den niemand mehr einen Dreck gibt. Sie wissen genau, dass ich alle möglichen Personenbeschreibungen so hinbiegen kann, dass sie auf Sie passen. Vermutlich haben Sie so was selbst schon gemacht.»
Ich schnippte meinen Zigarettenstummel gegen den glatten grünen Hintern des Engels, der nach der Seele des Herzogs Ausschau hielt, und stieß einen missmutigen Seufzer aus – der zu meinem Ärger ein ganzes Stück weniger verstimmt klang, als ich es gegenwärtig war. «Nur zu, Bulle, tun Sie Ihr Bestes. Aber ich gehe jetzt, bin schon spät dran. Ich habe nämlich eine Verabredung mit meinem Lieblings-Barmann.»
Das war natürlich nichts weiter als ein Bluff. Ich mochte vielleicht ein Pokergesicht haben, aber ich hatte nichts auf der Hand.
Ich hatte meine Arbeit im Krankenhaus beendet und ging in den Waschraum neben der Leichenhalle, um mich sauber zu machen. Während ich vor dem Waschbecken stand, betrachtete ich ziemlich freudlos mein Gesicht im Spiegel. Was mir missfiel, waren die Aura von Enttäuschung und der verlebte Ausdruck, die unsteten roten Augen und der lauernde Blick, als erwartete ich jeden Moment, dass mir jemand auf die Schulter tippte, um mich anschließend zu einem Wagen zu führen und für die nächsten zehn Jahre in eine Gefängniszelle zu stecken.
Ich verließ das Krankenhaus durch den Haupteingang und lief zwischen den beiden Betonsäulen mit den übergroßen, von Schlangen umwundenen Rauchgefäßen hindurch. Sie waren viel zu weit oben, als dass man sie hätte fragen können, was sie dort machten, doch ich erinnerte mich dunkel, dass bei den alten Griechen Schlangen als heilig gegolten hatten, ihr Gift als Medizin und ihre Häutung vermutlich als Symbol von Wiedergeburt und Erneuerung, was eine Vorstellung war, mit der ich etwas anfangen konnte. Es mochte schon früher Morgen sein, doch es waren immer noch echte Schlangen unterwegs, und eine von ihnen saß in einem ziemlich neuen BMW auf dem Parkplatz vor dem Hospital. Als ich mich näherte, beugte sie sich zur Beifahrerseite und brüllte mit einer Zigarre im Mund durchs offene Fenster.
«Gunther! Bernhard Gunther, wie er leibt und lebt! Ich war gerade einen alten Freund im Krankenhaus besuchen, und jetzt tauchen Sie auf! Wie geht’s Ihnen, Gunther? Wie viele Jahre ist es her, dass wir uns zuletzt gesehen haben? Zwanzig? Fünfundzwanzig? Ich dachte, Sie wären tot!»
Ich blieb auf dem Bürgersteig stehen und sah ins Wageninnere, während ich meine Möglichkeiten durchging und zu dem offensichtlichen Schluss kam, dass ich keine hatte. Schramma brüllte so laut, dass andere Passanten ihn hören konnten, was mein Gefühl des Unbehagens noch steigerte. Er grinste vergnügt und wie ein Mann, der gekommen war, um den Einsatz einer Wette einzulösen, die ich verloren hatte. Hätte ich eine Waffe gehabt, ich hätte ihn vermutlich an Ort und Stelle erschossen oder vielleicht auch mich selbst. Ich hatte immer Angst vor dem Sterben gehabt, doch inzwischen und im Großen und Ganzen stellte ich fest, dass ich mich fast darauf freute, endlich wegzukommen von Bernie Gunther und allem, was mit ihm zu tun hatte, seiner verworrenen Geschichte, seiner beunruhigenden Art zu denken und seiner Unfähigkeit, sich an diese moderne Welt anzupassen. Am meisten von allem jedoch freute ich mich darauf, wegzukommen von all den Leuten, die ihn kannten oder behaupteten, ihn gekannt zu haben, wie beispielsweise dieser Kriminalsekretär Schramma. Ich hatte schon mehrfach versucht, jemand anderes zu sein, doch mein wirkliches Ich kam jedes Mal zurück zu mir und trat mir in die Fresse.
«Ich hab doch gesagt, dass ich herausfinde, wer Sie sind! Hey, kommen Sie, Mann. Seien Sie nicht so ein schlechter Verlierer! Sie wissen es noch nicht, aber ich bin hier, um Ihnen einen Gefallen zu tun, Gunther! Ernsthaft. Sie werden mir noch dankbar sein für das, was ich Ihnen gleich erzähle. Also los, springen Sie in den Wagen, bevor noch irgendjemand merkt, dass Sie nicht sind, wer Sie zu sein vorgeben. Abgesehen davon ist es viel zu kalt, um bei offenem Fenster herumzusitzen. Ich frier mir hier die Eier ab.»
Ich duckte mich in den Wagen, zog die Tür hinter mir zu und kurbelte das Fenster hoch, ohne ein Wort zu sagen. Fast im selben Moment wünschte ich mir, ich hätte das Fenster unten gelassen – Schrammas Zigarre stank wie ein Feuer in einer Pestgrube.
«Sie wollen sicher wissen, wie ich herausgefunden habe, wer Sie sind.»
«Nur zu, erzählen Sie es mir, und bringen Sie mich zum Staunen.»
«Das Münchner Polizeipräsidium hat den Krieg mehr oder weniger unbeschadet überstanden. Die Akten ebenfalls. Wie ich bereits gesagt habe, ich wusste, dass wir uns irgendwann in der Zeit vor Hitler schon mal begegnet sind. Und das bedeutet, es war auch vor Heydrich. Heydrich war für eine Weile Polizeichef in München. Er hat das Aktensystem geändert. Er war sehr effizient, wie Sie vermutlich wissen. All die Kreuzverweise, die er eingeführt hat, sind heute noch ziemlich praktisch. Deswegen war es auch einigermaßen leicht, den Namen eines Ermittlers vom berühmten Alex in Berlin zu finden, der eine Nacht bei uns zu Gast war, nachdem er unseren Unteroffizier vom Dienst angegriffen hatte.»
«So wie ich den Zwischenfall in Erinnerung habe, hat er mich zuerst angegriffen.»
«Sicher, sicher. Ich erinnere mich an den Kollegen. Ein rechter Bastard, der Kerl. Das war 1932. Fünfundzwanzig Jahre, Gunther. Was sagen Sie dazu? Mein Gott, wie die Zeit verfliegt!»
«Nicht in diesem präzisen Moment.»
«Wie gesagt: Es interessiert mich nicht, was Sie während des Krieges getan haben, Gunther. Der Alte sagt, das ist alles Schnee von gestern, selbst in der DDR. Aber die Kommunisten drüben haben von Zeit zu Zeit das Bedürfnis, ein Exempel zu statuieren, damit sie ihre eigene Tyrannei von der faschistischen aus der Zeit davor unterscheiden können. Möglich, dass die Sie haben wollen, Gunther. Alte Nazis sind so ungefähr die einzigen Kriminellen, die der Westen dieser Tage über die Grenze zurückschickt.»
«Keine Sorge», sagte ich, «ich bin kein Kriegsverbrecher. Ich habe niemanden ermordet.»
«Ja, sicher. Christof Ganz ist nur das Pseudonym für die Poesie, die Sie schreiben. Ihr Nom de Plume sozusagen. Ich verstehe das. Ich bewege mich manchmal selbst gerne unter dem Radar. Wenn ich ermittle. Und dann ist da noch Interpol. Ich habe noch nicht nachgefragt, aber ich könnte wetten, es gibt eine Akte über Sie. Die kann ich mir natürlich nicht ansehen, ohne Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn ich nachfrage, werden die wissen wollen, warum ich die Akte will, und vielleicht verfolgen sie die Sache dann weiter. Also, Ihre Entscheidung, Gunther. Aber Sie sollten darauf achten, die richtige zu treffen, um Ihretwillen.»
«Sie haben sich klar und deutlich ausgedrückt, Schramma. Sie haben einen Hebel gefunden, und ich werde kooperieren. Wenn Sie jetzt endlich zu dem Teil kommen würden, wo Sie mir einen Gefallen tun wollen? Ich bin müde und will nach Hause. Ich habe die ganze Nacht damit verbracht, Leichen über den Fluss zu bringen, und wenn ich noch länger hierbleiben muss, suche ich am Ende in Ihrem großen hässlichen Maul nach einer Münze.»
Er kapierte es nicht. Nicht dass es mich interessiert hätte. Dieser Tage sprach ich meistens nur mit mir selbst. Und ein Witz ist nur ein Witz, wenn es jemanden gibt, der ihn zu schätzen weiß. Leute wie Schramma redeten zu viel und begriffen zu wenig. So war es in ganz Deutschland. Zu viel Gerede, zu viel Meinung, zu viel Konversation und nichts davon zu irgendetwas gut. Fernsehen und Radio waren nur Lärm. Damit sie effektiv sind, muss man Wörter destillieren, sie via Retorte und Kühler als reines Destillat in den Ballon tropfen lassen.
«Haben Sie von einem Lokalpolitiker namens Max Merten gehört? Ursprünglich aus Berlin, lebt heute in München?»
«Flüchtig. Als ich am Alex gearbeitet habe, gab es einen Max Merten, einen jungen Rechtsassessor beim Justizministerium.»
«Muss derselbe gewesen sein. Hat es zu etwas gebracht, so viel steht fest. Ein hübsches Haus in Nymphenburg, ein schönes Büro in der Kardinal-Faulhaber-Straße. Er ist einer der Mitbegründer der Gesamtdeutschen Volkspartei, die der sozialistischen SED sehr nahe steht. Der andere Gründer ist Gustav Heinemann, ein ehemaliges prominentes Mitglied der CDU und Minister des Innern, bis er sich mit dem Alten überworfen hat. Aber das Geld ist momentan knapp in der Politik, und Mittel für neue Parteien sind spärlich gesät. Ich meine, wer will schon unseren Wunder bewirkenden Konrad Adenauer loswerden, abgesehen von Heinemann natürlich und ein paar überempfindlichen Juden? Also hat mich Max Merten vor ein paar Wochen privat engagiert, um den Leumund eines potenziellen neuen Spenders zu überprüfen – General Heinrich Heinkel. Er hat sich angeboten, die GVP zu finanzieren. Aber Merten hatte den nicht unbegründeten Verdacht, dass Heinkel immer noch ein Nazi ist, und er will nicht, dass die GVP schmutziges Geld annimmt. Wie sich herausstellte, hatte Merten recht, wenn auch nicht so, wie er vermutet hatte. Heinkels Geld kommt in Wirklichkeit aus der DDR. Verstehen Sie, Mertens Geschäftspartner ist ein prominenter deutscher Politiker, Walter Hallstein. Hallstein ist der heimliche Außenminister des Alten, und er hat die Verhandlungen für diese neue Europäische Wirtschaftsgemeinschaft geführt. Die DDR hasst die Vorstellung von der EWG – und ganz besonders die Europäische Verteidigungsgemeinschaft, in der Westdeutschland eine gewichtige Rolle spielen soll – und hat eine ausgeklügelte Operation geplant, um die GVP und Merten zu diskreditieren, alles in der Hoffnung, dass ein Teil des Drecks, den sie auf Merten wirft, irgendwie an Professor Hallstein haftenbleibt. Nun könnten Sie fragen, warum ein alter Nazi als Strohmann Geld von der DDR annimmt. Tja, Heinkels ältester Sohn hat es geschafft, sich in Leipzig verhaften zu lassen, und sitzt derzeit als Garant für die Kooperation seines Vaters in einer Zelle. Wenn Heinkel genau das tut, was man ihm aufträgt, wird der junge Mann freigelassen. Das ist die Abmachung. In ein paar Tagen von heute an soll Heinkel das Geld an Merten übergeben, und zwar in bar, im Haus des Generals in Bogenhausen. Es gibt ein Zimmer in diesem Haus, das angemessen mit Hakenkreuzen und anderen Memorabilien dekoriert ist, genügend Beweise für den fortgesetzten Nazismus des Generals. Während Merten dort ist, soll die Polizei auftauchen und den General wegen verschiedener Vergehen verhaften, unter anderem dem Verkauf von Nazi-Andenken. Und um seine Haut zu retten, wird Heinkel der Polizei erzählen, dass das Geld eigentlich als Bestechungsgeld für Professor Hallstein gedacht war.»
«Und wie haben Sie das alles herausgefunden?», wollte ich wissen.