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Diese Memoiren von Lise Gast sind ein unterhaltsamer Lesestoff für alle Lise-Gast-Fans. Das Buch ist in mehrere, lose zusammengefügte Kapitel eingeteilt und berichtet von ihrer Kindheit und Jugend, ihrer Flucht nach Westdeutschland und ihr späteres Leben auf dem Ponyhof. Lise Gast erzählt im liebevollen und heiterem Ton von sowohl Freunden als auch Tieren und Begebenheiten, die in ihrem Leben von Bedeutung waren, und die ihre Entwicklung im wesentlichen beeinflusst haben. Mit viel Humor und Begeisterung wird von den kleinen und großen Freuden im Leben berichtet – fernab von Resignation – aber immer getrieben von ihren Träumen und Wünschen. Eine beglückende Lektüre! Lise Gast (geboren 1908 als Elisabeth Gast, gestorben 1988) war eine deutsche Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Sie absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Lehrerin. 1933 heiratete sie Georg Richter. Aus der Ehe gingen 8 Kinder hervor. 1936 erschien ihr erstes Buch "Tapfere junge Susanne". Darauf folgen unzählige weitere Geschichten, die alle unter dem Pseudonym Lise Gast veröffentlicht wurden. Nach Ende des zweiten Weltkriegs floh Gast mit ihren Kindern nach Württemberg, wo sie sich vollkommen der Schriftstellerei widmete. Nachdem sie erfuhr, dass ihr Mann in der Tschechoslowakei in einem Kriegsgefangenenlager gestorben war, gründete sie 1955 einen Ponyhof und verwendete das Alltagsgeschehen auf diesem Hof als Inspiration für ihre Geschichten. Insgesamt verfasste Gast etwa 120 Bücher und war neben ihrer Tätigkeit als Schriftstellerin auch als Kolumnistin aktiv.-
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Seitenzahl: 148
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Lise Gast
Saga
Trotz allem, mein Glück war groß
© 1983 Lise Gast
Alle Rechte der Ebookausgabe: © 2016 SAGA Egmont, an imprint of Lindhardt og Ringhof A/S Copenhagen
All rights reserved
ISBN: 9788711510117
1. Ebook-Auflage, 2016
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt und Ringhof und Autors nicht gestattet.
SAGA Egmont www.saga-books.com – a part of Egmont, www.egmont.com
Schon lange hatte mein Ältester mir geraten, ich sollte bauen. Aber ich wollte nicht, was für eine unmögliche Vorstellung, nicht mehr auf dem Ponyhof zu leben! Andererseits war ich realistisch genug, mir klarzumachen, daß man einen Ponyhof nicht bis ins hohe Alter hinein führen kann, mit zwölf Rössern und der Pflege der Koppeln, dem Futterschneiden, Heufahren und Zäunesetzen. So horchte ich auf, als mein Sohn wieder einmal das Gespräch aufs Bauen brachte und sagte: „Du brauchst doch den Ponyhof nicht aufzugeben, du kannst doch gleich nebenan bauen!“
Auf einer Ausstellung hatte ich ein Blockhaus gesehen, das mich entzückte. Aber, oh weh, die Stadt genehmigte es nicht. Angeblich paßte es im Stil nicht. Wohin paßt ein Blockhaus wohl, wenn nicht zwischen Wald und Wiesen? Aber eine Baubehörde hat immer recht. So mußte ich diesen Traum begraben. Eines Tages fand Steffis Paul ein Grundstück in der Nähe, im Nachbartal. Steffi, meine jüngste Tochter, hat das Examen als Reitlehrerin. Und sie wollte ihren Beruf gerne ausüben, hatte aber weder ein Haus mit Stall noch Weiden noch einen Übungsplatz. Alles das hatte mein geliebter Ponyhof. Als Paul, Steffis Mann, in unserem Städtchen als Lehrer angestellt wurde, empfanden wir das als Fügung und als großes Geschenk. Meine drei eigenen Pferde konnten auf dem Ponyhof bleiben, so daß ich weiter reiten kann. Sie gehen dort mit in dem Reitschul-Betrieb, den Steffi mit Geschick und innerer Anteilnahme aufbaute.
Ich fing also an, auf dem neuen Grundstück zu bauen, wenn auch nicht das erträumte Balkenhaus. Steffi und Paul zogen mit ihren drei kleinen Söhnen auf dem Ponyhof ein. Ich selbst wohnte vorläufig auch noch dort, auch sogenannte Fertighäuser brauchen Zeit.
Das war ein Leben auf dem Ponyhof wie schon lange nicht mehr! Steffis Möbel lagen auf der Wiese, mit Folie zugedeckt, ich baute den Neubesitzern noch einen Anbau an das liebe, winklige Haus, die kleinen Jungen saßen auf dem Dachfirst oder krochen zwischen den Bauarbeitern herum. Die Wasserleitung fiel aus, warum, weiß ich nicht mehr. Wir kochten auf der Veranda und spülten mit aufgefangenem Regenwasser. Dazu kam dauernd Besuch, um ‚zu helfen‘. Vom vielen Herumschleppen zu schwerer Gegenstände waren meine Knie dick geschwollen, und schließlich wurde es auch Paul zuviel. Er meinte, eine Woche Ferien müßte er machen, packte seine Familie in den Kleinbus und fuhr dem Bodensee zu. Bereits fünf Kilometer hinter unserm Städtchen fuhr er auf einen Parkplatz und machte die erste Pause. Alle fünf schliefen sich erst einmal aus.
Karin, eine frühere Haustochter von mir, war mit ihren zwei kleinen Kindern zu mir gekommen, um mir bei den vielen Ponys, Steffis standen ja auch schon auf dem Ponyhof, und auch sonst zu helfen. Wir taten das Nötigste und ritten jeden Tag, da mein Haus im andern Tal noch immer nicht fertig war. Auf diese Weise erholten wir uns so weit, daß wir bei der Rückkehr der jungen Familie wieder mit anpacken konnten.
Wie schrecklich ein Umzug ist, hatte ich vergessen. Wir sparten den Spediteur, da es ja ‚ganz nahe‘ war, und fuhren meine Möbel mit dem gummibereiften Pritschenwagen, den wir an den Kleinbus anhängten, zum neuen Haus. Das war noch immer nicht fertig, da die Baufirma inzwischen Pleite gemacht hatte. Aber Steffi und ihre Familie konnten nicht länger warten. Übrigens ist mein Haus bis heute noch nicht ganz fertig. Dort, wo die Rolläden am nötigsten sind, also im Erdgeschoß, gibt es immer noch keine, und auch sonst fehlt manches. Immerhin ging beim Einzug die Wasserleitung schon. Wir kochten also bei mir, aßen auf dem Ponyhof und wuschen dann wieder bei mir ab. Mit der Wäsche mußten wir es ähnlich halten. Daß keiner von uns verrückt wurde, wundert uns heute noch.
Das Ganze wäre leichter gewesen, hätten wir Telefon gehabt. Ich hatte es zeitig genug beantragt, Antwort: „Ganz aussichtslos, wir haben keine Leitung frei. Es dauert ein paar Jahre, wenn überhaupt.“ Da packte mich die Wut. Eines meiner Bücher fängt damit an, daß meine Schwester anruft: „Was ist bloß bei euch los? Ich habe schon fünfmal vergeblich versucht, euch zu erreichen, lebt ihr denn noch?“ Und ein paar Seiten später schilderte ich, wie mein Jüngster, der damals zur See fuhr, mich anrief, von offener See her über die Küstenwacht Kiel! Nicht auszudenken, daß sein Anruf mich nicht erreicht hätte!
Ich suchte im Telefonbuch die Oberpostdirektion von Stuttgart heraus und schickte das Büchlein hin. „Bitte lesen Sie nur Seite eins und Seite dreiundsechzig. Da werden Sie einsehen, wie nötig ich einen Fernsprecher brauche.“
Am andern Tag gingen Arbeiter auf meinem Grundstück umher. Ich fragte, was sie wollten, und was ich für sie tun könnte. „Wir legen Ihnen Telefon.“ Wie erleichtert und glücklich war ich! Noch am selben Tag konnten wir mit dem Ponyhof telefonieren.
Nun ging alles leichter, wir konnten uns telefonisch beraten und ankündigen, beziehungsweise absagen. Paul begann nun, meine Möbel herüberzufahren. Einmal löste sich der Flachwagen vom Kleinbus und schwankte mit meinem Sekretär den Hang hinunter. Paul merkte es nicht. Und einmal kullerte Till, der Jüngste von Steffi und Paul, vom Wagen. Gottlob blieb er unverletzt. Von da an ließen wir die Jungen nur noch im Bus mitfahren.
Das Grundstück um mein Haus sah aus wie eine Wüstenei. Tiefe Löcher mit Wasser, in dem Frösche schwammen, Bauschutt und Durcheinander. Ich bestellte den Dreckschieber, um noch vor dem Winter Rasen einsäen zu können. Er kam, als ich gerade nicht da war, weil ich mit einer Enkelin nach Tübingen zum Arzt fahren mußte. Als ich wieder zurückkam, war der Dreckschieber dagewesen und das Grundstück geebnet. Ich stieß einen Schrei aus vor Erleichterung und gleichzeitig vor Ärger, denn ich wäre sehr gerne dabeigewesen. Jockel, der älteste der jungen Familie, stand vor mir, sah mich tadelnd an und sagte:
„Man kann nicht alles auf einmal. Man kann nicht nach Tübingen fahren und den Dreckßieber sehen!“ Er sagte noch ‚Dreckßieber‘. Es klang so süß. Wir stürzten uns auf ihn und küßten ihn ab. Von da an gibt es bei uns ein fliegendes Wort, wenn jemand vor einer Entscheidung steht: „Man kann nicht nach Tübingen fahren und den Dreckßieber sehen — —“
Nun stand also das Fertighaus, weiß, nüchtern, jedes Zimmer rechteckig, leer. Und das nach dem geliebten, verwinkelten lebendig gewachsenen Ponyhof! Da sollte ich nun wohnen, nachdem ich glückliche Jahrzehnte in einem Haus gelebt hatte, wo man alles tun konnte, was man wollte. Wände herausnehmen und anders einsetzen, Fenster umbauen und eine Veranda anbauen. Mir war bange. Ich traute mir zu, jede alte Bude, Mühle, Forsthaus oder auch Scheune hübsch und gemütlich einzurichten. Solch ein steriles Haus aber ... Die Kinder halfen. Sie schenkten mir alte Möbel, suchten bäuerliche Gardinen aus, brachten Poster (vom Ponyhof, woher denn sonst) und Bilder, fast alles Kinder oder Enkel mit Pferden, Eseln und Waschbären. Michaels Spinett durfte auch mit einziehen und bleiben, bis er ein eigenes Heim gründet. Ein runder Tisch aus Spanien, den meine älteste Tochter mir schenkte, lädt zur gemütlichen Runde ein. In der Küche steht der alte, leicht ramponierte, achteckige Tisch, den ich nach der Flucht aus Schlesien als erstes bauen ließ, als wir im Westen ein neues Leben begannen. Eine Veranda wuchs auch, die Sommerstube, und einen schönen Arbeitsplatz hab ich mir ebenfalls eingerichtet, auf dem ich sitze und schreibe — Geschichten vom Ponyhof.
Dann begann ich heimlich zu täfeln, alle Stuben und die Küche, außer dem großen Wohnraum. Einmal ‚ertappte‘ mich Paul, als ich die Küche gerade fertig hatte. Sie sieht jetzt beinah so aus wie die vom Ponyhof. Ich habe mein neues kleines Haus, in dem ich mit zwei Enkelinnen, mit Hund und Katze wohne, längst liebgewonnen und weiß, daß es besser ist, man lebt ein wenig entfernt von einer Kinderfamilie, auch wenn man sich noch so gut versteht. Und drüben auf dem Ponyhof bin ich immer willkommen.
Neulich saßen wir alle zusammen in der urigen Küche des Ponyhofs, es war Besuch da, Kaffee, Kinderkrach und lustige und ernste Gespräche. Da wollten wir einen auswärtigen Freund teilhaben lassen und schrieben ihm eine Karte. Der Ponyhof-Besucher — bezeichnend, daß er es tat und nicht wir, denn wir wissen es sowieso — dieser Besucher schrieb mit großen Buchstaben quer über die Karte:
„Wir schicken Dir liebe Grüße aus dem schönsten Haus der Welt.“
Das zweitschönste aber ist mein Altershaus.
Es war also Wahrheit geworden, was ich mir nie hatte vorstellen können: ich hatte den Ponyhof in jüngere Hände gegeben. Man kann nicht bis ins hohe Alter hinein allen Dingen gerecht werden, die auf einem Hof mit zwölf Pferden und anderen Tieren täglich sein müssen, deshalb heißt es, rechtzeitig aufhören. Meine beiden mutterlosen Enkelinnen und ich waren also in ein Fertighaus gezogen, das ich, vier Autominuten vom Ponyhof entfernt, gebaut hatte, und Steffi, meine jüngste Tochter, samt Mann und drei Söhnen, übernahm ‚drüben‘ das Regiment. Meine eigenen drei Pferde blieben dort, ich kann also jederzeit reiten, wenn ich will. Steffi verteht von Pferden mehr als ich und unterrichtet auch. Sie hat eine gute reiterliche Ausbildung bekommen. Eine bessere Lösung hätten wir gar nicht finden können. Der Ponyhof wurde auf den Namen der Tochter überschrieben. Mein Schwiegersohn Paul und ich müssen jetzt bei ihr aus Spaß immer anklopfen, um den nötigen Respekt vor der Hausbesitzerin zu bekunden.
„Ich sorge mich um Sie“, sagte eines Tages ein Gartennachbar vom Ponyhof zu mir. „Sie ziehen doch jetzt ins Götzental. Dort wohnen lauter feine Leute. Ob Sie dahin passen?“ Er meinte das von Herzen gut. Ich war gerührt. Von da an hatten wir den Mann noch ‚gerner‘, wie man hier in Schwaben sagt.
Freilich, Pferde konnte ich nicht mit hinübernehmen, da hatte er recht. Aber meine drei blieben ja auf dem Ponyhof, zusammen mit den neun meiner Tochter, ich kann sie jederzeit besuchen. Aber auch im neuen Domizil wollte ich nicht ganz ohne Pferde sein.
So wünschte ich mir ein Karussellpferd. Ich annoncierte: „Herzenswunsch. Wer erfüllt Kindheitstraum einer Fünfundsechzigjährigen? Suche gut erhaltenes Karussellpferd zwecks Umarbeitung zum Schaukelpferd.“ Dazu meine Telefonnummer.
Ich bekam einen einzigen Anruf, er kam sozusagen aus der Familie.
„Hast du schon eins?“ fragte eine Beinah-Schwiegertochter. Ich mußte verneinen.
Eine meiner Töchter war recht unglücklich über meinen ausgefallenen Wunsch.
„Muß das sein? Das soll doch nun endlich ein Haus mit Niveau werden!“ jammerte sie. Ich beruhigte sie.
„Ich hab ja noch keins.“ Ich meinte: Kein Karussellpferd. „Und du wirst nie welches kriegen“, sie wiederum meinte Niveau.
Die Jahre vergingen. Mein siebzigster Geburtstag rückte heran. Die Kinder berieten: Was schenken wir ihr? Eine neue Küche? Oder —
„Daraus macht sie sich nichts. Lieber ein Karussellpferd. Das wäre was!“ wurde entschieden. „Unnütz, aber ersehnt. Nur: woher nehmen?“
Diesmal annoncierte mein Schwiegersohn Paul vom Ponyhof. „Karussellpferd für Oma gesucht.“ Dazu seine Telefonnummer. Durch Zufall las mein Ältester in Frankfurt diese Anzeige und erkannte natürlich die Nummer. Nach guter alter Krimisitte spannte er ein Taschentuch über die Sprechmuschel und verstellte auch seine Stimme.
„Hier spricht Frau Maier aus Hamburg. Sie suchen ein Karussellpferd?“
„Ja? Wissen Sie eins?“ frohlockte Paul. Mein Sohn lachte so, daß er sich dadurch verriet. Dann lachten sie beide zusammen, und dann suchten sie gemeinsam weiter.
Kurz vor der Jahreswende, ich feiere meinen Geburtstag immer Sylvester, weil da die Kinder am ehesten Zeit finden zu kommen, fuhren die Ponyhofleute mit ihrem Kleinbus abends noch weg, ohne zu sagen, wohin.
„Muß das jetzt noch sein?“ brummte ich. Ich wäre den Abend gern bei ihnen gewesen. Ein junger Freund unserer Familie lächelte vielsagend, er verriet aber nichts.
Mein Geburtstag, vor allem, wenn er eine runde Zahl trägt, wird immer ganz groß gefeiert. Jeder hat sich etwas Originelles ausgedacht. Und was noch schöner ist: es kommen viele, liebe Gäste. Außer den Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln auch meine Schwester mit Familie, Hausfreunde, Beinah-Söhne und -töchter. So auch diesmal. Ein Kabarett ging über die Bühne, von halb acht bis halb zwölf, Lieder, Aufführungen, Sketche, Quizfragen — alles herrlich lustig und lautstark. Ich konnte dem blitzenden Geist und Humor kaum folgen. Um zwölf in der Nacht trat plötzlich Stille ein.
Ich war überreich beschenkt worden und erwartete nicht das Mindeste mehr. Da läutete es, die Tür tat sich auf, und herein rollte ein Karussellpferd. Ein Schimmel mit gewellter Mähne, geblähten Nüstern, bunt gezäumt, sich bäumend. Darauf saß mein jüngster Enkel Till in wallendem Mantel, eine Goldkrone im Haar und ein Zepter in der Hand, ernst, würdevoll, der Stunde angemessen. Alle stimmten eine Hymne an. Ich konnte es nicht fassen.
Mein Schwager behauptete später, er habe noch nie solch ein glückliches Menschengesicht gesehen wie meins in diesem Augenblick. Und meine Schwester, die auch überrascht worden war, seufzte: „So was Wunderbares! Der Bamberger Reiter ist dagegen ein Fliegenschiß.“
Am nächsten Tag besuchte mich einer meiner Verleger und überreichte mir mein hundertstes Buch. Ich mußte mich auf meinen hölzernen Winnetou schwingen, und dies alles wurde geknipst und gefilmt zum ewigen Andenken an meinen siebzigsten Geburtstag. Seitdem steht dieser Winnetou, so tauften wir ihn nach unserm von mir über alles geliebten Shetlandhengst, neben meinem Schreibtisch, und es vergeht kein Tag, an dem ich ihn nicht streichle und liebkose. Jedes Kind, das mich besucht, reitet darauf, auch viele Erwachsene. Und ich entbehre es nicht mehr, daß ich in dieser vornehmen Wohngegend keinen Stall anbauen darf. Dieser Hengst braucht nicht gefüttert zu werden, nicht getränkt, Beschlag ist nicht nötig, und eine Kolik hat er noch nie gehabt.
Winnetou, das ist ein Stück Weißt-du-noch, ein Stück Ponyhof. Kann es etwas Schöneres geben?
Steffi-Marianne Späh
Seit wir auf dem Ponyhof wohnen, Mutter vier Autominuten entfernt, verdient die Post an unseren Telefonaten. Mutters Herz lebt noch immer hier, wo Pferde wiehern und Katzen und Hunde unser Leben teilen und bereichern, wo immer etwas los ist, Besuch und Kinderlärm, kleine und große Katastrophen. Zu unmöglichen Zeiten ruft sie an.
„Alles in Ordnung? Wie geht’s bei euch?“
„Danke, bestens. Nur hat Tina — die alte Schnauzerhündin — heut nacht rausgemußt und vergessen, die Tür wieder zuzumachen. Früh Eiseskälte, die Kinder frühstückten mit Parka und Handschuhen. Wetterbericht: Weiterhin Temperaturen bis zwanzig Grad minus.“
„Und euer Kleinbus? Sprang er an?“ Sie kennt unsere Schwierigkeiten mit der Zündung. Wir haben keine Garage.
„Mit Starthilfekabel ziemlich bald. Und Eiskratzen zu fünft, das ging schnell.“
„Hast du wenigstens jetzt den Ofen in Gang?“
„Ja. Bis mittags ist es vielleicht über Null hier.“
„Und sonst geht alles gut?“
„Schnurri hat die Milchkanne umgekippt. Merkwürdig, daß dann immer alles unter die Eckbank fließt. Da müssen wir die Kacheln nicht ganz waagerecht verlegt haben.“
„Und die Pferde?“
„In Ordnung. Ich konnte allerdings nur mit der linken Hand füttern. Lettchen hat mich gestern beim Zähneraspeln aus Versehen gebissen. Aber es schwillt schon wieder ab. Hauptsache, die Alte kann wieder kauen.“ (Unser geliebtes Shetlandpony ist 29 Jahre alt. Wir lieben die ‚Alte‘ sehr.)
„Und der Pumuckel? Verträgt er die Kälte?“ Pumuckel ist unser einziges Großpferd, nicht ganz so robust wie die wetterharten Island- und Shetland-Ponys. „Hat seine Decke zerrissen. Ich hatte ihn vorsichtshalber eingedeckt. Muß sie halt wieder flicken.“
„Und deine Schreiberei?“
„Ach, zur Zeit Ebbe. Gestern schon hab ich lustlos an dem Manuskript herumgehäkelt, wurden aber nur Luftmaschen.“
„Mir geht’s auch nicht besser. Ich nage auch vergeblich an der geliebten Schreibmaschine. Das kommt eben vor!“
„Ich muß wieder in den Stall. Dort sieht’s irre aus. Ich hatte vorhin, als die Post anrief, die Tür zur Futterkammer nicht verriegelt, rannte ans Telefon. Das haben die Ponys ausgenützt. Die Büchse mit Holzteer ist umgekippt, der Boden klebt, einen Sack mit Kalk haben sie angerissen, aus dem rieselt es. Gottlob haben sie die Futterkiste nicht aufgekriegt.“
„Na, ein Glück! Lauf. Soll ich heut für euch mitkochen? Es gibt Eintopf, da mach’ ich halt mehr und bring ihn rüber.“
„O ja, danke. Halb eins kommen meine vier Männer. Da kann ich bis dahin noch an die Maschine, falls sie nicht eingefroren ist.“
„Ist nur das Öl. Nimm das Strahl-Öfchen. Sonst noch was mitzubringen?“
„Bitte, Balistol! Für Pertlas Wunde, die ist aber schon am Heilen. Und Lebertran für den Hund —“
Mutter notiert. „Außerdem?“
„Nichts mehr, danke. Und du? Mußt du nicht auch schreiben?
„Ging sowieso nicht. Tschüß.“
Sie legt auf. Immer „gewinnt“ sie mit dem Auflegen. Wir wetten jedesmal, wer fixer ist. Damit, so meint sie, spart sie Telefongebühren und ruft in einer halben Stunde erneut an.
Wie sollte das auch anders sein? Ihr Herz ist noch auf dem Ponyhof, jedenfalls zur größeren Hälfte. Mitten in unserem geruhsamen Leben auf dem Lande.
All die Liebe, die ich für die Pferde habe und nicht mehr täglich an sie verströmen kann, häufe ich jetzt auf den Hund. Anke, meist Tümi genannt, das kommt von Getüm, aber sie ist ein geliebtes Getüm und kein Ungetüm, ist eine Wolfsspitzin, grau, puschelig, dick bepelzt, und ähnelt ihrer Herrin darin, daß sie ihre lautstarke Stimme gern erprobt und nachts erheblich schnarcht. Wir schlafen im selben Raum, aber Schnarcher stören sich ja gegenseitig nicht. Wir lieben uns, und so sind wir selten ohne einander anzutreffen, zu Haus, zu Fuß, unterwegs oder im Auto.
Leute, die selbst keinen Hund haben, verstehen das nicht. Sie finden, daß Hunde stinken, daß sie dort Haare hinterlassen, wo man keine haben möchte, und daß sie laut sind. Wenn sie wüßten, was außerdem für Schwierigkeiten hinzukommen, würden sie erst recht dagegen sein.