Trotzdem irgendwie verliebt - Nicole S. Valentin - E-Book

Trotzdem irgendwie verliebt E-Book

Nicole S. Valentin

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Beschreibung

War wohl nichts mit dem Umzug in die neue Stadt, dem neuen Job, den neuen Männern. Alexander Hofer, mein neuer Chef, ist heiß. So heiß, dass die gesamte weibliche Belegschaft mit ihm flirtet und mehr will, als nur unter ihm im Büro zu arbeiten. Ich bin die Einzige, die sich nicht fragt, wie es wohl mit ihm wäre, und das auch nur deshalb weil ich ihn schon hatte. Als One-Night-Stand, der auch ein solcher bleiben sollte. Eigentlich wollte ich mit dem Umzug nach Hamburg mein gesamtes Leben umkrempeln. Und jetzt muss ich ständig an unsere gemeinsame Nacht denken und daran wie gut Alexander war. Als würde er mir nicht schon genug den Kopf verdrehen, ist er mal freundlich, mal distanziert. Mal kalt, mal ... Egal, ich werde der Versuchung widerstehen. Ganz bestimmt.

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Trotzdem irgendwie verliebt

Nicole S. Valentin

Danke

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Widmung

 Für Ines

Du hast gesagt, ich soll es einfach versuchen. Und ich habe es tatsächlich getan.

 Wenn wir uns irgendwann - irgendwo - wiedersehen, werde ich Dir alles bis ins kleinste Detail darüber erzählen.

Inhalt

Danke

Widmung

Trotzdem irgendwie verliebt

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Epilog

OBO e-Books

Trotzdem irgendwie verliebt

Prolog

Immer wieder werfe ich einen Blick auf meine Uhr. Ich hasse es, irgendwo zu sitzen und zu warten. Dabei habe ich eigentlich vor, mit meiner besten Freundin anzustoßen.

Auf meinen neuen Job in Hamburg.

Das ist mal wieder so eine unüberlegte Entscheidung in meinem Leben - hier alles abzubrechen und irgendwo anders neu anzufangen.

Nachdem meine Beziehung - oder nennen wir es dann doch wohl besser eine Affäre - zu meinem ehemaligen Chef sich als tiefer Griff ins Klo erwiesen hat, habe ich mich aus einer Laune heraus auf die Ausschreibung einer großen Eventagentur in Hamburg beworben.

Und diese Agentur hat sich tatsächlich für mich entschieden.

Mein altes Leben werde ich also hierlassen, ebenso wie meinen alten Job und den dazugehörigen Chef. Der so viel mehr für mich war als eben nur mein Chef.

Ich bin oder zum jetzigen Zeitpunkt dann wohl doch eher - ich war - in ihn verliebt und entsprechend verblendet, sodass ich mir eingebildet habe, er würde für mich das Gleiche empfinden.

Doch mittlerweile wehre ich mich gegen dieses Gefühl der Zuneigung, wenn ich an ihn denke. Gegen diese Sehnsucht nach ihm, die mich noch immer heimtückisch überkommt.

Tim Neuhaus, groß, gut aussehend, Anfang 30 hat mich tatsächlich davon überzeugen können, dass er genau der Richtige für mich ist. Er hat die Werbeagentur, in der ich arbeite - beziehungsweise in der ich bis vor Kurzem gearbeitet habe - inklusive Gesamtbelegschaft vor einiger Zeit übernommen. Kurz darauf habe ich ihn auch in mein Leben gelassen. Und das trotz der Tatsache, dass er mein neuer Vorgesetzter gewesen ist. Und er hat sich einiges einfallen lassen, um dahin zu kommen.

All diese salbungsvollen Worte, ich denke, jede Frau hat sie schon mal gehört … du bist das Beste, was mir je passiert ist … was habe ich nur all die Jahre ohne dich gemacht, blablabla. Und ich war hin und weg. Der Kerl wollte mich! Mich! Pia Sommer. Gestatten? 1,70 m große Durchschnittsbrünette.

Ich bin ehrlich, ich fühlte mich geschmeichelt. Wer würde das nicht, bitte? Ein absoluter Traummann bekundet Interesse! Und dann auch noch an mir!

Meine Mutter hat ja immerhin schon die Befürchtung, ich sterbe als alte Jungfer. Sie liegt mir ständig damit in den Ohren, dass alle weiblichen Familienmitglieder in meinem Alter mindestens schon verheiratet waren. Ein Enkelkind wäre die Krönung ihres Daseins, aber ein Schwiegersohn würde sie schon milde stimmen. Ich habe eine nette Mutter. Wirklich. Aber ich bin eben sehr wählerisch, was meine Männer angeht. Bis jetzt habe ich auch nie gedacht, dass ich tatsächlich naiv genug wäre, auf so einen Blender reinzufallen.

Im Gegenteil. Ich, die alle Männer sofort durchschaut. Die immer einen guten Rat hat für liebeskummergequälte Freundinnen – plötzlich ist von der sonst so toughen Pia Sommer nichts mehr übrig. Ich habe mich tatsächlich Hals über Kopf in den Typen verliebt. Ich wollte ihn sogar meiner Mutter vorstellen. Bis …, ja, bis zu dem Tag, an dem ich so frei war, an sein Handy zu gehen, um einen Anruf entgegenzunehmen.

Die weibliche Stimme am anderen Ende der Leitung bat mich, ihrem Mann doch bitte auszurichten, er möge Milch mitbringen, wenn er später nach Hause käme. Sie habe sie leider vergessen und würde es jetzt nicht mehr schaffen noch mal loszugehen.

Ich würde es ihm ausrichten, versprach ich in das Telefon und legte auf. Ich habe das Telefon minutenlang angestarrt und darüber nachgedacht, die Rückruftaste zu drücken, um mich lieber noch mal zu vergewissern, welche Milch genau sie denn wolle. Kondensmilch, H-Milch, Frischmilch? Und ob sie nicht einen anderen Mann hätte, der ihr die Milch besorgen könne?! Mein Freund hätte heute irgendwie keine Zeit, er müsse ja schließlich meine Mutter noch kennenlernen.

Mein zweiter Gedanke war, dass sie sich bestimmt einfach nur verwählt hat. Immerhin hat es keinerlei Hinweise auf eine andere Frau gegeben.

Und doch fiel es mir wie Schuppen von den Augen. All die Abende, an denen ich ihn nicht erreichen konnte. Seine fadenscheinigen Ausreden, er habe sein Handy vergessen. All die nicht enden wollenden Meetings mit Kunden. Und übernachtet hatten wir bis dato immer bei mir. Das wäre so viel praktischer. Immerhin müsse er ständig länger arbeiten als ich.

Ich war ja so ein Schaf, ein dummes verblendetes Schaf.

Alles, was ich bis dahin für zärtliche Zuneigung hielt, verwandelte sich augenblicklich in Enttäuschung, Verachtung und Wut – auf dieses Riesenarschloch. Wie hatte das alles nur passieren können? Kann man sich tatsächlich so in einem Mann irren? Und wie hatte er es geschafft, mich so an der Nase herumzuführen? 

Er muss mir die Verachtung, Wut und Enttäuschung auch direkt angesehen haben. Genau in dem Moment, als er durch die Tür kam und sah, dass ich sein Handy in der Hand hielt.

Seine Gesichtsfarbe wechselte von gut gebräunt in ein verschämtes blass-bleich. Jedes erklärende Wort erschien ihm mit einem Mal überflüssig.

Ich habe mich immer für ein schlaues Mädchen gehalten, immer gedacht, dass mir ein Mann nichts vormachen kann.

Wahrscheinlich spielen schöne Worte doch eine größere Rolle im zwischenmenschlichen Bereich, als mir bis dahin bewusst war.

Ich beließ es dabei, drückte ihm sein Telefon in die Hand und machte ihm den Vorschlag zu gehen.

Ich ging ebenfalls. Aus seiner Firma, seinem Leben.

Alles Weitere erledigte die Post. Von der Kündigung bis zum Arbeitszeugnis.

Und jetzt gehe ich auch noch aus seiner Stadt. Die ja eigentlich mehr meine Stadt ist. Aber gut … an solchen Kinkerlitzchen soll man sich nicht aufreiben.

Er hat es nicht verdient, dass ich ihm auch nur eine Träne nachweine.

Böse Zungen würden behaupten, ich laufe vor meinen Problemen davon. Tztz. Ich hätte keine Probleme, wenn dieser Idiot nicht so schamlos gelogen hätte. Mir wird schon übel, wenn ich darüber nachdenke, wie viel ich bereit war, in diese Beziehung zu investieren.

Ich meine, wenn man schon was mit seinem Chef anfängt, dann sollte das Hand und Fuß haben, oder nicht? Was soll man denn schließlich machen, wenn diese Beziehung dann doch nicht funktioniert?

Na, im Zweifel eben wegrennen.

Tja, um ehrlich zu mir zu sein - genau das tue ich hiermit dann wohl.

Jetzt sitze ich hier in dieser verdammten Bar, warte auf Tamara und während ich meinen zweiten Campari bestelle, bemerke ich ein Augenpaar auf mir ruhen. Ein wenig irritiert über die Durchdringlichkeit dieses Blickes schiele ich unauffällig in seine Richtung.

Und der Anblick nimmt mich sofort gefangen.

Wow. Lecker!

Er sieht verdammt gut aus. Dunkle Haare, nicht zu kurz geschnitten. Seine Gesichtszüge sind attraktiv, männlich. Fein geschnittene gerade Nase, sinnliche Lippen, kantiges Kinn.

Und seine Augen scheinen mich förmlich zu durchbohren. Um seinen Mund liegt ein arroganter Zug, als ob er es gewohnt wäre, immer und überall die erste Geige zu spielen. Sein Lächeln ist siegessicher, als ich seinem Blick begegne. Wie ein Jäger auf der Pirsch, dem das Wild vor die Flinte geraten ist.

Oha, anscheinend bin ich dann ja wohl das Wild.

Als die Bedienung mit meinem Campari an ihm vorbeiläuft, kann ich ihn dabei beobachten, wie er kurze Anweisungen gibt, um mich dann sofort wieder mit seinem umwerfenden Lächeln zu beglücken.

Und das hat er wirklich drauf.

Der Kellner steht vor meinem Tisch und unterrichtet mich darüber, dass der junge Mann zwei Tische weiter diesen Drink übernehmen wird.

Na, da schau her. Die Jagd ist eröffnet!

Ich bin mir nicht sicher, ob ich mich darüber freue, dass so ein heißer Typ offenkundig versucht mich anzugraben, oder ob ich genervt sein soll. Mein Bedarf an Testosteron ist wahrlich gedeckt.

Ich nehme mein Getränk dennoch entgegen und hebe es dankend in seine Richtung. Für den Moment beschließe ich, dass mir die Aufmerksamkeit gefällt, die er mir schenkt. Was auch immer er sich sonst verspricht, sei erst mal in den Raum gestellt.

Zumal gerade in diesem Moment Tamara die Bar betritt und sich einen Weg zu meinem Tisch bahnt. Fast wehmütig richte ich meine Aufmerksamkeit auf die junge blonde Frau mit den viel zu langen Haaren und dem definitiv zu kurzen Rock, die ich schon so bald verlassen werde.

„Entschuldige, meine Süße, aber ich musste so lange auf Daniel warten, damit er die Kinder entgegennimmt. Ab jetzt bin ich voll und ganz die deine!“

Sie nimmt einen großzügigen Schluck von meinem spendierten Drink und lässt sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Ich grinse sie an, während sie versucht, ihren dabei noch höher gerutschten Rock in die richtige Position zu rücken.

„Nicht weiter schlimm. Ich habe bereits eine nette Bekanntschaft gemacht.“ Mit einem Kopfnicken deute ich in Richtung meines sehr gut aussehenden Verehrers, gespannt auf ihre Reaktion.

Ihr Blick folgt meiner Geste. „Welchen meinst du? Den scharfen Blonden oder den heißen Dunkelhaarigen?“ Sie hebt anerkennend die Augenbrauen und schürzt die Lippen.

„Den Blonden habe ich noch gar nicht gesehen!“ Überrascht drehe ich mich wieder in die Richtung besagter Herren. Beide sehen zu uns herüber und unterhalten sich. Ich kann sie nicht verstehen, könnte aber darauf wetten, dass Tamara und ich das Thema des Tisches sind.

„Der verdammt heiß aussehende Typ mit den dunklen Haaren hat mir den Campari ausgegeben, den du soeben in einem Zug fast vernichtet hast, meine Liebe.“

Ich drehe mich wieder weg. Arroganten Kerlen muss man nicht auch noch das Ego streicheln, indem man sie in ihrer Selbstgefälligkeit bestätigt.

Obwohl diese beiden es sich durchaus erlauben können.

Sie sind beide etwa Mitte 30, sehen ausgesprochen sportlich aus, mit ihren Anzügen vielleicht ein wenig overdressed für diese Bar, aber das tut ihrem Reiz keinen Abbruch. Beide scheinen sich ihrer Wirkung auf Frauen durchaus bewusst zu sein.

Wirklich, und das absolut zu Recht!

Tamara schenkt mir wieder ihre Aufmerksamkeit. „Na, vielleicht solltest du die Gelegenheit beim Schopfe packen, Süße. Nimm ihn dir und lecke deine Wunden.“ Sie wirft mir dieses mütterlich verständnisvolle Lächeln zu und genehmigt sich einen weiteren Schluck aus meinem Glas.

Mir bleibt die Spucke weg. Hat sie mir gerade dazu geraten, den heißen Feger mit zu mir nach Hause zu nehmen? Meine konservative Freundin, die ihren ersten Liebhaber direkt geheiratet hat?!

Ob sie Fieber hat?

„Tamara, ich wäre schockiert, wärest du nicht meine beste Freundin!“

Gespielt brüskiert fächere ich mir mit der Hand Luft in mein Gesicht. Wirklich, alleine der Gedanke … Das könnte ich nicht!

Tamara fängt an zu lachen: „Nein, Pia, das ist mein völliger Ernst.“

Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, fängt sie meine fächernde Hand aus der Luft, drückt sie und verhindert meine hektische Auf-und-ab-Bewegung.

„Hör auf mich, meine Süße. Tim hat dich verletzt. Nimm dir den hübschen Jungen und benutz ihn für deine Zwecke. Nichts ist heilsamer als egoistischer Sex mit einem gut aussehenden Typen, den du danach nie wiedersehen musst!“ Sie sieht mir fest in die Augen und mein Herz geht über vor Liebe zu ihr.

Meine liebe, süße Tamara! Ich würde sie auf der Stelle heiraten, wenn sie noch zu haben wäre.

„Tami, ich kann ihn doch nicht einfach mit nach Hause nehmen! So süß er auch ist, aber ich kenne ihn doch überhaupt nicht. Wer weiß, welche Vorlieben er hat. Hinterher steht er noch auf Fesselspielchen oder so etwas.“ Ich bemerke, wie mein Blick wieder in Richtung meines sexy Jägers abschweift.

„Vielleicht ist er ja auch schon vergeben.“ Ich schüttle meinen Kopf. Aber der Gedanke hat sich bereits festgesetzt. Einfach mal einen Kerl abschleppen? Ob ich dazu überhaupt fähig bin?

Warum eigentlich nicht!?

Immerhin schleppen die Kerle uns Frauen ständig ab. Und sie schmücken sich mit ihren Eroberungen wie ich zu Weihnachten meinen Christbaum - bunt und schillernd!

Tamara tätschelt meine Hand, als gehöre sie zu ihrer kleinen Tochter. „Du sollst ihn nicht heiraten. Du sollst ihn nur vögeln und ihn dann vor die Tür setzen. Das ist alles. Und wenn er eine Freundin oder Frau hat, dann muss er ihr Rechenschaft ablegen und nicht du. Du willst ihn nur heute Nacht und nur zu DEINEM Spaß!“

Sie winkt der Bedienung kurz zu, die sich sofort in Bewegung setzt.

„Pia, dieses Mal machst du die Kerbe in deinen Bettpfosten und nicht andersherum. Wenn man vom Pferd fällt, soll man sofort wieder aufsteigen.“ Sie kichert, als ihr die Zweideutigkeit ihrer Worte bewusst wird. Ich bin froh, dass das Licht der Bar schummerig ist, sodass niemand sieht, wie ich rot anlaufe. Als der Kellner erscheint, bestellt sie für uns zwei weitere Campari und für die beiden netten Herren zwei Tische weiter jeweils einen Drink nach deren Wunsch auf unsere Rechnung.

Ich kann sie nur weiterhin anstarren und überlegen, wer die Frau ist, die mir gegenübersitzt.

Tami wirft mir den welterklärenden Blick zu, den nur Mütter draufhaben.

„Wer bist du? Und was hast du mit Tamara gemacht?“

Sie stützt die Ellbogen auf den Tisch und legt den Kopf auf ihre verschränkten Hände. 

„Spielen wir ein wenig Schicksal, meine Süße, und harren der Dinge, die heute Nacht passieren werden.“ Verschwörerisch lehnt sie sich über den Tisch zu mir und lässt ihre Augenbrauen tanzen. Das Teelicht auf unserem Tisch beginnt zu flackern und wirft Schatten über ihr Gesicht.

„Jetzt hör aber auf. Als wenn sich so ein Kerl von mir abschleppen lassen würde!“ Auch ich lehne mich über den Tisch und flüstere ihr meine Bedenken entgegen.

Sie zuckt mit den Schultern. „Na und? Dann vermittelst du ihm eben, dass er dich abschleppt. Alleine das Ergebnis zählt.“

Die Flamme der Kerze tanzt in unserer Mitte. „Wirklich, Tami, du spinnst. Aber ich liebe dich trotzdem.“ Ich setze mich wieder gerade hin.

Keine Ahnung, welcher Teufel mich geritten hat. Ich habe so etwas noch nie getan. Ehrlich.

Aber ich habe ihn mitgenommen.

Und der Sex war unglaublich.

1

Rote Welle. Kein anderes Phänomen schafft es, jemanden so aus der Ruhe zu bringen wie rote Ampeln in Zeiten allergrößter Eile. Ich habe eine ungefähre Vorstellung davon, wie ich zur HoferEvents-Agentur komme - doch der Weg dorthin ist - ebenso wie diese Stadt - völlig neu für mich.

Ich bin erst seit knapp einer Woche in Hamburg. Ich höre meine Mutter schon meckern … Wieso bist du die Strecke nicht vorher schon mal abgefahren? Nur um auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein! Warum nur bist du immer so unorganisiert? Also von mir hast du das nicht …

Ja, ja, meine Mutter. Die ich so sehr liebe - aber am innigsten, wenn sie kilometerweit von mir entfernt ist. Das habe ich ja hiermit erreicht. Mit dem Sprung vom tiefsten Ruhrgebiet nach Hamburg. Ein Blick auf die Digitaluhr neben meinem Tacho zeigt, dass ich noch 10 Minuten habe - 10 Minuten, um anzukommen, einen Parkplatz zu finden und meinen Job zu beginnen.

Mein neuer Job. Ich bin ordentlich nervös und klopfe mit den Fingern auf meinem Lenkrad herum, als würde die Ampel dadurch schneller von Rot auf Grün wechseln.

Die vergangene Woche habe ich damit verbracht, meinen Kram in meine neue kleine Wohnung nach Hamburg zu schaffen, nur um dann schließlich doch in Selbstmitleid zu zerfließen.

Jetzt beginnt also das Selbstmitleid. Und das ist das allerschlimmste Gefühl nach einer gescheiterten Beziehung.

Frei nach dem Motto: Wieso bin ich eigentlich immer die Blöde? Herrlich! Immerhin hat Tim doch mich belogen und betrogen, dass sich die Balken biegen. 

Und er hat zum guten Ende noch mal alle Register gezogen, um mich doch noch von sich zu überzeugen. Er hat vor meiner Tür gesessen, hat mir Blumen geschickt, Dutzende Male angerufen. Immer wieder ein neuer Versuch, mich mürbe zu bekommen.

Ich nahm Tims Anrufe nicht mehr entgegen, zog die letzten Tage vor meinem eigentlichen Umzug nach Hamburg noch in Tamaras Haus, besorgte mir eine neue SIM-Karte für mein Handy.

Er hat sogar damit begonnen, mir Briefe zu schreiben.

Mit Tinte. Schick.

Noch mehr salbungsvolle Worte, nur eben handschriftlich. Oh ja, da ist ein Poet an ihm verloren gegangen … Glaube mir, wir schlafen schon lange nicht mehr miteinander … Ich habe vor, sie zu verlassen, es gab nur noch nicht den richtigen Zeitpunkt … Sie kann dir nicht annähernd das Wasser reichen … Du musst mir einfach glauben, ich liebe nur dich. Verzeih mir …

Nein, ich verzeihe ihm nicht. Mein Umzug nach Hamburg macht die Sache komplett - rücken Sie vor bis auf LOS.

Es gibt Zeiten im Leben einer Frau, da muss man alles auf eine Karte setzen. Heute werde ich ja erfahren, was mein Pokerface wert ist. Von der Werbeagentur in eine Eventagentur? Das wird schon schiefgehen.

Mein neues Arbeitgebergebäude verfügt zu meinem ganz persönlichen Glück über direkte Parkplätze vor dem Haus. Ein letzter Blick in den Rückspiegel, um noch schnell meinen Pony in die richtige Position zurückzufrisieren und meine praktischen Autofahrer-Ballerinas mit diesen unglaublich scharfen und tiefroten zehn Zentimeter hohen Peeptoes zu tauschen, die ich mir gestern in einem Anflug von Größenwahn gekauft habe.

Frustkäufe helfen manchmal dabei, schmerzende Wunden zu lecken, und zudem beruhigt sinnloses Geldausgeben beizeiten auch noch die Nerven. Jetzt bleibt nur zu hoffen, dass ich es ohne peinliche Zwischenfälle in die Chefetage schaffe. Denn so sexy diese Schuhe auch aussehen, im Sitzen sind sie definitiv bequemer. Aber welche Wahl habe ich? Ich werde vermutlich zu spät erscheinen, also bleibt mir nur der Weg, über meine Schuhe Eindruck zu schinden.

Meinen eigentlichen Chef habe ich nämlich noch gar nicht kennengelernt.

Mein offizielles Vorstellungsgespräch hatte ich während einer Messeveranstaltung - mit eben der Mitarbeiterin, die ich nun für mindestens zwei Jahre vertreten soll. Alexander Hofers Agentur hatte dort ein Event ausgerichtet und so traf es sich, dass ich auch direkt einen Einblick in mein neues Tätigkeitsfeld erhalten habe. Besagte Mitarbeiterin würde in drei Monaten in Elternzeit gehen und mich bis dahin einarbeiten. Und wie ich Paula verstanden habe, lässt er seinen Angestellten gerne freie Hand, daher war auch sie es, die ihre Mutterschaftsvertretung selbst auswählen durfte.

Ich würde vielleicht gar nicht so eng mit ihm zusammenarbeiten. Hauptsache, ich kann meinen letzten Job und den dazugehörenden Chef hinter mir lassen und muss nicht mehr so oft darüber nachdenken, dass Männer allesamt das Letzte sind, was Frauen brauchen, um glücklich zu sein.

Und für den Rest gibt es - Gott sei gepriesen - Vibratoren und Batterien.

Der Eingangsbereich des mehrstöckigen Bürogebäudes ist großzügig und hell. Deckenhohe Fenster fluten die Lobby mit Licht und Luft. Eine bequeme Sitzgruppe aus weißem Leder beherrscht den hinteren Teil des Foyers. Ein Zeitungsständer mit tagfrischen Neuigkeiten lädt die Wartenden zum Sitzen und Schmökern ein. Mehrere Firmen- und Hinweisschilder weisen dem unwissenden Besucher den Weg durch dieses Gebäude. Vom Arzt bis zum Rechtsanwalt. In diesem Haus werde ich wahrscheinlich alles finden, um in Hamburg zu überleben.

Meine Schuhe klackern über die schwarzen, auf Hochglanz polierten Marmorfliesen. Ich würde hier nicht putzen wollen, wenn das Wetter umschlägt, geht es mir irrsinnigerweise durch den Kopf.

Die Dame hinter dem tipptop aufgeräumten, in irgendeinem dunklen Edelholz gehaltenen Empfang schmettert wichtig und geräuschvoll in die Tasten ihres PCs und nimmt mich erst zur Kenntnis, als ich unmittelbar vor ihrem Tresen stehen bleibe.

„Bitte? Was kann ich für Sie tun?“ Sie dreht sich in meine Richtung und schürzt ihre knallroten Lippen, während sie ihre perfekt manikürten Finger über der Tastatur schweben lässt, die sie eben noch malträtiert hat.

Ihr perfekt gestylter Bob lässt mich wünschen, dass sie nur mal ein Auge auf meine sündigen Schuhe werfen könnte. Unter ihren ultralangen Wimpern wirft sie mir einen Blick zu, den ich nicht deuten kann.

Wow, diese Wimpern sind niemals echt. Ganz bestimmt nicht …

Fast wünsche ich mir, ich hätte mir mit meinem eigenen Make-up mehr Mühe gegeben. Aber leider zählt das nicht zu meinen Stärken. Ich gehöre nicht zu der Sorte Frau, die sich Hochglanzmagazine kauft, nur um an die neuesten Schminktipps zu kommen und diese mithilfe der Uservideos von Youtube direkt an sich selbst auszuprobieren. Ich bin einfach nicht ausgeglichen genug, um mich mit solchen Dingen zu beschäftigen.

Ich bemerke, wie ihr Blick auf mir festfriert.

Ich habe sie wohl angestarrt.

„Bestimmt können Sie mir sagen, in welcher Etage ich die HoferEvents-Agentur finden kann?“ Ich zeige ihr mein schönstes Lächeln. Es gibt Momente, da bin ich meiner Mutter äußerst dankbar, dass sie auf das Tragen einer Zahnspange bestanden hat und sich nicht durch mein pubertäres Gezänk hat beeindrucken lassen.

„Wenn Sie mir Ihren Namen verraten wollen, könnte ich Sie sogar dort anmelden.“ Überheblich verzieht sie ihre Lippen.

Ich wünsche ihr wirklich nicht, dass sie sich den Lippenstift verschmiert.

Mit diesem anmaßenden Gesichtsausdruck, den sich Empfangsdamen zu Eigen machen, wenn sie dir nicht direkt sagen können, dass du die Regeln nicht wirklich verstanden hast, mustert sie mich abwartend.

Ich passe meinen Gesichtsausdruck dem ihren an. Sie scheint noch nicht zu ahnen, dass sie mich ab heute jeden Morgen zu Gesicht bekommen wird.

„Aber natürlich. Sommer. Pia Sommer. Ich bin eine neue Mitarbeiterin.“

Sie zieht eine ihrer perfekt geformten Augenbrauen hoch.

Oh, da ist es mir wohl gelungen, sie zu überraschen.

Mein Lächeln wird eindeutig breiter.

Nur einen Sekundenbruchteil später tippen ihre perfekt manikürten und lackierten Fingernägel eine Nummer in eines dieser unzähligen Telefone.

Ich gestehe, ich habe ein wenig Ehrfurcht. Dass man es schaffen kann, jedes einzelne dieser Geräte seinem Zweck zuzuordnen, verlangt mir Respekt ab.

Und dann kann ich mich nur immer wieder wundern, dass man mit solchen Fingernägeln überhaupt noch etwas anderes tun kann, außer sich damit durch die Haare zu kämmen.

Gut, aber auch das ist wahrscheinlich alles eine Frage der Übung.

Etwas zu herablassend mustert sie mich aus dem Augenwinkel, während sie darauf wartet, dass sich jemand am anderen Ende der Leitung meldet.

Als wenn ich das nicht mitbekommen würde. Alte Schnepfe.

Ich entspreche wohl nicht ganz ihrem Ideal.

Dann presst sie sich ihr Headset fester ins Ohr, „Paula? Hier unten steht eine Pia Sommer und behauptet, sie sei eine neue Mitarbeiterin? … Ja? … Ja, ist gut. Ich schicke sie zu dir hoch.“

Sie beendet das Gespräch und sendet mir wieder dieses Empfangsdamen-Lächeln über den Tresen.

„Frau Jansen erwartet Sie. Bitte in die 4. Etage“, näselt sie mir entgegen.

„Ich danke Ihnen vielmals für Ihre Hilfe.“ Mein Lächeln verursacht mir langsam Gesichtskrämpfe.

Auf dem Weg zu den Aufzügen hoffe ich, dass sie doch noch einen Blick auf meine Schuhe wirft. Schaden kann es nicht.

Innerlich bete ich, dass die Damen des Hauses hier nicht alle so blasiert daherkommen. Ich verspüre nicht die geringste Lust auf Zickenterror.

Der Lift ist innen verspiegelt, sodass ich auf dem Weg in die 4. Etage noch einmal schnell mein Aussehen kontrollieren kann. Mein graues Etuikleid wirkt nicht zu sportlich und nicht zu aufgesetzt. Das Wetter hat mich auf eine dickere Jacke verzichten lassen. Und die Schuhe …, jaha, die Schuhe sind der absolute Wahnsinn.

Der Einfachheit halber habe ich meine Haare zu einem tiefen Chignon gebunden.

Vielleicht hätte ich doch noch zum Frisör gehen sollen? Aber mein Pony zeigt sich ausnahmsweise mal kooperativ und liegt wie vorgesehen brav und ordentlich auf meiner Stirn. Mit den Händen massiere ich mein verkrampftes Gesicht. Ich hätte das mit dem Lächeln nicht so übertreiben sollen.

Zur Feier des Tages habe ich sogar versucht, all mein Hab und Gut in eine Handtasche zu quetschen, und bete inständig zum lieben Gott, dass ich das Ding heute nicht öffnen muss. Als Chaotin, welche ich ja nun mal bin, fürchte ich den Springteufeleffekt, sollte sich heute irgendwer zu nah an sie heranwagen. Ich könnte es mir wirklich nicht verzeihen, wenn gleich an meinem ersten Arbeitstag jemand sein Augenlicht verliert, nur weil zum Beispiel meine Bürste einen nicht vorhergesehenen Weg aus meiner Tasche findet.

Die aufsteigende Nervosität versuche ich wegzuatmen, als der stählerne Fahrstuhl mit einem Pling seine Türen öffnet.

Okay, mehr, als mich direkt wieder zu feuern, können sie auch nicht.

Wie versprochen steht Paula Jansen bereit, um mich in Empfang zu nehmen. Sie hat seit unserem letzten Treffen ein wenig zugelegt, was ich aber ihrer fortschreitenden Schwangerschaft zuspreche. Ihr rötliches, schulterlanges Haar trägt sie offen und ihr minimalistisches Make-up macht sie in meinen Augen noch sympathischer, als ich sie sowieso schon finde.

Sie trägt eine dunkelblaue Chino zu einer cremefarbenen Seidenbluse und strahlt mich an. Trotz meiner Gesichtskrämpfe strahle ich zurück.

„Hallo Pia, ich bin froh, dass Sie da sind.“ Vertraulich hakt sie sich bei mir unter und zieht mich in den ausladenden Flur der Agentur. Gleich bei unserem ersten Treffen haben wir uns auf Anhieb gut verstanden und sind direkt zum Vornamen-Gesieze übergegangen.

„Danke, ich freue mich auch, dass ich endlich hier bin.“ Mein Blick wandert neugierig umher. Der Eingangsbereich der HoferEvents-Agentur ist weiträumig und hell. Alles leuchtet in strahlendem Weiß mit Akzenten aus Chrom und Licht.

Kühle Eleganz.

An den Wänden hängen separat beleuchtete Schwarz-Weiß-Fotografien der Hamburger Speicherstadt. Große Besprechungszimmer liegen direkt neben einem Empfangstresen und die einzelnen Büros der Mitarbeiter gehen von dem langen Flur ab, der sich nach links und rechts vom Aufzug erstreckt. Paula gibt mir einen Moment Zeit, die Eindrücke auf mich wirken zu lassen.

Hier werde ich also ab sofort arbeiten. Ein zufriedenes Gefühl macht sich in mir breit. Der erste Eindruck ist ja bekanntlich der wichtigste. Zumindest, wenn man der Allgemeinheit Glauben schenken möchte. Und ich bin vorerst überzeugt von diesem ersten Eindruck.

Aus einem der unzähligen Büros kommt eine junge Frau in meinem Alter und geht lächelnd auf uns zu, als sie uns im Flur erblickt.

Ihre kurzen blonden Haare wirken völlig durcheinandergeraten, ganz so, als wäre sie soeben erst aus dem Bett gekrochen. Die rote Haremshose schmeichelt ihrer schlanken Figur und ein silbernes Fußkettchen bimmelt bei jedem ihrer Schritte. Mutig, aber ihr steht es. Paula winkt sie zu uns und stellt mich vor. „Hanna, das ist Pia Sommer. Sie wird mich während meiner Elternzeit vertreten. Und Pia, das ist Hanna Seiler. Sie kümmert sich hier unter anderem um die Buchhaltung.“ Sie lässt das Gesagte bei uns ankommen, ehe sie an mich gerichtet weiterspricht: „Wenn Sie irgendetwas brauchen sollten oder eine Frage haben, dann ist Hanna genau die richtige Ansprechperson für Sie.“

Wir reichen uns die Hände zur Begrüßung.

„Hallo, Frau Sommer, ich hoffe, es gefällt Ihnen bei uns.“ Ich bin positiv überrascht über ihren festen Händedruck. „Frau Sommer ist meine Mutter. Bitte nennen Sie mich Pia. Und ja“, ich mache eine allumfassende Armbewegung, um meinen Worten Nachdruck zu verleihen, „es gefällt mir bis jetzt ausgesprochen gut hier.“

„Das höre ich gerne, Pia.“ Sie zwinkert mir aufmunternd zu, und ich schließe auch sie augenblicklich in mein Herz. „Und ich bin Hanna. Wir sehen uns bestimmt später mal in der Kaffeeküche.“ Damit verschwindet sie hinter einer der vielen noch namenlosen Türen auf diesem Flur.

Paula führt mich noch durch einen Teil der Büros und stellt mich allen vor. Ich kann mir die Namen und jeweiligen Funktionen natürlich nicht sofort merken, gehe aber davon aus, dass das nur eine Frage der Zeit sein wird.

Neben der Buchhaltung gibt es noch die Kreativen, die IT-Nerds und eine Aushilfe, die sich um die eingehende und ausgehende Post kümmert. Auch besagte Kaffeeküche bekomme ich zu sehen.

„Hier sind unsere Getränke - vom Wasser bis zum Tee. Bitte bedienen Sie sich an allem, wonach Ihnen der Sinn steht. Den Kühlschrank können Sie auch gerne als Zwischenlager benutzen - nur bitte alles namentlich markieren, wenn Sie es später wirklich noch vorfinden möchten.“

Paula öffnet die Tür der riesigen Gefrier- und Kühlschrankkombination mit integriertem Eiswürfelbereiter.

Ganz großes Kino!

Es herrscht ein herrliches Durcheinander an Plastikdosen, Joghurtbechern und Getränkeflaschen - alles fein säuberlich gespickt mit gelben Post-its, versehen mit dem Namen des jeweiligen Eigentümers. Ich muss lachen bei diesem Anblick. Es erinnert mich doch sehr an den Kühlschrank einer Wohngemeinschaft.

Meine neue Kollegin schließt die Tür wieder und grinst. „Für alles, was keinen Namen trägt, findet sich hier in jedem Fall ein Abnehmer. Aber das werden Sie schon noch merken!“, ergänzt sie verschwörerisch.

Ich drehe mich langsam einmal um mich selbst. Diese Küche ist, wie auch alles andere hier, auf dem neuesten Stand der Technik und topmodern. Die dunkelgraue Front in Hochglanz, der Herd mit Vier-Platten-Induktionsfeld und zwei Gaskochfeldern, sowie ein Einbaubackofen in bequemer Höhe.

Bloß kein Neid, Pia!

Genauso eine Küche wünscht sich wohl jedes Mädchen, wenn es mal groß ist. Sie soll uns einfach nur glücklich machen mit all diesem schicken Schnickschnack. Insgeheim frage ich mich, ob schon jemals irgendjemand an diesem Traum von Herd den Kochlöffel geschwungen hat.

Ein Kaffeevollautomat mit unzähligen Knöpfen und Kaffeevariationen beherrscht einen Großteil der Arbeitsfläche dieser traumhaften Küchenzeile.

„Brauche ich eine Bedienungsanleitung für diese Kaffeemaschine oder gibt es eine Barista?“ Ich versuche meine Verwunderung mit Albernheit zu überspielen. Bei Neuhaus hatten wir den Luxus einer Kaffeepadmaschine. Mit diesem Ding hier vor mir werde ich garantiert überfordert sein. Ich schwöre …

Paula sieht mich einen Augenblick konsterniert an, als zweifele sie an meinem Verstand. Dann bemerkt sie lediglich meine Verblüffung über die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten und beginnt zu kichern.

„Daran gewöhnt man sich. Der Chef legt Wert auf diese Dinge. Wir kämen wahrscheinlich auch mit weniger zurecht, aber er ist der Meinung, je zufriedener wir sind, desto besser verdienen wir sein Geld.“ Sie zuckt mit den Schultern.

„Das ergibt natürlich Sinn“, pflichte ich ihr bei. „Dann will ich mal hoffen, dass ich es nicht sofort in der ersten Woche schaffe, aus dem Kaffeeautomaten eine Mikrowelle zu machen.“

Paula schmunzelt. „Das wäre wirklich dumm, zumal wir hier bereits eine davon haben.“ Sie zeigt auf die Einbaumikrowelle neben dem eingebauten Backofen.

Natürlich hat diese Küche auch eine Mikrowelle.

Sie führt mich zurück über den Flur zu unserem gemeinsamen Büro.

Es gibt zwei Arbeitsplätze sowie diverse Regale, die vollgestopft sind mit Ordnern. Wie im Eingangsbereich sind auch hier Wände und Möbel in Weiß gehalten. Der Parkettboden hat eine dunkle Maserung und verströmt den leichten Duft von Bohnerwachs oder einem Putzmittel, das doch sehr an den Geruch von Bohnerwachs erinnert. An der Wand hinter meinem Schreibtisch hängt eine riesige Pinnwand voller Schnappschüsse und Ansichtskarten diverser Kollegen und zufriedenen Kunden des Hauses.

Es gibt gerahmte Werbeplakate verschiedener Events wie Filmfestspiele, Konzertveranstaltungen oder auch Messen in ganz Deutschland. Bei näherem Betrachten findet man in der Fußnote eines jeden Plakates die HoferEvents-Agentur als Mitorganisator. Die unzähligen Plakate sind mir in den anderen Büros und in der Küche bereits aufgefallen.

Beruhigt lasse ich mich in den mir zugewiesenen Stuhl plumpsen und atme tief durch. Bis hierhin hat ja alles schon mal super geklappt. Paula macht mich sofort mit dem Betriebssystem vertraut, nennt mir die wichtigsten Kunden und erklärt mir die Ablage der verschiedenen Ordner. Ehe ich mich versehe, ist der Vormittag vorbei und meine Nervosität wie verflogen. Langsam beginne ich mich zu entspannen und als Hanna in der Bürotür erscheint und fragt, ob ich auch Lust auf chinesisches Essen in der Mittagspause habe, fühle ich mich fast schon heimisch.

Ich bin mir sicher, dass ich mit meinem Aufbruch nach Hamburg die für mich einzig richtige Entscheidung getroffen habe.