Trunkene Schwäne - Ulrich Grode - E-Book

Trunkene Schwäne E-Book

Ulrich Grode

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Beschreibung

Alltag in einer kleinen Stadt im Norden: Frauenpower im Altenheim, eine Gipfelstürmerin und ein Mädchen in Pink. Die Balletteuse im Käfig, ratlos. Was macht eine Frau Ende 40, die sich um Mutter und Tochter kümmern muss, ihren Job verliert, von der Vergangenheit eingeholt wird und nicht zusehen kann, wenn ein junger Mensch mit dem Leben alleingelassen wird? Ein typischer Grode: gegenwartsnah mit literarischem Tiefgang.

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Hälfte des Lebens

Mit gelben Birnen hänget

Und voll mit wilden Rosen

Das Land in den See,

Ihr holden Schwäne,

Und trunken von Küssen

Tunkt ihr das Haupt

Ins heilignüchterne Wasser.

Weh mir, wo nehm’ ich, wenn

Es Winter ist, die Blumen, und wo

Den Sonnenschein,

Und Schatten der Erde?

Die Mauern stehn

Sprachlos und kalt, im Winde

Klirren die Fahnen.

Friedrich Hölderlin, 1804

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

1

»Loslassen! Du sollst mich los-las-sen!«

Der kräftige Junge hielt die Hand des Mädchens fest, das ihn anschrie und verzweifelt versuchte freizukommen. Er lachte und zog sie zu sich heran. Sara stellte den Wäschekorb in den Kofferraum ihres alten Golf und ging zu den beiden. »Lass sie bitte los«, sagte sie ruhig, aber bestimmt zu dem Jungen. »Du hörst doch, dass sie das nicht will.« Er sah sie an. Sara spürte, wie er sie abschätzte, scannte. Dann ließ er das Mädchen plötzlich los, dass es rückwärts taumelte, und trottete grinsend davon.

»Danke«, sagte das Mädchen. »Emil wohnt hier in der Nähe. Ich kenn ihn von der Grundschule. Er nervt. Manchmal.«

2

»Adele.«

»Ich heiße nicht Adele, Mutter. Ich bin Sara.« Sie hängte noch ein paar Blusen in den Schrank. »Du hast mal gesagt, du hättest mich gern Adele genannt. Aber Vater habe das nicht gewollt. Das komme von Adel. Das passe nicht zu einem 68er Jahrgang. Oma hat das dann aufgegriffen, ich sehe der Schauspielerin Adele Sandrock so ähnlich, und seitdem Adele zu mir gesagt.«

»Weiß ich doch! Außerdem: Red bitte nicht so schnell. Und so laut. Du bist nicht Betty, und ich bin nicht schwerhörig.«

Sara seufzte. Ruhig bleiben. Wer immer Betty war. Zur Hölle mit ihr. Was hatte es in den vergangenen Monaten für Kraft, Nerven und Zeit gekostet, ihre Mutter in die Stadt zu holen.

»Schau«, sagte sie zu der kleinen Frau, die mit gesenktem Kopf neben ihr saß, »diese Wohnung kannst du bezahlen, sie ist für dich optimal. Sogar dein großer Lesesessel passt noch hinein. Und wenn du Unterstützung brauchst, kannst du die Hilfe der AWO in Anspruch nehmen. Von deinem Platz am Fenster aus hast du einen schönen Blick über den Eingangsbereich des Heims und rüber zum Supermarkt. Da gibt es immer was zu gucken. Und unten in der Cafeteria kannst du zu Mittag essen.«

»Hast du die Spitzwegs an der Wand gesehen? Mit dem ›Armen Poeten‹ an meiner Seite krieg ich keinen Bissen herunter!«

Nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters hatte Sara von Nachbarn und früheren Freunden ihrer Mutter jedes Jahr drängender gehört, das gehe so nicht, die arme Frau komme nicht mehr allein zurecht. Tagsüber irre sie auf dem Deich oder am Wasser umher. Neben den Mülltonnen stünden Weinflaschen. Sie meide jede Gesellschaft. Sie spinne.

Und dann das mit dem Herzen, ihr »Seelenschmerz«.

»Du weißt, ich wohn ganz in der Nähe. Ich kann nach der Arbeit immer mal auf einen Sprung rüberkommen und nach dir sehen. Und hier sind so viele Menschen. Da findest du bestimmt bald Kontakt.«

Nach der Arbeit. Sie mochte gar nicht daran denken. Vielleicht konnte sie nachher noch mal ihre Mails checken und die Termine durchgehen.

»Jetzt wird alles gut!« Wem rief sie das zu?

»Hast du die Flasche Riesling dabei? Kannst du mir ein Glas Wein bringen?«

»Ich weiß nicht. Jetzt? Es ist doch noch hell draußen! Willst du wirklich …?«

»Ich wusste gar nicht, dass Wein nur im Dunkeln getrunken wird«, stichelte die zarte Frau. »Wenn das hier so ist, müssen wir das ändern.«

»Ich schau gleich mal nach«, sagte Sara und strich sich ihr schulterlanges Haar hinter die Ohren. »Lass uns zunächst noch schnell die beiden Kisten durchsehen. Diese hat ein Zahlenschloss. Kennst du die Nummer?«

»Ja.«

»Sagst du sie mir?«

»Nein. Stell sie nach unten in den Schrank.«

»Okay. Wie du meinst.«

»So. Und hier sind deine Fotos. Welche möchtest du auf der Kommode stehen haben? Ich besorg dann ein paar Rahmen. Hier: Vater. Natürlich von Vater eins. Neben seinem BMW. Das ist doch schön.«

Ihre Mutter nahm es und sah es sich lange an. »Das muss am Tag deiner Geburtstagsfeier gewesen sein, als ich sagte, Adele wär für dich ein schöner Name gewesen. Adele ist nämlich der Name einer der ersten Äbtissinnen eines Frauenklosters gewesen.«

Sie machte eine Pause und blickte auf. »Schade, dass du nicht ins Kloster gegangen bist«, fuhr sie leise fort. »Es gibt immer noch prächtige Klöster. Damals, auf meinen Wanderungen durch die Weinberge bin ich oft an einem vorbeigekommen. Versteckt hinter mächtigen Bäumen liegt es da. Ich stell mir vor, dass der Blick von den Zellen der Nonnen weit ins Tal geht, dem Fluss folgt und sich im Nirgendwo verliert.«

»Na hör mal«, lachte Sara. »Das ist heute wohl eher abwegig für eine Frau. Es gibt nicht einmal mehr 100 Novizinnen in Deutschland. Kein attraktiver Arbeitgeber, der sich 2000 Jahre gegen Reformen sträubt. Und dann gäbe es vermutlich auch Eva nicht!«

Ihre Mutter sah wieder auf das Foto: »Vater hat nur gewitzelt, ob Schauspielerin oder Äbtissin, das sei sowieso eins. Jetzt heißt sie Sara. Thema durch.«

»Warum heiße ich eigentlich Sara?«

»Unsere Eltern sind ziemliche Nazis gewesen. Sobald die Rede auf Hitler kam, leuchteten die Augen meiner Mutter, als stünde sie noch immer inmitten von BDM oder Frauenschaft vor dem Führer und machte sich gleich vor Freude in die Hosen. Als du kamst, studierten dein Vater und ich in Berlin. In West-Berlin. Nach der Geburt schlug ich Adele als Namen vor. Aber dein Vater sagte: ›Papperlapapp. Sara! Sie soll Sara heißen. Die Urmutter des Judentums. Wir setzen ein Zeichen!‹«

Sie hielt kurz inne, als müsste sie sich fassen, und fuhr dann fort: »Ich war sehr erschöpft von der Geburt. Ich gab nach. Ich möchte das alles noch mal aufschreiben. Was waren das für wilde Zeiten damals. Erinnere mich bitte daran. Ich darf das nicht vergessen.«

Sie gab das Foto zurück.

»Er lacht hier so schön«, sagte Sara. »Wie ein kleiner Junge.«

»Er ist immer ein kleiner Junge geblieben«, hörte sie ihre Mutter sagen. »Er freut sich da über seinen neuen BMW. Irgendein Sondermodell mit zwei Rückwärtsgängen oder so. Als Schüler durfte er sich für jede gute Note ein Wiking-Auto kaufen. Mit dem Älterwerden sind die Autos dann lediglich größer geworden. Als Student fuhr er natürlich ’ne rote Ente. Bei den meisten Männern ist es so, dass sie im Grunde nie davon loskommen, sich Spielsachen zu kaufen, mit denen sie anderen imponieren können. Oder dass sie sich raufen, wer das größte Bier oder das schönste Mädchen bekommt. Guck dir diese Knaben an von Erdogan über Putin bis Trump. Mitten in der Pubertät. Und ohne Aussicht, je erwachsen zu werden.«

»Wir ändern die Welt nicht«, meinte Sara trocken.

Sie stand auf, schob den Gardinenschleier beiseite und sah auf einen großen, grauen Platz mit einigen parkenden Autos. Nebelnieselig. Ein alter Mann lud etwas aus einem Einkaufswagen in sein Auto. Im Hintergrund die schwarzen Fensterlöcher einer stillgelegten Fabrik.

»Wie im Theater«, sagte ihre Mutter. »Trüber Tag. Feld.«

»Feld?«, fragte Sara.

»Ich mein die Szene im ›Faust‹. Gretchen sitzt im Kerker. Sie hat Mutter und Kind umgebracht und wartet auf den Henker.« Sie schwieg. Fast schien es, als sehe sie es vor sich, denke tiefer darüber nach und verirre sich. Doch dann fasste sie sich: »Das ist so ziemlich die Stimmung hier, nicht wahr?«

»Du bist ungerecht«, empörte sich Sara. »Ein ziemlich kommoder Kerker. Und niemand will dich umbringen.« Sie versuchte zu lachen und fügte hinzu: »Jedenfalls noch nicht.«

»Ich bin nie mit ihm in diesem Auto gefahren«, sagte die kleine Frau, ohne auf Saras Scherz einzugehen. Es klang wie eine Feststellung, die sie selbst etwas in Erstaunen versetzte. Und leise: »Ich weiß schon lange nicht mehr, warum ich ihn damals geheiratet habe. Ich habe es wohl vergessen.«

Sie verharrte einen Moment, stand dann aber auf und ging zur Tür.

»Wohin willst du?«, fragte Sara.

Ihre Mutter lächelte sie an: »Ich bitte austreten zu dürfen, Frau Tochter.«

»Ja, natürlich«, stammelte Sara. »Entschuldige.«

»Schon gut. Du kannst vielleicht jetzt mal den Wein holen und ein wenig Musik anmachen … Adagio. Das passt wohl am ehesten.« Und als Sara sie fast wie aus Kinderaugen fragend ansah, fügte sie hinzu: »Oder ist es noch zu hell für Chopin?«

Als sie zurückkam, stand ein Glas Wein auf dem kleinen Beistelltisch neben ihrem Sessel. Sie hielt kurz inne und hörte der Musik zu: »Sehr passend, ›Tristesse‹ von Chopin«, sagte sie, setzte sich und nahm das Glas: »Du möchtest nicht? Dann …«, und genüsslich legte sie ihren Spott in jedes Wort: »… auf das Leben im Nichts, wie Fallada geschrieben hat, der diese Stadt offenbar hasste: kleinbürgerlich, prüde, ohne jede geistige Schicht!«

Sara sah sie erstaunt an: »Du hast dich ja gut informiert.« Und bissig: »Immerhin weißt du nun, warum ich hier lebe.« Als keine Reaktion kam, griff sie wieder in die Kiste.

»Ein junger Soldat in Wehrmachtsuniform. Wer ist das?« Sie reichte ihrer Mutter das Foto. »Er sieht dir irgendwie ähnlich.«

Ihre Mutter betrachtete es lange: »So. Du findest das also auch. Ich hab es im Schrank meiner Mutter gefunden, als sie im Sterben lag. In dem Umschlag befand sich noch ein Liebesgedicht. Ich denke, dass dies mein leiblicher Vater ist. Ich wurde 45 geboren. Dein Opa kam 43 in Gefangenschaft und erst 47 wieder nach Hause. Er scheidet aus. Ich habe kaum Erinnerungen an ihn. Ein grübelnder, missmutiger Mann. Kettenraucher. HB, glaub ich. Du kennst die Werbung wahrscheinlich nicht mehr. ›Wer wird denn gleich in die Luft gehen. Greife lieber zur HB!‹ Als der Krieg zu Ende ging, war deine Oma eine Frau in den besten Jahren. Sie amüsierte sich. Sie sah, wie die Welt unterging, an die sie geglaubt hatte. Eine Zukunft konnte sie sich nicht vorstellen. Der Augenblick zählte. Hinzu kam die Flucht aus dem Osten. Ihre Eltern waren bei den Angriffen auf Dresden ums Leben gekommen. Da war kein Arm, an dem sie sich festhalten konnte.«

Sie war einen Moment still.

»Da ist nie ein Arm«, flüsterte sie dann.

Sara versuchte behutsam den Tonfall aufzunehmen: »Hat dir das Oma erzählt?«, fragte sie.

»Nein. Mutter sprach nicht über diese Zeit. Später sprach sie nicht einmal über ihren Krebs. Sie wusste nicht, dass am Ende das Schweigen oft schwerer zu ertragen ist als das Reden. Zu ihrer Beerdigung kam ihre Schwester, Tante Wanda, die lange in den Staaten gelebt hat. Die konnte mir einiges erzählen.« Sie gab Sara das Foto zurück. »Er macht zwar keinen unsympathischen Eindruck, aber leg ihn zurück in die Kiste. Zu dem Jungen mit dem Auto.«

»Zu Vater!«

»Möglicherweise.«

»Was heißt das?«

»Auch Ende der 60er Jahre waren die Zeiten unübersichtlich. Auf eine andere Weise, natürlich. Jedenfalls in West-Berlin. Wir kämpften für eine bessere Welt. Wir wollten frei sein.«

»Das heißt?«

»Möglicherweise.«

»Das hast du mir nie erzählt.«

»Du hast mich nie gefragt.«

Sara überlegte einen Moment, ob eine solche Frage wohl üblich sei, stand dann aber auf und holte sich ein Glas Wein aus der Küche. Sie trank einen Schluck. Draußen schien der trübe Januartag gleichmütig in den Abend übergehen zu wollen. »Sag, vor deinem Studium hast du doch eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht.« Sie trank wieder einen Schluck. »Vater ist an einem Herzinfarkt gestorben. Du hast erzählt, dass du nachts aufgewacht bist, weil er im Schlafzimmer herumrannte und über Schmerzen in der Brust klagte. Du hast ihn beruhigt. Er solle sich wieder hinlegen und weiterschlafen. Da sei schon nichts. Am Morgen war er tot.« Sie nippte nervös am Glas. »Was ich mich damals schon gefragt habe: Hättest du als ausgebildete Krankenschwester nicht anders reagieren müssen? Hätte dir nicht gleich durch den Kopf gehen müssen, was das alles sein könnte? Hättest du nicht sicherheitshalber einen Krankenwagen rufen müssen?« Sie setzte sich und stellte ihr Glas ab. Ihr Herz pochte. Chopin spielte unbeirrt gegen eine bleierne Stille an, die sich im Zimmer breitmachte. Sie zwang sich, ruhiger zu atmen.

Schließlich sagte ihre Mutter: »Hätte … müssen.« Es war fast ein Flüstern, wie zu sich selbst gesprochen. Dann etwas lauter: »Glaub mir, ich habe bis heute keine Antwort auf deine Fragen gefunden.« Sie nahm das Glas und trank ein wenig: »Zeig mir noch zwei, drei Fotos.«

Sara zögerte einen Moment, dann schaltete sie das Licht einer Stehlampe an und griff erneut in die Kiste: »Eva mit ihrem Freund.« Sie zeigte ihrer Mutter das Bild.

»Was macht Eva eigentlich? Wo ist sie jetzt?«

»Sie arbeitet an einem Projekt in Paris. Es geht um eine französische Intellektuelle. ›Die rote Jungfrau‹ ist der Arbeitstitel, meine ich. Aber mehr weiß ich auch nicht.«

»Simone Weil?« Ihre Mutter lächelte.

»Irgendwo habe ich den Namen schon einmal gehört«, sagte Sara. »Aber hilf mir: Kennst du sie?«

»Wer kann sagen, dass er einen anderen Menschen kennt? Ich habe meine Examensarbeit über sie geschrieben. Anfang der 70er. Die ist damals sogar von einem linken Verlag als Buch herausgegeben worden. Es waren halt andere Zeiten.«

Sie hatte sehr schnell gesprochen, zögerte dann einen Moment und fügte hinzu: »Es scheint, dass einige Menschen Fragen stellen, die jede Generation neu beantworten muss. 1943 ist ihr Todesjahr. Der Dreher zeigt ihr Alter: 34. Krankheit? Selbstmord? Die Psyche?«

»Welche Fragen hat sie denn gestellt?«

Ihre Mutter brauchte ein wenig Zeit. »Um es mit den Worten eines anderen zu sagen: Wieweit kann ich als Einzelner die Gesellschaft so verändern, dass ›der Mensch dem Menschen ein Helfer ist‹?«

»Das klingt gut«, meinte Sara. »Aber auch gewaltig. Klingt nach UNICEF oder DRK.«

»Ach, meinst du?« Leichter Spott lag in der Stimme der Alten. »Das ist aber Brecht!«

»Brecht?«

»Bertolt Brecht, ja. ›An die Nachgeborenen‹. Damit meint er wohl auch dich.«

Sara unterdrückte ihren Ärger: »Sag mal, Mum, wird ›Weil‹ nicht anders ausgesprochen, wenn sie Französin gewesen ist?«

»Sicher.« Sie schmunzelte. »Wir haben uns damals einen Spaß daraus gemacht und die Vornamen der Profs mit neuen Nachnamen versehen. Unterordnende Konjunktionen. Also Jürgen Weil, Ernst Obwohl, Walter Falls, Peter Sodass usw. Wir orientierten uns an der Häufigkeit des Gebrauchs. Und wenn sie dann in ihren Vorlesungen diese Wörter benutzten, konnten wir uns gar nicht halten vor Lachen. Auch weil sie nicht wussten, warum wir lachten. Einige dachten, wir freuten uns über die Brillanz ihrer Gedanken, und blähten sich noch mehr auf.«

»Gab es denn keine Frauen im Lehrkörper?«, fragte Sara nach.

»Nee. In unserer Fakultät nicht. Ich kann mich an keine erinnern.«

»Unvorstellbar. Heute liegt der Anteil immerhin schon bei 25 Prozent.« Sara war ihrer Mutter beim Betrachten des Fotos sehr nah gekommen. Sie roch nicht nach alter Frau. War das nicht Chanel? Aber wie klein sie geworden war. Kurzes, graues Haar. Spitze Nase. Wie eine Maus. Die Haut fast durchsichtig. Und so blass. Omas Perlenkette. Wie viel Zeit blieb ihr noch?

»Ja, Eva und ihr Freund«, murmelte ihre Mutter. »Sind sie glücklich?«

»Ach, weißt du«, antwortete Sara. »Sie studieren beide. Sind fleißig. Ole ist immer sehr ernst.« Sie schwieg eine Zeit lang und fügte dann leise hinzu: »Er ist einer, der keine Spielsachen braucht.« Sara merkte, wie sie ein wenig errötete. Sie spürte den erstaunten, fragenden Blick ihrer Mutter, ärgerte sich, nahm dann aber ganz ruhig das Foto und legte es zurück in die Kiste.