Turtle-Trading - Michael Covel - E-Book

Turtle-Trading E-Book

Michael Covel

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Beschreibung

"Wir werden Trader züchten - gerade so, wie sie in Singapur Schildkröten züchten." Dieser Ausspruch stammt von Trading-Legende Richard Dennis. Hintergrund des Ausspruchs: Als Folge einer Wette beschloss er 1983, eine "Trading-Schule" zu eröffnen. Sein Ziel: Er wollte beweisen, dass man Menschen beibringen kann, wie man erfolgreich an der Börse handelt. Seine Schüler waren anfangs allesamt unbeleckte Börsenneulinge. Aus Ihnen wurden erfolgreiche Investoren - die legendären "Turtles". Sein Trading-System hat sich heute bei vielen Fondsmanagern etabliert. "Turtle Trading" erzählt die Geschichte der "Schildkröten" und ihres sagenumwobenen Handelssystems. Pflichtlektüre für alle Trader!

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Seitenzahl: 360

Veröffentlichungsjahr: 2011

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Turtle Trading

Die Legende, die Lektionen, die Resultate

Michael Covel

Copyright © 2007 by Michael W. Covel. All rights reserved.

This translation published under licence.

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel„The Complete TurtleTrader – The Legend, the Lessons, the Results“bei HarperCollins

9783942888653

© Copyright der deutschen Ausgabe 2007:BÖRSENMEDIEN AG; KULMBACHAlle Rechte vorbehalten.

1. Auflage 2007

Aus dem Amerikanischen von Egbert NeumüllerDiese Übersetzung erschien in Absprache mit HarperBusiness, einem Verlag vonHarperCollins Publishers, LLC.Gestaltung und Satz: Jürgen Hetz, Werbefritz! GmbH, KulmbachDruck: Ebner & Spiegel, Ulm

Michael W. Covel: Turtle Trading – die Legende, die Lektionen, die Resultate.Die Strategie hinter dem größten Mythos der Trading-Geschichte

ISBN 978-3-938350-48-5

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.ddb.de> abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch des auszugweisen Nachdrucks,der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durchDatenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

BÖRSEN MEDIEN AKTIENGESELLSCHAFT

FÜR JaKe HOME PLATE COLLISIONS UND GEWINNEN, DAS IST ALLES, WAS ZÄHLT.

“JEDEN MORGEN ERWACHT IN AFRIKA EINE GAZELLE. SIE WEISS, DASS SIE SCHNELLER LAUFEN MUSS ALS DER SCHNELLSTE LÖWE, DENN SONST WIRD SIE BALD GETÖTET. JEDEN MORGEN ERWECHT EIN LÖWE. ER WEISS, DASS ER SCHNELLER LAUFEN MUSS ALS DIE LANGSAMSTE GAZELLE, DENN SONST VERHUNGERT ER. ES IST EGAL, OB DU EIN LÖWE BIST ODER EINE GAZELLE. WENN DIE SONNE AUFGEHT, SOLLTEST DU LOSRENNEN.“

– AFRIKANISCHES SPRICHWORT

Inhaltsverzeichnis

TitelImpressumWidmungInschriftDanksagungenVORWORTKAPITEL EINS - Sozialisation oder Veranlagung?KAPITEL ZWEI - Prince of the PitKAPITEL DREI - Die TurtlesKAPITEL VIER - Die PhilosophieKAPITEL FÜNF - Die RegelnKAPITEL SECHS - Im MutterschoßKAPITEL SIEBEN - Wer bekommt wie viel zum Traden?KAPITEL ACHT - Game OverKAPITEL NEUN - Auf eigenen FüßenKAPITEL ZEHN - Dennis spielt wieder mitKAPITEL ELF - Die Gelegenheit beim Schopfe packenKAPITEL ZWOLF - Scheitern hat MethodeKAPITEL DREIZEHN - Turtles der zweiten GenerationKAPITEL VIERZEHN - Größe als VorbildANHAENG EINS - Wo sind sie jetzt?ANHANG ZWEI - Websites zum ThemaANHANG DREI - Performance-Zahlen von TurtlesANHANGVIER VIER - Performance – Zahlen von Turtles in der Zeit bei Richard DennisANHAFNG FÜNF - Über den Autor Michael Covel

Danksagungen

“ERZÄHLEN SIE MIR NICHTS VON REGELN. DAS IST EIN KRIEG UND KEIN CRICKET-SPIEL!“

– OBERST SAITO IN DEM FILM „DIE BRÜCKE AM KWAI“

Justin Vandergrift hat geholfen, die Regeln des Turtle Tradings zum Leben zu erwecken, und er hat viele der begleitenden Charts erstellt. Celia Straus war während des gesamten Projekts eine außerordentliche Lektorin. Ich kann gar nicht genug betonen, wie wertvoll Justin und Celia als Resonanzböden waren. Besonderer Dank gilt Shaun Jordan, weil er mir „Zugang“ verschafft hat, und Art Collins für unschätzbare Erkenntnisse. Sara Sia, Tricia Lucero, Maria Scinto und Tom Rollinger haben wichtige Recherchen besorgt. Die folgenden Menschen haben ebenfalls wesentliche Beiträge zum Zustandekommen des Buches geleistet:

Mark Abraham, Salem Abraham, Jody Arlington, Christian Baha, Randy Bolen, Peter Borish, Ken Boyle, Sarah Brown, William Brubaker, Michael Carr, Michael Cavallo, Eva Cheung, Rebecca Clear, Jerome Covel, Johanna Covel, Jonathan Craven, Gary DeMoss, Sam DeNardo, Jim DiMaria, Elizabeth Ellen, Charles Faulkner, Ethan Friedman, Michael Gibbons, Jeffrey Gordon, Roman Gregorig, Christian Halper, Martin Hare, Esmond Harmsworth, Larry Hite, Grace Hung, Wither Hurley, Ken Jakubzak, Ajay Jani, Erle Keefer, Peter Kline, Jeffrey Kopiwoda, Eric Laing, Charles Le Beau, Eleanor Lee, Marion Maneker, Michael Martin, Michael Mauboussin, Bill Miller, Brian Mixon, Archie Moore, Robert Moss, Jerry Mullins, Jerry Parker, T. Boone Pickens, Paul Rabar, Chris Roberts, James O. Rohrbach, Jay Rosser, Bradley Rotter, Mike Rundle, George Rush, Jason Russell, Jack Schwager, Paul Scrivens, Nina Gilden Seavey, Ed Seykota, Tom Shanks, Michael Shannon, Mark Shore, Barry Sims, Aaron Smith, Peter Sparber, Bob Spear, Celia Straus, Randall Sullivan, Gisete Tay, Irve Towers, John Valentine, David Wachtel, Sol Waksman, Robert Webb, Herschel Weingrod, Paul Wigdor, Thomas C. Willis und Thomas R. Willis.

Ich habe die verwendeten Quellen im Verlauf des Buches ausführlich angegeben. Material ohne Quellenangaben (zum Beispiel diverse Turtle-Zitate und Kommentare) stammen unmittelbar aus Interviews, die speziell für dieses Buch geführt wurden.

VORWORT

“DER AKTIENHANDEL LIESS SICH LEICHTER LEHREN, ALS ICH MIR Je HÄTTE TRÄUMEN LASSEN. AUCH WENN ICH DER EINZIGE WAR, DER IHN FÜR LEHRBAR HIELT […], LIESS ER SICH DOCH LEICHTER LEHREN, ALS ICH ES MIR IN MEINEN WILDESTEN TRÄUMEN VORGESTELLT HÄTTE.“

– RICHARD DENNIS

Dies ist die Geschichte einer Gruppe zusammengewürfelter Schüler – viele ohne Wall-Street-Erfahrung –, die zu Aktienmillionären ausgebildet wurden. Stellen Sie sich Donald Trumps Serie „The Apprentice“ oder Reiner Calmunds „Big Boss“ in der wirklichen Welt, mit echtem Geld, mit echten Einstellungen und Kündigungen vor. Aber diese Kandidaten wurden ins eiskalte Wasser geworfen und aufgefordert, sofort Geld zu verdienen; dabei standen Millionen auf dem Spiel. Sie versuchten nicht, in den Straßen von New York Eiscreme zu verkaufen. Sie handelten mit Aktien, Anleihen, Devisen, Öl und an Dutzenden anderen Märkten, an denen sie Millionen verdienten.

Diese Geschichte reißt die Fassade von dem üblichen Image des Wall-Street-Erfolges, das in der populären Kultur so sorgfältig gepflegt wird: Prestige, Verbindungen und kein Platz am Tisch für den kleinen Mann, der den Markt schlagen will – und den Markt zu schlagen ist keine Kleinigkeit. Der legendäre Investor Benjamin Graham sagte immer, die Analysten und Fondsmanager als Gesamtheit könnten den Markt nicht schlagen, weil sie im Endeffekt selbst der Markt seien. Dazu kommt noch, dass die Wirtschaftswissenschaftler seit Jahrzehnten die Theorie der Markteffizienz verfechten und auch hier wieder argumentieren, es sei nicht möglich, die Aktienindizes zu schlagen.

Und doch kann man durchaus das große Geld verdienen und den Markt schlagen, wenn man nicht der Masse nachläuft und wenn man über den üblichen Rahmen hinausdenkt. Jeder hat die Chance, im Börsenspiel zu gewinnen, aber er oder sie braucht dafür die richtigen Regeln und die richtige Einstellung. Diese richtigen Regeln und diese richtige Einstellung kollidieren allerdings mit der grundlegenden Natur des Menschen.

Diese echte „Apprentice“-Geschichte läge immer noch begraben, wenn mir nicht zufällig die Ausgabe Juli 1994 der Zeitschrift Financial World in die Hände gefallen wäre, deren Titelstory „Wall Street’s Top Players“ hieß. Das Titelbild dieser Ausgabe zeigt den berühmten Vermögensverwalter George Soros beim Schachspiel. Er hatte in jenem Jahr 1,1 Milliarden Dollar verdient. In dem Artikel wurden die 100 Personen aufgezählt, die an der Wall Street im Jahr 1993 am meisten Geld verdient hatten – wo sie wohnten, wie viel sie verdienten und wie sie das grundsätzlich machten. Erster war Soros. Auf Platz 2 kam Julian Robertson mit 500 Millionen Dollar. Bruce Kovner belegte mit 200 Millionen Platz 5. Henry Kravis von KKR stand mit 56 Millionen Dollar an 11. Stelle. John W. Henry, Louis Bacon und Monroe Trout standen auch auf dieser Liste.

Diese Rangfolge (und die Beträge) zeigten glasklar, wer die „Herren der Welt“ waren, was das Geld anging. Das waren ohne Zweifel die besten „Spieler“. Unerwarteterweise lebte und arbeitete einer von ihnen zufällig außerhalb von Richmond in Virginia, nur zwei Stunden von meinem Wohnsitz entfernt.

Auf Platz 25 der Liste stand R. Jerry Parker von Chesapeake Capital (wie bitte?) und er hatte 35 Millionen Dollar verdient. Parker war noch keine 40 Jahre alt. Seine Kurzbiografie beschrieb ihn als früheren Schüler von Richard Dennis (wer ist das?) und er war als „Turtle“ [Schildkröte] (was bitte?) ausgebildet worden. Es hieß, im Alter von 25 Jahren sei der damalige Buchhalter Parker im Jahr 1983 bei Dennis in die Lehre gegangen, um sein „Trend-Following-System“ zu erlernen. Außerdem stand in dem Artikel, er sei ein Schüler von Martin Zweig (wer ist das?), der in jenem Jahr zufälligerweise Rang 33 der Höchstbezahlten belegte. In diesem Moment war der Name Dennis genauso wichtig oder unwichtig wie der Name Zweig, aber jedenfalls schien es, als hätten diese beiden Männer Parker extrem reich gemacht.

Ich studierte die Liste intensiver und offenbar war Parker der Einzige unter den Top 100, von dem es hieß, er sei „ausgebildet“ worden. Auf mich, der ich selbst auf der Suche nach Möglichkeiten war, so viel Geld zu verdienen, wirkte diese Kurzbiografie sofort inspirierend, auch wenn darin überhaupt nichts Konkretes gesagt wurde. Dieser Mann prahlte damit, dass er aus der „tiefsten Provinz von Virginia“ stammte; er liebte Country-Musik und hielt sich von der Wall Street so fern wie möglich. Das war nicht die typische Geschichte von einem Mann, der reich wurde – so viel wusste ich.

Die übliche Auffassung, erfolgreich könne man nur sein, wenn man in einem der 80-stöckigen Türme aus Stahl und Glas in New York, London, Hongkong oder Dubai arbeitet, war eindeutig völlig falsch. Jerry Parkers Büro lag mitten im Nirgendwo, 30 Meilen außerhalb von Richmond in Manakin-Sabot in Virginia. Kurz nachdem ich die erwähnte Zeitschrift gelesen hatte, fuhr ich dorthin; ich sah das Büro und die Abwesenheit jeglichen Dünkels. Ich saß im Auto auf dem Parkplatz und dachte: „Das soll wohl ein Witz sein. Hier verdient er das ganze viele Geld?“

Malcolm Gladwell hat einmal den berühmten Ausspruch getan: „Ein Augenblick kann so viel wert sein wie Monate rationaler Analyse. “ Der Anblick von Parkers Provinzbüro war für mich wie ein elektrischer Schlag und er zerstreute meine Befürchtungen, dass der Ort von Bedeutung wäre. Man wusste damals von Jerry Parker nichts außer dem, was in der Ausgabe Juli 1994 von Financial World stand. Gab es noch mehr solcher Schüler? Wie wurden sie zu Schülern? Was wurde ihnen beigebracht? Und wer war dieser Dennis, der Parker und andere unterrichtet hatte?

Richard Dennis war ein Bilderstürmer, ein Spekulant aus Chicago, der nichts mit irgendeiner großen Investmentbank oder einem Fortune-500-Unternehmen zu tun hatte. Die Kenner des Chicagoer Parketts sagten gern, Dennis verwette „sein letztes Hemd“. 1983 war er 37 Jahre alt und hatte aus dem Grundstock von ein paar Hundert Dollar Hunderte Millionen gemacht. Dennis hatte das auf eigene Faust in weniger als 15 Jahren geschafft. Er hatte nie eine richtige Ausbildung genossen oder sich von jemandem anleiten lassen. Er ging kalkulierte Risiken ein und machte dank der Hebelwirkung enorme Gewinne. Wenn ihm ein Trade gefiel, nahm er so viel davon, wie er bekommen konnte. Er betrachtete die Märkte in der Praxis als „Wettgeschäft“.

Dennis überlegte sich, wie man in der realen Welt Nutzen aus dem Verständnis der „Behavioral Finance“ ziehen könnte – und zwar Jahrzehnte bevor Professoren den Nobelpreis bekamen, weil sie diese Theorie predigten. Seine Konkurrenten konnten nie recht begreifen, wie er es beständig schaffte, das irrationale Verhalten von Märkten aller Art auszunutzen. Sein Durchblick, was Wahrscheinlichkeiten und Ergebnisse angeht, war einfach irre.

Dennis marschierte einfach nach einem anderen Rhythmus als die anderen. Die Presse spekulierte zwar ausgiebig über sein Vermögen, aber er scheute die Öffentlichkeit. „Ich finde das ziemlich taktlos“, sagte Dennis.1 Vielleicht widerstrebte es ihm deshalb so sehr, über seinen Reichtum zu sprechen, weil er eigentlich beweisen wollte, dass sein Spekulationsgeschick nichts Besonderes war. Er dachte, jedermann könnte lernen, wie man tradet, wenn man es ihm richtig beibringt.

Sein Partner William Eckhardt war anderer Meinung und aus diesem Disput entsprang ein Experiment: In den Jahren 1983 und 1984 wurden Schüler für zwei „Trading-Kurse“ gesucht und gefunden. Woher der Name „Turtle“ – also „Schildkröte“ – kommt? Das war einfach nur eine scherzhafte Bezeichnung für die Schüler von Dennis. Er hatte auf einer Reise nach Singapur einmal eine Schildkrötenzucht besichtigt. Beim Anblick eines riesigen Trogs, in dem sich die frisch geschlüpften Schildkröten wanden, rief er aus: „Wir werden genauso Trader züchten, wie man in Singapur Schildkröten züchtet.“

Nachdem Dennis und Eckhardt Neulingen wie Jerry Parker beigebracht hatten, wie man Millionen macht, und nachdem die „Schule“ wieder geschlossen war, verwandelte sich das Experiment in eine mündlich überlieferte Legende, die mit der Zeit von Fakten untermauert wurde. Die Version der Geschichte, die im National Enquirer stand, regte im Jahr 1989 das Wall Street Journal zu der Schlagzeile an: „Sind die Fähigkeiten eines erfolgreichen Traders erlernbar? Oder sind sie angeboren, eine Art sechster Sinn, den manche Menschen von Geburt an haben?“

Die 1980er-Jahre sind längst vergangen und viele Leser werden sich fragen, ob die Turtle-Story noch Gültigkeit besitzt. Sie ist relevanter denn je! Die Regeln und die Philosophie, die Dennis seinen Schülern vermittelte, ähneln der Trading-Strategie von John W. Henry, der inzwischen Besitzer der Baseballmannschaft Boston Red Sox ist. Es gibt heute zahlreiche Hedgefonds mit einem Milliardenvermögen, die auf ähnlichen Philosophien basieren. Es stimmt schon, der typische Tipp-Jäger, der jeden Tag vor CNBC klebt, hat von der Geschichte noch nichts gehört, aber die Player von der Wall Street, die das richtig große Geld machen, die kennen sie.

Die ausführliche Geschichte wurde einem breiteren Publikum bis heute nicht erzählt, weil Richard Dennis heute kein bekannter Name ist und weil an der Wall Street seit 1983 so vieles passiert ist. Als das Experiment beendet war, gingen alle Beteiligten – Lehrer und Turtles – ihrer eigenen Wege, und ein bedeutender Menschenversuch fiel durch das Raster, obwohl das, was damals geschah, heute genauso bedeutsam ist wie damals.

Die Freilegung der Story entwickelte ihre eigene Dynamik erst, als ich im Jahr 2004 nach der Fertigstellung meines ersten Buchs, „Trend Following“, nach Baltimore in die Zentrale von Legg Mason eingeladen wurde. Nach dem Essen ging ich mit Bill Miller, dem Manager des 18 Milliarden schweren Fonds Legg Mason Value Trust (LMVTX), in einen Seminarraum im obersten Stockwerk des Gebäudes. Er übertraf seit 15 Jahren den S&Ps 500 und spielte somit etwa in der gleichen Liga wie Warren Buffett. Er war genauso wie Dennis kalkulierte Risiken eingegangen und hatte in der Mehrzahl der Fälle richtiggelegen. 2 An diesem Tag war der Raum mit lernbegierigen Trainees gefüllt, denen er eine Vorlesung halten wollte.

Völlig unvermittelt bat mich Miller, an das Rednerpult zu treten und zu den Kursteilnehmern zu sprechen. Die ersten Fragen kamen allerdings gleich von Miller und Michael Mauboussin (dem Chief Investment Strategist von Legg Mason), und zwar: „Erzählen Sie uns von Richard Dennis und den Turtles.“ In diesem Moment wurde mir klar: Wenn diese beiden Wall-Street-Profis mehr über Dennis, über das Experiment und über die Turtles wissen wollen, dann will ganz sicher auch ein größeres Publikum die Geschichte hören. Aber da ich keiner von denen war, die im Jahr 1983 unmittelbar von Dennis und Eckhardt gelernt hatten, wusste ich, dass es eine schwere Herausforderung war, eine Geschichte mit derart vielen konkurrierenden Charakteren vollständig und vom Standpunkt des objektiven Beobachters aus zu erzählen. Ich musste diejenigen, die noch leben, zum Sprechen bewegen und dann alles mit detektivischen Recherchen bestätigen, um die Geschichte zum Leben zu erwecken. Und dann muss ich sagen, dass die Seifenoper, die sich hinter den Kulissen abspielte – gewisse Turtles arbeiteten hartnäckig gegen die Veröffentlichung des vorliegenden Buches – schon eine Geschichte für sich ist.

Das größte Problem mit dieser Art von Geschichten ist nach wie vor, dass die meisten Menschen gar nicht wirklich verstehen wollen, wie die echten Profis das große Geld verdienen. Sie wollen, dass der Weg zum Reichtum leicht und mühelos ist. Sehen Sie sich einmal die kollektive Begeisterung für Jim Cramer an – das exakte Gegenteil von Richard Dennis und Jerry Parker. Cramer ist ohne Zweifel intelligent, aber schalten Sie einmal seine äußerst beliebte Fernsehsendung „Mad Money“ ein, dann haben Sie eher das Gefühl, dass Sie einem Verkehrsunfall beiwohnen. Das Publikum pfeift und johlt, wenn Cramer seine fundamental basierten Kaufsignale und seine wilden Anfälle zum besten gibt und auf die Requisiten einschlägt. Mit einem Wort: Blödsinn.

Viele Menschen – auch viele hochgebildete Menschen – halten Cramers Weg für den Weg zum Reichtum. Anstatt mit statistischen Methoden an Marktentscheidungen heranzugehen, investiert die große Mehrheit weiterhin aufgrund impulsiver Gefühle und lässt ihr Leben von einem Sortiment emotionaler Neigungen beherrschen. Doch letztlich sind die Menschen auf der Gewinnseite risikoscheu und auf der Verlustseite risikobereit. Sie stecken in der Klemme.

Die Erfolgsmethode des durchschnittlichen Anlage-Frischlings ist nicht gerade hübsch. Er steigt ein, weil seine Freunde das auch machen. Dann bringen die Nachrichten Stories über kleine Leute, die es im Zuge einer netten Hausse zu etwas gebracht haben. Alle fangen an zu investieren, indem sie Aktien zu „niedrigen“ Preisen kaufen. Während der Markt noch mit lautem Gebrumm in ihre Richtung braust, kommt ihnen der Gedanke an einen Crash gar nicht erst in den Sinn: „Da steckt so viel Geld drin, der kann gar nicht fallen!“ Nie sehen sie das Massaker vorher kommen, obwohl ihre Aktienblase nicht anders ist als die früheren Blasen.

Die Medien erzählen uns, der Durchschnittsanleger habe das Konzept des Risikos inzwischen begriffen, aber trotzdem nimmt das Ungleichgewicht zwischen der Sorge um Möglichkeiten und dem Unwissen um Wahrscheinlichkeiten epidemieartige Ausmaße an.3

Die Menschen verspielen ein Vermögen, weil sie auf Ahnungen vertrauen und verlieren, oder weil sie verdoppeln, obwohl sie der Logik nach passen müssten. Am Ende ihres Lebens haben sie kein bisschen gelernt, wie es richtig geht. Aber abseits der Masse gibt es ein paar Menschen, die auf geradezu unheimliche Weise wissen, wann sie kaufen und verkaufen müssen und die mit einem nicht ganz geheuren Geschick Risiken einschätzen können.4

Richard Dennis beherrschte den unheimlichen Trick schon, als er Anfang 20 war. Im Gegensatz zu der Allgemeinheit, die mit ihrem Gefühl verheiratet ist, berechnete Dennis mit mathematischen Methoden Risiken und nutzte dies zu seinem Vorteil. Was er lernte und lehrte, hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Cramers gebellten Aktientipps. Und was noch wichtiger war, Dennis bewies, dass seine Fähigkeit, an den Märkten Geld zu verdienen, nicht nur Glück war. Seine Schüler – größtenteils Neulinge von der Straße – verdienten für ihn und für sich selbst Millionen.

Wer waren Richard Dennis und William Eckhardt? Wie spielte sich die Geschichte wirklich ab und wie lernten die Turtles ihr Handwerk? Welche Trading-Regeln wurden ihnen beigebracht und wie kann der heutige Durchschnittsanleger diese Erkenntnisse für sein Portfolio nutzen? Was passierte mit ihnen in den Jahren nach dem Experiment? Ich suchte mit und ohne die Mitarbeit von Dennis und seinen Schülern nach den Antworten auf diese Fragen – ich drehte jeden Stein um –, und letztlich erhielt diese Suche seit 1994 meine leidenschaftliche Neugier aufrecht.

Mit dieser Neugier stehe ich nicht allein. Der Autor Steve Gabriel schrieb kürzlich auf Yahoo Finance: „Das Experiment, das beweist, dass wir alle lernen können, unseren Lebensunterhalt mit Trading zu bestreiten, wurde bereits durchgeführt. Deshalb sind die ‚Turtles‘ so wichtig.“ Die Turtles sind die Antwort auf die uralte Frage danach, ob die Veranlagung oder die Sozialisation zählt, der lebende Beweis für die berühmteste Schule, wie man an der Wall Street Geld verdient.

KAPITEL EINS

Sozialisation oder Veranlagung?

“GEBT MIR EIN DUTZEND GESUNDE SÄUGLINGE UND MEINE EIGENE SPEZIELLE WELT, IN DER ICH SIE AUFZIEHEN KANN, DANN GARANTIERE ICH EUCH, DASS ICH IRGENDEINEN DAVON ZUFÄLLIG AUSWÄHLEN UND IHN ZU JEDEM VON MIR GEWÜNSCHTEN SPEZIALISTEN AUSBILDEN KANN – ARZT, ANWALT, KÜNSTLER, HÄNDLER, CHEF UND, JA SOGAR BETTLER ODER DIEB, UND ZWAR UNABHÄNGIG VON SEINEN BEGABUNGEN, VORLIEBEN, NEIGUNGEN, FÄHIGKEITEN, BERUFUNGEN UND VON DER RASSE SEINER VORFAHREN.“

– JOHN B. WATSON, AMERIKANISCHER PSYCHOLOGE VOM ANFANG DES 20. JAHRHUNDERTS

Als Chicagos regierender Trader Richard Dennis Anfang der 1980er-Jahre beschloss, sein Realexperiment durchzuführen, heizte sich die Wall Street gerade auf. Der Aktienmarkt stand am Beginn einer riesigen Hausse. Auf der weltpolitischen Bühne war der Irak gerade in den Iran einmarschiert. Der Technologieriese IBM hatte gerade Lotus 1-2-3 herausgebracht und Microsoft hatte sein neues Textverarbeitungsprogramm „Word“ auf den Markt gebracht. Präsident Reagan rief, sehr zum Leidwesen des freigeistigen Dennis, das „Jahr der Bibel“ aus.

Bei der Suche nach seinen speziellen Versuchskaninchen umging Dennis die üblichen Einstellungsmethoden. Sein Unternehmen C&D Commodities stellte einen Etat von 15.000 Dollar für Kleinanzeigen im Wall Street Journal, in Barron’s und im International Herald Tribune zur Verfügung, in denen für den Spätherbst 1983/ 1984 Trainees gesucht wurden. Die begierigen Arbeitssuchenden lasen Folgendes:

„Richard J. Dennis von C&D Commodities nimmt Bewerbungen für die Stellung eines

Commodity Futures Trader

zur Erweiterung seines bestehenden Trader-Teams an.

Herr Dennis und Kollegen wollen eine kleine Gruppe von Bewerbern in ihren speziellen Trading-Methoden ausbilden. Erfolgreiche Kandidaten werden dann ausschließlich im Auftrag von Herrn Dennis handeln: Sie dürfen nicht auf eigene Rechnung oder im Auftrag Dritter mit Futures handeln. Die Trader werden an ihren Trading-Gewinnen prozentual beteiligt. Handelserfahrung wird berücksichtigt, ist aber nicht Bedingung. Die Bewerber sollen sich mit einem Lebenslauf und mit einem Satz der Begründung unter folgender Adresse bewerben:

C&D Commodities z. Hd. Dale Dellutri 141 W. Jackson, Suite 2313 Chicago, IL 60604

Die Bewerbungen müssen bis zum 1. Oktober 1984 eingegangen sein. Keine telefonische Bewerbung.“

Auf diese Anzeige auf den hinteren Seiten der überregionalen Zeitungen gingen überraschend wenige Antworten ein, wenn man bedenkt, was Dennis da anbot. Aber schließlich rechnen die Menschen ja nicht damit, dass der Weg zum Reichtum offen vor ihnen liegt.

Diese Anzeige forderte jedermann auf, in eine der erfolgreichsten Investmentfirmen Chicagos einzutreten, denn Berufserfahrung war nicht verlangt. Das war so ähnlich wie wenn die professionelle Footballmannschaft Washington Redskins mehrere Stellen ohne Rücksicht auf Alter, Gewicht oder Football-Erfahrung ausgeschrieben hätte.

Das Staunenswerteste daran war wohl, dass C&D eigene Trading-Konzepte lehren wollte. Das war zu der damaligen Zeit (und auch in der heutigen Zeit) unerhört, denn großartige Trading-Systeme, die Geld bringen, werden sonst immer unter Verschluss gehalten.

Dieses Stellenangebot wurde lange vor der Zeit ausgeschrieben, als Anzeigen unter Craig’s List eine Kettenreaktion von Informationen lostraten; dort gehen auf jedes beliebige Stellenangebot innerhalb von Stunden Tausende von Bewerbungen ein. Wenn Dennis diese Anzeige heutzutage schalten würde, dann würde er ohne jeden Zweifel mit Millionen von Bewerbungen aus allen Winkeln der Welt überschwemmt werden. Aber das war eben 1983 und es war noch nicht möglich, mit einem Blog im Handumdrehen die ganze Welt anzusprechen.

Die potenziellen Schüler, die schließlich eingestellt wurden, erinnern sich daran, dass sie wie vor den Kopf geschlagen waren: „Das kann doch nicht das sein, wofür ich es halte“, sagten sich viele. Das war die unglaubliche Einladung, zu Füßen des größten lebenden Traders von Chicago zu lernen und dann mit seinem Geld zu traden und einen Gewinnanteil zu behalten. Die Antworten, die auf eines der großartigsten Ausbildungsangebote des Jahrhunderts eingingen, rangierten von einem Satz auf einer Kokosnuss bis hin zu dem banalen Satz: „Ich glaube, ich kann Geld für Sie verdienen.“ Aber es ist ja auch klar: Dafür, wie man einen reichen, zurückgezogenen und exzentrischen Trader so auf sich aufmerksam machen könnte, dass man zu dem nächsten Schritt übergehen konnte, nämlich zu einem persönlichen Gespräch, gab es keinen vorgefertigten Plan.

Dass das Netz so weit ausgeworfen wurde, gehörte zu Dennis’ Vorhaben, seinen jahrzehntelangen Disput mit seinem Partner William Eckhardt über die Frage „Veranlagung oder Sozialisation“ zu lösen. Dennis hielt sein Handelsgeschick ganz einfach nicht für eine natürliche Begabung. Er betrachtete die Märkte wie ein Monopoly-Spiel. Er sah darin Strategien, Regeln, Chancen und Zahlen, die objektive und erlernbare Ziele darstellten.

Nach Dennis’ Auffassung war alles lehrbar, was mit den Märkten zusammenhing, angefangen bei der ersten Grundvoraussetzung: der richtigen Auffassung von Geld. Er sah Geld im Gegensatz zu den meisten von uns nicht als Mittel, um im Einkaufszentrum etwas zu kaufen. Er betrachtete Geld als Möglichkeit, Punkte zu zählen. Er hätte als Maßeinheit genauso gut Kieselsteine nehmen können. Eine emotionale Bindung an Geld schien er nicht zu kennen.

Er sagte zum Beispiel: „Wenn ich 5.000 Dollar verdiene, kann ich mehr einsetzen und womöglich 25.000 verdienen. Und wenn ich 25.000 verdiene, kann ich auch das wieder einsetzen und auf 250.000 kommen. Und wenn ich so weit bin, kann ich noch einmal mehr setzen und auf eine Million kommen.“ Er dachte in Leverage-Begriffen. Auch dass konnte er seiner Meinung nach lehren.

Dennis’ Partner Eckhardt hingegen war fest im Veranlagungs-Lager verwurzelt („entweder wird man mit Trading-Geschick geboren oder eben nicht“). Dennis dazu: „Ich bin mit meinem Partner Bill seit der Highschool befreundet. Wir hatten philosophische Meinungsverschiedenheiten über alles, was man sich nur vorstellen kann. In einer dieser Diskussionen ging es um die Frage, ob man die Fähigkeiten eines erfolgreichen Traders auf einen Satz Regeln reduzieren kann. Das war meine Ansicht. Oder ob es da etwas Unsagbares, Mystisches, Subjektives oder Intuitives gibt, das einen zum guten Trader macht. Diese Streitfrage stand schon seit langer Zeit im Raum und irgendwie war ich wohl die leeren Spekulationen leid. Schließlich sagte ich: ‚Ich weiß eine Möglichkeit, wie wir diese Streitfrage definitiv lösen können. Stellen wir doch ein paar Leute ein, bilden sie aus und sehen, was passiert.‘ Er war einverstanden. Das war ein intellektuelles Experiment.“ 5

Auch wenn Eckhardt nicht glaubte, dass man Trader „machen“ könnte, so glaubte er doch an die Schwächeren. Er kannte viele Multimillionäre, die mit ihrem ererbten Vermögen spekuliert hatten und auf die Nase gefallen waren. Eckhardt erkannte, dass sie alles verloren, weil sie beim Verlieren keinen Schmerz empfanden. „Es ist viel besser, wenn man nur mit ein paar Groschen auf den Markt geht und das Gefühl hat, dass man es sich nicht leisten kann, etwas zu verlieren. Ich würde eher auf jemanden setzen, der mit ein paar Tausend Dollar anfängt, als auf jemanden, der mit Millionen einsteigt.“ 6

Wenn man Dennis’ und Eckhardts Experiment im Einzelnen weiterdenkt, öffnet sich die Büchse der Pandora – lauter Meinungen und Vorlieben. Der größte Teil der Gesellschaft bewertet und beurteilt Menschen nach ihrem IQ, nach Punkten, LSATs, GPA [Notendurchschnitte], nach akademischen Graden oder irgendwelchen anderen Maßen. Aber wenn der Intelligenzquotient oder ein sonstiges Maß der einzig notwendige Fahrschein zum Erfolg wäre, dann wären alle intelligenten Menschen steinreich, doch das ist ja offensichtlich nicht der Fall.

Der inzwischen verstorbene große amerikanische Paläontologe, Evolutionsbiologe und Wissenschaftshistoriker Stephen Jay Gould tat die Fehlauffassungen der Gesellschaft über Intelligenz leichthin ab: „Wir denken uns Amerika gerne als ein Land mit egalitären Traditionen, eine in Freiheit gebildete Nation, die dem Gedanken verpflichtet ist, dass alle Menschen gleich sind.“ 7

Aber in Goulds Augen neigte Amerika immer mehr dazu, Maße und Verhältnisse als einziges Mittel zur Vorhersage des Erfolges im Leben anzusehen; er war entsetzt über die wachsende Vorliebe der Amerikaner, eine erbliche Interpretation des IQ als Werkzeug der Beschränkung einzusetzen. 8

Dennis glaubte genauso wenig wie Gould an die Erblichkeit des IQ. Er wollte seine geistige Software in die Gehirne seiner Schüler einpflanzen und dann seine Turtle Trader in einer kontrollierten Umgebung unterbringen, damit er sehen konnte, wie sie reagierten und welche Leistung sie brachten.

Dass jemand von diesem Kaliber und mit diesem Erfolg derart entschlossen war zu beweisen, dass die Sozialisation über die Veranlagung triumphiert – so entschlossen, dass er sogar anderen Menschen seine ureigenen Trading-Methoden beibrachte –, das war schon außergewöhnlich. Sein Partner war sicher überrascht, dass Dennis bereit war, so viel von seinem eigenen Geld in die Hände von Amateuren zu legen.

William Eckhardt hatte mit seinem dunklen Bart, mit seinen Koteletten und seinen Geheimratsecken eine frappierende Ähnlichkeit mit Lenin und mit seiner sehnigen, drahtigen Statur war er das genaue Gegenteil des über 1,90 großen und ganz schön rundlichen Dennis. Er war von den beiden der eigentliche Mathematiker, er hatte einen Master-Titel der University of Chicago und er hatte vier Jahre an einer Dissertation über mathematische Logik gearbeitet.

Aber was die Diskussion über Veranlagung und Umwelt anging, vertrat Eckhardt einen gnadenlosen biologischen Determinismus. Er war sicher, dass sein Partner ein sogenannter Savant war, ein introvertiertes Genie mit besonderen genetisch bedingten Begabungen.

Auch heute noch würden viele Menschen gegen Dennis argumentieren, dass die „biologische Determinierung“ – also dass die Genetik die physische Beschaffenheit und das Verhalten eines Organismus bestimmt – nicht überwunden werden könne. 9

Für hoffnungsvolle Trader und für Unternehmer auf allen Gebieten, denen der passende Stammbaum und der richtige IQ fehlt, ist das eine schlechte Nachricht. Die Ironie der Geschichte besteht darin, dass der Markterfolg von vielen Menschen immer noch als eine Art durch den IQ bestimmtes Kastensystem betrachtet wird, obwohl Dennis vor über 20 Jahren das Gegenteil bewiesen hat.

Die Skeptiker des Turtle-Experiments bringen unaufhörlich die Behauptung vor, was für ein großes Glück es gewesen sei, auf die Kleinanzeige von Dennis zu antworten. Sie argumentieren, wenn man kein Insider gewesen sei, habe man unmöglich wissen können, dass diese Anzeige die Eintrittskarte unter die 100 bestbezahlten Trading-Cracks der Wall Street (wie Jerry Parker) war.

Wie hätte jemand wissen können, dass eine Anzeige womöglich das überbrücken könnte, was Warren Buffett einmal liebevoll als „Eierstock-Lotto“ bezeichnet hat, und einer zufälligen Gruppe von Menschen die Chance auf Millionengewinne bieten würde? Diese Tatsache ist schwer zu akzeptieren. Sie klingt allzu sehr wie ein Drehbuch aus Hollywood.

DIE WELT IST KLEIN

Richard Dennis wollte einen Mischmasch verschiedener Persönlichkeiten haben, ähnlich wie bei den Castings von MTV Real World. Er wählte einen ultrarechten Konservativen und leidenschaftliche Liberale aus. Aus den mehr als Tausend Bewerbern, die ihren Hut in den Ring warfen, wurden ein Highschoolabgänger und ein MBA genommen. Der wüste Querschnitt, den die Endauswahl der Turtles darstellte, zeigte Dennis’ Wunsch nach Vielfalt.

Zu den erfolgreichen Bewerbern gehörten College-Absolventen von der S.U.N.Y. in Buffalo (Betriebswirtschaft), von der Miami University in Ohio (Volkswirtschaft), vom New England Conservatory of Music (Klavier und Musiktheorie), vom Ferrum College in Virginia (Rechnungswesen), von der Central Connecticut State University (Marketing), von der Brown University (Geologie), von der University of Chicago (Doktor der Sprachwissenschaft), vom Macalester College (Geschichte) und von der United States Air Force Academy.

Weitere Schüler von Dennis hatten bis vor Kurzem bei folgenden Arbeitgebern gearbeitet: Cushman/Wakefield (Sicherheitsdienst), Caterpillar Tractor (Verkäufer), Collins Commodities (Broker), Ground Round Restaurant (Assistent der Geschäftsführung), A. G. Becker (Telefonist), Palomino Club (Barmixer) und Dungeons and Dragons (Brettspielgestalter). Ein Schüler gab als Berufsstand einfach „arbeitslos“ an.

Vorher waren die erfolgreichen Bewerber teils noch profaneren Tätigkeiten nachgegangen: Küchenhilfe, Lehrer, Gefängnisberater, Bote, Buchhaltungssekretär und Kellner.

Dennis wählte eine Frau aus, die auf die Anzeige geantwortet hatte – in den 1980er-Jahren, als Trading in Chicago noch „Männersache“ war, eine Seltenheit. Außerdem wählte er heterosexuelle und homosexuelle Schüler aus, auch wenn nicht bekannt ist, ob er damals von den sexuellen Orientierungen wusste. Die Palette reichte von gepflegten, professoralen Akademikern über normale Arbeiter bis hin zu recht schillernden Persönlichkeiten.

Dennis suchte gewisse Eigenschaften. Er wollte Schüler, die erkennbar bereit waren, kalkulierte Risiken einzugehen. Wer irgendwie auf unkonventionelle Weise von der Masse abstach, war im Vorteil. Das war in den 1980er-Jahren kein normales Einstellungsverfahren und es wäre auch heute nicht normal. So werden beispielsweise die heutigen MBAs auf die intellektuellen Anforderungen getrimmt, die mit der Leitung eines Unternehmens verbunden sind, aber sie machen sich nur ungern die Hände schmutzig. Sie meinen, außer IQ und Verbindungen bräuchten sie nichts weiter. Die eigentliche Arbeit wollen sie nicht machen. Sie wollen nicht wirklich Risiken eingehen. 10

Solche Menschen wollte Dennis gerade nicht haben. Er suchte Menschen, die gerne Glücksspiele spielten. Er suchte Menschen, die in Begriffen von „Chancen“ dachten. Sie denken wie ein „Handikapper“ in Las Vegas? Dann hätten Sie gute Chancen auf ein Vorstellungsgespräch gehabt. Für alle, die Dennis kannten, war das keine Überraschung. Auf Gelegenheiten zu reagieren, die andere gar nicht erkannten – genau so ging er durchs Leben.

Angesichts dieser Geschichte kann man sich gut vorstellen, welche Legende sich daraus im Laufe der Jahre aufbaute. Das Experiment gab Anlass zu einer kultähnlichen Verehrung, die über Gerüchte weitergetragen wurde. Charles Faulkner, der schon große Trader geformt hat, erfasste blitzartig die tiefere Bedeutung von Dennis’ Experiment. Er fragte sich, woher Dennis das gewusst hatte.

„Ich wäre genauso skeptisch gewesen wie Bill. Auch wenn […] man es lehren konnte, hätte es auf jeden Fall mehr Mühe kosten und länger dauern müssen, als Dennis dafür vorgesehen hatte. Das Experiment, und noch viel mehr die Ergebnisse, widersprachen meinen sämtlichen Auffassungen von Mühe, Verdienst und Belohnung. Wenn etwas so leicht zu lernen war, durfte es nicht so reich belohnt werden und umgekehrt. Ich staunte über die Reichweite des Denkens, des Bewusstseins und der Rückschlüsse, auf die das schließen ließ.“

Dennis und Eckhardt brachten ihren Schülern in nur zwei Wochen alles bei, was sie brauchten, um mit Anleihen, Devisen, Mais, Rohöl, Aktien und allen anderen Dingen zu handeln. Ihre Schüler lernten nicht, auf dem wuseligen Börsenparkett brüllend zu handeln, sondern in einem ruhigen Büro ohne Fernseher und nur ein paar Telefonen.

Und das Geld? Dennis war großzügig. Jeder Schüler bekam nach dem Kurs eine Million Dollar, mit der er handeln konnte. Sie sollten 15 Prozent der Gewinne bekommen, Dennis die restlichen 85 Prozent. Es überrascht nicht, dass er den Löwenanteil bekam, denn schließlich war es ja sein Geld.

Dass er den Großteil des Gewinns bekommen würde, sagte er ganz ehrlich, als er im November 1983 kurz vor Beginn des Experiments sagte, es habe nichts mit Wohltätigkeit zu tun. Er betrachtete das Experiment als Möglichkeit, sein Portfolio zu diversifizieren. Er wusste wohl, dass seine Schüler, für die „Erfahrung keine Bedingung“ war, durchaus pleitegehen konnten, aber er sah das Ganze als Möglichkeit, mehr Kontrolle über die Verwendung seiner Millionen zu bekommen. „Ich bin es müde, in die Wohnung irgendeines anderen in Timbuktu zu investieren.“ 11

Die Investition in Eigentumswohnungen durch Anlagestellvertreter zu ersetzen war ein kluger Schachzug. Viele seiner Schüler machten vier Jahre lang jedes Jahr 100 Prozent und mehr Gewinn. Das sind Monstererträge. Aber noch wichtiger als diese Erfolge Anfang der 1980er-Jahre ist die aktuelle Erfolgsbilanz von dreien der Teilnehmer. Heute, im Jahr 2007, also lange nach dem Ende des Experiments, verwalten Dennis’ Partner William Eckhardt und die beiden Dennis-Schüler Jerry Parker und Paul Rabar mehr als drei Milliarden Dollar. Sie traden immer noch fast im gleichen Stil wie damals.

Neben den Erfolgen der Turtles gibt es noch buchstäblich Hunderte Trader, die Großes geleistet haben und die Dennis dafür Dank schulden, dass er sein Wissen und seine Erfahrungen mit anderen Menschen geteilt hat. Dazu kommt, dass Männer, die Dennis im Trading ebenbürtig sind (aber nicht von ihm ausgebildet wurden) und einen ähnlichen Trading-Hintergrund haben, zum Beispiel Bruce Kovner, Louis Bacon und Paul Tudor Jones bis heute die bestbezahlten der Wall Street sind.

Natürlich erscheinen die drei Milliarden Dollar, die von Dennis’ Trading-Nachkommen gemanagt werden, nicht mehr so extrem viel, wenn die Schlagzeilen heutzutage tolle Geschichten von Hedgefonds hinausposaunen, die gleich mit Milliarden vom Stapel laufen. Nachdem Jon Wood – ehemals UBS – seinen neuen Fonds mit mehr als fünf Milliarden Dollar gestartet hat und nachdem Jack R. Meyer – ehemaliger Investmentmanager der Harvard University – für Convexity Capital sechs Milliarden Dollar beschafft hat, klingen die drei Milliarden Dollar von Dennis’ Kollegen schon weniger beeindruckend.12

Tatsächlich behauptet so mancher, die „stammbaumlose“ Methode von Dennis sei überholt. In einem Artikel wurde kürzlich ein 27-jähriger Trader von Goldman Sachs porträtiert. Er wurde als „gebildetes“ Produkt der Tony Deerfield Academy in Massachusetts und der Duke University beschrieben, der das Zeug zu einem erstklassigen Trader habe. Einer seiner Kollegen schwärmte: „Er ist intelligent, leistungsorientiert und fleißig. Behalten Sie diesen jungen Mann im Auge.“ 13

Man muss solches Lob in die rechte Perspektive rücken. Wenn ein Trader seine Karriere bei einer prominenten Investmentbank beginnt, wird er allein schon dadurch gut, dass er das Geld, die Büros und die Verbindungen von Goldman Sachs nutzt. Der Zugang, den er dank der günstigen Position in einer Spitzenbank hat, ist sein größtes Erfolgsgeheimnis. Wenn er genug Geld verdient, kann er der Investmentbank natürlich sagen: „Ich mache mich selbstständig“, aber das bedeutet in Wirklichkeit: „Ich mache weiterhin das Gleiche, was ich bisher im Hause gemacht habe, aber jetzt werden Sie zum größten Klienten meiner eigenen Firma.“ Die ganze Geschichte mit der Deerfield Academy und Goldman Sachs passt zu dem Bild, das die meisten Menschen von den Eintrittsbarrieren des Wall-Street-Erfolgs haben: kein wirklicher Zugang.

Aber die Investmentbanken sind einfach nicht die Karriereleitern der großen, selbstständigen Trader. Deshalb lässt Dennis hoffen. Die unabhängig denkenden Trading-Rebellen, wie er einer ist, sind nicht dorthin gekommen, wo sie sind, weil sie bürokratische Leitern emporgeklettert sind. Sie haben keine 20 Jahre mit dem Kampf gegen die Büropolitik verbracht. Dennis und Seinesgleichen gehörten nie zur Fortune-500-Hierarchie. Sie hatten nur ein Ziel: Sie wollten Geld verdienen, indem sie nach ihren Bedingungen an den Märkten handelten ; hohes Risiko – große Belohnung.

Dennis’ Turtle-Experiment hat bewiesen, dass seine Schüler lernen konnten, mit dem Handel Millionen zu verdienen. Aber nachdem sie die „richtigen“ Trading-Regeln gelernt hatten, mussten sie jeden Tag die gleiche Homerun-Mentalität an den Tag legen wie der harte Schläger David Ortiz von den Boston Red Sox beim Baseball – sonst scheiterten sie. Die großartige Schulung allein reichte für langf ristige Gewinne nicht aus. Hartnäckiges Gewinnstreben und eine gesunde Dosis Mut waren für das langfristige Überleben von Dennis’ Schülern unerlässlich.

Doch bevor wir dazu kommen, was mit den Turtles wirklich passiert ist – warum später manche gewonnen und manche verloren haben, müssen wir uns zuerst unbedingt damit befassen, wie Dennis gestrickt war. Wenn wir verstehen wollen, warum die Sozialisation schließlich gesiegt hat, müssen wir als ersten Schritt erfahren, wie ein normaler Junge aus der South Side von Chicago Anfang der 1970er-Jahre im Alter von 25 Jahren eine Million verdient hat und Anfang der 1980er-Jahre im Alter von 37 schon 200 Millionen schwer wurde.

KAPITEL ZWEI

Prince of the Pit

“GROßE INVESTOREN FASSEN PROBLEME IN ANDERE KONZEPTE ALS ANDERE INVESTOREN. DIESE INVESTOREN SIND NICHT DESHALB So ERFOLGREICH, WEIL SIE ZUGRIFF AUF BESSERE INFORMATIONEN HABEN; SIE SIND SO ARFOLGREICH, WEIL SIE DIE INFORMATIONEN ANDERS NUTZEN ALS ANDERE.“

– MICHAEL J. MAUBOUSSIN, CHIEF INVESTMENT STRATEGIST VON LEGG MASON CAPITAL MANAGEMENT

Das Jahr 1986 war für Richard Dennis ein bombastisches Jahr. Er verdiente 80 Millionen Dollar (das entspricht im Jahr 2007 etwa 147 Millionen Dollar). Diese Gewinne stellten ihn in den Mittelpunkt der Wall Street, direkt neben George Soros, der 100 Millionen verdient hatte, und den Junkbond-König Michael Milken, der bei Drexel Burnham Lambert 80 Millionen eingeheimst hatte.14

Dennis’ große Gewinne hatten Bauchschmerzen gekostet. Er verlor an einem einzigen Tag zehn Millionen, bevor es wieder aufwärts ging. Normalsterbliche hätte eine solche Achterbahnfahrt um den Schlaf gebracht. Aber Dennis brüstete sich, er schlafe trotz aller Schwankungen wie ein Baby.15

Er verdiente sein Geld mit wenigen monströsen Homeruns und mit vielen kleineren Ausrutschern. Falls es da ein „Geheimnis“ gab, dann bestand es in dem Wissen, dass man Verluste psychisch und physisch akzeptieren muss. Aber 1986 ist lange her und die Erinnerungen verblassen, wenn ein alter Profi davon spricht, wie vorteilhaft es ist, „Verluste“ mitzunehmen.

In seiner Hochphase in den 1970er-, 1980er- und 1990er-Jahren wurde Dennis von den Menschen, die ihn kannten, unterschiedlich beschrieben. Da gab es Dennis, den legendären Parketthändler, Dennis, den Systemguru, Dennis, der mit Drexel Burnham einen Fonds gründete, Dennis, den Wohltäter, Dennis, den Politiker, und Dennis, den führenden Vermögensverwalter.16 Er war schwer in Schubladen zu stecken, und das gefiel ihm.

„Dennis, der Spieler“ war die einzige Bezeichnung, die ihm missfiel, denn er betrachtete sich nie als Spieler im Sinne von Gücksspiel und Las Vegas. Er hatte den Finanzdarwinismus (sprich: Chancen) durch und durch verinnerlicht. Wenn er das „Spiel“ spielte, wusste er, dass alle anderen darauf aus waren, ihn zu schlagen. Der Futures-Pionier Richard Sandor rückt Dennis ins rechte Licht: „An den chaotischen Märkten heißt das Spiel ‚Überleben‘. Aus dieser Perspektive geht er vielleicht als einer der erfolgreichsten Spekulanten des 20. Jahrhunderts in die Geschichte ein.“17

Dennis war schon lange vor dem Turtle-Experiment erfolgreich. Er war in den 1950er-Jahren in Chicago aufgewachsen, in einem alten Wohnviertel an der South Side. Er hatte keine privilegierte Kindheit mit reichen Eltern und wohlsituierten Bekannten. Er hatte keine Silberlöffel und nicht die richtigen Verbindungen.

Als Teenager war Dennis eher introvertiert, er trug eine Brille mit dicken Gläsern und Polyesterhosen. Er machte seinen ersten Trading-Versuch, als er die aufs College vorbereitende St.-Laurence-Schule in Chicago besuchte. Er kaufte zehn „Plattenspieler“-Aktien für drei Dollar das Stück. Das Unternehmen ging unter. Sein erster Trading-Versuch war zwar gescheitert, aber beim Pokern war er ein Naturtalent, weil er intuitiv die Chancenverhältnisse begriff.

Seine Lehrer haben ihn nicht vergessen. James Sherman, der ihn in Theologie und europäischer Geschichte unterrichtet hatte, sagt, Dennis habe nie etwas einfach für bare Münze genommen. Dennis und seine Freunde betrieben gern geistige Gymnastik, indem sie in Diskussionen bestimmte Meinungen vertraten. Sherman dazu: „Wenn mir damals jemand gesagt hätte, dass Richard Dennis im Rohstoffhandel ein Vermögen machen würde, hätte ich das wahrscheinlich nicht geglaubt.“ Sein früherer Lehrer hätte eher gedacht, dass Dennis im Pullover und mit der Pfeife im Mund vor dem Kaminfeuer sitzen und über das Universum sinnieren würde.18

Im Alter von 17 Jahren arbeitete Dennis in den Sommerferien als Lauf bursche (1,60 Dollar die Stunde) an der Chicago Mercantile Exchange. Das Parkett war jeden Tag mit Hunderten von Tradern überfüllt, die rangelten und brüllten, um ihre Trades anzubringen. Sie benahmen sich exakt wie Auktionatoren, die Waren kaufen und verkaufen, nur dass sie das in einem Maklerstand – wegen der Ähnlichkeit mit einer Grube auch „Pit“ genannt – ausfochten. Ein guter Vergleich für das, was sich da abspielte, wäre vielleicht ein Fußball-Hallenspiel.

Dennis sehnte sich danach, dort mitzumischen, aber damit man auf dem Parkett handeln durfte, musste man 21 Jahre alt sein. Er umging diese Hürde, indem er seinen Vater dazu überredete, für ihn zu traden. Sein Vater, der bei der Stadt Chicago arbeitete, wurde zum Stellvertreter, der sich von den Handzeichen seines am Rande stehenden Sohnes leiten ließ.

Trotz gewisser Trading-Erfolge als Teenager ging Dennis an die DePaul University, wo seine Leidenschaft für Philosphie aus der Schulzeit neu entfacht wurde (nachdem er in Rechnungswesen durchgefallen war). Am meisten faszinierten ihn die britischen Philosophen David Hume und John Locke, deren Weltsicht recht einfach war. „Beweise es mir“, war ihre grundsätzliche Sichtweise.

Hume hielt den menschlichen Geist für eine leere Tafel (tabula rasa), auf die Erfahrungen geschrieben werden. Er glaubte, da die Menschen in der Welt leben und funktionieren, müssten sie auch in der Lage sein zu beobachten, wie sie das machen. Sein Grundprinzip war die Entdeckung der Ursachen menschlicher Meinungen.19 Locke behauptete, es gebe keine angeborenen Ideen. Er stellte die Frage: „Wie wird der Geist möbliert?“ Er wollte wissen, wo Vernunft und Erkenntnis herkommen. Seine Antwort war nur ein Wort: Erfahrung.

Hume und Locke gehören beide der philosophischen Schule des Empirismus an. Der Empirismus gründet auf der Auffassung, dass Erkenntnis auf Experiment, Beobachtung und Erfahrung beruht. Ein paar Brocken gesunder Menschenverstand von zwei britischen Philosophen des 18. Jahrhunderts und ein leicht zu beeindruckender College-Student. Sie wurden seine Idole.

Dennis hielt mit seinen Vorlieben nicht hinterm Berg und sagte: „Ich bin durch und durch Empirist. David Hume und Bertrand Russell. Ich stehe fest in der englischen Tradition.“ Dennis sah Hume als rückhaltlosen Skeptiker. Hume wagte sich an die heiligen Kühe seiner Generation und Dennis gefiel diese Haltung.20

Aber nicht nur die britische Philosophie machte Dennis zum Skeptiker. Er war in den 1960er- und 1970er-Jahren aufgewachsen und seine Weltsicht richtete sich gegen das Establishment. Er sah zu, wie während der Unruhen im Jahr 1968 in Chicago Demonstranten von der Polizei verprügelt wurden – direkt neben dem ehrenwerten Chicago Board of Trade. Das war ein Wendepunkt in seinem Leben:

„Das Trading hat mich gelehrt, die herrschende Meinung nicht blind zu akzeptieren. Das Geld, das ich mit Trading verdiente, bezeugte die Tatsache, dass sich die Mehrheit in der Mehrzahl der Fälle irrt. Die überwiegende Mehrheit irrt sich sogar noch öfter. Ich habe gelernt, dass die Märkte, die sich häufig wie hysterische Massen verhalten, häufig irrational sind; wenn sie emotional überfrachtet sind, irren sie sich fast immer.“ 21