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Sie ist eine Prinzessin. Er ihr Bodyguard. Ihr Beschützer. Ihr Ruin
Gefangen von den Fesseln der Pflicht hat Bridget von Ascheberg, Prinzessin von Eldorra, nur drei Wünsche: Liebe, Leidenschaft und ihre eigenen Entscheidungen treffen zu dürfen. Doch als ihr Bruder seinen Anspruch auf den Thron aufgibt, findet sie sich auf einmal als zukünftige Königin wieder. Ein Titel, den sie nie wollte. An ihrer Seite der Mann, dem ihr Herz gehört, aber den sie nicht lieben darf: Rhys Larsen, ihr Bodyguard, ihr Beschützer, ihr Ruin. Ihre verbotenen Gefühle könnten sie beide in den Untergang treiben - und ihr Königreich zerstören.
»Mitreißend, verboten und absolut süchtig machend - die Geschichte von Bridget und Rhys überzeugt mit einem perfekten Mix aus Gefühl, Leidenschaft und Tiefe.« CHARLEEN von CHARLIE_BOOKS
Band 2 der heißen und romantischen TWISTED-Reihe von Bestseller-Autorin Ana Huang
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Seitenzahl: 609
Titel
Zu diesem Buch
Leser:innenhinweis
Widmung
Hinweis
Playlist
Teil I
1
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3
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5
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7
8
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10
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16
17
18
19
20
Teil II
21
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Epilog
Danksagung
Die Autorin
Die Romane von Ana Huang bei LYX
Impressum
Ana Huang
Twisted Games
Roman
Ins Deutsche übertragen von Maike Hallmann
Als Zweite in der Thronfolge hat Bridget von Ascheberg, Prinzessin von Eldorra, bisher ein relativ freies Leben führen dürfen. Sie studiert an der amerikanischen Thayer-Universität und nimmt nur gelegentlich öffentliche Termine wahr. Immer an ihrer Seite: der stoische und verschlossene Elite-Bodyguard Rhys Larsen. Rhys hat genau zwei Regeln, an die er sich bisher strikt gehalten hat: Schütze deine Klienten und Klientinnen um jeden Preis und bleibe immer professionell. Die sture Prinzessin mit dem verborgenen Feuer ist die Erste, die seine Vorsätze ins Wanken bringt und ungeahnte Gefühle in ihm weckt. Alles ändert sich, als Bridgets Bruder seinen Anspruch auf den Thron aufgibt, um seine bürgerliche Freundin zu heiraten – eine Verbindung, die in Eldorra verboten ist –, und Bridget sich als zukünftige Königin wiederfindet. Zurück in Eldorra, um ihrer Pflicht nachzukommen, geben Rhys und Bridget der Anziehung zwischen ihnen nach. Und obwohl ihre gemeinsamen Gefühle nicht nur eine Gefahr für sie selbst, sondern für das Königreich Eldorra bedeuten, fällt es den beiden immer schwerer, ihr Verlangen geheim zu halten …
Liebe Leser:innen,
dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Deshalb findet ihr hier eine Triggerwarnung.
Achtung: Diese enthält Spoiler für das gesamte Buch!
Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.
Euer LYX-Verlag
Für all die Mädchen, die sagen, Prinz Charming kann sie mal kreuzweise, weil sie stattdessen viel lieber einen vernarbten Ritter wollen.
Diese Erzählung erstreckt sich über vier Jahre, und vor allem in Teil I finden mehrere Zeitsprünge statt, um in die Gegenwart zu gelangen. Es gibt zeitliche Überschneidungen mit dem ersten Band Twisted Dreams.
Teil I spielt zur selben Zeit wie der Epilog von Twisted Dreams (die Vergangenheit); Teil II spielt danach (in der Gegenwart).
Es ist empfehlenswert, aber nicht zwingend notwendig, als Erstes Twisted Dreams zu lesen, um alles zu verstehen.
Queen – Loren Gray
Castle – Halsey
Arcade – Duncan Laurence
You Should See Me in a Crown – Billie Eilish
Telepatía – Kali Uchis*
Stay – Rihanna
Uncover – Zara Larsson
Secret Love Song – Little Mix
They Don’t Know About Us – One Direction
Minefields – Faouzia & John Legend
Wildest Dreams – Taylor Swift
Princesses Don’t Cry – Aviva
Fairytale (langsame Version) – Alexander Rybak
I Guess I’m in Love – Clinton Kane
* Eher wegen der speziellen Vibes in Kapitel 18 als wegen des Textes
»Versohl mir den Hintern, Meister. Versohl mir den Hintern!«
Ich verkniff mir ein Lachen über die Miene meines Leibwächters Booth, als der Papagei Leather in seinem Käfig loskreischte. Der Name des Papageis sagte alles, was man über das Sexleben seines früheren Besitzers wissen musste. Manche Leute fanden ihn amüsant, aber Booth nicht. Er hasste Vögel. Er sagte, sie erinnerten ihn an riesige fliegende Ratten.
»Eines Tages werden er und Leather sich schon aneinander gewöhnen.« Emma, die Leiterin von Wags and Whiskers, schnalzte mit der Zunge. »Armer Booth.«
Wieder unterdrückte ich ein Lachen. »Wahrscheinlich nicht. Booth reist bald ab.«
Ich versuchte, nicht daran zu denken. Booth war seit vier Jahren bei mir, aber nächste Woche würde er nach Eldorra fliegen. Er ging in Vaterschaftsurlaub und wollte auch danach in Eldorra bleiben, um in der Nähe seiner Frau und seines Neugeborenen zu sein. Ich freute mich für ihn, aber ich würde ihn vermissen. Er war nicht nur mein Leibwächter, sondern auch ein guter Freund, und ich konnte nur hoffen, dass sein Nachfolger und ich uns ähnlich gut verstehen würden.
»Ach ja, das hatte ich vergessen.« Emma sah mich mitfühlend an. Sie war Anfang sechzig, hatte kurzes, grau meliertes Haar und warme braune Augen. »Für dich hat sich in kurzer Zeit wirklich viel verändert, Liebes.«
Sie wusste, wie sehr ich Abschiede hasste.
Ich arbeitete seit meinem zweiten Studienjahr ehrenamtlich bei Wags and Whiskers, einem örtlichen Tierheim, und Emma war mir eine enge Freundin und Mentorin geworden. Leider wollte auch sie uns verlassen. Sie würde in Hazelburg bleiben, aber sie gab die Leitung des Tierheims ab und ging in den Ruhestand, was bedeutete, dass ich sie nicht mehr jede Woche sehen würde.
»Eine dieser Veränderungen müsste nicht sein«, sagte ich, nur halb im Scherz. »Du könntest bleiben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe das Tierheim fast ein Jahrzehnt lang geleitet, und es ist Zeit für frischen Wind. Für jemanden, der die Käfige reinigen kann, ohne dass Rücken und Hüfte ihn im Stich lassen.«
»Dafür gibt es doch uns Ehrenamtliche.« Ich deutete auf mich selbst. Ich wusste, dass meine Reaktion übertrieben war, aber ich konnte nicht anders. Emma, Booth, mein bevorstehender Abschluss an der Thayer-Universität, wo ich – wie es sich für eine Prinzessin gehört – Internationale Beziehungen studierte … das waren genug Abschiede für die nächsten fünf Jahre.
»Du bist ein Schatz. Sag es nicht den anderen, aber …« Sie senkte die Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern. »Du bist mein Liebling unter unseren Ehrenamtlichen. Es ist selten, dass man jemanden deines Formats findet, der aus echtem Interesse heraus etwas Gutes tut und nicht nur deshalb, weil er eine Show für die Kameras abziehen will.«
Bei diesem Kompliment errötete ich. »Das mache ich doch gerne. Ich liebe Tiere.« In dieser Hinsicht kam ich ganz nach meiner Mutter. Eine der wenigen Verbindungen zu ihr, die ich noch hatte.
In einem anderen Leben wäre ich Tierärztin geworden, aber in diesem Leben?
Mein Weg war schon von Geburt an vorgezeichnet gewesen.
»Du wärst eine tolle Königin.« Emma trat zur Seite, um einen Mitarbeiter mit einem zappelnden Welpen auf dem Arm durchzulassen. »Wirklich.«
Ich musste lachen. »Danke, aber ich habe keinerlei Interesse daran, Königin zu werden. Und selbst wenn ich es hätte, wären meine Chancen auf die Krone winzig.«
Als Prinzessin von Eldorra, einem kleinen europäischen Königreich, stand ich dem Regieren sehr viel näher als die allermeisten anderen Menschen. Meine Eltern waren gestorben, als ich noch ein Kind war – meine Mutter bei meiner Geburt, mein Vater ein paar Jahre später bei einem Autounfall –, also war ich die zweite in der Thronfolge. Mein Bruder Nikolai, vier Jahre älter als ich, war von Kindesbeinen an darauf vorbereitet worden, die Nachfolge unseres Großvaters König Edvard anzutreten. Sobald Nikolai Kinder hatte, würde ich in der Thronfolge weiter nach hinten rücken, womit ich kein Problem hatte … Königin zu werden lockte mich ungefähr so sehr wie ein Bad in einem Säurebottich.
Emma verzog enttäuscht das Gesicht. »Ich glaube trotzdem, dass du eine wunderbare Königin wärst.«
»Emma!«, rief einer der anderen Mitarbeiter. »Es gibt ein Problem bei den Katzen.«
»Immer diese Katzen«, murmelte sie und seufzte. »Jedenfalls wollte ich dir von meiner Pensionierung erzählen, bevor du es von jemand anderem erfährst. Ich bin noch bis Ende nächster Woche hier, wir sehen uns also am Dienstag.«
»Klingt gut.« Ich umarmte sie zum Abschied und sah ihr hinterher, als sie sich zwischen die wild gewordenen Katzen warf, und die schmerzhafte Enge in meiner Brust wurde schlimmer.
Ich war froh, dass Emma mir erst am Ende meiner Schicht von ihrem Ruhestand erzählt hatte, sonst hätte ich die ganze Zeit an nichts anderes mehr denken können.
»Sind Sie bereit, Hoheit?«, fragte Booth, der es offensichtlich kaum erwarten konnte, von Leather wegzukommen.
»Ja, auf geht’s.«
»Ja, auf geht’s!«, krächzte Leather uns hinterher. »Versohl mir den Hintern!«
Booth schnitt eine Grimasse, und ich konnte mein Lachen nicht mehr zurückhalten. »Ich werde dich vermissen, und Leather auch.« Ich schob die Hände in die Manteltaschen, um sie vor der eisigen Herbstkälte zu schützen. »Erzählen Sie mir von dem neuen Leibwächter. Wie ist er so?«
Laub raschelte unter meinen Stiefeln auf dem Weg zu meinem Haus, das nur fünfzehn Minuten vom Campus entfernt war. Ich liebte den Herbst und alles, was er mit sich brachte – bequeme Kleidung, das bunte Laub der Bäume, ein Hauch von Zimt und Rauch in der Luft.
In Athenberg konnte ich nicht auf die Straße gehen, ohne dass sich ein Menschenauflauf bildete, aber das war das Tolle an Thayer: In der Studentenschaft gab es so viele Leute von adliger Herkunft oder mit anderweitig prominenten Eltern, dass eine Prinzessin hier keine große Sache war. Ich konnte praktisch ganz normal studieren wie jeder andere auch.
»Ich weiß nicht viel über ihn«, gab Booth zu. »Er arbeitet für eine private Firma.«
Meine Augenbrauen schossen nach oben. »Im Ernst?«
Die Krone heuerte manchmal private Sicherheitsfirmen an, zusätzlich zur königlichen Garde, aber das war selten. In meinen einundzwanzig Jahren hatte ich noch nie einen Leibwächter gehabt, der nicht zur königlichen Garde gehörte.
»Er soll der Beste sein«, sagte Booth, der meine Überraschung mit Misstrauen verwechselte. »Ex-Navy-SEAL, erstklassige Empfehlungen, Erfahrung in der Bewachung hochrangiger Persönlichkeiten. Der meistgefragte Mann der ganzen Firma.«
»Hmm.« Ein Amerikaner. Interessant. »Ich hoffe, wir kommen gut miteinander aus.«
Wenn zwei Menschen rund um die Uhr Zeit miteinander verbringen, ist Kompatibilität wichtig. Unverzichtbar sogar. Wenn jemand mit seinem Sicherheitspersonal nicht auskam, endete das Arrangement meist schnell.
»Da bin ich mir sicher. Mit Ihnen kann man sehr gut auskommen, Hoheit.«
»Das sagst du nur, weil ich deine Chefin bin.«
Booth grinste. »Genau genommen ist der Direktor der königlichen Garde mein Chef.«
Ich wedelte scherzhaft mahnend mit einem Finger. »Sie widersprechen mir schon wieder? Ich bin enttäuscht.«
Er lachte. Obwohl er darauf bestand, mich »Hoheit« zu nennen, hatten wir im Laufe der Jahre einen lockeren kameradschaftlichen Umgang miteinander gefunden, den ich zu schätzen wusste. Übertriebene Förmlichkeit erschöpfte mich.
Auf dem restlichen Weg plauderten wir über Booths bevorstehende Elternschaft und seinen Umzug zurück nach Eldorra. Er platzte fast vor Stolz über sein ungeborenes Kind, und ich konnte einen kleinen neidvollen Stich nicht unterdrücken. Ich war noch lange nicht bereit für Ehe und Kinder, aber ich wollte das, was Booth und seine Frau hatten.
Liebe. Leidenschaft. Wahlmöglichkeiten. All das konnte man mit keinem Geld der Welt kaufen.
Ein ironisches Lächeln umspielte meine Lippen. Zweifellos würden meine Gedanken für andere klingen wie die einer undankbaren Göre. Ich konnte mit einem Fingerschnippen alles bekommen, was ich wollte, und ich jammerte wegen der Liebe.
Aber Menschen sind Menschen, ganz gleich, welche Titel sie tragen, und manche Wünsche sind uns allen in die Wiege gelegt. Für die Möglichkeit, sie zu erfüllen, galt das leider nicht.
Vielleicht würde ich mich in einen Prinzen verlieben, der mich aus den Socken haute, aber ich bezweifelte es. Höchstwahrscheinlich würde ich in einer langweiligen, gesellschaftsfähigen Ehe mit einem langweiligen, gesellschaftsfähigen Mann enden, der unter Sex ausschließlich die Missionarsstellung verstand und jedes Jahr an denselben zwei Orten Urlaub machte.
Ich schob diesen deprimierenden Gedanken beiseite. Ich musste noch lange nicht darüber nachdenken, mich zu verheiraten, und würde mich um dieses Problem kümmern, wenn es so weit war.
Mein Haus kam in Sicht, und mein Blick blieb an dem mir unbekannten schwarzen BMW in der Einfahrt hängen. Vermutlich gehörte er meinem neuen Leibwächter.
»Er ist früh dran.« Booth hob überrascht eine Braue. »Eigentlich sollte er erst um fünf Uhr eintreffen.«
»Pünktlichkeit ist wohl ein gutes Zeichen.« Auch wenn eine halbe Stunde zu früh zu viel des Guten war.
Die Autotür öffnete sich, und ein großer schwarzer Stiefel landete auf der Auffahrt. Im nächsten Moment faltete sich der größte Mann, den ich je gesehen hatte, aus dem Wagen, und mein Mund wurde staubtrocken.
Heiliger Sexgott im Himmel!
Mein neuer Leibwächter musste mindestens eins fünfundneunzig groß sein, wenn nicht sogar noch größer, und jeder Zentimeter war pure Muskelmasse. Das schwarze Haar fiel ihm bis in den Nacken und über eins der stahlgrauen Augen, und seine Beine waren so lang, dass er die Entfernung zwischen uns mit nur drei Schritten hätte überbrücken können.
Für jemanden seiner Größe bewegte er sich erstaunlich unauffällig. Hätte ich ihn nicht beobachtet, hätte ich gar nicht bemerkt, wie er sich näherte.
Er blieb vor mir stehen, und ich hätte schwören können, dass sich mein Körper ein wenig nach vorn neigte, unfähig, seiner Anziehungskraft zu widerstehen. Ich war fast in Versuchung, mit der Hand durch seine dichten dunklen Locken zu fahren.
Die meisten Veteranen trugen ihr Haar auch nach dem Ausscheiden aus dem Militär kurz, aber er gehörte eindeutig nicht dazu.
»Rhys Larsen.« Seine tiefe, raue Stimme umschmeichelte mich wie eine samtene Liebkosung. Aus der Nähe entdeckte ich eine dünne Narbe, die seine linke Augenbraue teilte und ihm etwas Bedrohliches verlieh. Stoppeln lagen wie ein Schatten auf seinem Kiefer, und aus den Ärmeln lugten Tätowierungen hervor.
Er war genau das Gegenteil von den adretten, glatt rasierten Typen, auf die ich normalerweise stand, aber trotzdem stob ein ganzer Schwarm Schmetterlinge in meinem Bauch auf.
Das lenkte mich so sehr ab, dass ich vergaß zu antworten. Booth räusperte sich.
»Ich bin Bridget. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Ich konnte nur hoffen, dass keiner der beiden Männer mein Erröten bemerkte.
Ich hatte den Titel Prinzessin absichtlich weggelassen. Bei einer informellen Begegnung wie dieser erschien er mir zu hochtrabend.
Allerdings entging mir durchaus nicht, dass Rhys mich anders als Booth nicht mit »Hoheit« ansprach. Das machte mir nichts aus – ich versuchte seit Jahren, Booth dazu zu bringen, mich mit meinem Vornamen anzusprechen –, aber es war ein weiteres Zeichen dafür, dass dieser neue Leibwächter von einem ganz anderen Schlag war als sein Vorgänger.
»Sie müssen umziehen.«
Ich blinzelte. »Wie bitte?«
»Ihr Haus.« Rhys deutete mit einem Nicken in Richtung meiner geräumigen, aber gemütlichen Zweizimmerbude. »Es ist der reinste Sicherheitsalbtraum. Ich weiß nicht, wer den Standort abgesegnet hat, aber Sie müssen umziehen.«
Die Schmetterlinge hielten abrupt inne.
Wir hatten uns vor nicht mal zwei Minuten kennengelernt, und schon kommandierte er mich herum, als wäre er hier der Boss. Für wen hält der sich eigentlich? »Ich wohne hier seit zwei Jahren. Ich hatte noch nie ein Problem.«
»Ein einziges Problem reicht.«
»Ich denke nicht daran umzuziehen.« So scharf klang meine Stimme selten, aber Rhys’ herablassender Tonfall ging mir auf die Nerven.
Jegliches Hingezogensein, das ich für ihn empfunden hatte, zerfiel zu Asche. So schnell hatte noch nie jemand vom anderen Geschlecht seine Attraktivität in meinen Augen eingebüßt.
Nicht dass diese Anziehung zu irgendwas geführt hätte, schließlich war er mein Leibwächter, aber einen Augenschmaus, den ich nicht mit Anlauf in den Arsch treten wollte, hätte ich zu schätzen gewusst.
Männer.Sobald sie den Mund aufmachten, war alles ruiniert.
»Sie sind hier der Sicherheitsexperte«, fügte ich kühl hinzu. »Also sorgen Sie dafür, dass es hier sicher ist.«
Rhys funkelte mich unter dicken, dunklen Brauen an. Ich konnte mich nicht erinnern, wann mich das letzte Mal jemand böse angesehen hatte.
»Ja, Hoheit.« Er betonte den Titel so spöttisch, dass meine Empörung fast zum Himmel loderte.
Ich öffnete den Mund, um zu antworten – was ich sagen wollte, wusste ich gar nicht so genau, schließlich war er nicht offen unverschämt gewesen –, aber Booth schaltete sich ein, bevor Worte meinen Mund verließen, die ich eventuell bereut hätte.
»Warum gehen wir nicht hinein? Sieht aus, als würde es gleich regnen«, sagte er schnell.
Rhys und ich sahen auf. Ein klarer blauer Himmel blinzelte auf uns hinunter.
Booth räusperte sich. »Man kann nie wissen. Regenschauer kommen manchmal wie aus dem Nichts«, murmelte er. »Nach Ihnen, Hoheit.«
Schweigend betraten wir das Haus.
Ich zuckte mit den Schultern und hängte meinen Mantel an die Messinggarderobe neben der Tür, bevor ich um Höflichkeit bemüht fragte: »Möchten Sie etwas trinken?«
Ich war immer noch gereizt, aber ich hasste Konfrontationen, und ich wollte nicht, dass die Beziehung zu meinem neuen Leibwächter gleich auf dem falschen Fuß begann.
»Nein.« Rhys ließ seinen Blick durchs Wohnzimmer schweifen, das ich in Jadegrün- und Cremetönen eingerichtet hatte. Zweimal im Monat kam eine Haushälterin vorbei, um gründlich zu putzen, aber die meiste Zeit hielt ich die Wohnung selbst in Ordnung.
»Warum lernen wir uns nicht erst mal besser kennen?«, fragte Booth jovial und etwas zu laut. »Äh, ich meine Sie und Rhys, Hoheit. Wir könnten Bedürfnisse, Erwartungen und Zeitpläne besprechen …«
»Ausgezeichnete Idee.« Ich rang mir ein bemühtes Lächeln ab und deutete aufs Sofa. »Bitte. Setzen Sie sich doch.«
In den nächsten fünfundvierzig Minuten besprachen wir, wie der Übergang vonstattengehen sollte. Booth war noch bis Montag mein Leibwächter, aber Rhys würde ihn bis dahin begleiten, damit er ein Gefühl für die Abläufe bekam.
»In Ordnung.« Rhys klappte die Akte zu, die eine detaillierte Aufstellung meines Stunden- und Wochenplans, der bevorstehenden öffentlichen Veranstaltungen und der geplanten Reisen enthielt. »Ich will ganz offen sein, Prinzessin Bridget. Sie sind nicht die erste adlige Schutzperson meiner Karriere, und Sie werden auch nicht die letzte sein. Ich arbeite seit fünf Jahren für HarperSecurity, und noch nie ist ein Klient unter meinem Schutz zu Schaden gekommen. Wollen Sie wissen, warum?«
»Lassen Sie mich raten: Ihr umwerfender Charme hat die potenziellen Angreifer zur Räson gebracht«, sagte ich.
Booth tarnte sein Lachen hastig als Husten.
Rhys zuckte nicht mal mit der Wimper. Natürlich nicht.
Mein Witz war nicht gerade ein Kandidat für eine Comedyshow, aber vermutlich fand man ohnehin leichter einen Wasserfall in der Sahara als einen Tropfen Humor in diesem großen, umwerfend gebauten Körper.
»Es gibt dafür zwei Gründe«, sagte Rhys ruhig, als hätte er mich gar nicht gehört. »Erstens: Ich mische mich nicht in das Privatleben meiner Klienten ein. Ich bin hier, um Sie vor körperlichem Schaden zu bewahren. Mehr nicht. Ich will weder Ihr Freund noch Ihr Vertrauter oder dergleichen sein. So bleibt mein ungetrübtes Urteilsvermögen gewährleistet. Zweitens: Meine Klienten begreifen, wie es laufen muss, damit sie in Sicherheit sind.«
»Und wie muss es laufen?« In meinem höflichen Lächeln lag eine Warnung, die er entweder nicht bemerkte oder absichtlich ignorierte.
»In Sicherheitsbelangen tun Sie, was ich sage, wenn ich es sage.« Rhys’ graue Augen waren unverwandt auf mein Gesicht gerichtet. Es war, als starrte man auf eine unnachgiebige Stahlwand. »Verstehen Sie das, Hoheit?«
Von wegen Liebe und Leidenschaft. Am liebsten hätte ich ihm die arrogante Miene aus dem Gesicht geschlagen und ihm das Knie in die Kronjuwelen gerammt.
Ich bohrte die Fingerkuppen in meine Oberschenkel und zwang mich, bis drei zu zählen, bevor ich antwortete.
Als ich wieder sprach, klang meine Stimme so eisig, dass die Antarktis dagegen das reinste Strandparadies war. »Ja.« Mein Lächeln wurde grimmig. »Zum Glück für uns beide, Mr Larsen, habe ich kein Interesse daran, dass Sie mein Freund oder Vertrauter oder dergleichen sind.« Ich machte mir nicht die Mühe, auf den zweiten Teil seines Satzes zu antworten – dass ich tun sollte, was er sagte, wenn er es sagte. Ich war keine Idiotin. Ich hatte Booths Anweisungen immer befolgt. Aber verdammt sollte ich sein, wenn ich Rhys’ aufgeblasenes Ego auch noch fütterte.
»Gut.« Rhys stand auf. Ich hasste es, wie groß er war. Seine Anwesenheit verdrängte alles andere in der Umgebung, und ich nahm nichts mehr wahr bis auf ihn. »Ich sehe mir erst mal das Haus an, bevor wir die nächsten Schritte besprechen, einschließlich der Aufrüstung Ihres Sicherheitssystems. Im Moment kann jeder Teenager mit Zugang zu YouTube-Tutorials den Alarm umgehen.« Er warf mir einen missbilligenden Blick zu, bevor er in der Küche verschwand.
Mir fiel die Kinnlade runter. »Er … Sie …«, stammelte ich, ungewohnt um Worte verlegen. »Das ist doch nicht zu fassen!« Ich drehte mich zu Booth um, der offenbar versuchte, mit der riesigen Topfpflanze neben der Eingangstür zu verschmelzen. »Sie können nicht gehen. Ich verbiete es.«
Rhys durfte nicht mein Leibwächter werden. Ich würde ihn umbringen, und dann würde meine Haushälterin mich umbringen, weil ich den Teppich mit Blut besudelt hatte.
»Er hat wahrscheinlich Bammel vor dem ersten Tag.« Booth sah ebenso unbehaglich aus, wie er sich anhörte. »Sie werden nach der, äh, Übergangsphase gut miteinander zurechtkommen, Hoheit.«
Möglich … falls wir die Übergangszeit denn lebend überstanden.
»Sie haben recht.« Ich presste die Fingerspitzen an die Schläfen und atmete tief durch. Ichschaffedas.Ich hatte schon oft mit schwierigen Menschen zu tun gehabt. Mein Cousin Andreas war die Ausgeburt des Teufels, und auf dem Rosenball in Monaco hatte mal ein britischer Lord versucht, mich unter dem Tisch zu begrapschen und erst damit aufgehört, als ich ihm »versehentlich« mit meiner Gabel in die Hand stach.
Was war schon ein mürrischer Leibwächter im Vergleich zu überheblichen Aristokraten, aufdringlichen Reportern und böswilligen Familienmitgliedern?
Rhys kehrte zurück. Überraschung, Überraschung, er blickte immer noch ebenso finster drein.
»Ich habe sechs Sicherheitsschwachstellen entdeckt, die wir so schnell wie möglich beheben müssen«, sagte er. »Fangen wir mit Nummer eins an: den Fenstern.«
»Welche?« Ruhig bleiben. Bleib ganz vernünftig.
»Alle.«
Booth barg das Gesicht in den Händen, während ich darüber nachdachte, meine Haarnadel zur Mordwaffe zu machen.
Rhys und ich würden die Übergangsphase definitiv nicht lebend überstehen.
Prinzessin Bridget von Ascheberg von Eldorra würde noch mein Tod sein. Wenn schon nicht buchstäblich, dann zumindest der Tod meiner Geduld und meines Verstandes. Dessen war ich mir sicher … und ich arbeitete erst seit zwei Wochen für sie.
Noch nie hatte mich eine Klientin derart auf die Palme gebracht wie sie.
Sicher, sie war wunderschön (was in meiner Position nicht gut war) und charmant (zu allen außer mir), aber sie war auch eine königliche Nervensäge. Wenn ich rechts sagte, ging sie nach links; wenn ich sagte, sie solle losgehen, dann blieb sie stehen. Sie bestand darauf, spontan an irgendwelchen völlig überfüllten Veranstaltungen teilzunehmen, ohne dass ich im Vorfeld Erkundigungen einziehen konnte, und sie behandelte meine Sicherheitsbedenken wie eine völlige Nebensächlichkeit.
Bridget sagte, dass sie es mit Booth ebenso gehandhabt hatte und immer alles gut gegangen sei. Ich teilte ihr mit, ich sei nicht Booth, also sei es mir scheißegal, wie die beiden es gehandhabt hatten. Jetzt hatte ich das Ruder übernommen.
Das hatte sie nicht besonders gut aufgenommen, aber ich war nicht hier, um nett zu sein. Ich war hier, um dafür zu sorgen, dass sie am Leben blieb.
Heute Abend bedeutete »hier« die vollste Bar in ganz Hazelburg. Halb Thayer hatte sich für die Freitagabend-Specials im Crypt eingefunden, und die Bar platzte aus allen Nähten.
Laute Musik, laute Leute. Es gefiel mir kein bisschen, aber Bridget anscheinend umso mehr, wenn ich danach ging, mit welcher Vehemenz sie darauf bestanden hatte, hierherzukommen.
»Also.« Ihre rothaarige Freundin Jules beäugte mich über den Rand ihres Glases hinweg. »Du warst ein Navy SEAL, hm?«
»Ja.« Ihr koketter Tonfall und ihr Partygirl-Gehabe konnten mich nicht täuschen. Vor Jobantritt hatte ich sämtliche Freunde von Bridget gründlich überprüft, und ich wusste genau, dass Jules Ambrose gefährlicher war, als sie aussah. Aber sie stellte keine Bedrohung für Bridget dar, also erwähnte ich nicht, was sie in Ohio getan hatte. Es war nicht an mir, diese Geschichte zu erzählen.
»Ich liebe Militärs«, säuselte sie.
»Ex-Militär, J.« Ohne mich anzusehen, leerte Bridget ihren Drink. »Außerdem ist er zu alt für dich.«
Darin immerhin waren wir uns ausnahmsweise mal einig. Ich war erst einunddreißig, also keineswegs uralt, aber ich hatte in meinem Leben schon genug Scheiße gebaut und erlebt, um mich uralt zu fühlen, besonders im Vergleich zu milchgesichtigen Collegestudenten, die in ihrem Leben noch nie richtig gearbeitet hatten.
Ich hatte nie eins dieser glatten Gesichter gehabt, nicht mal als Kind. Ich stammte aus dem Bodensatz der Gesellschaft.
Bridget saß mir gegenüber und sah aus wie die Märchenprinzessin, die sie war. Große blaue Augen und üppige rosa Lippen in einem herzförmigen Gesicht, perfekte Alabasterhaut, goldenes Haar, das ihr in lockeren Wellen über den Rücken fiel. Ihr schwarzes Oberteil ließ die glatten Schultern frei, und an ihren Ohren glitzerten winzige Diamanten.
Jung, reich und königlich. In jeder Hinsicht das Gegenteil von mir.
»Von wegen. Ich liebe ältere Männer.« Jules musterte mich und lächelte noch strahlender. »Und du bist heiß.«
Ich erwiderte ihr Lächeln nicht. Ich war nicht so dumm, mich mit der Freundin einer Klientin einzulassen. Ich hatte bereits alle Hände voll mit Bridget zu tun.
Bildlich gesprochen.
»Lass den Mann in Ruhe.« Stella lachte. Hauptfach Modedesign und Kommunikation. Tochter eines Umweltanwalts und des Stabschefs eines Staatssekretärs. Social-Media-Star. Mein Gehirn listete alles auf, was ich über sie wusste, während sie ein Foto von ihrem Cocktail knipste und dann einen Schluck nahm. »Such dir jemanden in deinem Alter.«
»Jungs in meinem Alter sind langweilig. Ich weiß das, ich hab eine ganze Menge von der Sorte ausprobiert.« Jules stupste Ava an, das letzte Mitglied von Bridgets enger Freundesgruppe.
Abgesehen von Jules’ unangemessenen Annäherungsversuchen waren es anständige Mädels. Auf jeden Fall besser als die Freunde des Hollywood-Starlets, für das ich zuletzt den Leibwächter gespielt hatte – drei qualvolle Monate lang, in denen ich mehr »rein zufällige« intime Entblößungen gesehen hatte, als ich je in meinem Leben zu sehen erwartet hätte. »Wo wir gerade von älteren Männern sprechen … wo steckt denn deiner?«
Ava wurde rot. »Der schafft es heute nicht, er hat eine Telefonkonferenz mit einigen Geschäftspartnern in Japan.«
»Oh, garantiert schafft er es doch«, sagte Jules. »Du in einer Bar, umgeben von betrunkenen, geilen Collegejungs? Ich bin überrascht, dass er noch nicht … ah. Wenn man vom Teufel spricht. Da ist er ja.«
Ich folgte ihrem Blick und erblickte einen großen, dunkelhaarigen Mann, der sich einen Weg durch besagte betrunkene, geile Collegejungs bahnte.
Grüne Augen, maßgeschneiderte Designerkleidung und eine so eisige Miene, dass die gefrorene Tundra Grönlands dagegen wie eine riesige tropische Insel aussah.
Alex Volkov.
Ich kannte ihn vom Namen und vom Hörensagen her, wenn auch nicht persönlich. In bestimmten Kreisen war er eine Legende. Als De-facto-CEO des größten Immobilienunternehmens des Landes verfügte Alex über genug Verbindungen und erpressungstaugliche Informationen, um den halben Kongress und die Fortune 500 zu Fall zu bringen.
Ich traute ihm nicht über den Weg, aber er war mit einer von Bridgets besten Freundinnen zusammen, also war seine Anwesenheit unvermeidlich.
Bei seinem Anblick leuchtete Avas Gesicht auf. »Alex! Ich dachte, du hättest einen geschäftlichen Termin!«
»Das Meeting war früher zu Ende, also dachte ich mir, ich komme mal vorbei.« Seine Lippen streiften über ihre.
»Ich liebe es, wenn ich recht habe, was fast immer der Fall ist.« Jules bedachte Alex mit einem verschmitzten Blick. »Alex Volkov in einer Collegebar? Hätte nie gedacht, dass ich diesen Tag mal erlebe.«
Er tat, als hätte er nichts gehört.
Die Musik wechselte von gemäßigtem R&B zu einem Remix des neuesten Radiohits, und die Menge drehte durch. Jules und Stella erhoben sich von ihren Sitzen, um auf die Tanzfläche zu gehen, gefolgt von Bridget, aber Ava blieb an Ort und Stelle.
»Geht ihr nur. Ich bleibe hier.« Sie gähnte. »Ich bin irgendwie müde.«
Jules starrte sie entsetzt an. »Es ist erst elf!« Sie drehte sich zu mir um. »Rhys, tanz mit uns. Du musst diese … Blasphemie wiedergutmachen.«
Sie deutete auf Ava, die sich an Alex’ Seite schmiegte, während er schützend den Arm um ihre Schultern legte. Ava schnitt ihr eine Grimasse, Alex hingegen verzog keine Miene. Ich hatte schon Eisblöcke gesehen, die mehr Gefühl zeigten als er.
Ich blieb sitzen. »Ich tanze nicht.«
»Du tanzt nicht. Alex singt nicht. Seid ihr nicht ein wahrer Quell der Lebensfreude?«, brummte Jules. »Bridge, tu was.«
Bridget warf mir einen Blick zu, bevor sie sich abwandte. »Er arbeitet doch gerade. Na, komm schon«, neckte sie Jules dann, »sind Stella und ich dir nicht genug?«
Jules stieß einen gequälten Seufzer aus. »Muss wohl. Nett von dir, mir ein schlechtes Gewissen zu machen.«
»Ich habe die subtile Kunst der Schuldzuweisung in der Prinzessinnenschule gelernt.« Bridget zog ihre Freundinnen auf die Tanzfläche. »Los geht’s.«
Niemand war überrascht, dass Ava und Alex bald darauf die Party verließen. Jetzt saß ich allein am Tisch und behielt mit einem Auge die Frauen, mit dem anderen den Rest der Bar im Blick. Zumindest versuchte ich es. Öfter, als mir lieb war, wanderte mein Blick zu Bridget, und nur zu Bridget, hinüber, und das nicht nur, weil sie meine Klientin war.
Schon in dem Moment, als Christian mir meinen neuen Auftrag zuwies, hatte ich gewusst, dass sie Ärger machen würde. Und ja, er hatte ihn mir zugewiesen und mich nicht gefragt, denn Christian Harper dachte in Aufträgen, nicht in Anfragen. Aber wir hatten so viel gemeinsam erlebt, dass ich den Auftrag hätte ablehnen können, wenn ich gewollt hätte – und im ersten Augenblick hatte ich auch genau das vorgehabt, verdammt. Ich als Leibwächter der Prinzessin von Eldorra, obwohl ich nichts mit Eldorra zu tun haben wollte? Die schlechteste Idee in der Geschichte der schlechten Ideen.
Dann hatte ich mir Bridgets Foto angeschaut und etwas in ihren Augen gesehen, das mich sehr berührte. Vielleicht eine Andeutung von Einsamkeit oder Verletzlichkeit, die sie zu verbergen suchte. Was auch immer es war, es genügte mir, um Ja zu sagen, wenn auch widerstrebend.
Jetzt saß ich hier mit einem Schützling fest, der mich ebenso wenig leiden konnte wie umgekehrt.
Du bist wirklich ein gottverdammter Idiot, Larsen.
Aber so ärgerlich ich Bridget auch fand, ich musste zugeben, dass es mir gefiel, wie glücklich sie heute wirkte. Mit einem Leuchten im Gesicht und Augen, in denen Übermut funkelte. Keine Spur jener Einsamkeit auf dem Foto, das Christian mir gegeben hatte.
Sie streckte die Hände in die Luft und wiegte die Hüften zur Musik, und mein Blick blieb an ihren langen, glatten Beinen hängen, ehe ich rasch wegsah und die Zähne zusammenbiss.
Ich hatte schon viele schöne Frauen bewacht, aber als ich Bridget zum ersten Mal persönlich sah, hatte ich auf sie reagiert wie auf keine meiner vorigen Klientinnen. Mein Blut wurde heiß, mein Schwanz hart, und es juckte mich in den Fingern, als wollten sie herausfinden, wie es wohl war, wenn ich ihr goldenes Haar um meine Faust wickelte. Es war eine unerwartete und hochemotionale Reaktion und so stark, dass ich fast den Auftrag abgebrochen hätte, ehe ich überhaupt anfing, denn Begehren einer Klientin gegenüber konnte nur in einer Katastrophe enden.
Aber mein Stolz siegte, und ich blieb. Ich konnte nur hoffen, dass ich es nicht bereuen würde.
Jules und Stella sagten etwas zu Bridget, die nickte, und die beiden gingen weg. Richtung Toilette, wie ich vermutete. Sie waren kaum weg, als ein Typ in rosa Polohemd und mit der arroganten Ausstrahlung, die elitäre Studentenverbindungen so mit sich brachten, entschlossen auf Bridget zuging.
Meine Schultern verkrampften sich.
Ich erhob mich gerade von meinem Platz, als der Verbindungstyp Bridget erreichte und ihr etwas ins Ohr flüsterte. Sie schüttelte den Kopf, aber er ging nicht weg.
Etwas Finsteres streckte in meinem Bauch seine Tentakel aus. Ich verabscheute Männer, die ein deutliches Nein nicht akzeptierten.
Der Verbindungsstudent griff nach Bridget. Sie zog den Arm weg, bevor er sie berühren konnte, und sagte wieder etwas, diesmal mit mehr Nachdruck. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer hässlichen Fratze. Er griff erneut nach ihr, aber bevor er sie berühren konnte, ging ich dazwischen.
»Gibt es ein Problem?« Ich starrte auf ihn hinunter.
Der Bengel verströmte den Geruch von jemandem, der es dank Daddys Geld nicht gewohnt war, ein Nein zu hören, und er war entweder zu dumm oder zu arrogant, um zu kapieren, dass ich drauf und dran war, sein Gesicht so gründlich umzugestalten, dass kein plastischer Chirurg der Welt es wieder reparieren könnte.
»Kein Problem. Ich wollte sie nur zum Tanzen auffordern.« Er taxierte mich, als wollte er mich angreifen.
Eindeutig dumm.
»Ich will nicht tanzen.« Bridget umrundete mich und starrte den Typen finster an. »Ich habe es dir schon zweimal gesagt. Zwing mich nicht, es dir ein drittes Mal zu sagen. Dir wird nicht gefallen, was dann passiert.«
Manchmal konnte man durchaus für einen Moment lang vergessen, dass Bridget eine Prinzessin war, zum Beispiel, wenn sie unter der Dusche falsch sang – sie dachte, ich könnte sie nicht hören, aber das war ein Irrtum – oder wenn sie die ganze Nacht am Küchentisch saß und lernte.
Aber jetzt strahlte sie aus jeder Pore königliche Eiseskälte aus, und gegen meinen Willen stahl sich ein kurzes, beeindrucktes Lächeln auf meine Lippen, ehe ich es mir wieder verkniff.
Der Typ verzog das Gesicht zu einer hässlichen Grimasse, aber er war in der Unterzahl, und das wusste er. Er schlurfte davon und murmelte im Gehen »Blöde Fotze« vor sich hin.
Bridgets plötzlichem Erröten nach zu urteilen, hatte sie ihn gehört.
Zu seinem Pech für ihn hatte ich das ebenfalls.
Er schaffte es keine zwei Meter weit, ehe ich ihn so fest packte, dass er aufjaulte. Es wäre mir ein Leichtes gewesen, ihm mit einer kurzen Bewegung aus dem Handgelenk den Arm zu brechen, aber ich wollte keine Szene machen, also hatte er Glück.
Vorerst.
»Was hast du gesagt?« In meiner Stimme schwang eine gefährliche Schärfe mit.
Bridget und ich waren nicht gerade Fans voneinander, aber deshalb war es noch lange nicht okay, dass jemand sie beschimpfte. Nicht unter meiner Aufsicht.
Das war eine Frage des Prinzips und des verdammten Anstands.
»N-nichts.« Das mickrige Gehirn des Studenten hatte die Situation endlich erfasst, und sein Gesicht wurde vor Panik ganz rot.
»Ich glaube nicht, dass es nichts war.« Ich packte fester zu, und er wimmerte vor Schmerz. »Ich glaube, du hast diese Lady hier mit einem echt unflätigen Wort beleidigt.« Noch festeres Zupacken, noch ein Wimmern. »Und ich denke, du solltest dich entschuldigen, bevor die Situation eskaliert. Meinst du nicht?«
Ich brauchte nicht näher zu erklären, was »eskaliert« bedeutete.
»Es tut mir leid«, murmelte er in Richtung Bridget. Sie musterte ihn mit eisiger Miene und antwortete nicht.
»Ich hab dich nicht gehört«, sagte ich.
Seine Augen blitzten vor Hass, aber er war nicht so dumm, Widerworte zu geben. »Es tut mir leid«, sagte er lauter.
»Was tut dir leid?«
»Dass ich dich eine …« Er warf einen ängstlichen Blick in meine Richtung. »Dass ich dich beschimpft habe.«
»Und?«, hakte ich nach.
Verwirrt zog er die Stirn kraus.
Mein Lächeln war eine Drohung ohne jeden Funken Humor. »Sag: ›Es tut mir leid, dass ich ein schlappschwänziger Idiot bin, der lernen muss, Frauen zu respektieren‹.«
Mir war, als hörte ich ein unterdrücktes Lachen von Bridget, aber ich konzentrierte mich auf die Reaktion des Studenten, der aussah, als wollte er mich mit seiner freien Hand schlagen, und ich wünschte mir fast, er würde es versuchen. Es wäre amüsant zu sehen, wie er in Richtung meines Gesichts fuchtelte. Ich überragte ihn um gut zehn Zentimeter, und er hatte echt kurze Ärmchen.
»Es tut mir leid, dass ich ein schlappschwänziger Idiot bin, der lernen muss, Frauen zu respektieren.« Er pulsierte förmlich vor Wut.
»Nehmen Sie seine Entschuldigung an?«, fragte ich Bridget. »Wenn nicht, gehe ich mit ihm nach draußen.«
Der Student wurde ganz blass.
Mit nachdenklicher Miene legte Bridget den Kopf schief, und der Schatten eines Lächelns umspielte meinen Mund. Sie ist gut.
»Ich nehme sie an«, sagte sie schließlich in dem Tonfall von jemandem, der einem anderen einen großen Gefallen tat. »Es hat keinen Sinn, noch mehr Zeit mit jemand so Unwichtigem zu verschwenden.«
Belustigung schwappte in die Wut über seine Beschimpfung, die in meinen Adern kochte. »Du hast Glück gehabt.« Ich ließ ihn los. »Wenn ich jemals wieder sehe, dass du sie oder eine andere Frau belästigst …« Ich senkte die Stimme. »Dann lernst du besser, alles mit links zu erledigen, denn deine rechte Hand wird dann nicht mehr zu gebrauchen sein. Dauerhaft. Und jetzt hau ab.«
Das brauchte ich ihm nicht zweimal zu sagen. Er floh, sein rosa Hemd blitzte in der Menge auf, und dann verschwand er durch den Ausgang.
Gut, dass wir den los sind.
»Danke«, sagte Bridget. »Ich weiß es zu schätzen, dass Sie sich um ihn gekümmert haben, auch wenn es mich ärgert, dass erst jemand anderes eingreifen musste. Reicht es denn nicht, wenn ich Nein sage?« Ihre Stirn legte sich in zornige Falten.
»Manche Leute sind Idioten, manche Arschlöcher.« Ich trat zur Seite, um eine Gruppe kichernder Partygäste vorbeizulassen. »Sie sind soeben einem begegnet, der beides in einer Person ist.«
Das brachte mir ein kleines Lächeln ein. »Mr Larsen, ich glaube fast, wir führen hier gerade eine zivilisierte Unterhaltung.«
»Tun wir das? Kann mal jemand in der Hölle nach dem Wetter sehen«, sagte ich und zwinkerte ihr zu.
Bridgets Lächeln wurde breiter, und ich will verdammt sein, wenn dieser Anblick mir nicht einen kleinen Tritt in den Magen versetzte.
»Wie wär’s mit einem Drink?« Sie neigte den Kopf Richtung Bar. »Geht auf mich.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin im Dienst, und ich trinke ohnehin keinen Alkohol.«
Überraschung blitzte in ihrem Gesicht auf. »Niemals?«
»Niemals.« Keine Drogen, kein Alkohol, keine Zigaretten. Ich hatte den Schaden gesehen, den das Zeug anrichtete, und kein Interesse daran, ebenfalls mit in die Statistik einzugehen. »Nicht mein Ding.«
Bridgets Gesichtsausdruck verriet ihre Vermutung, dass mehr hinter der Geschichte steckte, aber sie drang nicht weiter in mich, was ich zu schätzen wusste. Manche Leute waren mir zu neugierig.
»Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat!« Jules kam mit Stella im Schlepptau zurück. »Die Schlange vor der Toilette war völlig absurd.« Ihr Blick wanderte zwischen mir und Bridget hin und her. »Alles in Ordnung?«
»Ja. Mr Larsen hat mir Gesellschaft geleistet, während ihr weg wart«, sagte Bridget, ohne eine Miene zu verziehen.
»Wirklich?« Jules zog eine Augenbraue hoch. »Wie nett von ihm.«
Weder Bridget noch ich bissen an.
»Entspann dich mal, J«, hörte ich Stella sagen, als ich an den Tisch zurückkehrte – die Situation mit dem Studenten hatte sich geklärt, und ihre Freundinnen waren zurück. »Es ist nun mal sein Job, auf sie aufzupassen.«
Verdammt richtig. Es war mein Job, und Bridget war meine Klientin. Nicht mehr und nicht weniger.
Bridget sah mich an, und unsere Blicke trafen sich für den Bruchteil einer Sekunde, bevor sie wieder wegschaute.
Meine Hand grub sich in meinen Oberschenkel. Ja, ich fühlte mich zu ihr hingezogen. Sie war schön und klug und hatte ein Rückgrat aus Stahl. Natürlich fühlte ich mich zu ihr hingezogen. Das bedeutete aber nicht, dass ich das ausleben sollte oder würde.
In meinen fünf Jahren als Leibwächter hatte ich kein einziges Mal jene Grenze überschritten.
Und ich hatte nicht vor, jetzt damit anzufangen.
Mit das Schlimmste an einem Rund-um-die-Uhr-Leibwächter war, dass man mit ihm zusammenlebte. Mit Booth war das kein Problem gewesen, weil wir uns so gut verstanden hatten, aber mit Rhys auf engem Raum zu leben machte mich echt kirre.
Plötzlich erschien mir meine Wohnung zu klein, und Rhys schien einfach überall zu sein.
Stand in der Küche und trank Kaffee. Stieg aus der Dusche. Trainierte mit gespannten Muskeln und schweißglänzender Haut im Hinterhof.
Das Ganze fühlte sich eigenartig häuslich an, und das gefiel mir überhaupt nicht. Mit Booth war es nie so gewesen.
»Wird Ihnen nicht heiß in diesen Klamotten?«, fragte ich Rhys an einem für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Tag, als ich ihm bei seinen Liegestützen zusah.
Obwohl schon Herbst, war es um die fünfundzwanzig Grad warm, und trotz meines leichten Baumwollkleides und der eiskalten Limonade in meinen Händen rann mir eine Schweißperle den Hals hinunter.
Rhys musste in seinem schwarzen Hemd und den Trainingsshorts regelrecht verglühen.
»Wollen Sie mich etwa dazu bringen, dass ich mein Hemd ausziehe?« Er machte ungerührt weiter und wirkte kein bisschen angestrengt.
Auf meinen Wangen breitete sich Hitze aus, die nichts mit dem Wetter zu tun hatte. »Das hätten Sie wohl gern.« Es war nicht die schlagfertigste Antwort der Welt, aber was Besseres fiel mir leider nicht ein.
Ehrlich gesagt, war ich tatsächlich neugierig darauf, Rhys ohne Hemd zu sehen. Nicht weil ich so dringend einen Blick auf seine Bauchmuskeln erhaschen wollte – auch wenn sie vermutlich fantastisch waren, dem restlichen Körper nach zu urteilen, wie ich zähneknirschend zugeben musste –, sondern vor allem deshalb, weil er so entschlossen zu sein schien, seinen Oberkörper zu verbergen. Selbst wenn er nach dem Duschen aus dem Bad kam, war er stets vollständig bekleidet.
Möglicherweise war es ihm unangenehm, sich vor einer Klientin halb nackt zu zeigen, aber ich hatte eigentlich nicht das Gefühl, dass Rhys Larsen sonderlich schamhaft war. Es musste einen anderen Grund geben. Vielleicht eine peinliche Tätowierung oder eine unansehnliche Hautkrankheit, die nur seinen Oberkörper betraf.
Rhys war mit Liegestützen fertig und ging an die Klimmzugstange. »Wollen Sie mich weiter anstarren, oder kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, Prinzessin?«
Meine Wangen wurden noch heißer. »Ich habe Sie nicht angestarrt. Ich habe nur stumm gebetet, dass Sie einen Hitzeschlag erleiden. Und falls das passieren sollte, werde ich Ihnen nicht helfen. Ich muss noch … ein Buch lesen.«
Lieber Gott, was rede ich denn da? Nicht mal in meinen eigenen Ohren ergab das irgendeinen Sinn.
Nach unserem nun zwei Wochen zurückliegenden einvernehmlichen Moment im Crypt waren Rhys und ich wieder in unser gewohntes Muster aus Grantigkeit und Sarkasmus verfallen, was mich ärgerte, weil ich eigentlich weder grantig noch sarkastisch war.
Der Schatten eines Lächelns umspielte Rhys’ Mundwinkel, war aber gleich wieder verschwunden. »Gut zu wissen.«
Inzwischen war ich garantiert knallrot. Mit erhobenem Kinn und so viel Würde, wie ich nur aufzubringen vermochte, ging ich zurück ins Haus.
Sollte Rhys doch meinetwegen in der Sonne braten. Ich hoffte wirklich, dass er einen Hitzschlag bekam. Vielleicht hatte er dann nicht mehr genug Energie, um weiterhin so ein Arsch zu sein.
Aber leider bekam er keinen Hitzschlag, und zum Arschlochsein reichte seine Energie locker.
»Wie ist das Buch?«, fragte er später nach dem Training – als er hereinkam, hatte ich mir das nächstbeste Buch in Reichweite geschnappt.
»Sehr spannend.« Ich versuchte mit aller Kraft, mich auf die Buchseite zu konzentrieren statt darauf, wie Rhys’ schweißnasses Hemd ihm auf der Haut klebte.
Mit Sicherheit ein Sixpack. Vielleicht sogar ein Eightpack.
Nein, ich zählte nicht nach.
»Sieht ganz so aus«, sagte Rhys mit regloser Miene, aber seine Stimme klang spöttisch. Auf dem Weg ins Bad fügte er, ohne sich umzudrehen, hinzu: »Übrigens, Prinzessin, Sie halten das Buch verkehrt herum.«
Hastig schlug ich das Buch zu, meine Haut brannte vor Scham.
Himmel, er war unausstehlich. Ein Gentleman hätte sich diesen Hinweis verkniffen, aber Rhys Larsen war kein Gentleman. Er war mein persönlicher Fluch.
Leider war ich die Einzige, die so dachte. Alle anderen fanden seine mürrische Art irgendwie charmant, auch meine Freunde und die Leute im Tierheim, sodass ich niemanden hatte, mit dem ich über ihn herziehen konnte.
»Wie ist denn dein neuer Bodyguard so?«, flüsterte Wendy, eine der anderen langjährigen Ehrenamtlichen bei Wags and Whiskers. Sie warf einen raschen Blick auf Rhys, der wie eine Statue aus Muskeln und Tattoos im Hintergrund herumstand. »Er ist echt dieser klassische starke, schweigsame Mann. Das ist total heiß.«
»Das sagst du nur, weil du nicht mit ihm zusammenleben musst.«
Das Debakel mit dem falsch herum gehaltenen Buch war zwei Tage her, und Rhys und ich hatten seitdem kein Wort mehr miteinander gewechselt, abgesehen davon, dass wir uns einen guten Morgen und eine gute Nacht wünschten.
Das war mir egal. So war es einfacher, so zu tun, als gäbe es ihn gar nicht.
Wendy lachte. »Ich tausche jederzeit gern mit dir. MeineMitbewohnerin brät ständig Fisch in der Mikrowelle, sodass die ganze Küche stinkt, und sie ist nicht annähernd so heiß wie dein Leibwächter.« Sie zog ihren Pferdeschwanz straff und stand auf. »Ich muss los zu meiner Lerngruppe. Kommst du klar?«
Ich nickte. Ich hatte Wendys Schicht inzwischen so oft übernommen, dass ich wusste, was zu tun war.
Nachdem sie gegangen war, breitete sich Stille aus und legte sich schwer wie ein Mantel auf meine Schultern.
Rhys in seiner Ecke rührte sich nicht. Wir waren allein, aber er ließ den Blick so aufmerksam im Katzenspielzimmer umherschweifen, als würde er jede Sekunde mit dem Auftauchen eines Killers rechnen.
»Wird das nicht irgendwann anstrengend?« Ich kraulte Meadow hinter den Ohren, den jüngsten Neuzugang des Tierheims.
»Was?«
»Die ganze Zeit in Alarmbereitschaft zu sein.« Ständig nach Gefahren Ausschau halten.
Es war sein Job, aber ich hatte Rhys noch nie entspannt gesehen, auch nicht, wenn wir zu Hause waren und außer uns niemand da.
»Nein.«
»Sie wissen schon, dass Sie auch mehr als nur ein Wort antworten dürfen, oder?«
»Ja.«
Er war einfach unmöglich.
»Gott sei Dank habe ich dich, Süße«, sagte ich zu Meadow. »Mit dir kann man sich wenigstens vernünftig unterhalten.«
Sie miaute zustimmend, und ich lächelte. Manchmal hätte ich schwören können, dass Katzen klüger waren als Menschen.
Wieder herrschte Stille, bis Rhys mich plötzlich überraschend fragte: »Warum arbeiten Sie ehrenamtlich in einem Tierheim?«
Ich war so verblüfft darüber, dass er ein Gespräch anfing, bei dem es nicht um meine Sicherheit ging, dass ich mitten in der Bewegung erstarrte.
Meadow miaute erneut, dieses Mal aus Protest.
Ich streichelte sie weiter und überlegte, wie ausführlich ich antworten sollte, doch schließlich sagte ich nur schlicht: »Ich mag Tiere. Daher Tierheim.«
»Hmm.«
Bei der Skepsis in seiner Stimme straffte ich den Rücken. »Warum fragen Sie?«
Rhys zuckte mit den Schultern. »Ich hätte einfach nicht gedacht, dass Sie Ihre Freizeit gern auf diese Art verbringen.«
Ich brauchte nicht zu fragen, welche Freizeitinteressen ihn weniger gewundert hätten. Die meisten Leute stellten aufgrund meines Aussehens und meiner Herkunft gewisse Vermutungen an, und ja, einige von ihnen stimmten. Ich ging genauso gern shoppen und auf Partys wie andere Frauen meines Alters auch, aber das bedeutete nicht, dass ich mich für nichts anderes interessierte.
»Es ist schon ziemlich erstaunlich, wie gut Sie mich nach nur einem Monat bereits kennen«, sagte ich kühl.
»Ich mache meine Hausaufgaben, Prinzessin.« So sprach er mich immer an – er weigerte sich, mich beim Vornamen zu nennen oder Hoheit zu sagen. Im Gegenzug nannte ich ihn stur Mr Larsen. Wenn ihn das in irgendeiner Weise störte, so ließ er es sich nicht anmerken, aber für die kleinliche Seite meiner Seele war es trotzdem befriedigend. »Ich weiß mehr über Sie, als Sie glauben.«
»Aber weshalb ich ehrenamtlich in einem Tierheim arbeite, wussten Sie nicht. Bei Ihren Recherchefähigkeiten ist offenbar noch Luft nach oben.«
Er sah mich mit diesen stahlgrauen Augen an, und ich glaubte einen Hauch von Belustigung zu entdecken, bevor er die Mauern wieder hochzog. »Touché.« Nach kurzem Zögern fügte er hinzu: »Sie sind ganz anders, als ich erwartet habe.«
»Warum? Weil ich kein oberflächlicher Hohlkopf bin?« Seine Worte verletzten mich, und ich versuchte, es zu überspielen, aber meine Stimme klang noch kühler als zuvor.
»Ich habe nie gesagt, Sie wären ein oberflächlicher Hohlkopf.«
»Aber Sie haben es impliziert.«
Rhys schnitt eine Grimasse. »Sie sind nicht meine erste königliche Klientin«, sagte er. »Auch nicht die dritte oder vierte. Bisher gab es immer gewisse Parallelen, und deshalb habe ich von Ihnen auch nichts anderes erwartet. Aber Sie sind …«
Ich zog eine Braue hoch. »Ich bin …?«
Das Lächeln huschte so schnell über sein Gesicht, dass ich es fast übersehen hätte.
»Kein oberflächlicher Hohlkopf.«
Ich konnte nicht anders, ich lachte laut auf.
Ich lachte über etwas, das Rhys Larsen gesagt hatte. Garantiert fror in diesem Moment die Hölle zu.
»Meine Mutter hat Tiere sehr geliebt«, sagte ich zu meiner eigenen Überraschung. Ich hatte gar nicht vor, mit Rhys über meine Mutter zu sprechen, aber ich verspürte den Drang, es auszunutzen, dass ausnahmsweise gerade keine Feindseligkeit in der Luft lag. »Das habe ich also wohl von ihr geerbt. Aber im Palast sind keine Haustiere erlaubt, und die einzige Möglichkeit für mich, regelmäßig mit Tieren zu tun zu haben, war die ehrenamtliche Arbeit im Tierheim.« Ich streckte die Hand nach Meadow aus und lächelte, als die Katze mit der Pfote danach schlug, als wollte sie einschlagen. »Es macht mir Spaß, aber ich mache es auch, weil …« Ich suchte nach den richtigen Worten. »Ich fühle mich dadurch meiner Mutter näher. Die Liebe zu Tieren ist etwas, das uns verbindet. Der Rest meiner Familie mag Tiere auch, aber nicht so wie wir es tun. Oder in ihrem Fall getan haben.«
Keine Ahnung, was mich zu diesem Geständnis bewegte. Wollte ich beweisen, dass ich nicht aus PR-Gründen hier half? Weshalb interessierte es mich überhaupt, was Rhys über mich dachte?
Vielleicht hatte ich aber auch das Bedürfnis, mit jemandem über meine Mutter zu sprechen, der sie nicht kannte. In Athenberg konnte ich nicht mal ihren Namen erwähnen, ohne dass alle mich mitleidig ansahen, aber Rhys war so ruhig und gelassen wie immer.
»Ich verstehe«, sagte er.
Zwei ganz schlichte Worte, und doch gingen sie mir nah und schenkten mir eine innere Ruhe, von der ich gar nicht gewusst hatte, wie sehr ich mich danach sehnte.
Unsere Blicke trafen sich, und die Luft wurde noch dicker.
Dunkel, geheimnisvoll, durchdringend. Rhys hatte Augen, die direkt in die Seele eines Menschen blickten, direkt durch all die vielen Schichten aus Täuschung und Lügen hindurch auf die hässlichen Wahrheiten darunter.
Wie viele meiner Wahrheiten konnte er sehen? Sah er das Mädchen unter der Maske, das seit Jahrzehnten eine schwere Last mit sich herumtrug, die es mit niemandem zu teilen wagte? Das Mädchen, das ein Menschenleben auf dem Gewissen hatte …
»Meister! Versohl mir den Hintern, Meister!« Ausgerechnet in diesem Moment beschloss Leather, einen seiner stets unpassenden Ausbrüche zum Besten zu geben. »Bitte versohl mir den Hintern!«
Der Zauber zerbrach so schnell, wie er aufgekommen war.
Rhys wandte den Blick ab, und ich sah zu Boden und stieß die Luft aus, halb erleichtert und halb enttäuscht.
»Meis…«
Leather verstummte, als Rhys ihn anfunkelte. Der Vogel sträubte die Federn und hüpfte im Käfig herum, dann verstummte er ganz und blieb still sitzen.
»Glückwunsch«, sagte ich und versuchte, die Erinnerung an die eigenartige elektrische Spannung abzuschütteln, die uns eben gepackt hatte. »Sie sind womöglich der Erste, der Leather dazu gebracht hat, mitten im Satz aufzuhören. Sie sollten ihn adoptieren.«
»Scheiße, nein. Ich steh nicht so auf unflätige Tiere.«
Wir starrten uns eine Sekunde lang an, bevor mir ein kleines Kichern entschlüpfte und die dicke Mauer, hinter der er sich verbarg, einen kleinen Riss bekam, durch den kurz Humor aufblitzte.
Für den Rest meiner Schicht sprachen wir nicht mehr miteinander, aber die Stimmung zwischen uns war besser, und ich redete mir ein, dass die Arbeitsbeziehung zwischen Rhys und mir vielleicht doch funktionieren könnte.
Keine Ahnung, ob es Optimismus war oder eine Wahnvorstellung – mein Gehirn stürzte sich immer auf jeden Funken Hoffnung, dass alles nur halb so schlimm war und schon werden würde.
Auf dem Nachhauseweg nach meiner Schicht biss der Wind mir in die ungeschützte Haut in meinem Gesicht und an meinem Hals. Wir hatten zu Hause darüber diskutiert, ob wir zu Fuß gehen oder fahren sollten, aber am Ende hatte er zugeben müssen, dass eine so kurze Strecke zu fahren albern wäre.
»Freuen Sie sich darauf, Eldorra zu besuchen?«, fragte ich. Wir wollten in Kürze für ein paar winterliche Urlaubstage nach Athenberg fliegen, und Rhys hatte erwähnt, dass er zum ersten Mal dort sein würde.
Ich hatte gehofft, auf dem kurzen Aufblitzen von Einvernehmen vorhin aufbauen zu können, aber das war wohl ein Irrtum gewesen – Rhys’ Gesicht verschloss sich sofort, als würden Jalousien runterrattern.
»Für mich wird das kein Urlaub, Prinzessin.« Er sagte es in einem Tonfall, als würde ich ihn zwingen, ins Gefangenenlager zu gehen.
Dabei hatte Leisure die Stadt zum neuntbesten Reiseziel der Welt für Städtetrips gekürt.
»Ich weiß, dass es für Sie kein Urlaub ist.« Ich versuchte, mir den Ärger nicht anmerken zu lassen, was mir aber nicht besonders gut gelang. »Aber Sie werden dort auch Freizeit …«
Reifen kreischten auf. Mein Gehirn hatte keine Zeit, das Geräusch zu verarbeiten, da hatte Rhys mich auch schon in eine nahe gelegene Gasse gestoßen und drückte mich gegen die Wand, schirmte mich mit seinem Körper ab, die Waffe in der Hand.
Mein Puls schoss in die Höhe, dem Adrenalinstoß geschuldet und seiner plötzlichen körperlichen Nähe. Jede Faser seines großen, muskulösen Körpers strahlte Wärme und Anspannung aus, und das Gefühl hüllte mich ein wie ein Kokon.
Der Wagen fuhr vorbei. Aus den halb geöffneten Fenstern schallten Musik und Gelächter heraus.
An meinen Schulterblättern spürte ich Rhys’ Herzschlag, und wir verharrten noch immer wie erstarrt in der Gasse, als die Musik längst verklungen war. Ich hörte nichts bis auf unseren schweren Atem.
»Mr Larsen«, sagte ich leise. »Ich denke, es ist alles in Ordnung.«
Er rührte sich nicht. Ich war zwischen ihm und der Ziegelmauer gefangen, zwei unverrückbare Wände, die mich gegen die Welt abschirmten. Eine Hand hatte er schützend an die Wand neben meinem Kopf gestützt, und ich spürte seinen an mich gepressten Körper überdeutlich.
Ein weiterer Herzschlag, dann steckte Rhys seine Waffe weg und sah mich an.
»Sind Sie in Ordnung?« Seine Stimme war tief und rau, und sein Blick suchte mich nach Verletzungen ab, die es nicht gab.
»Ja. Das Auto ist nur ein bisschen zu schnell abgebogen, das ist alles.« Ich stieß ein nervöses Lachen aus, meine Haut brannte unter seinem eindringlichen Blick. »Ich hab mich mehr darüber erschreckt, dass Sie mich in die Gasse gestoßen haben, als wegen des Autos.«
»Deshalb hätten wir besser fahren sollen.« Er trat zurück und nahm seine Wärme mit sich, und kühle Luft strömte in die Leere zwischen unseren Körpern. Ich fröstelte und wünschte, ich hätte einen dickeren Pullover angezogen. Plötzlich war mir kalt.
»Zu Fuß sind Sie viel zu ungeschützt. Das hätte auch ein Drive-by sein können.«
Bei dem Gedanken musste ich fast lachen. »Wohl kaum. Eher regnet es Hunde und Katzen, als dass es in Hazelburg einen Drive-by gibt.« Es war eine der sichersten Städte des Landes, und die meisten Studenten besaßen nicht mal ein Auto.
Rhys schien das nicht zu beeindrucken. »Wie oft muss ich es Ihnen denn noch sagen? Es reicht ein einziges Mal. Von jetzt an wird nicht mehr zu Fuß zum Tierheim gelaufen.«
»Es ist überhaupt nichts passiert. Ihre Reaktion ist völlig übertrieben«, sagte ich, und mein Ärger flammte mit voller Wucht wieder auf.
Seine Miene versteinerte. »Es ist mein Job, mögliche Gefahren im Blick zu haben. Wenn Ihnen das nicht passt, feuern Sie mich. Aber bis dahin tun Sie, was ich sage, wenn ich es sage, so wie ich es Ihnen bereits am ersten Tag angekündigt habe.«
Jede Spur von Einvernehmen war verpufft. Ich wünschte, ich könnte ihn feuern, aber bei Personalentscheidungen hatte ich kein Mitspracherecht, und es gab keinen Grund, Rhys zu entlassen, außer dass wir nicht gut miteinander auskamen.
Ich war bei dem kurzen Moment im Tierheim so sicher gewesen, dass es zwischen uns von jetzt an besser laufen würde, aber Rhys und ich waren einen Schritt vorwärtsgegangen und zwei Schritte zurück.
Ich stellte mir vor, wie wir nach Athenberg flogen, Stunden über Stunden eingehüllt in unser vertrautes eisiges Schweigen, und verzog das Gesicht.
Das würde ja ein herrlicher Weihnachtsurlaub werden.
Bridget und ich landeten in Athenberg, der Hauptstadt von Eldorra, vier Tage nachdem meine Entscheidung, dass fortan gefahren wurde statt gelaufen, dem stummen Krieg zwischen uns eine neue Front hinzugefügt hatte. Auf dem Flug hatte eine Stimmung zwischen uns geherrscht, gegen die mir ein Bad in einem winterlichen russischen Fluss gar nicht mehr so eisig erschien, aber das war mir egal.
Schließlich musste ich sie nicht mögen, um meinen Job zu machen.
Aufmerksam ließ ich den Blick über den fast leeren Nationalfriedhof der Stadt schweifen und lauschte dem unheimlichen Heulen des Windes, der durch die kahlen Bäume fegte. Eisige Kälte lag über dem Friedhof, drang durch sämtliche Kleidungsschichten und biss sich tief in meine Knochen.
Seit unserer Ankunft war dies der erste halbwegs freie Tag in Bridgets Terminkalender, und als sie darauf bestand, ihn für einen Besuch auf dem Friedhof zu nutzen, war ich wie vor den Kopf geschlagen gewesen.
Aber dann waren wir dort, und ich verstand.
Ich hielt respektvollen Abstand zu den beiden Grabsteinen, vor denen sie kniete, war jedoch nah genug, um die eingravierten Namen zu sehen.
Josefine von Ascheberg. Frederik von Ascheberg.
Ihre Eltern.
Ich war zehn Jahre alt gewesen, als Kronprinzessin Josefine bei der Geburt ihres Kindes starb.
Ich erinnerte mich an die Fotos der verstorbenen Prinzessin, die wochenlang in Zeitschriften und auf Fernsehbildschirmen zu sehen waren. Prinz Frederik war ein paar Jahre später bei einem Autounfall ums Leben gekommen.
Bridget und ich waren keine Freunde. Verdammt, die meiste Zeit waren wir nicht einmal höflich zueinander. Trotzdem verspürte ich ein seltsames Ziehen in der Brust, als ich sie dort am Grab ihrer Eltern sah, denen sie etwas zuflüsterte, tiefe Trauer im Gesicht.
Bridget strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und flüsterte noch etwas, und ein schwaches Lächeln verscheuchte die Traurigkeit. Ich scherte mich selten um das Privatleben anderer Leute, aber mit einem Mal wünschte ich mir fast, ich könnte hören, was sie zum Lächeln brachte.
Mein Handy summte, und kurz freute ich mich über die Ablenkung, doch dann sah ich, von wem die Nachricht kam.
Christian: Ich kann dir den Namen in weniger als zehn Minuten besorgen.
Ich: Nein. Lass gut sein.
Eine weitere Nachricht kam herein, aber ich steckte das Handy weg, ohne sie zu lesen.
Verärgerung flammte in mir auf.
Christian war ein hartnäckiger Mistkerl, der es genoss, die Leichenkeller anderer Leute zu durchstöbern. Er ging mir mit dieser Sache auf die Nerven, seit er erfahren hatte, dass ich die Ferien in Eldorra verbrachte – er kannte meine Vorbehalte gegen das Land –, und wäre er nicht mein Chef und der Mensch in meinem Leben, der einem Freund am nächsten kam, hätte ich ihm dafür längst eine reingehauen.
Ich sagte ihm, ich wolle den Namen nicht, und das meinte ich auch so. Ich kam jetzt seit einunddreißig Jahren klar, ohne es zu wissen, und ich käme problemlos weitere einunddreißig weitere Jahre klar … oder wie lange es auch immer dauern würde, bis ich ins Gras biss.
Ich richtete meine Aufmerksamkeit gerade wieder auf Bridget, als in der Nähe ein Zweig knackte, gefolgt von dem leisen Klicken einer Kamera.
Mein Kopf ruckte hoch, und als ich hinter einem nahen Grabstein ein paar verräterische Strähnen blonden Haars hervorblitzen sah, entrang sich meiner Kehle ein leises Knurren.
Verdammte Paparazzi.
Als der Mistkerl merkte, dass er aufgeflogen war, stieß er ein Quieken aus und versuchte zu fliehen, aber er kam nur wenige Schritte weit, da packte ich ihn auch schon am Jackenkragen.
Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Bridget mit besorgter Miene aufstand.
»Geben Sie mir die Kamera«, sagte ich mit ruhiger Stimme, der meine Wut nicht anzuhören war. Paparazzi waren ein unausweichliches Übel beim Schutz von Prominenten, aber es war ein Unterschied, ob man jemanden beim Essen oder beim Einkaufen fotografierte oder ob man ihn in einem so privaten Moment ablichtete.
Bridget besuchte gerade die Gräber ihrer Eltern, verdammt noch mal, und dieses Stück Scheiße hatte die Frechheit, sie dabei zu behelligen.
»Auf keinen Fall«, schimpfte der Paparazzo. »Dies ist ein freies Land, und Prinzessin Bridget ist eine Person des öffentlichen Interesses. Ich …«
Ich ließ ihn seinen Satz nicht beenden, sondern riss ihm die Kamera aus der Hand, ließ sie auf den Boden fallen und zertrümmerte sie mit dem Stiefelabsatz.
Ich konnte es nicht leiden, mich zu wiederholen.
Er stieß ein Protestheulen aus. »Das war eine Fünftausend-Dollar-Kamera!«
»Sie können von Glück reden, dass das alles ist, was hier zu Bruch gegangen ist.« Ich ließ seine Jacke los und zupfte sie zurecht, was allerdings mehr Drohung war als höfliche Geste. »Sie haben fünf Sekunden, um hier zu verschwinden, wenn Sie wollen, dass es dabei bleibt.«
So empört der Paparazzo war, dumm war er nicht. Zwei Sekunden später war er zwischen den Bäumen verschwunden und ließ nur seine zertrümmerte Kamera zurück. Gleich darauf hörte ich, wie ein Motor ansprang und ein Auto wegfuhr.
»Den kenne ich. Er ist vom National Express.« Bridget trat neben mich und sah nicht im Geringsten überrascht aus. »Die schäbigste aller Boulevardzeitungen. Wahrscheinlich schreiben sie jetzt, dass ich irgendeiner satanistischen Sekte beigetreten bin.«
Ich schnaubte. »Er hat es nicht anders verdient. Ich kann Leute nicht ausstehen, die die Privatsphäre anderer Menschen nicht respektieren.«
Ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht, das erste, das sie mir seit Tagen schenkte, und ihre kühle Reserviertheit verflog. »Er ist Paparazzo. Es ist sein Job, in die Privatsphäre anderer einzudringen.«
»Nicht auf dem verdammten Friedhof.«
»Ich bin daran gewöhnt. Alles, was ich außerhalb des Palasts tue, landet schnell mal in der Zeitung.« Bridget klang resigniert. »Danke, dass Sie sich um die Angelegenheit gekümmert haben, auch wenn Ihr Vorgehen für meinen Geschmack ein bisschen … aggressiv war.« Ihr Blick war immer noch traurig, und ich spürte wieder dieses seltsame Ziehen in der Brust.