Über das Dandytum - Jules Barbey d`Aurevilly - E-Book

Über das Dandytum E-Book

Jules Barbey d'Aurevilly

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Beschreibung

Über das Dandytum ist das noch immer gültige Kultbuch zu einem faszinierenden Thema. Es ist aber auch ein klassisch gewordener Essay: raffinierte biografische Darstellung und Gesellschaftsanalyse in einem, enthält es zugleich eine eigene Dandy- Philosophie. Der erstmals vollständig auf Deutsch erscheinende Text ist voll von Beobachtungen und Aperçus, die ewig Gültigkeit haben. Die vorliegende Ausgabe des zwischen 1845 und 1879 durch mehrmalige Überarbeitung entstanden Essays enthält nicht nur die Biographie George "Beau" Brummells, der mehr als jeder andere die Vorstellung davon geprägt hat, was ein Dandy ist und der Lord Byron zu der Bemerkung veranlaßte, lieber Brummell gewesen zu sein als Napoleon. Sie enthält auch den noch nie ins Deutsche übertragenen Essay über den Marquis de Lauzun, einen "Dandy bevor es Dandys gab", dessen tragisch-groteske Liebesgeschichte mit einer Dame aus dem französischen Hochadel nach Barbeys Worten "einen Roman von Stendhal aufwiegt". Obwohl Barbey d´Aurevilly behauptete, selbst kein Dandy zu sein, wurde er als solcher wahrgenommen. Unzählige Klatschartikel und Karikaturen haben seine extravaganten Krawatten, Mäntel, Hüte und Manschetten festgehalten. Seine aristokratische Erscheinung war in Paris ebenso legendär wie seine Schlagfertigkeit und die oft vernichtende Schärfe seines Urteils. Der Anhang des Bandes versammelt Zeugnisse von Schriftstellern, die Barbey d´Aurevilly begegnet sind und ihn als Dandy beschrieben haben.

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Jules Barbey d’Aurevilly

Über das Dandytum undüber George Brummell

Ein Dandy ehe es Dandys gab

Aus dem Französischen übersetzt undmit Anmerkungen und einemAnhang versehen von Gernot Krämer

Mit einem Essay von André Maurois

INHALT

Jules Barbey d’Aurevilly —

Über das Dandytum undüber George Brummell

Ein Dandy ehe es Dandys gab

Anhang:

Barbey d’Aurevilly als Dandy

Anmerkungen

André Maurois —

Barbey d’Aurevilly oderDas heroische Gespenst

Editorische Notiz

Abbildungsverzeichnis

Nachweise

ÜBER DAS DANDYTUM UNDÜBER GEORGE BRUMMELL

Es ist schwieriger, kaltblütigen Menschen zu gefallen,als die Liebe einiger Feuerseelen zu erringen.

(Traktat der Prinzessin 1)

Herrn César Daly, dem Herausgeber

der REVUE DE L’ARCHITECTURE2, gewidmet

Mein lieber Daly,

es ist siebzehn Jahre her, seit ich Ihnen schrieb:

Während Sie auf Reisen sind, mein lieber Daly, und die Gedanken Ihrer Freunde nicht wissen, wo sie Ihrer habhaft werden können, hier etwas Kleines (ein Buch wage ich es nicht zu nennen), das auf der Schwelle Ihres Hauses auf Sie warten wird. Es ist die Statuette eines Mannes, der wohl kaum Größeres verdient: eine Merkwürdigkeit der Sitten und der Geschichte, geeignet, auf dem Wandbrett Ihres Arbeitszimmers Platz zu finden.

Brummell gehört nicht zur politischen Geschichte Englands. Er hat sie mittels seiner Verbindungen berührt, ist aber nicht in sie eingegangen. Er hat seinen Platz in einer höheren, allgemeineren und schwieriger zu beschreibenden Geschichte – der Sittengeschichte Englands –, denn die politische Geschichte erfaßt nicht alle sozialen Nuancen, und alle müssen erforscht werden. Brummell war die Manifestation einer dieser Tendenzen: sonst wäre sein Handeln unerklärlich. Sie zu beschreiben, zu ergründen, zu zeigen, daß ihr Einfluß nicht nur in Bodennähe wirksam war, könnte der Gegenstand eines Buches sein, das Beyle (Stendhal) zu schreiben vergessen hat und das Montesquieu gereizt hätte.

Leider bin ich weder Montesquieu noch Beyle, weder Adler noch Luchs; dennoch habe ich versucht, in einer Sache klar zu sehen, die viele Menschen zweifellos nicht zu erklären gewagt hätten. Was ich da gesehen habe, ist Ihnen zugedacht, mein lieber Daly. Ihnen, der einen Sinn für Anmut besitzt wie eine Frau oder ein Künstler, und der die Macht der Anmut ergründet wie ein Denker, widme ich diesen Aufsatz über einen Mann, dessen Ruhm auf seiner Eleganz beruhte. Hätte ich mich mit einem Mann beschäftigt, dessen Ruhm auf seinem Verstand beruhte, so dürfte ich Ihnen, dank des Reichtums Ihrer Gaben, auch diesen Aufsatz mit vollem Recht widmen.

Nehmen Sie ihn als Zeichen meiner Freundschaft und zur Erinnerung an glücklichere Tage als die gegenwärtigen, denn damals sah ich Sie noch öfter.

Ihr ergebener

J.-A. Barbey d’Aurevilly

Passy, Villa Beauséjour, 19. September 1844

Nun, mein Freund! An dieser Widmung von vor siebzehn Jahren würde ich heute kein einziges Wort ändern, und das ist das erste Mal, daß siebzehn Jahre an einer Sache nichts geändert haben.

Sie soll hier in voller Länge stehenbleiben, wie die Freundschaft, deren Ausdruck sie war und die sich gleich geblieben ist, ungetrübt und ohne leere Routine! Ich habe nicht immer so viel Glück gehabt wie mit Ihnen, der aufrechten Säule in meinem Trümmerfeld! Siebzehn Jahre! Sie wissen, wie der unglückliche Tacitus, der so unerträglich ist, weil er immer aufrichtig ist, diese lange Zeit genannt hat, von der ich wohl besser hätte schweigen sollen, wenn ich in der Trauer über mein vergangenes Leben nicht wenigstens die Freude hätte, Ihnen, mein lieber Daly, sagen zu können, daß ich für Sie noch derselbe bin wie vor so vielen Jahren, und mich, da alles in diesem Buch Einbildung ist, meiner unsterblichen Gefühle zu rühmen.

Paris, den 29. September 1861

VORWORT

Man kann dieses Buch kaum eine zweite Auflage nennen. In wenigen Exemplaren gedruckt, habe ich es vor etlichen Jahren wenigen Personen eigenhändig übergeben, und diese vertraute und geheimnisvolle Öffentlichkeit hat ihm Glück gebracht. Wird die große, in die wir uns heute wagen, ihm ähnlich gewogen sein…? Das Aufsehen, diese flüchtige Erscheinung, ist wie die Frauen: Es kommt, wenn man es gar nicht sucht. Die beste Methode, in dieser verflixten Welt Erfolg zu haben, bestünde vielleicht darin, Indiskretionen zu verbreiten.

Aber daran dachte der Autor nicht, als er diese Kleinigkeit veröffentlichte. Er kümmerte sich damals wenig um das Aufsehen in der literarischen Welt. Ach! Er hatte anderes herauszuputzen als seine Gedanken und andere Sorgen als die, gelesen zu werden! Übrigens erheitern ihn diese Sorgen heute. So ist das Leben. Besteht es nicht aus einem ständigen Wechsel von Sorge und Erheiterung…? Der Autor des Buches Du Dandysme et de George Brummell war kein Dandy (und die Lektüre wird hinreichend klären, warum nicht), aber er befand sich in jenem Jugendalter, an das sich Lord Byron mit melancholischer Ironie erinnerte, als er schrieb: »Als ich ein Beau mit lokkigem Haar war…« Der Ruhm hätte damals nicht eine dieser Locken aufgewogen! Er schrieb also ohne den Anspruch, ein Schriftsteller zu sein — er hatte andere Ansprüche, dessen können Sie gewiß sein! Der Teufel ging bei ihm nicht leer aus —, dieses kleine Büchlein, einzig um sich und dreißig andern eine Freude zu machen, den unbekannten Freunden, auf die man sich nicht verlassen und die in Paris zu haben man sich kaum ohne Anmaßung rühmen kann. Da es ihm daran (an der Anmaßung) nicht fehlte, glaubte er sie zu haben, und in der Tat, er hatte sie. Es sei ihm, denn er ist bescheiden geworden, erlaubt zu sagen, daß die dreißig Exemplare ihre dreißig Leser fanden. Es war nicht der Kampf, sondern die Sympathie der Dreißig3!

Hätte das Buch von einer großen Sache oder einem großen Menschen gehandelt, so wären die wenigen Exemplare zweifellos in jenem gleichgültigen Schweigen untergegangen, mit dem das Kleine das Große straft. Aber es handelte von einem leichtfertigen Mann, der in einer komplexen Gesellschaft als die vollkommenste Verkörperung leichtfertiger Eleganz gegolten hatte. Natürlich hält sich in der feinen Gesellschaft jedermann für elegant oder möchte es zumindest sein… Selbst jene, die darauf verzichtet haben, möchten immerhin Bescheid wissen, und darum wurde es gelesen. Dummköpfe, die ich nicht mit Namen nennen werde, brüsteten sich, es verstanden zu haben. Ich versichere meinem Verleger, daß sie es kaufen werden. Eitelkeit auf allen Seiten! Die Eitelkeit, die seinen ersten Erfolg begründet hat, wird auch den zweiten Erfolg dieses Dingelchens bewirken, auf dessen Titelblatt man nur allzugerne dreist geschrieben hätte: »Über einen Gecken, von einem Gecken, für Gecken«; denn alles wirft den Eitlen ihr eignes Bild zurück, und dieses ist für sie ein Spiegel. Viele werden kommen, um sich darin zu besehen und ihren Schnurrbart zu frisieren, die einen, um sich wiederzuerkennen… die anderen, um ihm, Brummell, nachzueifern!

In Wahrheit ist das völlig zwecklos. Man kann Brummell nicht nacheifern. Man gleicht ihm oder gleicht ihm nicht. Als nichtiger Herrscher über eine nichtige Welt hat Brummell sein göttliches Recht und seine Daseinsberechtigung wie jeder andere König. Da man allerdings in jüngster Zeit dem Volk in seiner Einfalt eingeredet hat, daß es selbst der Herrscher sei, warum sollte nicht auch der Pöbel der Salons, wie der Pöbel auf der Straße, seine Illusionen haben?

Zumal dieses kleine Buch ihn davon heilen wird. Er wird erkennen, daß Brummell ein seltenes Individuum war, das sich bloß die Mühe gemacht hatte, zur Welt zu kommen, aber zu seiner Entfaltung einer komplexen Adelsgesellschaft bedurfte. Er wird erkennen, daß man, um Brummell zu sein, Dinge braucht… die er nicht hat. Der Verfasser des Buchs Du Dandysme hat versucht, diese Dinge zu benennen; allmächtige Nichtigkeiten, durch die man nicht nur Frauen in der Hand hat; aber er wußte wohl, während er es schrieb, daß es kein Handbuch würde und daß die Machiavellis der Eleganz noch alberner wären als die Machiavellis der Politik… die schon höchst albern sind! Er wußte auch, daß es sich nur um ein historisches Fragment handelt, ja, um ein archäologisches, geeignet, als Kuriosität dem goldenen Putz zukünftiger Gecken beigefügt zu werden — falls sie einen haben; denn der Fortschritt, der sich anschickt, mit seiner Wirtschaftspolitik und seiner Territorialaufteilung die menschliche Spezies in eine Gattung von Lausekerlen zu verwandeln, wird die Gecken zwar nicht ausrotten, aber ihre Kleidung à la d’Orsay4 vielleicht als unegalitär und skandalös diskriminieren.

Jedenfalls folgt hier das Buch, so wie es geschrieben wurde. Nichts wurde geändert, nichts gestrichen. Lediglich ein, zwei Anmerkungen sind hier und da hinzugefügt worden. Der gravitätische Ernst seiner Zeit, der ihn oft zum Lachen bringt, hat den Verfasser nicht so stark beeinflußt, daß er in dem kleinen, im Ton ein wenig flotten Buch (er wollte es so, es mißfällt ihm nicht!) eine Jugendsünde sähe und sich heute dafür entschuldigen würde. Von wegen! Nein. Er wäre sogar imstande, wenn er es müßte, den gravitätischen Herren mit den langen Hahnrei-Hörnern ins Gesicht zu sagen, daß sein Buch genauso ernsthaft sei wie jedes andere Geschichtsbuch. Denn was sieht man im Lichte dieses Feuerfünkchens…? Den Menschen und seine Eitelkeit, die soziale Verfeinerung und die ganz realen Einflüsse, die der bloßen Vernunft, dieser großen Närrin, nicht zugänglich sind, die aber um so anziehender wirken, je schwieriger sie zu ergründen und zu begreifen sind. Und was gibt es Ernsteres als all das, sogar vom höheren Standpunkt jener aus gesehen, die sich am radikalsten von der Welt, von ihrem Gepränge und ihren Werken abgewandt und losgesagt haben und die ihre Nichtigkeit am heftigsten verachten…?

Fragen Sie sie! Sind denn in ihren Augen nicht alle Eitelkeiten gleich, egal wie sie heißen und welches Getue man um sie veranstaltet? Hätte das Dandytum damals schon existiert, dann hätte Pascal, ein Dandy wie man in Frankreich einer sein kann, dessen Geschichte vielleicht aufgeschrieben, bevor er ins Kloster Port-Royal ging: Pascal, der Mann mit der sechsspännigen Karosse! Und Rancé5, ein anderer Löwe an Glaubensstrenge, hätte uns vielleicht, bevor er sich im Dschungel von La Trappe verlor, nicht den Anakreon6 übersetzt, sondern den Captain Jesse7; denn auch Rancé war ein Dandy — ein Dandy-Priester, was noch mehr verblüfft als ein Dandy-Mathematiker, da sehen Sie mal den Einfluß des Dandytums! Dom Gervaise8, ein würdevoller Mönch, Verfasser von Rancés Biographie, hat uns eine reizende Beschreibung seiner herrlichen Kleider hinterlassen, als wolle er, indem er uns das wilde Verlangen eingibt, sie zu tragen, das Verdienst ermöglichen, einer Versuchung zu widerstehen!

Was übrigens nicht heißen soll, daß der Autor des vorliegenden Buches sich in irgendeiner Weise mit Pascal oder Rancé vergleicht. Er war nie Jansenist9 und wird nie einer sein, und er ist auch kein Trappist… noch nicht!

I

Gefühle haben ihre Schicksale. Es gibt eines, gegen das alle Welt unerbittlich ist: die Eitelkeit. Die Moralisten haben sie in Verruf gebracht, sogar jene, die am besten gezeigt haben, welche Macht sie über unsere Seele hat. Menschen von Welt, die auf ihre Weise auch Moralisten sind, weil sie zwanzigmal am Tag über das Leben urteilen müssen, haben das Verdikt über dieses Gefühl weitergetragen, das niedrigste von allen, wollte man den Büchern Glauben schenken.

Man kann Dinge herabsetzen wie Menschen. Ist es denn wahr, daß die Eitelkeit das niedrigste in der Hierarchie der Gefühle ist? Und wenn sie das niedrigste ist, wenn sie dort ihren Platz hat, warum sollte man sie deshalb verachten…?

Aber ist sie überhaupt das niedrigste? Der Wert eines Gefühls hängt von seiner sozialen Bedeutung ab. Was aber könnte von größerem Nutzen für die Gesellschaft sein als der stete Drang nach Anerkennung durch die anderen, der unstillbare Durst nach dem Beifall des Publikums, der sich im großen Maßstab Ruhmsucht nennt und im kleinen Eitelkeit? Liebe etwa, Freundschaft oder Stolz? Die Liebe in ihren tausend Spielarten und Nuancen beruht, wie die Freundschaft und sogar der Stolz, auf der Hinwendung zu einer anderen Person oder mehreren anderen oder sich selbst, und diese Hinwendung ist exklusiv. Die Eitelkeit schließt alle ein. Wenn es ihr manchmal auf die Anerkennung einer bestimmten Person besonders ankommt, dann weil sie auf ihre Art darunter leidet, daß diese einzige ihr vorenthalten wurde: Auf diesem gefalteten Rosenblatt schläft sie nicht mehr ein.10 Die Liebe sagt zu dem geliebten Wesen: Du bist meine ganze Welt. Die Freundschaft: Du genügst mir, oder oft auch: Du tröstest mich. Der Stolz hingegen schweigt. Ein scharfsinniger Mann hat gesagt: »Er ist ein einsamer König, untätig und blind; der Kronreif bedeckt seine Augen.« Die Welt der Eitelkeit ist weniger eng als die der Liebe; was der Freundschaft genügt, ist ihr noch nicht genug. Auch sie ist eine Königin, wie der Stolz ein König ist; aber sie zieht Menschen an, ist immer beschäftigt, klarblickend, und ihr Kronreif ist da, wo er am meisten schmückt.

Das mußte gesagt werden, bevor wir vom Dandytum sprechen, der Frucht dieser allzusehr gebrandmarkten Eitelkeit, und von dem großen Eitlen George Bryan Brummell.

II

Wenn die Eitelkeit befriedigt ist und das auch zeigt, wird sie zu Geckenhaftigkeit. Dieses freche Wort haben die Bescheidenheitsheuchler – also alle Welt – aus Angst vor echten Gefühlen in die Welt gesetzt. Es wäre ein Irrtum zu glauben, wie man vielleicht tut, daß Geckenhaftigkeit bloß Eitelkeit im Umgang mit Frauen sei. Nein, es gibt Gecken aller Art: geborene, zufällige, von Ehrgeiz und vom Drang nach Erkenntnis getriebene; Tufière11 ist einer, Turcaret12 ein anderer; aber da sich in Frankreich alles um die Frauen dreht, hat man das Wort vor allem auf jene angewandt, die ihnen gefallen und sich für unwiderstehlich halten. Diese Geckenhaftigkeit ist allen Völkern gemeinsam, bei denen die Frau etwas gilt, sie hat aber nichts mit jener anderen zu tun, die sich seit einiger Zeit unter dem Namen Dandytum in Paris zu akklimatisieren sucht. Erstere ist die universelle, menschliche Eitelkeit, letztere eine ganz besondere: die englische Eitelkeit. Da alles Universelle, Menschliche in der Sprache Voltaires einen Namen hat, muß man für Dinge, die es nicht sind, einen finden, und darum ist das Wort Dandytum nicht französisch.

Es wird fremd bleiben wie die Sache, die es meint. Wir mögen alle Farben annehmen, am Weiß scheitert das Chamäleon, und bei den Völkern ist dieses Weiß die Kraft ihrer Originalität. Selbst wenn unsere Anpassungsfähigkeit noch größer wäre, vermöchte diese Gottesgabe nicht jene andere Eigenschaft zu überdecken — die Fähigkeit, man selbst zu sein, die Wesen und Charakter eines Volks ausmacht. Nun! Die Kraft der englischen Originalität prägt die menschliche Eitelkeit – diese Eitelkeit, die selbst im Herzen eines Küchenjungen wurzelt und gegen die Pascals Geringschätzung nur die Frechheit eines Blinden war13 – und bringt das sogenannte Dandytum hervor. Man kann es nicht mit England teilen. Es ist so tief wie sein Genius. Nachäffung ist keine Ähnlichkeit. Man kann eine Miene oder eine Pose übernehmen, wie man den Schnitt eines Fracks kopiert; aber diese Komödie langweilt: Eine Maske ist grausam, schrecklich zu tragen, selbst für jene starken Charaktere, die sich als Fieskos 14 des Dandytums eignen würden, erst recht also für unsere liebenswürdigen jungen Leute. Die Langeweile, die sie verbreiten, vermittelt ein falsches Bild vom Dandytum. Mögen sie blasierte Mienen aufsetzen und weiße Handschuhe tragen, die bis zum Ellbogen reichen, das Land Richelieus15 wird keinen Brummell hervorbringen.

III

Diese beiden berühmten Gecken mögen sich in ihrer menschlichen, universellen Eitelkeit ähneln; aber sie unterscheiden sich in der ganzen physischen Erscheinung ihrer Rassen, im Geist ihrer Gesellschaft. Der eine gehörte der nervös-sanguinischen Rasse Frankreichs an, die im Feuer der Begeisterung bis an die letzten Grenzen geht; der andere stammte von den lymphatischen und blassen Männern des Nordens ab; kalt wie das Meer, dessen Söhne sie sind, aber genauso aufbrausend, wärmen sie ihr gefrorenes Blut gern an der Flamme des Alkohols (high spirits). Trotz ihrer gegensätzlichen Temperamente war die Eitelkeit bei beiden stark entwickelt und bestimmte natürlich auch ihr Handeln. Damit fordern sie den Tadel der Moralisten heraus, die die Eitelkeit verdammen statt sie einfach hinzunehmen und sie freizusprechen. Darf man sich darüber wundern, wenn man bedenkt, daß dieses Gefühl seit tausendachthundert Jahren unter der Last christlicher Weltverachtung ächzt, die selbst bei nichts weniger als christlichen Gemütern den Ton angibt? Pflegen Menschen von Geist nicht außerdem fast immer irgendein Vorurteil, zu dessen Füßen sie Buße tun für ihren Geist? Das erklärt das Schlechte, das Menschen, die sich für ernsthaft halten, weil sie nicht schmunzeln können, über Brummell zu sagen nicht versäumen werden. Mehr noch als die Feindschaft der Parteien erklärt es auch die Grausamkeiten Chamforts16 gegen Richelieu. Er griff ihn mit seinem scharfen, brillanten und boshaften Geist an wie mit einem vergifteten Kristalldolch. So atheistisch er auch war, trug Chamfort doch das Joch des Christentums, und da er selbst eitel war, konnte er es nicht verzeihen, daß das Gefühl, unter dem er litt, einem anderen Freude schenkte.

Denn Richelieu erfreute sich wie Brummell – und sogar noch mehr als dieser – aller Arten von Ruhm und Annehmlichkeiten, welche die Gunst der öffentlichen Meinung zu bieten hat. Beide hatten Erfolg, indem sie den Instinkten ihrer Eitelkeit (wir müssen lernen, das Wort ohne Abscheu auszusprechen) gehorchten, wie man den Instinkten des Ehrgeizes, der Liebe etc. gehorcht; aber hier hört die Ähnlichkeit auf. Nicht genug, daß sie sich vom Temperament her unterschieden; die Gesellschaft, deren Kinder sie waren, bildet sich in ihnen ab und macht sie abermals zu Gegensätzen. In Richelieus Fall hatte die Gesellschaft in ihrem unstillbaren Hunger nach Vergnügungen alle Zügel losgelassen; in Brummells Fall kaute sie auf ihren nur gelangweilt rum. Die erstere war liederlich; die letztere heuchlerisch. Der Unterschied zwischen Richelieus Geckenhaftigkeit und Brummells Dandytum rührt vor allem von dieser unterschiedlichen Disposition her.

IV

Brummell war nur ein Dandy. Richelieu dagegen war, bevor er zu der nach ihm benannten Geckenart gehörte, ein Grandseigneur in einer untergehenden Aristokratie. Er war General in einem militärischen Land. Er war schön in einer Epoche, in der die aufgepeitschten Sinne ihre Macht stolz mit dem Denken teilten und die Sitten nicht verboten, was gefiel. Man kann sich von Richelieu auch ohne seine physische Erscheinung ein Bild machen. Alle Kräfte des Lebens waren auf seiner Seite. Aber was bleibt von Brummell, wenn man den Dandy abzieht? Er war dazu geschaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger als der größte Dandy seiner und aller Zeiten zu sein. Er war es ausschließlich und uneingeschränkt; auf naive Weise, möchte man fast sagen, wenn sich das Wort nicht von selbst verböte. Im Wirrwarr dessen, was man höflich die Gesellschaft nennt, überfordert das Los des Einzelnen fast immer seine Fähigkeiten, oder die Fähigkeiten sind seinem Los nicht angemessen. Bei Brummell lag der seltene Fall einer Übereinstimmung von Natur und Schicksal, Genie und Glück vor. Sheridan17 war geistvoller oder leidenschaftlicher als er; Lord Byron war ein größerer Dichter (denn auch Brummell dichtete); Lord Yarmouth18 und Byron waren vornehmere Leute. Yarmouth, Byron, Sheridan und viele andere dieser Epoche waren für die unterschiedlichsten Dinge berühmt, sie waren Dandys, aber sie waren mehr als das. Brummell besaß nicht dieses Mehr, das bei den einen Leidenschaft oder Genie, bei den anderen hohe Geburt oder unerschöpflicher Reichtum war. Er machte sich diesen Mangel zunutze; auf das Einzige, was ihn auszeichnete, zurückgeworfen, wurde er zu dessen Inbegriff: Er war das Dandytum selbst.

V

Das Dandytum ist beinahe genauso schwierig zu beschreiben wie zu definiren. Menschen, die nur das Vordergründigste sehen, haben geglaubt, es sei vor allem die Kunst, sich gut anzuziehen, eine kühne und geglückte Diktatur in Sachen Putz und äußere Eleganz. Gewiß ist es das auch; aber es ist noch viel mehr.* Das Dandytum ist eine ganze Art zu sein, und zwar nicht nur im Bereich des Sichtbaren. Es ist eine ganz aus Nuancen bestehende Art zu sein, wie man sie in alten und hochzivilisierten Gesellschaften findet, in denen die Komödie selten ist und der Anstand gerade noch über die Langeweile triumphiert. Nirgendwo hat sich der Antagonismus zwischen dem Anstand und der Langeweile, die er erzeugt, in den Sitten so deutlich bemerkbar gemacht wie in England, in der Gesellschaft der Bibel und des Rechts, und vielleicht hat die tiefe Originalität dieser puritanischen Gesellschaft, die in der Fiktion Clarissa Harlowe22 und in der Realität Lady Byron23 hervorgebracht hat, ihren Ursprung in diesem erbitterten Kampf, ewig wie das Duell zwischen Tod und Sünde bei Milton24.** Es ist zu erwarten, daß die Dandytum genannte Seinsweise sich am Tag der Entscheidung gründlich ändern wird, falls sie überhaupt fortbesteht; denn sie ergibt sich aus diesem Zustand endlosen Kampfes zwischen Anstand und Langeweile.***

Eine der Konsequenzen des Dandytums – sein hervorstechender Zug, besser gesagt – besteht darin, immer das Unvorhergesehene zu tun, das, womit der ans Joch der Regeln gewöhnte Geist am wenigsten rechnen kann. Die Exzentrik, jene andere Frucht des englischen Bodens, tut das gleiche, aber auf eine andere, zügellose, wüste, blinde Weise. Sie ist eine individuelle Revolution gegen die bestehende Ordnung, manchmal auch gegen die Natur: dann grenzt sie an Wahnsinn. Das Dandytum hingegen spielt mit der Regel und respektiert sie doch. Es leidet an ihr und rächt sich, während es sich fügt; es beruft sich auf sie, während es sie übertritt; abwechselnd beherrscht es sie und wird von ihr beherrscht: zwiegesichtiger und wechselhafter Charakter! Um dieses Spiel zu spielen, braucht man alle Geschmeidigkeiten, die die Anmut ausmachen, wie die Strahlen des Prismas durch ihre Vereinigung den Opal bilden.

Brummell hatte sie. Er besaß Anmut, wie sie der Himmel schenkt und wie sie soziale Zwänge oft verfälschen. Aber er besaß sie und entsprach so dem Bedürfnis nach übermütigen Launen, das in gelangweilten, unter allzu harte Anstandsregeln gebeugten Gesellschaften auftritt. Er war der Beweis für eine Wahrheit, die man den Regelfanatikern fortwährend wiederholen muß: Wenn man der Phantasie die Flügel beschneidet, wachsen sie um die Hälfte länger nach.**** Er besaß diese bezaubernde und seltene Vertrautheit, die an alles rührt und nichts entweiht. Er ging mit allen Mächtigen, mit allen Überlegenen seiner Epoche wie mit seinesgleichen um und erhob sich mühelos auf ihre Höhe. Wo die Fähigsten gescheitert wären, kam er durch. Seine Kühnheit lag in der Genauigkeit. Er durfte ungestraft an die Axt rühren. Man hat gesagt, daß diese Axt, deren Schneide er so oft herausgefordert hatte, ihn immerhin zuletzt zerschlug; daß sein Untergang der Eitelkeit eines anderen Dandys dienlich war, eines königlichen Dandys, Seiner Majestät George IV.; aber seine Macht war so groß gewesen, daß er sie wiedererlangt hätte, wenn er nur gewollt hätte.

* (Anmerkung zur Ausgabe von 1861:) Alle Welt täuscht sich darüber, sogar die Engländer! Hat nicht vor kurzem ihr Thomas Carlyle, Verfasser des Sartor Resartus, sich genötigt gefühlt, in einem Buch, das er The Philosophy of Clothes