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Den Mutigen gehört die Welt! Kleine Tugendlehre – ganz praxisnah Während Mutproben in der Kindheit und Jugend wohl einfach ein absolutes "Must have" sind, bemühen wir uns – mittlerweile erwachsen geworden – immer und überall um Sicherheit und rufen stets zur Vorsicht auf. Der Mut scheint da irgendwo auf der Strecke geblieben zu sein. Hat die Tugend Tapferkeit, die neben Klugheit, Gerechtigkeit und Maß zu den sogenannten Kardinaltugenden gehört, heutzutage ausgedient? Seinen eigenen Lebenserfahrungen folgend begibt sich der Philosoph und Schriftsteller Martin Kolozs auf die Suche nach dem Mut und entdeckt, in wie vielen verschiedenen Erscheinungsformen er sich zeigt: einmal laut und großartig, dann wiederum zurückhaltend und bescheiden. Anhand von Begriffen wie "Kleinmut", "Demut", "Langmut", "Gleichmut" usw. zeigt er sachkundig, pointiert und oft auch humorvoll allerlei Hemmnisse auf, die beherzte Taten blockieren können, und bietet zugleich Lösungsvorschläge, die einen dazu ermutigen, einfach man selbst zu sein und sich mit seinen Stärken und Talenten für andere einzusetzen.
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Seitenzahl: 86
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MARTIN KOLOZS
Gedanken und Reflexionen
Mitglied der Verlagsgruppe „engagement“
2019
© Verlagsanstalt Tyrolia, Innsbruck
Umschlaggestaltung: Roberto Baldissera, Agentur für
Grafik, Innsbruck
Layout und digitale Gestaltung: Tyrolia-Verlag
Druck und Bindung: FINIDR, Tschechien
ISBN 978-3-7022-3778-3 (gedrucktes Buch)
ISBN 978-3-7022-3779-0 (E-Book)
E-Mail: [email protected]
Internet: www.tyrolia-verlag.at
Für Aldo
Vorwort
Kleinmut
Großmut
Langmut
Gleichmut
Freimut
Wagemut
Heldenmut
Todesmut
Übermut
Frohmut
Missmut
Demut
Hochmut
Edelmut
Anmut
Schwermut
Wankelmut
Sanftmut
Schlusswort
Verwendete bzw. weiterführende Literatur
Den Mutigen gehört die Welt.
(Sprichwort)
Als Kind kannte ich die unterschiedlichsten Formen von Mut und zumindest ebenso viele Arten, ihn zu erproben. Meine Brüder und ich waren wahre Meister darin, uns gegenseitig herauszufordern – Du traust dich dies nicht, du traust dich das nicht! –, und erfanden manchmal unterhaltsame, manchmal grausame, manchmal gefährliche und manchmal unaussprechliche Spiele, um die Vermutung, die Feigheit des anderen wäre größer als die eigene, unter Beweis zu stellen. Da hieß es zum Beispiel, man müsse eine Packung Kaugummi stehlen, ohne Fahrschein mit dem Bus fahren, zu einem älteren Buben frech sein und damit Prügel riskieren, alleine bei Nacht über den Friedhof schleichen, mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vom Fünf-Meter-Brett köpfeln oder vor versammelter, unverhohlen kichernder und saublöde Witze reißender Mannschaft ein hübsches Mädchen ansprechen, das sein Desinteresse bereits mehrfach signalisiert hatte und angesichts des überforderten Galans eine eindeutige Ekelschnute zog. Kurz: Man musste Dinge tun, die jeder 10- bis 14-Jährige schon getan hatte, die sich jedoch jedes Mal so anfühlten, als wäre man der Erste, der diese Mutproben zu bestehen hat.
Es war eine herrliche, weil unbeschwerte Zeit. Keiner von uns musste etwas befürchten. Das Schlimmste, was uns damals hätte passieren können, war, dass wir uns vor Freunden lächerlich machten, eine kleine Abreibung bekamen oder von einem Erwachsenen ausgescholten wurden, weil wir etwas gemacht hatten, das nicht in Ordnung, leichtsinnig oder unverantwortlich war. Ich erinnere mich etwa an die Herausforderung meines Bruders, mit Dartpfeilen, die wir auf dem Dachboden in einer verstaubten Holzkiste gefunden und mit auf den Spielplatz genommen hatten, möglichst nahe aneinander vorbeizuschießen. Ziel der Übung war es, sich dabei keinen Millimeter zu bewegen, egal wie unausweichlich der Pfeil auf einen zuflog. Wer es dennoch tat, hatte verloren und musste wenigstens einen Tag lang den Hohn und Spott der anderen über sich ergehen lassen. Rückblickend ist es ein Wunder, dass keiner von uns dabei ein Auge ließ, sondern wir nur mit leichten Kratzern an Wangen und Oberarmen nach Hause zurückkehrten.
Später in meinem Leben hätte mich nichts und niemand dazu gebracht, wieder in ein solches Spiel einzuwilligen. Ich war älter und vernünftiger geworden, ja, hatte gewissermaßen das Fürchten gelernt wie der Jüngling im gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm.1 Plötzlich meldete ich Bedenken an, hatte Zweifel um die Machbarkeit, Angst mich zu verletzen und Sorge um meinen Versicherungsschutz. Ähnliches konnte ich bei meinen Brüdern und unseren einst ebenso furchtlosen Freunden beobachten: Alle hatten zusehends ihren Mut verloren, die kindliche Sorglosigkeit, Dinge anzupacken, ein Abenteuer zu wagen oder der Gefahr mit Verwegenheit zu trotzen. Mit anderen Worten: Das Erwachsenwerden hatte uns den Schneid abgekauft. Wir waren keine kleinen Helden mehr, die ihre Schrammen und Blessuren stolz wie Abzeichen trugen, sondern um Sicherheit bemühte und zur Vorsicht rufende Erwachsene geworden.
Wenn ich heute darüber nachdenke, rebelliert es in mir. Als wollte mein jüngeres Ich mir zurufen, dass ich mein letztes Restchen Mut doch zusammennehmen und den Sprung vom Felsen in den bitterkalten Bergsee endlich machen soll, dass ich aufhören muss, zu hinterfragen und zu analysieren, sondern es einfach ausprobieren und egal sein lassen soll, weil nur der freie Fall dem Wunsch zu fliegen am nächsten kommt.
In diesem Buch möchte ich mich also auf die Suche machen nach dem Mut in meinem Leben und dem Mut in seinen verschiedenen Erscheinungsformen, die einmal laut und großartig, einmal zurückhaltend und bescheiden und einmal sich als das zeigen, was sie in meiner Kindheit waren: die ganze Welt.
1Jakob und Wilhelm Grimm, Kinder- und Hausmärchen, Bd. 1, S. 18–30
Nichts macht uns feiger und gewissenloser als der Wunsch, von allen Menschen geliebt zu werden.
(Marie von Ebner-Eschenbach)
Es mag Zufall oder Fügung gewesen sein, dass ich dieses Buch an genau dem Tag zu schreiben begonnen habe, als Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom ebenfalls über Mut gesprochen hat, genauer gesagt, er in der Generalaudienz vom 13. Juni 2018 den Kleinmut zum Thema seiner Predigt gemacht hat, indem er davor warnte: „Der schlimmste Feind sind nicht die konkreten Probleme, so ernsthaft und dramatisch sie sein mögen. Die größte Gefahr für das Leben ist ein schlechter Geist der Anpassung, der nicht Sanftmut oder Demut ist, sondern Mittelmäßigkeit, Kleinmut.“2
Damit hat der Heilige Vater sein Augenmerk auf ein Problem gerichtet, das uns alle etwas angeht, weil es für unsere Zeit so typisch ist, auch wenn es dem ersten Anschein nach nicht so wirken mag, wenn man etwa die häufig aufflammenden Kampagnen der globalen Empörung und des epidemischen Ereiferns über so manche Nichtigkeit in den sozialen Netzwerken bedenkt.
Aber ist es tatsächlich mutig, im anonymisierten Raum und in der Großgruppe (vermeintlicher) Gleichgesinnter aufzubegehren, einzufordern, Widerstand zu leisten? Oder ist es nicht viel mehr kleinmütig, weil man in den alles übertönenden Chor miteinstimmt, egal welche Melodie dieser singt, oder gar nur stumm die Lippen dazu bewegt, um nicht aufzufallen und ein Bekenntnis darüber ablegen zu müssen, was man persönlich und ganz bei sich im Stillen über dieses und jenes Geschehen tatsächlich denkt?
Dasselbe gilt für die reale Welt, wo man heute nur dann dazugehört bzw. dazugehören darf, wenn man nicht eine Meinung hat, sondern die Meinung, welche scheinbar mehrheitsfähig und daher aktueller Mainstream ist. Dahinter lässt sich gefahrlos der starke Mann/die starke Frau markieren und jeder Fehler unter erneutem Wehklagen kleinreden, weil ihn ja die große Masse begangen hat und nicht das für sich selbst stehende Individuum, das für sein Handeln viel unmittelbarer zur Verantwortung gezogen werden kann.
Es ist also ein Wesenszug des Kleinmütigen, keine direkte Verantwortung übernehmen zu wollen, sondern diese abzugeben, weil er die Konsequenzen (gleich welcher Art) fürchtet. Kleinmut ist somit gleichbedeutend mit Feigheit, einer Feigheit allerdings, die sich geschickt zu kostümieren weiß und ihren Auftritt meist unter anderen Namen hat: Vernunft, Vorsicht, Zurückhaltung, Bedenken usw. usf. In Wahrheit ist der Kleinmut aber nichts von alledem, sondern letzten Endes nur der bedauernswerte Ausdruck des eigenen Unvermögens, über sich und den allgemeinen Durchschnitt hinauszuwachsen.
Insofern ist der Kleinmütige ein Sicherheitsfanatiker im Demutsgewand, das ihm jedoch zu groß ist und höllisch auf der Seele kratzt. Denn mit Demut hat Kleinmut nichts zu schaffen. Diese ist nämlich eine Art des Dienstes an etwas oder jemand Größerem (wie noch zu zeigen sein wird), während der Kleinmut ein Zaudern und Zurückschrecken vor der höheren Verantwortung bzw. der größeren Herausforderung ist.
Dagegen lässt sich nun einwenden, dass es ja nichts Schlechtes sein kann, die eigenen Grenzen zu kennen und Aufgaben danach auszuwählen, ob man sie bewältigen kann oder nicht. Gewiss, aber um seine Grenzen auch wahrhaftig zu (er-)kennen, muss man sie erst einmal ausloten und das immer wieder tun, weil sie sich nicht selten verschieben. Man muss also den Mut aufbringen, an einer Vorgabe zu scheitern, ein Ziel nicht zu erreichen und eigene Schwächen und Makel einzugestehen, vor sich selbst und coram publico. Das mag im ersten Moment zwar eine schmerzhafte und vielleicht niederschmetternde Erfahrung sein, wird aber nach genauerer Betrachtung und Einschätzung den Charakter bilden und stärken. Und es ist ebendiese innere Stärke, die wir brauchen, um mutig zu sein.
Der Kleinmut hält uns vor dieser Entwicklung zurück und hemmt uns im Sprung auf die nächsthöhere Stufe, indem er die Angst vor der Herausforderung größer aufbauscht, als die Herausforderung selbst groß ist. Dadurch bleibt der Kleinmütige immer hinter dem zurück, was tatsächlich seine Befähigung wäre. Und niemals wird er sich als vollwertiges Individuum erkennen können, solange er nicht auch seine Fehler und Unvollkommenheiten entdeckt, durch den Mut zu scheitern und dennoch weiterzumachen bzw. auf dem Lebensweg zu stürzen und sich erneut aufzurichten. In der zuvor erwähnten Ansprache von Papst Franziskus heißt es dazu sinngemäß: „Wie gelangt man von der Jugend zur Reife? Wenn man beginnt, die eigenen Grenzen anzunehmen. Man wird erwachsen, wenn man sich selbst relativiert und sich bewusst wird, was noch fehlt.“
Persönlich kann ich ein Lied davon singen, ein Klagelied, über mich selbst und meinen allzu großen Kleinmut, der mich mein ganzes Leben hindurch beherrscht hat. Das ist kein Widerspruch, denn umso kleiner der Mut in manchen Lebenslagen ist, desto größer können seine negativen Auswirkungen sein, auf einen selbst sowie auf das direkte Umfeld.
An dieser Stelle erscheint es mir notwendig, ein paar Zeilen über Zivilcourage bzw. ihr häufiges Fehlen zu schreiben. Und dabei fällt mir sofort auf, dass zwar in der Theorie viel darüber schwadroniert, aber schon viel seltener von realen Fällen berichtet wird, in denen jemand mutig eingreift anstatt schnell wegzuschauen.
Der Sozialpsychologe David F. Urschler von der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, der sich eingehend mit dem Verhalten von Menschen in Notsituationen befasst hat, vergleicht dieses Verhalten mit dem Aufstellen einer Kosten-Nutzen-Rechnung: „Das passiert innerhalb weniger Millisekunden – welche Kosten kann ein Eingreifen haben und welchen Nutzen? Nutzen sind zum Beispiel die eigene Stimmung zu erhöhen, etwas für das Selbstbewusstsein zu tun, Dankbarkeit oder Anerkennung zu bekommen. Kosten können unter anderem mögliche Verletzungen, ein verpasster Termin oder ein Blamieren vor anderen Passanten sein.“3
Nun ist zweifellos nicht jeder Mensch ein Held, aber andererseits weiß jeder vergleichsweise gebildete Mensch, was Recht und Unrecht ist, oder kennt zumindest die überlaute Stimme seines Gewissens, welche ihm zuruft, wann Hilfe bzw. ein beherztes Einschreiten (unabhängig von Vor- und Nachteilen) gefordert ist. Wenn dem nicht so ist, meine ich, müssen wir von Kleinmut in seiner schlimmsten Form sprechen, nämlich als Feigheit, das Richtige zu tun, noch dazu in Begleitung von eitlen Beweggründen wie etwa die Furcht vor dem Verlust des Ansehens.
Ich wünschte, ich könnte frank und frei behaupten, mich diesbezüglich nicht schuldig gemacht zu haben, aber das wäre einerseits eine glatte Lüge und andererseits ein wiederholter Anflug von Kleinmütigkeit