Überall steckt Kreativität drin - Peggy Fettig - E-Book

Überall steckt Kreativität drin E-Book

Peggy Fettig

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Beschreibung

Jeder Mensch kann kreativ sein - und das von Anfang an. Oft jedoch braucht es einen Impuls oder eine Aufgabenstellung, um bei Kindern kreatives Denken und Handeln anzustoßen. In diesem Praxishandbuch werden die theoretischen Grundlagen der Kreativitätsförderung anschaulich und praxisnah vermittelt. Dabei steht die Nutzung des kreativen Potenzials von alltäglichen Situationen im Vordergrund. So kann sowohl die Begrüßung als auch eine Bilderbuchrunde für kreative Aktivitäten genutzt werden. Mithilfe unterschiedlicher Impulse, die von Techniken des kreativen Gestaltens über das Musizieren bis hin zum Geschichtenerzählen reichen, wird ein individueller künstlerischer Prozess angeregt - denn Kreativität kann in Allem stecken!

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Peggy Fettig, Rostock, ist Sonderpädagogin und Kunstlehrerin. Sie arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation an der Universität Rostock.

Prof.in Dr. phil. Tanja Jungmann ist promovierte Psychologin. Sie lehrt und forscht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg zum Thema „Sprache und Kommunikation und ihre sonderpädagogische Förderung unter besonderer Berücksichtigung inklusiver Bildungsprozesse“.

Prof.in Dr. phil. Katja Koch lehrt und forscht zum Thema „Frühe Sonderpädagogische Entwicklungsförderung“ am Institut für Sonderpädagogische Entwicklungsförderung und Rehabilitation an der Universität Rostock.

Im Ernst Reinhardt Verlag ebenfalls erschienen:

Gartmann, J., Jungmann, T.: Überall steckt Bewegung drin

(1. Aufl. 2021; ISBN 978-3-497-03020-0)

Jungmann, T., Koch, K., Schulz, A.: Überall stecken Gefühle drin

(3. Aufl. 2021; ISBN 978-3-497-03052-1)

Koch, K., Schulz, A., Jungmann, T.: Überall steckt Mathe drin

(2. Aufl. 2020; ISBN 978-3-497-02951-8)

Jungmann, T., Morawiak, U., Meindl, M.: Überall steckt Sprache drin

(2. Aufl. 2018; ISBN 978-3-497-02756-9)

Hinweis: Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnungen nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

ISBN 978-3-497-03177-1 (Print)

ISBN 978-3-497-61758-6 (PDF-E-Book)

ISBN 978-3-497-61759-3 (EPUB)

© 2023 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Cover unter Verwendung eines Fotos von iStock.com/marigo20 (Agenturfoto. Mit Models gestellt)

Satz: Katharina Ehle

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Vorwort

1. Kreative Kompetenzen

1.1 Meilensteine der Kreativitätsentwicklung

1.2 Kreative Prozesse beobachten und dokumentieren

1.3 Beziehungen zu anderen Entwicklungsbereichen

2. Alltagsintegrierte Kreativitätsförderung

2.1 Was ist alltagsintegrierte Kreativitätsförderung?

2.2 Gemeinsam kreativ werden – Die Rolle der pädagogischen Fachkraft

2.3 Räume für Kreativität schaffen

3. Ein kreativer Tag in der Kita

3.1 Übergreifende Förderaspekte

3.2 Spezifische Alltagssituationen

Begrüßung

Den Morgenkreis kreativ gestalten

Freispiel

Gemeinsame Mahlzeiten kreativ gestalten

Bilderbuchsituationen kreativ gestalten

Kreatives Gestalten – Malen, Zeichnen, Drucken und Basteln

Kreatives Musizieren

4. Kreative Impulse

4.1 Gestaltungskompetenz

Impuls 1: Ein Haus für meine Schnecke

Impuls 2: Es regnet Farbe (Drip Painting)

Impuls 3: Wettertanz der Farben

Impuls 4: Ein roter Teppich für uns

Impuls 5: 1, 2, 3, würfel dir dein Tier herbei!

Impuls 6: Eine Häuserreihe an der Leine

Impuls 7: Unsere Kita und wir (Collage)

Impuls 8: Aus einem großen Schnipsel-Berg, da lugt ein klitzekleiner Zwerg

Impuls 9: Märchenhafte Tafel

Impuls 10: Das verzauberte Spielzeug (Assemblage)

Impuls 11: Bäume wie Träume

Impuls 12: Wundervögel

Impuls 13: Viele Häuser werden unser Dorf / unsere Stadt

4.2 Problemlösungskompetenz

Impuls 14: Die kreative Kiste

Impuls 15: Lauter Schilder – immer wilder

Impuls 16: Wir zaubern einen Regenbogen

Impuls 17: Kleine Höhlenforscher

Impuls 18: Treppauf, treppab

Impuls 19: Buntes Wasserxylophon

Impuls 20: Verkleiden zum Jahreszeitenbild

Impuls 21: Schattenspiele

4.3 Sachkompetenz

Impuls 22: Farbengeburtstag

Impuls 23: Plitsch-Platsch-Bilder

Impuls 24: Farbspuren aus der Natur

Impuls 25: Blaue Stunde

Impuls 26: Mein kleines Stück vom Himmel

Impuls 27: Farben-Kartenspiel

Impuls 28: Alle meine Fingerlein

Impuls 29: Strukturen-Forscher unterwegs

Impuls 30: Im Schnipsel-Paradies

Impuls 31: Auf Spurensuche – wir erstellen ein Relief mit Naturmaterialien

Impuls 32: Wie ein Fisch im Wasser

Impuls 33: Relief-Schiff

Impuls 34: Instrumentenschnappi

Impuls 35: Klappergeplapper – wir bauen Kastagnetten

Impuls 36: Schallalla – ein Schallexperiment

4.4 Kreatives Selbstkonzept

Impuls 37: So bunt ist unsere Welt

Impuls 38: Ichmachdichschlaubaum – eine Monotypie

Impuls 39: Mein Weg

Impuls 40: Punkt, Punkt, Komma, Strich

Impuls 41: Meine Familie und ich

Impuls 42: Na hör mal!

Impuls 43: Laune raten

Impuls 44: Klapperschlange

Impuls 45: Ich packe meinen Instrumentenkoffer und nehme mit

4.5 Kreatives Handeln und Verhalten

Impuls 46: Orchesterprobe – Geige, Flöte, Xylophon

Impuls 47: Mutabor!

Impuls 48: Wer bin ich?

Impuls 49: Gespräche unter Fischen

Impuls 50: Endlich Ordnung im Wald – Tidying up Art nach Urs Wehrli

Impuls 51: Versteckt – Sichtbarmachen in Bildausschnitten

Impuls 52: Blättertiere drucken

Impuls 53: Küchenorchester

Impuls 54: Alles, was rollen kann

Impuls 55: Amadeusse in Aktion – Gruppenkomposition

Literatur

Bildnachweis

Register

Vorwort

Kinder, die derzeit den Kindergarten besuchen, werden in einigen Jahren ihre Ausbildung beenden und dann eine völlig andere Welt erleben. Sie werden Berufe ausüben, die teilweise noch entwickelt werden müssen. Bildungssysteme stehen vor der Herausforderung, die Kinder auf diese schwer vorhersagbare Welt vorzubereiten, sie so zu stärken, dass sie ihre eigene Welt aktiv gestalten können (Fthenakis 2021). Die Europäische Kommission (2021) betont dazu in ihrem Bericht: Zuvorderst Kreativität, aber auch Neugier, intellektuelle Unruhe, eine Toleranz gegenüber Unsicherheit, Risiko und Mehrdeutigkeit sowie Flexibilität und Anpassungsfähigkeit sind Kompetenzen, die lebenslanges Lernen, langfristige Beschäftigungschancen und soziale Mobilität begünstigen. Diese Erkenntnisse sollten ihren Niederschlag in allen Bildungskonzeptionen finden.

Die genannten Kompetenzen stehen in engem Zusammenhang mit Kreativität, daher widmet sich das vorliegende Buch der zentralen Frage: Wie kann Kreativitätsförderung in Einrichtungen für Kinder zwischen 3 und 6 Jahren alltagsintegriert gestaltet werden? Es soll Freude daran wecken, mit Kindern im Alltag kreativ zu werden, zu malen, zu basteln, zu musizieren und zu bauen. Dies trainiert unter anderem die Feinmotorik, regt die Wahrnehmung an und trägt zur Förderung grundlegender kognitiver, sprachlicher und emotional-sozialer Fähigkeiten bei.

Die folgenden Fragen, die uns im Rahmen verschiedener Professionalisierungsangebote für pädagogische Fachkräfte sehr häufig begegnet sind, sollen beantwortet werden:

• Ziel von pädagogischer Arbeit im Alltag der Kindertageseinrichtung ist es, die Entwicklung der Kinder zu begleiten und sie zu fördern. Wie finden wir noch Zeit, uns um die Entwicklung von Kreativität zu kümmern?

• In welchen Alltagssituationen steckt in Kindertageseinrichtungen Kreativität als Lerngegenstand bzw. als Medium des Lernens?

• Wie kann dieses Potenzial zur Kreativitätsförderung am besten erkannt und genutzt werden?

• Wie viel Anleitung und Unterstützung brauchen Kinder in ihren kreativen Prozessen von den pädagogischen Fachkräften?

Neben der Beantwortung dieser Fragen sollen vor allem Möglichkeiten aufgezeigt werden, auf spielerische Art und Weise Kreativität zu fördern. Dabei ist klar: Kreativität lässt sich nicht wie ein Gedicht lernen. Vielmehr gilt es, die Kinder in ihrem Denken und Handeln so zu begleiten, dass sie ihre Lebenswelt selbst gestalten können und wollen. Dies verlangt von den pädagogischen Fachkräften den Mut, sich auf das Kind einzulassen. Anregungen dazu können aus unterschiedlichen Bereichen kommen und schaffen damit eine Brücke zu den vielfältigen Interessen der Kinder. Zugleich ermutigen sie, sich aktiv mit der Umwelt auseinanderzusetzen sowie konstruktiv mit entwicklungsgemäßen Problemstellungen umzugehen.

Unterschiedliche Materialien und Techniken können in der Arbeit mit Kindern zum kreativen Handeln beitragen. Die Impulse werden differenziert nach den jeweiligen Kompetenzen, für die sie förderlich sind, dargestellt und ausführlich erläutert.

Um die Anregungen und Spiele, die Sie in diesem Buch finden, umzusetzen, benötigen Sie weder teure Zusatzmaterialien noch müssen Sie besondere Situationen schaffen – denn: Überall steckt Kreativität drin! Wir wünschen Ihnen und den Kindern viel Spaß und Freude bei der Umsetzung und freuen uns über Ihr Feedback.

Abschließend möchten wir all jenen, die uns tatkräftig unterstützt und uns für die Fertigstellung des Buches ihre Zeit geschenkt haben, unseren Dank aussprechen: Dagmar Fettig danken wir für ihr stets offenes Ohr, die wertvollen fachlichen Hinweise, das gemeinsame Forschen und für ihre konstruktiven und kreativen Impulse.

Wir danken den großen und kleinen Experimentierbegeisterten für das Ausprobieren unserer Impulse: Roma, Oskar, Theo, Lilly, Jonathan, Theresa, Leo, Hilma, Valentin und Charlotte. Mike Lokenvitz, Kristina Schulz und Kathrin Walsch danken wir für die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Rostock und Oldenburg, im September 2022

Peggy Fettig, Tanja Jungmann, Katja Koch

1. Kreative Kompetenzen

In diesem Kapitel wird zunächst der Kreativitätsbegriff definiert, es werden Meilensteine der Kreativitätsentwicklung skizziert und kreative Teilkompetenzen beschrieben. Dazu zählen die Gestaltungs-, die Problemlösungs- und die Sachkompetenz, das kreative Selbstkonzept und das kreative Handeln. Im Anschluss daran wird auf die Grundlagen der Kreativitätsförderung bei Kindern eingegangen. Alltagstaugliche Möglichkeiten zur Beobachtung und Dokumentation der Kreativität, ihrer Entwicklung und Teilkompetenzen, die die Basis jeglicher Förderung und damit der Impulse im Alltag der Kindertageseinrichtung bilden, werden beschrieben. Das Kapitel schließt mit einer kurzen Darstellung der Beziehungen der Kreativität zu anderen Entwicklungsbereichen: der Motorik, Wahrnehmung und Kognition, Sprache und Kommunikation sowie der sozial-emotionalen Entwicklung.

Kreativität ist ein schillernder Begriff. Die beinahe inflationäre Verwendung in der Alltagssprache steht in deutlichem Gegensatz dazu, wie schwer Kreativität präzise zu fassen ist.

  Definition  

Ein zentrales Merkmal von Kreativität ist es, etwas neu zu erschaffen (Braun 2016, 12). Viele Definitionen beinhalten zudem, dass das neu Erschaffene wertvoll sein soll.

Kreativität als das wertvolle Neue

Was neu und wertvoll ist, ist aber objektiv oft kaum zu bestimmen. Hilfreich ist es daher, bei der Definition von Kreativität eine individuelle Ebene und eine soziale Ebene zu unterscheiden.

Der Begriff Kreativität ist nicht für Künstler oder Genies reserviert, sondern jeder Mensch jeden Alters und jeder Profession kann, wenn er etwas Neues, sozial oder subjektiv Wertvolles schafft, als kreativ bezeichnet werden.

  Beispiel  

Während die Erfindung der Glühbirne für die Gesellschaft (soziale Ebene) einen erkennbaren Wert darstellt, bleibt ihr der Wert eines vom Kind neu geschaffenen Dinosauriers auf Papier, wie er in Abb. 1 zu sehen ist, vielleicht verborgen oder sie steht ihm gleichgültig gegenüber. Auf der individuellen Ebene des Kindes (und für sein direktes soziales Umfeld) ist der Dinosaurier aber wertvoll und bedeutsam.

Abb. 1: Dinosaurier

Nach Braun et al. (2019) können grob zwei Arten von Kreativität unterschieden werden: die problemlösend-pragmatische und die ästhetische Kreativität.

  Definition  

Als problemlösend-pragmatische Kreativität wird die Fähigkeit beschrieben, in einer herausfordernden Situation eine (oder mehrere) originelle Lösung(en) zu finden.

problemlösend-pragmatische Kreativität

Sie ist immer Mittel zum Zweck und kann sowohl zu bahnbrechenden Erfindungen als auch zu ganz pragmatischen Alltagslösungen führen.

  Beispiel  

Malte (3;1 Jahre) spielt im gepflasterten Hof mit seinen Autos. Eine Garage wird gebraucht, doch wo ist die Kreide? Da sie nicht zu finden ist, werden die Garagenumrisse mit einem weichen Stein ins Pflaster gekratzt.

  Definition  

Die ästhetische Kreativität bezieht sich dagegen auf den künstlerischen Bereich und meint die schöpferische Kompetenz, die ihren Ausdruck in Form von Kunstwerken wie Symphonien, Gemälden, Romanen oder Theaterstücken findet.

ästhetische Kreativität

Als Produkt ästhetischer Kreativität nutzt der Künstler mit seinem Kunstwerk, neben der Gestaltung eines Themas, also auch die Möglichkeit, sich persönlich auszudrücken. Kunstwerke sind damit nicht Mittel zum Zweck, sondern als Ausdruck des jeweiligen Künstlers gewissermaßen Selbstzweck.

Kreativität ist die Kompetenz zum Schöpferischen, die in pragmatischen Problemlösungen ebenso ihren Ausdruck finden kann wie im ästhetischen Gestalten.

konvergentes und divergentes Denken

Für kreative Prozesse sind zwei Arten des Denkens gleichermaßen bedeutsam, das konvergente und das divergente Denken:

  Definition  

Unter konvergentem Denken versteht Guilford (1967) ein logisches Vorgehen, das auf eine einzige, genaue Lösung abzielt. Diese Art des Denkens ist linear und eher rational-logisch.

Divergentes Denken herrscht nach Guilford (1967) bei kreativen Prozessen vor. Mit diesem Begriff wird eine offene, eher unsystematische Art, sich mit einem Problem auseinanderzusetzen, bezeichnet. Hier geht es um Assoziationen, Perspektivwechsel und Experimente.

  Beispiel  

Ein Kind baut aus Steckbausteinen ein Haus. Für dessen Dach ist eine Konstruktion nötig. Es sucht nach passenden Steinen, findet diese aber nicht. Zunächst wägt es verschiedene Lösungsmöglichkeiten ab: Man könnte die Steckbausteine zurechtschneiden, selbst passende herstellen, oder neue kaufen. Man könnte sich auch einfach die passenden Steine herbeizaubern oder sich andere Dachkonstruktionen ausdenken, die mit den vorhandenen Steinen gebaut werden können. Die Entwicklung solch verschiedener Lösungsszenarien wird als divergentes Denken bezeichnet. Aus allen Möglichkeiten muss das Kind diejenige heraussuchen, die es in diesem Moment tatsächlich weiterbringt. Das Herbeizaubern funktioniert nicht, ebenso wenig wie das Herstellen neuer Steine. Nach Ausschluss dieser nicht zielführenden Optionen entscheidet sich das Kind dafür, das Dach auf eine andere Weise zu bauen, sodass die vorhandenen Steine dafür benutzt werden können.

Im Beispiel erfolgt zunächst eine rationale Auseinandersetzung mit dem Problem der fehlenden Steine (konvergentes Denken). Es entstehen kreative Ideen (divergentes Denken). Diese Ideen müssen wiederum rückgekoppelt werden mit der Realität (das Herbeizaubern funktioniert nicht, neue Steine können nicht ohne Weiteres hergestellt werden usw. → konvergentes Denken). Aus den entwickelten Ideen muss jetzt noch die passende Lösung ausgewählt werden.

Ohne konvergentes Denken sind kreative Ideen, die dem divergenten Denken entspringen, kaum oder nur schwerlich umsetzbar.

Kreativität kann sich nicht nur im Produkt, sondern auch im Prozess zeigen. In Anlehnung an Wallas (1926) lässt sich der kreative Prozess in vier Phasen unterteilen (Krampen 2019, 83 ff):

vier Phasen des kreativen Prozesses

1 Vorbereitungsphase: Um ein Problem erkennen zu können, ist in der Regel eine gründliche Beschäftigung mit dem betreffenden Bereich notwendig, ebenso eine Sammlung bereits vorhandener Informationen. Notwendig dafür sind Impulse. Diese können von der Person selbst ausgehen (innerer Impuls), aber auch von außen initiiert werden (äußerer Impuls). In jedem Fall sind Neugierde und Problemsensitivität erforderlich.

2 Inkubationsphase: In Phase zwei wird das Problem mehr oder weniger bewusst bearbeitet. Erste Lösungsversuche werden generiert, Umstrukturierungen vorgenommen und zugunsten weiterer Lösungen wieder verworfen.

3 Illuminationsphase: Die Illumination, wortwörtlich die „Erleuchtung“, beschreibt die (bisweilen plötzliche) Erkenntnis einer Lösung (oder das Werk). Im Alltag spricht man oft vom Aha-Erlebnis, also von der Bewusstwerdung des schöpferischen Augenblicks (Funke 2000).

  Beispiel  

Ein sehr populäres historisches Aha-Erlebnis geht auf eine Legende um den griechischen Mathematiker Archimedes zurück. Archimedes hatte die Aufgabe, herauszufinden, ob die Krone seines Königs aus reinem Gold ist, allerdings ohne die Krone zu beschädigen. Archimedes grübelte sehr lange vergebens. Eines Tages fiel ihm, als er ein Bad nahm, auf, wie das Badewasser über den Rand der Wanne schwappte. Da wurde ihm schlagartig klar, dass sich anhand der verdrängten Wassermenge die Dichte eines Körpers bestimmen lässt, und damit auch, wieviel Gold die Krone des Königs enthält. Diese plötzliche Erkenntnis ließ, so die Legende, Archimedes laut „Heureka“ rufen.

4 Produktions- und Verifikationsphase: In dieser Phase wird die Lösung umgesetzt oder das Werk erstellt. Außerdem findet die Erprobung sowie ggf. eine Modifikation statt.

1.1 Meilensteine der Kreativitätsentwicklung

Menschen unterscheiden sich in der Entwicklung ihrer Kreativität stärker voneinander, als dies bei anderen Persönlichkeitsmerkmalen (z. B. Intelligenz oder Empathie) der Fall ist.

Wellen statt Linearität

Auffällig und ungewöhnlich ist, dass die Indikatoren für Kreativität (Ideenflüssigkeit, Flexibilität im Denken, Originalität) keinen linearen oder linear beschleunigten Verlauf im Sinne von Weiterentwicklung zeigen. Vielmehr vollzieht sich die Kreativitätsentwicklung wellenförmig und mit Plateaubildungen.

Die Indikatoren entwickeln sich vom dritten zum vierten Lebensjahr stetig weiter. Mit dem Eintritt in den Kindergarten nimmt die Kreativität ab, um dann wieder bis zur dritten Grundschulklasse anzusteigen. In der vierten Klasse sinken die Kreativitätswerte erneut, steigen bis zur siebten Klasse an und nehmen dann wiederum ab. Anschließend gibt es einen erneuten Anstieg bis zur elften Klasse (Torrance 1959).

creativity slumps

Kreativitätsflauten (creativity slumps) zeigen sich häufig bei Übergängen in der Bildungsbiografie und resultieren aus den damit einhergehenden, spezifischen Anforderungen wie soziale Konformität, Akzeptanz von Lehrpersonen als Autoritäten und Konzentration auf konvergentes Denken wie beim Erlernen der Kulturtechniken (z. B. Melden und Warten bis die Lehrkraft einen aufruft, bevor man spricht; es gilt, was die Lehrkraft sagt; das Ergebnis von Schwungübungen oder Additionsaufgaben ist bereits vorgegeben).

Kreativitätsentwicklung vollzieht sich nicht linear ansteigend, sondern in wellenförmigem „Auf und Ab“ und verharrt bisweilen auf Plateaus.

Kompetenzbereiche

Um einen kreativen Prozess, ob im Bereich der ästhetischen oder im Bereich der problemlösenden Kreativität, erfolgreich vollziehen zu können, sind verschiedene Kompetenzen notwendig. Dazu gehören die Gestaltungskompetenz, die Problemlösungskompetenz, die Sachkompetenz, das kreative Selbstkonzept sowie das kreative Handeln und Verhalten. Diese werden im Folgenden kurz beschrieben.

Gestaltungskompetenz

Zur Gestaltungskompetenz gehören alle Fähigkeiten, die sich auf die Exploration von Material, die Produktion von Ideen und die letztendliche Gestaltung des Werkes beziehen.

  Beispiel  

Im Herbstprojekt werden Tiere gestaltet. Beim Spaziergang haben die Kinder unterschiedliche Naturmaterialien gesammelt. Justus (3;7 Jahre) wählt einen Tannenzapfen. Er möchte einen Igel basteln. Dazu fehlen dem stacheligen Zapfen aus seiner Sicht nur noch ein Gesicht und Augen. Justus beobachtet die anderen Kinder, die mit Kastanien, Eicheln und Blättern am Thema arbeiten. Er betrachtet die Materialkisten im Raum und ist unzufrieden. Plötzlich hat er eine Idee: Justus bittet seine Fachkraft um Salzteig. Dann verbindet er Zapfen und Salzteig und kreiert seinen eigenen Igel, der piekst und ein glattes Gesicht hat (Abb. 2).

Abb. 2: Igel aus herbstlichen Naturmaterialien

Problemlösungskompetenz

Bei der Problemlösungskompetenz geht es darum, wie das Kind Problemstellungen begegnet bzw. mit Herausforderungen umgeht (siehe konvergentes und divergentes Denken). Die Kompetenz, Probleme zu lösen, brauchen Kinder, Jugendliche und Erwachsene immer dann, wenn Lösungen nicht naheliegend oder offensichtlich sind und deshalb ein strategisches und / oder kreatives Vorgehen zur Lösungsfindung notwendig sind. Problemlösungskompetenz bedeutet, dass Kinder einen Lösungsweg suchen und sich auf diesen einlassen müssen. Dabei müssen sie bereits Gelerntes aktivieren und organisieren. Die Kompetenz, Probleme zu lösen, zeigt sich z. B. darin, dass sie über geeignete Strategien zum Finden kreativer Lösungsansätze und -wege verfügen und diese Strategien reflektieren können (Kipman 2019).

  Beispiel  

Jonathan (5;6 Jahre) hat eine Rakete gebastelt. Weil er in Bilderbüchern oft gesehen hat, dass Raketenkörper zylindrisch sind, hat er in der Wohnung nach passendem Material gesucht. Seine Rakete besteht nun aus der Papphülse einer Küchenpapierrolle (Abb. 3). Um seiner Mutter zu verdeutlichen, wie stark der Schub sein muss, um seine Rakete ins All zu befördern, imitiert er mit seinem ganzen Körper und mit Lauten einen Raketenstart.

Sein kleiner Bruder Theo (2;6 Jahre) will nun auch eine Rakete starten lassen. Allerdings bleibt der durch ihn hochgeworfene Baustein nicht in der Luft. Nach einigen Versuchen kommen die Brüder gemeinsam darauf, den Baustein in ein Regal zu legen. Aus Sicht der Jungen schwebt nun die Rakete über der Erde, wie sich das für Raumkörper gehört. Beide Jungen sind mit ihrer Lösung zufrieden.

Abb. 3: Rakete aus Toilettenpapierrollen

Sachkompetenz

Sachkompetenz entsteht durch die Erfahrungen des Kindes mit seiner Umwelt. Der Umgang mit Materialien und Arbeitsgeräten wie Schaufeln, Feilen, Pinseln, Stiften oder Raspeln, aber auch der sachgemäße Einsatz von Scheren, Schnitzmessern und Sägen wird erprobt. Neben der Sicherheit in der Handhabung geht es auch um die Pflege und den sorgsamen Umgang mit den Arbeitsmaterialien.

In der Natur lernen Kinder viel über chemische und physikalische Zusammenhänge, z. B. bei der Bildung von Tautropfen, bei aufsteigendem Nebel sowie bei Sturm und seinen Folgen. Sie erwerben ihr Wissen durch eigene Erfahrungen und kreatives Experimentieren, beispielsweise im Umgang mit dem Element Wasser: beim Schütten, Eis zerschlagen oder Schnee zum Schmelzen bringen. Sie erfassen Prinzipien bei Konstruktionen mit Hölzern, Steinen oder Sand sowie beim Höhlenbau. Es eröffnen sich zahlreiche künstlerische Gestaltungsmöglichkeiten, wie ein Muster zu legen oder ein Insektenhotel zu bauen.

Sachkompetenz beinhaltet auch die Verwendung von Sprache. Kinder lernen, Dinge oder Situationen präziser zu beschreiben und zu verstehen.

  Beispiel  

Milan (5;1 Jahre) möchte einen hohen Turm bauen. Er nimmt die Holzbausteine und stapelt einige übereinander. Aber der Turm wackelt und fällt schließlich krachend um. Er wählt nun Steckbausteine. Der Turm wird höher, aber auch er ist sehr wackelig. „Warum geht das denn nicht?“, ruft er in den Raum. Da erklärt ihm Toni: „Du musst die Steine anders setzen.“ Milan versucht es erneut und steckt die Steine nun versetzt übereinander. Es klappt!

  Definition  

Als Selbstkonzept einer Person wird das Resultat der Verarbeitung aller bisherigen Erfahrungen zu einem bestimmten Zeitpunkt bezeichnet (Buff 1991, 100). Es umfasst verschiedene Aspekte und Kategorien der Selbstwahrnehmung (Shavelson et al. 1976, 412). Damit bezieht sich das Selbstkonzept auch auf Vorstellungen, Fähigkeiten und Einschätzungen zur eigenen Person.

kreatives Selbstkonzept

Erfahrungen, die das Kind im Rahmen von kreativen Prozessen macht, und die Rückmeldungen, die es dazu erhält, beeinflussen seinen weiteren Umgang mit seiner eigenen Kreativität. Wird das Kind positiv bestärkt, erhält es einen Impuls, weiterhin kreativ zu sein. Fehlende oder geringe Wertschätzung durch Bezugspersonen kann sich negativ auswirken. Das kreative Selbstkonzept des Kindes bildet sich somit aus seinen Erfahrungen in einzelnen Situationen, in denen es kreativ wird.

  Beispiel