Umgang mit gesellschaftlichen Krisen im Schulalltag - Julia Asbrand - E-Book

Umgang mit gesellschaftlichen Krisen im Schulalltag E-Book

Julia Asbrand

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Beschreibung

In Zeiten von multiplen Krisen wie der Klima- und Biodiversitätskrise, dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, den Folgen der COVID-19-Pandemie, Inflation und Energiekrise berichten Kinder und Jugendliche eine deutliche höhere psychische Belastung. Mit Blick auf die Schule kommt ein stark beanspruchtes Bildungssystem mit eklatantem Personalmangel hinzu. Die neue, krisenhafte und unsichere Normalität trifft auf die Schule, die sowohl als bedeutende gesellschaftliche Einrichtung als auch als konkreter sozialer Ort damit umgehen muss. Das Buch beleuchtet, was gesellschaftliche Krisen sind und wie sie auf die Schule und die Personen in der Schule einwirken. Es wird ein individuelles Stressmodell vorgestellt und daraus mögliche Bewältigungs- und Handlungsstrategien für Lehrkräfte, Schüler*innen und andere Beteiligte abgeleitet. Das Thema Resilienz steht im Fokus, um Schüler*innen, Lehrkräfte sowie auch die Schulen als System langfristig krisenfester zu machen; denn gerade mit Blick auf die großen sozial-ökologischen Krisen kommt für den Schulalltag die Herausforderung hinzu, Prävention und Verarbeitung der bestehenden Belastungen angemessen zu priorisieren. Schließlich ist ein weiteres Kapitel der Gesundheit der Lehrkräfte gewidmet, die Schüler*innen im Schulalltag als Vorbild dienen, sie begleiten und anleiten. Mit konkreten Handlungsempfehlungen und Ideen für eine resilientere Zukunft werden die Leser*innen zum Anwenden und Weiterdenken eingeladen.

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Julia Asbrand

Felix Peter

Claudia Calvano

Lea Dohm

Umgang mit gesellschaftlichen Krisen im Schulalltag

Psychologie im Schulalltag

Band 7

Umgang mit gesellschaftlichen Krisen im Schulalltag

Prof. Dr. Julia Asbrand, Dr. Felix Peter, Prof. Dr. Claudia Calvano, Dipl.-Psych. Lea Dohm

Die Reihe wird herausgegebe n von:

Prof. Dr. Caterina Gawrilow, Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, Prof. Dr. Ulrich Trautwein, Prof. Dr. Christina Schwenck, Dr. Anke Leuthold-Zürcher

Die Reihe wurde begründet von:

Caterina Gawrilow, Marcus Hasselhorn, Ulrich Trautwein, Christina Schwenck, Stefan Drewes

Prof. Dr. Julia Asbrand, geb. 1985. 2005–2011 Studium der Psychologie in Freiburg im Breisgau. 2011–2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Freiburg. 2016 Promotion. 2019 Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. 2020–2023 Professorin für Klinische Kinder- und Jugendlichenpsychologie und -psychotherapie und Leiterin der Spezialambulanz für Kinder, Jugendliche und Familien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2023 Universitätsprofessorin für Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Leitung der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz für Kinder, Jugendliche und Familien. Arbeitsschwerpunkte: Multimethodale Grundlagen- und Psychotherapieforschung, Angst im Kindes- und Jugendalter, Auswirkungen gesellschaftlicher Krisen auf Kinder, Jugendliche und Familien.

Dr. Felix Peter, geb. 1984. 2003–2008 Studium der Psychologie in Halle (Saale). 2008–2012 Promotion an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. 2011–2013 Psychologe im Kriseninterventionsteam beim Jugendamt der Stadt Halle (Saale). Seit 2013 Schulpsychologischer Referent im Landesschulamt Sachsen-Anhalt. Arbeitsschwerpunkte sind u. a.: Krisenintervention, Lehrkräftefortbildung, Schulentwicklung.

Prof. Dr. Claudia Calvano, geb. 1984. 2004–2012 Studium der Psychologie in Tübingen, Oslo und Potsdam. 2012–2018 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Potsdam. 2017 Approbation als Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. 2018 Promotion. 2018–2021 Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Charité-Universitätsmedizin Berlin. 2021–2022 Gastprofessorin an der Freien Universität Berlin. 2022–2023 Universitätsprofessorin für Klinische Psychologie des Kindes- und Jugendalters an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. Seit 2023 Universitätsprofessorin für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie und -psychotherapie an der Freien Universität Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Psychotherapieforschung, Traumafolgen und Kinderschutz, Fragen der Geschlechtsidentität und -diversität im Kindes- und Jugendalter.

Dipl.-Psych. Lea Dohm, geb. 1982. 2000–2006 Studium der Psychologie und Sozialwissenschaften an der Carl-von-Ossietzky Universität Oldenburg. 2011–2014 Weiterbildung zur Fachjournalistin. 2011 Approbation als Psychologische Psychotherapeutin. 2019 Mit-Initiatorin der Psychologists/Psychotherapists for Future. Seit 2022 Wiss. Mitarbeiter bei der Dt. Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG). Arbeitsschwerpunkte: Psychische Gesundheit im Rahmen von Planetary Health, Psychotherapie, „Klimapsychologie“, individuelles und gesellschaftliches Transformationserleben.

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Umschlagabbildung: © iStock.com by Getty Images / Iri_sha

Satz: Sina-Franziska Mollenhauer, Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

Format: EPUB

1. Auflage 2024

© 2024 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-3264-9; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-3264-0)

ISBN 978-3-8017-3264-6

https://doi.org/10.1026/03264-000

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|5|Vorwort

Wie bei vielen Büchern, aber insbesondere bei diesem Band, würden wir uns wünschen, dass es nicht existieren müsste – in einer Welt ohne globale Krisen. Die Realität sieht anders aus – was uns nicht zuletzt durch die COVID-19-Pandemie seit Anfang 2020 und Russlands Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 vor Augen geführt wurde. Wie können wir diese Krisen verstehen und bewältigen? Auf diese Frage soll dieses Buch Antworten für einen besonders sensiblen Teil unserer Gesellschaft leisten. Wir möchten die kurz- und langfristigen Auswirkungen von großen, gesellschaftlichen Krisen aufzeigen und dabei besonders auf den Kontext Schule fokussieren: Was machen die großen Krisen mit Kindern und Jugendlichen? Wie können Schulen reagieren? Was können Lehrkräfte tun, was kann Aufgabe von Schulleitungen werden? Welche Rolle spielen die Schulbehörden dabei? Und ganz besonders: Wie können wir Schulen gemeinsam nachhaltig stärken?

Die Autorinnen und der Autor verfügen über Expertise aus der Psychotherapie, psychologischen und systemischen Beratung, Wissenschaft, Schulpsychologie sowie Gesundheitsförderung und Transformationsbegleitung. Wir sind mit gesellschaftlichen wie auch individuellen Krisen tagtäglich konfrontiert. In unserer Arbeit sehen wir das, was bereits funktioniert und geleistet wird, und auch das Potenzial für Veränderung von Inhalten, Strukturen und Prozessen sowie den Ausbau von Zusammenarbeit und gegenseitiger Unterstützung.

In Gesprächen mit Kindern, Jugendlichen, Eltern, Lehrkräften und weiteren Beteiligten wurde an uns herangetragen, wie wichtig dieses Buch ist. Viele Personen haben daran mitgewirkt, dass es dieses Buch überhaupt gibt und es anschaulich werden konnte. Wir bedanken uns beim Herausgabeteam Prof. Dr. Caterina Gawrilow, Prof. Dr. Marcus Hasselhorn, Prof. Dr. Ulrich Trautwein, Prof. Dr. Christina Schwenck und Dr. Anke Leuthold-Zürcher für das umgehende Aufgreifen unseres Themenvorschlags. Ebenso sind wir den vielen interviewten Personen dankbar, die uns über Zitate Einblicke in ihr Leben und ihre Perspektive eröffnet haben.

Wir sehen diesen Band als einen Anfang in der weiteren Entwicklung von Schule und befürchten schon jetzt, dass schon bald eine Überarbeitung notwendig ist. Wir wollen zugleich zuversichtlich sein, dass dies irgendwann nicht mehr notwendig sein wird, wenn die Stärkung von Resilienz an Schulen eine Selbstverständ|6|lichkeit geworden ist. Die Weiterentwicklung der Schulen zu Zentren der Resilienz als Grundlage für dieses Ziel wird jedoch eine gesellschaftliche Daueraufgabe bleiben.

In diesem Sinne:

Transformatives Lernen für Mensch und Erde ist überlebensnotwendig für uns und für künftige Generationen. Die Zeit zu lernen und für unseren Planeten zu handeln ist jetzt.

UNESCO, 2021

Bad Nenndorf, Berlin, Halle (Saale), Jena, im Dezember 2023

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1  Einleitung

2  Fallbeispiele

2.1  Fallbeispiel Sara, 7 Jahre

2.2  Fallbeispiel Ben, 15 Jahre

2.3  Erfahrungsbericht einer Lehrerin

3  Schule im Zeitalter der Krisen

3.1  Was ist eine Krise?

3.1.1  Begriffliche Abgrenzung

3.1.2  Krisenverlauf

3.2  Abgrenzung schulischer Krisen

3.2.1  Wesen schulischer Krisen

3.2.2  Exkurs: Der Anschlag von Halle

3.3  Krisen auf der gesellschaftlichen Ebene

3.3.1  Definition gesellschaftlicher Krisen

3.3.2  Permanenz und Gleichzeitigkeit globaler Krisen

3.3.3  Die Klimakrise als globale gesellschaftliche Krise

3.3.4  Subjektivität von Krisen

3.4  Bedeutung gesellschaftlicher Krisen für den Kontext Schule

3.4.1  Auswirkungen gesellschaftlicher Krisen auf die Schule

3.4.2  Der schulische Auftrag

3.5  Zusammenfassung

4  Wie junge Menschen auf Krisen reagieren

4.1  Was bedeutet Stress?

4.2  Ein grundlegendes Stressmodell

4.2.1  Stressoren

4.2.2  Stressreaktion

4.3  Kurz- und langfristige Auswirkungen von Stress

4.3.1  Psychobiologische Stressreaktion

4.3.2  Die Sache mit den Gefühlen …

4.3.3  Langfristige Auswirkungen von Stress

4.3.4  Entwicklungsabhängigkeit psychischer Belastungen

4.4  Stressbewältigung

4.4.1  Bewältigungsstrategien

4.4.2  Wie können wir dieses Modell auf die großen Krisen übertragen?

4.5  Krisenassoziierte psychische Belastungen

4.6  Die Salutogenetische Perspektive auf Stress

4.7  Zusammenfassung der Auswirkungen von Stress

5  Resilienz als Konzept für den Umgang mit Krisen

5.1  Resilienz-Facetten

5.2  Transformationale und Mehrebenenperspektive

5.3  Ganzheitliches Resilienzverständnis

5.4  Zusammenfassung Resilienz

6  Unterstützung im Krisenfall

6.1  Hilfreiche Strategien zum Umgang mit Krisen

6.2  Kinder und Jugendliche allgemein unterstützen

6.2.1  Beispiele für emotionsfokussierte Bewältigungsstrategien

6.2.2  Beispiele für problem- und sinnfokussierte Bewältigungsstrategien

6.3  Besonderheiten im Grundschulalter

6.4  Besonderheiten im Jugendalter

6.5  Eltern unterstützen

6.6  Das System Schule nutzen

6.7  Zusammenfassung

7  Schulen langfristig krisenfester machen

7.1  Inhaltliche Entwicklung schulischer Angebote

7.2  Organisatorische Veränderungen innerhalb der Schule

7.3  Einbettung der Schule in ein soziales Unterstützungssystem

7.4  Veränderungen außerhalb des direkten Einflusses der Schule

7.5  Zusammenfassung

8  Psychische Belastung von Lehrkräften und Bewältigungsmöglichkeiten

8.1  Bedeutung von Lehrkräften als „Bewältigungsvorbilder“

8.2  Vermeidung als psychischer Schutzmechanismus

8.3  Hilfreiche Bewältigungsstrategien für Lehrkräfte

8.3.1  Aufmerksamkeit zuwenden und Handeln

8.3.2  Kompetenter Umgang mit den eigenen Gefühlen

8.3.3  Verbundenheit stärken

8.3.4  Verdrängen und Vermeiden? – Gesunder Umgang mit der Abwehr

8.3.5  Engagement

8.4  Zusammenfassung: die Grenzen der Belastbarkeit

9  Ausblick: Krisenpermanenz und gesellschaftliches Engagement

10  Weiterführende Informationen

Literatur

Anhang

|10|1  Einleitung

Wir sind davon überzeugt, dass dringend gehandelt werden muss, um die miteinander verknüpften dramatischen Herausforderungen anzugehen, vor denen die Welt steht, insbesondere die Klimakrise, den massiven Rückgang der Artenvielfalt, Umweltverschmutzung, Pandemien, extreme Armut und Ungleichheiten, gewaltsame Konflikte und andere Umwelt-, Gesellschafts- und Wirtschaftskrisen, die das Leben auf unserem Planeten gefährden. Wir sind der Auffassung, dass die Dringlichkeit dieser Probleme, die durch die COVID-19-Pandemie noch verstärkt werden, einen grundlegenden Wandel erforderlich macht, der uns hin zu einer nachhaltigen Entwicklung führt, die auf einer gerechteren, inklusiveren, achtsameren und friedlicheren Beziehung zueinander und zur Natur gründet.

UNESCO, 2021, S. 1

Die meisten Tageszeitungen, Nachrichtenmagazine, Social-Media-Kanäle und sonstigen Newsportale verwenden nahezu täglich den Begriff der Krise. So nahm die Häufigkeit der Nennung des Wortes Krise in überregionalen deutschen Tages- und Wochenzeitungen seit 2016 deutlich zu und hat 2022 den höchsten Wert seit 1946 erreicht (Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache, 2023a). In der Tat sind wir mit einer Vielzahl von lokalen und globalen Krisen konfrontiert. Seit Anfang 2020 sind die Schlagzeilen bestimmt von der COVID-19-Pandemie, die weitreichende Einschränkungen gerade für Kinder und Jugendliche mit sich brachte. Schulschließungen, fehlende Freizeitangebote, soziale Distanzierung und eingeschränkte Unterstützungsmöglichkeiten bei Problemen in der Familie – die Konsequenzen für Schüler*innen sind sowohl sozial-emotional als auch hinsichtlich individueller Lernerfolge weitreichend, insbesondere für junge Menschen aus gesellschaftlich stärker benachteiligten Milieus (Helm et al., 2021; Ravens-Sieberer et al., 2022).

Im Sommer 2021 erschütterte eine Flutkatastrophe Deutschland und mehrere Nachbarländer mit vielen Todesopfern und Verletzten sowie massiven Schäden. Im Sommer 2022 ging die Dürre in Europa in ihr viertes Jahr mit erschreckenden Nachrichten aus Portugal, Spanien und Italien, aber auch Deutschland. Mit 47 Grad erreichte Portugal Rekordwerte; in Europa starben allein 2022 nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation mindestens 15.000 Menschen infolge der Hitzewelle. Die Schäden gingen in die Milliarden (Adélaïde et al., 2022). Es be|11|steht kein Zweifel mehr, dass auch die Klimakrise mit zunehmenden Wetterextremen in Deutschland angekommen ist.

Im Februar 2022 erfolgte ein bis zuletzt nicht für möglich gehaltener Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der europaweit für Entsetzen sorgte und mit den anschließenden Preissteigerungen und Schwierigkeiten in der Energie- und Lebensmittelversorgung weitere Krisen auslöste. Hinter allen Zahlen zu finanziellen Schäden und Todesopfern stehen individuelle Leidensgeschichten, die sich über Jahre hinweg ziehen können und auf alle Bereiche des Lebens und somit auch die Schule übergreifen. Begleitet werden diese scheinbar „von außen“ kommenden Krisen von zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen, Polarisierungen in der öffentlichen Kommunikation und politischen Forderungen sowie konfliktträchtigen Auseinandersetzungen über die „richtige“ Lösung. In diesem Kontext einer als immer unsicherer wahrgenommenen Welt verwundert es kaum, dass ein Anstieg um ca. 10 % der individuell empfundenen psychischen Belastung insbesondere bei jungen Menschen zu beobachten ist (Ravens-Sieberer et al., 2022; Kauhanen et al., 2022).

Schule stellt einen wichtigen Lebens- und Entwicklungskontext für Kinder und Jugendliche dar, sodass an diesem Ort auch mit gesellschaftlichen Krisen umgegangen werden muss. Alle Schulmitglieder – Schüler*innen wie Lehr- und andere Fachkräfte – sitzen dabei als Betroffene „im selben Boot“. Dies birgt zum einen die Gefahr von Aufschaukelungsprozessen und Überforderung, wenn sich Schüler*innen gegenseitig in ihren Ängsten und Sorgen bestärken und nicht weniger betroffene Lehrkräfte sich nicht in der Lage sehen, gut zu unterstützen. Zugleich besteht ein schützendes Potenzial, wenn solche Anpassungsprozesse mit der richtigen Vorbereitung dann doch gelingen. Dies kann beispielsweise Eltern entlasten, welche die Gefühle ihrer Kinder weniger gut auffangen können. Denn wir sitzen zwar alle – und hier sei die Bootsmetapher korrigiert – in derselben „Flotte“. Die Art des Bootes in dieser Flotte fällt jedoch sehr unterschiedlich aus: Während einige in einem instabilen, vielleicht sogar löchrigen Einer-Kanu straucheln, sind andere in einem soliden, flexiblen Kreuzer deutlich besser geschützt.

Welche Bedeutung diese Themen für den Schulalltag haben, wie sie in der Schule angemessen adressiert und behandelt werden können und gemeinsam Wirksamkeit erzielt werden kann, ist Gegenstand dieses Bandes. Dabei werden wir immer wieder die Perspektive wechseln, um sowohl individuelle Zusammenhänge und Reaktionen (Mikroebene, vgl. Bronfenbrenner, 1979), Einflüsse des direkten Umfelds in der Schule (Mesoebene) als auch strukturelle Ursachen, Rahmenbedingungen und Auswirkungen beispielsweise auf schulischer und gesellschaftlicher Ebene (Makroebene) zu beleuchten.

Mit Blick auf die Komplexität des Themas und die erhebliche Unterschiedlichkeit der Schulen wird der Band keine maßgeschneiderten Lösungen liefern können. Wir möchten vielmehr Schulleitungen, Lehrkräfte und andere schulische Fach|12|kräfte mit diesem Buch unterstützen, insbesondere Kindern und Jugendlichen, aber auch Kolleg*innen Anregungen zu geben, gesund und konstruktiv mit Krisen und emotionalen Reaktionen umzugehen, und dafür schulspezifische Lösungen zu entwickeln. Dafür widmen wir uns zunächst dem Krisenbegriff und seiner heutigen Bedeutung für Gesellschaft und Schule, bevor wir auf die individuellen Reaktionen junger Menschen gegenüber Krisen eingehen. Beides greifen wir im weiteren Verlauf immer wieder auf, wenn wir vielfältige Potenziale dafür vorstellen, wie Schulen kurz- und langfristig mit gesellschaftlichen Krisen umgehen können. Nach dieser Vergrößerung des Möglichkeitsraums für das schulische Handeln schließen wir mit einer Sammlung möglicher Hilfsangebote, Materialien und Methoden.

|13|2  Fallbeispiele

Die genannten Fallbeispiele bündeln entweder Erfahrungsberichte verschiedener Personen zu einer fiktiven Person oder geben wörtlich den Erfahrungsbericht einer Person wieder.

2.1  Fallbeispiel Sara, 7 Jahre

„Irgendwann im Februar war plötzlich alles anders“, berichtet die 7-jährige Sara. Sie besucht die 1. Klasse einer Grundschule und erzählt: „Am Anfang von der ersten Klasse war noch Corona. Irgendwann ist es aber besser geworden und ich habe meine zwei Freundinnen kennengelernt.“ An einem Tag im Februar seien die Lehrkräfte und auch ihre Eltern aber plötzlich ganz aufgeregt gewesen. Sie habe diese miteinander reden hören. Sie seien immer verstummt, wenn sie dazu gekommen sei. Sara berichtet, „Ich hab dann immer heimlich zugehört. Die haben von Krieg, Panzern und Raketen in der Ukraine erzählt. Ich hab gar nicht genau gewusst, was das heißt. Aber alle haben immer so ängstlich geguckt.“ Ihr 12-jähriger Bruder habe ihr dann erklärt, dass gerade viele Menschen sterben würden und der Krieg vielleicht auch zu ihnen komme. Im Fernsehen habe Sara die Panzer gesehen und sei dann schnell aus dem Zimmer gelaufen. Leise ergänzt sie, „Ich hab mich nicht getraut, mit Mama und Papa zu reden. Die haben immer sofort weggeguckt und leise geredet. Die waren auch sowieso so genervt von allem in der letzten Zeit.“ Sara habe in der Zeit viel geweint und wenig mit anderen gesprochen. Mit einem Lächeln erzählt sie, „Gut war dann, als Frau Schmidt – das ist meine Klassenlehrerin – uns das erklärt hat. Der Krieg ist nämlich ganz weit weg. Wir haben dann einen Flohmarkt gemacht und Geld gesammelt.“ Im März seien zwei Mitschülerinnen aus der Ukraine in die Klasse gekommen. Sara habe Angst vor ihnen gehabt, weil sie gedacht habe, dass diese den Krieg „mitbringen“. Nach einigen Wochen sei sie aufgetaut und habe sich ein wenig mit den Mädchen angefreundet. Aktuell im Sommer leide sie unter der anhaltenden Hitze.

Im Gespräch mit den Eltern zeigt sich, dass diese in der Pandemie ans Ende ihrer Kräfte gekommen seien. Die Mutter arbeite in der Pflege und habe immer wieder Schichten von Kolleg*innen übernehmen müssen. Der Vater sei bei den örtlichen |14|Stadtwerken angestellt und habe die Energiesicherung der Stadt für den Winter mit planen müssen. Sie klagen, „Wir haben ja keine Familie in der Nähe. Unser Ältester ist in der Pandemie immer aggressiver geworden. Wir wussten gar nicht richtig, wie wir damit umgehen sollen. Für Sara hatten wir wenig Zeit, sie war ja auch früher immer der ‚Sonnenschein‘.“

Die Klassenlehrerin startete kurz vor der Pandemie in ihre erste Anstellung. Für sie seien die letzten Jahre enorm anstrengend gewesen, da sie nicht nur den Unterricht habe komplett neu vorbereiten müssen. Sie hätte auch immer wieder mit der fehlenden Technikausstattung, Datenschutz und allgemein mangelnden Ressourcen zu kämpfen gehabt. „Ich bin vor allem durch die Klimakrise belastet und engagiere mich schon lange im Naturschutz. Als dann noch der Ukrainekrieg kam, hat mich das komplett aus der Bahn geworfen. Zum Glück war die Unterstützung im Kollegium sehr gut. Wir haben uns dann zusammen überlegt, was wir tun können. Eigentlich bin ich aber seit Anfang meines Berufslebens nur noch im „Dauerkrisenmodus“.“

2.2  Fallbeispiel Ben, 15 Jahre

Der 15-jährige Ben wirkt im Gespräch genervt: „Ja, ich bin jetzt halt schon länger gereizt und manchmal raste ich halt aus.“. Einmal habe er die Tür so sehr ins Schloss geworfen, dass sie kaputtgegangen sei. Zu anderen Zeiten ziehe er sich eher zurück und sei traurig. „Die letzten Jahre haben mich richtig fertiggemacht. Angefangen hat das, als mir das Ausmaß von der Klimakrise so richtig klar geworden ist. Der Sommer war super heiß. Ich hab dann angefangen, mit meiner Schwester zusammen zu den Fridays for Future Demos zu gehen. Das war echt gut. Dann ist irgendwann die Pandemie gekommen. Ich durfte meine Freunde nicht mehr sehen, das war echt gar nichts. Ich hab dann viel geschlafen und gezockt – raus durfte ich ja eh nicht. Social media hab ich natürlich auch viel gemacht, da die Infos aus den Nachrichten und so geholt.“. Vor der Pandemie habe er Fußball gespielt und sei sehr fit gewesen. Von 2020 bis 2021 habe er jedoch 15 kg zugenommen. Nach einigen Monaten habe er versucht, sich auf die Schule zu konzentrieren, um auf den Realschulabschluss hinzuarbeiten. „Also seit dem Krieg in der Ukraine bin ich nur noch genervt von den Erwachsenen. Die kriegen ja gar nix mehr hin. Alles bricht zusammen und keiner kümmert sich drum.“ Im Herbst 2021 sei eine mittelgradige depressive Episode diagnostiziert worden. Weder ein empfohlener Klinikaufenthalt noch eine ambulante Psychotherapie sei aufgrund mangelnder Plätze möglich gewesen. Daraufhin habe er Antidepressiva verschrieben bekommen.

Die Eltern berichten, „Ben ist schon immer sehr aufmerksam gewesen und hat mitbekommen, was in der Welt so passiert. Wir haben versucht, ihn so gut es geht zu schützen. Aber in den letzten Jahren sind wir auch an unsere Grenzen gekom|15|men. Wir haben gerade das Haus umgebaut. Mit der Inflation und Energiekrise bekommen wir die Kosten aber überhaupt nicht mehr gedeckt. Im schlimmsten Fall verlieren wir das Haus. Davon wissen die Kinder aber nichts.“ Die Mutter sei zudem 2020 mit Anfang 40 überraschend noch einmal schwanger geworden. Das Baby zuhause in Kombination mit akuten Engpässen bei der kinderärztlichen Versorgung, anhaltender Pandemie und finanziellen Sorgen sei für sie zu viel. Die Sorge um Bens psychische Gesundheit raube insbesondere dem Vater, der dies von sich selbst kenne, den Schlaf.

Der Klassenlehrer der 9. Klasse ergänzt, „Mir ist natürlich klar, dass es Ben nicht so gut geht. Damit ist er aber leider nicht der einzige. Zwei Mädchen in der Klasse haben massiv abgenommen – da mache ich mir wirklich Sorgen. Ein paar Jungs sind in der Pandemie komplett abgetaucht, da wusste ich gar nicht mehr, was bei denen läuft.“ Der Lehrer kämpfe um mehr Unterstützung durch die Schulpsychologin, die oft bereits mit ganz ähnlichen Fällen ausgebucht ist. Auch er selbst sei aus Erschöpfung immer wieder krankgeschrieben.

2.3  Erfahrungsbericht einer Lehrerin

Nora Oehmichen, Lehrerin am Gymnasium, Teachers for Future: „Mir würde es unglaublich helfen, wenn an Schulen, in Kollegien überhaupt erstmal anerkannt würde nicht nur, dass wir in einer Zeit zunehmender und einander bedingender Krisen leben, sondern dass das unsere Aufgabe als ‚Schule‘ und das Verständnis davon, was ‚Unterricht‘ ist, fundamental verändert. Momentan ist der Modus noch: Wir ‚opfern‘ Unterricht, wenn es wirklich nicht anders geht, weil etwa Putins Truppen die Ukraine überfallen. Dann wird gesprochen, werden mit Kreide Friedenstauben auf Schulhöfe gemalt, Spenden gesammelt – und dann wird wieder dazu übergegangen, was als ‚normaler Unterricht‘ geframet ist – statt anzuerkennen, dass ‚normaler Unterricht‘, also das mehr oder weniger kreativ gestaltete Vermitteln von bereits vor Jahren oder Jahrzehnten festgelegten Inhalten, das Abprüfen dieser Inhalte in standardisierten Tests und Klassenarbeiten, das Aufrechterhalten des Konkurrenzprinzips durch die Vergabe von Noten und das stillschweigende Akzeptieren des Umstands, dass genau dieses System bei immer mehr Schüler*innen und Lehrer*innen Stresssymptome verursacht, dass also ‚normaler Unterricht‘ auch in weltpolitisch ruhigen Zeiten alles andere als ‚normal‘ ist. Und erst recht in Krisenzeiten brauchen wir Schulen als Orte, an denen Schüler*innen und Lehrer*innen einander angst- und stressfrei begegnen können. An denen Zeit und Raum dafür ist, sich in aller Ruhe dem zu widmen, was um uns passiert: Erderhitzung, Artensterben, Krieg, Demokratien auf dem Rückzug – aber eben auch: Was können WIR tun? Wo können wir hier vor Ort und mit unseren Mitteln dagegenhalten? Wo sind Verbündete, Kooperationspartner außerhalb der eigenen Schule, von und mit denen wir in Projekten lernen und uns als selbstwirksam erfahren? |16|Mehr denn je brauchen wir aktive Schüler*innen (und Kolleg*innen), die nachfragen, nicht lockerlassen, es wissen wollen, scheitern (lernen) dürfen. Wir brauchen weniger Fremdbestimmung, übermäßiges Auswendiglernen und Leistungsprinzip, dafür deutlich mehr Zeit, die ganz explizit der Beschäftigung mit dem, was gerade ‚in der Welt‘ vorgeht und für die Schüler*innen relevant ist, gewidmet ist, und die Möglichkeit zur Selbststeuerung auf beiden Seiten.“

Fragestellungen für die Praxis

Lehrkräfte: Denken Sie kurz an die Schüler*innen Ihrer Klasse und auch Ihr eigenes Erleben in den letzten Jahren. Wie erging es Ihnen? Was haben Sie gelernt? Welche Schlüsse haben Sie aus der Zeit gezogen?

Schulleitung: Wie ist es Ihnen ergangen? Wie hat sich die erhöhte Belastung der Schüler*innen, aber auch der Lehrkräfte in den letzten Jahren gezeigt? Wie sind sie damit umgegangen?

|17|3  Schule im Zeitalter der Krisen

Bei Corona konnten die Schulen nichts anderes machen, als sich mit der Krise zu beschäftigen. Ansonsten kriegt man in der Schule von dem, was außen passiert, weniger mit. Wenn man zuhause schon viel über solche gesellschaftlichen Themen spricht, ist es vielleicht auch ein Vorteil, in der Schule nicht so viel darüber zu sprechen. Wie eine Auszeit, weil man dann nicht die ganze Zeit über Schlechtes nachdenkt. Andererseits wäre es schon cooler, wenn das auch im Unterricht eingebunden werden würde. Das wäre ja auch gut für Leute, bei denen zuhause nicht so viel darüber gesprochen wird. Wir sind ja diejenigen, die später die Erwachsenen sind, und zum Teil auch in Führungspositionen sitzen werden – und dann wird man später damit eiskalt konfrontiert, wenn man etwas zu tun versucht. Schule ist ja eigentlich dazu da, uns auf das Leben danach vorzubereiten und mit bestmöglichen Mitteln weiterzuschicken. Das wird schulstoffmäßig meistens erreicht, aber gesellschaftlich passiert zumindestens bis zur 8. Klasse weniger. Es wirkt leider nicht so, dass wir Krisen besprechen, weil sie wichtig sind. Sondern es wirkt so, als würden wir gerade nicht darüber sprechen, weil es die Sorgen von anderen sind oder alle sich selbst kümmern müssen. Es ist wie bei Leuten, die bei einem Unfall wegschauen und nicht eingreifen.

Jonathan, 14 Jahre, Klasse 8

Gesellschaftliche Krisen wurden in unserer Schule schon thematisiert. Jedoch nur, wenn sie uns auch direkt betreffen, wie zum Beispiel die Corona-Pandemie oder die Klimakrise. Doch weiter entfernte Krisen, wie etwa der Konflikt im Iran oder ähnliche Situationen im Nahen Osten, wurden nur in einem Fach besprochen, da wir dort zu jeder Stunde Nachrichten schauen und im Unterricht drüber reden sollten.

Viktoria, 18 Jahre, Abiturientin

Viele Menschen werden mit dem Konzept des Katastrophenfilms vertraut sein. Es gibt oft eine lange „Davor“-Phase, in der das Leben seinen alltäglichen Gang geht, dann erste Warnzeichen auftreten, die oft nicht ernst genommen werden. Dann spitzt sich die Lage zu, bis ein katastrophales Ereignis unmittelbar bevorsteht, das sich nicht mehr ignorieren lässt. Diese Phase zieht sich mitunter quälend lang. Eine sehr heftige „Mittendrin“-Phase gleicht aufkommende Langeweile im Anschluss wieder aus. Eine akute Katastrophenlage muss nun bewältigt werden, während gleichzeitig fieberhaft nach einem Ausweg gesucht wird. Ist der gefunden bzw. ist die Katastrophe von alleine zum Erliegen gekommen, gibt es schließlich |18|eine „Danach“-Phase, in der es um das Aufräumen, Verarbeiten und den Wiederaufbau geht. Im Film kommt diese dritte Phase oft ziemlich kurz.

Die Situation, in der sich die Menschheit gerade befindet, ist global und über die vergangenen Jahre hinweg betrachtet durch eine Gleichzeitigkeit dieser drei Phasen gekennzeichnet: Während der mehr oder weniger mühsame Berufs- oder Schulalltag im immer selben Rhythmus bewältigt wird, kündigen sich seit vielen Jahrzehnten verschiedene ökologische Katastrophen an. Gleichzeitig müssen immer wieder politische Krisen, wie die Finanzkrise oder zwischenstaatliche Konflikte, eingedämmt und immer stärkere Schäden infolge von Wetterextremen oder Umweltzerstörungen beseitigt werden. Diese Gleichzeitigkeit nicht nur verschiedener Krisen und Katastrophen, sondern auch ihrer Phasen stellt eine extreme Belastung für alle gesellschaftlichen Systeme dar. Schule als Institution und konkreter sozialer Ort ist hiervon nicht ausgenommen.

3.1  Was ist eine Krise?

Der Begriff der Krise wird vielfältig gebraucht, je nach wissenschaftlicher Disziplin, Alltagssprachgebrauch oder individueller Absicht, wenn beispielsweise in den Medien ein Konflikt immer gleich zur Krise stilisiert wird. Im Allgemeinen bezeichnet eine Krise eine schwierige Situation oder Phase bzw. einen kritischen Wendepunkt innerhalb einer bedrohlichen Entwicklung (z. B. Schubert & Klein, 2020), worauf in irgendeiner Form reagiert werden muss (vgl. Schäfers, 2018). Es kann ein konkretes Ereignis gemeint sein, ein ganzer Zeitraum oder eine Kombination aus beidem. Zudem kann eine Krise auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Domänen auftreten, zum Beispiel als:

individuelle Krise: eine Erkrankung, kritische Lebenssituation, emotionale Krisensituation oder ähnliches (Beispiel: ein Kind verliert ein Elternteil);

Krise innerhalb einer Organisation: in einer Schule kommt es zu einem Unfall, bei dem mehrere Beschäftigte und Schüler*innen verletzt werden;

Krise einer Organisation: in einer Schule fehlen krankheitsbedingt so viele Lehrkräfte, dass sie in den Notbetrieb übergehen muss;

Krise eines Systems: in mehreren Schulen herrscht akute Personalnot, sodass an zahlreichen Einrichtungen viel Unterricht ausfallen muss;

gesellschaftliche Krise: durch einen Krieg ist die Energieversorgung für Firmen, Haushalte und öffentliche Einrichtungen wie Schulen akut bedroht;

globale Krise: im Zuge einer ursprünglich unbeabsichtigten Veränderung der Zusammensetzung der Erdatmosphäre durch den Menschen verändert sich das meteorologische Klima, infolgedessen ein Komplex unterschiedlicher Auswirkungen die Gesundheit und Lebensbedingungen aller Menschen bedroht ebenso wie die Stabilität menschlicher Gesellschaften und den Fortbestand der gesamten Zivilisation.

|19|Eine Krise ist nicht an eine bestimmte Ebene gebunden: Ereignisse auf der individuellen Ebene können sich auf übergeordnete Ebenen auswirken, wenn etwa eine Schulleitung inmitten eines Schulentwicklungsprozesses langzeiterkrankt ausfällt. Zudem können Krisen auf überindividuellen Ebenen zu individuellen Krisen führen, wenn bspw. eine Pandemie den Betrieb einer Schule zum Erliegen bringt und ein Kind mit Lernschwierigkeiten zuhause lernen muss und dabei nicht mehr angemessen gefördert werden kann (vgl. Tabelle 1).

Nicht zuletzt können Krisen auch domänenübergreifend auftreten. So beeinträchtigt eine Pandemie verschiedene Domänen, bspw. den Bildungs- und den Gesundheitsbereich, und eine langzeiterkrankte Schulleitung fällt gleichzeitig womöglich im familiären System als wichtige stabilisierende Bezugsperson aus. Eine einzige Krise kann dabei in verschiedenen Situationen, Kontexten bzw. Domänen sowie über die Zeitachse hinweg ganz unterschiedliche Wirkungen entfalten.