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In weniger als einer Sekunde nahm sie das Stillleben wahr, in weniger als einer Sekunde zerschmetterte es ihr Leben in Stücke. (aus: Die Umarmung) Er packte die Päckchen aufeinander, schwankte erneut Richtung Baum, sah ihn aber trotz seiner überirdischen Größe erst, als er Zweige und Lametta im Gesicht hatte und die Geschenke auf dem Boden verteilt lagen. (aus: Entgeisterte Weihnacht) Ich schlafe in einer Holzhütte, zwanzig Meter über einem Fluss. Morgens wecken mich die Affen, die ihre Mangos mal auf mein Hausdach, mal auf den Haushund werfen. (aus: Ein Traum in Plastik) Wie gern wäre sie wieder einmal durch die Gänge spaziert, hätte sich ihre Lieblingssuppe gekauft und einen Schokopudding. So blieb ihr nur übrig, sich all die schönen Dinge anzusehen, sich vorzustellen, wie sie schmeckten. Und jetzt hatte sie nicht mal mehr das. (aus: 2 Blickwinkel) Oooh, da ist auch ein richtig toller Haufen Kuhkacke! Mit voller Wucht schmeiße ich mich darauf, wälze mich, bis mich der Geruch von oben bis unten umgibt. Perfekt, jetzt bin ich auf alles vorbereitet, niemand kann mir mehr was anh ... Oh-oh. Herrchen hat mich erwischt. (aus: Mein Herrchen und Ich) Seine Küsse schmeckten wie eine Liebesschnulze aus den 80er-Jahren. (aus: Irgendwann) "Unausgeschrieben" ist eine Sammlung von Kurzgeschichten, die ich im Laufe von 2021 für diverse Ausschreibungen verfasst habe. Manche wurden veröffentlicht, manche nicht. Doch der Titel bezieht sich nicht nur auf die Ausschreibungen oder die Nicht-Veröffentlichung in einer Anthologie. Jede Kurzgeschichte ist ein kleines Fenster in verschiedene Leben, die viel Raum für die Vorstellungskraft lassen, viele offene Fragen. Momentaufnahmen, die ewig unfertig bleiben. Für immer unausgeschrieben.
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Seitenzahl: 81
Veröffentlichungsjahr: 2022
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Das Internet schien genauso müde zu sein wie er selbst, brauchte eine gefühlte Ewigkeit, bis es die Seite lud. Peter trank lustlos an seiner Limo, während er sich endlich durch die neuesten Nachrichten scrollte. Seine tägliche Feierabendbeschäftigung, während er auf das Abendessen wartete.
Jetzt ploppten auch noch sinnlose Werbeanzeigen zu Schuhen und Accessoires auf und überdeckten seinen Bericht über den Marsrover. Offenbar hatte seine Frau wieder eifrig auf dem gemeinsamen Tablet nach Schnäppchen gestöbert.
Er blies die Luft aus der Nase. Typisch. Während er sich täglich zehn Stunden abrackerte, die Stimmungsschwankungen seines Chefs ertrug und dann noch versuchte, mit halbwegs guter Laune durch die Tür zu treten, weil ihre Ehe ohnehin gerade nicht den besten Moment durchlief, machte sie es sich anscheinend auf der Couch gemütlich und kaufte die Sommerkollektion ein. Von seinem mühsam verdienten Geld. Wo es ihm viel mehr zustand, sich endlich mal wieder ein neues Mobiltelefon zu leisten, nach all seinen Überstunden und der hart erkämpften Beförderung.
Wut stieg in ihm auf. Er erhob sich und ging Richtung Küche, wo Helene Zwiebeln schnitt.
»Was war bei dir heute so los?«, erkundigte er sich.
Sie zuckte mit den Schultern. »Nichts Besonderes. Wäsche waschen, Hausaufgaben mit Anna … du weißt schon«, antwortete sie mit einem sanften Lächeln.
»Hm«, kommentierte er. »Wolltest du nicht ein paar Stellenangebote durchgehen?«
Ihre Tochter war nun seit einem halben Jahr in der Schule, er sah keinen Grund, warum Helene nicht zu ihrer Arbeit – oder irgendeiner Arbeit – zurückkehren sollte. Das Geld konnten sie durchaus brauchen. Vielleicht endlich mal wieder einen ordentlichen Urlaub in einem Spa-Hotel genießen, ein Wochen-ende nach Paris. Das dämliche alte Blümchen-Geschirr austauschen, auf dem Helene gerade das Abendessen anrichtete, und das ihm schon längst auf die Nerven ging.
»Ja, nichts Interessantes dabei gewesen«, fertigte sie ihn ab.
Er verstand, dass sie nicht weiter darauf eingehen wollte. Seit Monaten war dies ein Streitthema zwischen ihnen. Meistens versuchte er, es nicht anzusprechen, ihr Zeit zu geben, das Richtige zu finden, sich wieder in einen anderen Alltag einzufinden als den, den sie in den letzten Jahren als Mutter und Hausfrau gehabt hatte. Doch heute schaffte er das nicht.
»Aber Schuhe hast du schon interessante gefunden?«, kam es also vorwurfsvoll aus ihm heraus, was er zugleich bereute, weil er wusste, dass der Abend nun gelaufen war.
»Schuhe?« Sie sah von ihren Zwiebeln auf, schien nicht gleich zu verstehen. »Kontrollierst du etwa meinen Verlauf?«, fragte sie nun verstört.
»Nein, natürlich nicht.« Mit einer Handbewegung tat er die Aussage als lächerlich ab. »Aber wenn ich um halb acht Uhr abends heimkomme, meine Füße schmerzen, mein Kopf brummt und ich dann Schuhwerbung über meine Artikel gespielt bekomme, muss ich mich schon fragen, was du hier überhaupt beiträgst.«
»Was ich beitrage?« Ihre Stimme schwoll an, sie legte das Messer geräuschvoll auf der Arbeitsfläche ab. »Du fragst ernsthaft, was ich beitrage?«
Ja, das tat er. Insgeheim fragte er sich das jeden Tag.
»Was glaubst du denn, warum es bei Anna in der Schule so gut läuft? Wer sie jeden Tag vom Ballett abholt? Minki rauslässt und füttert? Deine Hemden bügelt? Dafür sorgt, dass der Kühlschrank voll ist? Denkst du, das macht sich alles von alleine, oder wir haben eine Zauberfee?« Ihre Augen funkelten gefährlich.
»Ehrlich gesagt, wäre es mir lieber, wir hätten eine Zauberfee. Oder Putzhilfe. Oder wie man das heute korrekterweise nennt«, überlegte er, nicht weniger aufgebracht. »Ich brauche nämlich keine Putzhilfe zur Frau. Ich brauche eine ebenbürtige Partnerin, der ich abends erzählen kann, warum mein Kunde das Angebot abgelehnt hat, oder mit der ich darüber lachen kann, dass meine Kollegin Hilfe brauchte, weil sie wieder nicht wusste, wie sie ihre Powerpoint-Präsentation zum Laufen bekommt. Die versteht, was ich sage und mir ihre kompetente Meinung dazu gibt. Ich möchte endlich wieder mal ein Tischgespräch, das nicht Kinderzank oder Schreibübungen oder ein Rezept für Kürbisauflauf beinhaltet – oder Schuhe!«, schrie er. »Ich will nicht dein Chef sein und auch nicht dein Vater. Ich will dein Ehemann sein.«
»Ach, mein Ehemann?«, gab sie mit Tränen in den Augen zurück, und er fragte sich einen Moment lang, ob es die Zwiebeln waren.
»Meinem Ehemann ist es ganz ehrlich gesagt völlig zu Kopf gestiegen, dass er befördert wurde. Plötzlich ist nichts mehr gut genug. Nicht unsere Familie, nicht unsere Wohnung, nicht unsere Gespräche.« Sie baute sich vor ihm auf, ihre Tränen flossen, viel zu viel für eine Zwiebel. »Und natürlich auch nicht ich. Geld muss her, ein zweites Auto, ein Swimmingpool, eine größere Wohnung, ein Strandurlaub – Hauptsache wir können mit den ganzen anderen Idioten aus deiner Firma mithalten.«
Und, was war so schlimm daran, einen gewissen Anspruch zu haben, wenn man sich täglich abrackerte, wollte er sagen, doch sie war noch nicht fertig. »Dass ich mich dabei fast umbringen muss, um mitzuhalten, alles unter einen Hut zu kriegen, ist dir egal. Was ich eigentlich will vom Leben, wen interessiert das schon? Du willst eine erfolgreiche, ebenbürtige Frau und basta.« Dem letzten Wort verlieh sie Nachdruck, indem sie das Messer erneut auf die Theke knallen ließ. »Weißt du was …« Jetzt nahm sie die Küchenschürze ab, knüllte sie zusammen und warf sie in die Ecke. Dann wischte sie sich mit den Ärmeln über die Augen, drängte sich an ihm vorbei und ließ ihn alleine zurück.
Am nächsten Abend schienen die Wogen etwas geglättet. Sie hatten nicht mehr darüber gesprochen, nicht, als sie zu Bett gegangen waren und auch nicht am nächsten Morgen. Jetzt begrüßte sie ihn wie jeden Tag mit einem Küsschen, sobald er durch die Tür trat. Er ließ seine Tasche neben der Garderobe stehen, nahm sich ein Glas Limo und setzte sich mit dem Tablet auf die Couch. Er klickte auf die Sport-Seite, als wieder eine Anzeige aufploppte. Nein, nicht schon wieder Schuhe, dachte er. Er war nicht bereit für eine zweite Runde.
Dann setzte sein Herz aus, und das Tablet fiel ihm aus der Hand, als die Worte vor seinen Augen verschwammen:
Fachanwalt für Familienrecht - Scheidungsanwalt
Ich werde wach, als sich rechts und links von mir etwas bewegt. Erst ignoriere ich es, vielleicht ist es nur ein Traum. Nein, jetzt ruckelt es auch über mir. Oje. Das bedeutet Aufstehzeit. Ich bin noch gar nicht so weit. Gerade habe ich noch von Hasen und Fangenspielen im Feld geträumt. Überhaupt ist es so kuschelig hier, eingemummt in meine Decke, zwischen Herrchens Beinen.
Aber da ist er auch schon auf, streckt sich, macht das Licht an.
Ich drehe mich auf den Rücken. Morgendliche Bauchi-Bauchi-Runde. Jaaaaaaaa. So mag ich das. Schön kraulen, ganz toll. Nein, nicht aufhören, wo gehst du hin?
Herrchen stakst davon in die Küche, das summende Geräusch der Kaffeemaschine ertönt. Ich mache zwei Schritte über das Bett, lege mich quer auf Herrchens Kopfkissen. Der beste Platz im Haus, kein Wunder, dass er ihn täglich vereinnahmt. Aber jetzt bin ich dran. Ein bisschen deformiert das Ganze, zugegeben. Da muss ich noch etwas nachhelfen. Ich gebe Vollgas, grabe eifrig in das widerspenstige Kissen hinein, bis es doch ein wenig nachgibt und zumindest eine kleine Grube entsteht. Mit einem glücklichen Seufzer lasse ich mich hineinfallen, lege den Kopf auf meine Pfoten und falle wieder in süße Träume.
Als Herrchen zurückkommt, hat er es eilig. Bereits mein Geschirr in der Hand, klatscht er in die Hände, mein Zeichen, aus dem Bett zu kommen. Ich starte einen letzten Versuch, zeige mein bestes Yoga. Vielleicht lässt er mich ja doch hier. Draußen ist es grau, und diese komischen weißen Dinger kommen vom Himmel, die ich überhaupt nicht leiden kann. Sie machen mein Fell kalt und nass. Oh nein, ich habe es schon geahnt, jetzt kommt er auch noch mit dieser wuscheligen Zwangsjacke, die er mir überzieht, jedes Mal, wenn das nasse Weiß vor der Tür ist. Ich seufze, setze mich, lasse es über mich ergehen. Immerhin gibt es danach Frühstück.
Ein Schritt vor die Tür sagt mir, dass ich wirklich, wirklich nicht weitergehen will. Meine Zehen treffen auf eisigen Boden, der Wind weht mir die ungemütlichen weißen Flocken ins Gesicht. Ruckartig bleibe ich stehen. Muss ich mir das wirklich mitmachen? Ich sehe Herrchen möglichst erbärmlich an, ziehe an der Leine, zurück in den warmen Vorraum.
»Komm, Bukowski«, höre ich ihn hartnäckig. »Nur eine kleine Runde. Mir ist auch kalt.«
Ich bibbere am ganzen Körper, trotz der Flauschzwangsjacke, aber mir bleibt nichts anderes übrig. Zögerlich setze ich ein Bein vor das andere. Wie ungemütlich, dabei hatte ich es gerade noch so schön in meinem Bett.
Doch nach wenigen Metern steigt mir ein vertrauter Geruch in die Nase, ein Hoffnungsschimmer. Das ist ganz klar meine Freundin Shakira. Aufgeregt wedle ich mit dem Schwanz, lege einen Zahn zu. Vergessen die Kälte, der Wind, nein, nicht das weiße Zeugs, das schüttle ich zur Sicherheit noch ab, muss ja schick sein für Shakira. Ein Küsschen zur Begrüßung, noch eines. Ich schnuppere an ihrem Hinterteil. Oh, sie bekam offenbar ein Würstchen zum Abendessen, wie schön für sie. Mit Würstchen ist mein Herrchen immer sparsam, die isst er lieber selbst. Shakiras Papi ist ein alter Herr, deshalb spazieren sie sehr langsam. Aber er beugt sich stets zu mir herunter, streichelt mich und lacht. Shakira selbst ist auch nicht mehr die Jüngste, aber immer noch ein heißer Feger. Heute trägt sie einen pinken Pulli und eine Masche hinter dem Ohr. Ich stupste sie an, zeige ihr, dass mir ihr Outfit wirklich gefällt.
Wir bleiben nicht lange stehen, leider müssen wir weiter. Bald sind wir auf halbem Weg um den Block, ich rieche schon mein Frühstück.