Und plötzlich warst du da - Katharina Flingou - E-Book

Und plötzlich warst du da E-Book

Katharina Flingou

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Beschreibung

Mit 19 Jahren bin ich nach Köln gezogen, um dort meine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau anzufangen. Mein Leben verlief wie im Bilderbuch. Ich verliebte mich in meinen Arbeitskollegen, wir zogen zusammen und verlobten uns. Auf der Arbeit war ich so gut, dass ich meine Ausbildung verkürzen konnte. Wir wohnten in Köln Lindenthal, einem wunderschönen Stadtteil in Köln. Alles schien perfekt zu sein bis mich eine Freundin überredete mit ihr eines Abends wegzugehen. Dort lernte ich Nuru kennen. Ich verliebte mich in diesen Mann. Ich beendete meine Beziehung zu Gero und beendete damit auch mein perfektes Leben, mein Paradies.

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Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Nachtrag

Nachwort

Kapitel 1

„Es tut mir leid“, sagt der Arzt, nachdem er auf die große Uhr an der Wand schaut. „Wir haben es nicht mehr vor Mitternacht geschafft. Wir haben 00:04 Uhr. Aber ich kann Ihnen nun versichern, es ist ein Mädchen.“ Ich folge seinem Blick und da höre ich sie.

Dieser Schrei. So einzigartig, verletzlich und wunderschön. Ich beobachte die Ärzte. Mein Herz scheint vor lauter Aufregung zu explodieren. Meine Augen folgen dem Arzt, der sie auf dem Arm hält. Gib sie mir! Jetzt! Sofort!

Der Arzt murmelt etwas, aber ich höre nicht mehr zu. Ich starre auf dieses kleine Bündel. Endlich! Vorsichtig wird sie mir auf die Brust gelegt. Ich kann meine Tränen nicht mehr stoppen. Ganz vorsichtig berühre ich dieses kleine Wesen. Für einen Moment bleibt die Welt stehen. Ich höre nicht, was die Ärzte sagen, fühle nicht, was sie an meinem Bauch machen. Sie ist so wunderschön. Plötzlich wird sie mir aus dem Arm genommen. Die Ärzte diskutieren hin und her. Gibt mir mein Baby zurück! Was passiert hier? Ich schaue Nuru an, der rechts von mir sitzt. Er lächelt. Warum bin ich dann nur so beunruhigt? Die Ärzte geben Nuru das Baby. Er hält sie lächelnd im Arm. Sie sieht so friedlich aus. Ich sehe zwei Arme vor mir. Sie greifen mein Baby, nehmen sie ihm weg. „Es sind nur Vorsichtsmaßnahmen“, höre ich den Arzt zu mir sprechen. Misst, ich habe nicht zugehört, was der Arzt zu mir gesagt hat. „Wie bitte?“, frage ich ihn verwirrt und versuche ihn dabei anzuschauen. Doch mein Blick schweift nach rechts. Was machen sie denn? Die Krankenpflegerin ist mit ihr um die Ecke des Raumes gegangen. Ich kann sie nicht mehr sehen. „Durch die Lungenreife, die sie ja vor kurzem bekommen hat, wird es ihr schnell gut gehen. Aber trotz aller dem ist ihre Tochter fast sechs Wochen zu früh gekommen und sie ist sehr zierlich. Sie wird unter anderem gerade gesäubert und gewogen. Dann wird sie in die Frühchen Abteilung gebracht. Dort wird ihr bei der Beatmung geholfen. Sie können sie sicherlich morgen Mittag besuchen. Bedenken Sie, Sie haben gerade eine OP hinter sich. Sie wurden gerade eben wieder zugenäht. Durch die Betäubung werden Sie vorerst keine Schmerzen haben. Die Pflegerin kümmert sich jetzt um Sie.“ Dann dreht sich der Arzt um und verlässt den Raum.

Ich fühle mich leer. Morgen Mittag? 12 Stunden ohne mein Baby? Ich beobachte, wie die Pflegerin mit meinem Baby aus dem Raum geht. Ich würde am liebsten aufspringen und sie ihr aus den Händen reißen. Doch ich kann meine Beine nicht spüren. „Ich bringe sie jetzt wieder in den Raum von eben. Wir müssen wieder hier für die nächste Geburt alles frei machen. Ihr Mann kann uns gerne begleiten “, sagt eine freundliche Pflegerin zu mir und fährt mich aus dem Kreissaal.

„Ist sie nicht süß“, schwärmt Nuru als wir alleine in dem kleinen Raum sind. Nuru sitzt neben mir am Bett und hält meine Hand. Er strahlt über das ganze Gesicht.

Mein Herz freut sich über seine Worte. Ich muss lächeln. „Ja, sie ist wunderschön.“

All mein Sorgen, all meine Ängste mit Nuru sind verflogen, weit weg, tief in mir eingesperrt. Jetzt wird alles gut. Ich bekomme mein 'Happy End'.

„Ihre Hände sind so winzig und sie hat schon so viele Haare“, schwärmt Nuru weiter. „Ja, jetzt weiß ich auch, warum ich Sodbrennen hatte“, schmunzle ich.

Noch bis 3 Uhr sitzt Nuru neben mir. „Ich bin wirklich sehr müde und werde mal nach Hause fahren. Ist das ok für dich?“, fragt mich Nuru. Ich lächle ihn an. „Natürlich!“

Er gibt mir einen Kuss auf den Mund und verlässt danach das Zimmer. Da liege ich nun alleine. Jetzt, wo ich mich auf mich selbst konzentriere spüre ich die Wunde an meinem Bauch. Sie fängt an weh zu schmerzen. Kurz darauf kommt die Krankenpflegerin ins Zimmer. „Alles in Ordnung?“ „Ja. Ich merke nur langsam die Schmerzen.“ „Ich gebe Ihnen was gegen die Schmerzen. Das ist kein Problem.“

Das Warten in diesem Zimmer macht mich wahnsinnig. Zuerst muss ich stundenlang warten, bis ich überhaupt in dieses Zimmer kann. Dann soll ich auch noch warten bis ich mein Kind auf die Welt bringen kann, weil noch eine Frau in den Wehen liegt. Unfassbar! Und doch muss ich schmunzeln. Noch nicht mal das Valium hat geholfen. Meine kleine Maus wollte einfach raus. Und ich wollte noch nach Hause fahren. Gut, verrückt bin ich nun mal. Aber trotzdem unfassbar, dass die Ärztin mir keinen Krankenwagen geschickt hat. Als sie zu mir sagte: „Ich fasse ihren Fuß an, sie sollten mal ins Krankenhaus“, fehlten mir tatsächlich die Worte. Warum hat sie mir nicht gesagt, dass ich Wehen im 2 Minuten Takt habe?! Apropos, wann wirkt endlich das Schmerzmittel? Und Durst habe ich. Endlich geht wieder die Tür auf. „Es dauert nicht mehr lange, dann können Sie endlich in Ihr Zimmer. Es tut mir leid, dass Sie so lange hier warten müssen.“

„Alles gut. Wissen Sie, ich bin es gewohnt, dass bei mir alles anders läuft. Aber ich habe wirklich großen Durst. Ich weiß nicht mehr, wann ich zuletzt etwas getrunken habe.

Ich habe so Lust auf Cola.“ „Cola?“ Die Pflegerin muss lachen. „Ja, ich weiß auch nicht wieso. Ich hätte so gerne Cola.“ „Das kann ich Ihnen leider nicht geben. Aber ein kleines Glas Wasser schon. Sie dürfen noch nicht so viel trinken.“ „Oh schade. Aber gut, da muss ich wohl durch. Dann nehme ich das Wasser“, grinse ich.

Um 5 Uhr morgens werde ich mit dem Bett auf mein Zimmer gefahren. Ich bin sogar alleine auf dem Zimmer. „Wenn es Ihnen morgen Mittag soweit gut geht, dass Sie ein Stück gehen können, können Sie Ihre Tochter besuchen“, erklärt die mir die Pflegerin. „Wenn ich gehen kann?“, hake ich nach. „Ja, glauben Sie mir. Nach der OP ist das nicht einfach. In ein paar Stunden kommt eine andere Pflegerin zu Ihnen. Bis dahin versuchen Sie etwas zu schlafen.“

Ich versuche wirklich zu schlafen. Sicherlich nicke ich hier und da ein, aber richtig in den Schlaf finde ich nicht mehr. Zudem meine Brust auch schmerzt. Ach ja, meine Brust. Das habe ich total vergessen. Recht früh kommt die Visite. Der Arzt schaut sich meine Wunde an und scheint zufrieden. Die Pflegerin bleibt etwas länger.

Sie erzählt mir, dass ich meine Milch abpumpen könne. Sie würden mir eine Milchpumpe zur Verfügung stellen. Nach einigen Minuten kommt sie mit einem großen Gerät wieder. Sie erklärt mir die Funktion darüber, während ich es direkt an meinen Brüsten austeste. Wenn mir jemand mal erzählt hätte, dass ich so ein Ding an meine Brüste lasse, den hätte ich ausgelacht. „Sie bekommen übrigens heute noch eine Bettnachbarin“, berichtet mir die Pflegerin bevor sie das Zimmer wieder verlässt und mich mit der Pumpe alleine lässt. Oh mein Baby, hoffentlich trinkst du bald von meiner Brust. Nun, fürs Erste bin ich einfach erleichtert, dass meine Brust nicht mehr schmerzt.

Eine halbe Stunde später ist die Pflegerin wieder im Zimmer und nimmt mir die Milch weg, um sie in die Kühlung zu geben. Sie stellt mir ein großes Glas Wasser an den Abstelltisch. „Wenn Sie das Glas langsam getrunken haben, können wir gleich versuchen ein Stück zu gehen. Wir müssen auf Ihren Kreislauf achten. Wenn Sie später nochmal ein Stück gehen und es Ihnen dabei gut geht, dann können Sie auf Station 3 gehen.“ „Wenn ich das Glas leergetrunken habe und ich gehen kann, dann darf ich zu meiner Tochter, richtig?“, hake ich nach. Sie schmunzelt: „Richtig. Aber denken Sie dran, Sie müssen langsam machen. Ich bin gleich wieder da. Dann gehen wir zusammen.“

Sobald die Krankenpflegerin aus dem Zimmer ist, trinke ich das Glas auf ex leer. Ich setze mich an den Rand, halte mich mit einer Hand fest und stehe auf. Hui, dass also meint sie. Ich will mein Kind sehen. Sofort! Nicht erst in ein paar Stunden. Ein Schritt. Langsam, Mia. Noch einen Schritt und noch ein Schritt. Ich lasse die Bettkannte los. Plötzlich geht die Türe auf. „Frau Dupont! Sie sollten doch auf mich warten!“ Freundlich aber bestimmt kommt die Pflegerin auf mich zu. „Ich schaffe das. Sehen Sie!“ Sie bleibt neben mir stehen. „Ja, das sehe ich. Aber,...“ „Sie haben gesagt, wenn ich es schaffe zu gehen, darf ich mein Kind sehen“, beende ich ihren Satz.

Die Pflegerin stemmt die Hände in ihre Hüfte: „Ich habe gesagt, Sie sollten Ihr Glas langsam trinken und dann vorsichtig aufstehen.“ „Mir geht es gut, wirklich “, bettle ich.

„Nun denn. Gehen Sie wieder vorsichtig ins Bett. Gleich können Sie ihre Tochter sehen“, sagt die Pflegerin. „Ich schreibe meinem Freund, ob er gleich da ist, dann kann er mich ja begleiten“, ermuntere ich die Pflegerin. „Das wäre eine gute Lösung“, schmunzelt die Pflegerin und verlässt das Zimmer. Oh weh, ist mir vielleicht schwindelig. Fast wäre ich umgekippt. Aber das hätte ich niemals vor der Pflegerin zugegeben. Ich bin eine Löwin, durch und durch. Sofort schreibe ich Nuru, ob er vorbei kommt. Er antwortet sehr schnell, er sei sowieso schon in der Straßenbahn und gleich in der Uniklinik.

Keine 20 Minuten später öffnet sich meine Zimmertüre und Nuru steht vor mir. „Wo ist die Kleine?“, fragt er aufgeregt. „Sie ist doch auf Station 3. Wir dürfen zusammen dort hin. Ich muss nur langsam machen. Mein Kreislauf will noch nicht so ganz “, erkläre ich ihm.

Ich setze mich wieder an den Bettrand und stehe vorsichtig auf.

Station 3. Der Fahrstuhl geht auf. Ich bin so aufgeregt. Ich habe das Gefühl mein Herz platzt vor Aufregung. Am Empfang steht eine junge Frau. Sie blickt auf als sie uns sieht. „Hallo“, begrüße ich sie, „Ich heiße Mia Dupont.“ Ich schaue zu Nuru. „Und das ist Nuru. Wir möchten gerne unsere Tochter besuchen.“ Die junge Frau lächelt: „Ja, kommen sie mit.“

Wir folgen ihr in dem recht dunklen Flur. Dabei schaue ich mich um.

Links kommt eine Tür, welche offen steht. Dort stehen verschiedene Brutkästen. Ich fühle mich befremdlich. Mir wird kalt. Diese armen Babys. Mein Baby liegt wohl auch in so einem Kasten drinnen.

„Kommen Sie bitte kurz mit hierein“, sagt die Pflegerin vor uns. Sie geht rechts in einen Raum hinein. Wir folgen ihr. „Das müssen Sie bitte hier anziehen “, sagt sie und hält uns einen blauen Kittel hin. Während wir uns den Kittel anziehen nimmt die Krankenpflegerin ein kleines Fläschchen aus einem Kühlschrank. „Das ist Ihre Muttermilch, welche Sie eben abgepumpt haben. Die wollte ich ihr jetzt gleich geben. Da sieh schon hier sind, können sie Ihrer Tochter natürlich das Fläschchen gerne selber geben.“ Ich lächle sie an. „Ja, dass wäre schön.“

Wir gehen weiter und biegen beim nächsten Zimmer links ab. Der Raum ist abgedunkelt und wirkt kühl. Die Pflegerin geht zum mittleren Brutkasten und bleibt daneben stehen. „Ich weiß, dass muss für sie beängstigend aussehen, sie in einem Inkubator zu sehen. Aber dort geht es ihr sehr gut. Sie bekommt hier genug Wärme und wie sie sehen können ist der Beatmungsschlauch schon zur Seite gelegt. Sie braucht ihn schon nicht mehr. Sie ist eine ganz starke Kämpferin.“ Ich gehe ganz nah zum Brutkasten und schaue von oben hinein. Dieses kleine Wesen, eingemummelt in diesem Kasten. Ich habe den großen Drang den Brutkasten aufzumachen und mein Baby in meinen Arm zu nehmen. Die Pflegerin legt die Flasche zur Seite, öffnet den Inkubator an der Seite und holt das kleine Bündel vorsichtig raus. „Setzen Sie sich ruhig dort vorne auf den Sessel. Ich gebe Ihnen Ihre Tochter auf den Arm sobald sie sitzen. Dann können Sie ihr Fläschchen geben.“ Ich setze mich voller Vorfreude auf den Sessel und freue mich gleichzeitig wieder sitzen zu können. Mein Körper will noch nicht so wie ich will.

Vorsichtig legt sie mein Baby in den Arm. Nuru stellt sich neben mich, beugt sich über die Kleine und gibt ihr vorsichtig einen Kuss auf die Stirn „Meine kleine Naomi- Jolie“, flüstert er. Ich bekomme die Flasche von der Pflegerin in die Hand gelegt. „Sie hat schon mehrmals getrunken. Wir haben ihr Frühgeborenen-Nahrung gegeben. Sie braucht Milch im Abstand von zwei Stunden. Das saugen fällt ihr noch recht schwer, aber das ist normal. Wenn Sie Hilfe brauchen, finden Sie mich vorne wieder“, erklärt uns die Pflegerin und lässt uns alleine. Ich halte zum ersten Mal in meinem Leben eine Flasche in der Hand. Vorsichtig führe ich sie an Naomis Lippen. Sofort öffnet sie den Mund und fängt an zu saugen. Nuru macht währenddessen Fotos von uns. Mein erstes Foto mit Naomi. Stolz breitet sich in mir aus. Ich bin Mama. So langsam fange ich es erst an wirklich zu realisieren. „Kann ich sie jetzt füttern?“, fragt Nuru. Ich blicke auf und schaue auf seine großen, erwartungsvollen Augen. „Klar“, grinse ich, „Nimm sie ruhig.“ Nuru beugt sich über mich, hält mit einer Hand die Flasche fest und mit dem anderen Arm greift er vorsichtig um die Naomis Decke. Stehend gibt er ihr die Flasche.

Ich fühle mich erleichtert, zufrieden und sicher in diesem Moment. Alles um mich herum blende ich aus. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl. Eine halbe Stunde später kommt die Pflegerin wieder. „Hat alles gut funktioniert?“ „Ja“, antwortet Nuru. „Ich lege sie jetzt wieder ins Bett. Sie können aber gerne später wieder kommen. Bindung und körperliche Wärme brauchen Frühchen!“ „Und sie muss noch mindestens eine Woche hier bleiben?“, frage ich besorgt. Die Pflegerin legt Naomi in den Inkubator, schließt ihn wieder und dreht sich lächelnd zu mir um: „Ich denke nicht. In circa einer Stunde kommt der Arzt vorbei und wird es genau beurteilen können. Ich glaube aber, sie wird ganz bald schon in ein Wärmebett zu Ihnen ins Zimmer dürfen. Sie kommt mit der Atmung sehr gut zurecht.“ „Vielen Dank, für alles“, bedanke ich mich. Ich drehe mich noch einmal um und schaue auf den Inkubator. Es schmerzt mich mehr sie wieder zu verlassen.

„Ich geh dann mal wieder“, sagt Nuru als wir ins Zimmer ankommen. „Du weißt ja, ich hasse Krankenhäuser.“ „Ja, ich weiß“, antworte ich und ich werde schmerzlich daran erinnert, dass er mich die meiste Zeit während der Schwangerschaft alleine gelassen hat. Er gibt mir noch schnell einen Kuss bevor er geht. Kurz nachdem Nuru das Zimmer verlassen hat, erinnert mich die Pflegerin an die Pumpe und fragt, wie es mir geht. „Es geht. Jetzt wo ich wieder liege.“

Nachdem sie das Zimmer verlassen hat und ich mich an das Abpumpen der Milch begeben wollte, klingelt mein Handy. „Hallo Mama.“ „Hallo mein Kind. Wie geht es dir?“ „Ganz gut, soweit. Naomi ist nur noch nicht bei mir. Sie muss noch in so ein Wärmebettchen.“ „Oh ok. Ich würde gerne mit Sabrina vorbei kommen. Lukas muss arbeiten. Er schafft es leider nicht.“ „Ja, sicher gerne. Ich freue mich über Besuch. Wann würdet ihr denn kommen?“ „Wir würden uns gleich auf den Weg machen und wären in circa zwei Stunden bei dir.“ „Super. Ich freue mich.“ „Bis gleich.“

„Bis gleich.“ Während ich an der elektronischen Milchpumpe hänge, geht die Türe auf.

Es ist Nadia.

Freudestrahlend kommt sie ins Zimmer geflogen. „Wo ist die Kleine?“ Sie schaut sich um und ihr Strahlen vergeht. „Sie ist noch in einem Wärmebettchen“, antworte ich. „Und ja, ich muss hier wie eine Kuh die Milch abpumpen.“ Nadia zieht sich einen Stuhl neben mein Bett und grinst: „Was für eine Pumpe!“ „Oh ja! Horror, sag ich dir. Ich fühle mich wie eine Kuh. Nachher kommt meine Mutter vorbei. Wir können dann bestimmt gemeinsam runter zu ihr in den 3. Stock. Wenn du noch Zeit hast.“ „Ich habe heute nichts mehr vor. Ich mag nur die Kleine sehen. Wo ist mein großer Bruder?“ „Nuru ist schon weg. Er hasst doch Krankenhäuser.“

„Ach, Nuru. Das ist einer. Wie geht es denn Naomi?“ „Ganz gut soweit. Sie ist so süß.“

„Wie groß, wie schwer? Erzähl mir alles genau, wie das alles gestern passiert ist. Sie sollte doch erst im April kommen!“

„Naomi ist lustiger weise vier Minuten nach Mitternacht geboren. Sie ist 52 cm groß und wiegt 2610 Gramm“, fange ich an zu erzählen, während ich noch am Pumpen bin. „So eine dünne Maus!“

„Ja, dass ist sie, aber sie ist eine Kämpferin. Gestern hatte ich noch den Arzttermin. Es hat schon unheimlich wehgetan mit dem Bus dort hin zu fahren. Aber weißt du, ich konnte einfach nicht mehr im Bett liegen bleiben. Es sah so fürchterlich zu Hause aus. Also habe ich den Boden geputzt.“ „Ach Mia, du hättest mich doch anrufen können!“, unterbricht mich Nadia.

„Ja, ich weiß. Aber du kennst mich doch!“

„Ja, du kannst einfach nie still sitzen.“ Ich muss lachen. „Au“, jammere ich. „Das tut ja höllisch weh beim Lachen“, stelle ich entsetzt fest. „Oh, deine Narbe?“ Ich nicke.

„Das kann ich mir vorstellen. Was ist denn beim Arzt passiert? Nuru konnte mir nicht viel erzählen.“ „Als die Ärztin mich untersucht hat, hat sie plötzlich aufgeschreckt. Ich kann das Köpfchen fühlen. Der Muttermund ist jetzt über zwei cm offen.“

„Sie konnte das Köpfchenfühlen?“ „Ja“, bestätige ich. „Dabei waren die Füße ja unten, nicht der Kopf. Dann hat sie mich an den Wehenschreiber gelegt und darauf hat sie gemeint, ich solle mal ins Krankenhaus. Dann gab sie mir einen Überweisungsschein und entließ mich.“

„Mehr hat sie nicht gesagt?“ Nadia schaut mich mit großen Augen an. „Nein. Deswegen habe ich erst überlegt nach Hause zu fahren und ein paar Sachen zu packen, falls ich da bleiben müsse. Als ich aber am Rudolfplatz ankam, wurden die Schmerzen im Unterleib immer schlimmer. Dann dachte ich, ich fahre direkt ins Krankenhaus. Ich wollte in die nächste Straßenbahn einsteigen, da sprach mich ein Mann an, ob alles ok mit mir sei. Ich meinte, es geht. Ich müsse wohl ins Krankenhaus. Der Mann war wohl entsetzt.“ Ich muss lachen als ich drüber nachdenke. „Au! Warte kurz. Ich bin fertig mit pumpen. Ich mache das gerade weg. Dann erzähle ich weiter.“ Ich mache die Pumpe von meiner Brust ab, schließe meinen BH wieder und ziehe den grauen Pullover wieder richtig an. Nein, ich schäme mich interessanterweise kein bisschen.

„Also“, fange ich an. „Wo waren wir nochmal?“ „Das der Mann entsetzt war“, erinnert mich Nadia. „Ach ja. Der Mann fragte mich, ob ich wirklich vorhatte mit der Straßenbahn zu fahren. Ich meinte, ja schon. Er sagte, ich solle mir doch bitte ein Taxi holen. Während er das sagte, bekam ich eine sehr starke Wehe. Ich atmete schwer und krampfte ein wenig zusammen.“

„Mia“, unterbricht mich Nadia. „Du wolltest mit der Straßenbahn fahren?“

„Ja“, grinse ich.

„Mir war nicht bewusst, dass das so starke Wehen sind. Ich dachte, dass sei normal. Die Ärztin hat mich ja auch noch zu Fuß gehen lassen. Nun, der Mann hielt mich am Arm fest und begleitete mich zum Taxi. Gott sei Dank, gibt es ja dort einen Taxistand. Hier angekommen haben die mich erstmal in den Flur gesetzt, ich solle warten.“ „Bitte was?“ Ich zucke mit den Schultern. „Dabei habe ich mir mal die Überweisung angeguckt, die mir die Ärztin fürs Krankenhaus mitgegeben hat. Da steht drauf, dass ich Wehen im zwei Minuten Takt habe. Da wurde mir erst bewusst, dass es ganz schön ernst war. Irgendwann kam dann mal jemand, dem ich endlich die Überweisung geben konnte. Jetzt halt dich fest. Sie schickten mich in einen Raum, wo ein Bett stand. Dort kam ich an einen Wehenschreiber. Der Arzt entschied sich dafür mir Valium zu geben, um die Wehen aufzuhalten, da noch eine Frau gerade ihr Kind gebar. Ich rief dann Nuru an und fragte, ob er kommen kann. Er brachte mir eine Tasche für Naomi und mich mit. Ich glaube, er war so gegen 20, 21 Uhr da. Ich sag dir, mein Bauch tat wirklich weh! Und ich musste noch bis nah 23 Uhr warten, bis es endlich weiter ging. Ich fing schon an zu stöhnen vor Schmerzen. Das geilste war, nachdem sie Naomi geholt hatten meinte der Arzt zu mir, dass sei ganz schön knapp gewesen. Sie wäre fast unten raus gekommen. Ach, was! Nachdem ich 7 Stunden im Krankenhaus mit Wehen sondergleichen warten musste. Hätte ich nicht gedacht.“ „Ach du Schreck! Das ist ja kaum zu glauben.“ Nadia wird von meiner Geschichte mitgerissen.

„Ich habe das Ganze auch noch nicht wirklich realisiert. Es ist so als ob ich von einem Film erzähle.“ Die Türe geht auf und der Arzt kommt rein.

„Guten Tag“, begrüßt er uns. Er blickt zu Nadia: „Ich muss sie leider bitten kurz vor die Türe zu gehen. Ich muss gerade nach der Wunde der Patientin schauen.“ „Sicher“, nickt sie und geht hinaus. Der Arzt ist ganz zufrieden mit meiner Narbe. Er erklärt mir, dass sich Naomi so gut macht, dass sie wahrscheinlich heute noch auf mein Zimmer dürfe. Mein Herz macht Sprünge. Als der Arzt weg ist berichte ich sofort Nadia von der guten Neuigkeit.

Kurz darauf trudeln auch schon meine Mama und meine Schwägerin ein. Das Gehen fällt mir immer noch schwer. Immerhin tut es nicht mehr so weh, wie heute Mittag. Naomi nochmal kurz in einem Armen zu halten erfüllt mein Herz. Gleich ist sie endlich bei mir. Ich weiß nicht, wie ich es eine Woche ohne sie ausgehalten hätte.

Als meine Mama Naomi im Arm hält sehe ich Tränen ihre Wangen runter kullern. Da wird sie mit 49 Jahren Oma. Sie sieht absolut nicht aus wie eine Oma.

Und ich bin endlich Mama! Dabei bin ich erst 24 Jahre alt und sehe aus wie 16 Jahre. Naomi, mein kleiner Engel. Schon so lang habe ich auf dich gewartet! Seit ich 14 Jahre alt bin sehne ich mich nach einem Baby, nach einer Familie. Dabei hatte ich zu dieser Zeit noch nicht mal meinen ersten Kuss.

Als wir wieder ins Zimmer kommen entdecke mich ein zweites Bett. Aber niemand ist im Zimmer. Ich sehe eine Tasche neben dem Bett.

Ab jetzt bin ich wohl nicht mehr alleine.

Nachdem sich alle verabschieden und ich wieder alleine im Zimmer bin Reise ich mit meinen Gedanken weiter in meine Vergangenheit. Ich sehe mich vor mir, wie ich meinen 15. Geburtstag feire. Draußen, an meiner Lieblingsstelle auf einer Wiese. Ich bin das erste Mal richtig betrunken und erlebe vor dem Lagerfeuer mit meinem damaligen Freund meinen ersten, richtigen Kuss. Es war so nass und ekelig. Ich muss schmunzeln. Ob sich für jeden der erste Kuss nicht schön anfühlt? Immerhin liebe ich es jetzt zu küssen. Ich weiß noch, wie meine Freunde dann runter an die Mosel wollten. Ich wollte den Berg nicht runter gehen, so mitten in der Nacht. Aber gegen den Rest hatte ich keine Chance. Immerhin sind es mindestens zwei Kilometer bis ans Wasser. Als wir dort ankamen wollten zwei Mädels ins Wasser.

„Ihr spinnt doch“, rief ich. Sie ließen sich natürlich nicht aufhalten, zogen sich aus und sprangen rein. Wie gefährlich das hätte sein können, war mir damals überhaupt nicht bewusst. Die Mädels hatten auf jeden Fall ihren Spaß. Ich regte mich auch nicht mehr auf. Dafür war ich viel zu betrunken. Ich kicherte vor mir her. Mein Freund stand neben mir mit einem Bier und lachte. Ich erinnere mich nicht mehr, wie wir den Berg hochgekommen sind. Ich weiß nur noch, als ich oben im Zelt war, habe ich mich auf einem Schlafsack übergeben. Meine Freundin lachte, obwohl es ihr Schlafsack war und brachte ihn vors Zelt.

Die Türe geht auf. Eine Krankenpflegerin betritt den Raum und schiebt etwas hinter sich her. Als ich in ihr freundliches Gesicht blicke, wird mir warm ums Herz. Es fängt an wie wild zu pochen. Sie schiebt das Babybett zu meiner linken Bettkannte. Ich richte mich auf und blicke hinein. Da liegt sie, meine Naomi. Ich muss mich schwer zusammenreißen, nicht vor Freude zu weinen. „Hier ist Ihr kleiner Engel. Sie hat sich schon so gut entwickelt“, berichtet die Krankenpflegerin.

„Was sie noch braucht, wie alle anderen Frischgeborenen, ist viel Wärme. Sie muss immer eine Mütze tragen. Deshalb hat sie jetzt auch diese Wollmütze auf. Sie können ihr natürlich auch etwas anderes anziehen. Wichtig ist nur, dass sie etwas auf dem Kopf hat, da sonst zu viel Wärme verloren geht. Was auch ganz gut hilft, ist Körperwärme. Wenn Sie obenrum keine Kleidung tragen und Naomi nur die Windel an hat und Sie sie auf ihre Brust legen und darüber natürlich eine Decke. Das gibt nicht nur viel Wärme, sondern auch viel Liebe, für beide.“ Ich muss Lächeln.

„Das klingt wunderbar. Können wir das gleich machen?“

„Sicherlich“, nickt die Krankenpflegerin. „Wir können sie auch gerne erstmal zusammen wickeln, wenn Sie das möchten. Damit haben viele Mütter beim ersten Mal Probleme. „Oh ja, das wäre sehr nett.“

Ich stehe vorsichtig auf und gehe zum Bett, um sie ganz vorsichtig rauszunehmen. „Legen Sie sie am besten hier hin.“ Die Pflegerin zeigt mir gegenüber die Wickelecke, der ich zuvor noch keine Beachtung geschenkt habe. Ich versuche sie ganz langsam auszuziehen. „Sie fühlt sich an wie eine Puppe. Ich habe Angst ihr weh zu tun“, sage ich.

„Das verstehe ich, da sie so zart ist. Aber machen Sie sich keine Sorgen. Sie tun ihr nicht weh.“

Das Wickeln fällt mir wirklich schwer, weil sie einfach so dünn ist.

Der Rest von der Nabelschnur ist auch noch im Weg. Nach dem Wickeln nehme ich die schlafende Prinzessin wieder auf den Arm und gehe mit ihr ans Bett. „Soll ich sie gerade nehmen?“ fragt die Krankenpflegerin.

„Oh ja, dass wäre nett“, sage ich. Ich muss mich ja noch obenrum ausziehen. Die Pflegerin legt mir Naomi auf meine Brust und deckt erst sie mit einer kleinen Decke und dann uns beide mit der großen Decke zu. „Ich lasse Sie dann mal alleine. Wenn was ist, klingeln sie ruhig“, erklärt die Krankenpflegerin. „Dankeschön“, sage ich und bin nun alleine im Zimmer.

Da liegt sie am Schlafen und sieht dabei wunderschön aus. Ihren Körper auf meinen zu spüren ist unbeschreiblich. Ich bin verliebt. Plötzlich überkommt mich eine Müdigkeit und mir wird bewusst, dass ich nicht wirklich geschlafen habe. Mit Naomi auf mir nicke ich ein.

Stimmen in meinem Ohr. Sie werden lauter. Ich öffne meine Augen und blicke auf Naomis Kopf und muss grinsen. Diese Schmetterlinge in meinem Bauch fühlen sich wundervoll an. Ich gebe ihr einen Kuss aufs Mützchen bevor ich meinen Kopf nach links drehe. „Hallo“, werde ich von einer Frau im Bett neben mir begrüßt.

„Hallo“, grüße ich zurück. „Eine Bettnachbarin.“

„Ja“, lächelt sie. „Als ich ankam war hier niemand, Ich bin dann mit meinem Mann und meinem Sohn in die Cafeteria.“

„Hallo“, werde ich von einer männlichen Stimme begrüßt. Vor ihrem Bett sitzt ein lächelnder Mann mit einem runden Bauch. „Hallo“, grüße ich zurück. Die Badezimmertüre geht auf und ein Junge kommt heraus. Er setzt sich zu der Frau ans Bett. „So mein Schatz. Ihr müsst jetzt fahren. Wir sehen uns morgen wieder.“ Sie umarmt den Jungen und gibt ihm einen Kuss. „Ich bin übrigens Klaus“, stellt sich der Mann vor und zieht dabei seine Jacke an. „Ich heiße Mia.“

Er kommt zu mir rüber und reicht mir die Hand. „Ich heiße Melanie und das ist Max“, stellt sich meine neue Bettnachbarin vor. „Hallo, ihr zwei“, sage ich und winke dabei.

Als ich mit Melanie alleine bin unterhalten wir uns sehr lange. Melanie hat ihr Baby noch im Bauch. Aber das Fruchtwasser ist nicht mehr in Ordnung. Daher muss sie zur stetigen Kontrolle schon ins Krankenhaus.

„Es kommt bestimmt übermorgen, am 29.2.“ zieh ich sie lachend auf. „Oh nein“, lacht sie. „Die Ärzte meinen, sie versuchen ihn noch ein paar Tage drinnen zu lassen.

„Es kommt übermorgen“, wiederhole ich mich und lache nochmal. „Autsch! Ich habe die Narbe total vergessen.“ „Strafe!“, lacht Melanie. Ich grinse und versuche dabei nicht mehr zu lachen. Vorsichtig lege ich Naomi wieder in ihr Bettchen. Meine Blase drückt langsam doch sehr.

„Sollen wir sie wirklich nicht mit ins Babyzimmer nehmen?“, fragt mich die Krankenpflegerin nochmal. „Nein“, gebe ich wieder zur Antwort. „Wir sind rund um die Uhr für sie da und sie können nochmal schlafen. Nutzen Sie diese Zeit.“

Genau in diesem Moment fängt Naomi wieder an zu weinen. „Ja, ok. Aber nur diese Nacht.“

Die Krankenpflegerin grinst erleichtert. Gemeinsam bringen wir sie in den Raum. Dort liegen schon andere Babys. Die Verabschiedung fällt mir sehr schwer. Anschließend zeigt sie den Rest der Etage. Wo ich Windeln finde, Wechselsachen, Auflagen, einfach alles was man als frische Mama gebrauchen kann.

Nachts, nach meinem Abpumpen bringe ich die Flasche zu Naomi. Schlaftrunken setze ich mich mit ihr auf einen Stuhl und gebe ihr die Flasche. Ich vermisse sie schrecklich und bin froh, sie auf meinem Arm zu halten. „Ach herrje. Sie müssen ihr die Flasche nicht geben. Die Babys liegen hier damit sie sich ausruhen können“, flüstert eine Krankenpflegerin als sie mich sieht. Ich blicke zu ihr. „Ich war doch eh wach durch das Pumpen. Ich bin gerne Mama. Mir ist der Schlafmangel egal. Ich habe das nur getan, damit meine Bettnachbarin heute schlafen kann.“

In der Nacht wiederhole ich den Vorgang noch zwei Mal. Ganz leise tipple ich jedes Mal aus dem Zimmer. Die Krankenpflegerinnen sagen nichts mehr, wenn sie mich sehen. Sie schmunzeln nur noch.

Morgens früh wird mir Naomi wieder gebracht. „Ich denke, Sie wollen sie wieder bei sich haben, “ sagte die Krankenpflegerin. „Ja, danke. Ich habe sie so sehr vermisst.“

„Du arme. Sag mal, du hast das doch nicht wegen mir gemacht?“, fragt mich Melanie.

„Ja doch. Damit du schlafen kannst.“

„Du Nudel. Ich weiß doch wie das ist. Wenn du sie im Zimmer haben möchtest dann lass sie doch im Zimmer. Dann werde ich mal wach. Aber ich kann mich ja dann wieder umdrehen und weiterschlafen“, sagt Melanie.

„Du bist selber eine Nudel. Aber danke dir. Ich muss zugeben. Sie hat mir die Nacht sehr gefehlt.“

Tagsüber laufe ich viel mit Naomi die Etage rum. Als mich Nuru besucht bin ich mit meinen Gefühlen durch den Wind.

In der Schwangerschaft ist zwischen uns so viel Schlimmes passiert. So viele böse Worte hat er zu mir gesagt. Ob durch Naomi alles wieder gut wird?

Nuru ist nicht lange zu Besuch geblieben, wie immer. Aber mit Melanie neben mir habe ich eine angenehme, ruhige Bettnachbarin. Tatsächlich bin ich froh, einfach die Zeit mit Naomi zu genießen. Sie anzuschauen, nackt bis auf die Windel auf mir zu haben und sie zu spüren, sie zu riechen und zwischendurch zu schlafen.

Nach dem Abendessen stille ich Naomi noch einmal. Nachdem ich mich bettfertig gemacht habe wickle ich sie und mache sie auch bettfertig. „Schlaf gut mein Schatz.“ „Heute kommt niemand fragen, ob sie Naomi über Nacht nehmen sollen“, lacht Melanie. „Sie haben es wohl verstanden und schließen bestimmt wetten ab, wann ich sie nachts bringen werde“, schmunzle ich. „Schlaf gut Melanie und schau ruhig weiter fern. Mich stört es nicht. Ich muss ja eh ständig aufstehen“, sage ich. „Schlaf du auch gut, Mia. Ich höre ab jetzt mit Kopfhörer“, flüstert sie.

Fast alle zwei Stunden werde ich wach, entweder um Naomi zu stillen oder um abzupumpen. Dieser Mix aus Beidem ist sehr anstrengend. Aber sie hat noch nicht die Kraft nur von meiner Brust zu trinken also pumpe ich zusätzlich noch. Aus der Flasche trinkt sie leider viel besser. Ich gebe nicht auf und nehme alles in Kauf.

Morgens früh freue ich mich auf das Frühstück. Wenn man so viel wach ist hat, man auch früh Hunger. Daran muss ich mich erst noch gewöhnen. Nach der Visite wasche ich mich am Waschbecken und ziehe mich an. Die Narbe schmerzt schon noch ganz gut, ganz besonders wenn ich lache. Während ich abpumpe wird Melanie von einer Krankenpflegerin abgeholt. Ihr Fruchtwasser sollte nochmal untersucht werden. In der Zwischenzeit mache ich es mir mit Naomi gemütlich. Ich genieße jede Sekunde mit ihr. Das Abpumpen im Zweistundentakt läuft langsam automatisiert. Trotzdem stille ich sie jedes Mal. Mit jedem Mal wird es besser. Nach dem Abpumpen lege ich mir Naomi wieder auf meine Brust und verfalle in meine Gedanken.

Kapitel 2

Als ich Nuru kennenlernte war ich gerade mal 20 Jahre alt. Ich war mitten in meiner Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau und arbeitete im Jupiter auf der Hohe Straße. Außerdem war ich mit meinem Arbeitskollegen verlobt und lebte in Köln - Lindenthal. Meine Noten waren exzellent. Auf der Arbeit übernahm ich eine neue Aufgabe. Ich war für die Bestellungen der Bilderrahmen zuständig. Mein Freund Gero arbeitete in meiner Abteilung und war sogar einer meiner Ansprechpartner. Wir sahen uns also den ganzen Tag und stritten uns dabei nie. Wir waren ein eingespieltes Team, waren gerade erst zu seinen Eltern ins Haus nach Lindenthal gezogen und bewohnten die untere Wohnung direkt in Park Nähe. Auf dem Weg zur Arbeit laß ich Harry Potter auf Englisch. Alles war einfach perfekt, wie in einem Märchen. Eines sonntags morgens stand ich im Gästezimmer und schaute aus dem Fenster. Ich beobachtete die Vögel. Zwischendurch betrachtete ich meinen Verlobungsring und blickte dann wieder raus. Nach der Ausbildung würde ich heiraten, zwei Kinder bekommen und ... und dann? Mein Herz fing an zu pochen. In diesem Moment ging etwas in mir verloren. Das konnte doch nicht alles gewesen sein? Aber es war doch das, was ich schon immer wollte! Auch wenn ich noch so jung war. Ich dachte über unsere Beziehung nach. Wir stritten uns nie. Das war doch gut. Aber wir lebten zu Hause meistens jeder für sich. Ich tanzte viel im Wohnzimmer und er zockte im Gästezimmer. Wir redeten über den Alltag, aber tiefgründige Themen hatten wir noch nie. Im Grunde genommen waren wir sehr verschiedene Menschen. Manchmal fuhren wir zusammen Fahrrad oder spielten Basketball. Das waren schöne Momente, die ich sehr genoss. Aber da hörte es auch schon auf.

Nun, zu dem Zeitpunkt waren wir über ein Jahr zusammen. Vielleicht war dieses Gefühl nach einem Jahr normal. Die erste Einöde. Das würde schon wieder werden, redete ich mir damals ein.

Im Januar flogen Gero und ich nach Irland. Wir schliefen in einem Bed und Breakfast. Ich freute mich so unheimlich darauf, endlich wieder in Irland zu sein. Ich bin mit 18 Jahren für ein Jahr als Au Pair in Irland gewesen und wollte unbedingt meine Freunde wiedersehen. Den letzten Abend verbrachten wir mit John in einem Pub. Er begleitete uns zum Bed und Breakfast. Ich ging mit John ein wenig abseits von Gero.

„Bist du glücklich?“, fragte mich John plötzlich auf Englisch. „Ja“, grinste ich.

Doch John schüttelte den Kopf. „Du lachst, aber dein Herz lacht nicht. Ich kenne dich. Du strahlst nicht wie sonst. Bist du wirklich glücklich?“ Ich hörte auf zu grinsen. Ich blickte nach vorne und sah Gero vor uns gehen. „Doch, ich liebe ihn“, sagte ich. „Hör auf dein Herz, Mia“, sagte John. Ich sah ihn an und lächelte. „Das tu ich.“ „Ich bin verlobt und werde heiraten. Wir streiten uns nie. Gero ist immer freundlich.“ In dem Moment drehte sich Gero um und grinste. „Wir sind jetzt da.“ Ich nickte, drehte mich zu John und umarmte ihn. „Danke, für deine ehrlichen Worte.“

Heimlich wischte ich mir eine Träne weg, löste mich von John und ging zu Gero.

Im Mai überredete mich meine Arbeitskollegin mit ihr in eine Bar zu gehen. Ich bin während meiner Ausbildung nie ausgegangen. Früher war ich oft weg. Seitdem ich mit Gero zusammen war hatte ich kein Interesse mehr dafür. „Komm schon. Nur das eine Mal“, bat mich Rita. Sie fragte mich so lange bis ich nachgab und wir zusammen losgezogen sind. „Hier ist das Fillini“, sagte sie freudig als wir davor standen. Wir waren in einer Seitenstraße neben den Ringen. Das hier hätte ich nie gefunden. Das sich mein Leben fortan ändern würde, nachdem ich die Bar betreten hatte, hätte ich niemals in Erwägung gezogen. Und wenn ich das gewusst hätte, hätte ich sie vielleicht nie betreten. Aber wahrscheinlich würde ich es immer und immer wieder tun.

Die Bar war nicht groß. Rechts war eine lange Theke. Dort saßen 3 dunkelhäutige Männer und unterhielten sich auf einer anderen Sprache. Es war trotz der Musik nicht sehr laut dort. Hinter der Theke stand ganz rechts ein Mann und blickte hinunter. Anscheinend war das der DJ. „Komm“, sagte Rita und nahm meine Hand. Wir setzten uns an einen Tisch in der Mitte des Raumes. Als ein Kellner kam bestellte ich eine Cola. „Die schauen zu uns rüber“, grinste Rita. „Du grinst sie ja auch an“, lachte ich. Wir unterhielten uns gerade über die Arbeit, da tippte Rita plötzlich gegen meinen Schuh.

„Da kommen zwei zu uns“, flüsterte sie. Ich saß mit dem Rücken zu ihnen und nippte nervös an meiner Cola. „Hi“, begrüßten sie uns. „Ich bin Amadou und das ist mein Cousin Kasim.

„Ich bin Rita und das ist meine Freundin Mia“, stellte uns Rita vor. Die zwei Männer standen neben uns. Das waren nicht die, die ich eben gesehen hatte. Der eine war sehr groß und muskulös, der andere etwas kleiner und schmal. „Kommt doch rüber zu uns“, sagte der große, Amadou.

„Ja, klar gerne“, freut sich Rita. Oh nein, was machte sie da nur? Die wollten uns doch nur anmachen! Ich war recht still, ging aber mit, da mir nicht wirklich eine andere Wahl blieb.

Wir gingen zum anderen Ende der Theke, wo dahinter der DJ stand und setzten uns vor ihm hin. Rita lachte viel und unterhielt sich auf Englisch mit ihnen. Ich hielt mein Glas eisern fest, nippte immer wieder dran und sah zum DJ auf. Er grinste mich an. Seine Zähne waren schneeweiß, seine Haut war im Gegenzug so dunkel. Die Haare versteckte er unter einem schwarzen Tuch. Wie dieser Mann mich anstrahlte. Seine Augen waren faszinierend schön. Ich musste einfach zurückstrahlen.

„Ich bin gleich wieder da“, tippte mich plötzlich Rita von der Seite an.

„Ich gehe mit den Jungs draußen was rauchen.“ „Ok“, gab ich zur Antwort. Ich schaute ihnen nach. „Du gehst nicht mit?“ fragte mich der DJ plötzlich und beugte sich dafür etwas zu mir vor. „Nein“, grinste ich.

„Ich rauche nicht.“ „Ich bin Nuru“, stellte er sich mir vor und reichte mir seine Hand. „Ich bin Mia.“ Seine Hand fühlte sich warm an. Seine Finger waren lang und dünn. „Du warst noch nie hier, stimmt’s?“, fragte mich Nuru. „Nein, ich gehe eigentlich nie weg. Rita hat mich heute überredet“, erzählte ich ihm. „Na zum Glück. Sonst wäre ich ja jetzt alleine.“ Ich lachte.

Nuru fing an über sich zu erzählen. Das er Klavier spielen würde, aufs Gymnasium hier in Köln gegangen ist, gerade seinen Autoführerschein abgeholt bekommen hat und dass er viele Geschwister hat. Ich versank in seiner Erzählung und hörte ihm wie im Rausch zu. Sein Leben klang aufregend, traurig und wunderschön zugleich. „Du scheinst dich ja gut zu amüsieren“, lachte Rita neben mir. Gut, dass es so dunkel war. Denn ich wurde knallrot im Gesicht. Wie konnte mir das denn passieren? Das ich mit ihm überhaupt gesprochen habe?! „Ja, du hast ja auch eine wunderschöne Freundin mitgebracht“, lachte Nuru und strahlte mich dabei an. In diesem Moment zerschmolz ich. So musste sich das angefühlt haben als Eva in den Apfel biss. Es war so verführerisch, anders, nicht perfekt und doch wunderschön.

Wir unterhielten uns noch eine Weile alle zusammen. Ich hatte lange nicht mehr so viel gelacht. Es fühlte sich so gut an, so echt, lebendig. „Kommt doch nächste Woche ins Schwanstein. Ich lege dann auf“, sagte Nuru als wir unsere Jacken anzogen. „Sehr gerne“, freute sich Rita sofort. „Sicherlich“, grinste ich. Zum Abschied gab er mir links und rechts auf die Wange einen Kuss.

Dabei kamen wir uns sehr nahe. Er roch gut, so anders. Es fühlte sich so fremd und gleichzeitig so vertraut an.

Auf dem Heimweg lachte mich Rita aus. „Was lachst du so?“, schimpfte ich. „Ach komm“, lachte Rita und schubste mich zur Seite. „Du hast dich verknallt!“

„Quatsch! Ich bin doch vergeben!“, protestierte ich und schüttelte dabei mit dem Kopf. „Ja und? Bist du denn glücklich?“, fragte mich Rita.

Es wurde still. War ich wirklich glücklich? „Ich weiß es nicht mehr, Rita.“ Sie umarmte mich von links. „Höre auf dein Herz“, flüsterte sie in mein Ohr. Arm in Arm gingen wir schweigend aber grinsend zur Straßenbahn.

Gero schlief als ich heim kam. Ich zog mich leise aus und legte mich ohne meine Zähne zu putzen ins Bett, um ihn nicht aufzuwecken. Ich legte mich auf den Rücken und atmete tief ein. Warum musste ich an einen anderen Mann denken? Ich drehte meinen Kopf zu Gero. Liebte ich ihn noch? Konnte Liebe einfach so verschwinden? Ich musste an die Worte meines Freundes in Irland denken. Als wir im Januar dort waren und wir nach dem Pub Richtung Bed and Breakfast gingen fragte John mich: „Ist alles gut bei dir? “

„Ich denke schon. Ich bin doch endlich wieder in Irland“, lächelte ich. Damals hatte ich Johns Worte nicht ernst genommen. Aber nun wurde mir bewusst, dass ich wohl im Januar nicht mehr glücklich war. Aber wieso? Gero hatte mir doch nichts getan. Nein, es war bestimmt nur eine Phase!

„Viel Spaß!“, wünschte mir Gero als ich mich am Samstagabend verabschiedete. Warum war er nie eifersüchtig? Warum sagte er nicht irgendwas? Das ich gut aussah? Das ich auf mich aufpassen sollte? Das ich keine anderen Männer anmachen sollte? Er freute sich für mich. Innerlich war ich sehr aufgewühlt als ich die Türe hinter mir schloss.

An der Straßenbahn am Rudolfplatz traf ich Rita. Sie kannte den Weg zum Schwanstein, ich nicht. Als wir dort ankamen fühlte ich die Musik mit jeder Faser meines Körpers. Es lief R'n'B und Black Music. Ich wollte nichts trinken nur tanzen. Rita lachte. „Du Tanzmaus, lass mich mal ein Getränk für uns holen.“

Dann sah ich ihn, hinter dem DJ -Pult. Warum suchte ich so angestrengt nach ihm?

„Da sind sie“, sagte Rita in mein Ohr und gab mir meine Cola. Wir gingen zu den anderen Jungs neben dem DJ. Wir wurden beide mit Küsschen links und rechts begrüßt. Ich winkte Nuru zu. Er zwinkerte mir zu. Mein Herz fing an zu pochen. Es war eine berauschende Nacht. Ich fühlte mich frei und tanzte an der Seite der Tanzfläche. Plötzlich spürte ich jemanden hinter mir. Hände berührten meine Hüften. Ich drehte meinen Kopf um und blickte in Nurus strahlende Augen.

„Na du.“ „Hey“, begrüßte ich ihn und mein Herz pochte wieder wild. „Ich dachte schon, ihr kommt nicht mehr“, sagte er. „Ich war lange nicht mehr weg. Wie hätte ich mir das entgehen lassen können“, lachte ich ihn an. „Was trinkst du da?“, fragte er mich. „Cola“, antwortete ich ihm.

Er sah mich mit großen Augen an. „Was?!“, lachte ich.

„Ich besorge dir mal ein richtiges Getränk“, sagte er und verschwand. Nach einigen Minuten kam er wieder und drückte mir ein Glas in die Hand. „Was ist das?“, fragte ich ihn. „Probier!“, grinste er.

Ich nahm einen Schluck. Es brannte etwas in meinem Hals. „Whiskey-Cola“, flüsterte er in mein Ohr. „Ja, habe ich mir fast gedacht“, lachte ich. Wir unterhielten uns lange. Nuru war 29 Jahre alt. Ich hätte ihn jünger geschätzt. Ich würde im Sommer 21 Jahre alt werden. Er hatte noch eine Mutter, eine Schwester und einen Neffen in Köln. Der Rest seiner Familie war in Kongo. Nach drei Getränken war ich schon recht betrunken. Gegen fünf Uhr wurde es sehr leer. Nuru nahm mich nochmal an die Hand und wir tanzten miteinander. Er stand hinter mir und wir machten ein paar 'Moves'. Ich habe mich lange nicht mehr so lebendig gefühlt. Als wir nach draußen gingen tauschten wir unsere Nummern aus. „Aber ich habe einen Freund, dass weißt du. Das mache ich nur freundschaftlich, zum Weggehen“, sagte ich ihm. „Klar“, sagte er. Ich hatte mir versucht etwas schön zu reden. Eigentlich sollte ich das nicht. Doch der Alkohol ließ meine letzte Vernunft los.

„Du kannst auch noch was mit zu mir kommen. Nur so, noch ein wenig reden“, sagte Nuru plötzlich und nahm meine Hand. Ich blickte auf die Hand. Sie war warm. Mein Herz pochte. Mein Kopf fuhr Karussell. „Ok“, sagte ich, ohne ihn in die Augen zu schauen. „Fährst du nicht mit der Bahn?“, fragte mich Rita plötzlich, die vor mir ging.

„Ähm nein, ich fahre später heim“, nuschelte ich. Rita sah zu Nuru und grinste.

„Bis Dienstag, Mia.“ „Bis Dienstag“, antwortete ich und ging neben Nuru die Straße entlang. „Ich wohne nicht weit weg“, sagte Nuru und ließ meine Hand nicht los. Keine zehn Minuten später waren wir in seinem Appartement, mitten in der Stadt. Kaum war die Türe hinter mir zu drehte er sich um und küsste mich. Seine Lippen waren voll und weich. Seine Zunge berührte meine Zunge, erst leicht und dann wild. Seine Hände umschlangen meine Hüften. Plötzlich sah er in meine Augen, nahm erneut meine Hand und zog mich auf ein Bett. In Windeseile zog er mein Oberteil aus. Ich war wie im Rausch. Dann zog er sich selbst aus und kniete sich vor mich um meine Hose auszuziehen. Seine Hände berührten meine Beine, wanderten hoch dabei beugte er sich über mich um zu meinen Brüsten gelangen bis er ganz auf mir lag und mich auf den Mund küsste. Ich spürte sein hartes Glied zwischen meinen Beinen. Während seine Zunge in meinem Mund mich verrückt machte, drang er in mich ein. Ich spürte einen leichten Wiederstand. Doch mein Körper wollte ihn so sehr, dass er sich ihm leicht ergab. Ich umschlang ihn ganz fest und stöhnte auf. Dann nahm er mich fest in seine Arme und drehte mich um. So saß ich plötzlich auf ihm und fing an mich zu bewegen. Ich schloss meine Augen und stöhnte auf. Und dann, als ob ich plötzlich nüchtern war blieb ich wie erstarrt sitzen. „Was ist los?“, fragte mich Nuru unter mir. Ich öffnete meine Augen und blickte ihn an.

Es fiel mir wie Schuppen aus den Augen. „Ich darf das nicht. Ich habe einen Freund. Ich mache so was eigentlich nicht“, flüsterte ich erschrocken.

Nuru bemühte sich um ein Lächeln: „Es ist doch jetzt eh zu spät. Komm, mach weiter!“

Es ist der Moment, als Eva den Apfel fallen ließ, weil ihr bewusst wurde, dass es ein großer Fehler war.

„Nein. Ich kann das nicht“, sagte ich nochmal und stand einfach auf. In Sekundenschnelle zog ich mich an. „Das ist nicht dein ernst! Du lässt mich jetzt hier nicht so liegen!“, schimpfte Nuru. Ich hörte nicht hin, wollte nur so schnell wie möglich da raus. An der Türe drehte ich mich noch einmal zu ihm um: „Es tut mir leid“, flüsterte ich und ging nach Hause.

Ganz leise legte ich mich ins Bett, damit ich Gero nicht weckte. Irgendwann schlief ich ein. Als ich meine Augen öffnete blickte ich in Geros Gesicht.

„Guten Morgen, du warst aber lange weg“, grinste er. „Ja, Rita und ich waren noch im Mäcces um 5 Uhr etwas frühstücken.“ Bitte lass ihn jetzt nicht hören, wie mein Herz rast. Gero grinste und dann passierte das unfassbare. Er zog mich aus. Nein, bitte jetzt nicht. Wir hatten seit mehreren Wochen nicht mehr miteinander geschlafen. Warum gerade jetzt? Er gab mir einen Kuss. „Ich habe Lust auf dich.“ Ich grinste: „Ich merke es.“

Lass dir ja nichts anmerken, Mia. Ich küsste ihn zurück und zog ihn aus.

Nachmittags saß ich auf unserem Bett. Ich versuchte in mein Tagebuch zu schreiben. Ich musste Schluss machen. So ging das nicht weiter. Ich liebte ihn nicht mehr. Das konnte ich ihm nicht weiter antun. Ich fühlte mich, wie der schlechteste Mensch auf der Welt.

Und dieses schlechte Gewissen sollte mich noch viele Jahre begleiten.

Das war einfach nicht mehr ich. Tränen liefen über meine Wangen und tropften auf mein Tagebuch. Mir fehlte der Mut. Denn ich wusste, ich würde sein Herz brechen. So unterschiedlich wir waren, so wusste ich aber, dass er mich wirklich liebte.

Plötzlich ging die Türe auf. Gero trat ins Schlafzimmer.

Kapitel 3

Stimmen dringen in mein Kopf. Ich öffne die Augen. Melanie liegt neben mir. Neben ihr steht Klaus. Er hat ein Baby auf dem Arm. Max sitzt auf einen Stuhl. „Oh, mein Gott, es ist wirklich da“, murmle ich. Melanie lacht. „Du hattest Recht. Es ist ein Schaltjahrkind.“

„Das ist Felix“, lächelt Klaus und hebt seinen Arm ein wenig hoch, sodass ich in Felix` Gesicht schauen kann. „Sieht er süß aus“, freue ich mich.

Am Abend kommt eine Krankenpflegerin und fragt, ob sie Naomi mitnehmen soll.

„Nein“, meine ich. „Das habe ich mir fast gedacht“, grinst sie und verlässt das Zimmer wieder.

Ich liebe Naomi so sehr. Eine Sekunde ohne sie, ist die reinste Hölle für mich.

Am nächsten Tag besucht uns Nuru kurz. Ich schlafe oft kurz zwischendurch, da ich nachts im Zweistundentakt wach bin. Nachmittags gehe ich durch die Etage. Dort treffe ich einen Mann mit einem Baby auf dem Arm im Flur. „Sie haben ja ein hübsches Baby“, sagt er freundlich zu mir. „Danke, Sie aber auch!“ „Ich muss ihnen ehrlich sagen, dass mir aufgefallen ist seitdem ich Vater bin, wie viele hässliche Babys es gibt“, flüstert er. Ich grinse: „Ja, das ist mir auch aufgefallen.“ „Aber ihr Baby ist wirklich sehr schön“, betont er noch mal. „Ihrs auch, wirklich“, betone ich.

Wieder zurück im Zimmer rede ich noch ein wenig mit Melanie. „Morgen werde ich hoffentlich entlassen. Aber vorher müssen wir noch unsere Nummern austauschen“, sage ich.

„Na sicher doch“, grinst Melanie. Naomi liegt in ihrem Bett und schläft. „Ich hoffe, ich werde auch die Tage entlassen. Bisher war mit Felix aber alles in Ordnung“, meint Melanie.

Samstagmorgen, am 1.03.2008 wird Naomi zur U2 abgeholt. Als die Krankenpflegerin wieder zurückkommt legt sie mir Naomi nicht wieder ins Bett, sondern hält sie im Arm fest: „Die U2 ist fertig. Es ist soweit alles in Ordnung. Die Bilirubinwerte sind nur zu hoch“, erklärt sie mir.

„Was bedeutet das?“, frage ich. „Das heißt, sie hat eine Gelbsucht. Sie braucht eine Lichttherapie. Folgen sie mir doch. Wir bringen sie gemeinsam hin. Dort wir ihnen der Arzt alles genau erklären.“

Auf dem Weg dorthin gehen mir tausend Gedanken durch den Kopf. Gelbsucht! Das klingt so gefährlich. Hoffentlich bekommt sie keine Schäden dadurch. „Hier sind wir schon“, erklärt die Krankenpflegerin als wir einen kleinen Raum betreten. „Sie können Naomi dort bis auf die Windel ausziehen“, sagt sie. Ich lege Naomi vorsichtig auf die Ablage. Dabei öffnet sie ihre Augen und schaut mich an. „Alles wird gut“, flüstere ich.

Das Ausziehen fällt mir etwas leichter als am Anfang. Ich dachte zuerst, ich würde ihr was brechen, da sie so zart ist.

„Hallo“, ertönt eine dunkle Stimme hinter mir. Ich nehme Naomi auf den Arm und drehe mich um. Vor mir steht ein jüngerer, hochgewachsener Mann. „Hallo“, begrüße ich ihn und versuche zu lächeln. „Ich bin Dr. Lambert“, stellt er sich mir vor. „Sie dürfen mir Naomi anvertrauen. Darf ich sie haben?“ Er streckt mir die Arme entgegen. Sofort wird mein Herz schwer. Es schreit, nein, gib sie ihm nicht! Halte sie fest. Zögernd lege ich sie ihm in seine Arme. Dabei kullert mir eine Träne über meine Wange. Schnell wische ich sie mir weg. Hoffentlich hat das niemand gesehen.

Dr. Lambert legt Naomi vorsichtig in ein Wärmebett. Dann bedeckt die Krankenpflegerin ihre Augen. Ich stelle mich neben sie und fasse mir mit der Hand an den Mund vor Schreck. „Das hier nennt man 'Fototherapie' und ist völlig harmlos“, erklärt Dr. Lambert. „Sie hat nur die Windel an, damit so viel Haut wie möglich von dem speziell bläulichen Licht bestrahlt werden kann. Das Licht wandelt das Bilirubin um, die mit dem Urin dann wieder ausgeschieden werden.“

Ungewollt laufen mir Tränen über die Wangen als sie den Deckel schließen. „Waren Sie schon mal auf einer Sonnenbank?“, fragt mich der Arzt.

Ich blicke ihn an: „Ja.“ „Fühlt sich doch angenehm an, oder?“ „Ja“, überlege ich.

Dr. Lambert schaut lächelnd zu Naomi. „Sehen Sie, genauso geht es jetzt Ihrer Tochter. Es ist warm im Wärmebettchen. Es sieht vielleicht seltsam aus, da wir ihre Augen durch eine Binde bedecken mussten. Aber Sie haben ja auch etwas auf der Sonnenbank für ihre Augen gegen die Strahlen.“

„Ja, sie haben recht“, flüstere ich und wische meine Tränen weg.

„Wir kontrollieren die Werte regelmäßig. Wahrscheinlich haben sich morgen die Werte soweit normalisiert, dass sie wieder mit aufs Zimmer nehmen können. Das einzig vielleicht unschöne dabei ist, dass ich sie natürlich nicht morgen wie geplant entlassen kann. Bleiben die Werte aber 24 Stunden unten werden sie nur einen Tag später entlassen.“ „Danke, Dr. Lambert, für die Information“, bedanke ich mich.

„Sehr gerne. Bis Morgen“, verabschiedet sich der Arzt und geht wieder. „Sie können jederzeit hierhin ihre Tochter besuchen. Es ist ja gleich um die Ecke“, sagt mir die Krankenpflegerin. „Danke“, sage ich und bleibe noch bei Naomi als sie das Zimmer verlässt. „Meine kleine Maus“, flüstere ich zu Naomi.

Ich muss bitterlich weinen. Nicht nur, dass es einfach unschön aussieht. Sie jetzt hier zu lassen, fällt mir so schwer. Kaum drei Tage alt und schon ein zweites Mal getrennt. Ich berühre den Brutkasten mit meiner rechten Hand. „Bis gleich mein Schatz.“ Ich atme tief ein und wieder aus, wische mir die Tränen weg und gehe schweren Herzens zurück in mein Zimmer, ohne Naomi.

Kapitel 4

„Was ist los?“, fragte mich Gero. Ich blickte ihn kurz an. Mein Herz raste und immer mehr Tränen liefen mir über die Wangen. Schnell blickte ich wieder auf mein Tagebuch. Ich schloss es und legte es zur Seite. Gero setzte sich neben mich und nahm meine Hand. „Was hast du?“ fragte er mich. „Ich kann es dir nicht sagen“, schluchzte ich.

Gero lächelte: „Bestimmt kannst du das. Hauptsache du hast mich nicht betrogen!“

Ich hörte auf zu atmen, schluckte und tat etwas, was mich sehr lange verfolgen würde.

„Nein“, flüsterte ich, wischte mir die Tränen weg, atmete tief ein und sah ihn an. Lieber Gott, du mögest mir für meine Lüge bitte eines Tages verzeihen. Ich konnte ihm einfach nicht das Herz brechen, zumindest nicht so. „Nein, aber ich glaube...“, fing ich an und wieder liefen unkontrolliert die Tränen runter. Ich blickte wieder zu Boden. „Ich glaube, ich liebe dich nicht mehr.“

Ich schluchzte laut auf. „Es tut mir so leid!“ Und dann passierte das Unfassbare. Er nahm mich in die Arme und sagte: „Das muss dir nicht leid tun. Du kannst doch nichts dafür. Es passiert.“

Er tröstete mich, während ich weinend zusammen brach. Es hätte andersrum sein müssen! Ich hätte ihn trösten müssen! Doch Gero blieb ruhig. Noch lange weinte ich in seinen Armen. Am Abend sagte ich zu ihm, dass ich in Zukunft im Gästezimmer schlafen werde bis ich was Eigenes gefunden habe. Er half mir sogar danach das Zimmer umzuräumen.

Wir sollten noch ein halbes Jahr zusammen wohnen, und in all dieser Zeit sollte ich nie eine Träne von Gero zu Gesicht bekommen.

Im Nachhinein erfuhr ich aber von meiner Mutter, dass es Gero nicht gut ging. Er vergaß im Winter sogar mal seine Jacke anzuziehen. Er zeigte sein gebrochenes Herz nie vor mir und ich hinterfragte es nie, da ich mit mir selbst so sehr beschäftigt war.

Nach ein paar Tagen schrieb ich Nuru, dass ich mit Gero Schluss gemacht hatte. Er schrieb zurück, dass wir uns am 31.5. am Rudolfplatz treffen könnten.

An den folgenden Tagen bis Freitag war ich sehr aufgeregt. Als ich am Rudolfplatz ankam war ich nervös. Würde ich ihn wieder küssen? Würde er sauer sein? Wohin würden wir gehen? Ich wartete. Die Zeit verging nur sehr langsam. Hatte ich ihn übersehen? Ich ging ein wenig die Straße hoch und runter. Erblickte jedem Mensch ins Gesicht. Wo war er nur? Ich wartete über eine Stunde. Auf meine Frage, wo er sei kam keine Antwort.

Plötzlich traf ich Amadou. „Hey, Amadou.“ „Hey“, begrüßte er mich und gab mir links und rechts einen Kuss auf die Wange. „Sag mal, weißt du wo Nuru ist?“ „Ja, der ist in Belgien seinen Geburtstag feiern.“ Ich versuchte mein Entsetzen über diese Nachricht nicht zu zeigen. „Ach so, ok. Bis dann!“ „Bis dann!“, verabschiedete sich Amadou. Enttäuscht fuhr ich wieder nach Hause. Was für eine Schweinerei! Mich einfach sitzen zu lassen. Das hat er mit Absicht gemacht. Der kann mich Mal. Arschloch! Wutentbrannt schrieb ich ihm eine Nachricht. `Das du mich hier einfach sitzen lässt, obwohl du in Belgien bist. Du bist ein Arsch!

Am nächsten Tag antwortete er nicht, am übernächsten auch nicht. Am zwölften Tag war ich sehr verzweifelt und schrieb in mein Tagebuch:

Ich falle und falle. Die Tiefe scheint nie zu enden. Fühle mich so verloren, verlassen von mir selbst. Ich spüre solch eine Sehnsucht, eine unbeschreibliche Leidenschaft, nach einem Mann, dass es mich verrückt macht. Solch ein Verlangen habe ich noch nie gespürt. Er ist so nah und so weit weg. Er nahm mein Herz, doch gab mir nicht seins. Lässt mich warten, lässt mich trauern, lässt mich hoffen, lässt mich allein. Allein zurück mit dieser Qual. Spüre ihn Tag und Nacht. Sehe ihn Tag und Nacht. Er weicht nicht von mir, gibt mir keine Ruhe. Nimmt mir meine letzte Kraft. Tag und Nacht, jede Sekunde, mit jedem Atemzug sehne ich mich mehr und mehr nach ihm. Bitte, lass mich nicht umsonst warten. Bitte komm und erlöse mich. Rette mich aus dem Sumpf.

Langsam zu ertrinken ist die schlimmste Qual. Langsam zu verdursten noch schlimmer. Schenke mir dein Herz oder gib mir meins zurück. Teile mit mir dein Leben oder gib mir meins zurück. Gib mir Luft zum Atmen, sonst sterbe ich. Warten, warten, warten. Wie lange quälst du mich noch?

Danach ging es mir langsam besser. Die nächsten Tage konzentrierte ich mich auf meine Ausbildung. Das zweite Lehrjahr neigte sich dem Ende zu und ich bereitete mich auf die Verkäuferprüfung vor. Was die Zukunft für mich bereithalten wird? Ich fühlte mich langsam wie ein frisch geschlüpftes Küken und wollte die Welt erobern. Ich schrieb John in Irland und berichtete ihn von allem. Er freute sich für mich. Nächsten Monat würde er nach Deutschland kommen, da er meine Freundin Rebekka datete. Ich war nun mal eine gute Verkupplerin.

Und dann passierte es endlich.

Donnerstags meldete sich Nuru. Er sei kein Arsch. Ich sollte mal überlegen, wer hier wen einfach sitzen lassen hat. Er erzählte mir auch, dass die Fahrt nach Belgien sehr spontan gewesen sei. Wir verabredeten und für Samstagabend im Fillini. Dort müsse er erst noch arbeiten. Ich traf mich dort mit Rita und den anderen Jungs. Es war ein lustiger Abend. Ich fühlte mich so wohl. Als ob ich schon immer dazu gehört hätte. Nuru kam immer wieder zu uns und lächelte mir zu. Nach seinem Feierabend trennten sich die Wege von allen bis auf Nuru und meiner. Ich ging wieder mit zu ihm. Wir verbrachten den Rest der Nacht nackt zusammen. Noch nie in meinem Leben hatte ich so lange Sex. Sein Körper war athletisch schlank und doch war er muskulös. Sein Glied war groß, sodass es mir manchmal auch etwas wehtat. Am frühen Morgen schliefen wir eng umschlungen ein.

Als ich meine Augen öffnete, war es schon zehn Uhr. Vorsichtig schob ich Nurus Arm zur Seite, stand auf und zog mich leise an. „Wohin gehst du?“, nuschelte Nuru als ich gerade meine Hose hochzog. Ich drehte mich lächelnd um: „Nach Hause.“ Als ich fertig angezogen war gab ich ihm noch einen Kuss und fuhr heim. Gero sagte kein Wort als ich die Wohnungstür aufschloss. Für einen kurzen Moment hatte ich ein schlechtes Gewissen. Aber sobald ich in meinem Zimmer war, mich auf mein Bett schmiss und lächelnd an die Decke starrte, verflog das schlechte Gewissen. Ich fühlte auf meinen Bauch. Diese Schmetterlinge in meinem Bauch breiteten sich immer weiter aus. Ich schien zu schweben, höher als Wolke 7. Es kribbelte in meinem ganzen Körper.